Schicksal, ohne auch nur den geringsten Versuch zu machen, zu ihren Gunsten einzugreifen. Und doch galt ihr Kampf auf bedrohten Vorposten, durch den die deutschen Kräfte tausendfältig gebunden waren, nur der Erhaltung deutscher* erbten Heimatbodens. Die Träger der Habsburgerkrone standen auf Seite des Slawentums, und der deutsche Einfluss in Österreich schrumpfte immer mehr zusammen. Der Weltkrieg hätte vielleicht ein anderes Ende genommen, wenn man der planmässigen Zersetzung von Verwaltung und Heer durch die slawischen Völker rechtzeitig eine zielbewusste Förderung des Deutschtums entgegengestellt hätte. Doch für alle Warnungen aus dem deutsch-österreichischen Lager hatte man in Berlin nur taube Ohren, ja man forderte im Gegenteil unter Hinweis auf den Bündnisvertrag widerspruchslose Unterwerfung unter die Staatsraison. Unverstanden im grösseren Vaterlande, hielten diese Deutschen, auf eigene Kraft gestellt, von den österreichischen Staatsbehörden oft verfolgt, in nie wankender Treue zum angestammten Volkstume.
Wird man sich nun, nach den furchtbaren Erfahrungen der Vorkriegs- und Kriegszeit, im neuen Deutschland der Kräfte bewusst werden, die in den ausserhalb der jetzigen Reichsgrenzen in fremde Staaten hineingepferchten Deutschen ruhen? Wird man diese Deutschen bei der mühevollen Wiederaufbauarbeit entsprechend berücksichtigen und in den Dienst des gesamten Volkstums stellen? Oder wird man sich wieder auf vorgetäuschte freundnachbarliche oder sogenannte korrekte Beziehungen beschränken und dieses schwer um seine Erhaltung ringende Grenzlanddeutschtum seinem Schicksale preisgeben?
Die 3 1/2 Millionen Sudeteiideutschen bilden den grössten Teil des geschlossen lebenden Grenzlanddeutschtums. Die Tschechoslowakische Republik zählte bei ihrer Gründung 13 1/2 Millionen Einwohner. Hiervon waren 238. 000 Ausländer. Die am 5. 2. 1921 durchgeführte Volkszählung, die unter dem unerhörten Drucke der tschechischen Volkszählungskommissare stand und infolgedessen bezüglich der Zahl der deutschen Bewohner ein durchaus unzuverlässiges Material liefert, ergab folgende Zusammensetzung der Bevölkerung:
. 3, 123. 888 Deutsche |
das sind 23, 4 % |
8, 760. 957 Tschechoslowaken |
» » 65, 5 % |
747. 096 Magyaren |
» 5, 6 % |
461. 466 Kleinrussen |
3, 4 % |
180. 535 Juden |
14% 4% |
75, 852 Polen |
0. 5 % |
22. 612 Sonstige |
» » 0, 2 % |
13, 372. 406. zusammen |
das sind 100, 0 % |
Also selbst auf Grund dieser tschechoslowakischen Volkszählung bilden die Deutschen noch immer fast ein Viertel der gesamten Bevölkerung. Das geschlossene deutsche Sprachgebiet in Böhmen, Mähren und Schlesien umfasst 26. 000 Qua-
dratkilometer, ist also nahezu doppelt so gross wie Elsass-Lothringen und nähert sich der Grosse Belgiens. Die sudetendeutsche Bevölkerung ist mehr als doppelt so zahlreich wie die von ElsassLothringen im Jahre 1871, sie ist grösser als die heutige Bevölkerung von Norwegen, Dänemark oder Venezuela. Sie kommt fast der Bevölkerungsziffer von Chile oder Finnland gleich und reicht beinahe an die Bevölkerung der Schweiz heran. Das geschlossene deutsche Sprachgebiet in den Sudetenländern, also ohne Berücksichtigung der deutschen Sprachinseln im tschechischen Gebiete, reicht, um ein reichsdeutsches Beispiel zu nehmen, an die Grosse der Rheinprovinz oder der Provinz Sachsen heran. Die Einwohnerzahl ist bedeutend grösser als die vom Württemberg oder die der Provinz Brandenburg.
