Meine Damen und Herren! Vor dem Abschluß des Hochbetriebes, welcher trotz Ermächtigungsgesetz oder vielleicht gerade deswegen, jetzt in beiden Häusern der Nationalversammlung eingesetzt hat, hat der Herr Minister des Äußern im Plenum beider Häuser der Nationalversammlung ein Exposé über die auswärtige Politik erstattet. Ich glaube, der Rahmen, der dafür gewählt wurde, soll auch der Ausdruck dafür seim, daß er diesem Exposé eine Bedeutung urbi et orbi zumessen will. Ich kann nicht umhin zu erklären, daß dieses Exposé, soweit es als Ganzes ein Ausdruck der Friedenspolitik, des Friedenswillens gegenüber allen Völkern innerhalb und außerhalb des Staates sein soll, schlankweg die Zustimmung auch der christlichsozialen Partei erhalten kann. Diese Partei, welche weltanschaulich auf den Frieden eingestellt ist, und ebenso für die Demokratie aus innerstem Pflichtbewußtsein eintritt, gerade auch im Dienste der uns anvertrauten nationalen Interessen, ist ehrlich eine Partei, welche den Frieden will und die Demokratie als die Grundlage insbesondere zur befriedigenden Lösung der noch vielfach ungelösten Fragen in diesem Staate ansieht, als die beste Grundlage und das sicherste Fundament.
Über die Ergebnisse dieser vom Herrn Minister Dr. Beneš hier angeführten Friedenspolitik in der Welt, kann man allerdings noch sehr geteilter Meinung sein. Der Senator Stolberg hat gestern Nachmittag im Namen des Senatorenklubs unserer Partei zahlreiche Beispiele dafür gebracht und nachgewiesen, daß insbesondere in wirtschaftlicher Hinsicht gerade im Zeichen der Weltkrise, in der wir noch immer stehen, die Ergebnisse der angeblichen Friedenspolitik noch keineswegs befriedigend genannt werden können, ja im Gegenteil, daß sich hinter dieser Politik vielfach, bis auf die Rüstungsindustrie, die wirtschaftlichen Verhältnisse nicht nur nicht gebessert, sondern sogar verschlechtert haben. Ebenso ist von ihm - und wir als Abgeordneterklub derselben Partei stimmen selbstverständlich vollinhaltli h überein manches angeführt worden, was über die Echtheit dieser Friedenspolitik in der Welt reifliche Bedenken bringen kann. Zu all dem will ich noch einige ideelle Bedenken hinzufügen u. zw. trotz der grundsätzlichen Zustimmung zu der Grundlinie der beabsichtigten und von Minister Beneš vorgetragenen Politik, die eine Politik des Friedens und der Demokratie in erster Linie sein will.
Die "Prager Presse", welche sicherlich dem Herrn Minister sehr nahe steht, hat das umfangreiche Exposé mit den Worten überschrieben: "Europas Friedenssystem im Ausbau". Wer den Inhalt des Exposé durchliest, glaubt, daß sein Kern eigentlich etwas anderes sein soll, nämlich ein Plaidoyer für den Ostpakt, für den neuesten Plan der europäischen oder vielleicht sogar der internationalen Politik. Alles andere ist mehr oder weniger Umschreibung und nur Umrahmung, damit dieses Problem, das ja heute sicher nicht mehr ist als ein Problem und noch nicht optimistisch beurteilt werden kann, nicht sozusagen als eine Naivität oder zu groß er Optimismus hingestellt werden könnte. Der Plan ist optimistisch, die Durchführung wird schwieriger sein als