Einige Worte noch zu dem Gesetze über Zuteilung von Zwangspacht.
Dieses Gesetz wurde von den Bezirkshauptmannschaften, denen die Durchführung übertragen wurde, zum großen Teil engherzig ausgelegt, besonders im deutschen Gebiete. Es wurde einesteils verhältnismäßig sehr wenig Boden zugewiesen an die Kleinhäusler, andernteils absichtlich in weiter Entfernung. An dem einen Orte ist es den Kleinpächtern aus dem anderen Orte zugewiesen worden und denen aus dem anderen Orte wieder im entgegengesetzten Orte, wahrscheinlich um die Pächter zur Verzichtleistung zu bewegen. Das nennt man Bodenreform.
Und so sehen wir überall, wie
schwer die Kleinbauern und Häusler zu kämpfen haben. Es li egt
aber im eminenten Interesse des Staates, daß für diese Volksschichten
bessere Lebensbedingu ngen geschaffen werden. Denn gerade diese
Klasse des Landvolkes ist es, welche der Industrie immer wieder
neue Arbeitskräfte zuführt. Verelendet das Landproletariat, dem
auch die Kleinbauern und Häusler angehören, so ist es auch mit
der gesunden Entwicklung des Staates vorbei. Als Kleinlandwirt
und als Sozialdemokrat erkläre ich aber, daß die endgültige Lösung
der Bodenreform und die rationelle Bewirtschaftung von Grund und
Boden in dieser Gesellschaft überhaupt nicht durchgeführt werden
kann, sondern erst in einer Gesellschaftsordnung, die sich das
arbeitende Landvolk brüderlich mit der industriellen Arbeiterschaft
erkämpfen wird. (Potlesk na levici.)
Meine Herren und Damen! Wir Frauen ergreifen gerade zu jenen Kapiteln das Wort, die für uns als Frauen und Mütter die wichtigsten sind. Es sind dies die Kapitel der Jugendfürsorge, der körperlichen Erziehung unserer Kinder und Bekämpfung der Epidemien. (Pøedseda Tomášek ujal se pøedsednictví.) Wenn wir uns aber die für diese Kapitel präliminierten Summen ansehen, so müssen wir schon sagen, daß mit diesen Summen wahrlich nicht viel geleistet werden kann. Wir finden, daß für die Bekämpfung der Epidemien eine Summe von nur 5 Millionen Kronen ausgeworfen ist. An der Hand des Ziffernmaterials will ich sagen, welche kolossalen Maßnahmen die Regierung treffen müßte, wenn sie gerade einer der furchtbarsten proletarischen Krankheiten, der Tuberkulose entgegenarbeiten wollte. Schon im alten Österreich wurde diesbezüglich furchtbar gesündigt. Während des Krieges hat sich die Zahl der Kranken noch um Hunderte Prozent verschlechtert. Aber auch jetzt nach dem Kriege finden wir wahrlich gar keine Verbesserung.
In der èechoslovakischen Republik leben 14 Millionen Einwohner und von diesen 14 Millionen sind über eine halbe Million an Tuberkulose krank, eine Ziffer, die wohl jedem denkenden und sozial fühlendem Menschen recht begreiflich machen muß, daß rasche und energische Hilfe eingreifen muß, wenn wir diese Ziffer herabmindern wollen. Aber wir wollen auch an anderen Zahlen sehen und konstatieren, welche furchtbares Bild sich da zeigt, wie groß das Elend der Kranken ist. Jährlich sterben in der èechoslovakischen Republik über 48.000 Menschen an Tuberkulose. Nach ärztlichen Statistiken rechnet man durchschnittlich auf 100.000 Einwohner 130 Betten für Tuberkulosekranke. Wir haben jetzt an offener Tuberkulose - alle anderen leichteren Fälle sind hier gar nicht eingerechnet - einen Krankenstand von 96.000. Für alle diese Kranken stehen insgesamt nur 2410 Betten zur Verfügung. Daraus ergibt sich, daß alle diese kranken Personen - ich sagte vorhin mit Absicht, daß sie an offener Tuberkulose erkrankt sind - unter der gesunden Menschheit sich bewegen müssen und für alle Kreise eine furchtbare Ansteckungsgefahr bilden. Wir fragen: Warum ist bis zum heutigen Tage nichts geschehen, warum hat man sich nicht bemüht, gerade zur Bekämpfung dieser furchtbaren Krankheit etwas zu tun?
