Hohes Haus! Der reiche und bunte Kranz steuerlichen Vorlagen,
mit dem wir uns hier zu beschäftigen haben, erfordert unsere
Stellungnahme nicht nur vom wirtschaftlichen und finanzpolitischen,
sondern auch vom politischen Gesichtspunkt aus. Wenn wir die verschiedenen
neuen Belastungen betrachten, müssen wir uns zuerst die Frage
vorlegen, ob denn die Behauptung richtig ist, die wir so oft gehört
haben, daß die Belastung der Bevölkerung gleichmäßig
erfolgt und daß zudiesen Lasten von allen Seiten gleiche
Opfer gebracht werden. Ich möchte zunächst diese Frage
an Hand einiger konkreter Ziffern ansehen.
Wir erhöhen das Finanzeinkommen des Finanzministeriums durch
die neuen Abgaben um etwa 20 Prozent. Die direkten Steuern sollen
durch die neuen Vorlagen um 27 Prozent erhöht werden, die
Gebühren um etwa 11 Prozent, die Verbrauchssteuern um 15
Prozent. Die Einkommensteuer, die allgemeine und die besondere
Erwerbsteuer erfahren jedoch auf Grundlage der jetzt vorliegenden
und nun vom Hause zu genehmigenden Vorlagen eine Steigerung um
41 Prozent. Die außerordentliche Gewinnsteuer bedeutet in
ihrer jetzigen Fassung eine Steigerung von 60 Prozent der Staatssteuer,
d. h. der allgemeinen und besonderen Erwerbsteuer ohne die Zuschläge.
Mit Ausnahme der hier genannten 3 direkten Steuern werden durch
die neuen Vorlagen die anderen direkten Steu ern nicht berührt.
Dies festzuhalten ist notwendig, weil schon dadurch zum Ausdruck
kommt, daß höchstens nur indirekt die Steuerpflichtigen
der anderen Steuern berührt werden. Das ist wichtig auch
aus dem Grunde, weil an sich schon die ganze bisherige Entwicklung
dahin gegangen ist, die direkten Steuern immer mehr und mehr zu
belasten und daher vor allem die beiden Erwerbsteuern unter einen
außerordentlichen Druck zustellen d. h. also: schon Jahre
hindurch werden die Hauptlasten der steuerlichen Belastungen auf
die Produktion herübergeleitet.
Wir müssen jedoch daran erinnern, daß wir bisher immer
in diesem Hause und auch im Budgetausschusse gehört haben,
daß es eine Lebensfrage der èechoslovakischen Wirtschaft
und auch der Staatsfinanzen ist, daß die Produktion wesentlich
gefördert wird, und zwar aus dem Grunde, weil die Produktion
eine sehr wertvolle Funktion besitzt, nämlich die Funktion,
Arbeit zu beschaffen. Nur von diesem Gesichtspunkte aus betrachten
wir diese Frage, und ich muß feststellen, daß sowohl
die Staatsfinanzen einen ganz beträchtlichen Ausfall an Einkommen
besitzen, als auch die Möglichkeit, unsere Bevölkerung
zu ernähren, wesentlich eingeschränkt wird, wenn die
Produktion nicht in entsprechender Weise in Gang gebracht werden
kann. Wenn daher das ganze Haus der Auffassung ist, daß
die Produktion einer besonderen Förderung bedürftig
ist, dann, meine sehr geehrten Herren, müssen wir uns auch
darüber im klaren sein, daß daraus die Konsequenzen
gezogen werden. Ich freue mich, daß Kol.