es fürs Erste scheint, und zwar nicht nur nach den Kenntnissen, welche der Herr Minister darüber hat und welche er nicht bis zum Letzten dem hohen Hause bekannt geben wird, sondern auch nach den einzelnen Motiven, die für diesen Plan eines Ostpaktes in Betracht kommen. Nach den Staaten, welche da in Kombination stehen und nach ihrer Ideologie, z. B. hat der Herr Minister angeführt, daß die Sowjetregierung die Gefahr der Ereignisse, die sich jetzt in der Welt vollziehen, für den Frieden der Welt und Europas sieht, die Gefahr der desorganisierenden Politik in Europa überhaupt und sich jetzt jenen nähert, welche trotz aller Schwierigkeiten den Frieden um jeden Preis wahren wollen. Es ist strittig, ob das auch wirklich die Motive des Sowjetverbandes sein können. Ich glaube nicht, daß die Bemühungen des Herrn Litvinow, sich jetzt sozusagen in Europa in den Sattel zu setzen, mit den Gedanken decken, welche der Herr Minister dafür vorgetragen hat. Es könnte doch auch sein, daß der Sowjetverband in diesem Ostpakt ein sehr bequemes Mittel gekommen sieht, um den Kommunismus in Europa noch unbehelligter einzuführen. Letzten Endes hat ja der Sowjetverband meiner Meinung nach bei die sem Ostpakt gar nichts zu riskieren. Auf der einen Seite wird er seinerseits an der Westgrenze gesichert, wenn irgendwelche Schwie rigkeiten für ihn im Osten entstehen sollten, und der dortige Gegner ist sicher nicht zu unterschätzen, auf der anderen Seite, wenn zuletzt doch nichts anderes herauskommt als ein neuer Krieg, riskiert die Sowjetunion am allerwenigsten dabei. Denn sie hat die größte Wahrscheinlichkeit für sich, daß bei der furchtbaren Art, welche ein künftiger Krieg und insbesondere ein Weltkrieg haben dürfte, zuletzt der Bolschewismus ja der endgültige Sieger dieses Krieges sein wird. Die Sowjet union hat also gar kein Risiko von dieser Seite, sondern wo man hinschaut nur Vorteile. (Posl. Špaèek: Societas leonina!) Es kann deswegen der Herr Minister es sicher nicht verargen, wenn Millionen von Menschen in Europa der Einbeziehung der Sowjetunion als Großmacht in die europäische Politik skep tisch gegenüberstehen und es nicht verstehen können, daß auf einmal das, was bis vor kur zem noch als das Ärgste verschrieen war, was der Menschheit passieren kann, jetzt ausgerechnet der Friedensengel in dieser Krise werden soll. (Posl. Špaèek: Docela správnì!) Die Nachteile liegen unserer Meinung nach auf Seite der europäischen Staaten, welche in diesen Ostpakt hineingezogen wurden, bzw. auf Seiten aller europäischen Staaten, die in Betracht kommen. Für die sind es nur Nachteile. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda Zierhut.) Denn es ist sehr fraglich, ob durch diese Konstellation der innere kulturelle und politische Friede dieser europäischen Staaten dadurch gesichert ist. (Posl. Špaèek: Timeo Danaos et dona ferentes!) Ja wohl. Das ist wohl eines der hauptsächlichsten Motive, welche zur Skepsis bezüglich des Ostpaktes berechtigen, gerade im Hinblick auf eine Friedenspolitik, welche die ganze Welt, die es ehrlich meint und kein Hazardspiel mit der Politik betreiben will, wollen muß.
