Pátek 29. dubna 1927

Man bedenke, die deutschbürgerlichen Parteien registrieren es als ganz besonderen Erfolg, wenn, wie es in ihrer parlamentarischen Erklärung heißt, dem Mißbrauch gesteuert wird, der vielfach zur Beeinflussung der Gemeindewahlen im deutschen Gebiet getrieben wurde. Hohes Haus! Einen solchen Mißbrauch hat es tatsächlich gegeben. Wir und alle anderen deutschen Parteien haben gegen diesen Mißbrauch in aller Schärfe Stellung genommen und seine Beseitigung mit Entschiedenheit verlangt. Aber um diese Mißbräuche zu beseitigen, durfte vor allem nicht der Raub des Soldatenwahlrechtes zur Nationalversammlung und dann nicht der Raub des Gemeindewahlrechtes vollzogen werden, da die bloße Wiederherstellung der ursprünglichen Bestimmungen der Gemeindeordnung und der Verweisung des Soldatenwahlrechtes an das Domizil vollauf genügt hätte, um diesen krassen Mißbräuchen ein Ende zu machen. Was sich hier die Deutschbürgerlichen als Erfolg buchen, ist also in Wirklichkeit nichts anderes als eine Schändung der Demokratie, ist in Wirklichkeit nichts anderes als die politische Beraubung Tausender von Soldaten, ist in Wirklichkeit nichts anderes, als ein groß angelegtes Täuschungsmanöver. Das haben wir den Deutschbürgerlichen in unserer Antwort auf ihre in diesem Hause vorgetragene Regierungserklärung in aller Offenheit von dieser Tribüne auseinandergesetzt und das wiederholen wir in diesem Augenblick mit allem Nachdruck. Dazu kommt noch ein ganz interessantes Moment, auf das ich von dieser Stelle zu verweisen für meine Pflicht halte. Nach einer Darlegung der "Sudetendeutschen Zeitung" werden größere Garnisonen lediglich in 39 deutschen Gemeinden unterhalten. In allen diesen Garnisonen sind alles in allem 16.914 Soldaten untergebracht, darunter 11.724 èechische, die das èechische Element dieser 39 Gemeinden um durchschnittlich 10% verstärken. Hohes Haus, diesen 11.724 Soldaten, denen nun das Wahlrecht genommen werden soll und die auf das Konto der èechisch nationalen imperialistischen Politik gehen, stehen nun nahezu 80.000 bis 100.000 Soldatenwähler in die Nationalversammlung und in die Gemeinden gegenüber. An diesen Ziffern läßt sich in plastischer Weise das Ausmaß der an das Soldatenwählern begangenen Unrechtes aufzeigen.

Wollen wir uns nun der weiteren Frage zuwenden, nämlich der Frage, ob das beschlossene Gesetz tatsächlich mit der Verfassungsurkunde der èechoslovakischen Republik kollidiert. Was hier zu sagen ist, haben wir im Minoritätsbericht in aller Deutlichkeit und Ausführlichkeit unter Anrufung aller einschlägigen verfassungsrechtlichen und sonstigen Gesetzesbestimmungen dargelegt und wollen uns, da der Minoritätsbericht gedruckt und an die Mitglieder des Hauses verteilt wurde, nicht überflüssigerweise in Wiederholungen ergehen. Summarisch wollen wir nur feststellen, daß diese Frage in größter Breite und Ausführlichkeit vom Berichterstatter von dieser Stelle aus erörtert wurde, daß durch die angefochtene gesetzgeberische Maßnahme der in der Verfassung festgestellte Grundsatz der Volkssouveränität, der das Volk zur Quelle aller Macht erklärt, aber auch die verfassungsmäßig festgestellten Prinzipien der Gleichberechtigung aller Staatsbürger und der Allgemeinheit des Wahlrechtes gröblich verletzt wurden. Nur durch Beschluß von 180 Abgeordneten, nicht aber von 138 Abgeordneten hätte das beschlossene Wahlgesetz verfassungsmäßige Geltung erhalten können. So erscheint es nach § 1 der Verfassungsurkunde null und nichtig. Der Grundsatz der Allgemeinheit des Wahlrechtes bildet einen integrierenden Bestandteil der Verfassung, er ist in zwingender, bindender Form in Artikel 8, 13, 14 der Verfassungsurkunde ein für allemal festgelegt und findet eine Ergänzung in der Bestimmung des § 109 der Verfassungsurkunde, welcher alle Vorrechte des Berufes ausschließt und daher die Aufhebung des Soldatenwahlrechtes unmöglich macht. Die Behauptung des Herrn Berichterstatters, wornach sich aus den Bestimmungen der §§ 8, 9 und 14 der Verfassungsurkunde, welche für das Wahlrecht außerdem noch das Erfordernis der übrigen Bedingungen des Wahlrechtes normieren, die rechtliche Begründung für die Beseitigung des Soldatenwahlrechtes ableiten lasse, ist durchaus unzutreffend, denn wenn wirklich § 9 der Verfassungsurkunde und die angezogenen Bestimmungen so zu interpretieren wären, wie es der Berichterstatter hier versucht hat, würde der § 9 der Verfassungsurkunde in sich widersprechend sein und würde dem Parlamente einen Freibrief geben für jede beliebige Verschlechterung des Wahlrechtes. Das muß uns zugegeben werden, daß die Schöpfer der Verfassung das gewiß nicht gewollt haben, denn sonst hätten sie einfach in die Verfassung eine Bestimmung aufnehmen können, daß über die Wahlberechtigung zum Parlamente und in die Gemeinden die zu erlassenden Wahlgesetze entscheiden.