Wir stellen fest, daß wir viel zu wenig Tuberkulosenheime und Fürsorgestellen haben und wir finden sogar, daß die jetzt bestehenden Heime nur unter den größten Schwierigkeiten geöffnet bleiben können. Ein Beispiel: Die Brünner Landesfürsorgeanstalt steht von der Schließung, denn es fehlt ihr an den Betriebs mitteln; deshalb müssen dieser Anstalt so bald als möglich von Staate Zuwendungen gemacht werden. Und man findet es wahrlich ganz unbegreiflich, daß das an diese Anstalt angeschlossene Kinderambulatorium geschlossen ist, leider fehlen die Mittel, um den Betrieb offen zu halten! (Posl. Hackenberg: Das ist aber kein deutsches Unternehmen, sondern ein èechisches!) Gewiß, wir machen bei dieser Bekämpfung durchaus keinen Unterschied, ob es sich um èechische oder deutsche Kinder handelt. Wir wollen einen gesunden Staat, eine gesunde Bevölkerung. Wir haben uns erlaubt, einen Antrag einzubringen, der mit kurzen Worten die Maßnahmen vorschreibt, die getroffen werden müssen, um eben auf diesem Gebiete der Ansteckungsgefahr und der Tuberkulosenepidemie zu steuern. Aber wir sind uns vollständig bewußt, daß mit leeren Worten nichts getan ist, wenn nicht die Taten sofort folgen. Daß es nicht von heute auf morgen möglich sein wird, neue Fürsorgestellen zu errichten, wissen wir, aber bei gutem Willen, bei den besten Vorsätzen, die natürlich so bald als möglich durchgeführt werden müßten, könnte man schon etwas Abhilfe schaffen. Wir fordern Tuberkulosen-Tagesheime. Wenn tuberkulose Personen tagsüber in diesen Heimen bleiben können, wenn sie dort spezialärztlich behandelt werden und vor allem - das ist die erste Bedingung - eine gute Kost bekommen, wobei ich gleichzeitig konstatieren muß, daß es gerade diesen armen Opfern daran fehlt, dann werden sie eher die Gesundheit wieder finden, und die Ansteckungsgefahr wird gemindert. Beinahe alle sozialen Fürsorgeanstalten leiden an dieser chronischen Krankheit, daß ihnen von keiner Seite Lebensmittel zugewiesen werden; niemand scheint zu wissen, daß der Kranke nicht einfache, sondern doppelt gute Kost braucht, um zu Kräften und Gesundheit zu kommen. Wir wollen, daß man Stätten errichtet, wo diese Kranken untersucht beraten und behandelt werden. Wir fordern eine Vermehrung der bestehenden Tuberkulosenheilstätten. Aber der erste Schritt muß sein, daß alle bestehenden Krankenhäuser durch Tuberkulosenpavillone erweitert werden. Das ist durchführbar, es kann nur scheitern, wenn der gute Wille nicht vorhanden ist.
