Hohes Haus! Die ganze politische Öffentlichkeit
dieses Landes hat dem heutigen Tage mit großer Spannung
entgegengesehen. Der Justizminister Herr Dr Viškovský
hat in der letzten Sitzung des Abgeordnetenhauses namens der
Regierung die Erklärung abgegeben, daß sie einer Debatte
über die letzten Ereignisse nicht nur nicht ausweiche, sondern
sie sogar wünsche, um der ganz en Welt die Nacktheit dieses
Querulantentums aufzeigen zu können, das zu den Demonstrationen
in Karlsbad und anderwärts geführt hat. Nun, die heutige
Sitzung hat tatsächlich die erhoffte Sensation gebracht.
Sie sollte nach den Wünschen der Koalitionskreise eine Tragödie
des deutschen Volkes werden, sie ist aber eine Schmierenkomödie
der Koalition geworden. (Sehr richtig!) Es ist dies, hohes
Haus, nicht unsere Schuld, sondern ist einzig und allein auf das
Konto der Regierung zu setzen, deren Erklärungen sich auf
einem Niveau bewegten, das die heutigen Parlamentsverhandlungen
zu einem der traurigsten Kapitel des èechoslovakischen
Parlamentarismus gemacht hat. Es fehlt mir, hohes Haus, naturgemäß
die Möglichkeit, zu den Einzelheiten der Darlegungen des
Herrn Ministers Stellung zu nehmen, da sie zum allergrößten
Teil im Lärm der beiderseitigen Auseinandersetzungen
verloren gegangen sind. Doch man braucht dies nicht zu beklagen,
da sie wenigstens in ihrem ersten Teile eine ernste Beachtung
nicht verdienen. Nur so viel möchte ich zu den Erklärungen
des Herrn Innenministers sagen: es ist betrüblich genug,
daß die gesamte deutsche Bevölkerung, die von der letzten
Regierungsmaßnahme auf das Härteste betroffen wurde,
von so wichtiger Stelle nicht etwa für die wirklichen Enunziationen
deutscher Politiker, sondern für die diversen Polizei- und
Spitzelberichte verantwortlich gemacht wird. Nun, überlassen
wir diese Berichte getrost den diversen èechoslovakischen
Auslandsund Propagandastellen zur entsprechenden Verwertung und
erweisen wir ihnen die ihnen gebührende Achtung, indem wir
an ihnen einfach achtlos vorübergehen.
Und nun zum juristischen Teil der Darlegungen
des Herrn Innenministers. Der juristische Teil der Darlegungen
des Herrn Innenministers geht an den grundlegenden Fragen einfach
vorbei. Er übersieht geflissentlich die formale Seite der
Frage, die unserer Auffassung nach auch die entscheidende moralische
Seite des Problems ist und setzt sich unter dem Vorwand, als würde
von deutscher Seite bis zum heutigen Tage auch nicht der leiseste
Versuch einer seriösen und sachlichen Nachprüfung und
Stellungnahme unternommen worden sein, mit den entscheidenden
Einwendungen der deutschen Parteien überhaupt nicht auseinander.
Im übrigen wird auf die Einzelheiten der Darlegungen des
Herrn Innenministers gelegentlich in der Erörterung noch
eingegangen werden. Vorher soll mit aller Entschiedenheit gegen
die Behandlung Einspruch erhoben werden, die einzelne Minister,
soweit sie in dieser Debatte hier und im Senat zum Worte gekommen
sind, der Opposition zuteil werden ließen. Schon Herrn Dr
Viškovský hat es beliebt, unseren Kampf als
Querulantentum zu bezeichnen. In Österreich, das müssen
mir die Kollegen bestätigen, die sich im österreichischen
Parlament betätigt haben, wäre ein Minister, der es
gewagt hätte, die Opposition in solcher Weise zu apostrophieren,
schon im nächsten Augenblicke durch einen Sturm der Entrüstung
des ganzen Hauses von der politischen und parlamentarischen Bildfläche
weggefegt worden. Das weiß Herr Justizminister Dr Viškovský
sehr wohl, der selbst dem österreichischen Parlamente
angehörte und der an der èechischen Politik
recht aktiven Anteil genommen hat. In diesem Hause konnte er in
einer Angelegenheit, die gar nicht in seinen Wirkungskreis ressortiert,
unter dem stürmischen Beifall der èechischen Mehrheit
die ganze deutsche parlamentarische Delegation
von der Parlamentstribüne herab des Querulantentums, der
sog. klagesüchtigen Rechthaberei bezichtigen u d die ganze
deutsche parlamentarische Delegation in schnodderiger Weise von
oben herab behandeln, wie dies selbst der feudalste unter den
seinerzeitigen österreichischen Ministern sich nicht gestattet
hätte. Hohes Haus! Daß sich nicht sofort die ganze
Opposition gegen ihn erhoben hat, um sich mit ihm an Ort und Stelle
auseinanderzusetzen, ist vor allem dem Umstand zu danken, daß
seine Worte im Disput einfach untergegangen sind und erst
nachträglich an die Oberfläche kamen. Wie rasch und
wie gründlich hat man auf èechischer Seite umgelernt!
