Hohes Haus! Zur Beratung steht der seitens der Regierung vorgelegte Gesetzentwurf über die Entschädigung der Berufskrankheiten.
Ich stehe nicht an zu erklären, daß wir deutschen Nationalsozialisten diese Vorlage, trotzdem wir noch manches an ihr zu bemängeln haben, in zweifacher Hinsicht begrüßen. Einerseits aus dem Grunde, weil sie durchaus in der Linie der von uns schon mehrfach erhobenen diesbezüglichen Forderungen liegt. Andrerseits deshalb, weil durch sie der schon reich lang andauernde Stillstand in der sozialpolitischen Arbeitergesetzgebung endlich wieder einmal durchbrochen wird.
Wir deutschen Nationalsozialisten haben noch nie unsere Zustimmung zu Maßnahmen verweigert, die einen wirklichen sozialen Fortschritt - ganz gleich für welche Berufsgruppe oder Bevölkerungsschicht - bedeuteten.
Leider hatten wir jedoch in den letzten 1 bis 2 Jahren - dank der herrschenden Untätigkeit auf sozialpolitischem Gebiete sehr wenig Gelegenheit, diese unsere Einstellung in den gesetzgebenden Körperschaften dieses Staates offen zu bekunden. Ganz abgesehen davon, daß das Abgeordnetenhaus trotz der herrschenden Wirtschaftskrise, trotz Hunger, Not und Elend - nur selten und wenn schon, dann meist nur zu Verlegenheitssitzungen zusammentrat, kamen in der genannten Zeit nur sehr wenige sozialpolitische Vorlagen zur Behandlung. Wir verkennen durchaus nicht jene Schwierigkeiten, welche heute bestehen. Wir wissen außerdem nur zu gut, daß hierzulande nicht Recht, sondern bloße Macht entscheidet. Wir haben zur Genüge Beweise dafür erhalten, daß auf Grund der heutigen Regierungszusammensetzung längst dringend gewordene Maßnahmen nicht vom Gesichtspunkte ihrer Notwendigkeit, sondern einzig und allein auf Grund von Machtverhältnissen und im Kompromißwege erledigt werden. Das muß notgedrungen zu Hemmungen und Stockungen, wenn nicht gar zur vollständigen Lahmlegung der ganzen Gesetzesmaschinerie oder zu ganz unbefriedigenden Lösungen führen.
Anders kann der Zustand nicht gedeutet werden, der augenblicklich besteht und allem voran zu einer ganz unverantwortlichen Untätigkeit auf dem Gebiete der Sozialpolitik sowie in der Krisenbekämpfung geführt hat.
Im Gegensatz zu den bestehenden Verhältnissen sollte man aber doch annehmen dürfen, daß eine Regierung, die auch von den Sozialdemokraten mitgebildet wird, sich in der heutigen schweren Notzeit dazu aufraffen müßte, die bestehenden Härten durch eine gesunde und aufsteigende Sozialpolitik zu mildern. Man müßte annehmen, daß eine solche Regierung - wenn es ihr wirklich ernst ist um die Aufrechterhaltung der Ruhe, und Ordnung - nichts unversucht läßt, die wirtschaftlich Schwachen vor Ausnützung zu schützen, sie vor Verzweiflung und Untergang zu bewahren. Der hiefür notwendige gute Wille scheint jedoch zumindest nicht in allen Teilen der Regierung vorhanden zu sein. Im anderen Falle wäre es nicht möglich, daß man den furchtbaren Geschehnissen, wie sie sich draußen in den - allerdings zum Großteil deutschen - Industriegebieten ereignen, so tatenlos gegenübersteht, wie dies seit Monaten geschieht.
Im Vergleiche zur Größe der herrschenden Wirtschaftsnot muß daher das Ergebnis der bisherigen èechoslovakischen Sozialpolitik und der Krisenbekämpfung leider als überaus mager und dürftig bezeichnet werden.
Seit der bereits im Jahre 1930 erfolgten Novellierung der trotzalledem noch unzuläng lichen Arbeitslosenfürsorge nach dem soge nannten "Genter System" und außer der Gewährung einiger Kredite, über deren Ver wendung jede Kontrolle fehlt, ist nichts geschehen, was etwa als Maßnahme zur Bekämpfung und Linderung der Not und des herrschenden Elends angesprochen werden könnte.
