Hohes Haus! Wir stehen heute unter dem Eindruck eines überaus beklagenswerten Ereignisses. In Schlesien haben Arbeiter, die unter der Not der Zeit leiden, demonstriert und sind mit der Gendarmerie zusammengestoßen. Nach Zeitungsnachrichten hat dieser Zusammenstoß nicht weniger als 10 Todesopfer gefordert. Das sind überaus betrübliche, überaus beklagenswerte Erscheinungen. Der Herr Innenminister hat gestern über diese Ereignisse eine Erklärung abgegeben und wir haben kein Recht, an der Richtigkeit seiner Informationen zu zweifeln, solange nicht das Gegenteil erwiesen ist. Aber wenn man die Berichte von Augenzeugen liest und hört, steigen einem doch gewisse Bedenken auf, denn man muß sich fragen: Warum ereignet es sich gerade in dieser Republik jetzt so häufig, daß die Zusammenstöße der Arbeitslosen, der Massen, mit der Gendarmerie solche Opfer fordern? Man muß sich fragen: Welche Methode leitet eine Regierung, daß es verhältnismäßig so häufig zu so traurigen Erscheinungen kommt? Wir machen immer dieselbe Beobachtung. Die Leute demonstrieren, sie wollen sich versammeln und bevor es zu dieser Versammlung kommt, werden Präventivmaßnahmen ergriffen und im Laufe dieser Präventivmaßnahmen kommt es zu Ereignissen, die Blutopfer kosten. Man muß sich doch fragen: Warum läßt man es denn nicht zu, daß sich die Leute versammeln, warum wartet man nicht ab, wie eine solche Versammlung verläuft, warum läßt man die Menschen sich nicht abreagieren, wie man in solchen Fällen zu sagen pflegt, warum will man nicht zulassen, daß sie ihre Not, ihre Leiden, ihre Erbitterung sich vom Herzen reden, warum ist es notwendig, bis auf die Felder hinaus die Gendarmerie zu schicken und es zu derartigen Erscheinungen überhaupt kommen zu lassen? Warum greift man sofort zu den allerschärfsten Mitteln? Gewiß, wir hegen keinen Zweifel, daß es Elemente gibt, die die Arbeitslosigkeit, das Elend und die Not dazu mißbrauchen wollen, um daraus ihre politischen Vorteile zu ziehen. Man muß sich denn doch fragen, ob man durch solche Methoden nicht gerade den Wind in diese Segel hineintreibt und ob man nicht durch ein solches Vorgehen der Demagogie geradezu die Agitationsmittel in die Hände liefert.
Was wir verlangen müssen, ist, daß in diesem letzteren Falle eine Untersuchung eingeleitet wird, und zwar eine strenge Untersuchung und daß Gelegenheit gegeben wird, die Tatbestände vollständig objektiv darzustellen und daß auch dem Parlament Gelegenheit gegeben wird, dann sein Urteil über diese Verwaltungsmethoden zu fällen. Denn es geht nicht an, immer nur von der Krise zu sprechen und davon zu sprechen, daß man in solchen Zeiten die entsprechenden Maßnahmen ergreifen muß, wenn man es an der notwendigen Besonnenheit fehlen läßt, wenn man die Organe der Behörden selbst in die Nervosität hineintreibt, was dann zu den traurigsten Ergebnissen führt. In diesem Falle wird es notwendig sein, die objektive Wahrheit rücksichtslos festzustellen und hier im Parlament ein Urteil zu fällen, ob die Maßnahmen, die ergriffen wurden und zu Todesopfern führten, notwendig waren, oder ob nicht durch ein anderes System viel bessere Wirkungen erzielt worden wären, ohne daß sich die Staatsbehörden den Vorwurf zugezogen hätten, es wieder zu einem Blutvergießen kommen zu lassen.