Aber ein zweites Moment kommt, unserer Meinung nach, auch für den Ostplan noch sehr in Betracht. Es scheint fast, daß, wie einmal klassisch gesagt wurde, alles schon da gewesen, und daß die Nomenklatur der Diplomatie aus der Vorkriegszeit sich jetzt wieder ständig vernehmen läßt. Wir hören weniger vom Völkerbund, wir hören weniger von allen den Dingen, welche draußen den Frieden bringen sollen, von den persönlichen Entspannungen der Staatsmänner untereinander, bei der sie im persönlichen Verkehr aneinander näher kommen. Wir hören weniger von der Versöhnlichkeit in der Welt. Wir hören nur wieder all die Dinge, die wir aus der Vorkriegszeit nur zu gut kennen und die ja schließlich leider in letzter Stunde nicht zum Frieden, sondern zum Weltkrieg geführt haben. Damals gab es auch schon die großen Formeln des europäischen Gleichgewichtes. Die Großmächte muß en ausbaanciert werden, damit der Friede Europas gesichert sei. Es mußte alles danach eingerichtet werden, daß ja nur keine Verschiebung in diesem Gleichgewicht eintritt, denn das würde dann einen casus belli bedeuten oder zumindest die kriegerischen Möglichkeiten sehr erweitern. Deshalb europäisches Gleichgewicht und das, meine Damen und Herren, kehrt jetzt wieder, allerdings etwas verklausuliert. Es wird das sozusagen im Paktsystem serviert und da wechseln auch die Pakte nach Namen und Beziehungen. Der erste Pakt, der jetzt als Westpakt bezeichnet wird, war Locarno. Als man mit dem allein nicht das Auslangen fand, kam gerade zu Beginn dieses Jahres der Balkanpakt. (Posl. Špaèek: Kelloggpakt!) Sehr richtig. Auch der Kelloggpakt. Heuer der Balkanpakt, jetzt der Ostpakt, ich bitte um Verzeihung, wenn ich nicht alle Pakte anführe. Was aber sind denn diese Pakte alle? Sie sind doch eigentlich nichts anderes als ein Bündnissystem mit verschleierten Militärbündnissen inbegriffen. Es kommt ja nichts anderes zuletzt dabei heraus, und wenn wir gerade bei dem Ostplan die Wiedereinführung der Sowjetunion als Großmacht in die europäische Politik betrachten, so sage ich: Wer weiß, ob das nicht eines schönen Tages gar nichts anderes wird, als ein Wiederaufleben der franko-russischen Alliance vor dem Krieg.
Das sind Tatsachen, über die so vielfach tatsächlich auch schon gesprochen wird, über die nachgedacht zu werden verdient, weil man meiner Meinung nach aus der Geschichte gelernt haben sollte, und das in der praktischen Politik auch Verwendung finden sollte, was die Geschichte lehrt. (Posl. dr Petersilka: Die Geschichte lehrt, daß aus ihr niemand etwas lernt!) Ganz abgesehen davon, erachten wir die Entwicklung, welche jetzt die europäische Politik nimmt, grundsätzlich als eine Durchquerung des Völkerbundgedankens. Ich bin nicht in der Lage, die Schuldfrage zu prüfen, aber die Tatsache muß ich feststellen, daß wir von der Völkerbundpolitik abrücken, weil gerade die neue Politik der Paktsysteme eine direkte Durchkreuzung des Völkerbundgedankens - mehr oder weniger - darstellt.
Der Herr Auß enminister von Frankreich Barthou soll vor nicht langer Zeit eine bemerkenswerte Äußerung getan haben, indem er erklärte, er habe die Worte "Sieger und Besiegte" aus seinem Lexikon gestrichen. Wir sind der Ansicht - wenn sich das bewahrheiten sollte - daß unter dieser Form der Völkerbund sehr leicht, und zwar verbessert, wieder auferstehen könnte, und daß alle Arbeit darauf gerichtet sein sollte. Die Welt würde aufatmen, das Mißtrauen schwinden und nicht zuletzt wäre gerade dadurch die Kriegsgefahr, wenn nicht beseitigt, so doch zumindest wieder so zurückgeschraubt, daß sie nicht in ein aktuelles Stadium treten kann. Das würde auch die Friedenspolitik wesentlich vereinfachen. Statt durch die neue Art der Bündnisse Bindungen aller Art, durch Reisen der Diplomaten, durch die damit mitfahrenden Projekte, durch die Erklärungen, die bei diesen Anlässen offiziell gegeben werden und durch die Kommentare, die dann daran geknüpft werden, die Friedensarbeit zu vereinfachen, wird sie dadurch unserer innersten Überzeugung nach nur kompliziert. Es liegt ja bei dieser Arbeit der Diplomaten nicht allein an diesen. Im Hintergrund und noch viel bedeutsamer steht die Arbeit der Generalstäbe und es ist meiner Ansicht nach zweifellos, daß das auch wieder eine Ursache der gesteigerten Aufrüstung statt der Abrüstung ist. Es kommt einem fast die Vermutung, daß der Friedenswille nur relativ, nicht absolut ist, relativ insofern, als man nur alles vorsorgen will, um im Kriegsfall sicher der Stärkere zu sein und deshalb den Krieg solange hinaus schiebt, bis die Wahrscheinlichkeit eingetreten ist, daß er kommt, vielleicht auch damit im Zusammenhang die Wahrscheinlichkeit, daß man durch alle diese Kombinationen sich im vorhinein dafür sichern will, daß eine allenfalls wieder in Betracht kommende Schuldfrage im vorhinein schon zu Ungunsten des Gegners geregelt erscheint, bezw. der andere in diese Rolle schon im vorhinein hineinmanövriert wird.