Jedoch auch auf sozialpolitischem Gebiete harren seit Jahr und Tag überaus dringende Fragen ihrer Erledigung. Außer einigen Regierungsverordnungen untergeordneter Bedeutung verdienen seit Beginn des Jahres 1931 lediglich die Gesetzesvorlagen über die Einrechnung der nichtversicherten Dienstzeit, über die Arbeitsgerichte, über die Jugendstrafgerichtsbarkeit, über die Ladensperre und über die Verlängerung des Mieterschutzes eine Erwähnung. Ganz abgesehen von den Mängeln, die diesen Gesetzen anhaften, wurde durch sie lediglich ein Bruchteil der Gegenwartsforderungen der Arbeitnehmerschaft Rechnung getragen. Völlig unbeachtet aber blieb in dieser Zeit der Großteil der berechtigten und zumeist überaus dringenden Forderungen der von der Wirtschaftskrise am schwersten betroffenen Arbeiterschaft. Während viel Zeit für das Banken-, das Umsatzsteuer- und Spiritusgesetz, sowie andere Maßnahmen verwendet wurde - die man nicht gut als Mittel zur Krisenbekämpfung bezeichnen kann - harren die immer dringender werdenden Forderungen nach ausreichender Arbeitsbeschaffung, nach einer Arbeitslosenversicherung, nach gesetzlicher Regelung des Kollektivvertrags- und Schlichtungswesens, nach gesetzlichen Maßnahmen gegen willkürliche Betriebsstillegungen, nach erhöhter Fürsorge für die Alten usw. noch immer einer Erledigung. Die hier genannten Forderungen sind im Hinblicke auf die herrschende Wirtschaftsnot überaus dringender Natur. Sie müssen raschestens einer Erledigung zugeführt werden, wenn der um ihre Existenz ringenden Arbeiterschaft wirkliche Hilfe gebracht werden soll.
Die Not der breiten Massen steigt von Tag zu Tag. Noch immer werden weit über 600.000 gemeldete Arbeitslose in diesem Staate ausgewiesen. Das heißt mit anderen Worten, daß in Wirklichkeit rund 1 Million Arbeitslose vorhanden sind, die seit Monaten mit ihren Familien hungern und darben. Wohl meldeten die Arbeitsvermittlungsanstalten mit Ende April einen schwachen Rückgang in der Arbeitslosenziffer. Diese Verminderung ist jedoch nur auf die teilweise Wiederaufnahme der Arbeit durch die Saisonarbeiter, nicht zuletzt aber auch auf die Ausscheidung zahlreicher Arbeitsloser aus dem Unterstützungsbezuge zurückzuführen. Die von den Arbeitsvermittlungsanstalten ausgewiesenen Arbeitslosenziffern dürfen jedoch keineswegs zu der etwaigen irrigen Auffassung verleiten, als ob ein merklicher Rückgang der Wirtschaftsnot und ein Abflauen der Wirtschaftskrise zu verzeichnen wäre. Die Arbeitslosigkeit unter der Industriearbeiterschaft hält nicht nur an, sondern ist vielmehr noch in einem weiteren Ansteigen begriffen. Es kommt zu immer neuen Betriebsstillegungen, zu neuen Betriebseinschränkungen und Arbeiter-Entlassungen.
