Ich will mich aber nicht nur mit dem Wortlaut der Vorlage befassen, sondern auch nach dem Motiv fragen, warum man jetzt gerade zur Vorlage dieses Gesetzes gekommen ist. Es scheint in dies em Staate denn doch notwendig geworden zu sein, mit den ununterbrochenen und ungezählten Fällen politischer Verfolgungen irgendeinen Modus zu schaffen, oder es ist vielleicht die Überfüllung der Gefängnisse bis zu einem Maße gediehen, daß man eine neue Art von Gefängnis für die sogenannten politischen Verbrecher einrichten will. Vielleicht gibt aber auch die Massenfabrikationsarbeit des Immunitätsausschusses den Anhaltspunkt zur Aufklärung, warum wir jetzt diese Gesetzesvorlage bekommen haben. Es ist ein Kuriosum, wenn fast jedesmal bei Einberufung des Immunitätsausschusses 100, 110, 120, ja 130 Auslieferungsbegehren gegen Parlamentarier vorliegen. (Posl. dr Schollich: Ein gutes Zeichen für die Demokratie!) Ein Zeichen, daß wir uns scheinbar hier im Parlamente nicht gebessert haben, sondern immer schlechter werden. Ich möchte feststellen, daß zu Beginn dieser Legislaturperiode der Immunitätsausschuß verhältnismäßig ruhig gearbeitet hat, aber besonders in den letzten Monaten außerordentlich nervös geworden ist, und es ist leicht möglich, daß dieser Ausschuß mit den Ereignissen, die soeben nicht nur im Inlande, sondern auch im Auslande Aufsehen hervorrufen, sich nächstens gründlich befassen wird, wenn wir daran gehen werden, diese Fragen tatsächlich so weit gegenseitig zur Reife zu bringen, daß man sie vor den Immunitätsausschuß bringt. Denn das ist noch nicht sicher. Es ist im allgemeinen ein schwacher Schutz der Immunität durch die Immunen selbst fetzustellen. Ich möchte hier die Gelegenheit benützen, um zu berichten, daß oft schon jeder Quatsch dem Immunitätsausschuß zur Anzeige gebracht wird und dort Dinge vorgetragen werden, bei denen man sich fragen muß, ob es denn mit der Gerichtsüberlastung schon so weit her ist, daß die Staatsanwälte für jegliche, auch für die kleinlichsten Dinge einen Grund finden, um wie die Schuljungen vor den Immunitätsausschuß zu laufen. Es wäre mehr als an der Zeit, daß seitens des Justizministers und des Innenministers Weisungen erlassen werden . . . (Posl. dr Schollich: Wo sind die Beiden?) - die beide wahrscheinlich mit den Ereignissen, die alle Herren jetzt so sehr in Anspruch nehmen, ebenfalls beschäftigt sind - daß diese an ihre Unterstellen entsprechende Weisungen herausgeben, um die Nervosität und die sogenannten Übergriffe endlich wieder auf ein etwas erträglicheres Maß zurückzuführen. Wenn ich, ohne auf die äußerst sonderliche vorletzte Sitzung des Parlamentes einzugehen, auf die Verhaftung des Abg. Major zu sprechen komme, so tue ich dies aus dem rein juristischen Grunde, weil man hier die Grundregel verletzt hat, daß ein Abgeordneter nur dann verhaftet werden darf, wenn er auf frischer Tat ergriffen wird. Dies liegt in diesem Falle nicht vor, weil dieser Abgeordnete erst später bei einer Intervention beim Amte verhaftet worden ist. Es ist richtig, daß nach dem ungarischen Strafgesetz die Tat auch bei fortgesetzter Tat noch als frische Tat gilt, man kann aber die Tätigkeit eines Abgeordneten, wenn er interveniert, nicht als verbrecherische Tat bezeichnen.