Wenn das Ergebnis der Volkszählung u. a. von 8, 760. 957 Tschechoslowaken spricht, so muss zur Aufklärung festgestellt werden, dass es in Wirklichkeit einen tschechoslowakischen Volksstamm überhaupt nicht gibt. Erst gegen Ende des Jahres 1919 verkündeten die tschechischen Machthaber eine Verschmelzung der beiden Völker Tschechen und Slowaken, um in ihrem Staate wenigstens nach aussen hin eine absolute Mehrheit des tschechischen Volksstammes gegenüber den unterdrückten Nationen aufweisen zu können. Von den 8, 7 Millionen Tschechoslowaken sind 2 Millionen Slowaken, die bis heute von einer solchen Verschmelzung mit dem Tschechentume nichts wissen wollen.
Den Friedensdelegierten der Westmächte waren diese Verhältnisse nicht unbekannt; sie dürften dafür mit entscheidend gewesen sein, dass man den neu gegründeten Staaten das bekannte Servitut des Minderheitenschutzvertrages auferlegte. Man versuchte so, das schlechte Gewissen, das man bei der Balkanisierung Mitteleuropas hatte, zu verhüllen, indem man vorgab, diese Minderheitsschutzverträge würden jede Unterdrückung oder Entnationalisierung der den einzelnen Staaten zugeteilten fremden Volksteile verhüten. Welchen. Geist diese Vereinbarungen atmen, erhellt wohl am besten aus den einleitenden Worten des Minderheitenschutzvertrages, den die alliirten und assoziierten Hauptmächte einerseits und die Tschechoslowakei anderseits am 10. September 1919 in St. Germain en Laye unterzeichnet haben. Diese enthalten die der Wahrheit vollständig widersprechende Behauptung, »das sich die Nationen Böhmens, Mährens und eines Teiles Schlesiens, wie auch die Nationen der Slowakei aus eigenem Willen entschieden haben, sich zu vereinigen und sich tatsächlich durch einen dauernden Bund zwecks Bildung eines einheitlichen souveränen und unabhängigen Staates unter dem Namen »Tschechoslowakische Republik« vereinigt haben. « Unter diesen Umständen ist es wohl mehr als bezeichnend, dass das tschechische Staatswappen die Devise trägt: »Die Wahrheit siegt!«
Und nun zu den Bestimmungen des Minderheitsschutzvertrages selbst. Diese beziehen sich
auf Schutz von Leben und Freiheit; auf rechtliche und tatsächliche, bürgerliche und politische Gleichberechtigung; auf den Sprachgebrauch bei Behörden; sprachliche Freiheit im Privat- und Handelsverkehre, in Angelegenheit der Presse oder irgendwelcher Art von Veröffentlichungen, oder in öffentlichen Versammlungen; auf Schutz und Berücksichtigung bei sozialen, humanitären und kulturellen Einrichtungen und besonders bei Schulen. Die Einhaltung und Durchführung dieser, den nationalen Minderheiten eingeräumten Rechte sollte geschützt werden durch Aufnahme in die Staatsgrundgesetze; durch Ungültigkeitserklärung aller widersprechenden staatlichen Verordnungen; durch Stellung der Bestimmungen unter die Garantie des Völkerbundes; durch Einräumung einer Zuständigkeit an den Rat des Völkerbundes bei drohenden und geschehenen Vertragsverletzungen; und schliesslich durch Unterstellung von Streitigkeiten unter die zwischenstaatliche Schiedsgerichtsbarkeit. Wie wenig ernst jedoch diese Rechtssicherungen gemeint sind, das zeigt eine weitere Bestimmung, nach welcher nicht der zu schützenden Minderheit das Recht zusteht bei Vertragsverletzungen den Völkerbund anzurufen, sondern lediglich einem im Rate des Völkerbundes vertretenen Staate.