Ich habe mich der Mühe unterzogen durch eine eigene Aktion die Notlage in den einzelnen Gemeinden des deutschböhmischen Gebietes zu erheben. Dank des Entgegenkommens, das mir dabei die meisten deutschen Gemeinden trotz größter sozialdemokratischer Gegenaktion erwiesen haben, wurde mir die Möglichkeit geboten, ein ziemlich lückenloses Beweismaterial über die in den deutschen Gebieten herrschende Wirtschaftsnot zusammenzutragen. Zum Teil habe ich die Ergebnisse dieser Aktion auszugsweise veröffentlicht. Eine Verwertung dieser Erhebungen im Interesse der schwer betroffenen Gebiete wird folgen. Ohne daher näher auf die gesammelten Daten an dieser Stelle einzugehen vermag ich unter Hinweis auf sie nur anzuführen, daß sie ein geradezu erschreckendes Gesamtbild ergeben, das die schlimmsten Vermutungen weit übertrifft. Ganz besonders schwer sind Einzelgebiete betroffen, in denen es - ohne Übertreibung - zu einem vollständigen Zusammenbruch der Wirtschaft kam. In allen deutschen Industrie-, aber auch in vielen ländlichen Gebieten ist eine grenzenlose Verelendung aller Arbeitsmenschen zu verzeichnen. Die Not der breiten Massen der Industriearbeiterschaft ist auch heute noch in einem steten Wachsen begriffen. Mit der Not wächst aber auch die Verzweiflung dieser Menschen; denn sie sehen auch nicht das geringste Anzeichen für eine kommende Besserung. Darüber hinaus fühlen sie sich in all ihrer Not und Sorge völlig verlassen, weil die primitivsten Hilfsmaßnahmen ausbleiben, die Staat und Gesellschaft zu erfüllen hätten. Dazu gesellt sich dann noch der Druck, der vom Unternehmer ausgeübt wird und durch Lohnherabsetzungen eine weitere Verschlechterung der Lebenslage der breiten Massen zum Ziele hat. Daß dem so ist, beweist schon der Bergarbeiterstreik und beweist uns auch der Kampf, den die nordwestböhmische Bauarbeiterschaft um die Erhaltung der bisherigen vertraglich festgelegten Löhne zu führen hat.
Als ein Terrorakt muß es bezeichnet werden, wen sich die Arbeitgeber im Baugewerbe unter Ausnützung der herrschenden Wirtschaftsnot weigern, die durch den Lohnschiedsspruch festgelegten Löhne zu bezahlen. Sie trieben damit die Bauarbeiterschaft in den nun schon mehr als 3 Wochen währenden Streik, der bereits eine große Ausdehnung angenommen hat. (Posl. Krebs: Wozu sind eigentlich die Lohnschiedsgerichte da?) Jawohl, und man fragt sich auch, wo die Behörden bleiben, die ja die Einhaltung dieser Schiedssprüche mit zu überwachen hätten. (Posl. Krebs: Bei jedem Braunhemd werden sie nervös!) Ja, sie sind viel zu beschäftigt und haben für solche Dinge nichts mehr übrig.
Ähnlich wie im Bergarbeiterstreik handelt es sich auch hier um eine vollkommen gerechtfertigte Auflehnung der betroffenen Arbeiterschaft gegen Willkür und Verelendung. Der Bergarbeiter-, wie auch der nunmehrige Bauarbeiterstreik sind deutliche Zeichen unserer Zeit, die vor allem von den Verantwortlichen richtig erkannt und eingeschätzt werden sollten. Diese spontanen Kampf- und Willensäußerungen unterstreichen aber auch, wie notwendig es ist, raschestens an die Stelle des bisherigen Stillstandes eine erhöhte Tätigkeit auf sozialpolitischem Gebiete und in der Frage der Krisenbekämpfung treten zu lassen, wenn sich die unter der gesamten Arbeiterschaft herrschende Verzweiflungsstimmung nicht in anderer Weise auswirken soll. Die Verantwortung für Verzweiflungsausbrüche aller Art haben unter allen Umständen jene zu tragen, die schuld oder wenigstens mitschuldig sind, wenn nichts oder nur wenig geschieht, das geeignet wäre der herrschenden Not und ihren Auswirkungen erfolgreich entgegenzutreten.
Der heute vorliegende Gesetzentwurf bezüglich der Entschädigung der Berufskrankheiten beinhaltet wohl auch keine Maßnahmen zur Bekämpfung der Wirtschaftsnot und ihrer folgenschweren Auswirkungen. Er muß aber dennoch begrüßt werden, weil er wenigstens darnach angetan ist, einer nicht unbedeutenden Anzahl von Arbeitsmenschen ein ihnen schon längst gebührendes Recht zu sichern und ihnen wenigstens teilweise die Sorge um die Zukunft abzunehmen. Endlich soll es dazu kommen, daß die so häufig auftretenden Berufskrankheiten wie Unfälle behandelt und auch entschädigt werden. Etwas neues wurde damit allerdings nicht erfunden, sondern nur ein bedauerlicher Rückstand aus der Welt geschafft und damit einer alten berechtigten Forderung der Arbeiterschaft Rechnung getragen. Es wird damit lediglich das nachgeholt, was in anderen europäischen und nichteuropäischen Staaten längst eingeführt ist.