Lassen Sie mich an eine Episode aus den èechischen Kämpfen
im österreichischen Staat erinnern. Am 21. Jänner
1909 hatte der damalige Leiter des Handelsministeriums Mataja
einen Posterlaß herausgegeben, den Herr Kollege Dr Kramáø
zum Gegenstand einer Interpellation machte.
Der Erlaß hat damals angeordnet, daß für den
Bereich der Prager Postdirektion in der Korrespondenz mit
jenen Bediensteten, die sich der Fachprüfung nicht in deutscher
Sprache unterzogen hatten, ausnahmsweise auch der Gebrauch der
èechischen Sprache zuläßig ist. Ich stelle fest:
für zuläßig und nicht für verboten wurde
das Èechische erklärt. Dieses
eine, dieses kleine, dieses einzige Wort "zulässig"
sollte dann dem österreichischen Parlament zum Verhängnis
werden. Die èechischen Abgeordneten erblickten in diesem
einen kleinen Wörtchen eine schwere Beleidigung und forderten
von der Regierung sofortigen Widerruf.
Vergebens versuchte Dr Mataja, es war in der Sitzung vom 4. Feber
1909, d e èechischen Abgeordneten zu beschwichtigen, indem
er den gerügten Ausdruck als nicht beleidigend erklärte.
Er wurde mit Beschimpfungen wie: "Wissentlicher Betrug, Gaunerei!
belegt. Die èechischen Abgeordneten gingen gegen die Ministerbank
los und begannen auf sie zuzudrängen. In der nächsten
Sitzung am 5. Feber 1909 setzte man dann auf èechischer
Seite mit der technischen Obstruktion ein. Die Abgeordneten Lisý,
Kalina und Fresl erschionen mit Pfeifen, Trommeln,
Tschinellen, Blechtassen und Brettern, schlugen damit auf ihre
Sitzbänke und machten einen derart ohrenbetäubenden
Krawall, daß nichts anderes übrig blieb, als die Session
des Parlamentes für geschlossen zu erklären und
das Abgeordnetenhaus heimzuschicken. Das kleine Wörtschen
"zuläßig", um dessen Willen sogar der Minister
Mataja sich entschuldigte, genügte den èechischen
Abgeordneten - sagen wir es uns in aller Gemütlichkeit -,
um das Parlament zu sprengen, es für Monate
lahmzulegen, jede produktive, jede wirtschaftliche und soziale
Arbeit im Parlament unmöglich zu machen.
Und nun sei mir eine Frage gestattet: Was bedeutet
"zuläßig", gemessen an dem Pendrekargument
des Herrn Ministers Støíbrný,
gemessen an dem Vorwurf des Querulantentums seitens des Herrn
Dr Viškovský? Ich frage, würden uns diese
Ausführungen nicht berechtigen, aus ihnen die schärfsten
Konsequenzen der Mehrheit gegenüber zu ziehen, wie es damals
im österreichischen Parlament oder bei vertauschten
Rollen hier die Èechen an unserer Stelle gemacht haben?
Und nun fragen wir uns, was Herrn Viškovský
zu seinen Anklagen berechtigte.
