Støeda 24. listopadu 1920

Meine Damen und Herren! Ich habe nicht die Absicht, über diese Prager Vorfälle, zu denen ich ja pflichtgemäß als Abgeordneter der deutschen Minderheit in Prag Stellung zu nehmen habe, in der Form einer historischen Darstellung zu sprechen. Ich will, weder vor meinem geistigen Auge, noch vor dem geistigen Auge meiner vielgeprüften Prager deutschen Mitbürger alles jenes wieder neu aufleben lassen, was wir schaudernd selbst erlebt haben. Ich will hier auch nicht von den einzelnen Stationen des der wohlorganisierten und systematisch angelegten Reinigungszuges sprechen, der beim Landestheater begonnen hat, der säm tliche deutschen Bildungs- und Kulturstätten, sämtliche, auch die harmlosesten Vereinsräume, Turnhallen etc. heimsuchte, der sorgfältig auch nicht ein einziges deutsches Haus, nicht eine einzige deutsche Inschrift außeracht gelassen hat, der die Redaktionen der Prager deutschen Blätter gezwungen hat, ihre Tätigkeit einzustellen, der auch unschuldige Passanten und Privatwohnungen nicht schonte und der schließlich auch nicht Halt gemacht hat vor einem dem nationalen Kampfgewiß entrückten Gotteshaus und vor einem Kulturdenkmal, das die gesamte zivilisierte Welt kennt und achtet. Aber ich muß feststellen, daß tatsächlich in diesen Tagen die Prager deutsche Minderheit schutzlos war, wehrlos und rechtlos. Ich muß feststellen, daß die Ereignisse doch vielleicht etwas mehr sind als eine Reihe von gesetzwidrigen Handlungen, wie sie der Herr Ministerpräsident im Senate genannt hat. Ich muß feststellen, daß diese Akte eine Fülle von Rechtswidrigkeiten darstellen, nicht nur gegenüber dem innerstaatlichen Recht sondern daß sie auch schwerste Verletzungen des international garantierten Minderheitsschutzvertrages darstellen.

Es ist bedauerlich, wenn solche Exzesse aufflammen können, es ist bedauerlich, wenn sie einige Stunden andauern können, entsetzlich aber ist es, wenn solche Exzesse begleitet sind von einer absoluten Ohnmacht und von einem vollkommenen Versagen der Staatsautorität. Ich möchte hier hervorheben, daß nicht der Exekutivapparat versagt hat. Ich halte es für loyal zu sagen, daß nach meinen eigenen Beobachtungen und nach den mir zugekommenen Berichten die Beamten und die Mannschaft der Prager Polizei und die Offiziere und die Mannschaft der Gendarmerie mit Takt und mit Entschiedenheit ihre Pflicht getan haben. Versagt, meine Herren, hat die Regierung, die Regierung, deren Aufgabe nach meiner bescheidenen Auffassung gegenüber derartigen Ereignissen darin besteht vorzubauen und abzuwehren. Die Regierung hat nicht die Macht gehabt zur Repression und hat nicht das Geschick oder nicht den Willen gehabt zur Prophylaxe.

Am Dienstag, am Beginn dieser Ereignisse hätte es die Regierung in der Hand gehabt, durch eine einfache Feststellung, der die größtmögliche Publizität verschafft werden konnte, jenen Grund oder jenen Scheingrund zumindestens aus der Welt zu schaffen, der die Prager Ereignisse veranlaßt haben soll. Es ist kein einziges èechisches Kind in Eger verletzt worden (Souhlas nìmeckých poslancù.) und wenn die Regierung von ihrem Plakatierungsrecht, daß sie ja wiederholt anwendet, Gebrauch gemacht hätte, um diese Nachricht in die breiteste Öffentlichkeit zu bringen, so wäre es vielleicht nicht notwendig gewesen, Gendarmerie und Polizei aufmarschieren zu lassen, an deren Verwendung wir wahrhaftig kein Interesse haben.

Der Herr Ministerpräsident hat gestern im Senat gesagt, es sei ja schließlich soweit als möglich alles an deutschen Objekten den Eigentümern wieder zurückgegeben worden.