Die tschechische Regierung hat vom ersten Augenblicke an diese Vertragsbestimmungen missachtet. So wurde die den Sudetendeutschen versprochene rechtliche und tatsächliche, bürgerliche und politische Gleichberechtigung schon bei der Beschlussfassung über die Verfassungsgesetze ausser acht gelassen. Der in Prag im Jahre 1918 eingesetzte Nationalausschuss, bestehend aus ernannten, also nicht gewählten tschechischen und einigen slowakischen Vertretern, regierte durch eineinhalb Jahre souverän unter dem Namen »Nationalversammlung« den neu gegründeten Staat. Ministerpräsident Dr. Kramarsch hat zwar bei der Eröffnung dieser Nationalversammlung am 14. November 1919 laut stenographischen Protokoll ausdrücklich erklärt, die Versammlung sei »noch keine Konstituante«, und am 9. Jänner 1920: »Die Regierung hält es für ihre Pflicht, alles zu unternehmen, damit die Wahlen in das verfassungsgebende Parlament so bald als möglich durchgeführt werden. Die Regierung ist bereit, alles zu tun. damit es möglich werde, die Wahlen im Herbste des laufenden Jahres durchzuführen. « Im Gegensatze zu diesen Erklärungen aber wurde von dieser, nur aus erannten Mitgliedern bestehenden Körperschaft, in welcher mehr als 50 % der Bevölkerung überhaupt nicht vertreten waren, im Frühjahr 1920 die Beratung und Beschlussfassung über die Verfassungsgesetze durchgeführt - also Verfassungsoktroi erlassen. Diese Tatsache allein bedeutet den schwersten Bruch der unter den Schutz des Völkerbundes gestellten Minderheitsschutzbestimmungen.
Zur Irreführung der Weltöffentlichkeit erhielt der § l dieses Verfassungsoktroi den Wortlaut: »Das Volk ist die einzige Quelle aller Staatsgewalt in der Tschechoslowakischen Republik. « Die ganze Gesetzgebung dieses Revolutionskonventes,
welcher durch eineinhalb Jahre schrankenlos herrschte, war darauf gerichtet, das Sudetendeutschtum und alle anderen nichttschechische Völker dauernd in vollständiger Einflusslosigkeit zu erhalten. So wurde im § l des am 29. 2. 1920 erlassenen Sprachengesetzes die tschechoslowakische Sprache als die staatliche, offizielle Sprache der Republik erklärt. Bis Ende des Jahres 1919 war in allen Gesetzen nur von der tschechischen und slowakischen Sprache die Rede; erst um die Jahreswende 1919/20 begann die Regierung aus machtpolitischen Gründen den Begriff eines tschechoslowakischen Volkes und einer tschechoslowakischen Sprache zu prägen, da mehr und mehr die Tatsache durchsickerte, dass die Tschechen allein nicht einmal 50 % der Bevölkerung dieses Staates ausmachen. Im übrigen ist die Tatsache, dass es eine solche tschechoslowakische Sprache nicht gibt, dem § 4 des Sprachgesetzes selbst zu entnehmen, welcher lautet: »Beim Gebrauch der staatlichen offiziellen Sprache amtieren die Behörden in jenem Gebiete, das vor dem 28. 10. 1918 zu den im Reichsrate vertretenen Königreichen und Ländern (Böhmen, Mähren und Schlesien) oder zum Königreiche Preussen (Hultschiner Ländchen) gehört hat, in der Regel in der tschechischen - in der Slowakei in der Regel in der slowakischen Sprache. Eine slowakische Amtserledigung auf eine tschechische Eingabe oder eine tschechische Amtserledigung auf eine slowakische Eingabe wird für eine in der Sprache der Eingabe erfolgte Erledigung angesehen. « Im übrigen sei nur bemerkt, dass sich bisher auch kein Minister dieser ominösen tschechoslowakischen Staatssprache bedient hat, denn diese sprechen entweder tschechisch oder slowakisch, je nach ihrer Volkszugehörigkeit.
Wie es sonst um die rechtliche und bürgerliche Gleichberechtigung bestellt ist, geht wohl am besten aus einer Betrachtung der praktischen Auswirkungen des gleichen und geheimen Wahlrechtes hervor. Die tschechische Wahlkreisgeometrie hat es dahin gebracht, dass bei den letzten Parlamentswahlen im tschechischen Wahlkreise Prag auf einen Abgeordneten 37. 796 Einwohner entfielen, im deutschen Wahlkreise Böhmisch Leipa dagegen 45. 644. Im deutschen Wahlkreise Karlsbad waren es sogar 46. 884, im slowakischen Wahlkreise Kaschau 51. 521 und im ruthenischen Wahlkreise Karpathorussland 63. 559. Die Gegenüberstellung der auf einen tschechischen Abgeordneten entfallenden 37. 796 Einwohner und der auf einen ruthenischen Abgeordneten entfallenden 63. 559 Einwohner erübrigt wohl jede weitere Charakterisierung.