Und nun, da ich bei diesem Kapitel angelangt bin, konstatiere ich eine zweite chronische Krankheit, unter der unsere Bevölkerung zu leiden hat. Wir können uns überall umsehen: in den Städten auf dem Lande müssen kranke Menschen Wochen, ja monatelang warten, bis im Krankenhause ein Platz für sie frei wird. Wir haben zu wenig Krankenhäuser. Hat denn die Regierung gar keine Interesse, sich um den Ausbau bestehender und den Bau neuer Krankenhäuser zu kümmern? Aber man weiss genau, daß diese Krankenhäuser für die Proletarier, für die Masse des Volkes benötigt werden. Die Reichen brauchen sie nicht, für sie ist vorgesorgt, die Reichen suchen sich ihre Sanatorien auf, wo ihnen alles zur Verfügung steht, die beste Kost, Milch, Fleisch, Spezialärzte, gute Pflege, kurz alles, was ein kranker Mensch zu seiner Gesundung braucht. Aber wir als Proletarier haben das allergrößte Interesse daran, daß Krankenhäuser in jeder Stadt erbaut werden. Die Krankenhäuser sind überfüllt, es fehlt dort an Betriebsmitteln, es fehlt an Kohle, es fehlt an Nahrungsmitteln, an Räumlichkeiten, kurzum es fehlt beinahe an allem. Und wenn nicht die Gemeinden eingreifen würden, wenn sie nicht Subventionen oder Vorschüsse gäben, dann wäre wohl schon manches Krankenhaus gesperrt. Wir haben in Aussig ein Krankenhaus und immer wieder steht es vor der drohenden Gefahr, daß es heute oder morgen schließen muß. Die Stadt Aussig, die wie alle anderen Städte mit den größten finanziellen Sorgen und Schwierigkeiten zu kämpfen hat, hat bis heute schon über 1/2 Million Kronen verstrecken müssen, um das Krankenhaus im Betrieb zu halten. Aber was liegt denn daran? Der Staat entschädigt ja die Stadt! Wozu braucht die Bevölkerung von Aussig ein Krankenhaus, ein gut ausgebautes Krankenhaus? Der Staat baut uns eine Kaserne hin und damit, wird der armen kranken Bevölkerung geholfen sein.
Vielleicht wäre es so mancher Familie möglich, eine gute Pflegerin zu halten, um dem Kranken wieder zur Gesundheit zu verhelfen, aber da konstatiere ich wieder einen kolossalen Mangel an geschulten Pflegerinnen. Hat der Staat ein Interesse daran, Pflegerinnenschulen zu errichten? Hat er ein Interesse daran, bereits bestehende Pflegerinnenschulen zu erhalten? Ich sage nein! Ich will ein kleines Bild illustrieren, das vom Interesse ist. In Prag besteht eine deutsche Pflegerinnenschule, die im Jahre 1914 den ersten, zweiten und dritten Stock zur Verfügung hatte. In dieser Schule wurde ein einjähriger und ein zweijähriger Pflegerinnenkurs abgehalten. Im Jahre 1919 hat man dieser Schule einige Zimmer genommen, und sie einem Ministerialrat des Gesundheitsministeriums zur Verfügung gestellt. Dieser Sanitätsrat soll angeblich nicht einmal in diesem Hause Zins zahlen. Nicht genug daran. Einige Zeit darnach hat man einige Pflegerinnenzimmer, Zimmer der Schülerinnen, beschlagnahmt und daraus Kanzleien für das Gesundheitsministerium eingerichtet. Später hat man diese Räumlichkeiten wieder freigegeben, ließ sie freistehen, um nach ganz kurzer Zeit, einen Legionär dort einzumieten. Im Hofgebäude im Erdgeschoss wohnt ein Hauptmann, im ersten Stock ein Stabsarzt, alles beschlagnahmte Woh nungen, und so kam, was nicht anders möglich ist, wenn nicht genügend Räumlickeiten vorhanden sind, man mußte den einjährigen Kurs schließen. An der Spitze dieser deutschen Pflegerinnenschule steht ein èechischer Leiter.
Und wie mutet es erst an, wenn man sich um die Blindenfü rsorge umsieht? Ich will nicht viel Worte machen, da mir zu wenig Zeit zur Verfügung steht, nur ein Bild will ich entrollen, das kraß für sich spricht, das einen Kulturskandal für unseren Staat darstellt. Wir haben in Aussig eine Blindenschule, die derzeit 32 Kinder beherbergt. Wie war es möglich, dem Betrieb dieser Schule heuer aufrecht zu erhalten? Nicht Staatsubventionen haben dies ermöglicht! Diese Blindenschule mußte allein dafür sorgen, Kinder vom 5. bis zum 14. Lebensjahre mußten von Stadt zu Stadt fahren und Konzerte veranstalten, mußten sich als Blinde zur Schau stellen, mußten sich bewundern lassen, damit man ihnen Gnadengaben gebe, damit man sie bezahle und dadurch die Schule erhalte.
Uud man kann überall hinschauen, überall wird man sehen, daß dieser Staat alles andere ist als ein demokratischer, sozialer Staat.