Der neue Finanzplan der Regierung, der eine weitere Verteuerung
der Lebenshaltung der Bevölkerung im Gefolge hatte, hat in
den Kreisen der arbeitenden Bevölkerung eine heftige Erregung
hervorgerufen. Die Durchführungsverordnung zum Sprachengesetz
hat bei der nichtèechischen Bevölkerung des Landes,
auch bei einem großen Teile der Arbeiterschaft einen Sturm
der Entrüstung hervorgerufen und
mächtige Protestbewegungen ausgelöst und nun kommt der
Herr Justizminister her und möchte diese Protestbewegung
mit der schnodderigen Bemerkung des Querulantentums abtun. Welch
ein kurzes Gedächtnis für die Geschichte des èechischen
Volkes, für seine jahrzehntelangen
Kämpfe, für die ganze èechische Politik verrät
diese Äußerung des Herrn Justizministers! In seinem
Buche "Aus bewegten Zeiten" sagt Josef Penížek
wörtlich: "Die innere Amtssprache ist und bleibt die
erste, die aktuellste und die dringendste Aufgabe
jeder aktiven böhmischen Politik. Sie ist ein point d'honneur,
in Bezug auf welchen es keinen Unterschied beim böhmischen
Volke überhaupt gibt".
Hohes Haus! Der ganze Kampf des èechischen Volkes in den
letzten Jahrzehnten war nahezu ausschließlich
von Kämpfen um die. Amtssprache und um die Schule ausgefüllt.
Er galt fast ausschließlich den Sprachenverordnungen, mit
denen die diversen österreichischen Regierungen die Forderungen
der einzelnen Nationalitäten, die sie immer und immer wieder
gegeneinander ausspielten, befriedigen zu können glaubten.
Dieser Kampf drehte sich im Wesen genau um dieselben Fragen, die
auch heute noch die Gemüter bewegen und jetzt wieder die
Leidenschaften so heftig aufgepeitscht haben. Und nun kommt der
Herr Justizminister Viškovský daher und schleudert
diesem Kampfe seinen Bannfluch zu und stigmatisiert ihn als Querulantentum.
Man braucht nur die Reden des Herrn Justizministers aus früherer
Zeit zur Hand zu nehmen. Sie sind durchwegs jenen Fragen gewidmet,
die der Herr Minister Dr Viškovský heute wegwerfend
als Querulantentum bezeichnet. In seinen Reden setzt er sich mit
der sprachlichen Wirtschaft in Böhmen, Mähren und Schlesien
auseinander, er spricht von der Anarchie in diesen Verhältnissen
und beklagt sich, daß die Minoritäten verfolgt
werden; er beschwert sich über die wirtschaftliche und politische
Zurücksetzung der Èechen, über die Ungerechtigkeit
bei den Richterernennungen, er redet von der nationalen deutschen
Hydra, die durch nichts zu sättigen ist; er erzählt,
daß man jeden Augenblick besorgt sein müsse, ob nicht
morgen schon ein neuer Verfassungsbruch oder ein Angriff auf die
sprachlichen und verfassungsmäßigen Rechte des èechischen
Volkes kommen wird. Er schließt, nachdem er festgestellt
hatte, daß es sich für die
Èechen im österreichischen Staate nicht ausgezahlt
hat und nicht auszahle loyal zu sein, mit den Worten: "Österreich
kann und wird nur auf der Gleichberechtigung aller Völker
basieren oder Österreich existiert nicht mehr. Tertium non
datur".
Und nun, hohes Haus, müssen wir uns von
Dr Viškovský, wo wir nichts als die Gleichberechtigung
für alle Völker dieses Staates in Anspruch nehmen, den
Vorwurf des Querulantentums gefallen lassen. (Posl.