Meine Damen und Herren! Soweit als möglich und allerdings nicht alles. Soweit ist das richtig. Wenn aber der Herr Ministerpräsident mit diesen Worten den Eindruck erwecken wollte, daß die Rückgabe der deutschen Objekte an die Eigentümer etwas, was in einem Rechtsstaate vielleicht ziemlich selbstverständlich ist, auf die Macht und den Einfluß der Regierung zurückzuführen ist, so muß ich dem zu meinem Bedauern widersprechen. Das Deutsche Haus wurde zurückgegeben, nicht weil die Regierung es wollte, sondern weil die èechischen Studenten das Haus freiwillig geräumt haben. Das Neue deutsche Theater konnte trotz mehrfacher Versicherungen des Herrn Ministerpräsidenten nicht spielen, und es kann erst jetzt spielen, nachdem eine Versammlung des Solistenpersonals des Nationaltheaters unter Beiziehung von Legionären die Einwilligung gegeben hat. Und wenn noch ein Beweis notwendig sein sollte, so möchte ich doch auch, ohne mich in Einzelheiten einzulassen, auf das Landestheater verweisen. Dort sind wir noch nicht so weit, daß die eigentlich herrschenden Faktoren freiwillig das Haus räumen, und deshalb wird es eben nicht geräumt.

Wenn der Herr Ministerpräsident ein bischen schön färbt, so ist das, glaube ich, bei einem Ministerpräsidenten verständlich. Aber bedenklich, und zwar gerade bei einem Ministerpräsidenten, scheint es mir zu sein, wenn er es für notwendig erachtet, für Exzesse welcher Art immer nach einer politischen Begründung und Rechtfertigung zu suchen. Ich bin ein einfacher Bürger, dessen Stellungnahme zu den Gesetzen darin besteht, daß er sie zu befolgen hat, und ich habe keine besondere Pflicht, mich für die Aufrechterhaltung des Rechtszustandes einzusetzen, was mir die Aufgabe einer Regierung zu sein scheint. Aber ich muß sagen, daß ich vorbehaltlos Exzesse verurteile, von welcher Seite immer sie kommen, und daß ich diese abgeklärte Milde, mit der der Herr Ministerpräsident über die Prager Ereignisse gesprochen hat, leider nicht aufzubringen vermag.

Wenn der Herr Ministerpräsident gesagt hat, daß das Ausmaß der Demonstrationen nicht das übliche Maß überschritten hat, so erscheint mir dies ein bischen seltsam und es klingt ich bin überzeugt, daß das nicht die Absicht der Regierung war - darnach, als ob gesagt werden sollte, es ließe sich unter Umständen auch noch etwas mehr ertragen. Wenn der Herr Ministerpräsident ferner gesagt hat, der Grund liege in irgend einem Verhalten der Deutschen und wenn der Grund schwinde, so werden die Exzesse schwinden, so liegt der Gedanke sehr nahe, die Sache umzudrehen und zu sagen: Wenn der Grund nicht schwindet, werden auch die Exzesse nicht schwinden. (Souhlas nìmeckých poslancù.) Wenn der Herr Ministerpräsident schließlich davon gesprochen hat, daß die Prager Ereignisse durch Eger hervorgerufen waren, so finde ich leider in diesem Satze des Herrn Ministerpräsidenten eine Verbeugung vor jener allgemeinen Anschauung, die in dieser Frage herrscht. Hiezu muß ich zunächst sagen, daß die Vergeltung, die da geübt worden ist oder geübt worden sein soll, ungerecht wäre, weil wir festgestellt haben, daß das Hauptgravamen, welches Sie vorgebracht haben, vollkommen unberechtigt und niemals wahr war. Aber ich muß weitergehen und erklären, daß ich im Namen der deutschen Minderheit von Prag auf das schärfste dagegen protestiere, daß diese deutsche Minderheit von Prag als Geisel und als Pfandobjekt verwendet werden soll, wenn irgend etwas in Deutschböhmen geschieht oder wenn Sie sich einbilden, daß etwas in Deutschböhmen geschieht. (Souhlas nìmeckých poslancù.)

Meine Damen und Herren! Selbst der radikalste Redner auf Ihrer Seite, selbst die radikalste Zeitung auf èechischer Seite hat nicht mit einem Wort darauf hinweisen können, daß die Prager deutsche Minderheit irgendwie den Anlaß zu diesen Exzessen, die sich gegen sie gerichtet haben, gegeben hat. So sehr wir den Zusammenhang fühlen mit den Randdeutschen, so wird doch dieser Zusammenhang weder von den Randdeutschen noch von den Inseldeutschen so aufgefaßt, daß sie wechselseitig die Prügelknaben wären und gegenseitig das Pfandobjekt bildeten. (Souhlas nìmeckých poslancù.) Ich bin ein Prager und habe es 1897 und 1908, ich darf wohl sagen, an eigenem Leib erlebt; ich verwahre mich dagegen, daß sich das von Jahr zu Jahr oder von Lustrum zu Lustrum wiederholt, daß am ersten Tag national, am zweiten antisemitisch und am dritten in anderer Weise demonstriert wird, von der ich hier nicht sprechen will.

