Gleichzeitig unnd in ähnlicher Form sind Bestrebungen im
èechischen Teil der Industrie zu verzeichnen. In Brünn
- ich erwähne dieses Beispiel, weil es charakteristisch ist
für die Einstellung des Unternehmertums - fordern die Arbeiter
eine Teuerungszulage. Die Industrie ist gut beschäftigt,
es werden immer neue Arbeiter eingestellt, die Leistung wird gewaltig
gesteigert. Die Unternehmer erklären aber, daß sie
nicht gewillt sind, diese Forderungen der Arbeiter nach Teuerungsaushilfen
zu erfüllen. Der Direktor einer Brünner Textilfirma
erklärte, daß die Brünner Industrie zwar Geld
für eine Teuerungszulage zur Verfügung hätte, daß
aber die ganzen Brünner Arbeiter streiken müßten,
wenn sie zu ihren Teuerungsaushilfen komme wollen. Ganz zynisch
erklärt also das Unternehmertum, daß die Arbeiter,
wenn sie auf die Lohnerhöhung reflektieren, zu Mitteln des
Kampfes zu greifen haben. Dann wird man rufen: Bolschewistischer
Putsch! Soziale Unruhen, von Kommunisten angezettelt! Wir prangern
diese Methode hier an, um aufzuzeigen, wie diese Kreise des Unternehmertums
neben den Methoden der politischen Propaganda auch die Methode
betreiben, soziale Unruhen hervorzurufen und so ihre fascistischen
Abenteurerpläne zu rechtfertigen. Wir erklären auch
von dieser Stelle aus wieder: Der Kampf um höhere Löhne
ist nicht nur berechtigt, er liegt im Interesse der breitesten
Schichten des werktätigen Volkes, er ist notwendig im Interesse
der Verteidigungsfähigkeit der Arbeiter gegen Fascismus und
Reaktion. Wir sagen aber auch: die Regierung hat nicht nur kein
Recht, gegen die Bestrebungen der Arbeiter auf höhere Löhne
aufzutreten, sondern sie hätte vielmehr die Pflicht, alle
Bestrebungen der Arbeiter nach Besserung ihrer Existenz und nach
Schutz ihrer Löhne zu unterstützen.
Eine dritte Frage, die mit diesem Probleme zusammenhängt,
ist die Arbeitsvermittlung. Wir haben immer die Notwendigkeit
eines wirklich entsprechenden Gesetzes über die Arbeitsvermittlung
betont. Wir wissen, daß gerade auf dem Gebiete der Arbeiteraufnahme
von jeher das Tätigkeitsfeld für Terrormaßnahmen
- seitens der Unternehmer liegt. Es werden da Maßnahmen
angewendet, die vielleicht nicht im Widerspruch stehen, mit den
Paragraphen des Terrorgesetzes, die aber darauf basieren, daß
das Unternehmertum seine wirtschaftliche und soziale Macht dazu
mißbraucht, von den Arbeitern ein solches politisches Bekenntnis
zu fordern, wie es den Unternehmern genehm ist. Ich habe schon
im Budgetausschuß darauf aufmerksam gema cht, daß
uns das Gesetz über die Arbeitsvermittlung nicht befri edigigen
kann. Die Arbeiterschaft hat auf dieses Gesetz große Hoffnungen
gesetzt. Die sozialdemokratischen Regierungsparteien haben durch
dieses Gesetz einen großen Vertrauensvorschuß durch
die Arbeiter erhalten. Heute besteht aber die ernste Gefahr, daß
eine große Enttäuschung über die Zweckmäßigkeit
und die Möglichkeiten, die dieses Gesetz bietet, in den Reihen
der Arbeiterschaft platzgreift.