dr Kramáø: A co nemluvíte o brnìnské
radnici?) Ich werde auch auf die radnice
zu sprechen kommen. Ich möchte aber Herrn Dr Kramáø
sofort mitteilen, daß die deutsche
sozialdemokratische Partei in der radnice immer nur in der Opposition
gewesen ist, daß die deutsche sozialdemokratische Partei
in der Brünner radnice niemals für ein Budget gestimmt
hat, daß sie sich dort gefallen lassen mußte, daß
wegen dieser Haltung eines schönen Tages der deutsche Sozialdemokrat
Dr Czech aus dem Stadtrat hinausgeworfen wurde,
so wie er von den Èechen auf dem èechischen Boden
aus den Vizepräsidium hinausgeworfen worden
ist. Und ich möchte dem Herrn Dr Kramáø
bei dieser Gelegenheit - er ist ja darüber sehr gut unterrichtet
- sagen, daß dieselben Èechen, die sich in der Brünner
radnice so sehr bedrückt gefühlt haben, im Jahre 1906
einen Ausgleich mit der deutschen Bourgeoisie
abgeschlossen haben, mit dem sie sich das Wahlrecht gegen die
Arbeiterschaft gesichert haben. Herr Dr Kramáø,
der ein ausgezeichneter Kenner der nationalen Verhältnisse
ist, muß das wissen. (Posl. dr Kramáø:
Kdy?) Das war im Jahre 1906, bei
dem berühmten mährischen Pakt, bei welchem der Arbeiterschaft,
der deutschen und der èechischen, das Wahlrecht genommen
wurde, indem sie auf eine badenische Kurie gesetzt worden ist,
die zu neun Zehnteln in Anspruch genommen wurde
vom Bürgertum. Das mit der radnice ist also nicht so, wie
sich Dr Kramáø
das ausgedacht hat. (Posl. Buøíval: Pokud
se pamatuji, dìlali jste nìmeckonacionální
politiku na nìmecké radnici!) Ich
kann auf nichts anderes verweisen, als auf diese Tatsache: Hohes
Haus! Deutsche Sozialdemokraten hat es in der nìmecká
radnice von 53 eine zeitlang 5, dann 4 gegeben. Diese sind in
der Opposition gestanden und wir laden Sie ein, sich die Protokolle
der nìmecká radnice kommen zu lassen, um nachzusehen,
in welchen Bahnen sich die Politik der deutschen
sozialdemokratischen Partei dort bewegt hat.
Und nun zurück zu unserem Gegenstande.
In seiner Rede vom 4. März dieses Jahres rief uns der Herr
Justizminister zu: Wenn Sie die Sprachenverordnungen durch Demonstrationen
auf der Gasse austragen, anstatt den Weg der Diskussion zu wählen,
dann müssen Sie damit rechnen, daß gegen ein solches
Vorgehen sich wieder die Macht und die Waffe der Polizei stellt.
Also der Herr Minister meint, wir hätten nicht demonstrieren,
sondern diskutieren sollen. Ich aber frage: Warum hat die Regierung,
da sie sich kunstgerecht verpflichtet hatte, mit uns vorher den
Entwurf der Sprachenverordnungen im Verfassungsausschusse zu diskutieren,
diese Diskussion verhindert, indem sie die Sprachenverordnung
erlassen hat und das Wort, das sie gegeben hatte - ich werde darauf
noch zu sprechen kommen - gebrochen hat? Das ist es ja, was wir
der Regierung zum Vorwurf machen. Das ist es ja, was unseren tiefen
Groll, unseren tiefen Zorn entfesselt und was uns auf die
Straße getrieben hat. Die Feststellung möchte ich den
Èechen nicht ersparen. Das was sich die Èechen im
alten Österreich erobert hatten und was nachgerade das wichtigste
Requisit der èechischen Politik geworden ist, das hat der
Herr Justizminister Dr. Viškovský
nun naserümpfend als Querulantentum abgetan. Der Herr
Justizminister meint, wir hätten statt zu demonstrieren diskutieren
sollen. Ich frage, wo und mit wem? Als wir seinerzeit die Einberufung
des Parlamentes verlangten, um zu diskutieren, wurde uns
dies von èechischer Seite verweigert. Als wir im Interpellationswege
die dringliche Erörterung der Sprachenverordnung verlangten,
um sie zu diskutieren, ist uns dies von der Mehrheit des Hauses,
von der Partei des Herrn Justizministers Viškovský,
ja vom Herrn Minister selbst in seiner Funktion als Abgeordneten
dieses Hauses abgelehnt worden. Als wir, um über die Karlsbader
Vorfälle zu diskutieren, die Einladung an den Herrn Innenminister
ergehen ließen, er möge sofort dem Hause Bericht erstatten,
wurde dieser Antrag von der Koalition, obwohl der Herr Innenminister
bei der Abstimmung im Saale anwesend war, schroff zurückgewiesen.
