Ein unleugbares Defizit auf dem Gebiete der Handelspolitik ist jedenfalls der sehr betrübliche Rückgang der Handelsbilanz, um so betrübender, als der Überschuß der Handelsbilanz seit längerer Zeit in stetem Schwinden begriffen ist und im letzten Jahr auch der Gesamtumsatz im Handelsverkehr zurückgegangen ist. Schon die Ausweise über Juni und Juli zeigen die volle Auswirkung der Krise; immer deutlicher nehmen die Absatzschwierigkeiten wichtiger Ausfuhrartikel zu, z. B. Zucker, Baumwollwaren, Flachs-, Hanf- und Jutewaren, und das ist kein Wunder, wenn man einerseits den Hochprotektionismus Amerikas und anderseits die Schwierigkeiten sieht, die den Zollabbaumaßnahmen der Genfer Konvention entgegenstehen. Die durch Steuerlasten erhöhten Erzeugungskosten haben die Wirkung, daß allmählich auch die Inlandsindustrie durch die Auslandsindustrie, die unter günstigeren Voraussetzungen zu erzeugen imstande ist, vom Inlandsmarkte verdrängt wird. Soll daher die inländische Erzeugung und die Ausfuhr im Interesse des Staates und aller Schichten der Bevölkerung, insbesondere der arbeitenden Bevölkerung, erhalten werden, so muß gerade das Gegenteil von dem geschehen, was geschieht. Es muß eine vernünftige und zielbewußte Finanz- und Handelspolitik dafür sorgen, daß die Wettbewerbsfähigkeit der inländischen Industrie erhalten und gesteigert wird. Das ist nicht bloß der Standpunkt der Opposition, die man leicht mit dem Vorwurf der Staatsfeindlichkeit abtut, sondern beispielsweise auch der Standpunkt keines geringeren als des der Koalition gewiß sehr nahestehenden derzeitigen Präsidenten des Industriellenverbandes Preiss, der diese Auffassung neulich in viel dunkleren Farben bei einer offiziellen Gelegenheit zum Ausdruck gebracht hat. Wer erinnert sich ferner nicht an den Sturm, der sich seinerzeit gegen die frühere Regierung und Mehrheit erhoben hat, als sie sich genötigt sahen, der Zuckerindustrie gewisse Steuernachlässe zu gewähren, um die durch die geänderte englische Zollpolitik herbeigeführte Krise zu beheben und den inländischen Zuckerpreis nicht all zu hoch zu steigern. Was hat die neue Regierung und Mehrheit gemacht? Zunächst dasselbe. Seitdem ist wieder ein Jahr verflossen und wir haben nichts gehört, daß irgend welche Verhandlungen und durchgreifende Maßnahmen in dieser Frage, die so überaus wichtig ist, ergriffen worden wären. Vermutlich geschieht im Stillen abermals, was seinerzeit als unerhörter Raub an der armen Bevölkerung gebrandmarkt wurde.
Das beste oder eigeentlich schlimmste Beispiel der unaufrichtigen und erfolglosen Methoden, mit der die gegenwärtige Regierung und Mehrheit die gewiß schwierigen Probleme der Wirtschaftskrise zu lösen vorgibt, ist die Art und Weise, wie sie eine Teilerscheinung dieser Krise, die Landwirtschafstkrise gelöst oder eigentlich nicht gelöst hat. Gewiß kann eine Mehrheit von so heterogenen Parteien wie die gegenwärtige alle diese Fragen nur durch Kompromisse lösen, aber Kompromisse dürfen nicht den Zweck haben, die beteiligten Parteien nur zu kompromittieren. Das ist aber bei diesen agrarischen Kompromissen der Fall, da die bekannte communis opinio eines Sinnes darüber ist, daß sie gänzlich fehlgeschlagen haben, daß zumindest in diesem Wirtschaftsjahr von diesen Maßregeln kein Erfolg mehr zu erwarten ist, und es ist bekannt, daß die agrarischen Parteien mit Recht bereits wieder mit neuen Anträgen und Vorschlägen kommen. Wie man ernste und schwierige Fragen unter Berücksichtigung aller Interessen aller beteiligten Stände zu lösen versuchen kann, das hat das Agrarprogramm meiner Partei gezeigt, das anläßlich der Debatte über die Krise sowohl augenblickliche Maßnahme als auch Maßnahmen für die fernere Zukunft vorsieht.