Und nun noch einiges uber das tschechoslowakische Staatsvolk, über die Besiedelungsverhältnisse im Staate und das Verhältnis der Tschechen zu den Slowaken. Die Tschechen bewohnen das innere Gebiet des ehemaligen Königreiches Böhmen, der Markgrafschaft Mähren und den südöstlichen Teil des Herzogtums Schlesien, und zwar beträgt der Bevölkerungsschlüssel für Böhmen 33 % Deutsche und 66, 6 % Tschechen, für
Mähren 20, 9 % Deutsche und 78, 2 % Tschechen, und für Schlesien 40, 5 % Deutsche und 47, 5 % Tschechen. Die Slowaken wohnen in der Mittelund Nordslowakei, im Süden die Magyaren. Die Berechnung der Bevolkerungsanteile stutzt sich, wie bereits betont wurde, auf die Ziffern der tschechoslowakischen Volkszahlung, die den wahren Verhaltnissen widerspricht.
Der bekannte Fuhrer der slowakischen Volkspartei, Pater Hlinka, wehrt sich mit aller Energie Segen die Bezeichnung »tschechoslowakisches Volk« und fordert für seinen slowakischen Volksstamm die freie kulturelle, wirtschaftliche und politische Entwicklung. Den Slowaken wurde zwar bereits in dem am 30. 5. 1918 in Pittsburg abgeschlossenen Vertrag die nationale Autonomie für die Slowakei zugesichert. Dieser Vertrag trägt die Unterschrift des jetzigen Staatspräsidenten Masaryk, trotzdem wurde ihnen bis zum heutigen Tage dieses Recht auf Selbstverwaltung vorenthalten und ist die Prager Regierung bestrebt, das slowakische Volk zu tschechisieren.
Je mehr man mit diesen Verhälnissen bekannt wird, um so mehr drängt sich jedem ernsten Politiker die Frage auf, wie ein solcher »Nationalstaat« überhaupt entstehen konnte. Es gibt nur eine Erklärung: Frankreichs Plan ging eben dahin, auch die verkleinerte deutsche Republik mit einem Kranz von Staaten zu umgeben, die sich durch Zuteilung deutscher Volksteile im Interesse der Aufrechterhaltung der Pariser Zwangsgrenzen gezwungen sehen, unter allen Umständen eine deutschfeindliche Politik zu machen, aber auch mit allen Mitteln bestrebt sind, die ihnen zugewiesenen deutschen Volksteile, den Gedankengängen Clemenceaus folgend, zu entnationalisieren. Es wäre grundsätzlich verfehlt, den Ernst und die bisherigen Erfolge der Entnationalisierungsbestrebungen unterschätzen zu wollen; nach einem grosszugigen Plan arbeiten hier die staatlichen Aemter mit den sogenannten privaten tschechischen Schutzvereinen zusammen, die sich offen die Tschechisierung des geschlossenen deutschen Sprachgebietes zur Aufgabe gestellt haben.
Von den tausendfältigen schweren Schädigungen des sudetendeutschen Volksstammes sei hier nur die Tatsache erwähnt, dass bisher gegen 70. 000 deutsche Arbeitsplätze im Staats- und öffentlichen Dienste verloren gingen, 350. 000 Hektar deutschen Grund und Bodens in tschechischen Besitz übergeführt wurden und hierbei neben der schweren materiellen Schädigung viele Zehntausende deutscher Arbeiter Brot und Verdienst verloren haben. Der bekannte »sanfte, inoffizielle Druck« der Regierungsstellen auf die grossen deutschen Industriebetriebe wirkt sich bereits immer Richttung aus, dass den Tschechen die «einflussreichster Stellen ausgeliefert werden müssen, welche Massnahmen dann naturnotwendig zu einer schweren Bedrohung auch des deutschen privaten Arbeitsplatzes fuhren. Die deutschen Privatbahnen wurden verstaatlicht und die Staatsbahn- und Postverwaltung sieht ihre
Hauptaufgabe dann, das ganze sudetendeutsche Sprachgebiet mit tschechischen Beamten und Angestellten zu durchsetzen. Mit derselben Rücksichtslosigkeit wirkt sich der Kampf auf kulturellem Gebiete aus, er hat bereits zur Auflassung von 40 deutschen Mittelschulen und der Sperrung von über 3000 deutschen Volksschulklassen gefuhrt. Hand in Hand damit gehen die wirtschaftlichen Schädigungen, die schon im Staatsvoranschlage unverhullt zum Ausdrucke kommen. Man versucht auf diesem Wege das kulturelle Niveau der deutschen Bevölkerung herabzudrucken. Das deutsche Unternehmertum, Industrie, Handel und Gewerbe werden bei Vergebung der staatlichen Lieferungen fast vollständig ausgeschaltet.