Und ein anderes Kapitel. In den Kriegsjahren hat man den Kindern natürlich noch das letzte genom men, was sie besaßen, nämlich die Turnsäle; man hat dort Soldaten einquartiert oder Verkaufstellen errichtet. Nach einer Statistik, welche die Schulärzte in Aussig uns in die Hand gegeben haben, sind in Aussig-Stadt durch diesen Mangel an Turnsälen, da die Kinder nicht turnen konnten, 20 % der Schüler an Skoliose erkrankt. Die Arbeiterturnvereine haben hervorragendes geleistet, der Turnverband, Sitz Aussig, zählt über 33.000 Jugendturner und viele tausende Kinder als Turnzöglinge. Leider erhalten die Turnvereine vom Staate keine Subventionen. Die größte Ungerechtigkeit aber ist, daß für die Sokolvereine große Zuwendungen da sind, für die èechischen Arbeitervereine kleine, für die deutschen Arbeitervereine aber gar keine. (Hluk. Výkøiky.)
Leider bleibt mir keine Zeit übrig, die Dinge gründlich zu erörtern, die Redezeit ist zu beschränkt. Nur eines möchte ich doch noch erwähnen. Wir werden uns mit der größten Energie dafür nun einsetzen, daß der größte Schutz und Fürsorge den Müttern und Kindern zu teil wird.
Wir fordern: Wöchnerinnenheime, Säuglingsheime, Stillkrippen, Heime für tuberkulöse Kinder, Heime für Kinder tuberkulöser Eltern, Heime für rachitische und skrophulöse Kinder jeden Alters, Erholungsheime.
Wir müssen auf dem Wege der sozialen
Fürsorge alles unternehmen, keine Zuwendung darf zu viel sein
für den Staat, alles was er gibt, ist viel zu wenig. Wollen Sie
aber das sein, als was Sie sich immer ausgeben, als denkende,
sozialdenkende, aber auch sozialfühlende Menschen, dann müssen
Sie für alle jene Anträge, die wir gerade zu diesem Kapitel eingebracht
haben, stimmen. Dann erst haben Sie den Anspruch und das Anrecht
zu sagen: Wir denken und fühlen sozial. (Potlesk nìmeckých
poslancù.)
Meine Damen und Herren! Wir sozialdemokraten sind uns vollständig klar darüber, daß der kapitalistische Staat auch auf dem Gebiete des Gesundheitswesens wie auf vielen anderen Gebieten nur Flickwerk leisten kann. Wir treiben hier symptomatische Therapie, aber keine kausale, und sowie derjenige Arzt, der nicht die Ursachen der Krankheiten bekämpft, sondern nur ihre Erscheinungen, ein schlechter Arzt ist, so bleibt auch der kapitalistische Staat auf dem Gebiete des Gesundheitswesens das meiste schuldig und muß es schuldig bleiben, weil die größte Zahl der Krankheiten und die wichtigsten Krankheiten auf sozialen Ursachen beruhen und darum im kapitalistischen Staat überhaupt nicht beseitigt werden können. Die Tuberkulose, die Geschlechtskrankheiten, der Alkoholismus und der Kinderverderb und eine ganze Reihe anderer Krankheiten beruhen auf sozialen Mißständen in unserem Staate und können daher gar nicht beseitigt werden. Die Profitsucht und die Gesundheit stehen immerwährend in einem unlösbaren Widerspruch. Der Schnapsbrenner macht sich ja nichts daraus, wenn mit seinem Erzeugnis tausende vergiftet werden, er will nur daran verdienen. Der Häuserspekulant macht sich nichts daraus, wenn in den elenden Löchern in seinen Häusern die Menschen an Tuberkulose und Rhachitis zugrundegehen. Er will nur den Profit von seinen Häusern. Dieser Gegensatz wird niemals aus dem Wege geräumt werden, solange der kapitalistische Staat besteht. Wir können daher nur Flickwerk, nur Teilarbeit leisten. Aber die soll wenigstens geleistet werden und wir werden uns dafür einsetzen, daß sie geleistet wird. Bei Kongressen und Eröffnungsreden hört man immer die schöne Phrase: "Das höchste Gut ist die Gesundheit des Volkes". Und wie wird das in diesem kapitalistischen Staate wie übrigens, wie ich zugeben will, in allen anderen kapitalistischen Staaten beweisen? Dadurch, daß ein achtundachzigstel, ich wiederhole: ein Achtundachzigstel der Gesamtausgaben dieses Staates für die Gesundheit ausgegeben werden, 1ÿ12 %. Sie werden mir zugeben, daß diese Tatsache mit den schönen Phrasen in sehr krassem Widerspruch steht.