Es gibt aber auch andere Beispiele unzähliger Kleinlichkeiten, mit denen man seitens der Staatsanwaltschaft versucht, die Auslieferung von Abgeordneten aus dem Parlamente zu erreichen. Es sind dies Dinge, für die sich der Herr Justizminister interessieren sollte, weil die Beispiele oft derart lächerlich sind, daß es geradezu erheiternd wirkt, mit welchen Anträgen die Staatsanwaltschaft vor das Parlament oder vor den Immunitätsausschuß des Parlamentes kommt. Ein Beispiel: Ein Abgeordneter wird verfolgt, weil er angeblich in einer Versammlung gesagt haben soll, das Wort "èechoslovakisch" ist ein häßlicher Ausdruck, ist in häßliches Wort. Es ist eine Geschmacksfrage, ob einem das Wort gefällt oder nicht, es ist nicht einmal eine poolitische Äußerung, das Wort ist sprachlich unrichtig und inhaltlich unsinnig; es ist in Mährisch-Neutitschein geschehen und die dortige Staatsanwaltschaft scheint derart an Arbeitslosigkeit zu leiden, daß sie nichts gescheiteres wußte, als diesen Blödsinn dem Parlamente vorzulegen. Ich möchte dabei noch feststellen, daß in der betreffenden Veranstaltung kein Regierungsvertreter und auch niemand von der Staatspolizei gewesen ist, aber es bürgert sich immer mehr die Gewohnheit in diesem Lande ein, daß man Spitzel in die Veranstaltungen schickt, die meistens mit Sprachschwierigkeiten zu kämpfen haben, und daß diese Spitzel doch irgendwie etwa über das Gesehene und Gehörte berichten müssen, das oft den Tatsachen geradezu ins Gesicht schlägt, daß derartige Unterlagen genügen, um damit vor das Parlament zu kommen. Die Übergriffe der Gendarmerie sind in der letzten Zeit überhaupt weiter gehend geworden, besonders am Lande draußen sieht man Fälle, die deutlich zeigen, daß die Gendarmerie vor dem Innenministerium oder vor den Gerichten keine Furcht hat, alles mögliche gegenüber den Parlamentariern sich zu erlauben. So wollte vor kurzer Zeit z. B. in Neustadtl bei Tachau mich der dortige Gendarmeriewachtmeister an der Abhaltung einer Versammlung verhindern, weil sie für 1/2 9 Uhr abends angemeldet war und er erklärte, daß der Ausdruck abends nicht im Amtsstill vorkommt und 1/2 9 daher 8 Uhr 30 Min. vormittags ist und infolgedessen die Versammlung um 20 Uhr 30 Min. nicht stattfinden kann. (Posl. dr Schollich: Was hast Du ihm gesagt?) Ich habe ihn etwas höflich und vielleicht ironisch - ich weiß nicht ob er es verstanden hat - ziemlich derb hinausgewiesen. Er hat nachträglich die Anzeige bei der Behörde erstattet und man hat später durch die Einvernahme von Teilnehmern an der Versammlung zur Wahrung dieses gewissen Wau-Wau einen Eindruck hervorrufen wollen, den die Gendarmerie oft als einzige Beschäftigung draußen übt. Noch kleinlicher sind folgende Dinge. Die Gendarmerie von Mies hat nach Plakaten geforscht, auf denen beim Eintrittspreis nicht Kè mit È, sondern mit Ktsch, stand. Ich weiß nicht, ob das ein Ausfluß der Hitze ist und unter dieser Hitze wäre es fast begreiflich und zu entschuldigen. Es ist eine Tatsache, daß Gendarmerieorgane stundenweit zu Feuerwehrfesten, ja sogar zu Invalidenfesten gegangen sind um dort einzugreifen, weil auf den Plakaten der Eintrittspreis mit Ktsch statt mit Kè geschrieben war. Man muß sich fragen, ob diese Leute wirklich schon soweit heruntergekommen sind, daß sie nichts besseres zu tun wissen. Wir haben in Westböhmen eine große Anzahl von Mordfällen usw. gehabt. Wenn sich der Mörder nicht selbst stellt, findet ihn die Gendarmerie in 99 von 100 Fällen nicht, die Gendarmerie findet nur Versammlungsredner, die sie stundenlange angaffen kann, bis sie sie nächsten Tag auswendig kennt, sie findet Plakate, die an den Wänden hängen, aber Dinge, die der Polizeihund allein findet, findet sie nicht. (Posl. dr Schollich: Wie ist es mit Bismarck und Rosegger?) Gerade in der Frage des Bismarckbildes werden außerordentlich interessante Mitteilungen in der Beantwortung der Interpellation durch den Innenminister gemacht. Es ist immerhin ein Hohn, wenn Bismarck oder Rosegger als für diesen Staat gefährlich bezeichnet werden und der Anachronismus, der derin liegt, kann Heiterkeit hervorrufen. Man hat den Bestand der Tausendjahrfeier des Heiligen Wenzels durchgeführt. Deswegen ist der Staat nicht älter geworden und wenn heute tatsächlich Männer aus dem vorigen Jahrhundert, die der Weltgeschichte sicherer angehören als so mancher Staat der Weltgeschichte einmal angehören wird, als Feinde eines Staates, der noch nicht bestanden hat bezeichnet werden, so kann man das tatsächlich manchmal als Ausfluß von Krankhaftigkeit bezeichnen. Diese Interpellationsbeantwortung unterscheidet sich durch nichts von anderen Interpellationsbeantwortungen, die geradezu ein Hohn auf das Recht sind, Minister zu interpellieren.