Die Ereignisse in Nieder-Lindewiese stehen selbstverständlich mit den krisenhaften Zuständen im Staate im engsten Zusammenhang und im engsten Zusammenhang mit den Krisenzuständen des Staates stehen auch die bei den Gesetzentwürfe, über die wir heute in aller Eile hier ein Urteil abzugeben haben. Diese Gesetzentwürfe umfassen zunächst Steuererhöhungen, eine, wie es heißt, vorübergehende Erhöhung der Einkommen- und der Tantiemensteuer, und das zweite Gesetz handelt von den Sparmaßnahmen in der Verwaltung. Beide Gesetze tragen, wie das auch der Herr Finanzminister gestern im sozialpolitischen Ausschuß zugestanden hat, den Stempel der Improvisierung auf der Stirne. Beide entspringen dem Bedürfnis, in dieser Zeit zu sparen und auf der anderen Seite Geld der Staatskasse zuzuführen. Gewiß wird der Großteil der Bevölkerung im Prinzip damit einverstanden sein, wenn er hört, daß gespart wird, und schließlich und endlich wird man sich auch dem nicht verschließen können, daß in der Zeit der großen Not auch Opfer gebracht werden müssen. Aber die Art und Weise, wie dies geschieht, fordert gerade bei diesen zwei Gesetzentwürfen zur schärfsten Kritik heraus. In einer Zeit, wo die erwerbenden Berufe eine Entlastung fordern, kommt man mit einer Belastung, und in einer Zeit, wo gerade der Staatsbeamte, der mit den krisenhaften Erscheinungen kämpft, sich sein Budget zurechtgelegt hat, kommt man ihm in den letzten Tagen mit einer Kürzung. Vielleicht ist nicht das Was dieser beiden Gesetze so schlimm, wie das Wie dieser Gesetze, die Art und Weise, wie sie vor dieses Parlament gebracht wurden, die Art und Weise, wie gerade hier nach allen Seiten hin wieder einmal mit dem Überraschungsmoment gearbeitet worden ist. Der Finanzminister kann einwenden: Ja, in den Staatskassen herrscht Ebbe und ich stehe jetzt vor der Frage: Wie soll ich Geld in die Staatskassen hineinbringen? Wir wollen uns doch nicht verhehlen, meine Herren, daß wir alle, die wir hier sitzen, die Dinge haben kommen sehen, daß wir bereits vor einem Jahr wußten, daß wir äußerst krisenhaften Verhältnissen entgegensehen und daß, wenn Politik ein Voraussehen ist, auch Maßnahmen getroffen werden mußten, um diesen Verhältnissen Rechnung zu tragen. Und, meine Herren, daß das möglich gewesen wäre schon bei der Festsetzung des Budgets für 1931 und noch mehr hätte in Erscheinung treten müssen bei der Behandlung des Voranschlages für 1932, darüber brauche ich wohl kein Wort zu verlieren.
Man hört uns deutschen Abgeordneten nicht zu, wenn wir sagen, daß das Heeresbudget mit 1310 Millionen und mit dem jährlichen Zuschlag zum Rüstungsfond von 315 Millionen und den übrigen Posten, die sich unter den anderen Etats befinden, für die Verhältnisse des Staates überspannt ist. Man hört uns nicht zu, wenn wir sagen, daß die Ausgaben besonders für die Propaganda für den Rahmen des Staates zu hoch sind. Gestern wendete mir ein nationalsozialistischer Abgeordneter von langer Erfahrung ein, daß Deutschland einen 12- oder 14mal so großen Posten für Propaganda eingesetzt hat und forderte von mir, daß ich dieser Tatsache bei der Behandlung des èechoslovakischen Budgets Rechnung trage. Ich glaube, daß die Èechoslovakei keinen Anlaß hat, sich das reichsdeutsche Budget in irgend einer Beziehung derart zum Muster zu nehmen, daß man sich auf die einzelnen Posten dieses Budgets beruft, sondern wir haben unabhängig von den Ausgaben anderer Staaten für gewisse Gebiete einfach zu entscheiden, ob das, was wir für diese oder jene Zwecke ausgeben, den Verhältnissen angemessen ist oder nicht.
