Meine Herren! Als wir vor wenig langer Zeit
die Regierungsvorlage, Druck Nr. 1897, bezüglich einer staatlichen
Altersunterstützung der sogenannten Überalterten in
die Hand bekamen, mußten wir mit Bedauern feststellen, daß
durch diese Vorlage eines der dringendsten sozialen Probleme des
Staates eine Bagatellisierung erfuhr. Ich leite meine Rede so
ein, weil mein unmittelbarer Vorredner Koll. Zajièek
davor gewarnt hat, dieses Gesetz als Bagatelle
an dem sozialen Problem der Überalterten zu bezeichnen, und
es immerhin als eine wertvolle legislative Errungenschaft charakterisiert
hat. Die Versorgung der sogenannten Überalterten - es ist
das schon von mehreren Vorrednern festgestellt worden - ist seit
Jahren eine Notwendigkeit und besonders, seitdem das Gesetz über
die Sozialversicherung gerade diese Personen ihre Notlage ungleichmäßig
schwerer empfinden ließ, als früher. Hatte das Gesetz
über die Sozialversicherung eine Altergrenze geschaffen,
so mußten die von dieser Bestimmung über die Altersgrenze
Betroffenen seit der Wirksamkeit derselben den Mangel doppelt
schwer empfinden. Durch Jahre also schon war die Sozialversicherung
der Überalterten fällig. Auch ich stelle das namens
meiner Partei hier fest. Nunmehr hat sich aber die Regierung zu
einer Handlung entschlossen in Form der Vorlage, die heute zur
Behandlung steht, die wir, sozialpolitisch gewertet als ein Unglück
für Tausende und Abertausende von Menschen bezeichnen müssen.
Wir haben schon im sozialpolitischen Ausschuß betont und
fast unwidersprochen von der Regierungsmehrheit behauptet, daß
diese Versorgung der Überalterten geradezu eine Lästerung
des Gedankens einer Sozialversieherung dieser Gruppe von Menschen
darstellt. Das wird schon aus der von verschiedenen Rednern
angezogenen Bestimmung klar, nach der für die Person eine
jährliche Altersunterstützung von 500 Kè bemessen
wird und für eine zweite mit dieser in gemeinsamem Haushalt
lebende Person 300 Kè. Diese Bestimmung von der Versorgung
der zweiten Person ist im sozialpolitischen
Ausschuß nur unwesentlich korrigiert worden dadurch, daß
in einzelnen Fällen diese Versorgung der zweiten Person auch
auf 500 Kè erhöht werden kann. Diese Versorgungssätze
entsprechen selbstverständlich durchaus nicht im mindesten
den Bedürfnissen des Tages, wenn auch im § 4 dann die
im § 3 durch den Staat an den einzelnen Rentner zu bewilligenden
Renten doch eine Erhöhung durch Zuschüsse der Gemeinden
erfahren. Diese Zuschüsse sind sehr gering, bestenfalls 20%
der staatlichen Altersversicherung nach diesem Gesetz. Bei der
Behandlung jedes sozialen Gesetzes muß die Kritik auf den
materiellen Inhalt eingestellt werden. So haben auch wir die Kritik
gegen die §§ 3 und 4 zu richten, welche im wesentlichen
den materiellen Inhalt dieses Gesetzes darstellen. Wie die praktische
Auswirkung dieser Paragraphe für die einzelnen Überalterten
sein wird, ist hier schon zur Genüge mitgeteilt worden. Bestenfalls
wird die jährliche Unterstützung 500 K plus 20% Zuschuß,
also jährlich 600 K ausmachen. Wenn wir diesen Betrag aufteilen,
so entfallen auf den Monat 50 K, auf den einzelnen Tag 1.66
K. Man könnte auch noch andere Fälle außer diesem
besten Grenzfall anschließen, die die Unmöglichkeit
eines dauernden Bestandes dieses Gesetzes beweisen. Es ist unmöglich,
daß wir uns auf den Boden der Meinung begeben können,
daß durch dieses Gesetz das soziale Problem der Überalterten
eine Lösung erfahren hätte und wir fordern in der Stunde,
in der dieses Gesetz durch das Abgeordnetenhaus verabschiedet
werden soll, seine Korrektur im Sinne unserer Anträge. Unsere
Anträge, die in der Hauptsache eine Erhöhung der staatlichen
Unterstützung bezwecken, sind unserer Meinung nach durchaus
realisierbar, ja wir dürfen sogar behaupten, wenn der Staat
die Mittel in der Hand hätte, die er nach seiner Behauptung
zur Durchführung des Gesetzes notwendig hat, wie sie in der
Tabelle I des Motivenberichtes angeführt sind, er imstande
wäre, die Renten anders zu gestalten, ohne daß er mehr
finanzielle Mittel brauchte als ihm jetzt zur Verfügung stehen.