Ich verwahre mich nicht nur dagegen, sondern ich warne Sie, nicht vom Standpunkte der Prager deutschen Minderheit, sondern vom Standpunkt ihrer eigenen Interessen. Ich warne Sie davor, diese Methode aus dem alten Österreich, wo Sie doch auch schon den Ruf einer Landeshauptstadt zu wahren hatten, hinüberzunehmen in eine Zeit, wo ihnen der Ruf einer Reichshauptstadt heilig sein müßte.

Meine Damen und Herren! Sie wollen, daß Prag die Reichshauptstadt auch jener Millionen sein soll, welche der deutschen Nation angehören, Sie wollen, daß hier Zentralstellen sind, Sie versammeln hier die Missionen aller europäischen und außereuropäischen Staaten, Sie wollen sogar unsere Hochschulen hier behalten, obwohl Sie uns wahrhaftig durch diese Tage bewiesen haben, daß das für jeden von uns nunmehr ein überwundener Standpunkt sein muß und Sie glauben wirklich, daß Sie alles das tun können, wenn Sie die Prager Straße von Jahr zu Jahr oder in etwas größeren Pausen zum Schauplatze derartiger Unruhen und Exzesse machen?

Meine Damen und Herren! Die Prager Unruhen waren nach Ihrer eigenen Auffassung eine Anwendung des Prinzipes der Vergeltung. Ich will nicht von der Gerechtigkeit oder Ungerechtigkeit der Vergeltung im einzelnen Falle sprechen; aber ich möchte Ihnen sagen, daß Sie, wie mir scheint, Ihre ganze Politik auf dem Grundgedanken der Revanche und der Rache aufgebaut haben. Sie revanchieren sich für das, was Ihnen geschehen ist, und für das, was Ihnen nicht geschehen ist. Sie revanchieren sich auch für das Gute, das Ihnen getan worden ist. Sie revanchieren sich für das, was während des Weltkrieges gefehlt wurde, Sie revanchieren sich für das, was im alten Österreich geschehen ist und wir haben gestern hier gehört, daß das nicht ímmer einen Grund zur Rache gebildet hat. Sie revanchieren sich, meine Damen und Herren, wenn Sie schon nichts anderes mehr finden, für das Jahr 1620 und immer wieder an uns, die wir weder 1620, noch den Weltkrieg, noch irgend etwas von dem verschuldet haben, was allenfalls österreichische Regierungen getan haben. Und wenn es Ihnen nicht möglich ist, auch bei einem Zurückgreifen in die dunkelste Vergangenheit einen Grund zur Revanche zu finden, so revanchieren Sie sich für etwas, was hätte geschehen können; und wenn alle Scheingründe versagen, dann kommen Sie mit der Erwägung: wie wäre es uns gegangen, wenn die Deutschen gesiegt hätten! Auf diese Weise kann man für eine Zeit lang Parteipolitik betreiben, auf diese Weise kann man sich für eine Spanne Zeit Popularität sichern, auf diese Weise kann man eine Wahlkampagne führen, das verstehe ich, aber auf diese Weise werden Sie nie die Aufgabe erfüllen können, die Ihnen der 28. Oktober 1918 gesetzt hat, auf diese Weise werden Sie nie einen Staat aufbauen und lebensfähig erhalten können. In dieser Krise, wie in allen anderen Krisen dieses Staates, tritt eben drängend die Alternative zwischen einem friedlich und fruchtbar arbeitenden Nationalitätenstaat und einem durch den verheerenden Kampf im Innern geschwächten Nationalstaat an Sie heran. Zugleich die Alternative, ob Sie unsere Mitarbeit wollen, oder ob Sie immer und immer wieder uns in die Negation hineinzwängen wollen.