Wir wollen vor allem, daß in diesem Staate das Gesundheitswesen besser organisiert werde als bis her. Das muß von oben beginnen. Wir haben zwei Ministerien, die sich mit dem Gesundheitswesen befassen sollen, das Ministerium für Volksgesundheit und das Ministerium für soziale Fürsorge. Wir meinen, daß beide Ministerien sehr gut vereinigt werden könnten und sollten. Warum auf zwei Geleisen fahren? Wir könnten viel mehr erreichen, wenn wir die ganze Leitung des Gesundheitswesens in einer Hand vereinigt hätten. Es müssen Vereine, die jetzt Unterstützung haben wollen, sowohl bei dem einen als auch bei dem anderen Ministerium einreichen und es ist klar, daß es sehr oft zu einem pósitiven, vielleicht aber noch öfter zu einem negativen Kompetenzkonflikt kommen wird und kommen muß. Wir verlangen und haben auch diesbezügliche Anträge eingebracht, daß beide Ministerien, das für Gesundheitswesen ind das für soziale Fürsorge zusammengefaßt werden. Wenn es einmal dahin kommt, aber es scheint, daß noch keine Neigung dazu besteht - die Sozialversicherung auszubauen, dann könnten wir vielleicht ein Ministerium für Sozialversicherung brauchen.
Wir verlangen aber auch weiter, daß das Gesundheitswesen überall in allen Bezirken ausgebaut werde. Es fehlen uns vorläufig noch vollständig die Träger für die soziale Fürsorge. Schon Genossin Kirpal hat auseinandergestezt, wie wenig auf dem Gebiete der Bekämpfung der Tuberkulose gechieht. Ich will auf die Bekämpfung der Geschlechtskrankheiten hinweisen. Wir verlangen ein Gesetz zur Bekämpfung der Geschlechtkrankheiten. Der Gesundheitsminister hat vor kurzem einer Deputation ein solches versprochen. Er hat dieser Tage erklärt, es werde innerhalb von 3 Monaten durchgeführt werden. Gut. Wir wollen ihm diese Frist geben, aber wir werden auf unserem Schein bestehen, denn die Geschlechtskrankheiten rauben uns jetzt tagtäglich Tausende und Abertausende blühender junger Menschenleben, unsere wertvollsten Menschen und wir können diesem Unheil, das alle Völker dieses Staates in gleichem Maße trifft, nicht zusehen. Wir verlangen ein Gesetz über die Einrichtung von Fürsorgestellen für Geschlechtskranke in jedem Bezirk.
Und dann, meine Damen und Herren, die dritte Volkskrankheit: Der Alkoholismus. Auch auf diesem Gebiete hat der Staat bisher so gut wie nichts getan, obgleich die Gefahr des Alkoholismus von Tag zu Tag wächst. Die Trunksucht nimmt von Tag zu Tag zu. Ich bin in den letzten Monaten viel im Lande herumgekommen und habe es überall gehört. Solange nur Schieber und Wucherer Sekt und Cognag gesoffen haben, solange haben wir uns darum nicht zu kümmern gebraucht. Jetzt aber, wo das böse Beispiel Nachahmung im Volke findet, wo jugenliche Arbeiter, verführt durch das böse Beispiel der Bourgeoisie, wieder zu saufen anfangen, wo die Arbeiter heute Schnaps aus Biergläsern trinken, da ist es unsere und des Staates heiligste Pflicht, einzuschreiten. Aber wie wird es kommen, wenn eines Tages wirklich der Gesundheitsminister mit einem scharfen Gesetz gegen den Alkohol einschreiten will? Dann wird der Herr Finanzminister kommen, der ja daran verdient, und wird jedem solchen Gesetz von vornherein den Hals brechen. Denn die Quadratur des Zirkels, die Trunksucht zu bekämpfen, ohne eine Abnahme des Konsums der geistigen Getränke herbeizuführen, ist noch nicht gelöst. Und warum herrscht der Alkoholismus? Nur mit Rücksicht auf den Kapitalismus.