Die für 35 Jahre aufgeteilten staatlichen Mittel zur Überaltertenversorgung
können - ich wage das ohne Statistik zu behaupten - auf 25
Jahre sicherlich zusammengedrängt werden, wenn nicht auf
20 oder 15 Jahre, in welchem Zeitraum das soziale Problem der
Überalterten gelöst sein wird. Wenn wir aber diese Mittel
so zusammendrängen, dann ist eine wesentliche Erhöhung
der Renten möglich. (Posl. Geyer: 15 Jahre ist der technische
Scheitelpunkt!) Ja. Zu mindestens in dem Ausmaß unserer
Anträge könnte vorgegangen werden. Wenn dann der Staat
hiezu auch noch ein kleines weiteres Opfer bringt, so könnten
sich die Renten in einem erträglichen Ausmaß bewegen.
Wenn die verantwortliche Leitung des Staates, in diesem Falle
die Vertretung des Finanzministeriums, eine solche Meinung von
vornherein etwa mit dem Hinweis darauf ablehnt, daß die
staatsfinanzielle Lage das nicht gestattet, dann sei mir erlaubt
zu bemerken, daß einzig und allein aus der Novellierung
der Sozialversicherung dadurch, daß die Heilfürsorge
in der Novelle gestrichen worden ist, 100 Millionen Kè
erspart wurden, die sehr wohl zur Verbesserung der Sätze
nach diesem Gesetz verwendet werden können. Mag dem sein
wie immer und mag die verantwortliche Regierung sich im letzten
Augenblick entscheiden, wie sie wolle: wir
fühlen dennoch die Notwendigkeit, unsere Gedanken hier im
Plenum des Hauses vorzubringen, obwohl wir schon im sozialpolitischen
und im Budgetausschuß unsere Meinung darüber ausführlich
genug dargelegt haben. Bei Betrachtung dieses Gesetzes kommen
uns auch Bedenken bezüglich der administrativen Durchführung.
Ich sage es ganz offen, daß wir die Befürchtung hegen,
daß das Administrativ verfahren außerordentlich langsam
sein und damit für den Rentner geradezu unerträglich
werden wird. Nach dem Gesetz hat die Wohnortsgemeinde das Gesuch
des Rentners entgegenzunehmen, mit den Personaldaten an die Bezirsksbehörde
abzuliefern, auch die Wohläußerung der Heimatsgemeinde
des Antragstellers einzuholen. Es wird ungeheuer viel Zeit brauchen,
bis der Rentner zur Befriedigung seines Rentenanspruches kommen
wird. Wenn wir nur einigermassen einen Blick in die Tätigkeit
der Ämter und Behörden der letzten Zeit werfen, sehen
wir, daß dieselben nicht mehr in einem so lebhaften Tempo
wie einst arbeiten. Das Tempo ist nicht mehr das eines langsamen
Schimmels, sondern einer Schnecke. Überall sind durch die
Aktenrücklagen die Kanäle verstopft, durch welche die
amtliche Erledigung gehen soll. Jahrelang auch für dieses
Gesetz. Die Opposition hat sich die redlichste Mühe gegeben,
das Gesetz, wie es von der Regierung vorgelegt wurde, abzuändern.