Und wenn wir schon von dieser Mitarbeit sprechen, so möchten wir doch das endlich einmal etwas klarer tun und ehrlicher als dies bisher von èechischer Seite geschehen ist. Von èechischer Seite wird immer gesagt, daß auf deutscher Seite eine Bereitschaft zur Mitarbeit nicht bestehe, oder um einen Preis erkauft werden müßte, der nicht gezahlt werden könne. Ich stelle fest, daß nach den Friedensschlüssen trotz aller Ereignisse, über die ich ja hier nicht sprechen muß, sämtliche deutschen Parteien, wenn auch unter Vorbehalt des Selbstbestimmungsrechtes, das ja ein unveräußerliches Recht ist und auf das wir nicht verzichten könnten, auch wenn wir tausende Erklärungen dieser Art abgeben würden, daß also sämtliche deutschen Parteien von der äußersten Rechten bis zum äußersten linken Flügel ein Programm aufgestellt haben, das innerhalb der Grenzen dieses Staates verwirklicht werden kann. Wir haben die Bereitschaft zur Mitarbeit sämtlicher Parteien schon dadurch bekundet. Und wenn Sie sagen, daß wir diese Mitarbeit an Bedingungen knüpfen, die für Sie unannehmbar sind, so antworte ich Ihnen damit, daß wir keine anderen Bedingungen stellen als jene, welche im Memoire HI niedergelegt sind. Wenn aber diese Bedingungen des Memoire III tatsächlich für den Staat unannehmbar oder für Ihre Nation gefährlich sind, dann bitte ich Sie, Herrn dr. Kramáø und Herrn dr. Beneš zur Verantwortung zu ziehen, die dieses Memoire überreicht und vertreten haben. (Souhlas nìm. poslancù.) Sie sehen, nicht wir sind es, die die eine Möglichkeit hemmen.

Es gibt auch eine andere Möglichkeit, aber die Gefahren dieser Möglichkeit werden Sie wohl selbst erkennen, die Gefahren dieser Möglichkeit, die vielleicht noch nie so klar aufgezeigt worden sind, wie gerade durch die Ereignisse der letzten Tage. Eine èechische Partei ist es vor allem, die den De monstrationen ein besonderes Verständnis, ich will nicht sagen, Wohlwollen entgegenbringt. Es ist die Partei der Nationaldemokraten. Das ist jene Partei, deren Grundsatz meines Wissens die Aufrechterhaltung der Ordnung ist, jene Partei, die mit ganz besonderer Entschiedenheit und Konsequenz den Kampf gegen den Bolschewismus führt. Glauben Sie nicht, daß gerade diese Partei sich dessen bewußt sein müßte, daß das, was hier geschehen ist, nichts anderes ist als eine Kette von gewaltsamen Ereignungen und ein Musterbeispiel der Diktatur? Und glauben Sie nicht, meine Herren Nationaldemokraten, daß wenn man einmal Verständnis hat für eine gewaltsame Enteignung durch die Straße und für irgendeine Art von Diktatur, daß man es dann schwer begründen kann, wenn man die Diktatur einer so großen Schichte, wie es das Proletariat ist, ablehnt? Für alle èechischen Parteien aber gilt es, daß diese letzten Ereignisse sich als eine gefährliche Bekämpfung jeder staatlichen Ordnung darstellen.

Meine Herren! Entfesselte Gewalt kennt keine Grenzen. Der Anarchie kann man nicht ein bestimmtes Ziel setzen und das, was hier geschehen ist, kann und muß sich in anderer Form und in anderer Richtung wiederholen, wenn es gehegt und gepflegt wird. Prüfen Sie, meine Herren, ob Sie wollen, daß die Entwicklung der Prager Ereignisse beispielgebend sein soll für die Entwicklung der allgemeinen Verhältnisse in diesem Staate. Werten Sie die Sturmzeichen der letzten Tage, die gerade für Sie eine Warnung sind, für jeden von Ihnen, der nicht will, daß der Staat das letzte Opfer werde. (Potlesk na levici.)

4. Øeè posl. Hausmanna (viz str. 483. protokolu):