Ein anderes Gebiet, wo man Ersparungen machen könnte, sind die öffentlichen Bauten, u. zw. nicht etwa erst wenn sie bereits in Bau sind, sondern schon wenn sie vorgeschlagen werden. Sehen Sie sich doch, meine Herren, die Riesenbauten an, die da aufgeführt werden. Vielleicht braucht man den Umfang, aber schauen Sie sich einmal die Ausstattung an; alles mit kostbaren Steinen belegt und mit sonstigem Luxus in einer Zeit, wo man aus billigem Backsteinmaterial effektvolle Bauten rationell ausführen kann, so sehen wir, wie das Geld hinausgeworfen wird. Von einer Seite, die ich als informiert ansehen darf - allerdings gestehe ich, fehlt mir der Beweis - höre ich, daß beispielsweise bei dem Bau des neuen Palais des Eisenbahnministeriums der Bauaufwand mit nicht weniger als 32 Millionen überschritten worden ist. Es würde mich freuen, wenn der Herr Eisenbahnminister die Gelegenheit wahrnehmen würde, um diesen Berichten die Tatsachen entgegenzustellen. Aber daß bei öffentlichen Bauten über unsere Verhältnisse gewirtschaftet wird, darüber bestehen ebenso kein Zweifel, wie darüber, daß der Aufwand, der für das èechische Minderheitsschulwesen im deutschen Sprachgebiet getrieben wird, ebenfalls über die Verhältnisse, über die Einkommensmöglichkeiten dieses Staates gerade in dieser Zeit weit hinausgeht.
Natürlich hängen auch viele dieser Ausgaben mit dem protektonistischen System zusammen, mit der ungeheueren Einmischung des Staates in die Wirtschaft, namentlich zu Gunsten gewisser politischer Parteien und der von ihnen geleiteten oder unter ihrem Schutze stehenden Unternehmungen. Die Sanierung von Genossenschaften, die Sanierung von anderen Unternehmungen kostet Beträge, denen gegenüber jene 200 Millionen, die jetzt aus den Taschen der Staatsbeamten wieder herausgezogen werden sollen, geradezu verschwindend sind. Wenn wir von diesem protektionistischen System nicht ablassen, so wird eine Gesundung der Finanzen nicht eintreten können. Darüber müssen wir uns klar sein. Ursprünglich dachte der Staat, überall nur der Kompagnon bei den Gewinnen zu sein. Jetzt stellt sich doch allmählich heraus, daß er auch der Kompagnon an den Verlusten ist. Und es wäre denn doch wohl Zeit zu prüfen, wieweit der Staat gehen kann, wenn er in die Wirtschaft seiner Bevölkerung aktiv eingreift. Denn mit dem Eingreifen in die Wirtschaft erfolgt immer auch eine Übernahme der Verantwortung und die Erfahrungen in fast allen Ländern Europas zeigen, daß die Übernahme dieser Verantwortung mit großen Ausgaben auf Kosten der Gesamtheit im Effekt verbunden ist.
Meine Herren! War schon in diesen Punkten überall eine Voraussicht im Vorjahr möglich, so war die Vereinfachung, die Ökonomisierung und Rationalisierung der Verwaltung eine Aufgabe, mit der der Staat, die Regierung schon vor Jahren hätte einsetzen müssen, wenn sie sich ihrer vollen Verantwortung bewußt gewesen wären. Gewiß konnte mir gestern einer der Herren im sozialpolitischen Ausschuß antworten: Jetzt, wo der Staat viel Geld braucht für seine Kassendefizite, wollen Sie mit einer Verwaltungsreform einsetzen? Nein! Gewiß hätte heute die Verwaltungsreform keinen effektiven, d. h. sich in Ziffern ausdrückenden Zweck. Aber das entbindet natürlich die Regierung nicht von der Verpflichtung, mit der Reform der Verwaltung im Sinne einer Ökonomisierung, Vereinfachung und Verbilligung jeden Tag zu beginnen und ich behaupte, daß jeder Tag, wo mit dieser Aktion gezögert wird, verloren ist und daß jeder Tag, um den eine Verwaltungsreform später erfolgt, eine Verschwendung auf Kosten der Bevölkerung bedeutet.
