Ja, meine Herren, wenn man nach Wien kommt und dort im Hotel "Bristol" wohnt oder auch in einem andern Hotel und in bestimmten Kreisen verkehrt, dann sieht man freilich nichts von einer Katastrophe, die in Österreich herrscht. Wer aber weiter hinausgeht und fragt, wie die Menschen draußen leben, wer sieht, wie von heute auf morgen der Zusammenbruch kommen kann und muß, weil natürlich auf diese Weise das, was die Herren verhindern wollen, wir werden darüber noch zu sprechen haben - der Bolschewismus großgezüchtet wird, wenn man das sieht und hört, dann kann man nicht begreifen, wie jemand sagen kann, daß dort noch kein katastrophaler Zustand herrscht. Woher rührt das? Weil man ein Staatengebilde geschaffen hat, das lebensunfähig ist, weil man in einer Zeit, in der die ganze wirtschaftliche Entwicklung dahin geht und strebt, sich auszubreiten und zu vergrößern, in einer Zeit, groß genug sein können, was man am besten an den Staaten sieht, denen es gut geht, an England und an den Vereinigten Staaten - warum geht es denen besser? Weil sie ein ungeheures Wirtschaftsgebiet haben - weil man in einer solchen Zeit Mitteleuropa in eine Reihe kleinster Staaten zerschlägt, die wirtschaftlich nicht begründet sind und die daher auf die Dauer nicht leben können und so eine ständige, bleibende Gefahr für den Frieden und die wirtschaftliche Entwicklung in ganz Europa sind und bleiben müssen. Allerdings, ich gebe es zu, nicht nur in den besiegten Staaten, nein, auch in den Siegerstaaten besteht heute keineswegs eine so rosige Lage der Industrie und Wirtschaft, wie man vielleicht glauben sollte. Wir lesen es immer wieder, daß auch dort Arbeitslosigkeit herrscht, daß Streiks ausbrechen, daß sich auch dort der Arbeiterschaft eine tiefgreifende Unzufriedenheit bemächtigt hat. Und auch dies ist ein Beweis dafür, daß diese Friedensverträge auf einer falschen Grundlage aufgebaut sind, die vollständig geändert werden muß, vor allem deshalb, weil sie den Weststaaten und besonders Frankreich den Zwang auferlegen, militaristische Staaten zu bleiben, weil diese Staaten ein großes Heer erhalten müssen, um die Aufrechthaltung der Friedensverträge zu überwachen und zu sichern. Diese Friedensverträge und dieser Völkerbundplan, der uns den Frieden für ganz Europa bringen sollte, er hat den Zustand, in dem wir vor dem Kriege waren, wieder herbeigeführt, ja sogar noch verschlechtert. Standen wir damals vor der ewigen Kriegsgefahr, so heute erst recht. Und dieser Zustand wird - ich wiederhole das nicht geändert werden, solange diese Friedensverträge bestehen. Auch hier kann ich darauf hinweisen, daß nicht nur wir Sozialdemokraten es sind, die diesen Friedensvertrag verwerfen. Ich kann hinweisen z. B. auf den Ausspruch Norman Angels: Das Aufrechterhalten der Friedensverträge wird Westeuropa zwingen, dauernd unter Waffen zu bleiben. Es ist weiter eingetroffen, was in der Oberhausdebatte im April 1920 über die Genehmigung des Friedens von St. Germain gesagt worden ist. Alle Redner haben einschneidende Änderungen des Vertrages als selbstverständlich erklärt. Und Asquith hat erklärt, daß Änderungen des Vertrages das einzige Heilmittel für Europa sind. Wir stehen also mit unserer Verurteilung nicht allein. Keynes erklärt die Verträge als Gefahr für ganz Europa und als schwere Bedrohung der Sieger; er sagt in einem Brief an die "Times": "Die Umbildung der Kriegsethik in eine Ethik des Friedens muß offen, endgültig und dem Verstande begreiflich vor sich gehen." Und erst in letzter Zeit hat ein Mann, der Gelegenheit hatte, die Verhältnisse genau kennen zu lernen, Dr. Whitman, der Liquidator der Österreichisch-Ungarischen Bank, bevor er von Wien abgereist ist, erklärt, man handle in Paris so, als ob wir noch im Kriege wären. Der Vertrag hat unfaire Bestimmungen.