Die Arbeitermassen ersehen aus der Praxis, daß das Unternehmertum
besonders in den Krisengebieten genau so wie vorher Maßnahmen
trifft und Mittel findet, jene Arbeiter einzustellen, die mit
gewissen Legitimationen sich ausweisen können oder die bereits
vorher vorgemerkt wurden, ohne Rücksicht darauf, ob sie von
der Arbeitsvermittlung vermittelt wurden oder nicht. Herr Abg.
Kögler hat bereits beredte Klage über diese Praxis
des deutschen Unternehmertums geführt. Es genügt aber
nicht, diese Praxis anzuprangern, die nur möglich ist, weil
das Gesetz entsprechende Lücken aufweist, es isst vielmehr
erforderlich, daß so rasch als möglich Regierungsmaßnahmen
getroffen werden, um dem Unternehmertum dieses Handwerk zu legen.
Vor allem müßte dafür gesorgt werden, daß
jene Verordnung, die eine Sonderregelung für die Krisengebiete
vorsieht, von Seite der Regierung herausgegeben wird, um wenigstens
für die Notstandsgebiete einen gewissen Schutz für die
Arbeiterschaft bei der Aufnahme in die Betriebe zu schaffen. Weiters
glauben wir, daß eine Reihe weiterer sozialpolitischer Probleme
einer dringenden Lösung bedarf, vor allem die Qualifizierung
der jugendlichen Arbeiter in der Richtung der Reform der Bes timmungen
über das Lehrlingswesen, Regelung der Lohnund Arbeitsbedingungen
in der Heimindustrie in der Richtung der Sicherstellung der Löhne
und der Krankenversicherung für die Heimarbeiter, die Selbständigenversicherung
und schließlich die Regelung der Lohn- und Arbeitsverhältnisse
für die Chauffeure und eine Reihe anderer sozialpolitischer
Maßnahmen.
Wir stellen diese Forderungen, sagen aber auch in aller Offenheit,
daß zur Brechung aller Widerstände von Seite reaktionärer
Kreise gegen diese Lösung wichtiger sozialpolitischer Probleme
die einheitliche Kraft aller Arbeiter und besonders der Gewerkschaftsorganisationen
notwendig ist. Die Überwindung der gewerkschaftlichen Zersplitterung
und die Herstellung der Einheit der Gewerkschaften ist daher eine
äußerst dringende Notwendigkeit. Kreise, die mit dem
Faszismus liebäugeln, deren Politik auf die Unterminierung
der Demokratie und der Republik orientiert ist, erklären,
daß die Vereinigung der Gewerkschaften ein Anschlag auf
die Demokratie, ein Versuch der Bolschewisierung und was sonst
ist. Es gibt Elemente, die erklären, daß die Vereinigung
der Gewerkschaften unvereinbar sei mit dem Verbleiben der sozialistischen
Parteien in der Regierung.
Ich möchte dazu einige kurze Bemerkungen machen: Die Vereinigung
der Gewerkschaften richtet sich nicht und kann sich niemals gegen
die arbeitenden Bevölkerungsschichten richten. Richtig ist,
daß die Vereinigung der Gewerkschaften sich richtet und
sich richten muß gegen die Pläne der Reaktion, gegen
die Ausbeu tungspläne des Unternehmertums, gegen den Faszismus
und gegen reaktionäre Angriffe auf die Sozialpolitik. Die
sozialdemokratisch denkenden Kreise der Bevölkerung mögen
sich vergegenwärtigen, daß die Vereinigung der Arbeitergewerkschaften
einen entscheidenden Schritt in der Sammlung aller fortschrittlich
en Elemente gegen die faszistische Barbarei in aller Form darstellen
würde. Deswegen kämpft die kommunistische Partei für
die Vereinigung der Gewerkschaften um jeden Preis und so rasch
als möglich. Die Arbeiter werden und dürfen sich in
ihrem eigenen Interesse, im Interesse der Sammlung aller demokratischen,
fortschrittlichen Kräfte in ihrem Streben nach Verwirklichung
der Gewerkschaftseinheit den Wünschen der Reaktion nicht
beugen. Wir sind der Meinung, daß derjenige, der die Republik
und die Demokratie schützen und erhalten will, nicht gegen
eine Vereinigung der Gewerkschaften sein kann und für die
rasche Überwindung der Zersplitterung im Gewerkschaftslager
sein muß, denn die Einheit der Arbeitergewerkschaften ist
das Rückgrat für die Verteidigung der Existenz der arbeitenden
Schichten gegen Faszimus und Reaktion. (Potlesk komunistických
poslancù.)
