Man bedenke, die deutschbürgerlichen Parteien
registrieren es als ganz besonderen Erfolg, wenn, wie es in ihrer
parlamentarischen Erklärung heißt, dem Mißbrauch
gesteuert wird, der vielfach zur Beeinflussung der Gemeindewahlen
im deutschen Gebiet getrieben wurde. Hohes Haus! Einen solchen
Mißbrauch hat es tatsächlich gegeben. Wir und alle
anderen deutschen Parteien haben gegen diesen Mißbrauch
in aller Schärfe Stellung genommen und seine Beseitigung
mit Entschiedenheit verlangt. Aber um diese Mißbräuche
zu beseitigen, durfte vor allem nicht der Raub des Soldatenwahlrechtes
zur Nationalversammlung und dann nicht der Raub des Gemeindewahlrechtes
vollzogen werden, da die bloße Wiederherstellung der ursprünglichen
Bestimmungen der Gemeindeordnung und der Verweisung des Soldatenwahlrechtes
an das Domizil vollauf genügt hätte, um diesen krassen
Mißbräuchen ein Ende zu machen. Was sich hier die Deutschbürgerlichen
als Erfolg buchen, ist also in Wirklichkeit nichts anderes als
eine Schändung der Demokratie, ist in Wirklichkeit nichts
anderes als die politische Beraubung Tausender von Soldaten, ist
in Wirklichkeit nichts anderes, als ein groß angelegtes
Täuschungsmanöver. Das haben wir den Deutschbürgerlichen
in unserer Antwort auf ihre in diesem Hause vorgetragene Regierungserklärung
in aller Offenheit von dieser Tribüne auseinandergesetzt
und das wiederholen wir in diesem Augenblick mit allem Nachdruck.
Dazu kommt noch ein ganz interessantes Moment, auf das ich von
dieser Stelle zu verweisen für meine Pflicht halte. Nach
einer Darlegung der "Sudetendeutschen Zeitung" werden
größere Garnisonen lediglich in 39 deutschen Gemeinden
unterhalten. In allen diesen Garnisonen sind alles in allem
16.914 Soldaten untergebracht, darunter 11.724 èechische,
die das èechische Element dieser 39 Gemeinden um durchschnittlich
10% verstärken. Hohes Haus, diesen 11.724 Soldaten, denen
nun das Wahlrecht genommen werden soll und die
auf das Konto der èechisch nationalen imperialistischen
Politik gehen, stehen nun nahezu 80.000 bis 100.000 Soldatenwähler
in die Nationalversammlung und in die Gemeinden gegenüber.
An diesen Ziffern läßt sich in plastischer Weise das
Ausmaß der an das Soldatenwählern
begangenen Unrechtes aufzeigen.
Wollen wir uns nun der weiteren Frage zuwenden, nämlich der
Frage, ob das beschlossene Gesetz tatsächlich mit der Verfassungsurkunde
der èechoslovakischen Republik kollidiert. Was hier zu
sagen ist, haben wir im Minoritätsbericht
in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit unter Anrufung
aller einschlägigen verfassungsrechtlichen und sonstigen
Gesetzesbestimmungen dargelegt und wollen uns, da der Minoritätsbericht
gedruckt und an die Mitglieder des Hauses verteilt wurde, nicht
überflüssigerweise in Wiederholungen ergehen. Summarisch
wollen wir nur feststellen, daß diese Frage in größter
Breite und Ausführlichkeit vom Berichterstatter von dieser
Stelle aus erörtert wurde, daß durch die angefochtene
gesetzgeberische Maßnahme der in der Verfassung festgestellte
Grundsatz der Volkssouveränität, der das Volk zur Quelle
aller Macht erklärt, aber auch die verfassungsmäßig
festgestellten Prinzipien der Gleichberechtigung aller Staatsbürger
und der Allgemeinheit des Wahlrechtes gröblich verletzt wurden.