Herr Koll. Zajièek hat
festgestellt, daß die Regierungsseite sich um eine Verbesserung
des Gesetzes bemüht hat. Aber die Opposition hat sich zumindest
ebenso bemüht, ja ich darf behaupten, daß vielleicht
die Opposition die Anregungen zur Verbesserung des Gesetzes gegeben
hat, die dann von den Regierungsparteien vorgenommen wurden. Aber
es sind die Korrekturen des sozialpolitischen Ausschusses sehr
gering gegenüber dem, was wir durch unsere Anträge durchzusetzen
versuchten. Es ist ein kleines bißchen gebessert und geändert
worden. Es ist die große Kompetenz der Behörden bei
der Durchführung des Gesetzes noch eingeengt worden, aber
auch nur sehr wenig, und etwas ist im § 3, Abs. 3 korrigiert
worden. Diese Bestimmung war sehr originell, wenn ich mich so
ausdrücken darf, in ihrer möglichen Auswirkung für
die Rentenempfänger, der § 3, Abs. 3 sah vor, daß
jede Versorgung irgendwelcher Art des Gesuchstellers an Geld oder
Naturalleistungen in die staatliche Altersversorgung einzurechnen
sei. Bei strenger Auslegung dieses Abs. 3 wäre es sehr leicht
möglich gewesen, daß jede kleine Weihnachtsgabe, die
dem Rentenempfänger zuteil geworden wäre, in die staatlichen
Unterstützung eingerechnet worden wäre. Das ist einigermaßen
durch den Zusatz korrigiert, daß nur die auf einem Rechtstitel
beruhenden, dem Gesuchssteller zukommenden Versorgungen welcher
Art immer in die staatliche Versorgung einzurechnen sind. Auch
diese nunmehr korrigierte Fassung des Abs. 3 des § 3 ist
unter Umständen noch gefährlich und äußerst
hart für die Gesuchssteller. Es kann vorkommen, daß
auch aus dieser Fassung für den Rentenempfänger Schwierigkeiten
entstehen. Ich nehme nur einen einzigen praktischen Fall. Der
Rentner ist z. B. ein Ausgedinger, der nichts anderes an besonderer
Gnadengabe als eine kleine Zuweisung aus der Ernte erhält.
Diese Zuweisung mag praktisch den geringsten materiellen Wert
haben, aber sie beruht auf einem Rechtstitel und muß nun
in die staatliche Altersunterstützung eingerechnet werden.
Ich will nur an diesem einzigen Beispiele die Möglichkeit
von Gefahren für den Gesuchsteller und den Rentenempfänger
auch auf Grund der korrigierten Bestimmung aufzeigen.
Noch schlimmer sind die Bestimmungen über
die Regreßverpflichtungen der Rentenempfänger. Ich
gehe wohl nicht fehl in der Annahme, daß aus diesen Bestimmungen
über die Regreßverpflichtungen sich ein Kapitel entwickeln
wird, das dem traurigen Kapitel der Kriegsverletzten ähneln
wird. Tausende Kriegsverletzte werden bekanntlich jetzt mit exekutiven
Maßnahmen bedroht, wenn sie auch nur einige Kronen über
die ihnen zustehende Rente im Laufe der Jahre erhalten haben.
Die Regreßbestimmungen in der staatlichen Altersversicherung
tragen in sich die Möglichkeit, daß eine Parallele
zwischen diesen Maßnahmen der staatlichen Behörden
und denen gegenüber den Kriegsverletzten entstehen wird.
Diese Bestimmungen sind so streng, daß aus einem Übergenusse
nicht nur die Altersrentner selbst regreßpflichtig werden,
sondern daß auch Personen, die mit ihnen in einem Familienverhältnis
stehen, ersatzpflichtig werden könnten. Wir haben im Ausschusse
auf die Schwierigkeiten, die aus diesen Bestimmungen kommen können,
verwiesen, wir sind aber nicht gehört worden und von der
Mehrheit sind auch diese Bestimmungen unverändert angenommen
worden.
Wir können nicht die Meinung teilen, die
vor wenigen Augenblicken Koll. Zajièek geäußert
hat, daß dieses Gesetz immerhin einen Fortschritt in der
sozialen Behandlung dieser Kategorie von Personen darstelle. Ein
Gesetz, das sich derart als eine Lästerung des Gedankens
der sozialen Versicherung ausdrückt, ist unter keinen Umständen
als Fortschritt zu bezeichnen. Eine solche Verlästerung des
sozialen Gedankens ist ein Beweis, wie stark man sich in sozialreaktionärer
Beziehung fühlt, um die Sozialpolitik abzubauen, anstatt
sie aufzubauen und wirklich heilsam zu wirken. Der staatsfinanzielle
kategorische Imperativ ist auch für die letzte Fassung des
Gesetzes maßgebend gewesen. Wir geben zu bedenken, ob der
staatsfinanzielle kategorische Imperativ bei sozialen Gesetzen
immer so schneidig angewandt werden soll, ob es nicht wertvoller
und auch vernünftiger wäre, das strenge Gebot der Sparsamkeit
bei anderen Angelegenheiten walten zu lassen als bei Angelegenheiten,
mit denen das Schicksal von Abertausenden, sozialschwachen Menschen
verbunden ist. Wir können das Gesetz nicht als annehmbar
betrachten und müssen es in dieser Form ablehnen, zumal auch
unsere Abänderungsanträge abgelehnt worden sind.