Nun aber, hohes Haus, rät uns der Herr Minister, daß
wir trotzdem nicht demonstrieren, sondern diskutieren sollen.
Nun, wir können in diesem Hause, in dem uns durch eine drakonische
Geschäftsordnung die Kehle zugeschnürt ist, nicht frei
atmen, wir müssen uns bei jeder Gelegenheit entweder überhaupt
das Wort verbinden lassen oder aber uns die Worte nach der Goldwage
zuzählen und uns unser Diskussionsquantum rationieren lassen.
Wir müssen ruhig zusehen, wie beispielsweise hier in diesem
Hause Monate lang, Wochen lang die Zeit vergeudet wird und wenn
es wirklich einmal eine Debatte gibt und unsere 30 oder 60 Minuten
erschöpft sind, müssen wir es uns gefallen lassen,
daß man uns einfach auf 5 Minuten-Bemerkungen verweist.
Nun sollen wir uns, wie der Herr Justizminister es versucht hat,
durch Einladungen zu sogearteten Diskussionen auch noch verhöhnen
lassen. Ein èechischer Abgeordneter hat
einmal im alten Österreich, es war am 17. Jänner 1914
über die österreichische Geschäftsordnung gesprochen
und hat gemeint: "Wir haben eine gedruckte, beschlossene
Geschäftsordnung und neben dieser Geschäftsordnung besteht
noch eine zweite, das ist die, welche gegen die Parteien angewendet
wird, die der Majorität, namentlich der momentanen Majorität
nicht angenehm sind. Das ist die Geschäftsordnung der Willkür,
das ist die Geschäftsordnung, die auf dem sogenannten Majoritätsprinzip
basiert. Man könnte mir" - meinte der betreffende Abgeordnete
- "sagen, die Majorität des Hauses solle immer, auch
in der Geschäftsordnung zum Ausdruck kommen. Das ist aber
ein großer, das ist ein fataler Irrtum. Denn wenn nur nach
dem Majoritätsprinzip regiert würde, wenn immer nur
der Wille und Beschluß der Majorität gehandhabt werden
sollte, dann brauchen wir überhaupt keine Geschäftsordnung
mehr, dann sind wir den verschiedenen Ansprüchen der momentanen
Majorität ausgeliefert." Und zum Schluß macht
der betreffende Abgeordnete einen Seufzer und sagt: "Ja,
wenn es noch eine anständige, eine gerechte Majorität
gäbe!" Hohes Haus! Der Abgeordnete, der diese Rede gehalten
hat, war der Herr Justizminister Dr. Viškovský,
dessen Auffassungen über das Majoritätsprinzip sich
nach den Proben, die er uns in seiner Wirksamkeit als Funktionär
dieses Staates gegeben hat, inzwischen eine tief durchgreifende
Wandlung erfahren haben.
Nun gestatten Sie mir, daß ich mich auch
dem eigentlichen Beratungsgegenstand zuwende. (Pøedsednictví
se ujal pøedseda Malypetr.) Unsere
Partei ist dem zur Verhandlung stehenden Mißtrauensantrag
beigetreten, weil sich die Regierung durch Erlassung der Sprachenverordnung
nicht nur in verfassungsrechtlicher, nicht nur in materieller
Richtung, sondern auch in moralischer Richtung mit einer schweren
Schuld beladen hat. Die Verpflichtung der Regierung zur Vorlage
des Entwurfes der Sprachenverordnung an den Ausschuß und
zwar ehe diese Verordnung in Rechtswirksamkeit tritt, war eine
derart klare und eindeutige, daß die Nichteinhaltung dieser
Verpflichtung als ein Wortbruch bezeichnet werden muß, als
ein Wortbruch, der in der Geschichte des Parlamentarismus wohl
einzig dastehen würde, und nur noch von einem Fall, über
den auch Herr Dr. Kramáø sehr
gut unterrichtet sein dürfte, überboten wurde, das ist
von dem Wortbruch Badenis i. J. 1897 aus dem gleichen Anlaß,
aus dem Anlaß der Erlassung der seinerzeitigen Sprachenverordnungen.