Die Überlastung der Gerichte und Ämter ist ein Kapitel für sich. Es wird hier neuerdings eine Gesetzesvorlage mit einer neuen Art von Gefängnis, dem Staatsgefängnis geschaffen. Es wird vielleicht auch dieses Staatsgefängnis wieder bald überlastet, vielleicht auch überbesucht sein. Es ist aber in diesem Zus ammenhang darauf hinzuweisen, daß die Hauptschuld an der Überlastung der Gerichte nicht die viele Arbeit an sich ist, sondern die geradezu unsinnige zwangsweise Doppelsprachigkeit. Was auf diesem Gebiete an Überlastung der Gerichte geleistet wird, grenzt oft ans Unglaubliche. Ein Beispiel: Es kommen Fälle vor., daß deutsche Parteien vor, deutschen Richtern mit deutschen Advokaten zu tun haben und daß sie alle mit einander nicht in ihrer Muttersprache sprechen dürfen, sondern miteinander in der èechoslovakischen Staatssprache verkehren sollen. Jetzt hat sich ein solcher Fall im Karlsbader Gebiete ereignet, eine Zeugeneinvernahme für das Ausland, die von lauter Deutschen getätigt wurde, die ins Èechische übersetzt werden mußte, èechisch nach Deutschland geschickt wurde, dort nicht verstanden und hieher zurückgeschickt wurde und hier erst mit einer notariell beglaubigten Übersetzung hinausgeschickt wurde, bis man endlich erst gewußt hat, worum es sich handelt. Bei solchen Zuständen darf man sich doch nicht über die Überlastung der Gerichte beschweren, wenn man selbst schuld ist. Schauen sie sich z. B. die Überlastung der Führung des Grundbuches an. Im Grundbuch haben die Parteien entweder als Deutsche oder als Èechen ein Interesse, ihre Dinge im Grundbuch eingetragen zu haben und dort ihre Rechtsverhältnisse nachprüfen zu können. Es besteht auch hier der unsinnige Zwang in der Sprachenfrage. Praktisch sind diese Übersetzungen mehr als wertlos. Es ist eine Tatsache, wenn man große Urteile in die Hand bekommt, bei denen jede erste, dritte und fünfte Seite deutsch und die zweite, vierte und sechste Seite usw. èechisch ist, daß, je nachdem ob es sich um deutsche oder èechische Parteien handelt, einmal der deutsche, einmal der èechische Text überhaupt nicht angeschaut, geschweige denn gelesen wird. Man hat schon Übung, die Blätter jedesmal so zu drehen, daß man immer nur das gewünschte Blatt erhält. Jetzt frage ich: Wozu wird dieser Unfug und dieser Unsinn ununterbrochen weitergetrieben?