Wir stehen nicht an, auch als
Oppositionspartei den Standpunkt, den ich zuerst grundsätzlich
bezogen habe, hier zu erklären. Wir halten das ebenso für
den Ausdruck demokratischen Pflichtbewußtseins, wie es auch unserem
Empfinden nach nichts ist als demokratische Pflichterfüllung,
wenn man alle die Bedenken aufzeigt, die einen selbst führen und
die wert sind, besprochen zu werden, damit von allen Seiten alles,
was geplant wird, auch begutachtet und vorbedacht werden kann.
Gerade in der kritischen Zeitperiode ist es unserer Überzeugung
nach eine Pflicht" daß alles zum Ausdruck gebracht wird,
was jenen am Herzen liegt, welche eine konstruktive Politik grundsätzlich
betreiben, mögen sie mit den offiziellen Machthabern übereinstimmen
oder auch nicht, die Form muß dafür sorgen, daß das in entsprechender
Weise zum Ausdruck kommt. Deshalb sind wir von diesen Bedenken
frei und treten frei für unsere Ansicht in dieser Hinsicht ein,
frei auch von Anachronismus, frei von internationalen Voreingenommenheiten
und in letzterer Hinsicht muß ich offen zugeben, daß für unseren
allgemeinen grundsätzlichen Standpunkt zum Exposé des Herrn
Ministers Dr. Beneš nicht zuletzt maßgebend ist, daß dieses
Exposé sich bemüht, in äußerst objektiver Weise und taktvoll auch
gegenüber dem Deutschen Reiche zu sein, umso mehr, als
wir auch als Deutsche unter den schmerzlichen Eindrükken dieser
letzten Ereignisse im Deutschen Reiche stehen. Gerade diese taktvolle
Haltung, die auch von einem Großteil der Redner dieses Hauses
beobachtet worden ist, indem sie es vermieden haben, aus diesen
Ereignissen heraus die Gefühle des deutschen Volkes als solchen
zu verletzen, muß anerkannt werden. Ich halte das für eine Pflicht
und es ist eine Befriedigung für uns, daß wir sehen, daß in der
Hinsicht der Takt und das Niveau im Steigen begriffen ist. Aber
es ist nicht allein das, es ist die Hauptsache, die Grundsatzeinstellung,
die uns der Friedenspolitik des Herrn Ministers zustimmen läßt.
Ich will nochmals unterstreichen, daß wir den Frieden als eine
unentbehrliche Notwendigkeit ansehen, trotz allem oder vielleicht
gerade jetzt jeden Krieg verabscheuen als eine Vernichtung der
Menschheit, als eine Gefahr der vollkommenen Vernichtung der europäischen
Kultur, als ein Verbrechen an der Menschheit. Deshalb sind wir
auch über alle die Bedenken hinweg entschlossen, unbeschadet unserer
oppositionellen Stellung zur gegenwärtigen Regierung unsere Zustimmung
zur Grundsatzfrage der Friedenspolitik und zur Stellungnahme zur
Demokratie nicht zu entziehen. (Potlesk.)