(Posl. dr Kramáø: To se náramnì
mýlíte, tak to nebylo!) Ich
bin bereit, wenn der Herr Dr. Kramáø es
wünscht, ihm diese Stelle a tempo zu verlesen, und möchte
ihm sagen, die Dinge haben sich damals so zugetragen: um die durch
sein Vorgehen mißtrauisch gewordenen Deutschen zu gewinnen
versicherte Ministerpräsident Badeni am 31. Oktober 1896,
er werde allen sachlich begründeten Anforderungen in der
Sprachenfrage im Bereich der Justiz und Verwaltung Rechnung tragen
und er werde deshalb - jetzt zitiere ich wörtlich - mit beiden
Parteien in Böhmen Fühlung nehmen. Das war eine ganz
klare Verpflichtung. Nun geschah etwas. Nachdem das neue Parlament
zusammengetreten war, ging Badeni an die zweite große Aufgabe,
das ist die Erneuerung des Ausgleichs mit Ungarn und um diesen
für die Völker Österreichs mit großen Opfern
verbundenen Vertrag durchzuführen, erkaufte sich Badeni
die èechische Zustimmung für seine Sprachenverordnungen
vom 6. Jänner 1897 und dann heißt es wörtlich:
Badeni hatte dadurch sein vor einigen Monaten den Deutschen gegebenes
Versprechen gebrochen. (Posl. dr Kramáø: O tom,
zdali je to pravda, èi není, jest veliký
spor!) Es ist auch um den jetzigen Wortbruch ein "spor",
aber ich meine, er ist in dem einen wie in dem anderen Falle,
auch wenn es betritten ist, ein Wortbruch. Die èechoslovakische
Regierung sucht sich nun der peinlichen Situation,
in die sie durch die Sprachenverordnung geraten ist, durch ein
Kommuniqué, das kürzlich ausgegeben wurde, dadurch
zu entwinden, daß sie behauptet, an Erklärungen der
Regierung Tusar nicht gebunden zu sein, da inzwischen bereits
zwei Regierungen, Èerný und
Beneš, im Amte gewesen sind und - wie es wörtlich
im amtlichen Kommuniqué heißt - Erklärungen
früherer Regierungen für spätere absolut nicht
verbindlich sind. Dieser Standpunkt ist aber für uns durchaus
unhaltbar. Es würde die èechoslovakische Regierung,
wenn sie ihn für alle Fälle gelten lassen wollte, einfach
vertragsunfähig machen. Wer würde, wer könnte sich
noch mit der èechoslovakischen Regierung in Verhandlungen
einlassen, wenn er damit rechnen müßte, daß ein
etwaiger System- oder Personenwechsel alle
getroffenen Abmachungen einfach über den Haufen werfen würde.
Doch in diesem Falle, und da bitte ich den Herrn Innenminister
und die Vertreter der Regierung um seine Stellungnahme, liegen
die Dinge noch weit schlimmer. Die Vereinbarungen damals -
ich habe an ihnen selbst teilgenommen - wurden nicht etwa bloß
zwischen der èechoslovakischen Regierung und den deutschen
Parteien getroffen, sondern beruhen auf einem Beschluß der
Obmännerkonferenz und auf einer Abmachung der Obmännerkonferenz
mit der Regierung. Ich zitiere wörtlich
das amtliche Protokoll der Parlamentssitzung vom 10. Juli 1920.