Im übrigen hat aber, das sage ich in Polemik mit dem Berichterstatter, einer der juristischen Mitberater an der Verfassung, der für die Auffassung der Mehrheit eintritt, Dozent Dr Joachim, in einer Pressepolemik ausdrücklich zugegeben, daß es möglich sei, daß in den Beratungen, die die Verfassung zum Gegenstande hatten, an untergeordnete, mehr formale Bedingungen, wie etwa die Eintragung in die Wählerliste, gedacht wurde, aber es wurde, sagt Dozent Joachim, das im Gesetz nicht ausgesprochen und maßgebend ist nur der Text des Gesetzes. In ähnlicher Weise, wenn auch mit anderen Schlußfolgerungen, äußert sich das christlichsoziale Zentralorgan, die "Deutsche Presse"; sie sagt wörtlich: "Man könnte einwenden, daß die Abschaffung des Soldatenwahlrechtes zwar nicht dem Wortlaut, aber dem Geiste der Verfassung widerspricht. Darauf ist zu erwidern, daß jedes Gesetz, soll es nicht, wie Goethe sagt, Unsinn werden, mit dem Geist der Gegenwart ausgefüllt werden muß. Selbst ein an und für sich gutes Gesetz muß sonst im Wandel der Zeiten zur Qual werden und aus Recht Unrecht machen, wenn nicht alle anderen Zweige der Gesetzgebung mit modernem Zeitgeist ausgefüllt sind." Darauf ist einfach zu antworten, daß, wenn diese Theorie der deutschen christlichsozialen Presse richtig sein sollte, es vor allem darauf ankommt, was man unter dem Zeitgeist zu verstehen hat, und ob die wirtschaftliche und politische Reaktion, in der sich der deutsch-èechische Bürgerblock unter wackerer Mithilfe der deutschen Christlichsozialen gerade in der letzten Zeit so ausgiebig ausgewirkt hat, dem Geiste der Gegenwart, dem Geiste der Zeit, dem Willen der großen Mehrheit der arbeitenden Bevölkerung entspricht. Unsere Partei ist der Meinung, daß die deutsche christlichsoziale Partei, wenn schon nicht in einem früheren Zeitpunkte, so doch sicher in den kommenden Wahlen einen Kursus über den Zeitgeist bekommen wird, vor dem ihr Hören und Sehen vergehen wird. Ich möchte schon sagen, um an die Worte der deutschen christlichsozialen. Presse anzuknüpfen, daß, wenn wir die Wahl haben zwischen dem Texte des Gesetzes und dem Geiste des Gesetzes in der christlichsozialen Interpretation, wir uns alle, ohne uns eine Sekunde lang zu besinnen, sofort auf einen Verzicht auf den christlichsozialen Geist einigen und uns für den Text des Gesetzes entscheiden würden, das nota bene in diesem Falle mit geradezu kristallklarer, jeden Zweifel ausschließenden Deutlichkeit die Rechtslage in dem Sinne entscheidet, daß durch den Beschluß der Nationalversammlung, der die Aufhebung des Soldatenwahlrechtes herbeiführen soll, eine Fundamentalbestimmung der Verfassungsurkunde aufs Gröblichste verletzt wurde.