Sie sehen also, daß alle jene Menschen, die ruhig, unbefangen, vernünftig und nicht erfüllt von militaristischem und kapitalistischem Wahnsinn an diesen Friedensvertrag herantreten, der Überzeugung sind, daß diese Verträge geändert werden müssen, wenn Europa Frieden und Ruhe finden will. Diese Friedensverträge enthalten ja auch die groteskesten Widersprüche. Auf der einen Seite wollen sie die Staaten zugrunde richten, wollen sie ihnen die Kraft nehmen, und zwar darum, weil die Angst vor ihnen noch nicht aufgehört hat, besonders die Angst vor Deutschland, und auf der andern Seite verlangt man von diesen Staaten die unerhörtesten und unglaublichsten Abgaben. Wir lesen es ja täglich wieder, was von Deutschland verlangt wird. Die phantastischsten Summen werden genannt, Summen, die den Reichtum Deutschlands weit übersteigen und deren Bezahlung vollständig unmöglich ist und auch niemals möglich sein wird.
Wir sehen es, daß die Völker, die Staatsmänner, aus der Geschichte nichts gelernt haben und auch wahrscheinlich niemals lernen werden, solange die heutige Wirtschaftsordnung aufrecht bleibt. Was sich in der Geschichte an den Völkern hundert- und hundertmal gerächt hat, das ist in diesen Friedensverträgen im gigantischen Maßstab wieder gemacht worden. Als im Jahre 1871 Bismarck Elsaß-Lothringen annektierte, da waren es Bebel und Liebknecht, die aufgestanden sind und Bismarck gewarnt haben, Elsaß-Lothringen zu annektieren, weil das zum Unglück für Deutschland ausschlagen werde. (Souhlas na levici.) Man hat auf die Worte dieser beiden Sozialdemokraten nicht gehört. Man hat sie damals als Hochverräter in Acht und Bann getan, ganz Deutschland hat mit Entrüstung aufgeschrien, daß ein Deutscher es wagt, diese Vergrößerung und Verherrlichung Deutschlands zurückzuweisen. Und heute schafft man an allen Ecken und Enden Europas neue Elsaß-Lothringen (Souhlas na levici) und diejenigen, die heute warnen, die heute sagen, daß dies zum Unglück derjenigen Staaten ausfallen werde, die dieses Unrecht begehen, die über das Selbstbestimmungsrecht der Völker auf diese Weise brutal hinwegschreiten, daß das zum Unglück dieses Staates ausfallen werde, die werden auch heute wieder als Hochverräter erklärt und man würde sie auch heute am liebsten ins Gefängnis werfen.
Und trotzdem besteht keine Frage, daß Europa nur Ruhe und Frieden bekommen kann, wenn das Selbstbestimmungsrecht der Völker gewahrt wird und bleibt. Wir Sozialdemokraten werden und müssen darauf bestehen, denn das ist die Grundlage unseres Programmes. Aber wir wissen es auch ganz genau, daß dieses Programm, dieses Selbstbestimmungsrecht der Völker heute eine Utopie ist und so lange bleiben wird, als der Kapitalismus herrschend ist. Denn der Kapitalismus will vor allem seinen Gewinn sichern und fragt nicht nach dem Selbstbestimmungsrecht der Völker. Er zieht die Grenzen der Staaten so, er setzt die Staaten so zusammen, wie es seinen Wünschen und seinen Ansprüchen, wie es seinen Aspirationen genehm ist. Und darum möchte ich für das, was da in Paris und all den Schlössern der ehemaligen prachtliebenden französischen Könige und ihrer Maitressen - es ist bezeichnend, daß diese Friedensschlüsse gerade dort zustande gekommen sind auch nicht verantwortlich machen die Herrschaften, die dort beisammen gesessen sind, nicht Lloyd George, nicht Clemenceau und keinen von den Herren. Sie konnten gar nicht anders, solange und weil eben der Kapitalismus in Europa heute seine Orgien feiert und seine Macht durch in den Krieg in einer noch nie dagewesenen Weise ausgebreitet hat.
Man spricht heute immer wieder von und auch der Herr Minister hat in seiner Rede diesem Kampf gegen den Bolschewismus einen Teil seiner Ausführungen gewidmet.