Ich kann Ihnen hier Beispiele vorführen, welche Dividenden die Aktienbrauereien in den letzten Jahren verteilt haben. Ich weise auf die Aktienbrauerei Smichov hin, der es gelungen ist bei einem Aktienkapital von 2 Millionen in einem Jahr 2,200.000 K zur Auszahlung zu bringen. In zwei Jahren haben die Aktionäre dieser Gesellschaft ihr ganzes Aktienkapital 1 1/2fach zurückbekommen. Und solcher Gesellschaften gibt es eine ganze Reihe. Und dabei haben wir erst in der letzten Zeit erfahren, wie es im Pilsner Bezirk zugeht, wo Malz- und Gersteschiebungen vorgekommen sind. Man sagt uns immer, die Brauereien bekommen nur ein paar tausend Waggon Gerste, das mache nichts. Und trotzdem könnten wir die 10.000 oder 12.000 Waggon Gerste heute gut gebrauchen, weil wir kein Brot haben, keine Graupen, gar nichts, und weil es ein Verbrechen ist, wenn in solcher Zeit Volksnahrungsmittel in überflüssige Genußmittel umgewandelt werden. Aber nicht allein daß ihnen die Gerste zugewiesen wird, sie kaufen auch noch schwarz Gerste, ohne daß die Behörden etwas wissen. Die kleinen Brauereien haben ihre Gerste und ihr Malz dem bürgerlichen Bräuhaus in Pilsen abgegeben und haben dann Bier aus Rüben gebraut und auch für diese Dividendenjauche nahmen die Aktienbrauereien dem Volke, den Arbeitern ihre teueren, schwer verdienten Groschen aus der Tasche. Dagegen werden wir uns mit aller Energie wenden. In einer Zeit, wo jeder Waggon Gerste, jeder Waggon Kartoffeln für die Volksernährung unbedingt notwendig ist, ist es verbrecherische Nachlässigkeit des Staates, wenn er da mit geschlossenen Augen zusieht.
Und nun zum Schluß: Wir haben
in diesem Staate, wie bereits meine Vorrednerin Kirpal
ausführte, Mangel an humanitären Anstalten. Wir haben keine Heilanstalten
und können sie nicht bauen. Es gibt aber in diesem Staat eine
ganze Reihe von Prachthäusern, die wir sehr gut in Heilanstalten
umwandeln könnten. Es gibt in diesem Staat eine Reihe von Schlössern
in der schönsten Lage, am Waldesrand oder mitten im Walde, in
den gesündesten Gegenden. Bei diesen Objekten könnten wir vor
allem mit der Sozialisierung beginnen, denn hier macht es keine
Schwierigkeiten. Die deutsche sozialdemokratische Partei wird
Ihnen demnächst einen Gesetzentwurf vorlegen und wir werden Gelegenheit
haben, da Ihr soziales Gewissen zu prüfen; wir werden sehen, ob
Sie es über sich bringen werden, diese Anträge abzulehnen. Wir
werden verlangen, daß man denen, die über drei, vier, fünf prächtige
Schlösser verfügen, die in jedem dieser Schlösser vielleicht nur
drei oder vier Wochen im Jahre wohnen, sie vielleicht überhaupt
Jahre lang nicht sehen, die mit Kapitalien aller Art gesegnet
sind, daß man diesen Herrschaften eines dieser Schlösser abnimmt
und es denen gibt, die es notwendig brauchen, unseren Kranken,
Elenden, Tuberkulosen, unseren rachitischen und skrophulosen Kindern,
die zu Tausenden zugrundegehen, weil ihnen das fehlt, was die
Wissenschaft als das Notwendigste bezeichnet: Luft und Licht!
Wir werden die Probe aufs Exempel machen, ob es Ihrer Parteien
ernst ist mit dem Willen, für das Volk zu sorgen. Es handelt sich
hier nicht um die Niederwerfung des Kapitalismus, sondern nur
darum, daß man das Herz am rechten Fleck hat, daß man ein wirklich
soziales Empfinden hat und daß man geschwind den Ungerechtigkeiten,
mit denen die Welt erfüllt ist, wenigstens den Ärmsten gegenüber,
ein Ende macht. Sollte es sich herausstellen, daß Ihnen dieses
Gewissen fehlt, dann dürfen Sie sich nicht wundern, wenn der Sturm
der Revolution eines schönen Tages über sie hinwegbraust. (Potlesk
nìmeckých poslancù.)