Die Verletzung der Verfassung fällt aber nicht bloß dem Parlament zur Last, das sich über die verfassungsmäßigen Bedenken einfach souverän hinweggesetzt hat, sondern vor allem der Regierung, die die fragliche Vorlag ohne Bedachtnahme auf verfassungsmäßige Bedenken als einfaches Gesetz im Parlament eingebracht und sich für deren Verabschiedung in der beantragten gesetzlichen Form eingesetzt hat. Darin gipfelt in diesem Falle die volle Verantwortlichkeit der èechoslowakischen Regierung, die nach § 79 der Verfassungsurkunde auf Ehre und Gewissen gelobt hat, die Verfassung zu beobachten und die nun ihre Verpflichtung in diesem Falle in so gröblicher Weise vernachlässigt hat. Mit dieser Meinung stehen wir nicht etwa allein da. Die "Lidové Noviny", die in der Frage der Verfassungsmäßigkeit der Wahlrechtsvorlage einen von uns abweichenden Standpunkt vertreten haben und daher ein ganz unbefangener Zeuge der Mehrheit gegenüber sind, haben dieser Tage geschrieben: "Wenn wir die Auslegung der Verfassung, wie sie die Mehrheit gibt, annehmen, müßten wir anerkennen, daß die Verfassung keine Garantie darüber enthält, daß das Wahlrecht eines schönen Tages nicht allen Arbeitern oder allen blonden Menschen weggenommen wird." "Die Verfassung" - sagen die "Lidové Noviny" "kann nicht die Dehnbarkeit eines Gummi haben, sonst wäre es vollkommen überflüssig, eine Verfassung zu haben."

Gerade das ist es, was wir vor allem befürchten, gerade das ist es, was wir kommen sehen: Mit dem Essen kommt der Appetit. Mit der Wahlrechtsnovelle vom Jahre 1924, in welcher die herrschenden Parteien in geradezu großzügiger Weise und in der sinnreichsten Weise durch Stimmenraub, durch Mandatsraub ihr Wahlglück korrigiert haben, hat die Attacke gegen das allgemeine Wahlrecht begonnen, in der Beseitigung des Soldatenwahlrechtes hat sie ihre Fortführung, in der Hinaufsetzung des Wahlalters und der Seßhaftigkeitsfrist sowie in der Einführung des Ernennungsrechtes für die Landtage und für die Bezirke ihre Steigerung gefunden und soll durch den frontalen Angriff gegen das Gemeindewahlrecht ihre Krönung erhalten. Schon haben uns unzweideutige Erklärungen der Herren Abg. Dr Kramáø, Mlèoch, Tichi und einer ganzen Reihe von anderen Abgeordneten gesagt, daß die Verwirklichung dieses reaktionären Planes durchaus in greifbare Nähe gerückt ist und die "Národní Listy" haben schon in der jüngsten Zeit zu verstehen gegeben, daß das Wahlrecht in die Gemeinden noch vor den Gemeindewahlen novelliert werden wird. All das läßt das Allerschlimmste befürchten und so ist alles, was auf dem Gebiete der Verschlechterung des Gemeindewahlrechtes als fertige Tatsache vor uns liegt, aber auch alles, was sich diesbezüglich hinter den Kulissen vorbereitet, ein Signal an die Arbeiterschaft, ein Signal an die ganze freiheitliche Öffentlichkeit, sich zum schärfsten Widerstand gegen das Wahlrechtsattentat der Regierung zu rüsten, für diesen Kampf alle verfügbaren Kräfte zu mobilisieren und dadurch die reaktionären Absichten der Regierung und der Mehrheitsparteien zunichte zu machen.