Meine Herren und Damen! Ich bin kein Bolschewik und unsere Partei befindet sich in erbittertem und schweren Kampfe mit denen, die hier für die Moskauer Grundsätze und Methoden eintreten. Aber wir müssen es sagen, daß es kein Mittel gibt, um den Kampf gegen den Bolschewismus mehr zu erschweren, als die Politik, die heute von den Machthabern in Europa betrieben wird. Wenn man heute die Arbeiterschaft unterdrückt, wenn man nichts tut, um die Wünsche der Arbeiterschaft zu erfüllen, wenn man, wie es auch in diesem Staate geschieht, an die Sozialisierung der Betriebe nicht herantritt, wenn man alle Wünsche, die von Seite der Arbeiterschaft kommen, förmlich mit Hohn behandelt, wenn sie nicht einmal in die Parlamentsausschüsse kommen, und wenn dies schon geschieht, dort begraben werden, wenn von Seite der bürgerlichen Parteien alles mögliche getan wird, um die Herrschaft des Kapitals zu festigen, wenn man nicht Ruhe und Frieden in Europa einziehen läßt, wenn man die wirtschaftlichen Verhältnisse in der Èechoslovakei und in allen anderen Staaten Mitteleuropas, Polen eingeschlossen, nicht zur Ruhe kommen läßt, wenn man auf diese Weise Grundlagen für eine tiefgehende Unzufriedenheit schafft, dann darf man sich nicht wundern, wenn die Arbeiterschaft, unzufrieden mit den bestehenden Verhältnissen, beseelt von dem Wunsche, es auch einmal anders zu haben, zu der Lehre des Bolschewismus schwört? Und ich behaupte, daß die Mittel, die heute angewendet werden, die verkehrten sind. Wir werden den Kampf mit den Ideen, die von Osten kommen, mit den Mitteln des Geistes ausfechten. Wir wollen aber nicht, daß Sie uns dabei zu Hilfe kommen mit Gefängnis und Persekution. Wir wenden uns mit aller Energie dagegen, daß die Anhänger des Bolschewismus, wenn man sie so nennen darf, daß die Anhänger des Kommunismus heute in diesem Staate behandelt werden, wie man ehemals im alten Österreich die Menschen behandelt hat. Was der große Dichter der èechischen Nation Machar in seinem Buche "Das k. u. k. Kriminal" geschildert hat, das können wir tagtäglich mit erleben, wenn wir hören, wie unsere Parteigenossen, unsere Arbeiter, ob sie Èechen oder Deutsche sind, in diesem Staate auf eine so niederträchtige und schändliche Weise behandelt werden, wie es der Fall war. Wir wollen, daß sie freigegeben werden, und ich glaube auch, der Herr Minister des Äußeren hätte eben darum, weil der Kampf gegen den Bolschewismus auf internationalem Boden geführt werden soll, ein großes Interesse daran, daß die Unzufriedenheit der Arbeiterschaft hier und in den anderen Staaten gemildert, anstatt gesteigert wird. Dann wird es auch viel leichter für uns alle werden, die Ideen, die heute aus dem Osten kommen, und die wir nicht für richtig halten, die wir aber nicht bekämpft wissen wollen durch die alten Mittel des Polizeistaates, dann wird es viel leichter für uns sein, diese Ideen mit der Macht der Idee des Marxismus, die wir für die richtige halten, zu bekämpfen und zurückzuweisen.