Auf einen Fall möchte ich noch
hinweisen. Es hat in der jüngsten Zeit ein Militärgericht in Haida
getagt und dieses Militärgericht hat an die vorgeladenen Abgeordneten
deutschèechische Vorladungen geschickt, an die gewöhnlichen Sterblichen
nur èechische Vorladungen. Als ich den Vorsitzenden deshalb stellte,
erklärte er, daß für das Militärgerichtswesen die Sprachenverordnung
überhaupt nicht giltig sei, sondern daß es auf diesem Gebiete
machen könne, was es wolle, nachdem seinerzeit der Minister für
nationale Verteidigung diese Sprachenverordnung nicht unterschrieben
habe. (Hluk.)
Místopøedseda Špatný (zvoní):
Prosím o klid.
Posl. dr Hassold (pokraèuje): Diese Auslegung bedeutet nichts anderes, als daß jede Kategorie von Gerichten je nach Belieben eine eigene Rechtsfindung vornimmt und daß man in dieser Richtung beachten muß, wer eine Regierungsvorlage unterschrieben hat, damit man feststellen kann, welche Sprachrechtsverhältnisse daraus entstehen. Derartige Zustände sind doch ganz unmöglich, denn es ergibt sich daraus eine derartige Rechtsunsicherheit, daß überhaupt niemand weiß, was er an einem letzten Rest von Rechten noch zu beanspruchen hat.
Es hat jetzt zu Pfingsten in Eger und Franzensbad der Juristentag getagt und dieser Juristentag hat eine ganze Anzahl von Leitsätzen ausgegeben, die sich auch mit dem Minderheitenrecht befassen. Der Juristentag hat auch die Frage der Gerichtsüberlastung ausführlich untersucht. Es wäre nur sehr zu begrüßen gewesen, wenn dieser Juristentag auch eindeutig gegen den Sprachenunsinn und gegen die Belastung der Gerichte und Verwaltungsbehörden durch die erzwungene Doppelsprachigkeit entsprechend Stellung genommen hätte. Die Minderheitenrechte werden überhaupt nicht gleichmäßig verteilt. Die deutsche Stadt Franzensbad im Egerlande zwingt man z. B. ihre Tafeln zweisprachig anzubringen. Demgegenüber hat man in Brünn die èechische Einsprachgebiet durchgeführt, obwohl das ausdrücklich gegen das Gesetz gewesen ist und der ungesetzliche Zustand, der mit den Bahnhofsaufschriften bereits begonnen hat, hat eine Duldung der Staatsorgane gefunden, weil man einerseits eine deutsche Stadt zwingt, zweisprachig zu sein, während man andererseits das Gesetz verletzt, um eine Stadt, die rechtlich einwandfrei Anspruch auf Doppelsprachigkeit hat, einfach gewaltsam einsprachig zu machen.
Ein anderes Beispiel für die Sprachenwillkür. In der Stadt Eger verlangt der einzige èechische Geme indevertreter, èechische Einladungen und hat es durchgesetzt, daß die Stadt Eger diesen einzigen èechischen Vertreter von Eger èechisch einladen muß. Demgegenüber können wir Beispiele anführen wo immer wir suchen. Ich will nur auf die Bedeutung des Prager Deutschtums mit Rücksicht auf die hiesigen deutschen Hochschulen hinweisen und darauf hinweisen, daß es Baxa bestimmt nicht einfallen würde, den deutschen Vertretern und dem deutschen Stadtrate deutsche Einladungen zuzuschicken.
Ich will auch ein Wort über das Spiel mit den 20% sagen. Bekanntlich hat man nach der Volkszählung darauf gesehen, wie die Verschiebungen in den einzelnen Gerichtsbezirken bezüglich der 20% vorsichgegangen sind. Es muß ausdrücklich festgestellt werden, daß diese ganze Minderheit von 20% willkürlich ist, nicht nur willkürlich ist, daß sie den internationalen Verpflichtungen, die der Staat bei dem Abschluß der Minderheitenschutzverträge eingegangen ist, widerspricht. Es haben sich nach den bisherigen statistischen Erhebungen keine Fälle ereignet, daß ein Gerichtsbezirk unter die 20% gefallen wäre und dadurch die Sprachenrechte verloren hätte. Es muß aber jetzt schon und für die Zukunft darauf hingewiesen werden, daß diese 20%, die hier eingeführt wurden, den international festgesetzten Verpflichtungen dieses Staates widersprechen und heute schon Einspruch dagegen erhoben wird, daß unsere Sprachenrechte von einem Axiom abhängig gemacht werden, das nicht nur an sich unsinnig und unbegründet ist, sondern auch die gesetzlichen Ansprüche, die wir haben, verletzt. (Posl. Krebs: Außerden werden sie nicht dort, wo wir darauf Anspruch haben, eingehalten!) Ja, sie werden nur dort eingehalten, wo es unbedingt notwendig ist. Ich habe gerade zwei Fälle Brünn und Olmütz bezeichnet, wo diese Rechte für uns nicht eingehalten werden, aber dort, wo man sie gegen uns durchführen kann, mit peinlichster Genauigkeit durchgeführt werden.