Doch der Raub des Soldatenwahlrechtes allein ist es nicht, der uns zur Einbringung des Mißtrauenantrages führte. Seit nahezu einem Jahre hält der èechisch-deutsche Bürgerblock das wirtschaftliche und politische Leben in diesem Lande unter seinem Druck. Die Wirtschaftskrise mit allen ihren Begleiterscheinungen, vor allem die mit jedem Tag zunehmende Arbeitslosigkeit, die sich stetig steigernde Lebensmittelteuerung, der systematische Lohnabbau, der die Lebenshaltung der arbeitenden Menschen auf das denkbar niedrigste Maß herabdrückt und schier bis zur Unerträglichkeit gesteigert hat, das alles genügt der international organisierten, kapitalistischen Klasse dieses Landes noch nicht. Denn sie hat trotz des schwersten Notstandes der arbeitenden Bevölkerung eine ganze Reihe verhängnisvollster Maßnahmen getroffen, so die Wiedereinführung der Lebensmittelzölle, so die Erhöhung der indirekten Abgaben, wie z. B. des Zucker- und Spirituspreises, durch die der Lebensstand der arbeitenden Bevölkerung weiter verschlechtert, durch die der arbeitenden Bevölkerung der Brotkorb weiter höher gehängt wird. Sie haben durch die Bewilligung von Milliarden Rüstungskrediten ungeheuere Lasten der Bevölkerung aufgebürdet und durch die unmittelbar vor der Verabschiedung stehende Steuervorlage neue, große und unerträgliche Opfer der Bevölkerung aufgewälzt, in einem Augenblick, in dem die Steuerlasten der besitzenden Klassen in einer so enormen Weise abgebürdet werden sollen. Doch auch damit will sich die kapitalistische Bourgeoisie nicht bescheiden. Schon hat sie durch eine Reihe gesetzlicher Maßnahmen die sozialpolitische Gesetzgebung des Landes verschlechtert. Nun geht sie daran, an den Fundamenten der sozialen und sozialpolitischen Gesetzgebung zu rütteln, den Achtstundentag zu beseitigen, die Sozialversicherung zu verschlechtern, die Arbeitslosenfürsorge weiter zu verderben, das Betriebsrätegesetz unschädlich zu machen und die Arbeiterschaft und das Land in der sozialpolitischen Gesetzgebung auf Jahrzehnte zurückzuwerfen.

Eine ähnliche Rückentwicklung bereitet der deutsch-èechische Bürgerblock auch auf politischem Gebiete vor: durch den Ausbau des militaristischen Systems, durch die Verlängerung der Militärdienstzeit soll die Herrschaft der kapitalistischen Bourgeoisie fest verankert, durch Aufrichtung einer auf unbeschränkte Herrschaft der Bürokratie gestellten Verwaltungsreform, durch Verschärfung der Polizeigewalt des Staates soll das bürgerliche Regime gesichert, durch Verschlechterung, Verfälschung und allmähliche Beseitigung des Wahlrechtes der Einfluß der Arbeiter auf die Verwaltung des Staates beseitigt werden. Dabei hat sich in den Verhältnissen der Minderheiten dieses Landes auch während des neuen èechisch-deutschen Regimes nichts geändert.

Weit und breit ist von der schon so oft verheißenen Athmosphäre nichts greifbares zu spüren. All die krassen Mißstände, die die heutigen deutschen Minister noch während der letzten Mißtrauensdebatte in so beredter Weise geschildert haben, bestehen auch heute noch ungeschwächt fort. Hören Sie! "Die Verfassung des Staates, die Geschäftsordnung des Parlamentes, die Bodenreform, der Beamtenabbau, die Schulpolitik, die Sprachenverordnungen sind", wie der Herr Justizminister in seiner Rede vom 16. März 1926 von dieser Stelle aus erklärte "auch heute noch weithin ragende Denkmale einer zielbewußten Unterdrückungspolitik, deren abstoßender Charakter", wie der Herr Justizminister meinte, "noch dadurch gesteigert wird, daß sich die Gesetze in ihrer Ausdrucksweise und Begründung einer Verlogenheit schuldig machen, die eines Macchiavelli würdig ist." Nach wie vor besteht bis auf den letzten Buchstaben unverändert die Verfassung, von der der Herr Justizminister vor Jahresfrist von dieser Stelle aus sagte, daß sie nahezu die Hälfte der Bevölkerung zu Bürgern zweiter Klasse macht. Nach wie vor haben wir die parlamentarische Geschäftsordnung, die, wie der Herr Minister wörtlich sagte, nicht bloß jede Opposition wehrlos macht, sondern durch ein erkünsteltes Sprachengesetz jede sachliche Arbeit unmöglich macht. Nach wie vor dient die Bodenreform, wie der Herr Minister wörtlich sagte, nicht sozialpolitischen Zwecken, sondern beschränkt sich im wesentlichen darauf, den Bodenbesitz wieder als Großgrundbesitz in den Händen gewisser Bevorzugter zu konzentrieren und sie ist und bleibt - um mit dem Herrn Justizminister zu sprechen - sozialer Volksbetrug und nationale Vergewaltigung. Nach wie vor bleibt, wie der Herr Justizminister betonte - ich zitierte wieder wörtlich - der Betrug und das Verbrechen des Beamtenabbaues bestehen, der darin besteht, daß deutsche Beamte wahllos und wehrlos auf die Gasse geworfen werden. Nach wie vor - wie der Herr Justizminister vor Jahresfrist von dieser Stelle aus sagte nimmt die Schulpolitik den einen, was sie brauchen und gibt den anderen, was sie nicht brauchen, dient nicht der Kultur, sondern dem Volksverrat und der Unkultur. Nach wie vor bleibt, und zwar völlig unverändert die Sprachenverordnung, die der Herr Justizminister jetzt selbst handhabt und die ihn in seiner damaligen Rede zu dem Ausruf veranlaßte: "Einer Regierung, die für uns nur die èechoslovakische Sprachenverordnung kennt, bringen wir" - sagte der Herr Justizminister - "das schärfste Mißtrauen entgegen." (Výkøiky nìm. soc. demokratických poslancù.) Nach wie vor besteht das Regierungssystem fort, trotz der Aufnahme der deutschen und slovakischen Parteien in die Regierung dasselbe System, das der Herr Justizminister vor Jahresfrist Oligarchie, Autokratie und Tyrannie nannte. Und nach wie vor sehen wir vor uns die Regierung Švehla, welcher auch damals die Herren Minister Šrámek, Nosek, Hodža, Srdínko angehörten und die der Herr Justizminister damals als die Regierung des bedingten Ehrenwortes apostrophierte.