Noch eines. Auch wir müssen, wie Koll.
Zajièek es getan hat,
die verantwortungsvollen Faktoren ermahnen, den großen weiteren
sozialen Aufgaben die gegenwärtig drängen, ihre Aufmerksamkeit
zuzuwenden. Nur haben wir eine bessere Möglichkeit an die
Staatsverwaltung zu appellieren, als Koll. Zajièek.
Koll. Zajièek, der hier
diesen Appell an die staatliche Verwaltung gerichtet hat, will
in einer Rede nicht eingestanden haben, daß er selbst ein
Teil dieser Staatsverantwortung ist wodurch er mitschuldig wird.
Das darf er nicht übel vermerken, wenn wir das feststellen,
denn es ist unsere Aufgabe, die Staatsverwaltung anzurufen, in
die Dinge hineinzuleuchten. Wir müssen das feststellen, wenn
wir die sich gegenüber den drängenden sozialen Problemen
mit Aufmerksamkeit und Bereitwilligkeit einzustellen Unser Appell
ist etwas anderes als der Appell des Koll. Zajièek,
der die Öffentlichkeit nur täuschen
will über die Mängel an praktischer und faktischer Verantwortung
auf seiner Seite und auf Seite seiner Partei, jene Verantwortung,
aus der unserer bescheidenen Meinung nach die Lösung der
gegenwärtigen sozialen Fragen kommen müßte. Zu
diesen sozialen Fragen gehören auch die von Koll. Zajièek
genannten Fragen. Vor allem die Fragen
der Kriegsinvaliden und besonders der Schwerstinvaliden. Diese
Probleme löst man nicht durch irgendwelche Versicherung der
Bereitwilligkeit, sondern indem man die Möglichkeit in die
Tat umsetzt. Koll. Zajièek hat
diese oder eine ähnliche Versicherung bestem Willens gegenüber
dem Problem der Kriegsverletzten vor Jahr und Tag abgegeben, als
wir die Novelle zum Kriegsbeschädigtengesetz vorgelegt haben,
wonach wiederum eine neue Einkommensgrenze festgelegt werden sollte.
Damals war Koll. Zajièek und
seine Partei nicht imstande, eine bescheidene Erhöhung der
Einkommensgrenze oder die Angleichung der Einkommensgrenze fü
jene Kriegsverletzten, die selbständig tätig sind, durchzusetzen.
Wir können also dem Herrn Koll. Zajièek
und den anderen Herren seiner Partei und
der Regierungsparteien überhaupt gleichgültig
ob deutsche oder èechische, nicht ersparen, sie verantwortlich
zu machen für das Ausbleiben der Lösung dieser Probleme,
des Kriegsbeschädigtenproblems ebenso gut wie des nunmehr
immer dringender werdenden Problems der Existenzsicherung der
Staatsbeamten, der Lehrer, der Festbesoldeten
überhaupt. Als im Jahre 1926 das letzte Besoldungsgesetz
beschlossen wurde, waren die geistigen Schöpfer dieses Gesetzes
der Meinung, daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse
konsolidieren würden. Nur in dieser Annahme waren auch sie
der Meinung, daß das Gesetz genügen würde. Nun
ist die Entwicklung des Staates seit 1926 eine andere geworden.
Die wirtschaftlichen Verhältnisse haben sich verdichtet,
die Verhältnisse für die Staatsbeamten und Lehrer sind
aus diesem Grunde unerträglich geworden und wer nur einigermassen
sich bemüht, hinter die Kulisse trügerischen Scheins
zu schauen, die diese ständig in falscher Scham noch vor
ihre Existenz gerückt halten, dem werden Menschenschicksale
klar und deutlich, wie solche Menschenschicksale seit Jahr und
Tag in diesen Ständen nicht vorhanden gewesen waren. Wir
sind verpflichtet, hierauf aufmerksam zu machen und die Lösung
der Gehaltsfragen der Staatsangestellten und Lehrer als eine dringliche
zu bezeichnen und von der Regierung zu fordern.