Dieselbe Erfolglosigkeit wie für die Finanz und Wirtschaft kennzeichnet die Tätigkeit der Regierung der heutigen Mehrheit auch auf allen anderen Gebieten. Ich habe mich lange dagegen gesträubt, die Zustände in der Justiz als "Justizkrise" zu bezeichnen. Heute bin auch ich allmählich geneigt, zuzugeben, daß wir in der Justiz leider mit einer Krise rechnen müssen. Erstaunlich ist nur der Wandel der öffentlichen Meinung in dieser Hinsicht oder wenigstens der Presse, die vorgibt, die öffentliche Meinung zu vertreten. Seinerzeit verging kein Tag, wo man nicht in den schrecklichsten Farben die trostlose Lage der Justiz geschildert hat. Unter der gegenwärtigen Regierung ist es stiller geworden, und daserinnert mich an die Stellung der französischen Presse gegenüber zwei Finanzministern, von denen der eine mit Leidenschaft bekämpft wurde, weil er erklärte, die Staatskassen seien bereits halb leer, während sein Nachfolger mit Begeisterung begrüßt wurde, als er erklärte, es sei kein Grund zur Besorgnis vorhanden, denn die Staatskassen seien beinahe noch halb voll. Das heißt, geschehen ist da und dort nichts, es hat sich nichts geändert, im Gegenteil, man muß sagen, es ist schlechter geworden. Ich kann mich auf die Stimme eines Führers der èechischen Richterbewegung berufen, der neulich im Fachblatt ausdrücklich erklärt hat, daß man allmählich den Eindruck gewinnen müsse, daß der gute Wille fehle. Das ist jedenfalls betrübend.
Und die Schulverhältnisse? Man hat da gründliche Arbeit in Personalfragen gemacht. Man hat bewährte Fachmänner durch zuverläßliche Parteimänner ersetzt. Man hat die nicht geringe Lehrverpflichtung der Mittelschullehrer erhöht und zahlreiche Mittelschullehrer dadurch brotlos gemacht. Man hat durch geschickte Zusammenlegung von Klassen den Unterrichtserfolg gefährdet, aber zahlreiche Parallelklassen und Lehrkräfte überflüssig gemacht. Man hat ohne Anhörung, ja entgegen der Erfahrung und Meinung der Fachleute die Mittelschule reformiert, man hat neue prächtige Schulpaläste für die sogenannten Minderheitsschulen des Staates errichtet. Aber Ansuchen um deutsche Privatschulen, namentlich auch um katholische Schulen, hat man abgewiesen und die Errichtung deutscher Parallelklassen mit einer seit Jahren ungewohnten Engherzigkeit vereitelt. Das Nähere wird ihnen gewiß ein Fachmann aus den Reihen der deutschen Regierungsparteien darlegen können, der das vermöge seiner Zugehörigkeit zur Regierungsmehrheit gewiß mundgerechter und wirksamer tun wird.