Meine Damen und Herren! Der Herr Ministerpräsident hat vor einigen Tagen im Senat den Ausspruch getan: "Menschenblut ist das wertvollste Gut der Welt." In logischer Konsequenz und Anerkennung der gewiß von niemandem bestri ttenen Tatsache dieses Ausspruches müßte der Herr Ministerpräsident auf dem. Standpunkte stehen, daß diesem wertvollsten Gut der Welt, das nebenbei noch der größte Reichtum eines jeden Staates ist, daß diesem Gut, dem Menschen, der größte Schutz zu Teil wird in jedem Staate, Schutz insbesondere dem produktive Werte schaffenden Menschen, Schutz nicht bloß dem arbeitsfähigen, dem gesunden Menschen, Schutz insbesondere auch den Kranken, Invaliden, den Alten, verunglückten, Schutz insbesondere dem werdenden Menschen. Es ist die Frage gewiß am Platze: Was hat dieser Staat bisher getan, um diese erste und vornehmste Aufgabe eines jeden Staatswesens zu erfüllen und dieser Pflicht Genüge zu leisten? Was gedenkt insbesondere die jetzige Regierung zu tun, um diesen Schutz herbeizuführen? Die Antwort auf diese Frage gibt uns das zur Beratung vorliegende Budget klar und unzweideutig. Im Budget wird eine ungeheuere Summe ausgeworfen, nicht zum Schutze des Menschen, sondern für den Moloch Militarismus, für den Militarismus, der nicht dazu da ist, noch nie dazu da war und auch nie dazu da sein wird, um den Menschen zu schützen, sondern um Gut und Menschen zu vernichten, den Frauen den Gatten, den Kindern ihren Vater zu rauben, oder diese zu hilflosen Krüppeln zu machen. Die Summen dagegen, die das Budget aufweist, welche den Schutz des arbeitenden Menschen herbeiführen sollen, sind lächerlich gering zu nennen. Wir finden darin kein Wort und keine Ziffer über die Alters- und Invalidenversicherung, wir finden Beträge wohl für die Arbeitslosenunterstützung, für die Jugendkriegsbeschädigten und für die Wohnungsfürsorge, für Gewerbeinspektion, für Mutter- und Säuglingsschutz und Arbeitsvermittlung, aber gemessen an jener Summe, die zur Vernichtung der Menschheit ausgegeben werden soll, sind die Beträge unzureichend und lächerlich. Es ist eine Tatsache, daß wohl in keinem Staate der Klassencharakter so zum Ausdruck kommt, wie in dem Budget, das uns hier zur Beratung vorgelegt worden ist. Es ist das ein Beweis, daß dieser Staat ein Staat der Nutznießer, ein Staat der Parasiten der menschlichen Gesellschaft ist, ein Staat jener, die andere für sich arbeiten lassen. Der ganze Aufbau des Budgets zeigt dies. Aber nicht bloß diesen Mangel hat das Budget, sondern den weiteren, daß auch jene Beträge, die eingestellt worden sind, um produktive volkswirtschaftliche Werte zu schaffen, ebenfalls unzulänglich sind. Diejenigen Gesetze, die entweder vom alten Österreich übernommen oder während des Bestandes dieses Staates neugeschaffen worden sind, jene Gesetze, die man Arbeiterschutzgesetze nennt, werden, und davon kann jeder, der in der Arbeiterbewegung tätig ist, den Beweis tausendmal erbringen, diese geringen Wohltaten der bestehenden Gesetze werden entweder von den Bürokraten dieses Staates sabotiert (Souhlas nìm. poslancù.) oder durch Erlässe der Ministerien verschlechtert und verschandelt.