Gewiß gehören hieher auch die anderen
Fragen wie Koll. Zajièek des
weiteren erwähnt hat, sie gehören mit zu jenen, hinter
denen wir mit warmen Interesse stehen, u. a. auch die Frage der
Rechts- und materiellen Verhältnisse der Ruheständler.
Wir brauchen nicht zu wiederholen, wie sehr wir die letzten Jahre
wirksam gewesen sind, um auch diese Frage einer Lösung zuzuführen.
Die bescheidene Lösung, wie sie im Altpensionistengesetz
gegeben wurde, ist keine Lösung. Die Lösung der Frage
der Ruheständler wird ein Erfolg nur in dem Augenblick sein,
wo es zur vollständigen Vereinheitlichung ihrer Bezüge
gekommen sein wird. Staatsangestellte, Lehrer, Ruheständler
und Kriegsverletzte stehen vor dem Tor des Staates, sie pochen
an dieses Staatstor, um die Leiter des Staates, die hinter diesem
Tor stehen, aufmerksam auf ihre Verpflichtungen zu machen. Wir
sind hier Dolmetsche ihrer Interessen, auch wir machen die Staatsverantwortung
auf die Dringlichkeit der Lösung der Probleme aufmerksam
und ich verweise auf die Notwendigkeit, noch in diesem Jahre dieses
Problem zu lösen.
Ich habe also zunächst Stellung genommen
zum Gesetzesantrage der Regierung betreffend die Altersunterstützung
der Überalterten. Ich wiederhole, daß wir diesem Gesetzesantrag
unser Votum versagen, weil wir die materiellen Bestimmungen als
ungenügend betrachten und weil die Behandlung dieses Gesetzes
im Fachausschusse nicht einmal die bescheidenen Anregungen auf
Verbesserung, die von uns ausgegangen sind, behandelt oder angenommen
wurden. Die übrigen sozialen Fragen, die ich in meine Rede
eingefügt habe, werden in der nächsten Zeit Gegenstand
unserer energischesten Arbeit werden. (Potlesk poslancù
nìm. strany nár. socialistické.)
Meine verehrten Damen und Herren! Sie haben
die Ausführungen des Berichterstatters gehört. Meine
Auslieferung wird für meine Ausführungen in einer Versammlung
am 11. Juni 1927 in Mähr. Ostrau beantragt, weil ich, wie
es im Berichte heißt, solche Ausdrücke gebrauchte,
daß damit die Immunität verletzt wurde. Ich habe mich
zum Worte gemeldet, nicht um mich vielleicht an die Brust zu schlagen
und zu rufen: "Pater peccavi, mea culpa, mea culpa, mea maxima
culpa!" sondern um einmal ganz kritisch den Tatbestand zu
untersuchen und klarzulegen, warum die Auslieferung beantragt
wurde. Nicht vielleicht wegen der Delikte in der Versammlung,
sondern aus der tieferen Ursache heraus, um durch ein derartiges
Vorgehen die Opposition mundtot zu machen. Es heißt
in dem Berichte, ich hätte die Taten der Legionäre in
Sibirien kritisiert und mich schmähend über èechoslovakisehe
Minister geäußert.
Wir wollen die Sache einmal kurz untersuchen.
Allerdings ist es richtig, daß ich mich auf den genauen
Wortlaut heute nicht mehr erinnern kann, weil ja seit der Tat
ein und dreiviertel Jahre verstrichen sind. Es müssen also
zweierlei Gründe vorhanden sein, daß ein so langer
Zeitraum verstreichen müßte, bevor der Immunitätsausschuß
hier Bericht erstatten konnte, einmal vielleicht der Grund, daß
der Immunitätsausschuß keine wirkliche effektive Arbeit
leistet. Das ist aber bestimmt nicht richtig, denn wir alle wissen,
daß er sehr intensiv und produktiv tätig ist, daß
er vielleicht jener Ausschuß ist, der die meiste
Arbeit im èechoslovakischen Parlament leistet, wenn wir
seine Tätigkeit mit der Tätigkeit jener Ausschüsse
vergleichen, wo produktive Gesetze für die Èechoslovakei
geschaffen werden und besonders mit dem Schulausschusse, der in
allen heiligen Zeiten einmal zusammentritt,
so müssen wir sagen, daß er in intensivster Tätigkeit
begriffen ist. Dieser Grund fällt also weg. Der Ausschußarbeit.