Das Studium der Berufskrankheiten, ihre Erkennung und ihre Verhütung reicht bis in das 15. Jahrhundert zurück. Insbesondere in neuester Zeit beschäftigen sich immer mehr Ärzte und Sozialpolitiker mit dieser bedeutsamen Frage. Die Schweiz war das erste Land, das den Schutz des Arbeiters gegen Berufskrankheiten einführte. Dort bestehen bereits seit dem Jahre 1877 gesetzliche Bestimmungen dieser Art, die sich allerdings zuerst nur auf Phosphorerkrankungen und Bleivergiftungen bezogen. Die bestehenden Bestimmungen wurden jedoch ständig verbessert und erweitert, so daß bereits im Jahre 1918 eine ziemlich vollwertige Einbeziehung der Berufskrankheiten in die Unfallversicherung in Erscheinung trat. In diesem Zusammenhange erscheint es notwendig, der Tatsache Erwähnung zu tun, daß die VII. Tagung der "Internationalen Arbeitsorganisation" bereits am 10. Juni 1925 ein Übereinkommen über die Entschädigung der Berufskrankheiten annahm. Dieses Übereinkommen, das gleichfalls vorliegt, verpflichtet die beteiligten Staaten die Berufskrankheit en bezüglich ihrer Entschädigung den Betriebsunfällen gleichzustellen und als Berufskrankheiten solche Krankheiten und Vergiftungen anzusehen, die durch Blei und Quecksilber mit Einschluß ihrer Legierungen und Verbindungen und durch Milzbrandgift verursacht worden sind.
Damit war eigentlich schon vor 7 Jahren die Verpflichtung zu diesem Gesetze geschaffen. Rund 20 Staaten haben denn auch dieses Übereinkommen bereits ratifiziert. So werden schon seit Jahren die Berufskrankheiten im Rahmen der Unfallversicherung in Deutschland, Österreich, England, Frankreich, Schweiz, in den Vereinigten Staaten, Ungarn, Jugoslavien, Polen, Japan usw. entschädigt.
Es erscheint uns daher nicht nur als eine reine Selbstverständlichkeit, sondern vielmehr als zwingende Pflicht, wenn nunmehr auch die Èechoslovakei nach einem fast 7jährigen Studium endlich darangeht, das zu verwirklichen, was in der Schweiz schon ein halbes Jahrhundert, in Deutschland und auch in anderen Staaten schon seit 1925 eingeführt ist. (Posl. Krebs: In der Èechoslovakei hat es solange gedauert, daß es der Präsident des Internationalen Arbeitsamtes nicht mehr erlebt hat!) Ja, obwohl er es oft eingemahnt und urgiert hat, daß es auch in diesem Staat eingehalten werde. Der vorliegende Gesetzentwurf kommt somit lediglich der reichlich späten Einlösung einer längst bestandenen Verpflichtung gleich.
Die Gesetzwerdung der in Frage stehenden Vorlage ist eine umso dringendere Notwendigkeit, als gerade die fortschreitende Industrialisierung eine ganze Reihe schwerer Erkrankungen mit sich brachte, die stets bei ein- und derselben Berufsgruppe, bzw. bei Ausübung ein- und desselben Berufes auftauchen und deshalb ja auch als "Berufskrankheiten" bezeichnet wurden. Hervorgerufen werden solche Krankheiten durch eine schädliche Wirkung des Arbeitsvorganges, bzw. der Arbeitsverrichtung. Sie hinterlassen ähnliche Schädigungen wie die Unfälle, denen sie daher vollkommen gleichzustellen sind. Man kann in Bezug auf Einwirkung zwei Arten von Einflüssen unterscheiden. Einerseits den schädigenden Einfluß durch die Stoffe, die bei der Arbeitsverrichtung Verwendung finden (z. B. Blei, Quecksilber, Phosphor usw.) andrerseits aber auch die schädigende Wirkung die etwa vom Arbeitsplatze und seiner Beschaffenheit ausgeht (z. B. durch Hitze, Kälte, Gase, Feuchtigkeit, Staub usw.). Die durch diese Einflüsse nicht plötzlich, sondern nach und nach hervorgerufenen Erkrankungen führen zu einer Verminderung der Erwerbsfähigkeit, wenn nicht zur dauernden Arbeitsunfähigkeit überhaupt. Es erscheint daher durchaus gerechtfertigt, wenn auch für diese Erkrankungen so wie es bei Unfällen geschieht, bestimmte Renten festgesetzt werden, um die davon Betroffenen nach ihrer Ausscheidung aus der Krankenversicherung nicht einfach ihrem Schicksal zu überlassen.