Worin liegt denn diese Rationalisierung der Verwaltung? Das, was wir im Jahre 1927 Verwaltungsreform genannt haben und was man versucht hat, der Bevölkerung mit solcher Emphase mundgerecht und schmackhaft zu machen, war lange nicht die Reform der Verwaltung, die wir gebraucht haben. Sie hat gewiß eine Zentralisierung gebracht, eine Verstärkung des Bürokratismus. Aber was wir hauptsächlich gebraucht hätten, war eine Reform der Verwaltung, die wohl in erster Linie die vielen leerlaufenden Räder des Staatsmechanismus entfernt hätte. Bedenken Sie, was das bedeutet, daß heute die Akten von einem Zi mmer zum andern, von einem Amt zum andern, von einer Stadt in die andere wandern, nur aus dem Grunde, weil es einem Beamten einfällt,- er könnte do ch noch irgendwo Erhebungen anstellen lassen, weil er sich denkt, wenn er die Erhebungen anstellt, läßt sich dieser Akt wieder für 4 bis 6 Wochen vom Tisch schieben. Bedenken Sie, meine Herren, was das an Zeitversäumnis und an Geldverschwendung bwdeutet, daß wir ein Approbationssystem haben, welches vielleicht vor 40 und 50 Jahren möglich war, heute aber seinen absoluten Unwert täglich beweist. Warum will man nicht den Unterbehörden die Möglichkeit geben, eine endgiltige Entscheidung zu treffen, warum verlangt man, daß alle Entscheidungen immer von der oberen Instanz getroffen werden oder vom Haupt der Behörde, nur damit sich die Akten - oft handelt es sich um ganz lächerliche Dinge - um 14 Tage oder um 2 und 3 Monate länger auf den Tischen herumwälzen?
Hier hätte die Verwaltungsreform einzusetzen und wenn eine Kommission vorgenommen wird, wäre die Frage aufzuwerfen, ob der Gegenstand der Erforschung in einem Verhältnis zu den Kosten steht, die diese Kommission verursacht. Wenn eine Kommission irgendwohin geschickt wird, so genügt es gewöhnlich, wenn ein Mann hinkommt, es müssen nicht immer vier Beamte hinkommen, die Kosten und Diäten verursachen und außerdem den Ämtern zuhause überflüssigerweise drei Beamte entziehen. Hier hat der Hebel einzusetzen und es darf keine Ausrede geben, daß man in der Krisenzeit jetzt anderes zu machen hat als eine Verwaltungsreform. Die Verwaltungsreform ist gerade in der Krisenzeit die erste Aufgabe des Staates, weil sie ein Mitel ist, eine Verbilligung und Vereinfachung der Amtsführung zu erzielen und das Ausgabenbudget zu verringern. Wir können es nicht hindern, daß die Zahl der Aufgaben des Staates in natürlicher Weise wächst. Aber es darf doch nicht das veraltete System bestehen bleiben, daß dieser Zuwachs an Aufgaben mit einem enormen ständigen Steigen der Kosten der Staatsverwaltung verbunden ist. Wenn heute jedes Industrieunternehmen und jeder Kaufmann daran gehen muß, seinen Betrieb zu verbilligen und zu vereinfachen und wenn sogar die Großindustrie, bevor sie eine Kommission hinausschickt, sich die Frage vorlegt, ob diese Handlung überhaupt rentabel ist, so muß auch der Staat daran denken, derartige kaufmännische Prinzipien in seinen Amtshandlungen zu befolgen und er muß sich bewußt werden, daß das, was er ausgibt, von der Gesamtheit seiner Bürger zu tragen ist, kurz er muß das Prinzip der Rentabilität auch bei seiner Hoheitsverwaltung ins Kalkül einstellen, wobei ich gar nicht davon sprechen will, wie weit er dieses Prinzip in jenen Unternehmungen anzuwenden hat, die er selbst als nach kommerziellen Grundsätzen geführte Unternehmungen bezeichnet. Die Nichtbeachtung dieser Prinzipien hat dazu geführt, daß das Ausgabenbudget des Staates so groß ist, daß wir in dieser Zeit zu Zwangsmaßnahmen greifen müssen, in einer Zeit, wo wir 4 Milliarden Steuerrückstände haben, von denen wir nicht wissen, ob wir sie mit regulären Mitteln in absehbarer Zeit zu erheblichen Teilen werden hereinbringen können.