In diesem Zusammenhange wäre eigentlich auch Gelegenheit, an die deutschen Regierungsparteien, namentlich an diejenigen, die sich dieses Vorzuges erst seit kurzer Zeit erfreuen, die Frage zu richten, welche Fortschritte die nationale Annäherung in diesen Jahren gemacht hat. Aber die Frage wäre eine rhetorische Frage, das heißt eine Frage, die keine Antwort erwartet, denn selbst der bedingungslosestte Anhänger der jetzigen deutschen Regierungsparteien, allen voran ihre eigene Presse, die seinerzeit die damaligen deutschen Regierungsparteien in Grund und Boden verdammt hat, vermag die Unzufriedenheit nicht mehr zu verhehlen, und es ist nur eine Meinung; daß es schlechter geworden ist. Schlechter nicht bloß, als es unter der früheren Regierungsmehrheit war, sondern schlechter als es vorher war, als man versuchte, durch einen gewissen Geist der Annäherung die Deutschen allmählich für die Regierung zu gewinnen. Ich will da nur auf die jüngsten Straßenkrawalle wegen der Tonfilme hinweisen, die sich nicht wesentlich von den Skandalen unmittelbar nach dem Umsturz unterschieden. Ich erinnere bloß an die Lage der deutschen Staatsangestellten und Lehrer, die gewiß nicht beneidenswerter geworden ist. Und wenn von offizieller Seite immer wiedeer versichert wird, daß man bei der Ernennung von Beamten die nationale Frage überhaupt nicht kenne, sondern daß da ausschließlich die Tüchtigkeit entscheidend sei, so möchte ich nur als ein Beispiel von Tausenden einen Brief anführen, den ich als Antwort auf diese Antwort des Chefs der Regierung vor wenigen Tagen erhalten habe, wo man mir schreibt: "Es wurde mir in unserem Ministerium" - ich will es nicht nennen, um den Mann nicht noch mehr zu schaden - "und nachher bei der Brünner Amtsstelle meines Ressorts umumwunden gesagt, daß ich als Deutscher der Vorstand dieses Departements nie werden kann."
Ich erinnere ferner an die sprachlichen Plackereien, die zugenommen haben. Das geradezu historisch wertvolle Dokument einer Sprachenverordnung ist die Sprachprüfung von Militärpensionisten im Ausland. Die alten Generale, die hoffentlich niemals mehr in die Lage kommen werden, irgend eine Truppe zu kommandieren, die das Glück haben, die èechoslovakische Militärpension zu geniessen, müssen jetzt im Ausland eine Sprachprüfung ablegen, ob sie die genügende Kenntnis der Staatssprache besitzen. Ich erinnere an die Art der Vergebung von Staatslieferungen, an die Ergebnisse der Wälderverstaatlichung, die den schönen Erfolg herbeigeführt hat, daß der deutsche Schönhengster Gau jetzt einen èechischen Korridor besitzt und daß die deutschen Gemeinden und Bezirke bei der Beteilung mit Wäldern gänzlich ausgeschaltet worden sind. Ich erinnere an die Behandlung der deutschen Bäder, ich erinnere an die ungelöste Marienbader Frage und noch an tausend andere Dinge, aber ich kann dafür als Erfolg anführen, daß die Zahl der deutschen Arbeitslosen doppelt so groß ist als die der èechischen und daß der Außenminister einer Regierung, in der zwei deutsche Minister sitzen, in Genf erklärt hat, daß eine Ausdehnung des internationalen Minderheitenschutzes gefährlich wäre.
Wie immer man also die Frage nach der bisherigen Tätigkeit der gegenwärtigen Regierungsmehrheit stellt, die Antwort ist stets unerfreulich und der Eindruck wäre noch viel unerfreulicher, wenn man fragen würde, was bisher nicht geschehen ist, obwohl es aller Erwartung nach hätte geschehen sollen. Denn dann würde sich herausstellen, daß das, was seinerzeit als dringend notwendig bezeichnet wurde, wenn der schlimme Bürgerblock beseitigt wäre, bisher auch nicht einmal andeutungsweise in Angriff genommen wurde. Es sei bloß an die von allen Fachmännern als reformbedürftig bezeichnete Steuerverwaltung und Sozialversicherungsreform erinnert. Niemand ist sich mehr als wir der Mängel der Verwaltungsreform bewußt und wir wüßten manches zu ihrer Verbesserung, wenn sich eine Mehrheit dafür fände. Aber es scheint den früher lautesten Rufern im Streite die Lust und die Kurage vergangen zu sein, an der Verwaltungsreform etwas zu bessern, ebenso wie an die von berufenster Seite als durchaus sofort ausführbare Verkürzungen der militärischen Präsenzdienstzeit zu denken. Denn wenn uns neulich angekündigt wurde, daß die Regierung ein Gesetz vorbereitet, in dem die Abkürzung der Präsenzdienstzeit, jedoch ohne Datum zunächst, festgestellt werden soll, so ist das gewiß nicht viel, sondern geradezu ein Hohn, weil ja die Abkürzung der Militärdienstzeit bereits im ursprünglichen Wehrgesetz vorgesehen ist.