Dr. Klapka und Vièánek gestern indirekt
dasselbe gesagt haben, weil es bis vor kurzem, meine sehr geehrten
Herren, in diesem Hause verpönt war, für die Ankurbelung
der Unternehmerinitiative ein Wort zu sagen, da eine gewisse Furcht
bestand, daß man eigentlich Unternehmerinteressen dient,
wenn man dies tut. Das ist unrichtig. Ich glaube, vom Standpunkt
der Sudetendeutschen Partei, die für eine sehr weitgehende
soziale Evolution und ein neues soziales Gewissen eintritt, hier
diese Feststellung machen zu können und ausdrücklich
zu betonen, daß es notwendig ist, keine Gesetze und keine
Verfügungen zuzulassen, welche imstande wären, die Betriebsamkeit
zu hemmen; vielmehr ist die Bereitschaft, Unternehmungen zu schaffen
- mit all den persönlichen Lasten, die damit verbunden sind,
die Initiative zu erhalten - und dafür zu sorgen, daß
auf diesem Wege dem Staate die Sorge um die Arbeitsbeschaffung
und um die Arbeitslosen genommen wird. Hier muß sich das
hohe Haus grundsätzlich zu einer neuen Einstellung bekennen,
nämlich nicht bloß mit Worten der Produktion freundlich
gegenüberzustehen, sondern auch mit Taten.
Ich stelle also fest, daß bei diesen Vorlagen die Produktion
ganz wesentlich getroffen ist; wir hatten schon im Ausschuß
Gelegenheit, ausdrücklich darauf hinzuweisen, daß wir
befürchten, die Produktion könnte in einem solchen Maße
tangiert werden, daß sogar die soziale Frage von neuem aufgerollt
werden könnte. Wir, die wir im Sudetendeutschen Gebiet in
der Hauptsache von der industriellen Produktion leben, wo also
die größere Zahl der Menschen in ihrer Lebensexistenz
davon abhängig ist, ob es möglich ist, ihnen Arbeit
in den Fabriken zu geben, wir müssen natürlich um so
mehr darauf drängen und es für um so notwendiger erachten,
daß Sie, das ganze Haus, sich zu der Auffassung bekennnen,
daß die Erhaltung der Produktion sowohl eine soziale als
auch eine finanzpolitische Notwendigkeit ist. Denn es scheint
mir, daß bei unserem Steuersystem, wenn nicht die Räder
im Gange sind und die Schlote rauchen, es unmöglich ist,
unsere Bevölkerung zu erhalten, ihr eine Lebensexistenz zu
geben. Ich stelle also hier ausdrücklich fest: Bei der ganzen
kommenden Finanzpolitik müssen wir alles dazu beitragen,
daß für die Produktion keine solchen Hemmungen entstehen,
die ihre weitere Einschrumpfung zur Folge hätten.
Auf der anderen Seite ist vom staatsfinanzpolitischen Gesichtspunkt
immer wieder die Notwendigkeit betont worden, in weitest em Maße
zu sparen. Ich habe das Gefühl, daß das Budget, das
vor einigen Tagen hier erledigt wurde, kein Sparbudget ist, kein
Budget, das der wichtigen unaufschiebbaren Forderung, auf allen
Gebieten der Staatswirtschaft zu sparen, entspricht. Denn wenn
wir uns im Zusammenhang mit den hier vorliegenden Steuern einige
Tatsachen vergegenwärtigen, so sehen wir, daß manche
dieser Belastungen unter Umständen hätten vermieden
werden können, wenn man eben mehr gespart hätte. Ich
erinnere z. B. daran, daß die Erhöhung der beiden Dispositionsfonde,
die merkwürdigerweise auch die Demokratie kennt und die 22
Millionen ausmacht, um 7 Millionen mehr beträgt, als das
Erträgnis aus der ganzen Limonadensteuer, die wir der Produktion
und auch dem Konsum auferlegen. Oder das Mehrerfordernis des Ministeriums
des Innern in der Höhe von 164 Millionen, die vor allem für
die militärische Ausrüstung von Polizei, Gendarmerie
und Finanzwache verwendet werden sollen, beträgt um etwa
14 Millionen mehr als der ganze erwartete Betrag aus der außerordentlichen
Gewinnsteuer. Diese ist im Budget mit 150 Millionen eingesetzt,
während dieses Mehrerfordernis des Ministeriums des Innern
164 Millionen beträgt. Ich weiß nicht, ob es ein absolut
dringliches Bedürfnis war, die Polizei zu einer mit Tanks
und Maschinengewehren ausgerüsteten Truppe zu machen, wie
wir vor wenigen Tagen Gelegenheit hatten, bei der 15 Jahr-Feier
der Polizei in Reichenberg den Aufmarsch mit Tanks, Maschinengewehren
und motorisierten schwerbewaffneten Polizisten anzusehen. Jedenfalls
hat es gerade bei unserer Bevölkerung nicht den Eindruck
gemacht, als ob hier eine absolute Staatsnotwendigkeit geschaffen
worden wäre, im Gegenteil, unsere Leute sagen sich: "Gegen
uns braucht man keine Tanks, uns braucht man nicht vorzuführen,
wie die Ordnungsbehörde eigentlich Militär ist".