Sehr geehrte Damen und Herren! Zu den Gebieten, auf welchen sich die Folgewirkungen der Kriegszeit heute noch in schlimmster Weise fühlbar machen, gehört unstreitig das Post- und Verkehrswesen.
Alles Material, besonders bei den Eisenbahnen wurde völlig zu Grunde gerichtet und bis heute nicht entsprechend ersetzt oder in gebrauchsfähigen Zustand gebracht. Es mangelt vor allen an rollendem Material, an Lokomotiven und Waggons. Wohl hat das Eisenbahnministerium für Neuanschaffungen Kè 220 Millionen eingestellt, aber mit dieser Summe wird kaum das Allernotwendigste dürftig ersetzt werden können, umsoweniger, als das meiste der Slovakei zu Gute kommt. Ein kleines Beispiel für den Waggonmangel: Im Monate Oktober wurden im Brünner und Falkenauer Revier gegen 15.000 Waggon Kohle weniger abgerollt, weil es an Waggons fehlte. Dies geschieht in einer Zeit, wo alles nach Kohle schreit. Abgesehen vom volkswirtschaftlichen Schaden verliert auch der Staat einige Millionen an Kohlensteuer. Die vorhandenen Lokomotiven befinden sich in einem derartigen Zustande, daß stundenlange Verspätungen zur ständigen Regel geworden sind. Beheizung und Beleuchtung in den Waggons existiert zumeist nur dem Namen nach. Ein Skandal, der seinesgleichen sucht, ist unsere derzeitige Fahrplaneinteilung. Wichtige Gebiete dieses Staates, wie Nordböhmen, Nordmähren, Iglau und auch das westliche Böhmen, werden dadurch vom Verkehre förmlich abgeschnitten. So geht um 12.40 Uhr mittags bis 9 Uhr abends kein Zug von Prag nach Karlsbad oder Eger. Ein einziges Schnellzugspaar verkehrt in Wirklichkeit, das andere steht nur im Fahrplan. Dabei ist jenes Schnellzugspaar ausgeschaltet, das für den Verkehr zweckmäßiger wäre. Solche Zustände herrschen auf allen Linien, wenn dabei deutsches Gebiet in Frage kommt.
Ein überaus trauriges Kapitel, welches leider auf Eisenbahn- und Post in gleicher Weise zutrifft, ist die Güterberaubung, die dem Staat schwere Opfer auferlegt. Ebenso beklagenswert sind die sich im erschreckenden Maße mehrenden Unfälle, Folgen des schlechten Fahrmateriales, der Zugsverspätungen und nicht zuletzt der unsiningen, ständigen Versetzungen des Betriebspersonales, welche als Opfer das nationalen Chauvinismus anzusehen sind. Aber all diese Mängel haben auch eine zumindest für die Bahnverwaltung angenehme Kehrseite. Ständig werden die Tarife sowohl für den Güter- als auch Personenverkehr erhöht. Ohne jede berechtigte Grundlage, ohne jede Prüfung, ob unsere ohnedies schwer erschütterten volkswirtschaftlichen Verhältnisse solche Belastungsproben zu ertragen vermögen, werden ins Blaue und Unendliche hinein die Tarife einmal um 50, das anderemal um 100 % erhöht. Als ganz kleines Beispiel sei angeführt, daß selbst beim ermäßigten Tarifsatze sich die Frachtspesen eines q Kohle von Teplitz nach Reichenberg auf Kè 7.80 stellen. Es erübrigt sich wohl, noch besonders den Nachweis zu führen, daß durch derartige Maßnahmen Handel, Gewerbe und Industrie auf das schwerste geschädigt, teilweise auch völlig lahm gelegt werden.
Die gleich schlimmen Übelstände finden wir beim Postwesen. Die Postbestellung wurde seit dem Bestande der Republik nicht ausgebaut und verbessert, dafür sind aber die Gebühren seit Kriegsbeendigung um 300 % und darüber hinaufgeschraubt worden. Die derzeitigen Portoverhältnisse sind der Schrecken aller Zeitungen, die für die erhöhten Tarife durch eine desto mangelhaftere Bestellung entschädigt werden.