In welchem Geiste die tschechischen Verwaltungsbcamten und Richter erzogen werden, das zeigt am besten die Stellung eines der ersten tschechischen Staatsrechtslehrer zum Minderheitenschutz. Professor Weyr erklärt in seinem Lehrbuche über das tschechoslowakische Staatsrecht ausdrucklich, »dass die im Friedensvertrage übernommenen Verbindlichkeiten des Minderheitsschutzvertrages nicht bindend und daher praktisch unwirksam seien. « Er begründet diese Ansicht damit, »dass diese theoretisch schon deshalb unmöglich seien, da sie im Widersprüche mit der Souveränität des tschechoslowakischen Staates, als der alleinigen Quelle der Rechtsordnung, stehen. « Man mag über diese Rechtsanschauung denken wie man will, es ist Tatsache, dass die Stellungnahme dieses tschechischen Staatsrechtslehrers für das Sudetendeutschtum sich in jeder Beziehung verheerend auswirkt Sie ist aber auch ein durchschlagender Beweis für die vollständige Zwecklosigkeit der Bestimmungen der Mittderheitsschutzvertrage. Die Grundlage der Politik - - - bildet eben nach wie vor die Assimilationstheorie; das Ziel ist die Entnationalisierung der widerrechtlich zugeteilten grenzdeutschen Gebiete. Solange der Völkerbund eine Vereinigung der Staaten und nicht eine Vereinigung der Völker bildet, ist auch von ihm keine Hilfe zu erwarten. Unter Berücksichtigung all dieser Umstände kann man sich wohl die schwierige Lage des Sudetendeutschtums vergegenwärtigen
Nach den im April des Jahres 1920 endlich durchgeführten ersten Parlamentswahlen gaben alle deutschen Parteien eine staatsrechtliche Erklärung ab. in welcher sie feierlich verkündeten, dass sie die Bestimmungen der Friedensdiktate nicht anerkennen und an der Erringung des Selbstbestimmungsrechtes als höchstem politischen Ziel festhalten werden. Leider ist es dann allerdings doch nicht gelungen, dem mit allen der tschechischen zentralen Staatsgewalt zur Verfügung stehenden Mitteln geführten Vernichtungskampf eine einheitliche, geschlossene Sudetendeutsche Abwehrfront entgegenzustellen. Die trostlose Lage ihres Volkstums bewog viehnehr einzelne deutsche Parteien, sich mehr oder weniger mit der Staatsgrundung abzufinden und durch Hervorkehrung eines neuen innenpoliti
sehen Zieles, der Erringung der Autonomie, den äusseren Frieden mit dem Staate zu schliessen. Dies geschah in einem Augenblicke, wo sich der Staat innenpolitisch durch das Anwachsen des Kommunismus und aussenpolitisch durch erhöhte magyarische Revisionsbestrebungen geradezu in einer Krise befand. Einzelne sudetendeutsche Führer glaubten dem Volke damit einen Dienst zu erweisen, dass sie durch ihren Eintritt in die Regierung zur Erhaltung des hier herrschenden parlamentarischen Scheinsystems beitrugen; sie hofften, die tschechischen Machthaber würden diese Hilfeleistung durch einen Abbau des bis dahin herrschenden Hassystems und durch die Einführung einer wahren Gleichberechtigung vergelten.
Seit nahezu sechs Jahren tragen diese deutschen Parteien mit die Verantwortung für die Regierung, ohne dass sich seither - - - auch nur das Geringste zugunsten der Sudetendeutschen geändert hätte. Gewiss hätte - wenn schon eine einheitliche, geschlossene Abwehrfront des Sudetendeutschtums nicht aufrecht zu erhalten war - auch eine sogenannte zweigeleisige Politik erfolgreich gestaltet werden können. Die deutschen Regierungsparteien hätten dann aber ihr Verbleiben in der Regierung abhängig machen müssen von der Erfüllung bestimmter, dem ganzen Sudetendeutschtum zugute kommender Forderungen, während die deutschen Oppositionsparteien durch ihre Politik den entsprechenden Druck hätten ausüben müssen, damit die gestellten Postulate auch wirklich lebenswichtige Forderungen des Sudetendeutschtums enthalten hätten.