Aber lassen Sie mich noch andere Vergleiche ziehen. Das Defizit
der Staatsbahnen macht um 37 Millionen mehr aus als der Gesamtbetrag
des Staatsverteidigungsbeitrages - u. zw. sowohl bei der Einkommensteuer
als auch bei den beiden Erwerbssteuern, der mit 440 Millionen
eingesetzt ist. Ûber dieses Defizit haben wir im Budgetausschuß
und im Plenum hier schon mancherlei gehört. Es sind auch
von sehr maßggeblichen und ernsten Körperschaften sehr
ernste Vorschläge gemacht worden, wie man das Defizit der
Staatsbahnen beseitigen könnte. Wir haben bei den staatlichen
Bädern ein Defizit von 2.7 Millionen. Um dieses Defizit zu
decken, muß natürlich nicht auf direktem, sondern auf
indirektem Wege die Erhöhung des Kartenstempels eingeführt
werden, der etwas über 2 Millionen einbringen muß,
so daß man hier, wenn endlich bei den Staatsbetrieben und
in der Staatsverwaltung ernstlich Ordnung gemacht würde,
doch manche dieser Belastungen hätte vermieden können,
die mit fast 1200 Millionen der Bevölkerung auferlegt werden.
Ich werde über diese Ziffer noch einiges zu sagen haben.
Im Finanzministerium, das zwar finanzpolitisch ein sehr militantes
Ressort ist, das aber - dachte ich - mit diesen Dingen weiter
nichts zu tun hätte, hat ein Mehrerfordernis von 25 Millionen
für die Finanzwache, für ihre Ausrüstung und ihren
Ausbau. Diese 25 Millionen würden etwa ein Drittel der Kunstfettsteuer
unnötig machen, wenn sie nicht im Budget enthalten wären.
Ich will also damit sagen, daß wir nicht die Überzeugung
haben, daß bei der Vorbereitung dieser Vorlagen in entsprechender
Weise darauf gesehen wurde, das Erfordernis des Staates möglichst
zu drücken und Ersparnisse zu machen, damit so schwere Belastungen
nicht notwendig werden.
Wir haben also diese Vorlagen ins Haus bekommen und sie sind in
Beratung gezogen worden. Ich glaube zunächst einmal über
die Vorbereitung und die Beratung dieser Vorlagen etwas Grundsätzliches
sagen zu müssen.
Es steht einwandfrei fest, daß die Vorlagen viel früher
der politischen und wirtschaftlichen Öffentlichkeit hätten
zur Kenntnis gebracht werden müssen, als sie tatsächlich
gebracht worden sind. Es wäre notwendig gewesen, daß
man aus ihnen und ihrer Vorbereitung kein Geheimnis gemacht hätte,
schon deshalb nicht, weil ich glaube, daß die Praktiker
bei der Bearbeitung so wichtiger grundlegender Fragen ganz wertvolle
Arbeit geleistet und, meine Herren, offen gesagt, auch wesentlich
viel Erleichterung der Arbeit gebracht hätten, weil sie einen
besseren Überblick haben als leider die Herren unserer Finanzverwaltung.