Hohes Haus! Einer meiner mittelbaren Vorredner hätte mir das Konzept stören können, als er sagte, in den Ausführungen des Herrn Ministers sei nichts Neues, man wisse durch sie nicht mehr, als man schon durch die Zeitungen erfahren hätte. Ich stand und stehe auf dem Standpunkte und spreche es hier ganz offen aus, daß sich gewisse prinzipielle Entwicklungen der europäischen Politik aus dem Referat des Herrn Ministers des Äußeren ableiten lassen, vielleicht nicht beim oberflächlichen Lesen, aber beim Diskriminieren, Analysieren der Sätze und vielleicht auch, wenn man zwischen den Zeilen lesen kann. Ich möchte dieses Grundsätzliche und grundsätzlich Wichtige herausheben, nicht nur aus dem Referat des Herrn Ministers, sondern auch aus der allgemeinen europäischen Politik, wie sie sich jedem, der die Entwicklung verfolgt, in irgendeiner Form widerspiegeln müßte.
Ich sehe zunächst als eine der grundsätzlichsten Fragen und als Grundlinie der europäischen Politik, die vielleicht nicht überall angestrebt wird, die sich aber mit Vehemenz und Gewalt durchsetzt, daß an der Erlangung einer Abrüstungskonvention festgehalten wird. Wer um den 1. Juni herum die Situation in Genf verfolgt hat, mußte eine derartige Enttäuschung empfinden und eine solche Resignation in Genf feststellen, daß er die Überzeugung haben mußte, alles sei vorbei. Und insbesondere als der Präsident der Abrüstungskonferenz einfach die Flinte ins Korn warf, war die Gefahr vorhanden, daß sich die Abrüstungskonferenz unter allgemeiner Verwirrung selbst preisgibt. Da ich mich gerade jetzt mit Absicht unter den Eindruck jener breiten und ausführlichen Literatur stelle, die die Zeit vor 20 Jahren darstellt und zwar von den verschiedensten Gesichtspunkten, bekenne ich mich ehrlich und offen, aus einer inneren menschlichen Verantwortung heraus, zu der Auffassung, daß sich niemals mehr solche Zufälligkeiten, eine solche zufällige Steigerung von Leidenschaften, von persönlicher Eitelkeit, von seelischen Eindrücken, aus unwahren und wahren Nachrichten wiederholen dürfen. Ich bekenne mich also zu einer friedlichen Lösung aller europäischen Konflikte und stehe auf dem Standpunkte, daß es nicht nur Pflicht der verantwortlichen Staatsmänner sein kann, sondern Pflicht der Völker und jedes einzelnen, dazu beizutragen, daß es nicht wieder irgendwelchen plötzlichen Leidenschaften überlassen wird, ob die Austragung politischer Fragen mit dem Schwerte oder durch Vereinbarung geschieht. Auch das wenige, was der Herr Minister über die Situation bei der Abrüstungskonferenz gesagt hat, ist wertvoll, weil auch ich glaube, daß wir nicht Pessimisten zu sein und nicht zu glauben brauchen, daß die Welt sich nicht auf den Boden von Konventionen und Verträgen über diese nervöse, ich sage offen, gräßliche Zeit der Zerfleischung und der Unsicherheit hinweghelfen kann.
Allerdings befriedigt als Konsequenz die in Genf entstandene weitere Entwicklung nicht, da das Hauptbestreben der Abrüstungskonferenz und der europäischen Diplomatie darauf gerichtet sein mußte, zu verhindern, daß die Abrüstungskonferenz auseinander läuft; das war natürlich eine ungeheuere Behinderung, weil ja der positive Erfolg nur darin bestand: Wir melden nicht die Pleite der Abrüstungskonferenz an. Was aber heraus gekommen ist und was im großen ganzen der Herr Minister zum Ausgangspunkt seines Optimismus gemacht hat, ist allerdings nicht befriedigend insofern, als man den einzig möglichen und brauchbaren Weg heute in der Schaffung von Regionalverträgen sieht. Ich bin fest überzeugt, daß Regionalverträge nicht genügen, daß sie im Gegenteil schon durch das Übergreifen übereinander und gegeneinander eigentlich einen ungeheueren Wirrwarr hervorrufen, der Europa in ein Gespinst von Verträgen hineinstellt, in dem dann die Gefahr besteht, daß sich die Verwirrung der über Europa gezogenen Fäden gerade in einem Augenblick als verhängnisvoll erweisen kann, in dem es wieder um Krieg und Frieden gehen wird.