Die Tagesordnung zeigt uns das zur Genüge. Ich habe mir die
Mühe genommen, alle Tagesordnungen der letzten Jahre durchzusehen
und habe gefunden, daß fast keine Sitzung vorübergeht,
wo nicht eine ganze Reihe von Immunitätsangelegenheiten behandelt
wird. Manchmal sind nur ein bis zwei Punkte auf der Tagesordnung,
dafür aber zehn bis fünfzehn Immunitätsfälle.
Also muß ein zweiter Grund für die lange Verzögerung
vorhanden sein, der darin besteht, daß der Immunitätsausschuß
seine Arbeit infolge der Fülle des Materials nicht leisten
kann. Und das ist tatsächlich so. Ich glaube, daß in
keinem Parlamente so viel Immunitätsfälle anhängig
gemacht werden, wie im èechoslovakischen Parlamente. Hat
das nun seinen Grund darin, daß vielleicht hier in diesem
Staate eine schärfere Kritik geübt wird, als anderswo?
Bestimmt nicht. Ich habe die Äußerungen und Reden von
Abgeordneten in anderen Staaten verfolgt
und mußte feststellen, daß deren Kritik bestimmt nicht
weniger scharf war, als sie oftmals in der Èechoslovakei
geübt wird. Woher kommt es nunmehr, daß so viele Fälle
bei uns anhängig gemacht werden? Doch lediglich nur deshalb,
weil die Auffassung von der Stellung des Abgeordneten
und von seiner Tätigkeit hier eine andere ist als anderswo,
d. h. mit anderen Worten, daß wir uns hier in dem angeblich
demokratischen Staate noch nicht zu jener hohen Auffassung aufgeschwungen
haben, wie in anderen Staaten, wo man die Kritik des Abgeordneten
begrüßt, weil dadurch verschiedene Mißstände
und Übel beseitigt werden, bzw. der Öffentlichkeit bekanntgegeben
und dadurch abgestellt werden. Bei uns zu Lande wünscht man
keine Kritik. (Posl. dr Koberg: Einen Maulkorb möchte
man uns umhängen!) Jawohl, man hört es nicht gerne,
wenn da und dort vielleicht Kritik an den Zuständen geübt
wird. Wir dürfen darüber nicht erstaunt sein, wenn wir
nichteinmal mehr hier im Hause eine Tribüne haben, wo der
Abgeordnete frei reden darf. Wenn selbst die Reden im Parlamente
der Zensur durch den Hauspräsidenten unterzogen werden, dann
dürfen wir uns nicht wundern, wenn draußen jeder untergeordnete
Beamte, jeder Aktuar, der vielleicht nicht einmal die deutsche
Sprache vollständig beherrscht, sich bei den Versammlungen
anmaßt, über Abgeordnete zu Gericht zu sitzen und einen
Bericht vorzulegen, der oftmals den Tatsachen direkt widerspricht.
Wenn das Haus seine Würde nicht zu wahren versteht, dann
läßt sich zum Gegenstand selbst nicht viel sagen, aber
ich habe nicht die Aufgabe, die Würde dieses Hauses irgendwie
vor der Bevölkerung zu retten.
Nun zum Tatbestand selbst. Es heißt also,
daß ich an den Taten der Legionäre Kritik geübt
habe. Ich will grundsätzlich feststellen, daß ich zu
den Taten der Legionäre, die darin bestanden, daß sie
während des Kriegs fahnenflüchtig wurden, daß
sie überliefen und dgl. mehr, nichts zu sagen habe. Sie haben
den Kampf in ihrer Weise geführt, sie sind zum Feind übergegangen,
sie haben sich vielfach in die Reihen des Feindes als Legionäre
einreihen lassen und den Kampf gegen Österreich geführt,
das ist eine Sache, für die ich vollkommenes Verständnis
und sogar Bewunderung aufbringe, deshalb, weil es immerhin eine
Großtat ist, dem sicheren Tod im Falle der Gefangenennahme
entgegenzusehen, weil die Opferwilligkeit bewundernswürdig
ist, bei Einsatz der ganzen Persönlichkeit. Einer ihrer großen
Männer Sís hat in seiner Rede am 6. Mai 1921 in Paris
diese ihre Stellungnahme erklären und deutlich zum Ausdruck
bringen wollen, indem er sagte: "Was ist höher, die
Interessen des Staates oder die Interessen des Volkes? Nicht einen
Augenblick haben wir daran gezweifelt, daß wir nur Verpflichtungen
haben gegen unser Volk und nie und nimmer gegen den Staat und
daß wir diese Verpflichtungen erfüllen müssen,
ohne Rücksicht darauf, ob wir uns damit eines Verbrechens
gegen die geschriebenen österreichischen Gesetze schuldig
gemacht haben. Wenn wir diese Gesetze erfüllen, so hätten
wir die Sache unseres Volkes geschädigt und uns damit des
schwersten Verbrechens schuldig gemacht, des Verrates am eigenem
Volke." Eine hohe, ich möchte sagen richtunggebende
Auffassung, die darin gipfelt: "Die Interessen des Volkes
gehen über die Interessen des Staates". (Souhlas
poslancù nìm. strany národní.)