Die Vorbereitung hat, wie ich aus einem Gespräch weiß,
zunächst die Ministerkollegien ungeheuer lang beschäftigt.
Ich habe schon oft darauf hingewiesen und möchte es bei dieser
Gelegenheit wiederholen: Es ist eigentlich nicht Sache der Ministerkollegien,
Gesetze vorzubereiten. Im großen und ganzen fällt das
meist sehr schlecht aus; ich würde durchaus keine Veranlassung
sehen, einer Arbeit, die immerhin eine qualifizierte sein muß,
den Vorwurf zu machen, daß dabei manchmal Dinge herauskommen,
die durchaus unglücklich und unsachlich sind. So viel Respekt
vor qualifizierter Arbeit habe ich! Aber, meine Herren, es war
absolut nicht notwendig, daß die getroffenen Vereinbarungen
so lange zurückgehalten wurden und wir diese Vorlagen durch
die Maschinerie so spät bekommen haben, die wir hier einmal
haben und die vielleicht nicht anders und kürzer arbeiten
kann. Die Maschinerie im Ausschuß hatte wiederum zur Folge,
daß wir in der Zeit zwischen der Vorlage der Entwürfe
hier und dem gestrigen Tag, wo sie wieder ins Haus zurückgekommen
sind, ungeheuer viel Zeit vertrödelt haben. Ich sage das
deshalb, weil es meine innerste Überzeugung ist, daß
ohne Schmämälerung des zu erwartenden und durch die
Vorlagen angestrebten Betrages es möglich gewesen wäre,
ganz bedeutsame Mängel dieser Vorlagen aus der Welt zu schaffen
und dadurch das erste Prinzip jeder Besteuerung zur Wahrheit zu
machen, daß sie eine gleichmäßige und gerechte
ist.
Wenn wir aus den oppositionellen Kreisen mit Vorschlägen
gekommen sind und auf dieses oder jenes hingewiesen haben, das
wir nicht als glückliche Lösung betrachtet haben, hat
man uns immer aus den Reihen der Koalition gesagt: Wir fürchten,
daß das Gebäude der Steuern odder das Gebäude,
das die Finanzverwaltung zur Erlangung der erforderlichen Beiträge
zurechtgemacht hat, einfach zusammenbricht, wenn wir an einer
noch so zweifelhaften Bestimmung oder Berechnung etwas ändern".
Das ist sicherlich vom Stanandpunkte der Koalition, der Koalitionsdisziplin
und der Koalitionsbravheit ein Standpunkt, den man anerkennen
kann; vom Standpunkt der praktischen und guten Leistung der Gesetzgebung
aber muß ich ihn als absolut falsch erklären. Denn
der objektivste und wohlwollendste Kritiker unserer Gesetzgebung
muß zu der Auffassung kommen, daß unsere Gesetzgebung
sehr schlecht, sehr unlogisch und unsystematisch ist, auf welchem
Gebiete Sie immer wollen. Und hier muß ich einen sehr großen
Irrtum und Fehler feststellen, den man aus den Kreisen der Koalition
des öfteren offen eingestanden erhält, nämlich
den: "Lassen wir die Sache laufen, wir können ja jederzeit
novellieren". Ja, meine sehr verehrten Herren, das ist sehr
schön, das ist jedoch eine etwas eingeschränkte Verantwortlichkeit
der Gesetzgebung. Denn wir machen die Gesetze nicht für uns,
sondern für die Praxis, für die Bevölkerung und
muten der Bevölkerung eine solche Kenntnis dieser ewigen
Novellen zu, daß diese ewige Novellierungsarbeit geradezu
asozial ist. Es war charakteristisch, daß im Entwurf Druck
1112, den uns die Regierung vorgelegt hat, im § 1 bestimmt
war, daß das Gesetz Nr. 76 vom Jahre 1927 und alle weiteren
ergänzenden oder abändernden Gesetze in Geltung sein
sollen. Das sollte die Stilisierung im neuen Gesetze sein, die
sich durch die einfache Formel erledigen ließ, daß
das Gesetz Nr. 76 aus dem Jahre 1927 gilt, im "Wortlaut der
Novelle, publiziert durch die Kundmachung des Finanzministeriums
Nr. 227 vom Jahre 1936". Es hat also der arme Teufel von
Steuerpflichtigem nunmehr die ganze Frage dadurch gelöst,
daß er sich die Novelle aus dem Jahre 1936 kauft und nun
weiß, welches eigentlich das geltende Recht ist. Wäre
das nicht eingetreten, so würde der Handwerker oder Bauer,
der dieses Gesetz über den Staatsverteidigungsbeitrag liest,
vor einem Labyrinth von Gesetzen stehen, weil alle diese Abänderungen
wieder abgeändert wurden - nicht nur einmal, sondern oft
mehrmal - und sich darin überhaupt nicht mehr auskennen.