Hohes Haus! So lautete die Anklage vor Jahresfrist von derselben Stelle herab, von der wir heute unsere Anklage erheben. So klang es damals aus dem Munde eines Mannes, der heute - also sagen wir - ein Machtfaktor in diesem Staate geworden ist und eigentlich die Möglichkeit haben müßte, oder sich hätte sichern müssen, irgend etwas an den von ihm gegeißelten Verhältnissen und Mißständen zu ändern. (Výkøiky na levici.) Doch in Wirklichkeit ist alles beim alten geblieben, und manches, ja vieles um ein beträchtliches schlechter geworden. Vor allem hat sich an der Stellung der deutschen Bevölkerung im Staate nichts, rein gar nichts geändert. Dagegen hat sich die wirtschaftliche Lage der deutschen Arbeiterklasse und naturgemäß die der Arbeiterschaft aller Nationen dank der Wirksamkeit des èechisch-deutschen Blockes und unter der Mitwirkung des deutschen Bestandteiles dieses Blockes sehr rapid verschlechtert und sie ist durch die in Verhandlung stehenden und angekündigten neuen gesetzgeberischen Maßnahmen im Gegenteil noch schwerer bedroht als vordem.

Bei dieser Sachelage, hohes Haus, bedurfte es wahrlich nicht erst des Raubes des Soldatenwahlrechtes, um unsere parlamentarische Aktion zu rechtfertigen, unseren Mißtrauensantrag zu begründen, der Regierung durch ihn das Stigma der Volksfeindlichkeit aufzudrücken. Diesem System gegenüber, das für die Bevölkerung nur aalglatte, von Volksfreundlichkeit triefende Worte und Verheißungen hat, das aber politisch und wirtschaftlich reaktionär bis auf die Knochen ist, diesem System gegenüber gibt es nichts als schärfstes Mißtrauen. Diesem System gilt unser erbitterter, unser schonungslosester Kampf. Ihm gegenüber gilt das Wort, das Ferdinand Lassalle in seinem Vortrag über Verfassungswesen dem Absolutismus zudachte und das lautete: Kein Kompromiß, sondern den Daumen aufs Auge und die Knie auf die Brust. (Potlesk nìm. soc. dcmokratických poslancù.)

4. Øeè posl. dr Keibla (viz str. 732 tìsnopisecké zprávy):

Sehr geehrte Damen und Herren! Wenn die deutsche Nationalpartei sich entschlossen hat, den Antrag, der Regierung das Mißtrauen auszusprechen mit zu unterschreiben, so geschah dies nicht etwa wegen jener Tatsachen allein, die im Antrag angeführt sind, sondern weil sie die sich bietende Gelegenheit nicht vorübergehen lassen wollte, wieder einmal öffentlich festzustellen, daß die gesamten politischen und wirtschaftlichen Verhältnisse in diesem Staate für den völkisch bewußten Teil der deutschen Bevölkerung nachgerade unerträglich sind, und daß selbst eine èechisch-deutsche Regierung nicht die Macht aufbringt, oder nicht einmal den guten Willen hat, daran irgend etwas zu bessern.