Nur durch Beschluß von 180 Abgeordneten, nicht aber von
138 Abgeordneten hätte das beschlossene Wahlgesetz verfassungsmäßige
Geltung erhalten können. So erscheint es nach § 1 der
Verfassungsurkunde null und nichtig. Der Grundsatz der Allgemeinheit
des Wahlrechtes bildet einen integrierenden Bestandteil der Verfassung,
er ist in zwingender, bindender Form in Artikel 8, 13, 14 der
Verfassungsurkunde ein für allemal festgelegt und findet
eine Ergänzung in der Bestimmung des § 109 der Verfassungsurkunde,
welcher alle Vorrechte des Berufes ausschließt und daher
die Aufhebung des Soldatenwahlrechtes unmöglich macht. Die
Behauptung des Herrn Berichterstatters, wornach sich aus den Bestimmungen
der §§ 8, 9 und 14 der Verfassungsurkunde, welche für
das Wahlrecht außerdem noch das Erfordernis der übrigen
Bedingungen des Wahlrechtes normieren, die rechtliche Begründung
für die Beseitigung des Soldatenwahlrechtes ableiten lasse,
ist durchaus unzutreffend, denn wenn wirklich § 9 der Verfassungsurkunde
und die angezogenen Bestimmungen so zu interpretieren wären,
wie es der Berichterstatter hier versucht hat, würde der
§ 9 der Verfassungsurkunde in sich widersprechend sein und
würde dem Parlamente einen Freibrief geben für jede
beliebige Verschlechterung des Wahlrechtes. Das muß uns
zugegeben werden, daß die Schöpfer der Verfassung das
gewiß nicht gewollt haben, denn sonst hätten sie einfach
in die Verfassung eine Bestimmung aufnehmen können, daß
über die Wahlberechtigung zum Parlamente und in die Gemeinden
die zu erlassenden Wahlgesetze entscheiden.
Im übrigen hat aber, das sage ich in Polemik
mit dem Berichterstatter, einer der juristischen Mitberater an
der Verfassung, der für die Auffassung der Mehrheit eintritt,
Dozent Dr Joachim, in einer Pressepolemik ausdrücklich zugegeben,
daß es möglich sei, daß in den Beratungen, die
die Verfassung zum Gegenstande hatten, an untergeordnete, mehr
formale Bedingungen, wie etwa die Eintragung in die Wählerliste,
gedacht wurde, aber es wurde, sagt Dozent Joachim, das im Gesetz
nicht ausgesprochen und maßgebend ist nur der Text des Gesetzes.
In ähnlicher Weise, wenn auch mit anderen Schlußfolgerungen,
äußert sich das christlichsoziale Zentralorgan, die
"Deutsche Presse"; sie sagt wörtlich: "Man
könnte einwenden, daß die Abschaffung des Soldatenwahlrechtes
zwar nicht dem Wortlaut, aber dem Geiste der Verfassung widerspricht.