Aber es hat sich bei den Verhandlungen im Ausschuß und im
Subkomitee auch gezeigt, daß eigentlich über die finanziellen
Auswirkungen der einzelnen Bestimmungen der uns nun vorliegenden
Gesetze niemand eine Vorstellung hat, auch nicht die Fachreferenten
des Finanzministeriums. Wenn wir gefragt haben, welche Wirkung
z. B. die außerordentliche Gewinnsteuer auf die Erträgnisse
der öffentlichen Rechnungsleger haben wird, konnte uns eigentlich
darauf keine Auskunft gegeben werden, weder als Hausnummer, noch
als fixe Zahlen; oder: wenn wir gefragt haben, was die sehr bedauerliche
Bestimmung des § 5, Abs. 3 über die minimale Bemessung
des Staatsverteidigungsbeitrages für die Besteuerung bedeutet,
ob nun in der Höhe 1.5 oder 1.0 Promille, so haben wir auch
keine entsprechende Auskunft bekommen. Deshalb bin ich zur Feststellung
gezwungen, daß diese Vorlagen, die in so hohem Maße
unsere Bevölkerung belasten werden, ein Sprung ins Dunkle
sind und dies zu einem Zeitpunkt, wo die sonstigen Leistungen
unserer Bevölkerung so ungeheuer sind, daß man das
Ganze als einen unverantwortlichen Leichtsinn bezeichnen muß.
Im weiteren muß ich darauf hinweisen, daß bei Entstehung
dieser Vorlagen die Koalitionspresse und auch noch viele Redner
während der Budgetdebatte im Ausschuß immer davon gesprochen
haben, daß wir uns in einer Konjunktur befinden. Die außerordentliche
Gewinnsteuer hatte ursprünglich den Namen: "Steuer aus
außerordentlichen Gewinnen" und erst später ist
man zu der Ansicht gekommen, daß es eigentlich unhaltbar
ist, über außerordentliche Gewinne, also Erträge
einer Konjunktur zu sprechen, und ist - meines Erachtens auf Grund
richtiger Überlegung - zur neuen Bezeichnung der Steuer gekommen,
nämlich: "Außerordentliche Steuer aus Gewinnen".
Nun liegen doch die Dinge so: Es ist richtig, daß es Industrien
gibt, welche geradezu eine kaum erwartete und niemals vorauszusehende
Konjunktur haben. Aber alle diese Industrien sind irgendwie in
Verbindung mit der Aufrüstung. Diese Aufrüstung ist
jedoch - wie wir schon aus volkswirtschaftlichen Gründen
verlangen und erwarten müssen - eine Entwicklung auf Zeit.
Diese ungeheueren Milliardenaufwendungen Jahr für Jahr auf
sich zu nehmen, würde unsere Volkswirtschaft gar nicht vertragen!