Darüber hinaus werden die Betroffenen durch solche Berufserkrankungen oftmals auch zu einem Berufswechsel gezwungen, um ihre stark geschädigte Gesundheit nicht aufs neue zu gefährden. Der Berufswechsel bringt zumeist einen geringeren Verdienst, also eine Erwerbseinbuße mit sich. Es ist somit durchaus gerechtfertigt, wenn auch für diese Fälle besondere Renten vorgesehen werden, um die Existenz dieser Menscher sicherzustellen. Nicht unerwähnt darf dabei bleiben, daß Menschen mit Berufskrankheiten natürlich auch gegen andere Erkrankungen weniger widerstandsfähig sind. Aber auch die Krankenversicherungsanstalten könnten auf die Dauer die gerade aus diesem Titel erwachsende und immer größer werdende Belastung nicht so ohne weiters ertragen, während dem Betroffenen mit dem Bezuge des Krankengeldes im Höchstausmaße eines Jahres nicht gedient ist.
Aus all dem Gesagten ergibt sich für jeden rechtlich Denkenden von selbst die Erkenntnis, daß Berufskrankheiten anders zu werten sind als alle anderen Erkrankungen und daß sie daher den Unfällen gleichgestellt werden müssen.
Diesen bestehenden Tatsachen versucht denn auch der vorliegende Gesetzentwurf so weit als möglich gerecht zu werden. Es bedarf hiebei keiner besonderen Stellungnahmeunsererseits, wenn im § 1 dieses Entwurfes auf das Unfallversicherungsgesetz der Arbeiter vom 28. Dezember 1887, R. -G. -Bl. Nr. 1 ex 1888, ferner auf den Ges. Art. XIX/1907 über die Kranken- und Unfallversicherung der Industrie- und Handelsangestellten, sowie auf den Gesetzes Artikel XIX/1900 über die Hilfskassa für landwirtschaftliche Arbeiter und Gesinde, sowie auf alle Ergänzungen, Bezug genommen wird. Dadurch kommt lediglich die Uneinheitlichkeit, aber auch die Reformbedürftigkeit des gesamten Unfallversicherungswesens, dem die Bestimmungen über die Entschädigung der Berufskrankheiten eingegliedert, bzw. angeschlossen werden, zum Ausdruck. Über die dringend notwendig gewordene Reform der mehr als veralteten Unfallversicherung wird noch an anderer Stelle zu sprechen sein.
Der § 2 des Gesetzentwurfes führt an, daß gemäß der gesetzlichen Bestimmungen als Berufskrankheiten jene Erkrankungen zu betrachten sind, die in einer besonderen Zusammenstellung genannt werden, sofern sie in Ausübung der Berufstätigkeit in einer der gleichfalls näher bezeichneten Betriebsgattungen hervorgerufen wurden. Hiebei erfolgt keine klare Umschreibung des Begriffes "Berufskrankheiten", was sicherlich außerordentliche Schwierigkeiten bereiten und zu Streitigkeiten aller Art führen würde. Es erfolgt vielmehr eine Aufzählung der Krankheiten, bzw. der Betriebsgattungen. Im allgemeinen kann man sich mit dieser Lösung einverstanden erklären, da sie vielleicht am allerehesten die Möglichkeit dazu bietet, allzu große Härten zu vermeiden. Die Zustimmung zu dieser Art von Lösung kann vor allem auch deshalb gegeben werden, weil der § 7 festlegt, daß das Verzeichnis der Berufskrankheiten im Bedarfsfalle durch Regierungsverordnung ergänzt werden kann. Es wäre jedoch zweckmäßig gewesen und im Interesse der Sache gelegen, wenn hiefür auch das Mitberatungsrecht der Gewerkschaften festgelegt worden wäre, da letztere sicherlich einen entsprechenden Einblick besitzen und demgemäß auch wertvolle Anregungen zu geben vermögen. Ansonsten erübrigt sich wohl, auf die in der Vorlage angeführten insgesamt 25 verschiedenen Arten der Erkrankungen näher einzugehen, da es sich dabei um lauter Erkrankungen handelt, für die der Begriff "Berufskrankheit" durchaus zutreffend ist und auch in den meisten anderen Staaten als Berufskrankheiten gewertet werden.