Hohes Haus! Vor einem Jahre hat die Sudetendeutsche Partei als
einzige Partei des Staates das traurige Vergnügen gehabt,
auf die besondere Not und das Elend im sudetendeutschen Gebiete
hinzuweisen. Wir haben damals mit besonderer Schärfe auf
die sozialen Auswirkungen in unseren Gebieten hingewiesen. Geschehn
ist seit dieser Zeit nichts. Geredet wurde viel, gehandelt wurde
überhaupt nicht. Ich möchte daher feststellen, daß
sich die Situation im sudetendeutschen Gebiete nicht gebessert,
sondern im Gegenteil eine Verschlechterung erfahren hat. Ich will
deshalb an den sozialen Mißständen Kritik üben
nicht der Kritik wegen, sondern will vor allem unsere Forderungen
konkretisieren und darüber hinaus alle die falschen Behauptungen
widerlegen, die von èechischer, aber auch ganz besonders
von deutscher Seite aufgestellt wurden, in den Notstandsgebieten
sei eine wesentliche Besserung zu verzeichnen, die Arbeitslosigkeit
sei im Schwinden begriffen. Ich möchte geradezu sagen: es
ist eine Utopie, solche Behauptungen aufzustellen, und es kommt
einem Verrat an dem deutschen Arbeiter gleich, wenn ein angeblicher
Vertreter der deutschen Arbeiterschaft, Herr Abg. Kögler
hier diese Behauptungen aufstellt. Er fügt aber gleichzeitig
hinzu, daß an dieser Not insbesondere die Sudetendeutsche
Partei schuld sei, wirft sich dabei in die marxistische Brust
und macht für all die Tragik, die Not und das Elend im sudetendeutschen
Gebiete die Sudetendeutsche Partei verantwortlich, die kein Recht
habe, im Namen der sudetendeutschen Arbeiterschaft zu sprechen.
Ich möchte einmal ein ganz offenes Wort dazu sagen. Abgesehen
davon, daß die Herren von der Deutschen sozialdemokratischen
Arbeiterpartei die Handarbeit kaum kennen dürften und daher
auch keine Berechtigung haben, von den besonderen Sorgen und Nöten
des deutschen Arbeiters zu sprechen, muß ich feststellen,
daß es den deutschen Arbeitern noch nie so schlecht gegangen
ist wie zu der Zeit, wo sie von den sozialdemokratischen und kommunistischen
Arbeiterführern vertreten worden sind. Abg. Kögler
sagt unter anderem, wir hätten nichts gegen die Industrieverschleppung
in das Ausland getan. Es war in der Zeit der Konjunktur und nachher,
1931 und 1932, wo man insbesondere daran ging, die Betriebe in
das Ausland zu verschleppen. Damals bestand die SdP. noch nicht,
aber die sozialdemokratische Arbeiterpartei hätte dafür
Sorge tragen müssen, daß die Betriebe nicht ins Ausland
verschleppt werden. Aber sie war machtlos. Im Gegenteil, mit ihren
sozialdemokratischen Gewerkschaftssekretären und im Verein
mit dem Großkapitalismus hat man die Betriebe ins Ausland
verschleppt. Ich kann hiefür ohne weiters Tatsachen zum Wahrheitsbeweis
vorbringen. Im übrigen ist es so, daß die sozialdemokratische
Arbeiterpartei in unseren deutschen Gebieten kein Recht mehr hat,
im Namen des deutschen Arbeiters zu sprechen. Die Volkszählung
von 1931 ergibt, daß 866.217 deutsche Personen dem Arbeiterstande
angehören. Nun ist es so, daß nahezu 250.000 deutsche
Arbeiter heute bereits in der Sudetendeutschen Partei organisiert
sind. Das entspricht ungefähr einem Drittel aller deutschen
Arbeiter. Hinzu muß aber gerechnet werden, daß im
Jahre 1930 die Arbeiter vom 14. Lebensjahr gezählt wurden,