Als zweites wichtiges Moment in den Ausführungen des Herrn Ministers möchte ich eine Tatsache hervorheben, die ich allerdings zwischen den Zeilen herausgelesen habe, nämlich die Feststellung, daß zwar die èechoslovakische Außenpolitik an Genf und an der Abrüstungskonferenz festhält, daß aber weder sie noch die europäische Politik bereit ist, in irgendeiner Form die Rückkehr Deutschlands nach Genf und zur Abrüstungskonferenz zu kompensieren. Diese Feststellung ist deshalb von großer Wichtigkeit, weil sie die Situation klärt und vielleicht dazu beitragen wird, gewisse Illusionen, die man sich über diese Kompensationen gemacht hat, zu zerstören. Auch das wäre ein Stück friedlicher Beilegung, auch das ist eine Möglichkeit, Konfliktstoffe abzubauen. Ich möchte durchaus positiv hier feststellen, daß die in Genf zustande gekommene Vereinbarung über das Saargebiet sicherlich eine durchaus wertvolle, die friedliche Entwicklung unterstützende Entscheidung war, die Genf doch sozusagen ein Vorzugszeugnis ausgestellt hat, zumindestens vielleicht in negativer Beziehung, daß dort nicht alles verloren sei. Allerdings ist die Entscheidung über die Saar eine Selbstverständlichkeit gewesen, sie bestätigte nur, was vor 14 Jahren vereinbart wurde; aber es bestand die Gefahr, hier einen ganz groß en Konflikt in Gang zu setzen, der, wie man sieht, durchaus vermieden werden konnte. Ich möchte auch sagen: Das Abkommen über die Saar scheint mir ein Anfang ohne Fortsetzung geworden zu sein. Denn als diese Abmachungen getroffen wurden, schien die Absicht vorhanden zu sein, Deutschland durch Kompensationen für Genf wieder zu gewinnen. Ich sagte schon, daß ich aus dem Exposé des Herrn Ministers herausgelesen habe, daß es keine Kompensationen für die Rückkehr gibt. Ich muß also hier feststellen, daß man in Genf mit Kompensationen begonnen hat bei der Saar - daß dann aber plötzlich eine Unterbrechung eingetreten ist. Diese Unterbrechung ist, wie ich glaube, vor allem auf zwei Dinge zurückzuführen:
Einerseits auf den neuerlichen Sieg des Gedankens der französischen Sicherheit oder der Sicherheit überhaupt. Ich halte die rechtliche und politische Frage der Sicherheit für etwas, was doch anders als lediglich mit den französischen Augen betrachtet werden muß. Andererseits glaube ich, daß zur Entspannung auf Seite der, sagen wir, Besiegten, es unbedingt notwendig ist, nicht nur die Frage der Sicherheit vom Gesichtspunkte eines eventuellen Konfliktes zu betrachten, sondern vom Gesichtspunkte des Friedens, was natürlich zwei wesentlich verschiedene Dinge sind. Vom Standpunkt des Friedens betrachtet glaube ich, daß gerade wir Sudetendeutschen es durchaus verstehen, wenn jemand von der Einwirkung der großen Zahl, der Macht, der Kanonen oder auch nur der Gewehre in das Gefühl einer absoluten Unsicherheit hineinkommen muß, und daß dieses Gefühl der Unsicherheit, der Bedrohung durch Starke oder Stärkere eine ganz große Friedensgefahr ist, weil natürlich aus diesem Gefühl der Unsicherheit heraus die Tendenz nach Schutz und nach Schaffung einer tatsächlichen Sicherheit entsteht. In Deutschland sind unter allen Regierungen gerade diese Gefühle der Unsicherheit, die Empfindung, gefährdet und erdrückt zu sein von starken, mächtigen Heeren um die Grenzen Deutschlands, für den Drang nach Aufrüstung und nach militärischer Sicherung immer maßgebend gewesen. Diese Frage muß also eine andere Betrachtung finden: Ich glaube, daß zu dem Friedenswerk, das ja schließlich jeder verantwortungsbewußte Mensch in Europa will, doch in viel stärkerem Maße das psychologische Moment des Schwachen hinzukommen muß, weil der Schwache in seiner Schwäche auch eine Gefahr bedeutet, erstens, weil er zu Verzweiflungstaten neigt, und zweitens, weil er seine ihm bewußte Schwäche in Stärke verwandeln muß und daher ein Element der Unruhe ist.