Der vorliegende Gesetzentwurf lehnt sich dabei stark an das reichsdeutsche Gesetz an. Auf Einzelfälle eingehend, verdient besondere Beachtung der Einbezug der durch Radiumstrahlen verursachten Erkrankung an Lungenkrebs, wie dieser ganz besonders bei den Bergleuten im Joachimsthal überaus häufig auftritt. Unsererseits, und zwar vor allem von Koll. Abg. Geyer, sind mehrfach Forderungen zum Schutze jener Personen erhoben worden, die in Betrieben beschäftigt sind, welche Radium gewinnen, verarbeiten oder verwenden. Ich verweise diesbezüglich auf den vom Koll. Geyer eingebrachten und zuletzt als Druck Nr. 129 neuerlich aufgelegten Antrag dieser Art. Mit vollem Recht verwies Koll. Geyer in der Begründung seines Antrages darauf, daß "die Angelegenheit der gesetzlichen Schutzmaßnahmen gegen die schädigenden Wirkungen des Radiums eine dringende soziale Frage geworden sei, die eine Regelung in einem eigenen Gesetze erfordere". Wir sehen daher in dem Einbezug dieser Art der Berufskrankheit in dem vorliegenden Gesetzentwurf nicht nur die Einlösung einer sozialen Verpflichtung, sondern auch die Erfüllung einer von uns mehrfach erhobenen berechtigten Forderung im Interesse der Bergleute in den Urangruben, der Personen in den Radiumlaboratorien, der Ärzte und des Hilfspersonals, die die Behandlung mit Radium durchführen usw. Vollständig überflüssig erscheint es mir, näher zu befürworten, daß alle durch Blei, Phosphor, Arsen, Mangan usw. hervorgerufenen Erkrankungen miteinzubeziehen sind. Die Gesundheitsschädlichkeit dieser Stoffe begründet von selbst den besonderen Schutz jener Personen, die in Ausübung ihres Berufes mit ihnen in Berührung kommen und dadurch schweren schädigenden Einwirkungen derselben auf ihren Organismus ausgesetzt sind. Einem gewiß dringenden Bedürfnis wird durch die Einbeziehung aller jener Erkrankungen entsprochen, die infolge Verstaubung der Lunge durch Quarz und Eisenstaub entstehen. So hat eine Erhebung im Jahre 1901 ergeben, daß von 2015 Steinarbeitern nach einer Arbeitsdauer von 10 bis 15 Jahren bereits 1/3 aller Steinmetze Opfer der Tuberkulose geworden waren. Nicht minder sind gleiche Erkrankungen auch bei Porzellan- und Metallarbeitern, Feilenhauern, Glasschleifern usw. Wichtig erscheint mir auch Hinweis darauf, daß die Vorlage auch an die im Dienste der öffentlichen Krankenpflege stehenden Personen denkt, indem Infektionskrankheiten, die sich jemand in Ausübung seines Berufes zuzieht, als Berufskrankheit und damit als Unfall angesehen und behandelt werden. Ärzte, Krankenschwestern und das gesamte Hilfspersonal werden von nun an die Möglichkeit haben in den Bezug einer Rente zu treten, wenn sie in Ausübung ihres Dienstes einer Ansteckung zum Opfer fallen. Bisher hatten sie bestenfalls Anspruch auf die Leistungen der Krankenversicherung im gesetzlich festgelegten Höchstausmaße eines Jahres. Das zu beschließende Gesetz räumt also auch hier mit einem bestandenen großen Unrecht auf. Diese wenigen Hinweise auf die im Gesetzentwurfe festgelegten Erkrankungsarten mögen genügen unseren Standpunkt darzulegen.