Darauf ist zu erwidern, daß jedes Gesetz, soll es nicht,
wie Goethe sagt, Unsinn werden, mit dem Geist der Gegenwart ausgefüllt
werden muß. Selbst ein an und für sich gutes Gesetz
muß sonst im Wandel der Zeiten zur Qual werden und aus Recht
Unrecht machen, wenn nicht alle anderen Zweige der Gesetzgebung
mit modernem Zeitgeist ausgefüllt sind." Darauf ist
einfach zu antworten, daß, wenn diese Theorie der
deutschen christlichsozialen Presse richtig sein sollte, es vor
allem darauf ankommt, was man unter dem Zeitgeist zu verstehen
hat, und ob die wirtschaftliche und politische Reaktion, in der
sich der deutsch-èechische Bürgerblock unter wackerer
Mithilfe der deutschen Christlichsozialen gerade in der letzten
Zeit so ausgiebig ausgewirkt hat, dem Geiste der Gegenwart, dem
Geiste der Zeit, dem Willen der großen Mehrheit der arbeitenden
Bevölkerung entspricht. Unsere Partei ist der Meinung, daß
die deutsche christlichsoziale Partei, wenn schon nicht in einem
früheren Zeitpunkte, so doch sicher in den kommenden Wahlen
einen Kursus über den Zeitgeist bekommen wird, vor dem ihr
Hören und Sehen vergehen wird. Ich möchte schon sagen,
um an die Worte der deutschen christlichsozialen. Presse
anzuknüpfen, daß, wenn wir die Wahl haben zwischen
dem Texte des Gesetzes und dem Geiste des Gesetzes in der christlichsozialen
Interpretation, wir uns alle, ohne uns eine Sekunde lang zu besinnen,
sofort auf einen Verzicht auf den christlichsozialen Geist einigen
und uns für den Text des Gesetzes entscheiden würden,
das nota bene in diesem Falle mit geradezu kristallklarer, jeden
Zweifel ausschließenden Deutlichkeit die Rechtslage in dem
Sinne entscheidet, daß durch den Beschluß der Nationalversammlung,
der die Aufhebung des Soldatenwahlrechtes herbeiführen soll,
eine Fundamentalbestimmung der Verfassungsurkunde aufs Gröblichste
verletzt wurde.
Die Verletzung der Verfassung fällt aber
nicht bloß dem Parlament zur Last, das sich über die
verfassungsmäßigen Bedenken einfach souverän hinweggesetzt
hat, sondern vor allem der Regierung, die die fragliche Vorlag
ohne Bedachtnahme auf verfassungsmäßige Bedenken als
einfaches Gesetz im Parlament eingebracht und sich für deren
Verabschiedung in der beantragten gesetzlichen Form eingesetzt
hat. Darin gipfelt in diesem Falle die volle Verantwortlichkeit
der èechoslowakischen Regierung, die nach § 79 der
Verfassungsurkunde auf Ehre und Gewissen gelobt hat, die Verfassung
zu beobachten und die nun ihre Verpflichtung
in diesem Falle in so gröblicher Weise vernachlässigt
hat. Mit dieser Meinung stehen wir nicht etwa allein da. Die "Lidové
Noviny", die in der Frage der Verfassungsmäßigkeit
der Wahlrechtsvorlage einen von uns abweichenden Standpunkt vertreten
haben und daher ein ganz unbefangener Zeuge der Mehrheit gegenüber
sind, haben dieser Tage geschrieben: "Wenn wir die Auslegung
der Verfassung, wie sie die Mehrheit gibt, annehmen, müßten
wir anerkennen, daß die Verfassung keine Garantie darüber
enthält, daß das Wahlrecht eines schönen Tages
nicht allen Arbeitern oder allen blonden Menschen weggenommen
wird." "Die Verfassung" - sagen die "Lidové
Noviny" "kann nicht die Dehnbarkeit eines Gummi haben,
sonst wäre es vollkommen überflüssig, eine Verfassung
zu haben."