Ich möchte noch ein Wort, da es sich um eine juristische Vorlage handelt, über die Prager Gerichtszustände und Gerichtsverhältnisse an sich sagen. Der Herr Justizminister, der leider nicht hier ist, obwohl es sich um eine Vorlage seines Ressorts handelt, wird die Dinge, die ich behandle, als Prager Advokat ausgezeichnet und genau kennen. Aber die Verhältnisse scheinen auch stärker zu sein als er, weil er jedenfalls keine Veränderungen trifft. Wenn man sich z. B. die Gebäudeverhältnisse der Prager Gerichte ansieht, vor allem des Prager Landesgerichtes oder des Prager Exekutionsgerichtes, aber auch eine Anzahl von Bezirksgerichten, nicht nur in Prag, sondern auch draußen in der Provinz, so können wir eine Unzahl von Gerichten finden, die noch nach mittelalterlicher Art untergebracht sind, in elenden Räumen, vollkommen unzulänglich, behindert an ihrer tatsächlichen Arbeit. Wenn wir uns gegenüber diesen elenden Gebäuden der Gerichte die Paläste der èechischen Minderheitsschulen im deutschen Sprachgebiet ansehen oder die neuen Kasernenbauten, so muß es einem sonderbar anmuten, daß bisher der Herr Justizminister in keiner Weise trotz seiner parteipolitischen Einstellung und trotz seiner Kenntnis von seinem Beruf her, sich irgendwie bemerkbar machen, geschweige denn etwas durchsetzen konnte, diese Verhältnisse zu ändern. Die Zustände beim Prager Exekutionsgericht z. B. und wenn man dort die Leute dicht gedrängt vor den Schaltern sieht, so hat man den Eindruck, als ob es sich um die Verteilung von Brotmarken handeln würde, aber nicht als ob es sich dort tatsächlich täglich um Gerichtspflichten handeln würde. Die Exekutionsverhältnisse als solche sind aber auch praktisch wertlos geworden, weil die ganze Rechtshilfe auf dem besten Weg ist, für die Bevölkerung wertlos zu werden, weil sie von der sogenannten Rechtshilfe und Rechtspflege, die Monate, ja jahrelang nachhinkt, überhaupt nichts hat. Die Rechtsverhältnisse sind schon oft von Grund aus verändert, bis überhaupt jemand imstande ist, die sogenannte Rechtshilfe zu finden.
Ich wollte hier die Aufmerksamkeit des Herrn Justizministers auch auf eine Anzahl unbesetzter Stellen bei den Gerichten lenken. So erwähne ich z. B. die Fälle von Prachatitz und Bergreichenstein, wo die Besetzung der Gerichtsvorstandsstellen längst fällig wäre. Die Umtriebe, die in diesen Fällen dort einsetzen, sind außerordentlich interessant und wenn nicht in nächster Zeit eine entsprechende Besetzung dieser Gerichtsstellen erfolgt, wäre es wohl notwendig, deutlicher in diesen Fragen zu werden.