Wir haben in allerster Linie, was jeder Staat nach dem Zusammenbruch tun mußte, wogegen sich jede Regierung in der Vorkriegszeit, trotzdem es eine jahrelange Forderung der Arbeiterschaft gewesen ist, währte, wir haben in diesem Staate auch die Arbeitsloseunterstützung bekommen durch das Gesetz vom 10. Dezember 1918. Dieses Gesetz ist, trotzdem daß sich die wirtschaftlichen Verhältnisse seitdem sehr geändert haben, nicht bloß nicht verbessert, sondern bedeutend verschlechtert worden. Es besteht eine Menge gesetzlicher Änderungen, die in diesem Hause beschlossen worden sind, es besteht aber auch eine Unzahl von Erlässen des Ministeriums für soziale Fürsorge, und es steht nun so, daß sich weder das Ministerium für soziale Fürsorge, noch die politischen Beamten, noch irgendwer mehr in dem Gesetze auskennt. Dies alles hat den Zustand geschaffen, daß in dem einen Bezirke irgendetwas gilt, was in dem anderen Bezirke verboten ist. Wir haben die letzte Änderung dieses Gesetzes durch eine Maßnahme, durch den Parlamentsersatz bekommen, durch den Ständigen Ausschuß, durch eine Neuänderung, die am 1. September dieses Jahres beschlossen worden ist. Durch diese Änderung wird aber nicht, wie die Arbeiterschaft allgemein gehofft hat, wie es jeder vernünftige Mensch als notwendig erklären muß, eine Erhöhung der Unterstützung, eine Verbesserung dieses Gesetzes herbeigeführt, sondern es bleibt beim alten. Die höchste Grenze der täglichen Unterstützung, die seinerzeit im Jahre 1918 bei Schaffung des Gesetzes mit 10 K für eine sechsköpfige Familie festgesetzt worden ist, hat eine Änderung nach oben nicht erfahren. Auch heute noch muß der arbeitslose Arbeiter mit seiner Familie, mit sechs Köpfen mit 60 Kronen in der Woche sein Auslangen finden, oder er soll es vielmehr finden. Er findet es in Wirklichkeit nicht und es ist deshalb begreiflich, daß alle diese Arbeiter, die infolge des Mangels an Beschäftigung endlich einmal dazu kommen, die staatliche Arbeitslosenunterstützung zu erhalten, sich Nebenerwerb schaffen müssen. Wenn dieser Nebenerwerb nicht immer mit den gesetzlichen Bestimmungen in Einklang zu bringen ist, so kann niemand, der noch ein soziales Empfinden hat, der noch ein Verständnis für die wirklichen Tatsachen besitzt, die betreffenden Arbeiter dafür verantwortlich machen. Schuld sind diejenigen, die bisher nicht in der Lage waren, ob mit Absicht oder aus Unfähigkeit, die volkswirtschaftlichen Verhältnisse dieses Staates so zu bessern, daß alle diejenigen, die arbeiten wollen, auch tatsächlich Beschäftigung finden. Man darf aber nicht annehmen, daß bei dieser Unterstützung, die in der höchsten Grenze 10 Kronen ausmacht, daß von Familienmitgliedern nur jene mit 1 Krone täglich Unterstützung in Betracht kommen, die entweder noch schulpflichtig sind, oder der Schulpflicht überhaupt noch nicht unterstehen. Nein, mit dieser einen Krone müssen auch die erwachsenen Familienmitglieder sich zufrieden geben, trotzdem wiederum jedermann weiß, daß in sehr vielen Arbeiterfamilien die erwachsenen Kinder infolge der wirtschaftlichen Misere sich ein eigenes Heim nicht zu gründen vermögen, sich nicht zu verehelichen vermögen infolge der Wohnungsnot und infolge des wirtschaftlichen Elendes überhaupt. Und diese Menschen erhalten 1 Krone pro Tag.

Nach der Verfügung des Ständigen Ausschusses ist scheinbar eine Verbesserung in diesem Gesetze eingetreten, indem dort erklärt wird, daß außer dem Haushaltungsvorstand noch zwei andere erwachsene Familienmitglieder die volle Unterstützung von Kè 5.- erhalten können, wenn sie zu dem Kreis der Familienmitglieder gehören und wenn bisher der Haushalt von ihrem Verdienst mitabhängig war. Diese Bestimmung wird vom Ministerium, von den politischen Beamten vollständig sabotiert. Es bekommt überhaupt niemand trotz dieser gesetzlichen Bestimmung diese Unterstützung. Wenn der Haushaltungsvorstand zufälligerweise noch Arbeit hat und die erwachsenen Angehörigen der Familie arbeitslos sind, bekommen sie ebenfalls nichts, trotzdem nach dem bürgerlichen Gesetzbuch eigentlich ein Zusammenhang im juristischen Sinne mit der Familie überhaupt nicht besteht, weil doch der Vater nicht verpflichtet werden kann, für einen 24- oder 30jährigen Sohn oder eine erwachsene Tochter noch die Erhaltungskosten zu zahlen.