Gerade das ist es, was wir vor allem befürchten,
gerade das ist es, was wir kommen sehen: Mit dem Essen kommt der
Appetit. Mit der Wahlrechtsnovelle vom Jahre 1924, in welcher
die herrschenden Parteien in geradezu großzügiger Weise
und in der sinnreichsten Weise durch Stimmenraub, durch Mandatsraub
ihr Wahlglück korrigiert haben, hat die Attacke gegen das
allgemeine Wahlrecht begonnen, in der Beseitigung des Soldatenwahlrechtes
hat sie ihre Fortführung, in der Hinaufsetzung des Wahlalters
und der Seßhaftigkeitsfrist sowie in der Einführung
des Ernennungsrechtes für die Landtage und für die Bezirke
ihre Steigerung gefunden und soll durch den frontalen Angriff
gegen das Gemeindewahlrecht ihre Krönung erhalten. Schon
haben uns unzweideutige Erklärungen der Herren Abg. Dr Kramáø,
Mlèoch, Tichi und
einer ganzen Reihe von anderen Abgeordneten gesagt, daß
die Verwirklichung dieses reaktionären Planes durchaus in
greifbare Nähe gerückt ist und die "Národní
Listy" haben schon in der jüngsten Zeit zu verstehen
gegeben, daß das Wahlrecht in die Gemeinden noch vor den
Gemeindewahlen novelliert werden wird. All das läßt
das Allerschlimmste befürchten und so ist alles, was auf
dem Gebiete der Verschlechterung des Gemeindewahlrechtes als fertige
Tatsache vor uns liegt, aber auch alles, was sich diesbezüglich
hinter den Kulissen vorbereitet, ein Signal an die Arbeiterschaft,
ein Signal an die ganze freiheitliche Öffentlichkeit, sich
zum schärfsten Widerstand gegen das Wahlrechtsattentat der
Regierung zu rüsten, für diesen Kampf alle verfügbaren
Kräfte zu mobilisieren und dadurch die reaktionären
Absichten der Regierung und der Mehrheitsparteien zunichte zu
machen.
Doch der Raub des Soldatenwahlrechtes allein
ist es nicht, der uns zur Einbringung des Mißtrauenantrages
führte. Seit nahezu einem Jahre hält der èechisch-deutsche
Bürgerblock das wirtschaftliche und politische Leben in diesem
Lande unter seinem Druck. Die Wirtschaftskrise mit allen ihren
Begleiterscheinungen, vor allem die mit jedem Tag
zunehmende Arbeitslosigkeit, die sich stetig steigernde Lebensmittelteuerung,
der systematische Lohnabbau, der die Lebenshaltung der arbeitenden
Menschen auf das denkbar niedrigste Maß herabdrückt
und schier bis zur Unerträglichkeit gesteigert hat, das alles
genügt der international organisierten, kapitalistischen
Klasse dieses Landes noch nicht. Denn sie hat trotz des schwersten
Notstandes der arbeitenden Bevölkerung eine ganze Reihe verhängnisvollster
Maßnahmen getroffen, so die Wiedereinführung der Lebensmittelzölle,
so die Erhöhung der indirekten Abgaben, wie z. B. des Zucker-
und Spirituspreises, durch die der Lebensstand der arbeitenden
Bevölkerung weiter verschlechtert, durch die der arbeitenden
Bevölkerung der Brotkorb weiter höher gehängt wird.
Sie haben durch die Bewilligung von Milliarden Rüstungskrediten
ungeheuere Lasten der Bevölkerung aufgebürdet und durch
die unmittelbar vor der Verabschiedung stehende Steuervorlage
neue, große und unerträgliche Opfer der Bevölkerung
aufgewälzt, in einem Augenblick, in dem die Steuerlasten
der besitzenden Klassen in einer so enormen Weise abgebürdet
werden sollen. Doch auch damit will sich die kapitalistische Bourgeoisie
nicht bescheiden. Schon hat sie durch eine Reihe gesetzlicher
Maßnahmen die sozialpolitische Gesetzgebung des Landes verschlechtert.
Nun geht sie daran, an den Fundamenten der sozialen und sozialpolitischen
Gesetzgebung zu rütteln, den Achtstundentag zu beseitigen,
die Sozialversicherung zu verschlechtern, die Arbeitslosenfürsorge
weiter zu verderben, das Betriebsrätegesetz unschädlich
zu machen und die Arbeiterschaft und das Land in der sozialpolitischen
Gesetzgebung auf Jahrzehnte zurückzuwerfen.