Ein Kapitel für sich ist das Oberste Verwaltungsgericht. Das Oberste Verwaltungsgericht war im alten Österreich eine außerordentlich hoch angesehene Institution, deren Entscheidungen nicht nur im Inland, sondern auch im Ausland mit Interesse verfolgt wurden, deren Entscheidungen von wissenschaftlicher Höhe und wissenschaftlichem Wert waren. Wenn man sich die Leidensgeschichte des Obersten Verwaltungsgerichtes von Prag vor Augen führt, wird es Ihnen genügen, wenn ich aus eigener praktischer Erfahrung sage, daß es vor Jahren einst ungefähr ein halbes Jahr gedauert hat, bis eine Beschwerde zur Verhandlung kam, daß dann daraus ein Jahr wurde, daß Jahr und Tag zurückliegt, daß es auch zwei Jahre und länger gedauert hat, bis die Beschwerden in Verhandlung gezogen wurden. Jetzt ist es so, daß die Verhandlung der Beschwerden, die heute eingebracht werden, ca. für das Jahr 1934 beim Obersten Gericht in Vormerkung genommen werden, bis sie zur Verhandlung kommen. Ich frage Sie, ob dieses Oberste Verwaltungsgericht, diese wichtige Instanz zum Schutze des Rechtes überhaupt noch einen praktischen Wert hat? Die Rechtshilfe der Bevölkerung ist schon bis zur Selbsthilfe gediehen. Man ist jetzt zu einer Selbsthilfe gezwungen und der Volksmund erklärt, daß selbst der schlechtest durchgeführte Vergleich in diesem Lande noch immer besser ist als ein gewonnener Prozeß. Es ist dies wohl vom Volksmund aus eine Kritik an der Rechtspflege, wie sie kräftiger und deutlicher nicht mehr sein kann. Es ist aber auch bezeichnend für die Zustände in diesem Lande, daß im alten Österreich der Gang zum Obersten Verwaltungsgericht eine Seltenheit war, weil man gewöhnlich in den ersten zwei Instanzen schon irgendeine Rechtsbasis zur Befriedigung der Partner gefunden hat. Heute ist der Oberste Verwaltungsgerichtshof zu einer täglichen Erscheinung herabgesunken und die Beschwerden, die dort vorhanden sind, gehen nicht nur in die Hunderte, sondern hoch in die Tausende. Sie vermehren sich wie die Ratten auf einem Schiffe.
Es ist dies ein Zeichen dafür, wie unsicher die ganze Verwaltung und Rechtspflege in diesem Staate geworden ist. Denn wäre dem nicht so, dann würden nicht in vielen Tausenden von Fällen die Parteien gezwungen sein, ihr Recht beim Obersten Verwaltungsgericht zu suchen. Ich will mich in der Kritik der Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichtes in gewissem Maße zurü ckhalten und nur das eine sagen, daß vor Jahren noch mehr wie heute und auch jetzt noch dort, wo es sich um eine unpolitische, eine rein juristische Frage handelt, immer noch Entscheidungen, ungetrübt von den Tagesereignissen und von der Einstellung der Parteien zum Vorschein kommen. Aber gerade in letzter Zeit haben sich Fälle ereignet, besonders in der Sprach enfrage, daß das Oberste Verwaltungsgericht denselben Weg gegangen ist und geht, den das Oberste Gericht von Brünn schlechten Andenkens unter Führung eines Popelka bereits gegangen ist und es besteht die Gefahr, daß das Oberste Verwaltungsgericht in Fällen, in denen es sich um entscheidende politische Fragen und um objektive Rechtsfindung in außerordentlich starkem Maße handelt, immer mehr von politischen Dingen beeinflu ßt wird, sobald es sich um politische Angelegenheiten handelt.
Es ist ein gutes Zeichen für die Entscheidungen des Obersten Verwaltungsgerichtes, daß Jahre hindurch in der Sprachenfrage eine kontinuierliche Entscheidungspraxis platzgegriffen hatte. In den letzten Jahren wurde nun darangegangen, unter dem Druck der politischen Verhältnisse diese Entscheidungen zu verändern und tatsächlich den politischen Wünschen der èechischen Parteien auch dort Rechnung zu tragen.