Wir sehen und wissen, daß die äußere Politik dieses Staates mit der inneren Politik in einem unlösbaren Zusammenhang steht und daß sehr viel von dem, was in unserem Staate geschieht, geschehen muß, weil es die Beherrscher von Europa so haben wollen. In den Verträgen ist auch eine Minderheitsschutzgesetzgebung vorgesehen. Es sollen die Minderheiten, die nationalen und konfessionellen Minderheiten, auch in diesem Staate einem besonderen Schutze unterstellt werden. Wir wissen, daß die Gesetze, die in dieser Republik zum Schutze der Minderheiten gegeben werden, nicht einmal das erfüllen, was in den Vorschriften der Friedensverträge verlangt wird. Wir aber, wir Deutsche in dieser Republik, wollen nicht nach den Bestimmungen dieser Minderheitsschutzgesetze behandelt werden. Wir stehen auf dem Standpunkte, daß wir nicht zu den Minderheiten gehören, von denen hier die Rede ist, sondern daß wir gleichberechtigte Bürger dieser Republik sind und daß uns darum das gleiche Recht zuteil werden muß, wie derjenigen Nation, die hier in der Mehrheit ist. Als das alte Österreich zugrunde ging, da glaubten wir, daß damit auch all die Sünden und Verbrechen begraben sein werden, die dort an den Minderheiten begangen worden sind. Wir haben uns getäuscht. Auch auf diesem Gebiete haben die Staatsmänner nichts ge lernt. Sie meinen natürlich, daß es hier ganz etwas anderes ist. Und andere ste hen auf dem Standpunkte, daß das, was im alten Österreich an den slavischen Völkern verbrochen worden ist, in diesem Staate gerächt und bestraft werden soll. Der alte Grundsatz der Talion soll auch hier wiederum zur Geltung kommen. Aber wir glauben und sind fest überzeugt davon, daß dieser Staat viel glücklicher, viel ruhiger leben könnte, wenn diese Grundsätze aufgegeben würden. Nicht die Große Entente wird es sein, die diesen Staat am Leben erhalten wird, denn die Große Entente wird nicht auf die Dauer bestehen. Es knistert ja schon heute bedenklich in ihren Fugen und früher oder später wird sie, wie alle solche Bundesverträge, die zu einem bestimmten Zwecke geschaffen worden sind, wieder zerfallen.
Auch die Kleine Entente wird diesen Staat nicht erhalten. Heute ist sie ja noch ein so halb mystisches Gebilde, von dem man nicht recht weiß, was sie bedeutet, welchen Zweck sie hat, wie weit sie sich ausdehnt, welches ihre Grundlagen sind. Auch die Kleine Entente wird den Staat nicht erhalten. Ich würde dem Herrn Minister raten, mit dem Minister des Innern zusammen die Kleinste Entente zu schliessen. Eger und Karlsbad und Trautenau ich will nicht von Reichenberg sprechen - und Preßburg sind viel näher bei Prag als London und Paris, und wenn diese Kleinste Entente zustande kommt, wenn es der Regierung in Prag gelingen wird, die Völker dieses Staates mit der Idee dieses Staates zu versöhnen, sie zu dem zu machen, was sie - und ich darf das wohl aufrichtig sagen - sein möchten, wenn man es ihnen nur irgend möglich machen will, dann möchten sie Staatsbürger dieser Republik, Mitarbeiter an dem Bestande der Republik sein, die sie nicht zerstören wollen, sondern in der sie, da sie nun einmal in ihr sind oder sein müssen, möglichst glücklich, möglichst zufrieden leben wollen, in der sie ihren Kindern und Kindeskindern ein möglichst behagliches Dasein sichern wollen, und in der wir Vertreter der Arbeiterschaft vor allem die Aussicht hätten, unsere Arbeiterschaft zu hier soziale Gesetze geschaffen werden. Gerade dieser Staat wäre dazu berufen, in Europa mit gutem Beispiel voranzugehen. Es sind ihm alle natürlichen Hilfsquellen geöffnet, wir haben Kohle, Eisen, Rohstoffe, die wir brauchen, wir haben ein reiches, fruchtbares Land, das seine Völker im größten Teil des Jahres erhalten könnte, wir haben Wasserläufe, die unsere Rohstoffe und Industrieprodukte ins Ausland ausführen können und auf denen wir die Produkte aus dem Ausland beziehen können, wir haben auch Wasserkräfte, die ausgenützt werden könnten für Elektrizität, Kraft, Wärme und Licht. Wir haben all das, was notwendig ist, um einen Staat am Leben zu erhalten und doch werden wir kein ruhig lebender, gesunder Staat werden, solange nicht diese Kleinste Entente geschlossen ist, von der ich gesprochen habe, solange nicht die Völkerschaften in diesem Staate zufrieden gestellt werden.