Eine ähnliche Rückentwicklung bereitet der deutsch-èechische
Bürgerblock auch auf politischem Gebiete
vor: durch den Ausbau des militaristischen Systems, durch die
Verlängerung der Militärdienstzeit soll die Herrschaft
der kapitalistischen Bourgeoisie fest verankert, durch Aufrichtung
einer auf unbeschränkte Herrschaft der Bürokratie gestellten
Verwaltungsreform, durch Verschärfung der Polizeigewalt des
Staates soll das bürgerliche Regime gesichert, durch Verschlechterung,
Verfälschung und allmähliche Beseitigung des Wahlrechtes
der Einfluß der Arbeiter auf die Verwaltung des Staates
beseitigt werden. Dabei hat sich in den Verhältnissen
der Minderheiten dieses Landes auch während des neuen èechisch-deutschen
Regimes nichts geändert.
Weit und breit ist von der schon so oft verheißenen
Athmosphäre nichts greifbares zu spüren. All die krassen
Mißstände, die die heutigen deutschen Minister noch
während der letzten Mißtrauensdebatte in so beredter
Weise geschildert haben, bestehen auch heute noch ungeschwächt
fort. Hören Sie! "Die Verfassung des Staates, die Geschäftsordnung
des Parlamentes, die Bodenreform, der Beamtenabbau, die Schulpolitik,
die Sprachenverordnungen sind", wie der Herr Justizminister
in seiner Rede vom 16. März 1926 von dieser Stelle aus erklärte
"auch heute noch weithin ragende Denkmale einer zielbewußten
Unterdrückungspolitik, deren abstoßender Charakter",
wie der Herr Justizminister meinte, "noch dadurch gesteigert
wird, daß sich die Gesetze in ihrer Ausdrucksweise und Begründung
einer Verlogenheit schuldig machen, die eines Macchiavelli würdig
ist." Nach wie vor besteht bis auf den letzten Buchstaben
unverändert die Verfassung, von der der Herr Justizminister
vor Jahresfrist von dieser Stelle aus sagte, daß sie nahezu
die Hälfte der Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse
macht. Nach wie vor haben wir die parlamentarische Geschäftsordnung,
die, wie der Herr Minister wörtlich sagte, nicht bloß
jede Opposition wehrlos macht, sondern durch ein erkünsteltes
Sprachengesetz jede sachliche Arbeit unmöglich macht. Nach
wie vor dient die Bodenreform, wie der Herr Minister wörtlich
sagte, nicht sozialpolitischen Zwecken, sondern beschränkt
sich im wesentlichen darauf, den Bodenbesitz wieder als Großgrundbesitz
in den Händen gewisser Bevorzugter zu konzentrieren und sie
ist und bleibt - um mit dem Herrn Justizminister zu sprechen -
sozialer Volksbetrug und nationale Vergewaltigung. Nach wie vor
bleibt, wie der Herr Justizminister betonte - ich zitierte wieder
wörtlich - der Betrug und das Verbrechen des Beamtenabbaues
bestehen, der darin besteht, daß deutsche Beamte wahllos
und wehrlos auf die Gasse geworfen werden. Nach wie vor - wie
der Herr Justizminister vor Jahresfrist von dieser Stelle aus
sagte nimmt die Schulpolitik den einen, was sie brauchen und gibt
den anderen, was sie nicht brauchen, dient nicht der Kultur, sondern
dem Volksverrat und der Unkultur. Nach wie vor bleibt,
und zwar völlig unverändert die Sprachenverordnung,
die der Herr Justizminister jetzt selbst handhabt und die ihn
in seiner damaligen Rede zu dem Ausruf veranlaßte: "Einer
Regierung, die für uns nur die èechoslovakische Sprachenverordnung
kennt, bringen wir" - sagte der Herr Justizminister - "das
schärfste Mißtrauen entgegen." (Výkøiky
nìm. soc. demokratických poslancù.) Nach
wie vor besteht das Regierungssystem fort, trotz der Aufnahme
der deutschen und slovakischen Parteien in die Regierung dasselbe
System, das der Herr Justizminister vor Jahresfrist Oligarchie,
Autokratie und Tyrannie nannte. Und nach wie vor sehen wir vor
uns die Regierung Švehla, welcher auch damals die
Herren Minister Šrámek, Nosek, Hodža,
Srdínko angehörten und die der Herr Justizminister
damals als die Regierung des bedingten Ehrenwortes apostrophierte.