die Sudetendeutsche Partei aber Mitglieder erst vom 18. Lebensjahr
aufnimmt. Nehmen wir also jene Zahl noch in Abzug und jene Kameraden,
die gesinnungsgemäß in der Sudetendeutschen Partei
sind und für sie arbeiten und kämpfen, aber infolge
des sozialdemokratischen marxistischen Terrors ebenfalls einfach
nicht in der Lage sind, sich frei und offen zu uns zu bekennen,
so ergibt sich daraus, wer das Recht hat, im Namen der sudetendeutschen
Arbeiterschaft zu sprechen. Jedenfalls hat es die Sozialdemokratie
nicht. Sie haben heute ein Recht, im Namen jener Menschen zu sprechen,
die noch wirtschaftlich gebunden sind, bei der sozialdemokratischen
Partei zu stehen: die Krankenkassenangestellten, die Gewerkschaftsangestellten,
die Konsumangestellten sind es, die heute noch der sozialdemokratischen
Partei das Rückgrat steifen.
Meine Aufgabe ist es nicht, mich mit diesen Dingen heute zu befassen,
sondern ich habe wieder jene Aufgabe, die die traurigste ist,
u. zw. über die Not und das Elend draußen in unseren
Randgebieten zu sprechen. Ich sage Ihnen ehrlich, daß wir
noch nie mit größerer Bangigkeit einem Krisenwinter
entgegengesehen haben, als dem, der vor uns steht. Wir können
angesichts der ungeheueren Not im Sudetendeutschtum die scheinbaren
Anzeichen einer beginnenden Wirtschaftsbelebung nicht anerkennen,
wie es z. B. erst unlängst wieder der deutsche Regierungssozialdemokrat
Rind in Trautenau erklärt hat, der sagte: Wir können
der Regierung keinen Vorwurf machen, daß sie das Budget
für die Arbeitslosenfürsorge um 100 Millionen herabgesetzt
hat. Es ist geradezu ein Verdienst, sagte er, daß sie das
vermochte, im Zug der allgemeinen Besserung der Lage ist diese
Herabsetzung sehr gerechtfertigt. Wie sieht aber diese allgemeine
Besserung der Lage aus? Die Begründung für dieses Absinken
und die Folgeerscheinungen, die man daran knüpft, sind aber
zum großen Teile abwegig und lassen allzu deutlich erkennen,
daß hier der Wunsch der Vater des Gedankens ist. Es ist
bekannt, daß in der Arbeitslosenziffer in überwiegendem
Maße lediglich jene Zahlen genannt werden, wo es sich um
Arbeitslosenunterstützung handelt. Jene, die nicht im Genusse
der Arbeitslosenunterstützung sind, werden auch von der Arbeitsvermittlung
und vom statistischen Staatsamt nicht gezählt. Durch die
rigorose Auslegung dieser Richtlinien werden Zehntausende aus
dieser Zahl ausgeschlossen und nicht registriert. Daran knüpft
man die Behauptung, daß eine Wirtschaftsbelebung zu bemerken
sei. Ich sage Ihnen Folgendes: Die Arbeitslosigkeit im sudetendeutschen
Gebiete ist dreieinhalbmal so groß als im èechischen
Gebiet. Das statistische Staatsamt gibt z. B. an, daß auf
100 èechische Arbeitslose im Juli dieses Jahres 303, im
August 310, im September 311 und im Oktober 351 deutsche Arbeitslose
entfallen sind. Ende Oktober dieses Jahres hat das statistische
Staatsamt im deutschen Gebiet mit 3 1/4 Millionen Einwohnern nur
um 19.000 Arbeitslose weniger gezählt als bei den 11 Millionen
anderer Staatsbürger des Staates. Und hier ist auch dann
die besondere Not. das besondere Elend im sudetendeutschen Gebiet
begreiflich, das sich heute in der Erregung der Bewohnerschaft,
in dem Verfall der Behausungen. in der Unterernährung und
in den Krankheiten der Kinder und Jugendlichen bemerkbar macht.