Eine Auffassung, die Sie restlos
vertreten haben. Sie haben den österreichischen Staat nicht
gewollt, Sie haben ihn bekämpft. Wir wollen über Ihre
Arbeitsmethoden wie sie es gemacht haben, heute nicht richten.
Ich finde es von Ihrem Standpunkt aus durchaus verständlich,
daß Sie den Kampf bis zur Vernichtung des österreichischen
Staates geführt haben. Dann aber dürfen Sie heute nicht
den Richter spielen, wenn dieselbe Auffassung auf der anderen
Seite zu finden ist. Denn müssen Sie auch Verständnis
für diese Geistesrichtung, für diese geistige Einstellung
haben. Sie sind sogar noch viel weiter gegangen. Sie haben erklärt,
daß die dem österreichischen Staat geschworenen Eide
nicht gelten, u. zw. schon zu der Zeit, als dieser Staat noch
bestand und seine volle Autorität besaß. Ich
erinnere an ein Beispiel. Der ehemalige Major der österreichisch-ungarischen
Armee, der èechoslovakische Staatsbürger Josef Rozum
hat später beim Ministerium für nationale Verteidigung
angesucht, ihm die Kriegsgefangenenjahre, u.
zw. 4, in die Pension einzurechnen. Das Ministerium wies sein
Ansuchen mit der Begründung ab, es stehe ihm auf Grund des
§ 96, Abs. 6 des Versorgungsgesetzes vom Jahre 1922 ein Anspruch
auf Einrechnung der in Gefangenschaft verbrachten Jahre nicht
zu, weil er der Bedingungen dieses Gesetzes, nämlich freiwilligen
Eintritt in die èechoslovakische Legion nicht entsprochen
hat. Der Gesuchssteller hat sich nämlich erst nach dem Umsturz
zur èechoslovakischen Armee gemeldet. Der Major brachte
eine Klage beim Obersten Verwaltungsgericht
wegen Anerkennung seiner Ansprüche ein und erklärte
darin, daß er ja gar nicht vor dem 28. Oktober 1918 die
Möglichkeit hatte, in die Legion einzutreten, weil er sich
durch seinen dem österreichischen Heere und dem österreichischen
Kaiser gecchworenen Eid gebunden fühlte. Als dieser Eid aufgelöst
wurde, sei er sofort in die Legion eingetreten. Der Vertreter
des Ministeriums für nationale Verteidigung führte demgegenüber
damals beim Obersten Verwaltungsgericht aus, daß der
seinerzeitige österreichische geschworene Eid für einen
Èechen nicht bindend war und daß es Pflicht des Beschwerdeführers
gewesen wäre, noch vor dem Umsturz in Rußland in die
Legion einzutreten. Dadurch habe er den Anspruch verwirkt, d.
h. also, die früher Österreich geleisteten
Eide waren immer als ungültig anzusehen.
Ihre Mentalität mit Ihren Ansichten über
Eide u. s. w. greift also selbst in die Zeit des Bestandes des
österreichischen Staates noch weit zurück und zeigt
mit anderen Worten, daß alle Eide, wem immer sie geschworen
worden waren, wenn sie den Interessen des Volkes zuwiderlaufen,
niemals verpflichtend sind.
Das habe ich bestimmt in meinen Ausführungen
nicht kritisiert, weil dies meinen Ansichten durchaus widerspräche.