Hohes Haus! So lautete die Anklage vor Jahresfrist
von derselben Stelle herab, von der wir heute unsere Anklage erheben.
So klang es damals aus dem Munde eines Mannes, der heute - also
sagen wir - ein Machtfaktor in diesem Staate geworden ist und
eigentlich die Möglichkeit haben müßte, oder sich
hätte sichern müssen, irgend etwas an den von ihm gegeißelten
Verhältnissen und Mißständen zu ändern. (Výkøiky
na levici.) Doch in Wirklichkeit ist alles
beim alten geblieben, und manches, ja vieles um ein beträchtliches
schlechter geworden. Vor allem hat sich an der Stellung der deutschen
Bevölkerung im Staate nichts, rein gar nichts geändert.
Dagegen hat sich die wirtschaftliche Lage der deutschen
Arbeiterklasse und naturgemäß die der Arbeiterschaft
aller Nationen dank der Wirksamkeit des èechisch-deutschen
Blockes und unter der Mitwirkung des deutschen Bestandteiles dieses
Blockes sehr rapid verschlechtert und sie ist
durch die in Verhandlung stehenden und angekündigten neuen
gesetzgeberischen Maßnahmen im Gegenteil noch schwerer bedroht
als vordem.
Bei dieser Sachelage, hohes Haus, bedurfte
es wahrlich nicht erst des Raubes des Soldatenwahlrechtes, um
unsere parlamentarische Aktion zu rechtfertigen, unseren Mißtrauensantrag
zu begründen, der Regierung durch ihn das Stigma der Volksfeindlichkeit
aufzudrücken. Diesem System gegenüber, das für
die Bevölkerung nur aalglatte, von Volksfreundlichkeit triefende
Worte und Verheißungen hat, das aber politisch und wirtschaftlich
reaktionär bis auf die Knochen ist, diesem System gegenüber
gibt es nichts als schärfstes Mißtrauen. Diesem System
gilt unser erbitterter, unser schonungslosester Kampf. Ihm gegenüber
gilt das Wort, das Ferdinand Lassalle in seinem Vortrag über
Verfassungswesen dem Absolutismus zudachte und das lautete: Kein
Kompromiß, sondern den Daumen aufs Auge und die Knie auf
die Brust. (Potlesk nìm. soc. dcmokratických
poslancù.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die deutsche
Nationalpartei sich entschlossen hat, den Antrag, der Regierung
das Mißtrauen auszusprechen mit zu unterschreiben, so geschah
dies nicht etwa wegen jener Tatsachen allein, die im Antrag angeführt
sind, sondern weil sie die sich bietende Gelegenheit nicht vorübergehen
lassen wollte, wieder einmal öffentlich festzustellen, daß
die gesamten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse
in diesem Staate für den völkisch bewußten
Teil der deutschen Bevölkerung nachgerade unerträglich
sind, und daß selbst eine èechisch-deutsche Regierung
nicht die Macht aufbringt, oder nicht einmal den guten Willen
hat, daran irgend etwas zu bessern.
Regierungen kommen und gehen, aber immer gleich
bleibt das System in diesem Staate.
Als der Herr Ministerpräsident im vorigen
Jahr das drittemal sein Amt antrat, da hat er in seiner Erklärung
mit vielen Worten so gut wie nichts gesagt und noch weniger versprochen,
und nur das eine konnten wir aus seinen Worten entnehmen, daß
eben alles beim alten bleiben sollte.
Daher darf es uns eigentlich gar nicht Wunder nehmen, wenn das
èechische Regierungssystem sich weiter auswirkt und intensiver
als bisher seinem Ziele zustrebt, aus einem Staate, den verschiedene
Völker bewohnen, einen Staat zu machen, den bloß ein
einziges Volk bewohnen soll, dem man allergnädigst
und bis auf Widerruf höchstens erlaubt, sich im Verkehre
verschiedener Sprachen zu bedienen.