Ich glaube, daß das auch für die äußere Politik dieses Staates nicht gleichgültig sein kann. Wenn wir in diesem Staate zufriedene Völker hätten, dann könnte dieser Staat sofort eine Milliarde an seiner Armee ersparen. Denn ich gebe aufrichtig zu: daß wir eine so große Armee haben müssen, das rührt doch zum größten Teil daher, daß man den Völkern im eigenen Staate nicht traut, daß man meint, wenn es wirklich zu einer Konflagration käme, ein Teil der Bewohner dieses Staates natürlich das Beispiel befolgen würde, das man uns zwischen 14 und 17 in so reichlichem und ausgedehnten Maße gegeben hat. Vielleicht ist in dieser Hinsicht ein Verdacht auch nicht ganz unberechtigt und kann es gar nicht sein, solange man eben dieVölker dieses Staates so behandelt, wie es heute der Fall ist. Solange man darauf besteht, daß dieser Staat ein Nationalstaat ist, daß es in diesem Staate eine regierende Nation gibt und die andern die beherrschten Nationen sind, solange man auf dem Standpunkt steht, "Ich bin der Herr", solange wird man natürlich nicht erreichen, daß diese Völker sich mit diesem Staat versöhnen. Es würde dann viel leichter sein, Angriffe abzuwehren, die von außen kommen könnten. Wir brauchten uns gar nicht vor den Angriffen eines Horthyungarn zu fürchten, aber nicht möglich und nicht zu fürchten, wenn diejenigen, die diesen Völkerbund ausgearbeitet und erklärt haben, jeder Staat dürfe nur so viel Soldaten halten, als für seine nationale Sicherheit notwendig ist, wenn diese Staaten, die es verstanden haben und heute noch verstehen, in Österreich und Deutschland mit solcher Findigkeit jedes Maschinengewehr herauszusuchen und zu vernichten und darauf zu drängen, daß Deutschland und Österreich ja nicht einen Mann mehr unter den Waffen halten als ihnen vorgeschrieben wurde, mit der gleichen Energie dafür sorgen würden, daß auch in Ungarn nicht so viel Soldaten, wie noch heute, unter den Waffen gehalten werden, dann brauchen wir keine so große Armee in der Slovakei zu erhalten; und würde man unsere Staatsbürger in der Slovakei, mögen sie welcher politischen Richtung immer angehören, zufrieden stellen, würde man sie sich national ausleben lassen, ihre nationalen und kulturellen Bedürfnisse befriedigen, dann würde man es nicht notwendig haben, Heere unter Waffen zu halten zum Schutze des Staates gegen seine eigenen Bürger.
Das freilich hätte zur Voraussetzung, daß sich die verantwortlichen Lenker dieses Staates und des èechischen Volkes endlich freimachen von den falschen Gedankengängen, in die sie durch den jahrelangen Kampf gegen die Hausmacht der Habsburger hineingezwungen worden sind. Sie haben sich gewöhnt, in dem Deutschen einen Feind zu sehen und es hat auch heute wieder der Herr Minister von Pangermanismus hier gesprochen. Nein, Herr Minister, wir sind keine Pangermanisten, das deutsche Volk ist nicht pangermanistisch und war es nicht. Das Deutsche Volk ist pangermanistisch geworden durch die Hohenzollern und es ist in diese falsche Idee nur durch den Kapitalismus hineingedrängt worden, der durch den Pangermanismus seine eigenen Ziele verfolgt hat. Die Idee Berlin-Bagdad, wer hat denn die ausgeheckt? Diejenigen, die sich Kleinasiens und Mesopotamiens bemächtigen wollten, und nicht die deutschen Arbeiter und nicht die Frauen und Kinder der deutschen Arbeiter, die unter den heutigen Verhältnissen so unsäglich leiden müssen. Nicht das deutsche Volk ist ein Feind der Slaven, der Èechen oder irgend eines anderen slavischen Volkes. Die Feinde dieser Völker sind nicht in unserer Mitte zu finden und wenn Sie deshalb gegen die Deutschen kämpfen, weil Sie glauben, daß sie pangermanistische Ideen haben, so sínd Sie im Irrtum. Die Periode, in der das deutsche Volk derartige Ideen gehabt hat, war sehr kurz, sie ist entstanden aus den imperialistischen Ideen der Hohenzollern und ihrer Umgebung. Ich bitte, Herr Minister, verbannen Sie den Geist der Kramáø und Rašín aus diesem Staate. Das ist der