Ich erkläre noch einmal, daß ich für diese
Taten der Legionäre volles Verständnis jederzeit aufgebracht
habe. Wenn ich eine Kritik übte, so nur in jenen Fällen,
die sich vielfach ereignet haben, als die èechoslovakischen
Legionen in Rußland und in Sibirien tätig waren und
eine Reihe von Taten vollbrachten, für
die sie wahrscheinlich, soweit sie wahr sind ich gebe zu, daß
vieles übertrieben ist - bestimmt niemals die Verantwortung
werden tragen wollen. Jeder anständige Èeche wird
von derartigen Dingen abrücken. Ich werde es mir ersparen,
auf diese Dinge hier ausführlich einzugehen. Es sind darüber
bereits Bücher geschrieben worden und es wird auch in Zukunft
noch viel darüber geschrieben werden. Ich verweise in diesem
Zusammenhange auf die Verbrechen, die in einer Interpellation
des Koll. Brunar in der ersten Wahlperiode, Druck
3808, dargestellt worden sind und die einem gewissen Miloslav
Julinek, der ehemals èechoslovakischer Legionär in
Wladivostok war, zugeschrieben werden, dem man die Erschießung
von 16 Musikern zur Last legt, ferner die Ermordung
von zwei schwedischen Staatsbürgern, die Ermordung eines
Estländers namens Korf, eines Gefreiten Geibel und einer
ganzen Reihe anderer Personen. Außenminister Beneš
hat damals auf diese Interpellation geantwortet und hat die
Verantwortung von sich geschoben. Es ist später aber noch
eine ganze Menge von Material zu diesem Gegenstande bekannt geworden
und hat den Beweis erbracht, daß die Darstellungen über
die Schandtaten dieses Menschen vollauf richtig und berechtigt
waren. Auf der Hauptversammlung der Reichsorganisation zur Heimbeförderung
von Kriegsgefangenen am 7. Mai 1922 in Leitmeritz trat ein Kriegsgefangener
namens Kuß aus Teplitz auf, der durchaus die Richtigkeit
des Tatbestandes bestätigte. Sie wissen weiter, ohne daß
ich auf Einzelnheiten eingehe, daß im Deutschen Verlag für
Politik und Geschichte in Berlin ein Buch erschienen ist, u. zw.
von der schwedischen Philanthropin und Delegierten des schwedischen
Roten Kreuzes Elen Brentström, u. zw. unter dem Titel: "Kriegsgefangene
in Rußland und Sibirien 1914 bis 1920". In diesem
Buche ist ein Kapitel enthalten: "Die Kriegsgefangenen in
Sibirien 1916 bis 1919", wo gleichfalls die Taten der èechoslovakischen
Legionäre im Einzelnen besonders scharf kritisiert werden.
Ich erinnere weiters in diesem Zusammenhang
an einen Artikel der "Rovnost" vom 5. Feber 1922, ohne
auf die Einzelheiten dieses Artikels einzugehen, wo aus einer
èechisch-amerikanischen Veröffentlichung eine Menge
schrecklicher Details erzählt werden, und zwar über
Samara, wo geradezu blutige Orgien gefeiert
wurden, und wo von Massenmetzeleien, von unerhörten Grausamkeiten,
von Raub und Plünderungen die Rede ist. Ich will das alles
heute hier nicht untersuchen, aber ich bin überzeugt, daß
Sie selbst und jeder anständige Legionär von diesen
Dingen vollständig abrücken muß. Ich will weiters
die Interpellation erwähnen, die der Abg. Dr Lodgman seinerzeit
im früheren Abschnitt der Parlamentssession unter Druck 5211
eingebracht hat und die sich auf eine Nachricht in der Osteuropäischen
Korrespondenz Nr. 11 vom 4. Mai 1925 bezog, betreffend das Schicksal
des damaligen russischen Goldschatzes, wobei die Anfrage gestellt
wurde, ob es richtig sei, daß dieser ehemalige russische
Goldschatz von 32 1/2
Mill. Dollars soviel war zum Schluß noch vorhanden - tatsächlich
von den Legionären mit nach Hause gebracht wurde und nunmehr
die Grundlage der Legionärbank bildet. Leider ist diese Interpellation
von Dr Beneš nicht beantwortet worden. Ich verweise
in diesem Zusammenhange auch auf eine Darstellung in er
russischen Zeitung "Dìlo Rossiji", die sich ausführlich
mit den verschiedenen Taten der Legionäre in Rußland
beschäftigt und behauptet vieles, was in Rußland bei
den verschiedenen Kreuz- und Querzügen im Lande durch die
Legionäre mitgenommen wurde, dann in Eisenbahnzügen
heimbefördert wurde. Das Gleiche ist ja bekanntlich auch
im Prozeß Gajda zutage gefördert worden.