Die absichtliche Verkennung des Minderheitsproblemes
und die Sucht es so zu lösen, wie es sich der national orientierte
Teil des èechischen Volkes selbstherrlich einmal vorgenommen
hat, vorgenommen hat in der festen und unabänderlichen Absicht,
jeden noch so sachlichen Einwand der anderen Minderheiten unberücksichtigt
zu lassen, jede Gegenwehr im Keime und selbst mit Gewalt
zu unterdrücken, gleichzeitig aber die eigene politische
Überlegenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit die anderen
fühlen zu lassen, ihnen täglich Nadelstiche zu versetzen,
selbst auf die Gefahr hin, sich international lächerlich
zu machen - das ist der Leitgedanke des èechischen,
innerpolitischen Regierungssystem seit der Gründung dieses
Staates.
Die Ministerbank und die hinter ihr stehenden
Regierungsparteien verkörpern die Macht in diesem Staate,
die deutschen Oppositionsparteien verteidigen das Recht der Minderheiten,
insbesondere das der deutschen Minderheit. Zahlenmäßig
ist das Gewicht der Regierung ein erdrückendes, betrachtet
aber vom allgemeinen sittlichen Standpunkte aus, ist das Verhältnis
ein umgekehrtes.
Macht und Recht stehen in diesem Staate, wie
leider so oft in der Geschichte, einander gegenüber.
Es wäre falsch in diesem Zusammenhange
den Begriff des Rechtes etwa so zu verstehen, wie es der praktische
Jurist sich zurecht gelegt hat, der immer nur an ein gesatztes
Recht denkt, und allgemein sittliche Erwägungen nur dort
anstellt, wo er Lücken des gesatzten Rechtes auszufüllen,
Undeutlichkeiten zu berichtigen hat.
Hier muß der umgekehrte Weg beschritten
werden. Wir müssen um uns und in uns blicken.
Da lernen wir aus der Geschichte, daß
seit einer geraumen Zeit alle Völker dieses Erdteiles darnach
strebten, eine eigene staatliche Organisation zu erhalten und
sich zumindestens innerhalb ihres zusammenhängenden Siedlungsgebietes
zu einigen. Der große Gedanke des Nationalismus, wie ihn
das vorige Jahrhundert erlebte, und der in den Freiheitskrieg
en gegen Napoleon, der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches,
der Einigung Italiens, der Entstehung Ungarns in Folge des Kriegs
vom Jahre 1866, der Unabhängigkeit der Balkanstaaten von
der alten Türkei seinen sinnfälligen Ausdruck
fand, gehört ebenso hierher, wie der Gedanke des èechischen
Staatsrechtes, der Zweiteilung Böhmens und das sozialdemokratische
Programm des Brünner Parteitages vom Jahre 1899, welches
einen Bundesstaat der österreichischen
Nationen an Stelle des österreichischen Einheitsstaates vorschlug.
Selbst der Weltkrieg hat an diesen Ideen nichts
zu ändern vermocht, sie sind nunmehr in dem Begriffe des
Selbstbestimmungsrechtes der Völker enthalten, sie bilden
den Grundgedanken der berühmten und berüchtigten 14
Punkte Wilsons, sie sind in Estland, den dortigen Verhältnissen
entsprechend, Verfassungs- und Verwaltungsrecht geworden, die
Slowaken haben sie in ihrem Pittsburger Vertrag niedergelegt,
während sie von den Nutznießern des Versailler Friedens
mit allen Machtmitteln der Staatsgewalt bekämpft und unterdrückt
werden, was aber schließlich nichts anderes als eine mittelbare
Anerkennung ihrer sittlichen Berechtigung und Stärke bedeutet.