Geist des Kapitalismus, des Imperialismus und des Chauvinismus. Dieser Staat erfüllt, wie ich schon gesagt, alle Bedingungen, um ein sozialer Staat zu werden und der Kulturwelt mit dem besten Beispiel voranzugehen. In uns allen, die wir Sozialdemokraten sind, lebt der große Gedanke der vereinigten Staaten von Europa. Wenn wir die einmal bekommen werden, dann wird nach den Grenzen eines Staates nicht mehr gefragt werden, dann wird jedes Volk das Selbstbestimmungsrecht haben, das es will und das es haben muß. Dieses Zukunftsbild muß ganz gewiß einst Wahrheit werden. Freilich müßten dann die Menschen zu einer anderen Sittlichkeit erzogen werden, als sie heute haben. Der nationale Irrwahn müßte vor allem fallen und wir müßten Weltbürger werden, alle, im Sinne Goethes und Herders, wenn die Regierungen der Staaten einmal daran gehen werden, durch die großen Machtmittel, die sie zur Verfügung haben, durch die Schulen vor allem, in denen heute noch der nationale Irrwahn gepredigt wird, und die heute nichts anderes sind als ein Instrument in der Hand der Herrscher des Kapitalismus und des Chauvinismus. Wenn in der Schule die Menschen erzogen werden zu der höheren sittlichen Idee, daß alle Menschen das gleiche Recht auf Glück haben, das letzte skrophulöse Kind hinten in der Slovakei oder in Karpathorußland, daß sie alle dasselbe Recht haben, glücklich zu werden, wie es, sagen wir, der Generaldirektor der Živnostenská banka hat, der allmächtige Herrscher in diesem Staate, wenn es einmal soweit gekommen sein wird und die Politik, die von den Staatsmännern gemacht wird, von dieser sittlichen Idee beherrscht sein wird, von für den Kapitalismus, sondern für alle ihre Bürger im gleichen Maße zu sorgen haben, dann werden auch die Gefahren verschwinden, die heute über unserem Haupte schweben, die tagtäglich zur Katastrophe führen können. Wir wollen keinen Krieg mehr, wir wollen alles aufbieten, damit der Krieg verhütet werde, damit niemals mehr der Krieg wiederkehre. Das kann nur geschehen, wenn allen Völkern die Zufriedenheit gegeben wird, auf die sie Anspruch haben.
Es dürfen nicht mehr Millionen
auf die Schlachtbank gejagt werden. Das wird aber geschehen, wenn
diese Verträge in Geltung bleiben. Diese entsetzlichen Verträge
sind ideal - und herzlos. Sie schreiten ohne Erbarmen über das
Unglück von Millionen Menschen hinweg. Darum müssen sie zerrissen
werden. Die Schöpfer dieser Vertrüge werden von der Weltgeschichte,
die ja das Weltgericht ist, ihr Urteil bekommen. Und ich halte
Herrn Minister Dr. Beneš - ich sage es ganz offen, es ist
durchaus keine Falschheit, die ich ausspreche, wir sind politische
Gegner und werden es bleiben - aber ich halte ihn für einen Mann,
der von hohen sittlichen Idealen getragen ist. Wenn er das ist,
dann soll er sich frei machen von den Ideen, auf denen diese Verträge
aufgebaut sind, sonst wird er eines Tages mit den Schöpfern dieser
Verträge von der Weltgeschichte verurteilt werden. Er soll sich
höheren sittlichen Gedanken anschließen, er soll vorangehen in
diesem Staat, er soll dahin wirken als verantwortlicher Träger
der Politik dieses Staates, daß in diesem Staate eine innere und
äußere Politik getrieben wird, die nichts anderes zur Grundlage
hat als das Glück der Menschen, die ausgeht davon, daß jeder Mensch
gleiches Anrecht auf Glück und Zufriedenheit hat. Und wenn er
das tut, dann wird einmal die Weltgeschichte anders über ihn urteilen.
Dann wird sie sagen: dieser Mann hat einen Staat geschaffen, er
hat mit dazu beigetragen, die Ideale zu erfüllen, die erfüllt
werden müssen. Wir müssen uns auf den Standpunkt stellen, daß
die alte Geschichte mit all ihren Irrtümern, mit der Herrschaft
des Imperialismus und des Kapitalismus hinter uns liegt und eine
neue Zeitrechnung beginnt. Die Reste der alten Zeit werden ohne
Ruhm in den Orkus versinken, eine neue Zeit steigt und wird gepriesen
werden als der Beginn eines neuen Europas. (Souhlas a potlesk
na levici.)