Der Präsident des Obersten Verwaltungsgerichtes hat wiederholt schon in der Öffentlichkeit erklärt, daß die Überlastung des Gerichtes außerordentlich ist, daß ein Weiterarbeiten einfach ein Ding der Unmöglichkeit ist, und daß die Entscheidungen entweder zur Schleuderhaftigkeit herabsinken, wenn sie in der Massenproduktion erzeugt werden, oder daß die Rücks tände einfach derart anschwellen, daß ein Weiterarbeiten nicht mehr möglich ist.
In Summa kann man sagen, daß wir nicht mehr weit von einem Stillstand auf verschiedenen Gebieten der Rechtspflege entfernt sind. Dieser Stillstand, den ich vorhin im Exekutionswesen aufgezeigt habe, ist der Öffentlichkeit schon so bekannt, daß er im praktisch en Leben systematisch ausgenützt wird. Die Rechtspflege hinkt derartig hinter den Bedürfniss en des wirklichen Lebens nach, daß man bereits weiß, daß es viel billiger ist, sich klagen zu lassen und den riesenlangen Weg des Gerichtes laufen zu lassen, als zu zahlen. Der Staat treibt unter solchen Umständen geradezu einem Bankerott in der Rechtspflege zu.
Der Herr Justizminister wird vielleicht sagen, daß nur eine Änderung möglich wäre, wenn das Ressort des Justi zministeriums bei der Aufteilung und Aufstellung im Staatsvoranschlag geändert würde in der Weise, daß dem Justi zministerium bedeutend mehr Mittel zur Verfügung gestellt würden. Das mag richtig sein, aber ich frage, warum es dann nicht geschieht? Heute ist eigentlich die entscheidende Zeit, die für die Budgetdebatte notwendig wäre. Denn jetzt wird darüber entschieden, wie der Staatsvoranschlag aufgestellt wird. Wenn er im Herbste fertig sein und im Drucke vorliegen wird, dann wird wohl wieder der übliche Theatereffekt vorsichgehen, in Wirklichkeit wird aber an den Grundzügen des Staatsvoranschlages nichts mehr geändert werden und auch nichts mehr geändert werden können. Infolgedessen wäre es jetzt dringendste Aufgabe, diese schweren Hemmnisse, die der ordentlichen Rechtspflege im Lande und im Staate entgegenstehen, bei der Aufstellung des Staatsvoranschlages genügend zu berücksichtigen, denn die Bevölkerung hat ein vitales Interesse, sie hat einen Anspruch und ein Recht darauf, daß die Rechtspflege ihren Zweck erfüllt, indem sie tatsächlich rasch und unabhängig arbeitet, indem sie präzis arbeitet, indem sie nicht von Doppelarbeiten überlastet wird, sondern der Bevölkerung den Zustand einer Rechtssicherheit gibt, damit die Bevölkerung das Recht nicht nur sucht, sondern auch findet.
Zum Schluß meiner Betrachtungen
möchte ich den Kreis schließen und zum Staatsgefängnis zurückkommen.
Das Staatsgefängnis möge seinen Zweck erfüllen und die politische
Gesinnung und die Tatsachen richtig werten, die aus politischen
Motiven entsprungen sind. Ich fürchte nur, daß es hier wie überall
sein wird: Die kleinen Lumpen sperrt man ein und hängt man womöglich
auf, die großen pflegen meistens weiterzulaufen. (Potlesk.)
Verehrte Anwesende! Genug spät tritt das gegenwärtige Regierungssystem mit der Gesetzesvorlage über das Staatsgefängnis hervor.
In der durch den Weltkrieg zertrümmerten Österreichisch-ungarischen Monarchie war die Einrichtung des Staatsgefängnisses seit vielen Jahrzehnten eine justizielle Selbstverständlichkeit. Die Leiter der potenziert demokratischen Èechoslovakischen Republik benötigten 13 Jahre, bis sie sich zur Schaffung dieser monarchistischen Selbstverständlichkeit durchdringen konnten.