Regierungen kommen und gehen, aber immer gleich bleibt das System in diesem Staate.

Als der Herr Ministerpräsident im vorigen Jahr das drittemal sein Amt antrat, da hat er in seiner Erklärung mit vielen Worten so gut wie nichts gesagt und noch weniger versprochen, und nur das eine konnten wir aus seinen Worten entnehmen, daß eben alles beim alten bleiben sollte.

Daher darf es uns eigentlich gar nicht Wunder nehmen, wenn das èechische Regierungssystem sich weiter auswirkt und intensiver als bisher seinem Ziele zustrebt, aus einem Staate, den verschiedene Völker bewohnen, einen Staat zu machen, den bloß ein einziges Volk bewohnen soll, dem man allergnädigst und bis auf Widerruf höchstens erlaubt, sich im Verkehre verschiedener Sprachen zu bedienen.

Die absichtliche Verkennung des Minderheitsproblemes und die Sucht es so zu lösen, wie es sich der national orientierte Teil des èechischen Volkes selbstherrlich einmal vorgenommen hat, vorgenommen hat in der festen und unabänderlichen Absicht, jeden noch so sachlichen Einwand der anderen Minderheiten unberücksichtigt zu lassen, jede Gegenwehr im Keime und selbst mit Gewalt zu unterdrücken, gleichzeitig aber die eigene politische Überlegenheit bei jeder sich bietenden Gelegenheit die anderen fühlen zu lassen, ihnen täglich Nadelstiche zu versetzen, selbst auf die Gefahr hin, sich international lächerlich zu machen - das ist der Leitgedanke des èechischen, innerpolitischen Regierungssystem seit der Gründung dieses Staates.

Die Ministerbank und die hinter ihr stehenden Regierungsparteien verkörpern die Macht in diesem Staate, die deutschen Oppositionsparteien verteidigen das Recht der Minderheiten, insbesondere das der deutschen Minderheit. Zahlenmäßig ist das Gewicht der Regierung ein erdrückendes, betrachtet aber vom allgemeinen sittlichen Standpunkte aus, ist das Verhältnis ein umgekehrtes.

Macht und Recht stehen in diesem Staate, wie leider so oft in der Geschichte, einander gegenüber.

Es wäre falsch in diesem Zusammenhange den Begriff des Rechtes etwa so zu verstehen, wie es der praktische Jurist sich zurecht gelegt hat, der immer nur an ein gesatztes Recht denkt, und allgemein sittliche Erwägungen nur dort anstellt, wo er Lücken des gesatzten Rechtes auszufüllen, Undeutlichkeiten zu berichtigen hat.

Hier muß der umgekehrte Weg beschritten werden. Wir müssen um uns und in uns blicken.

Da lernen wir aus der Geschichte, daß seit einer geraumen Zeit alle Völker dieses Erdteiles darnach strebten, eine eigene staatliche Organisation zu erhalten und sich zumindestens innerhalb ihres zusammenhängenden Siedlungsgebietes zu einigen. Der große Gedanke des Nationalismus, wie ihn das vorige Jahrhundert erlebte, und der in den Freiheitskrieg en gegen Napoleon, der Wiederaufrichtung des deutschen Reiches, der Einigung Italiens, der Entstehung Ungarns in Folge des Kriegs vom Jahre 1866, der Unabhängigkeit der Balkanstaaten von der alten Türkei seinen sinnfälligen Ausdruck fand, gehört ebenso hierher, wie der Gedanke des èechischen Staatsrechtes, der Zweiteilung Böhmens und das sozialdemokratische Programm des Brünner Parteitages vom Jahre 1899, welches einen Bundesstaat der österreichischen Nationen an Stelle des österreichischen Einheitsstaates vorschlug.

Selbst der Weltkrieg hat an diesen Ideen nichts zu ändern vermocht, sie sind nunmehr in dem Begriffe des Selbstbestimmungsrechtes der Völker enthalten, sie bilden den Grundgedanken der berühmten und berüchtigten 14 Punkte Wilsons, sie sind in Estland, den dortigen Verhältnissen entsprechend, Verfassungs- und Verwaltungsrecht geworden, die Slowaken haben sie in ihrem Pittsburger Vertrag niedergelegt, während sie von den Nutznießern des Versailler Friedens mit allen Machtmitteln der Staatsgewalt bekämpft und unterdrückt werden, was aber schließlich nichts anderes als eine mittelbare Anerkennung ihrer sittlichen Berechtigung und Stärke bedeutet.

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