Hohes Haus! Ich muß mit einem Protest beginnen: Alle an den Friedensverträgen interessierten Parlamente haben ihren Mitgliedern volle Redefreiheit gewährt, nur das èechische Parlament hat sich das Vergnügen geleistet, in letzter Minute für die Erledigung der Friedensverträge das verkürzte Verfahren einzuführen. Wir, die wir an ernste Arbeit gewohnt sind, betrachten das als eine Degradierung der parlamentarischen Tätigkeit und es wäre bedeutend besser, die vielen Steuergelder, die man zur Erhaltung dieses Parlamentes aufbringt, lieber für wohltätige Zwecke zu verwenden. Die kurze Zeit, die jedem Redner hier gelassen wird, um zu so wichtigen Fragen zu sprechen, reicht eben nur dazu aus, daß man beginnt und endet; man ist aber nicht in der Lage, einen freien Vortrag zu halten, sondern ist gezwungen, die Rede teilweise zu verlesen, damit man früher fertig wird. Ich kann Ihnen aber offen sagen, zu Leseübungen hat mich meine Wählerschaft nicht hergeschickt. Aber mit Rücksicht auf das, was ich vorausgeschickt habe, werde auch ich lesen, denn die kurze Redezeit erlaubt mir nicht, alles im freien Vortrag zu sagen, was ich am Herzen habe.
Die Friedensverträge haben . . . (Výkøik.) Ich werde nicht alles lesen, Sie sollen nicht glauben, daß ich so stupid bin, wie ich aussehe. (Veselost.)
Die Friedensverträge haben in der Vergangenheit im staatlichen Leben immer den Abschluß des Krieges bedeutet. War der Friedensvertrag gemacht, so kehrten Freund und Feind wieder zu friedlicher Arbeit zurück, ein jeder trachtete, die empfangenen Wunden zum Heilen zu bringen, und so war es möglich, daß auch geschlagene Völker überraschend schnell sich erholen konnten; ein klassisches Beispiel hiefür bietet Frankreich nach dem Kriege 1870/71. Dem zwanzigsten Jahrhundert, und darin eben den großen westlichen Völkern, die sich immer rühmten, die kultivirtesten zu sein, blieb es vorbehalten, diese althergebrachte Auffassung über den Frieden umzustoßen, ja sogar auf den Kopf zu stellen.
Von Gneisenau, dem berühmten Strategen der deutschen Freiheitskriege gegen Napoleon, stammt der Satz: "Der Krieg ist nichts anderes als Politik mit anderen Mitteln".
Wenn wir uns die Friedensverträge von heute ansehen und wenn wir alle Verhältnisse und Geschehnisse seit dem Waffenstillstande offenen Auges betrachten, müssen wir zu dem Schlusse gelangen, daß der Friede heute eigentlich nichts anderes ist als ein Krieg mit anderen Mitteln. Die eigentlichen physischen Mordwaffen ruhen zwar schon seit längeren Zeit, allein das Hinmorden des geschlagenen Gegners durch die wirtschaftliche Aussaugung, Versklavung, Niedertretung seiner Heiligtümer, Entnationalisierung, politische Verfolgungen, das geht ohne Unterbrechung weiter. Also ist der Krieg noch immer in vollem Gange, nur mit feigen Methoden; denn der Geschlagene ist nicht mehr in der Lage, wie im physischen Kriege sich zu verteidigen und zurückzuschlagen. Wenn es aber die eigentlichen Sieger für notwendig fanden, das Brennusschwert ihres Sieges in die Wagschale zu werfen, wirkt diese Geste bei Rumänen und Èechen höchst lächerlich, weil sie im verflossenen Kriege nie und nirgends gesiegt haben. Die Weltgeschichte bleibt trotz aller Verlästerung doch die Lehrmeisterin des Lebens und der Menschheit; die Weltgeschichte aber wurde bestimmt nicht zu Rate gezogen, denn man hat die Lehre vergessen, daß man ganze Völker nicht für die Ewigkeit in Ketten halten kann und daß sich die völker mit elementarer Gewalt trotz der Friedensverträge und anderer Sicherheitskoeffizienten immer aus der Sklaverei befreit haben; und ich hege die Hoffnung, daß sie sich trotz der heutigen Friedensverträge und der kleinen Entente auch befreien werden. (Souhlas na levici.)