Als drittes möchte ich doch Folgendes hervorheben: Es geht ganz eindeutig aus der ganzen Entwicklung der europäischen Politik, aber auch aus dem Exposé des Herrn Ministers hervor, daß der Viererpakt absolut erledigt ist. Meine sehr geehrten Damen und Heren! Auch diese Feststellung ist von einer großen Bedeutung, und ich gestehe, daß ich einverstanden damit bin, wenn es zur Verhinderunrg einer Großmachtpolitik in Europa gekommen ist. Denn die Verhältnisse vor dem Kriege sind ganz andere als nach dem Kriege, und der Versuch, vier Großmächten das Regiment über Europa zu überlassen, müßte unter allen Umständen scheitern. Und als ein nicht gerade in diesem Hause und bei manchen Kollegen anerkannter Vorzugsschüler der Demokratie stelle ich fest, daß ich diesen Fall des Viererpaktes eigentlich als einen Sieg des demokratischen Prinzips in Europa nicht nur feststelle, sondern auch begrüße, weil ich - auch ein Schwacher, auch eine Minorität - es durchaus empfinden kann, wie Kulturvölker, auch wenn sie klein sind, sich dagegen wehren müssen, daß yier Großmächte bestimmen, wohin das Schicksal Europas geht. Allerdings muß ich dem entgegenhalten, daß vielleicht vom wissenschaftlichen oder von einem höheren Gesichtspunkte diese Feststellung ihre Berechtigung hat, daß aber die Praxis ein wenig anders aussieht, insofern als man doch sagen kann, daß im großen ganzen der Viererpakt einmal wiederkehren könnte, wenn die regionalistische Entwicklung weiter gegangen ist, wenn sie festere Formen angenommen hat. Es kann also sein, daß nicht mehr die vier Großmächte allein, sondern die vier Großmächte und ihre Freunde sich in irgendeiner Form dazu entschließen, die europäische Politik zu bestimmen: Frankreich mit seinen Freunden der Kleinen Entente, Italien auf der Basis des römischen Pakts, Deutschland vielleicht allein, vielleicht mit dem neuen polnischen Freund. Man sieht jedenfalls, daß hier eine Entwicklung nur unterbrochen ist oder unterbrochen sein kann, ohne zu sehen, wohin diese Entwicklung geht. Ich glaube, daß Kollege Luschka recht hat, wenn er meint, daß sich diese regionalistische Entwicklung gegen die Bedeutung und die Kraft des Völkerbundes auswirken muß, weil natürlich diese Bindungen, die einzelne Staaten untereinander herstellen, selbstverständlich den kollektivistischen Entscheidungen in Genf zuwiderlaufen können; es ergeben sich hieraus schon vorbestimmte Auffassungen, vorbestimmte Einstellungen zu gewissen Problemen, die natürlich in Genf nicht ohneweiters dann zur Seite geschoben werden können, so daß auf Basis der Gleichheit der Staaten im Völkerbund die einzelnen Fragen noch mühseliger als bisher behandelt werden müssen.