Es besteht jedoch kein Zweifel darüber, daß auch eine Reihe von Mängeln aufzuzeigen wäre, die sich vor allem aus der Nichtanführung von Erkrankungen ergeben, durch die das Verzeichnis zu ergänzen wäre. Da jedoch, wie bereits angeführt, durch die Bestimmung des § 7 die Möglichkeit einer jederzeitigen Ergänzung besteht, soll in diesem Zusammenhange davon Abstand genommen werden. Das Fortschreiten der medizinischen Wissenschaften einerseits und die modernen Arbeits- und Erzeugungsmethoden andrerseits werden jedoch innerhalb der kürzesten Zeit nicht unbedeutende Ergänzungen notwendig machen. Es ist unzweifelhaft, daß die fortschreitende Mechanisierung, ferner die Rationalisierung und erhöhte Antreibung weitere Arten von Berufserkrankungen im Gefolge haben und zeitigen werden. Die Erfahrungen, die in der nächsten Zeit werden angestellt werden können, werden sicherlich eine Erweiterung der gesetzlichen Bestimmungen über die Berufskrankheiten notwendig machen. Unsererseits wird sicherlich alles geschehen, was getan werden kann, um einen entsprechenden Einfluß auf notwendige Ergänzungen auszuüben.
Bedauerlich erscheint mir vor allem, daß die Gesetzesvorlage eigentlich keine oder nur wenige Bestimmungen über die Verhütung der Berufskrankheiten enthält. Die wenigen allgemeinen gesetzlichen Bestimmungen, die in dieser Beziehung bestehen, sind meines Erachtens vollkommen unzulänglich und bedürfen einer dringenden Ergänzung. Es wäre sicherlich Sache des Regierungsentwurfes gewesen, diese Notwendigkeit mit zu berücksichtigen. Die Arbeitskraft des Volkes ist das höchste Gut, sie zu schützen muß die wichtigste Aufgabe sein. Mit niedern Renten nach der Erkrankung und der damit verbundenen Ausschaltung aus dem Produktionsprozeß allein ist nichts getan. Es muß vielmehr getrachtet werden, die Berufskrankheiten aus der Welt zu schaffen, bzw. sie auf ein Mindestmaß einzuschränken, um die Arbeitsmenschen vor frühzeitigem Siechtum und Verfall zu bewahren. Leider vermißt man jedoch im vorliegenden Gesetzentwurf diesbezügliche Bestimmungen fast zur Gänze.
Ich bin mir dessen durchaus bewußt, daß in dem Augenblick, wo Berufskrankheiten anzeigepflichtig werden, es leichter möglich sein wird, für geeignete Schutzvorkehrungen zu sorgen. Ich verkenne auch nicht die Tatsache, daß auch die Unternehmer nach Inkrafttreten des Gesetzes aus eigenem ein höheres Interesse an der Verhütung von Berufskrankheiten an den Tag legen werden, wenn sie befürchten müssen, daß durch eine große Zahl von Erkrankungen ihre Betriebe in eine höhere Gefahrenklasse der Unfallversicherung eingereiht werden. In diesem Zusammenhange muß man zweifelsohne auch der Bestimmung des § 5 des vorliegenden Gesetzentwurfes Erwähnung tun, der eine sogenannte "Übergangs- oder Zusatzrente" vorsieht. Diese Bestimmung besagt, daß eine Rente auch dann gewährt werden kann, wenn die Befürchtung besteht, daß sich eine Berufskrankheit wiederholt oder verschlimmert, sobald der Versicherte weiterhin auf seinem Arbeitsplatz verbleibt. Ganz abgesehen davon, daß wir mit der "Kann-Vorschrift" nicht ganz einverstanden sein können, da sie die Entscheidung dem freien Ermessen des Versicherungsträgers überläßt, sehen wir auch in dieser Bestimmung noch immer keine ausreichende Maßnahme zur Verhütung von Berufskrankheiten. Es müßten vielmehr auf gesetzlichem Wege wirksame Vorbeugungsmaßnahmen als bindend festgelegt werden. Es müßten mit einem Worte klarere Vorschriften zum Schutze des Lebens und der Gesundheit der Versicherten erlassen werden, als dies gegenwärtig auf Grund einer durchaus veralteten