Dabei möchte ich auf eine Tatsache aufmerksam machen, der wenig Aufmerksamkeit geschenkt wurde. Im Zuge der Bodenreform fand eine Menge von Übertragungen statt. Mit diesen Übertragungen sind nach dem Gesetze die Einverleibungs- und Übertragungsgebühren verbunden. Es sind so in die Millionen gehende Rückstände entstanden, die daher rühren, daß diese Einverleibungen und Übertragungen erst sehr verspätet verrechnet wurden, so daß sich heute ergibt, daß ein großer Teil dieser Gebühren für Einverleibung und Kaufübertragung nach der Bodenreform, und zwar handelt es sich um Millionen, überhaupt nicht hereingebracht werden kann. Man wollte damals die Leute, die man durch die Bodenreform beschenkt hat, mit Sammt-Handschuhen anfassen und womöglich von allen Lasten befreien. Man brachte ihnen geradezu zum Bewustsein, daß sie wahrscheinlich überhaupt nichts werden zu zahlen haben, und heute, wo der Staat diese Millionen brauchen würde, kommen sie zum Fehlen und bei der gegenwärtigen Lage der Landwirtschaft ist die Aussicht nicht sehr groß, daß diese Hunderte Millionen bei den von der Bodenreform Bedachten, vom Schicksal seinerzeit Begünstigten, hereingebracht werden.
Was aber bei den beiden Gesetzen das allerschlimmste ist, sowohl bei dem Gesetz über die Steuerzuschläge als auch bei dem über die Verringerung der Beamtengehalte, ist der Umstand, daß sie etwas enthalten, was man im Rechtsleben die rückwirkende Kraft des Gesetzes nennt. Im alten Österreich und jetzt auch in der Èechoslovakei ist die Bestimmung des Bürgerlichen Gesetzbuches in Geltung, daß Gesetze auf früher erworbene Rechte nicht zurückwirken. Wenn man schon im Jahre 1811 einen solchen Paragraphen in das Gesetzbuch aufgenommen hat, so hatte man dazu wohl einen sehr guten Grund. Denn dieser Grundsatz bedeutet die Verankerung der Rechtssicherheit im Staate. Der Bürger sollte das Bewußtsein haben, daß, wenn er einmal unter der geltenden Rechtsordnung ein Recht erworben hat, dieses Recht so fest wie Granit steht und auf diesem Grundsatz basierte zum großen Teil das Vertrauen zur staatlichen Rechtsordnung. Wenn Sie aber bei den verschiedensten Gelegenheiten immer die rückwirkende Kraft des Gesetzes statuieren., dann erschüttern Sie dieses Vertrauen und damit einen der wertvollsten Bestandteile im Rechtsbewußtsein des Volkes. Das ist jetzt hier bei den neuen Steuerzuschlägen der Fall. Ich verstehe die Motive der Gesetzgebung, denn es handelt sich darum, rasch Geld in die Staatskassen zu bringen und das Kassendefizit zum Verschwinden zu bringen; aber was verlangen Sie in Wirklichkeit? Der Steuerträger hat für 1930 schon längst die Einkommensteuer bezahlen müssen, es gibt auch Menschen, die ganz loyal nach dem Steuergesetz vom Jahr 1927 gemäß der letzten Vorschreibung immer ihre quartalmäßige Steuer entrichten. Jetzt, nachdem der Steuerträger seine Steuer für 1930 längst bezahlt hat, soll er noch die Zuschläge bezahlen. Woher soll er das nehmen? Er wird vielleicht das Einkommen des Jahres 1930 längst verbraucht haben. Es bleibt nichts anderes übrig, als den Zuschlag zur Steuer vom Jahre 1930 aus dem laufenden Einkommen des Jahres 1932 zu zahlen, gleichzeitig muß er auch für das Jahr 1931 die Steuer aus dem laufenden Einkommen des Jahres 1932 bezahlen und wenn das Gesetz bleibt, muß er aus dem gleichen laufenden Einkommen die Steuer auch für 1932 bezahlen. An diesem Beispiel, das vielleicht einen extrem gewissenhaften Steuerzahler in Betracht zieht, sehen Sie die außerordentlich ungünstige moralische Wirkung, welche die rückwirkende Kraft eines Gesetzes hat, die ihm allerdings jetzt unter dem Druck eines Notstandes statuiert wird.