Als weiterer bedeutungsvoller Gedanke, der die europäische Politik bestimmt, ist auch im Exposé des Herrn Ministers die Tatsache herausgearbeitet, daß Sowjetrußland in die europäische Politik zurückkehrt. Angestrebt wurde dies eineinhalb Jahrz ehnte lang; derzeit ist es geschehen auf der Basis von Einzelverträgen der Staaten mit Sowjetrußland, und dagegen läßt sich kein Einspruch erheben. Es ist vom politischen und wirtschaftlichen Standpunkt notwendig, wenn ich auch nicht den Optimismus in wirtschaftlicher Beziehung teilen kann, den z. B. Herr Kollege Neèas hier geäußert hat. So sehr ich es für eine logische und natürliche Entwicklung halte, daß die Anerkennung Rußlands von der Èechoslovakei durchgeführt wurde, so wenig aber will es mir gefallen, daß nun alle Bemühungen darauf gerichtet sind, Sowjetrußland auch in den Bereich des Völkerbundes hereinzubringen, d. h. einen Staat, der auf einer vollkommen anderen kulturellen und weltanschaulichen Auffassung steht, in das europäische System hineinzubauen. Ich befürchte nicht nur, daß für Sowjetrußland das Genfer Podium die Grundlage einer sehr weitreichenden, rücksichtslosen Propaganda wird, sondern daß auch die Einigungen über kulturpolitische Fragen ungeheuer erschwert sein werden, weil die sowjetrussische Auffassung von Menschenleben und Bildung, von Kind, Frau und Familie derart verschieden von unserer europäischen Auffassung ist, daß sich ganz klar Hindernisse einer Zus ammenarbeit ergeben müssen. Es ist ganz interessant, daß aus Kirchen- und Kulturkreisen große Bedenken dagegen geäußert wurden und werden, daß man soweit gehen will, Rußland in die europäische Staatengesellschaft, also in den Völkerbund, einzubauen. Ich zweifle nicht, daß es zu Schwierigkeiten kommen muß, wenn Sowjetrußland hier mitwirkt. Es wird nicht immer der ölglatte Herr Litwinow kommen, es wird einmal auch ein andrer kommen. (Posl. Ruppeldt: Göring!) Der kann wohl für Rußland nicht kommen. Es werden andere kommen, welche durchaus nicht das diplomatische Parkett kennen und die einfach vielleicht schon aus jenen Jugendlichen hervorgegangen sind, die eigentlich wie wilde Tiere aufgewachsen sind.
Nun, die große Hoffnung des Herrn Außenministers ist der Plan eines Ostpaktes. Ich bitte: die Verhältnisse sind so traurig, wenn man die einzelnen Staaten, die Spannungen in den einzelnen Staaten und auch unter den einzelnen Völkern hernimmt, daß man sich immer an irgendeine Hoffnung h alten muß, wenn man überhaupt über die seelischen Hemmungen hinwegkommen will, welche einem geistig Mitgehenden, geistig Mitschaffenden oder geistig Beeindruckten aufscheinen. Da muß ich sagen, daß ich mich in dieser Art der Hoffnung dem Herrn Außenminister anschließen möchte. Ich möchte dabei Locarno durchaus nicht übers chätzen - ich weiß nicht, wie der Ostpakt einmal benannt sein wird - ich glaube aber, daß dieser Ostpakt immerhin wenigstens für eine ganze Reihe von Monaten für uns eine stille Hoffnung bleibt und die Möglichkeit bietet, einen Ausweg zu sehen, während wer keine solche Konzeption hat, eigentlich alles schwarz in schwarz sehen müßte. Einzelheiten sind natürlich aus dem Referat für den Ostpakt nicht abzuleiten. Sie sind nur daraus zu ersehen, daß auch für den Ostpakt von vornherein erklärt wird, daß er keine aggressive, keine offensive Tendenz haben kann und haben will und daß er der Gesamtheit dienen will. Ich würde innigst wünschen, daß die Hoffnungen, die wir in diese östliche Pazifizierung setzen dürfen, sich nicht in Enttäuschung umwandelt; ich würde es vom Standpunkte friedlicher Entwicklung begrüßen, wenn, wie es im Exposé ausdrücklich heißt, auch Deutschland beteiligt wäre, weil ich es für eine kolossale Gefahr für die friedliche Entwicklung halte, daß sich Regionalverträge bilden, bei denen Deutschland ausgeschlossen ist. Deutschland muß in die Verträge hinein, weil es sich durch diese verschiedenen Bildungen der Staatengruppen natürlich unsicher fühlen und sich daher auch solchen Entwicklungen entgegenstellen muß, die es an sich mitmachen würde.