Es läßt den Herrn Präsidenten sprechen: "Es
ist hier ferner die dringliche Interpellation der Abg. Dr. Kafka,
Kostka und Genossen an die Regierung der èechoslovakischen
Republik (Druck 24), deren Dringlichkeit widerrufen wurde, aber"
- sagt der Präsident des Hauses - "es wird im Sinne
einer Vereinbarung der Klubobmänner der Herr Minister des
Innern in dieser Sache eine Erklärung abgeben". Der
Wortlaut dieser Ansprache des Präsidenten des Hauses, der
Wortlaut der darauf folgenden Rede des Herrn Ministers Švehla
wurde zwischen den Klubobmännern des Parlaments und der
Regierung vereinbart. Es liegt also nach dem amtlichen Protokoll,
auf das ich mich berufe, nicht etwa bloß eine Gebundenheit
der Regierung gegenüber den deutschen Parteien vor, sondern
eine Gebundenheit gegenüber dem ganzen Hause und vor allem
auch gegenüber den Koalitionsparteien, welche ebenso wie
die Regierung für die Einhaltung der von der Regierung übernommenen
Verpflichtung auf vorherige Vorlage der Verordnung an dem Verfassungsausschuß
einzustehen haben. Sie begreifen, daß wir darauf bestehen,
daß sich zu diesen Feststellungen sowohl die Regierung als
auch die Koalitionsparteien äußern und zu den Anklagen
Stellung nehmen. (Posl. dr Kramáø: Tihle
[ukazuje na lavice lidových poslancù] a my jsme
v tom nebyli, to byla pøece rudozelená koalice!)
Ich habe leider nicht verstanden.
In diesem Zusammenhange haben wir auch eine
zweite Anklage zu erheben. Ich weiß nicht, ob es den Herren
bekannt ist, aber es ist Tatsache: Am 21. März 1920 ließ
das Justizministerium an die Unterstellen folgenden Erlaß
ergehen, der lautet: "Die Gerichte mögen sich genau
an die imperativen Bestimmungen des Sprachengesetzes halten, besonders
im § 1, 2 und 4. Soweit es sich um Ausnahmen und Erleichterungen
handelt, welche in den §§ 2 und 8 vorgesehen sind, ist
die Durchführungsverordnung abzuwarten, die in allernächster
Zeit erscheinen wird." Hohes Haus! Sechs Jahre sind seit
dem verstrichen, die imperativen Bestimmungen des Gesetzes wurden
tatsächlich mit aller Strenge gehandhabt, die angekündigten
Ausnahmen und Erleichterungen sind niemals dekretiert und das
Sprachengesetz in diesem Punkte, der § 8, welcher Milderungen
vorsieht, niemals bis heute durchgeführt worden. Ich frage:
wie vermag die Regierung, wie vermag das Justizministerium dieses
Vorgehen zu rechtfertigen?
Aber, hohes Haus, wir machen auch der Sprachenverordnung
zum Vorwurfe, daß sie im Wege eines Diktates erlassen und
daß nicht, wie es in der seinerzeitigen Vereinbarung
zwischen dem Parlamente und der Regierung vor gesehen war, und
wie es auch der jahrzehntelangen grundsätzlichen Einstellung
der èechischen Politik entsprochen hätte, der Weg
der Verständigung mit den Minoritäten
gesucht wurde. Immer und immer wieder haben die èechischen
Staatsmänner großen Stils, die èechischen Politiker
von Klasse für die Regelung der Sprachenfrage diesen Weg
als den einzig möglichen, als den einzig gangbaren bezeichnet.
In einer großen Rede hat Rieger am 15.
Jänner 1884 gesagt: "Ich habe es öffentlich in
unserem Landtage und unter Zustimmung aller meiner Parteigenossen
ausgesprochen, daß ich auf dem Standpunkte stehe, daß
die Nationalitätenfragen in unserem Lande nicht durch Majorisierung
gelöst werden können, durch keinerlei Majorisierung,
sei es von deutscher, sei es von böhmischer Seite, sondern
daß dies nur durch freien Vertrag der beiden Nationalitäten
des Landes geschehen könne. "Dies" - sagt Rieger
- "ist mein ehrlicher, aufrichtiger Wunsch, ich werde mich
dafür zu jeder Zeit mit aller Kraft einsetzen und dafür
eintreten, daß die Lösung auf diesem Wege geschehe",
und Rieger schließt seine Ausführungen mit den Worten:
"Wir sind beide viel zu stark, als daß wir uns durch
den anderen Gesetze vorschreiben lassen würden" (Hört!
Hört!)