Wie wenig übrigens gerade beim Militär der demokratische Geist zu herrschen scheint, dafür ein Beispiel, für dessen Wahrheit ich mich allerdings nicht verbürgen kann, das ich aber doch vorbringe, weil es der Untersuchung würdig wäre. Es sollen vor einigen Monaten in Königgrätz 87 Frequentanten der dortigen Unteroffiziersschule wegen Meuterei zu ein bis sechs Monaten Kerker verurteilt worden sein. Warum? Weil sie das aus Gulasch bestehende Nachtmahl mit der Begründung zurückgewiesen haben, daß sie es schon zu oft bekommen haben. Das gilt als Meuterei und wird mit 6 Monaten Kerker bestraft.
Wenn ich sage, daß in allen diesen Fragen nichts geschehen ist, wird man vielleicht einwenden, daß man vor allem der Wirtschaftskrise Herr werden mußte. Das wäre ganz schön und richtig, wenn man es nur könnte und wollte. Sowenig jedoch in dieser Hinsicht, sowenig ist auch sonst etwas Positives zu erwarten, weil hier und dort - verzeihen Sie das harte Wort - die aufrichtige und ehrliche Zusammenarbeit fehlt, weil Worte unt Taten sich nicht decken. Wie soll man es deuten, wenn z. B. die èechische sozialdemokratische Partei den im Frühjahr eingebrachten sogenannten Minderheitenantrag der deutschen Opposition in ihren offiziellen Blättern mit der Bemerkung abtut, daß die Deutschen ohnedies schon mehr erhalten haben, als ihnen gebührt, und wenn dann einige Wochen darauf Artikel über Artikel erscheinen, wo den Deutschen die politische Autonomie als ihnen gebührend anerkannt wird. Ein Widerspruch, der selbst den Hohn der èechischen Konnationalen, insbesondere der èechischen Agrarier, mit Recht hervorgerufen hat. Und selbst die schönen Worte des Ministers Bechynì, die manche Blätter bis zum Fettdruck begeistert haben, selbst diese Worte, in denen er auch von der Autonomie sprach, erinnern mich nur an den braven Ehemann, der sich rühmte, daß seine Frau sich wünschen könne was sie wolle und der auf die Frage, was sie sich wünsche, sagte, seit 12 Jahren wünsche sie sich ein Auto. So dürfen sich auch die deutschen Genossen mit Zustimmung der èechischen Genossen schon 12 Jahre die Autonomie wünschen und ich fürchte, sie werden sich mit Zustimmung der èechischen Genossen noch sehr viele Jahre die Autonomie wünschen dürfen; aber damit allein ist uns nicht gedient.
Was geschehen könnte, geschieht nicht, es geschieht auch nicht, was eigentlich geschehen muß. Ich erinnere da nur an den Mieterschutz. Darüber, daß die Miétenfragen endlich einmal definitiv gelöst werden muß, herrscht ebenso Einmütigkeit wie darüber, daß diese endgültige Lösung nicht darin bestehen kann, daß der Mieterschutz von heute auf morgen abgebaut wird. Trotzdem hatte und hat niemand den Mut, an diese Frage entschieden heranzutreten, trotzdem haben wir es wieder erlebt, daß das bisherige Provisorium mit einigen neuen Löchern als weiteres Provisorium verlängert wurde.