Was ferner bei den beiden Gesetzen noch außerordentlich einzuwenden ist, ist der Umstand, daß mit dem Überraschungsmoment gearbeitet wurde. Ich lasse es mir nicht ausreden und es wurde bei allen Gelegenheiten genug davon gesprochen, man wußte, daß man zum Herbst 1931 zu verschiedenen Maßnahmen werde greifen müssen. Da wäre es möglich gewesen, eine derartige Gesetzesvorlage früher einzubringen, so daß man sich mit den Fachkörperschaften, den Handelskammern, Handelsgremien usw. hätte in Verbindung setzen können, um wenigstens ihre Auffassung über die Auswirkungen eines solchen Gesetzes zu hören. Man muß es sich abgewöhnen, daß man den Staatsbürgern immer wie durch ein Überfallsmanöver Vorschriften ins Haus wirft. Dieses Überraschungsmoment hat die èechoslovakische Gesetzgebung bereits wiederholt angewendet; es wurde immer wieder gerügt und man hat geantwortet, es werde nicht mehr vorkommen, man habe die dazu berufenen Körperschaften, um mit ihnen das Einvernehmen zu pflegen. Wenn es aber zu Handlungen kommt, stellt sich immer wieder heraus, daß der Staatsbürger vor geschaffene Tatsachen gestellt wird, ohne daß man die Organisationen um ihre Meinung gefragt hätte.
Ganz ähnlich wurde es mit dem neuen Beamtengesetz, mit der Kürzung der Beamtengehälter gemacht und mit ihrem Kern, der plötzlichen Entziehung der Weihnachtszulage. Ich weiß als Journalist aus persönlicher Erfahrung, daß bereits zu Anfang Oktober, nicht lange nach den Gemeindewahlen, von dieser Kürzung des 13. Monatsgehaltes bei den hohen Behörden gesprochen wurde. Die Zeitung, an der mitzuarbeiten ich die Ehre habe, hat eine solche Nachricht gebracht und wurde konfisziert. Wir wollten diese Sache wiederholt zur Sprache bringen, aber es waren zu strenge Zensurvorschriften da. Wir haben jetzt eine verschärfte Präventivzensur, die in dem Gesetz keineswegs vorge sehen ist, aber gehandhabt wird, noch dazu unter Hinzuziehung von Beamten des Finanzministeriums, die mit der Zensur nichts zu tun haben. Es wurde gesagt, über diese Sache darf bei Gefahr der Zensurierung des Blattes nichts geschrieben werden. Was war die Folge? Die Beamten verließen sich darauf, daß die kärgliche Weihnachtsremuneration, die nur 70% des Monatsgehaltes beträgt, sicher zur Auszahlung kommen wird, und sie glaubten sich darauf umsomehr verlassen zu können, als ihnen diese feste Zusage noch vor kurzer Zeit von behördlicher autoritativster Seite gemacht wurde.
Welche ist nun die psychologische Wirkung einer solchen Maßnahme, wenn jetzt Hals über Kopf erklärt wird, daß die für 1931 gesetzlich festgelegte Weihnachtsremuneration, die auch im Budget für 1931 vorgesehen wurde, jetzt auf einmal gestrichen wird, nachdem die Beamten längst ihre Dispositionen getroffen, vielleicht Dinge bestellt oder gekauft haben, die sie jetzt bezahlen müssen und deren Bezahlung sie jetzt durch die Aufnahme einer Schuld eventuell effektuieren müssen? Das muß selbstverständlich auf die Beamten, die in diesem Staate ohnedies durchaus nicht glänzend gestellt sind, den schlimmsten Eindruck machen. Je höher der Beamte gestellt ist, desto ärger ist sein Einkommen der Vorkriegszeit gegenüber valorisiert worden. Machen wir uns nichts vor, gerade die hohen Beamten sind schlecht gestellt und sie müssen jetzt mit ihrem Dienstgeber, der das Muster eines Dienstgebers sein sollte, derartige Erfahrungen machen.