Den gleichen Standpunkt haben auch später Führer des
èechischen Volkes eingenommen. Man braucht nur im Buche
Pacáks "Skizzen zur Regelung der sprachlichen Verhältnisse"
nachzulesen, vor allem aber Präsident Masaryk,
der in einer Parlamentsrede am 4. Feber 1909 ausführte:
"Die böhmische Frage, der Kampf zwischen Deutschen und
Èechen kann nur gelöst, bezw. beendet werden, wenn
die parlamentarische Freiheit - ich betone, ich unterstreiche
fünfmal, zehnmal, so viel Sie wollen - wenn die Freiheit
der administrativen Gewalt gewahrt und jedem
von uns ermöglicht wird, sich um seine Sache zu kümmern."
Und Präsident Masaryk schließt die Rede
aus dem Jahre 1909 mit dem Appell an Deutsche und Èechen:
"Meine Herren, die Sie hüben und drüben auf ein
Oktroi hoffen, geben Sie den Gedanken auf und
arbeiten Sie dahin, daß wir uns von Mann zu Mann verständigen."
Hohes Haus! Denselben Standpunkt haben auch
mehrfach Koalitionsparteien und vor allem sozialistische Parteien
eingenommen. Das "Právo Lidu" hat am 10. Feber
1925 über die Sprachenverordnung, also unmittelbar über
diesen Gegenstand, geschrieben: "Die österreichisch-ungarische
Monarchie hat es sich zur Gewohnheit gemacht, Sprachenverordnungen
durch Diktat einer absolutistischen Gewalt durchzuführen.
Aber das Ergebnis dieser Verordnungen war immer kläglich.
Dem èechischen Volke, gegen das sie zielten, wurde dadurch
nicht nahegetreten. Ebenso wäre es im Falle von Sprachenverordnungen,
die nach dem Wunsch der Nationaldemokraten stilisiert werden.
Die Minderheiten" - schreibt "Právo
Lidu" - "würden durch sie nur noch stärker
aufgeregt und ihren Rednern würde angenehme Gelegenheit zu
Angriffen auf die Republik gegeben werden. Das Sprachengesetz
kann nicht auf die Dauer" - schreibt das "Právo
Lidu" "ohne Durchführungsverordnung gelassen werden,
weil zu viele Verordnungen zirkulieren, die nach einer Unifizierung
rufen." Aber es sagt: "Zweckmäßig und verläßlich
kann diese Materie nur auf Grund einer vorangegangenen dohoda,
einer Vereinbarung, geregelt werden. Ob die heutigen Verhältnisse
der Minderheiten reif zur Erzielung einer Vereinbarung sind, darauf
möge uns der Landesausschuß der nationaldemokratischen
Partei" - heißt es dort - "antworten."
Insoweit daher die Sprachenverordnungen mit
Verletzung dieses Grundsatzes zustande gekommen sind, wenden
wir uns naturgemäß mit größter Entschiedenheit
gegen sie. Dies ist umso berechtigter, als die erlassenen Sprachenverordnungen
fast in jedem Buchstaben die Verleugnung jener Grundsätze
sind, die die èechische Politik im Kampfe gegen die österreichischen
Verordnungen verfochten hat. Die èechischen Staatsmänner
des alten Österreichs haben sich immer gegen die Dekretierung
einer Staatssprache gewendet und jedes nationale Vorrecht mit
Entschiedenheit abgelehnt. Alle Ihre großen Politiker haben
immer den Grundsatz der Gleichberechtigung der Völker
und Sprachen hochgehalten und dies im jahrzehntelangen Kampfe
des èechischen Volkes nicht etwa bloß gelegentlich
einmal, sondern immer und immer wieder und mit größter
Leidenschaftlichkeit verfochten. Mit Leidenschaft
und mit Emphase rief Grégr seinerzeit den Deutschen zu:
"Meine Herren, die Emporhebung der deutschen Sprache über
alle anderen des Reiches bezweckt bloß die Herabdrückung
der nichtdeutschen Völker Österreichs. Man soll",
sagt Grégr, "das Kind nicht beim richtigen Namen nenn
en können, deshalb hat man es in den undefinierbaren Begriff
"Staatssprache" gekleidet. Aber" - ruft er zum
Schlusse aus - "Staatssprache heißt es, und Germanisierung
bedeutet es. Der Wurmbrandsche Antrag ist" - sagt er köstlich
- "die Germanisierung als Embrio, eingehüllt in die
Windel der Staatssprache."