Besonders zu beanständen in diesem Zusammenhang ist, daß man auch nicht das geringste getan hat, um die Stagnation auf dem Baumarkt zu beheben und die mit Pomp angekündigte Bauförderung in die Praxis umzusetzen.
Um das Bild nicht allzu trüb zu gestalten und der Wahrheit volle Ehre zu geben, will ich schließlich noch die drei Lichtpunkte erwähnen, die das Dunkel des verflossenen Budgetjahres erhellen. Ich meine die Weihnachtsremuneration der Staatsangestellten, die Regelung der Altpensionistenfrage und die Besserstellung der Kriegsinvaliden. Vor einer Überschützung dieser Erfolge muß allerdings die Erkenntnis bewahren, daß das Dinge waren, die ja von selbst einmal kommen mußten, nachdem die definitive Regelung des Reparationsproblems die schon wiederholt erwähnten Reserven endlich freigemacht hatte und daß auch diese endgültige Lösung weit von dem Ideal entfernt ist, das man erwartet hat. Die Weihnachtsremuneration wird demnächst von der Mietzinserhöhung aufgefressen werden und ein großer Teil der Beamten wird in wenigen Wochen schlechter daran sein als vor der Weihnachtsremuneration. Die Pensionisten und Invaliden anerkennen zwar dankbar das Empfangene, oder richtiger das zu Empfangende, denn von den Pensionisten hat bisher kein einziger einen Heller von dem erhalten, was ihm nach dem neuen Gesetz gebührt. Aber vor allem betrachten die beiden das, was sie erhalten sollen, nur als bescheidene Abschlagszahlung, der ehebaldigst der Rest folgen soll, ebenso wie die fortschreitende Aufbesserung der Invalidenrenten, eine Kürzung der Etappen für die Pensionisten, die Beseitigung der Kürzungen wegen eines Nebenverdienstes, die - Aufhebung des Abbaugesetzes und die automatische Ausdehnung aller Vorteile für die Staatsbesoldeten auch auf die Pensionisten. Vor allem aber verlangen sie, daß endlich das ausgezahlt werde, was ihnen gebührt, und daß diese Auszahlung nicht wieder, wie das leider durch die erlassene Durchführungsverordnung geschehen ist, zum Teil mißbraucht wird, mit der einen Hand zu nehmen, was mit der anderen gegeben werden soll.
Fassen wir zusammen, so müssen
wir sagen: der Voranschlag ist unbefriedigend auf der Aktiv- und
Passivseite in Einnahmen wie in Ausgaben, die gegenwärtige Regierung
und Mehrheit, aber noch viel unbefriedigender. Der Mangel eines
Programms, mit dem sie nach wochenlangem unerquicklichem Kampf
um Ministerportefeuilles ins Leben getreten ist, dieser Mangel
ist bis heute nicht behoben worden, und das rächt sich in stetem
und unfruchtbarem Kampf innerhalb der Mehrheit, der zwar bisher
immer mit einem mühseligen Kompromiß abgeschlossen wurde, aber
mit einem Kompromiß, das niemandem frommt, weil es, wie wir wiederholt
hören mußten, mit zusammengebissenen Zähnen, d. h. wider besseres
Wissen und Gewissen zustandegekommen ist. Es ist weder die Wirtschaftskrise
erfolgreich bekämpft, noch irgendeine andere wichtige Frage end
gültig und befriedigend gelöst worden. Die parlamentarische Tätigkeit
vollzieht sich nur stockend und in unverhältnismäßigen Pausen.