Ein Postpaket braucht oft vom Aufgabetage, wenn man von Prag eine Sendung nach Brünn oder Eger aufgibt, 8 Tage, bevor es seinen Empfänger erreicht, vorausgesetzt, daß es ihn überhaupt erreicht. Mit der Briefpost steht es nicht besser, wobei besonders die Landpostverhältnisse jeder Beschreibung spotten. Dort müssen vielfach Greise, Frauen und Kinder den Dienst versehen, weil sich der Staat nicht dazu aufschwingen kann, einen anständig bezahlten Landpostboten zu bestellen. Dafür hebt aber die Post alle möglichen Arten von Nebengebühren und Bestellgeldern ein, die eine sehr bedeutende Höhe erreichen. Die Expreßgebühren, die früher dem Bestellpersonale zur Gänze ausbezahlt wurde, werden vom demokratischen Staate den armen Teufeln entzogen, um eine Einnahmsquelle des Fiskus zu werden. Ja, dieser Staatshaushalt versteht zu sparen; allerdings am völlig unrichtigen Platze. Eine besondere Misere ist unser Telephonwesen. Die Abonnementgebühr wird zwar alljährlich erhöht, aber die Anschlußverhältnisse, die Gesprächstverbindungen, die Abhörmöglichkeiten werden dafür immer schlechter. Eine neue Telephonstelle zu erlangen, gehört für den gewöhnlichen Sterblichen in dieser Republik zu den unerlebten Wundern. Fast 2 Jahre benötigte man zur Herstellung des derzeitigen undleider unrichtigenTelephonbuches. Es mangelt uns an den zum Ausbau notwendigen Materialien. In Österreich ist das benötigte Material reichlich vorhanden, die valutarischen Verhältnisse für uns günstig und unwillkürlich drängt sich die Frage auf, warum man nicht zugreift.
Aber auch die Bediensteten der
Eisenbahnen und der Post haben alle Ursache, mit ihren Verhältnissen
mehr als unzufrieden zu sein. Mehr als überanstrengende Dienstleistung
auf der einen, schlechte Vorrückungsverhältnisse und noch schlechtere
Entlohnungsverhältnisse auf der anderen Seite. Infolge der bestehenden
Disziplinarmittel, der Gewalt der vorgesetzten amtlichen Instanzen
preisgegeben, versucht man das Koalitionsrecht der Angestellten
und Bediensteten durch Maßregelungen schlimmster Art gewaltsam
zu unterdrücken. Die Möglichkeit des wirtschaftlichen Selbstschutzes
wird brutal unterbunden. Tausende Bahn- und Postangestellte und
Bedienstete wurden nach dem Umsturze gewaltsam von ihren Dienststellen
entfernt, einfach hinausgeworfen, gemaßregelt, präteriert oder
in sonstiger Art gröblichst schikaniert, wahrscheinlich um dadurch
die Staatsautorität zu festigen und zu erhöhen. Den Postbediensteten
verversucht man das Recht, sich zu organisieren, gewaltsam zu
rauben. Unerschrokkene Männer, ich nenne nur die Namen Löwig und
Scholze, die sich an die Spitze der Organisation stellten, hat
man gemaßregelt und man versucht nun diesen Gewaltakt mit Unwahrheiten
zu beschönigen. Das Kapitel Wohnungselend trifft auch für die
Eisenbahn- und Postbediensteten im vollsten Umfange zu und auch
die Verhältnisse in den Betriebswerkstätten der Eisenbahnen erheischen
dringend eine Verbesserung. Unsere Fraktion hat zu all dem hier
Angeführten, eine Reihe Anträge gestellt, welche darauf abzielen,
die derzeitigen unhaltbaren Zustände zu beseitigen oder zu verbessern.
Die Angestellten verlangen wirkliche demokratische Einrichtungen,
das Verschwinden aller Gewaltmaßnahmen, da nur dann bessere Verhältnisse
im Eisenbahn- und Postwesen einkehren werden. Ich ersuche daher
um Annahme der von uns gestellten Anträge. (Potlesk nìmeckých
poslancù.)