Wenn aber der Bericht des Verfassungsausschusses zu der gegenwärtigen Gesetzesvorlage es als Verdienst der Republik preist, daß die Notwendigkeit eines solchen Gesetzes schon lange lebhaft empfunden wurde und es dennoch bis heute gedauert hat, bis eine angeblich so heiß empfundene Vorlage der parlamentarischen Erledigung zugeführt wird, dann ist meine Antwort darauf die, daß man über diese angeblich lang gehegten Gefühle besser geschwiegen hätte, denn eine solche Langsamkeit in der Verwirklichung von Gefühlen kann eher teilweise als politische Feigheit oder aber als Zynismus gegenüber den Erfordernissen der Humanität und den Geboten der angeblich ebenfalls sehr heiß lodernden Demokratie qualifiziert werden.
Wenn der Verfassungsausschuß anführt, daß von dem heißen Wunsche, ein Gesetz über das Staatsgefängnis zu schaffen, auch der Umstand Zeugenschaft ablegt, daß das Parlament sich schon im Jahre 1921 mit dieser Frage befaßt hat, dann hätte dieser Ausschuß, wenn er sich selbst die Achtung nicht absprechen will, ganz entschieden sich auf den Standpunkt stellen müssen, daß die bisherigen Regierungen unbedingt zu tadeln sind, daß sie das Parlament in einer Frage, deren anständige Lösung in den Komplex der Attribute eines Rechtsstaates unzweifelhaft hingehört, ein Jahrzehnt hindurch schamlos brüskiert haben.
Es ist Charakterschwäche sui generis gegenüber dem Faktum dieser ganz offensichtlichen Brüskierung des Parlamentes durch die ihm verantwortlichen Regierungen, sich damit zu begnügen, nur darauf hinzuweisen, daß die Erledigung dieser brennenden Frage einigemal sowohl im Parlamente, wie auch außerhalb gefordert wurde.
Die Leiter des Staates haben eben auch mit dieser Frage ein politisches Spiel getrieben und andererseits haben sie diejenigen, die aus reinen Motiven nicht alle Einrichtungen des Staates als ideell anerkennen wollten und mit dem Strafgesetze in Konflikt gerieten, 13 Jahre hindurch jener Wohltaten beraubt, die in wahrhaft demokratischen, wenn auch nicht immer republikanischen Staaten diejenigen, die gewisse öffentliche Fragen nicht mit alltäglichen Mitteln lösen wollen, voll genießen.
Hätte man befürchtet, daß sogenannte staatsbildende Elemente einer durch Mangel eines Gesetzes über das Staatsgefängnis bedingten Begünstigung nicht teilhaft werden könnten, hätte man sich schon beeilt, das fragliche Gesetz zu schaffen.
Man nahm aber an, daß sich gegen die bestehenden öffentlichen Einrichtungen nicht die gesättigten Èechoslovaken vergreifen werden, sondern nur die vielfach entrechteten Minderheiten, demzufolge hatte man keine Eile verspürt, den etwaigen Deliquenten politischer Kategorie aus dem Lager der Minderheiten in den Gefängnissen eine menschlichere Behandlung angedeihen zu lassen.
Man hat also aus diesen Erwägungen das durch den Verfassungsausschuß als brennende Frage bezeichnete Gesetz über das Staatsgefängnis einfach nicht verwirklicht.
Erst heute, als es schon feststeht, daß die Minderheiten als politisch schwächer angesehen werden können, und die Möglichkeit besteht, daß auch konnationale Elemente nicht an allen öffentlichen Einrichtungen Gefallen finden könnten, wird das 13 lange Jahre ersehnte Gesetz über das Staatsgefängnis verwirklicht.
Auch hier zeigt sich die Wechselwirkung zwischen Theorie und Praxis in èechoslovakischer Abart. Soll die Theorie nur oder zumeist den Minderheiten dienen, dann entsteht ein unüberbrückbarer Abgrund zwischen Theorie und Praxis. Dasselbe Phänomen können wir auch bei der Regelung der Frage der Heimatlosigkeit beobachten. An der humanen und anständigen Regelung dieser Frage sind sozusagen nur Angehörige der Minderheiten interessiert. Und obwohl internationale Verpflichtungen und große und kleine Ehrenworte, der moralische Druck des Auslandes die Entfernung auch dieses Schandfleckes aus dem öffentlichen Leben der Republik fordern, wird diese Frage seit 13 Jahren nicht geordnet, weil man einen großen Teil der Minderheiten unter der demokratischen Knute halten will.