Dem Ministerium für soziale Fürsorge ist durch die gesetzlichen Bestimmungen eine besondere Macht eingeräumt worden, und zwar in der Richtung, daß das Ministerium das Recht hat, für bestimmte Bezirke, für bestimmte Berufe die Arbeitslosenunterstützung entweder ganz oder teilweise einzustellen. Das ist nun in reichlichem Maße geschehen und es ist ein Leidensweg für die Arbeiterschaft infolge Arbeitslosigkeit sich um die Unterstützung bewerben zu müssen, ehe sie überhaupt zu dieser kargen Unterstützung kommt. Man hat beispielsweise alle in der Hauswirtschaft, in der Land- und Forstwirtschaft beschäftigten Arbeiter ausgeschaltet, die sind schlechtweg ausgeschaltet, trotzdem es Tatsache ist, daß insbesondere die Forstarbeiter wochen- sogar monatelang in ihrem Berufe ohne Beschäftigung sind. (Výkøik: Auch in den staatlichen Forsten!) - Auch in den staatlichen Forsten und trotzdem jedermann weiß, daß es nicht mehr so ist, wie in der Vorkriegszeit, daß diese Saisonarbeiter in der saisonlosen Zeit sich in anderen Berufen Beschäftigung sucheu konnten. Es ist aber nicht bloß diese Arbeitergruppe. Für die baugewerblichen Arbeiter hat die Regierung einen Erlaß hinausgegeben und zwar vom 15. Oktober dieses Jahres unter der Zahl 15754. Wir haben davon früher schon Kenntnis gehabt. Das Ministerium hat wohl nicht sagen können, daß die in baugewerblichen Betrieben beschäftigten Arbeiter nach dem Gesetze die Unterstützung überhaupt nicht bekommen können das hat das Ministerium gnädig erlaubt, es hat zugestimmt und erklärt, daß keine Bestimmung vorhanden ist, wodurch man diese Arbeiter um die Unterstützung bringen könnte. In der Zuschrift, die wir erhalten haben, hat aber das Ministerium für soziale Fürsorge erklärt, daß, wenn bauberufliche Arbeiter während der ganzen Saison beschäftigt waren, Verdienst und dabei Gelegenheit hatten, sich Ersparnisse zu machen, daß diese Arbeiter ebenfalls von der Unterstützung ausgeschaltet sind. Das sagt das Ministerium für soziale Fürsorge in einer Zeit, wo die Arbeiterschaft sich weder ernähren noch bekleiden kann, noch sich eine entsprechende Wohnung zu verschaffen vermag. Wir haben beim Ministerium für soziale Fürsorge angefragt und haben gemeint, es sei notwendig, wenn es schon im Staatsinteresse gelegen wäre, auf Kosten der Arbeitslosen das Gleichgewicht im Staatshaushalte herbeizuführen, daß das Ministerium für soziale Fürsorge zumindest die Weisung hinausgibt, wieviel nach seiner Ansicht eigentlich der Arbeiter verdient haben muß, um sich Ersparnisse machen zu können. Wir haben das Ministerium ersucht, es möge die Lohnsumme, die es als hinreichend ansieht, um diese Ersparnisse zu machen, angeben. Das Ministerium hat nicht geantwortet.

Es ist uns aber möglich gewesen, von diesem Erlasse Kenntnis zu bekommen und ich will nun, meine verehrten Damen und Herren, Ihnen einmal darstellen, was der bestqualifizierte Arbeiter in der höchsten Lohnklasse während dieser Zeit hätte verdienen können, wenn der Arbeiter die ganze Zeit jeden Tag seine 8 Stunden tatsächlich Beschäftigung gefunden hätte. Wie alle Welt weiß, ist das beim Bauberuf nicht möglich, weil ja dieser von den Witterungsverhältnissen abhängig ist und weil bei der gesamten Bautätigkeit auch öfters ein Arbeitswechsel und dadurch eine teilweise Arbeitslosigkeit von kürzerer Zeit bedingt ist. Die Arbeiter, von denen ich spreche, die bestqualifizierten, hätten in dieser Zeit den Gesamtbetrag von 7656 Kronen 64 Heller verdient, vorausgesetzt, daß diese Arbeiter vom 15. März bis 15. Oktober jeden Tag diese 8 Stunden hätten tatsächlich arbeiten können. Den Nachweis, daß dies so ohneweiters möglich ist, wird wahrscheinlicherweise das Ministerium schuldig bleiben müssen und es ist nicht zuviel gesagt, wenn ich erkläre, daß die Handhabung des Arbeitslosengesetzes in diesem Staate ein Schandfleck für diesen Staat ist, daß es geradezu skandalöse Zustände sind, die da eingerissen sind. Und es wäre ein sehr erfreuliches Moment in dieser überaus traurigen und düsteren Zeit, wenn sich die Mehrheit des Hauses dafür erklären und dazu aufraffen könnte, dieses Treiben im Ministerium für soziale Fürsorge einzustellen. Ich weiß ja nicht, ob jene, die es nicht nötig haben, zu arbeiten, die andere für sich arbeiten lassen können, die das Arbeitserträgnis der anderen für sich in Anspruch nehmen, für derartige nichtige DingeVerständnis haben. Wenn der Klassenhaß bei den bürgerlichen Parteien nicht jedes Denken und jedes Verständnis für die sozialen Pflichten des Staates weggeputzt hat, dann ist zu erwarten, daß sie tatsächlich dafür eintreten, daß endlich den Arbeitslosen ihre gesetzliche Unterstützung zuteil wird.