Leider ist es anders gekommen. Die deutsche Bauernpartei hat sich mit der tschechischen Bauernpartei, die deutschen Sozialdemokraten mit den tschechischen Sozialdemokraten verbunden und diese Parteigruppen sehen ihre Aufgabe nur darin, einerseits agrarischen, anderseits sozialistischen Forderungen zum Durchbruche zu verhelfen. In denselben Fehler verfiel die christlichsoziale Partei, die aber bei der Neubildung der Regierung im Jahre 1929 auf Wunsch der Sozialdemokraten von der weiteren Beteiligung an der Regierung ausgeschlossen wurde.
Die vollständige Einflusslosigkeit der deutschen Regierungsparteien ist auch bei der Durchführung der Volkszählung wieder in Erscheinung getreten. Angeeifert durch die gewalttätige Durchführung der polnischen Sejmwahlen, hat die tschechische Regierung nicht gezögert, auch bei der Volkszählung am 1. Dezember 1930 wieder durch Ernennung von grösstenteils nur tschechischen Volkszählungskommissaren auch im sudetendeutschen Sprachgebiet einer Verfälschung des Volkszählungsergebnisses Tür und Tor zu öffnen. Die den beiden deutschen Ministern gemachten Zusagen auf unparteiische Durchführung der Volkszählung wurden nicht eingehalten; ja der tschechische Innenminister hat nicht einmal die damit den deutschen Ministern vereinbarten Erlasse herausgegeben, die die unparteiische Durchführung der Volkszählung sichern sollten.
Das Ziel der tschechischen Machthaber geht eben dahin, den ganzen deutschen Bevölkerungsanteil innerhalb des Staatsgebietes, einschliesslich der Slowakei und Karpathorusslands, unter 20% herabzudrücken, um das Sudetendeutschtum so noch der geringfügigen Sprachenrechte berauben zu können, die das Sprachengesetz ihnen zwar zubilligt, aber von einem mindestens 20%igen Bevölkerungsanteil in den einzelnen Verwaltuagsgebieten abhängig macht. Die nunmehr veröffentlichten ersten Ergebnisse lassen erkennen, dass dieses Ziel bereits in zwei Bezirken, und zwar in Mährisch-Ostrau und Olmütz erreicht wurde, in welch beiden Bezirken auf Grund der betriebenen Tschechisierungspolitik die Zahl der Deutschen unter 20% gesunken und sie dadurch, entgegen den Bestimmungen der Minderheitenschutzverträge, ihrer Sprachenrechte verlustig gingen.
Ausserordentlich erschwert wird der sudetendeutsche Abwehrkampf durch die grosse soziale Not, die über die deutschen Gebiete hereingebrochen ist. 75% der Industrie OesterreichUngarns hatten ihren Sitz in den sudetendeutschen Grenzgebieten. Durch die Zerschlagung dieses grossen einheitlichen Zollgebietes und die vollständig verfehlte Handels- und Aussenpolitik des neuen tschechischen Staates wurden dieser Industrie die schwersten Wunden geschlagen. Weit über tausend Industriebetriebe mussten schon geschlossen werden und heute sind bereits 470. 000 deutsche Arbeiter erbeitslos. Da ausserdem nach dem Zwangsabbau der deutschen Beamten kein Deutscher mehr in den Staatsdienst aufgenommen wurde und auch seit der Teilnahme deutscher Parteien an der Regierung nicht aufgenommen wird, kann man sich die sozialen und nationalen Auswirkungen dieser Regierungsmethoden vorstellen.
Schutz und Förderung aller grenzdeutschen Gebiete müsste zur gemeinsamen Losung aller reichsdeutschen Parteien und vaterländischen Verbände werden - denn ihre Erhaltung bildet die Vorbedingung für die Wiedererstarkung des deutschen Volkes in Mitteleuropa.
Die Unterzeichneten fragen daher an, ob der Herr Minister bereit ist, endlich alle Vorkehrungen zu treffen, dass gemäss der Verheissung des Herrn Staatspräsidenten die Freiheit des Wortes und der Presse in Zukunft auch wirklich voll verbürgt werde.
Prag, am 8. September 1932.
Ing. Kallina.
Dr. Schollich, Dr. Hanreich, Ing. Jung, Dr. Hassold. Köhler, Kasper, Dr. Kelbl, Matzner, Horpynka, Knirsch, Krebs, Geyer, Schubert, Simm, Krumpe, Oehlinger, Bobek, Scharnagl, Greif, Fritscher. Kunz.