Die Aufrüstungskonjunktur ist also noch keine Industriekonjunktur,
welche sich auf allen Gebieten, in allen Orten, für alle
Branchen so auswirken müßte, daß wir von einem
allgemein gebesserten Lebensstandard sprechen könnten. Wir
haben keine Konjunktur, wir haben wohl eine Besserung, die sich
im großen und ganzen auf alle Wirtschaftsgebiete erstreckt.
Aber, meine sehr verehrten Herren, man projiziert die heutige
wirtschaftliche Produktion auf das Jahr 1929, vergißt aber
dabei, daß das Jahr 1929 kein Konjunkturjahr war, sondern
das letzte normale Jahr. Ein Konjunkturjahr in dem sonst üblichen
Sinn war vielleicht das Jahr 1922 oder 1923. Aber im Jahre 1929
hatten wir eben noch eine normale Beschäftigung und Produktion,
aber beileibe nicht eine Konjunktur, welche die Produktionskapazität
ausschöpfen würde, das heißt die größtmögliche
Leistungsfähigkeit unserer Betriebsstätten.
Ich freue mich, daß die Herren, die hier und im Ausschuß
gesprochen haben, von der Illusion einer Konjunktur abgekommen
sind, denn die Einstellung in Koalitionskreisen, aber auch im
Finanzministerium, daß es eine Konjunktur gebe, wirkt verheerend,
weil dadurch eine ganz schiefe Beurteilung der Situation platzgreift
und - daß ich es gleich sage - auch eine ganz falsche Beurteilung
der nationalpolitischen Frage. Sie begehen, meine Herren, den
Fehler, daß Sie viel zu sehr die Verhältnisse im ganzen
Lande nach den Verhältnissen in Prag beurteilen. Prag ist
ein Industriezentrum geworden, schon deshalb, weil es die billigsten
städtischen Zuschläge hat; es ist aber auch ganz klar,
daß im politischen Zentrum des Staates natürlich auch
ein wirtschaftliches Zentrum entsteht, das alle Vorteile des politischen
Zentrums auszuschöpfen in der Lage ist. Ich stelle demgegenüber
fest, daß es auch heute noch in unserem deutschen Gebiete
ganze breite Strecken gibt, wo noch gar keine Konjunktur ist,
wo es den Menschen noch geradeso schlecht geht wie in den Jahren
der Krise. Dabei will ich durchaus nicht um einzelne Ziffern streiten,
sondern nur feststellen, dal die Besserung nicht linear überall
eingesetzt hat und daß es ganz ausgeschlossen ist, von einer
Konj unktur im ganzen Staate oder in der ganzen Produktion zu
sprechen. Das ist wichtig gegenüber der Finanzverwaltung
festzustellen. Denn die Finanzverwaltung gibt sich meines Erachtens
einem viel zu großen Optimismus hin, und gerade bei der
Steuerbemessung scheint sie davon auszugehen, daß die Krise
ganz plötzlich abgebrochen ist. Selbst wo eine größere
Beschäftigung vorhanden ist, ist es nicht möglich, die
Schäden der vier, fünf oder sechs Krisenj ahre sofort
aus der Welt zu schaffen. Das ist ein grundsätzlicher Irrtum!
Wenn einen Betrieb die Not erfaßt hat, wenn er seine Absatzgebiete
verloren oder einen Preis- oder irgendwo einen Währungsverfall
mitgemacht hat, so sind das Krankheiten, die nicht sofort wettgemacht
werden können, sondern die noch weiter fortwirken; es ist
daher unter allen Umständen notwendig, daß auch die
Finanzverwaltung so viel volkswirtschaftliches Verständnis
hat, daß sie die Lage richtig beurteilt. Allerdings: was
die Vorlagen anbelangt, muß ich sagen, daß sie dieses
Verständnis nicht bewiesen hat.
Man ist hier wieder den Weg des geringsten Widerstandes gegangen.