Wenn das Ministerium für soziale Fürsorge daran gehen würde - und meiner Auffassung nach wäre es seine Pflicht zu untersuchen, ob mit diesem Betrag ein Arbeiter daheim sein Auskommen finden kann - so würde ich dem Herrn Minister empfehlen, eine Aufstellung seines Herrn Kollegen, und zwar des Ministers für Volksernährung zur Hand zu nehmen. Das Ministerium für Volksernährung hat sich da gewiß einer notwendigen und lobenswerten Aufgabe unterzogen, einmal durch Indexziffern festzustellen, welche Preisänderungen denn seit 1914 in den notwendigsten Bedarfsartikeln eingetreten sind. Das Ministerium für Volksernährung sagt, daß bei Weizenmehl eine Steigerung von 1440, bei Brotmehl von 1417, bei Kartoffeln 1619, bei Erbsen 2633, bei Linsen 1997, bei Mohn 1710, bei Eiern 1875, bei Milch 1481, bei rohem Schweinefett 1923, bei Butter 1929, bei Rindfleisch 1368, bei Schweinefleisch 2033, bei Schöpsenfleisch 2105, bei Zucker bis September 425, bei Zichorie 1107, bei gewöhnlichem Bier 750, bei Soda 4000, Salz 692, bei Zwiebeln 1772, bei eingelegtem Kraut 666, bei Petroleum 1785, bei Zündhölzchen 2526, bei Brennholz 1704, bei Braunkohle 1602, bei Schwarzkohle 1986 und bei Textilwaren und Schuhwerk um 1918 % eingetreten ist. Wenn sich das Ministerium für soziale Fürsorge daranmacht - und ich wiederhole, es wäre seine Pflicht, sich darüber einmal reine Wahrheit zu verschaffen, um auch das Schlagwort der sogenannten hohen Löhne mit zuwiderlegen, - so soll es einmal aufstellen, was auf Grund dieser Ziffern, auf Grund dieser bisher vorliegenden amtlichen Ziffern, ein Arbeiter tatsächlich zum Leben notvendig braucht. Und das Ministerium für soziale Fürsorge muß zu der Erkenntnis kommen, daß nicht bloß die Arbeitslosen-Unterstützung sehr bald einer Revision unterworfen werden muß, sondern das Ministerium für soziale Fürsorge könnte dadurch auch eine sehr lobenswerte Aufklärung der ganzen Bevölkerung bringen. Denn diejenigen, die sich so sehr über die hohen Löhne ereifern, das sind ja in der Regel die, die überhaupt selber nicht arbeiten, (Souhlas nìm. poslancù.) die das Erträgnis der anderen für sich in Anspruch nehmen und entrüstet sind, daß die Arbeiter ebenfalls versuchen, ihr Lohn-Einkommen den Lebens-Bedürfnissen annähernd anzupassen. Aber ich glaube, es wird sehr schwer sein, irgendeine Arbeitergruppe oder einen Teil der Arbeiter überhaupt festzustellen, die ihre Löhne nach dieser Aufstellung seit 1914 haben erhöhen können. Wenn man den Durchschnitt dieser amtlichen Ziffern nimmt, so ergibt das eine Erhöhung aller Bedarfsartikel um 1710 %, und ich weiß nicht, wieviele Arbeitergruppen es gibt, die ihre Löhne gegen 1914 um diesen Betrag haben erhöhen können. Und wenn sie annähernd diese Löhne haben, so haben sie sie nicht erhalten deshalb, weil auf der anderen Seite das notwendige Verständnis da war, sondern sie haben sich diesen Lohn, der diese Höhe noch nicht erreicht hat, sehr oft in bitterem, wochenlangem Kampfe erst erringen müssen. Aber nicht bloß, daß das Ministerium für soziale Fürsorge sich um diese Dinge nicht in der Weise kümmert, wie es eigentlich seine Pflicht ist, wie es schon der Name dieses Ministeriums sagt (Výkøik: Es wird seinen Namen ändern müssen, das ist eine Falschmeldung. Ministerium für soziale Ungerechtigkeit!). Sehr richtig! Wenn das Ministerium für soziale Fürsorge sich nur auf dieses Gebiet beschränken würde, so müßte man sich schließlich damit abfinden.


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