Wie müssen solche Enttäuschungen auf die Psyche des Beamten wirken, der seit Jahren gewohnt ist, gewissermaßen als das Stiefkind der Gesetzgebung nur deshalb betrachtet zu werden, weil er infolge des besonderen Disziplinarverhältnisses eigentlich zu jedem Widerstande unfähig ist. Von ihm wird gesteigerter Patriotismus, gesteigerte Aufopferungsfähigkeit verlangt, und dort, wo sich der Staat dafür erkenntlich zeigen soll, zeigt er ihm bei jeder Gelegenheit die kalte Schulter. Ich behaupte, daß die Summe von 200 Millionen, die sich durch die neuesten kleinen Verbesserungen des Gesetzes noch vermindern wird, in keinem Verhältnis zu dem Schaden steht, den dieses Gesetz psychisch und materiell anrichtet. Der Beamte steht doch mit seinem Einkommen gewissermaßen nackt vor dem Staate da, jeder Heller wird ihm nachgerechnet, eine Steuerhinterziehung ist bei den Beamten absolut unmöglich, in den meisten Fällen ist er auch nur auf den Gehalt angewiesen. Jetzt entzieht man ihm plötzlich die Weihnachtszulage. Die ganze Geschichte wird dem Staat einen Betrag ersparen, mit dem man bisweilen eine einzige Bank zu sanieren pflegt. Das ist das Resultat. Die Beamten werden verbittert, sie lassen die Verbitterung eventuell am Publikum aus, sie sind schlecht gelaunt. Und wenn wir auch der Wahrheit klar ins Gesicht blicken wollen, aus dieser Erbitterung ergibt sich noch eine weitere moralische Gefahr. Wir wissen alle, welche Anfechtungen an die Beamten der verschiedenen Kategorien herantreten. Je schlechter der Beamte gezahlt ist, desto leichter ist er solchen Anfechtungen von Natur aus zugänglich. Häuft sich in ihm nun eine Erbitterung dadurch auf, daß er Ungerechtigkeit fühlt, daß er merkt, wie er Objekt eines Spieles wird, das nur deshalb mit ihm gespielt wird, weil er widerstandsunfähig ist, dann ist vielleicht die Neigung, solchen Anfechtungen den notwendigen Widerstand entgegenzusetzen, verringert. Und wer bezahlt das? Wieder der Staat, die gesamte Bevölkerung. Diese Kürzung der Weihnachtsremuneration ist eine der schlechtesten Spekulationen, die gemacht werden konnten, und wo immer man die 200 Millionen hergenommen hätte, glaube ich, es wäre besser gewesen, als durch die Kürzung der Weihnachtsremunerationen, und es wäre besser gewesen, als diesen Sturm der Erbitterung bei den Staatsbeamten gerade in der jetzige Zeit hervorzurufen, wo man nicht weiß, ob man nicht gerade jetzt an ihre Pflichterfüllung die allerhöchsten Anforderungen wird stellen müssen.
Ich möchte nun auch auf das Technische dieses Gesetzes zurückkommen. Bezüglich des § 11 wurde bereits von anderen Rednern darauf hingewiesen, daß es vollständig unnötig war hinzuzufügen, daß das für ein Jahr gedachte Einschränkungsgesetz durch Verordnungsgewalt auf ein weiteres Jahr ausgedehnt werden könne. Man hätte es wohl dem Parlament, überlassen können, nach Ablauf dieses Gesetzes neue Verfügungen zu treffen, man hätte nicht den Beamten sagen brauchen: Ja, es ist nur für 1931 bestimmt, aber wenn in einem solchen Gesetz schon auf die Verordnungsgewalt hingewiesen wird, könne er darauf schwören, daß es auch 1932 nicht besser gehen wird. Hier hätte wohl die Regierung den guten Willen zeigen können, die demokratische Gesetzmäßigkeit wenigstens soweit zu achten, daß sie es den beiden Kammern überlassen hätte, das Gesetz entweder zu verlängern oder mit 1932 ablaufen zu lassen.
Aber ein besonderes Kunststück dieses Gesetzes liegt im § 9 letzter Absatz. Durch das Drängen der Zeit war die Hinzufügung eines Motivenberichtes zum Gesetz nicht möglich. Ich möchte die Herren bitten, im § 9 den Absatz 2 durchzulesen, über dessen Inhalt ich mir mit anderen Freunden bereits den Kopf zerbrochen habe. Ich fürchte sehr, daß sich in der Mehrheit, die dieses Gesetz genehmigen wird, sehr viele Herren befinden, nicht nur deutscher oder ungarischer Zunge, sondern auch der èechischen Zunge, welche diesen Absatz 2 des § 9 absolut nicht verstehen. Der ist in einer Sprache abgefaßt, wo die Pythia des delphischen Orakels die größten Schwierigkeiten hätte, daraus einen sicheren positiven Inhalt herauszulesen. Es wäre wünschenswert, wenn die Regierung eine, sagen wir, auch nur zweiseitige Erläuterung zu diesen sechs Zeilen hinausgeben würde.