Gesetzgebung der Fall ist. Der Schutz der Gesundheit ist ein volkswirtschaftlicher Faktor. Jede Krankheit, die die Arbeitsfähigkeit beeinträchtigt, verursacht einen volkswirtschaftlichen Schaden. Maßnahmen zum Schutze der Gesundheit sind deshalb nicht nur etwas charitatives, nicht nur eine Frage des guten Herzens, sondern auch eine solche des wirtschaftlichen Denkens. Vorkehrungen zur Verhütung der Berufskrankheiten wären daher durchaus im allgemeinen Interesse gelegen. Hiebei dürfte es jedoch nicht nur bei genauen Vorschriften für die in Betracht kommenden Betriebe und Unternehmungen, für die einzelnen Arbeitsverrichtungen usw. bleiben, sondern es müßten auch die Befugnisse der Betriebs- und Revierräte erweitert, eine besondere ärztliche Gewerbeaufsicht, eigene Arbeitsinspektoren, geschaffen, die Vornahme periodischer Untersuchungen und ärztlicher Überwachungen u. dgl. m. durch Gesetz verfügt werden. Ziel all dieser Einrichtungen muß es sein, die Erkrankungsgefahren auf das äußerste Minimum herabzudrücken. Diesem Streben hätte auch die Regierungsvorlage zur Verfügung gestellt und demgemäß durch entsprechende Bestimmungen ergänzt und erweitert werden sollen. Daß das nicht geschehen ist, muß zweifellos als ein nicht unbedeutender Mangel des Gesetzes betrachtet werden.
In den übrigen Paragraphen des Entwurfes sind zum Großteil nur notwendige Ergänzungen gegenüber dem bestehenden Unfallversicherungsgesetze enthalten. Der § 4 schreibt die Anzeigenpflicht für die Krankenversicherungsanstalten wie auch für jeden Arzt vor. Was die Entscheidung bei Krankheiten betrifft, die vor der Inkraftsetzung des Gesetzes verursacht wurden, muß verlangt werden, daß die Entscheidung nicht dem Versicherungsträger überlassen, sondern die Verpflichtung hiezu als bindend erklärt wird.
Nicht minder berechtigt ist die Forderung, die weiteste Grenze der Rückwirkung nicht mit 1. Jänner 1929, sondern im Hinblicke auf die reichlich späte Schaffung dieses Gesetzes auf einen früheren Zeitpunkt zu verlegen. Vermögen wir somit der Vorlage im allgemeinen unsere Zustimmung zu geben, so müssen wir umsomehr hervorheben, daß wir der Durchführung ziemlich mißtrauisch gegenüberstehen. Wir können leider mit der Tätigkeit der Arbeiterunfallversicherung bisher nicht jene Erfahrung machen, die uns die Gewähr dafür bieten würde, daß sich die Durchführung der gesetzlichen Bestimmungen über die Entschädigung der Berufskrankheiten wirklich klaglos und zur Zufriedenheit der Betroffenen vollziehen wird. Die von der Arbeiterunfallversicherung bisher an den Tag gelegte Praxis läßt uns vielmehr das gerade Gegenteil befürchten. So wie wir es immer und immer wieder bei der Behandlung von Unfällen feststellen mußten, wird sich sicherlich auch bei den Berufskrankheiten eine leider den wahren Interessen der Betroffenen entgegengesetzte Praxis dieser Anstalt offenbaren. Die Folge davon wird sein, daß hunderte Menschen, die das Opfer einer Berufskrankheit wurden oder noch werden, in ihrer Hoffnung auf eine Rente arg enttäuscht oder sich stark verkürzt sehen werden. Das Streben der Arbeiterunfallversicherung ist stets dahin gerichtet, die Rente so niedrig als möglich zu bemessen, bzw. einmal zuerkannte Renten nach kurzer Zeit wieder herabzusetzen oder ganz abzuerkennen. An die Stelle der bei dieser Anstalt leider vorhandenen Engherzigkeit müßte gleichzeitig mit der Inkraftsetzung dieses Gesetzes auch eine sozial gerechte Auslegung der Gesetzesparagraphen treten, um die von Berufserkrankungen betroffenen Personen vor argen Schädigungen und Benachteiligungen zu bewahren.