Das ist kein neuer Weg, kein Weg, den man noch nie gegangen ist,
sondern der übliche Weg, nicht nur bei finanzpolitischen
und wirtschaftlichen Vorlagen, sondern überhaupt. Vom staatsmännischen
Gesichtspunkt aus halte ich gerade diese zu große Bescheidenheit
oder Bequemlichkeit nicht gerade für das Richtige, weil man
allmählich die Dinge so weit ins Ungewisse treibt, daß
eine Beherrschung der Entwicklung immer weniger und weniger erfolgen
kann.
Ich muß auch über die Arbeiten im Ausschuß selbst
bei Behandlung dieser Vorlagen Einiges sagen. Ich sagte schon,
daß uns zu wenig Zeit gelassen wurde, daß wir aber
auch sehr viel Zeit vertrödelt haben. Hätte man unsere
Vorschläge beachtet, so hätte man, glaube ich, zusammen
mit dem Referenten des Finanzministeriums durch diese oder jene
Umrechnung eine größere Gleichmäßigkeit
der Belastung herbeiführen können. Das hat man aber
nicht getan, und so glaube ich, daß Sie alle, die die Vorlagen
genau studiert und überprüft haben, das Gefühl
haben, daß die Steuergerechtigkeit und die gleiche Verteilung
der Lasten in ihnen nicht zum Ausdruck gekommen ist.
Ich muß aber hier, und zwar im Zusammenhang mit diesen Beschwerden,
auch die grundsätzliche Frage aufwerfen, welche Funktion
der Referent des Budgetausschusses oder jedes anderen Ausschusses
besitzt. Was hat er für eine Funktion? Herr Koll. Remeš
hat uns bewiesen, welche Funktion die richtige ist, nämlich
die, ein objektives Urteil zu fällen, das auch gegen die
Verwaltung sehr kritisch eingestellt ist, also das Bekenntnis
einer Eigenmeinung, das Vertreten jener Gesichtspunkte, die die
Sache erfordert und nicht das politische, also in diesem Falle
das Koalitionsinteresse. Der Referent für die wichtigsten
Vorlagen, Koll. Dr. Novák, der leider nicht hier
ist, vertrat schon bei der Steuernovelle und auch jetzt nicht
jenen Standpunkt, den ich beim Herrn Koll. Remeš für
richtig halte, sondern den Standpunkt des Advokaten des Finanzministers.
Dieser Standpunkt ist absolut falsch. Ich stehe nicht auf dem
Standpunkt, er solle den Gesichtspunkt des Feindes gegenüber
dem Finanzminister vertreten, aber worauf ich unter allen Umständen
bestehen muß, ist, daß unser Referent ein Kritiker
des Finanzministers und des Finanzministeriums ist. Das ist notwendig,
damit das Parlament kraft seiner verfassungsmäßigen
Aufgabe in der Lage ist, in der Tat die Verantwortung für
die Gesetzgebung zu übernehmen, tatsächlich zu überprüfen,
was bei einer Vorlage richtig ist, was geändert werden kann,
aber auch: was geändert werden muß. Wir haben uns bemüht
Herrn Dr. Novák zu dieser Überzeugung zu bringen,
leider vergebens. Ich muß aber sagen, daß wir auch
weiterhin speziell in den finanzpolitischen Fragen nicht anerkennen
können, daß der Referent des Budgetausschusses der
Advokat des Finanzministeriums ist, und es wird notwendig sein,
daß sich die Herren, die für den Budgetausschuß
- und selbstverständlich auch für die anderen Ausschüsse
- berichten, eine solche Unabhängigkeit sichern, daß
wir in der Tat den Willen des Ausschusses zum Ausdruck gebracht
bekommen. Ich will bei dieser Gelegenheit auch ausdrücklich
feststellen, daß die Kollegen bei der Verhandlung dieser
Vorlagen ziemlich weitgehend die Mitarbeit der Opposition möglich
gemacht haben, ich glaube nicht zum Nachteil.