Das sind Anklagen gegen das herrschende System, das die Not einfach
nicht zur Kenntnis nehmen will. Wir haben einen Beweis in den
ärztlichen Berichten. worin festgestellt wird, daß
90% der Jugendlichen unterernährt sind und daher Krankheitserscheinungen
aufweisen.
Aus einer Aufstellung des Fürsorgeministeriums ergibt sich
das Wohnungselend im Jahre 1930, das damals 2000 Familien mit
9000 Personen und im Jahre 1935 11.000 Familien mit 90.000 Personen
in Elendswohnungen umfaßte; daß hiebei der weitaus
größere Teil im sudetendeutschen Gebiete ist, brauche
ich nicht weiter zu erzählen.
Ich habe nun ein Interesse, nachdem man uns nicht glauben will,
daß die Not eine weitaus größere im sudetendeutschen
Gebiet ist als im èechischen, Ihnen den Bericht einer Augenzeugin
vorzulesen, die drei Wochen hindurch im vorigen Sommer im sudetendeutschen
Elendsgebiet gewesen ist und sich davon überzeugt hat. Es
ist dies Frau Dr. Anna Linder, die schwedische Rote-Kreuzschwester,
die in den Zeiten der Revolution im Sowjetstaat sich große
Verdienste in der Pflege der Gefangenen erworben bat. Frau Dr.
Linder berichtet: Ich kann gar nicht fassen, wie es eigentlich
möglich ist, daß es die Welt ruhig mit ansieht, wie
ein Volk ausstirbt. Hier ist nicht mehr von einem Volke die Rede,
das hungert, es ist dem Untergange preisgegeben, wenn nicht Hilfe
und zwar baldige Hilfe ohne alle politische Nebenabsichten gegeben
wird. Was würden wohl unsere Schweden zu solchen Behausungen
sagen, wie man sie z. B. in Reichsdorf oder in Fischern antrifft?
Sie müßten als ein Schandfleck für den Staat angesprochen
werden, der sie als menschliche Wohnstätten dienen läßt.
Es waren nur üble Baracken, verfallene Eisenbahnunterschlüpfe,
durch die der Schnee oder Regen eindrang. Eine alte Frau in Sauersack
äußerte fragend, ob wir ihr zu einem neuen Bettkissen
verhelfen könnten: das war ihr höchster Wunsch im Leben.
Im Armenhaus in Reichsdorf wohnten 120 Menschen in einem Raume,
der für 40 berechnet war. In Kohling wurde 1 kg Hundefleisch
mit 4 Kè verkauft. In Graslitz besuchten wir das Krankenhaus,
das. obwohl nur für 40 Personen eingerichtet, jetzt mit der
dreifachen Zahl belegt ist. Die Patienten, die in dieses Krankenhaus
eingeliefert werden, seien, wie uns die Ärzte versicherten,
von Hunger und Entbehrung so mitgenommen, daß sie, bevor
man überhaupt einen Eingriff wagen dürfe, 14 Tage lang
besonders gepflegt werden müssen, wenn man bei den kümmerlichen
Nahrungsmittelbeständen sogar der Krankenhäuser überhaupt
von einer besonderen Pflege sprechen könne. Frau Dr. Linder
stellte dann weiter fest, daß in den Notstandsgebieten Milch
kein Nahrungsmittel sei, sondern bereits eine Medizin. Sie berichtet
weiter: Ein anderer Arzt war geradezu verzweifelt; eine Mutter
kam mit ihrem kranken Kinde, um zu fragen, was zu machen wäre.