Nicht das Wohl des Staates, seiner Völker und Stände, sondern
das Streben nach Parteimacht sind ihre Triebfeder. An Stelle einer
Arbeiter- und Bauernpolitik ist der Konkurrenzkampf der agrarischen
und sozialistischen Parteien getreten. Die große Mehrheit, die
berufen und imstande wäre, selbst auf Kosten einer Verfassungsänderung
alle die großen nationalen, kulturellen und sozialen Fragen zu
lösen, deren Lösung dem Staate und seinen Völkern Sicherheit und
Glück für ewige Zeiten sichern könnten, diese große Mehrheit zersplittert
sich und vergeudet ihre Kraft in gegenseitiger kläglicher agitatorischer,
kleinlicher Kritik. Dagegen geschieht nichts, was die arge Not
des Augenblicks, geschweige denn die große Sorge der Zukunft erfolgreich
bannen könnte. Wahrlich, es ist eine Lust, unter solchen Verhältnissen
und in solcher Zeit Opposition zu sein, die die Dinge beim rechten
Namen nennen und an den Dingen eine ehrliche objektive Kritik
üben und den Boden vorbereiten kann für eine bessere, hoffentlich
nicht all zu ferne Zukunft des Staates und seiner Völker und der
zu ehrlicher Arbeit entschlossenen Parteien. Als eine solche arbeitsfreudige
und zukunftsfrohe Opposition lehnen wir den Voranschlag als Zeichen
unseres Mißt rauens gegen die gegenwärtige Regierungsmehrheit
ab. (Potlesk.)
Hohes Haus! Der Staatsvoranschlag für 1931 wurde auch diesmal von dem Herrn Finanzminister mit einem ausführlichen Exposé eingeleitet, in welchem er selbst darauf hinwies, daß die direkten Steuern einen Rückgang aufweisen. Ebenso ist auch ein leichter Rückgang bei den Verbrauchssteuern zu verzeichnen. Demgegenüber erfahren die Handelssteuern und die Umsatzsteuer eine weitere Steigerung. Diese Bewegung ist deshalb schon sehr ungüstig, weil die Wettbewerbsfähigkeit für unsere Erzeugnisse im Auslande sehr gehemmt wird und dies gerade in einem Zeitpunkte, wo im Auslande starke Preisherabsetzungen eingetreten sind und unsere Wirtschaft ohnedies an einer schweren Krise leidet. Schon die Erhöhung der Staatsausgaben in einer Zeit schwerster wirtschaftlicher Krise ist charakteristisch dafür, wie man die Interessen der Wirtschaft berücksichtigt und die Leistungsfähigkeit der Steuerträger beurteilt.
Dem Herrn Finanzminister ist es scheinbar nur darum zu tun, ein ziffernmäßig ausgeglichenes Budget vorzulegen, selbst auf die Gefahr hin, daß dabei die ganze Wirtschaft durch die Überlastung an Steuern und Abgaben zu Grunde gerichtet wird. Es scheint die Tendenz vorzuherrschen, dem Auslande gegenüber mit einem ausgeglichenen Budget paradieren zu können, um damit die im Innern herrschende Not und Verelendung zu verdecken nach dem Grundsatze "Reicher Staatarme Bürger".