Unter diesen Umständen fällt es selbstverständlich einer Partei, wie der Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft, die durchaus nicht gegen den Staat in Opposition steht, sondern immer nur erklären muß, daß sie sich mit diesem System nicht einverstanden erklären kann, schwer, ihre Zustimmung zu diesen Gesetzen zu geben. Handel, Gewerbe und Industrie werden durch die Steuererhöhungen zu einer Zeit getroffen, wo nicht Belastungen, sondern Entlastungen von ihr erwartet werden. Die Entziehung der Remuneration ist nicht eine jener Sparmaßnahmen, wie man sich sie gedacht hat, nicht eine organische systematische, sondern eine improvisierte Sparmaßnahme, die nicht nur die Beamten, sondern auch das Gewerbe und den Handel schädigt, weil sie die Weihnachtsumsätze, auf die so große Hoffnungen gesetzt wurden, plötzlich wieder herunterdrückt.
Der Gesetzentwurf Druck Nr. 1466 enthält in den §§ 2, 3 und 4 gewisse Bestimmungen, welche sich auf Personen mit höheren Einkommen beziehen. Diese Einschränkungen werden im ganzen 6 Millionen tragen. Man hat hier so viel von Augenauswischerei gesprochen, gewiß ist das nichts anderes als eine Geste, die zum Fenster hinaus gemacht wird. Aber ich muß sagen, ich verstehe diese Geste insbesondere dort, wo sie sich auf die Abgeordneten und Senatoren bezieht, denn wenn man Opfer von der Bevölkerung verlangt, so muß man als Gesetzgeber zeigen, daß man selbst zu Opfern entschlossen ist. Man muß diese Opfer auch dann bringen, wenn sie summa summarum im Staatshaushalte eigentlich nichts bedeuten. Und wenn beispielsweise dieser § 3 im Gesetz nicht enthalten wäre, würde er gewiß Agitationsstoff gegen alle Parlamentarier, gegen alle Volksvertreter liefern und wieviel Agitationsstoff gegen das Parlament in der Luft liegt, wenn solche Gesetze vorgelegt werden, wie dieses Beamtengesetz, bedarf nach den Verhältnissen, wie wir sie in unserer nächsten Umgebung jeden Tag sehen können, keiner weiteren Erläuterung. Deshalb war es in Ordnung, daß diese Herabsetzungen erfolgt sind.
Die deutsche Arbeits- und Wirtschaftsgemeinschaft,
eine Partei der bürgerlichen städtischen Mittelklasse, kann selbstverständlich
solche Gesetze und namentlich die Art und Weise, wie sie ins Haus
gebracht wurden, unter keinen Umständen begrüßen. Wir werden zwar
den §§ 2, 3 und 4 des Entwurfes Nr. 1466 unsere Zustimmung nicht
versagen, können aber mit den übrigen Bestimmungen des Gesetzes
nicht übereinstimmen, sondern müssen sie ablehnen. (Potlesk.)
Meine Herren! Wenn auch der Gewerbeund Handelsstand durch die vorgelegten Notgesetze nicht unmittelbar betroffen wird, da die Kürzungen der Einkommen die Beamtenschaft angehen, so stehen wir den Vorlagen entschieden ablehnend gegenüber. Erstens sind sie höchst unsozial, da sie die kleineren Beamten am härtesten treffen. Außerdem sind nachträgliche Vorschreibungen an Steuern als unmoralisch zu bezeichnen. Der Gewerbe- und Handelsstand ist aber in der Folge - wie schon immer, wenn die Regierung ein Mittel zur Rettung aus ihrer schwierigen, finanziellen Situation ersinnt - wiederum der Leidtragende: Der Beamte, der nun geringere Bezüge bekommt, muß sich natürlich notgedrungen einschränken und wird weniger Einkäufe tätigen als früher. Der Geschäftsmann und Handwerker wird noch weniger Einnahmen zu verzeichnen haben, seine Steuerkraft wird natürlich sinken und die Staatseinnahmen, die man um cca. 200 Millionen Kè durch die Kürzung der Beamtengehälter und Erhöhung der Einkommensteuer erhöhen will, werden auf der anderen Seite durch Entfall von Steuereingängen vermindert werden. Es ist eine kurzsichtige Augenblickspolitik, die keinen Weitblick der Staatslenker erkennen läßt, sondern nur die Nervosität und Unsicherheit der so großen Koalition der zerrütteten Wirtschaftslage gegenüber zeigt.