Der Arzt konnte ohne Schwierigkeit feststellen, daß die
einzige Medizin, die benötigt würde, Milch und bessere
Nahrung sei. Aber wie sollte man die verordnen können?
So berichtet die Dr. Linder über die Tragik und das Elend
im sudetendeutschen Gebiete. Sie ging dann zu jenem berühmt
gewordenen Gesundheitsinspektor Dr. Schulz, der Vorstand des Èechoslovakischen
Roten Kreuzes ist. Dort klagte Frau Dr. Linder über das Gesehene
und bat um Abhilfe, und zwar um schnelle Hilfe. Die Antwort dieses
Herrn Dr. Schulz war: "Das Land ist leider zu klein, um der
ganzen Bevölkerung das Auskommen zu sichern. Wenn diejenigen,
die noch etwas haben, mit denjenigen teilen müßten,
die nichts haben, würde sich nur die Stellung der ersteren
verschlechtern. Deshalb müssen wir danach streben, einen
Teil der Bevölkerung aufrechtzuerhalten, während wir
andere Teile dem Hungertode preisgeben mußten." Wir
schraken zus ammen über die Antwort, so berichtet Dr. Linder
in den schwedischen Zeitungen, welche Berichte leider in unseren
Zeitungen verboten wurden, weil man einfach Meldungen über
die Not und das Elend mit allen zur Verfügung stehenden Mitteln
unterdrücken will. Es ist traurig, wenn ein Mann, der gerade
dazu berufen ist, hier auf die Regierungsstellen einzuwirken,
daß endlich einmal Abhilfe geschaffen wird, da dieses Elend
nicht mehr lange zu ertragen ist, solche Worte gebraucht. Glauben
Sie uns, wenn wir darüber sprechen, daß wir annehmen
müssen, daß ein Großteil derjenigen, die heute
verantwortlich sind, das Schicksal der Sudetendeutschen zu ändern,
sich mit diesen Gedankengängen tragen. Deshalb müssen
wir auf das energischeste und entschiedenste darauf verweisen,
daß die Geduld der Sudetendeutschen einmal ein Ende hat.
Die Katastrophe, sie ist unausbleiblich, wenn sich die Regierung
nicht ernsthaft mit diesen Dingen befaßt.
Wenn wir nun die Lebenshaltung unserer Arbeiterschaft betrachten,
so müssen wir feststellen, daß das Lebensniveau der
Arbeiterschaft in der Èechoslovakei mit an letzter Stelle
in Europa steht. Ein Bericht von der Zentralsozialversicherungsanstalt
vom Jahre 1935 zeigt, daß 44.6% aller Versicherten einen
Lohn von wöchentlich nicht über 60 Kè haben,
der Lohndurchschnitt im sudetendeutschen Gebiet liegt natürlich
vielfach noch tiefer. So hat z. B. die Bezirkskrankenversicherungsanstalt
in Freudenthal von 8900 Versicherten 7045 unter dem Existenzminimum
von 6000 Kè jährlich. Diesen Schundlöhnen gegenüber
steht aber eine Preissteigerung und verschlechtert dadurch die
Lebenshaltung der deutschen Arbeiter von Tag zu Tag. Wir verlangen
deshalb, daß gegen diese unbegründete Preissteigerung,
die jetzt wiederum nach der Devalvation festzustellen ist, ganz
energisch eingeschritten werde. Zugleich aber verlangen wir eine
Erhöhung der Löhne, die heute auch nichts mehr mit einem
gerechten Lohn zu tun haben.