In formeller Beziehung weist der Staatsvoranschlag eine Steigerung der Ausgaben um 471 Millionen, bei Gleichstellung mit der Basis der früheren Budgets eine solche von rund 600 Millionen Kronen auf. Diese Steigerung resultiert aus den Zahlungen auf Grund des Pariser Abkommens, aus den Erhöhungen für die Bezüge der Pensionisten, einigen sozialen Reformen und dem erhöhten Aufwand für Staatsbauten mit 50 Millionen. Diese Ausgaben, die durch die bestehenden Verhältnisse bedingt sind, hätten sich ohneweiters durch Ersparungen verwirklichen lassen. Hier hat schon der Herr Finanzminister seinen früheren Standpunkt verlassen. Er erklärte noch im Jänner l. J. in seinem Exposé zum Staatsbudget 1930, die öffentlichen Lasten seien um eine Milliarde zu hoch und müßten abgebaut werden. Hiebei verwies er besonders auf die Notwendigkeit der Ermäßigung der Han delssteuern und erwähnte auch die Notwendigkeit, bei den Luxusbauten für die Minderheitsschulen zu sparen. Diese Meinung in Bezug auf die Unsinnigkeit der Ausgaben für die Schulpaläste der èechischen Minderheitsschulen im deutschen Gebiete vertraten auch andere führende èechische Politiker, ich verweise hiebei nur auf die Ausführungen der Herren Koll. Èerný - der auch heute, wie ich mit Freuden konstatiere, ähnliche Worte gefunden hat - und Professor Macek, ebenso auch auf die Erklärungen des jetzigen Schulministers Dérer. Aber alle diese schönen Reden sind nur in den Wind gesprochen und alle diese Grundsätze werden, wie uns das Budget beweist, über den Haufen geworfen. Die Deckung der höheren Ausgaben findet der Herr Finanzminister darin, daß er einfach trotz der schweren Krisenzeit eine Erhöhung der Steuern vornimmt.
Die allgemeine Erwerbssteuer, die laut dem Rechnungsabschlusse für das Jahr 1929, welches bekanntlich als gutes Konjunkturjahr bezeichnet werden muß, 48 Millionen Kronen brachte, ist in dem Voranschlag für 1931 mit 100 Millionen Kronen eingesetzt. Die besondere Erwerbssteuer wird von 80 Millionen Ertrag auf 100 Millionen erhöht. Damit wäre allerdings das Defizit nicht gedeckt, aber der Herr Finanzminister hat noch ein Rezept übrig, die Einnahmen zu erhöhen. Er präliminiert den Ertrag der Strafen, Exekutionsgebühren und Verzugszinsen für direkte Steuern mit 120 Millionen, das heißt also, daß beabsichtigt ist, die Steuern mit allen Mitteln einzutreiben, um das Gleichgewicht des Budgets zu erhalten, selbst auf die Gefahr hin, daß dabei die Steuerträger in ihrer Existenz zu Grunde gerichtet werden und wie wir schon Fälle aufzuweisen leider in den Lage sind, in den Tod getrieben werden. Nach dem Voranschlag ist diese Eintreibung besonders bei der allgemeinen Erwerbssteuer der kleinen und mittleren Gewerbebetriebe durch die besondere Voranschlagserhöhung der Steur in Aussicht gestellt. Diese wenigen Ziffern allein geben schon für den schaffenden und erwerbenden Mittelstand düstere Bilder für die Zukunft. Gerade der kleine und mittlere Gewerbetreibende hatte jetzt schon unter den Schikanen der Steuerbehörden schwer zu leiden. Willkürakte in der ärgsten Form sind an der Tagesordnung.
Ich will bei dieser Gelegenheit nur einige der vielen skandalösen und gesetzwidrigen Vorkommnisse der Steuerbehörden als Beweis meiner Ausführungen bringen:
Beim Steueramte in Braunau erschien im Juli l. J. ein gewisser Herr Wilhelm Hentschel, Friseur aus Oberwekelsdorf und suchte um Abschreibung seiner viel zu hoch bemessenen Steuer an, wobei er erklärte, daß er infolge seines kleinen Geschäftes und da er ausserdem vorgeschriebenen Steuern voll bezahlen zu können. Der dortige Steuerverwalter Stumpf ließ ihn eine Zeit lang wa rten und schickte ihn dann fort. Im Vorhause des Steueramtes, wo sich auch das Postamt und eine Sparkassa befinden, wurde der Mann von zwei Steuerexekutoren in Empfang genommen und im Vorhause selbst, wo ein reger Parteienverkehr herrscht, eine Taschenpfändung bei ihm durchgeführt und dem Manne eine Uhr und die Kette, ein Ring vom Finger und das Bargeld gepfändet. (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda Špatný.)