Sehr oft hörte man, daß die Monarchie nach verflossenen Kriegen nur dynastische Friedensverträge geschlossen hat, ohne Damen und Herren, hat vielleicht das Volk diese Verträge irgendwo geschlossen? Nein! Auch bei den Feinden hat das Volk wohl geblutet, aber die Friedensverträge haben eigentlich drei Monarchen, Wilson, Clemenceau und Lloyd George geschlossen. Nur das amerikanische Volk hat sich so hoch emporheben können, daß es sich von seinem Friedensstifter und seinem ungeheuerlichen Werk hat befreien können. Es ist bekannt, daß Erhabenheit und Lächerlichkeit nur einen Schritt von einander entfernt sind, aber Prophetentum und Betrug sind nicht einmal so weit entfernt. Wenn es Wilson ernst war mit seinen apostelhaften 14 Punkten und er nicht auf einen politischen Betrug ausgegangen ist, so hat er sich den Machinationen, und zwar den historischen Machinationeh eines Clemenceau und Lloyd George gegenüber als politischer Schwächling ohne Beispiel erwiesen, und dem seine Nation bei der ersten Gelegenheit den gebührenden Lohn erteilt hat. Das größte Unglück einer Nation ist, wenn sie in Zukunftsfragen auf senile Menschen hört, denn Senilität ist Unvermögen, für die Möglichkeiten der Zukunft und eine anscheinende Energie eines senilen Menschen ist nichts anderes als Hartnäckigkeit und Bockbeinigkeit und das größte Übel ist bei senilen Menschen, daß Schmeichler und Abenteurer bei ihnen ein williges Ohr finden für ihre unsauberen Einflüsterungen. Frankreich hat seinen Friedensstifter zu spät fallen lassen. Die Folgen des Versäumnisses machen sich schon geltend und spätere werden noch nachfolgen. Sonderbar mutet es an, daß Lloyd George sich noch immer hält. Jedenfalls kann er dies seiner berühmten Theorie von den silbernen Kugeln verdanken und andererseits auch seiner besonderen Fähigkeit, daß er sich chamäleonenhaft an die Spitze jedes gegen ihn gerichteten Angriffes zu stellen weiß. Aber in England ist bereits die Verurteilung seines Friedenswerkes ebenfalls sehr weit fortgeschritten und von England kam das Urteil, daß den Krieg die Soldaten wohl gewonnen, aber die Diplomaten den Frieden verloren haben. Ich habe manches über die Friedensverträge gelesen und das Friedensdiktat von Trianon habe ich ganz durchgelesen und ich muß Ihnen sagen, daß mir bei dieser Gelegenheit in den Sinn kam, daß der berühmte schwedische Diplomat des 16. Jahrhunderts namens Oxenstierna auch heute Recht behält, daß nämlich die Völker mit sehr wenig Weisheit regiert werden; denn wenn das nicht der Fal! gewesen wäre, hätten diese Friedensverträge unmöglich entstehen können. Und diese Erkenntnis zeigt sich eben auch in England in der vernichtenden Kritik bezüglich der Friedensverträge. Aber nicht nur, was die Friedensverträge in Zentraleuropa anbelangt, haben sich diese Friedensstifter minderwertig gezeigt, sondern auch den Sowjetd iplomaten gegenüber legten sie wenig Geist und Urteilsfähigkeit an den Tag. Was die Diplomaten von Sowjetrußland diesen Diplomaten gegenüber geleistet haben, ist bei weitem geistig überragend und angesichts der traurigen Tatsachen, die sich aus den verschiedenen Unternehmungen Judenitschs, Denikins und Wrangels ergaben, muß man sagen: Hut ab vor dem diplomatischen Geiste der Bolschewiken gegenüber den westlich orientierten Diplomaten. Und das ist ja eben auch die Ursache, daß Europa noch nicht zur Ruhe kommen kann, weil die Westdiplomaten inferior sind. Die Friedensstifter können Nationalhelden sein, aber ich wage zu sagen, daß es eine Beleidigung für den Begriff Staatsmann wäre, wenn wir diese Leute Staatsmänner nennen würden.