Diese Behandlung eines Steuerträgers, die an das Strauchrittertum erinnert, scheint jetzt wahrscheinlich obligat eingeführt zu werden. Aber noch nicht genug damit. Für diese abgenommenen Gegenstände wurde eine Versteigerung angeordnet und schickte Herr Hentschel, dem diese Sachen abgenomn en wurden, einen Käufer hin. Diesem wurden aber die Gegenstände nicht zugesprochen, weil er angeblich zu wenig bot. Bei einer neuerlich angesetzten Versteigerung wurden diese Gegenstände um 86 Kè 20 h verkauft und war der Kaufer wahrscheinlich ein Beamter des Steueramtes selber, weil auf eine Anfrage, wer die Sachen bei der Versteigerung erstanden hat, keine Antwort gegeben wurde. Nach dieser Beraubung hat man dann diesem kleinen Geschäftsmann die Steuern bis auf einige Hundert Kronen abgeschrieben. Diese Methode wurde aber noch in einem zweiten Falle von demselben Steueramte angewendet und zwar suchte ein gewisser Johann Janausch, der eine kleine Schneiderei in Wekelsdorf betreibt, und rund 300 Kè an Steuern schuldete, persönlich beim Steueramte um Ratenzahlung an. Dieses Ansuchen wurde ihm nicht bewilligt und er aus dem Amte wweggeschickt. Kaum hatte er jedoch das Gebäude verlassen, kam ihm der Steuerexecutor nach und drängte ihn in das Vorhaus der Konditorei Herzog in Braunau und pfändete ihm sein in der Tasche befindliches Bargeld, mit welchem Gelde dieser kleine Gewerbetreibende Zubehör kaufen wollte. Bei dieser Steuerbehörde in Braunau, bei der sich der genannte Steuerverwalter Stumpf wie ein Tyrann gebärdet, scheinen ganz merkwürdige Rechtsauffassungen zu bestehen, weil derselbe Herr Steuerverwalter gegen den dortigen Genossenschaftssekretär, welcher den, der Genossenschaft angehörigen Mitgliedern bei den Steuerfatierungen behilflich ist, als Winkelschreiber zur Anzeige brachte.
Hier hätte der Herr Finanzminister Gelegenheit einzuwirken, daß seine oft gepredigten Worte zur Hebung der Steuermoral auch von Amtswegen Gehör finden. Wir aber müsen verlangen, und ich stelle hiebei die strikte Forderung, zu veranlassen, daß für diese Vorgänge der Steuerverwalter Stumpf in Braunau zur Verantwortung gezogen wird und daß entsprechende Weisungen an die Steueradministration ergehen, bei berücksichtigungswürdigen Fällen auch die Wohltaten des Gesetzes gegenüber den Bürgern in Anwendung kommen zu lassen, weil nicht nur in Braunau, sondern auch anderwärts Übergriffe seitens der Steuerorgane vorkommen. So sind auch Beschwerden an die Finanzlandesdirektion unter anderen gegen den Beamten Pešula der Steueradministration in Bischofteinitz ergangen, weil der Genannte gegen jeden, der einen Rekurs überreicht, in der gröbsten Art vorgeht und gegen jeden die Drohung aus stößt, daß er ihnen das "Rekursmachen" noch austreiben wird. Das sind doch Zustände, die in einem geordneten Staatswesen nicht vorkommen dürfen und keineswegs Vertrauen zu den Behörden erwecken können. Die Art, wie seitens der Steuerbehörden mit den Steuerträgern verkehrt wird, ist ein besonderes Kapitel und es würde zu weit führen, wollte man alle die Misstände, die da herrschen, aufzählen. Eine Hauptursache ist allerdings der Umstad, daß man die alten, qualifizierten Beamten auf Grund des herrschenden Systems aufs Pflaster gesetzt und dafür neue unqualifizierte Protektionskinder eingestellt hat. Die wenigen Beamten der alten Ära die noch bei einzelnen Ämtern vorhanden sind, sind natürlich nicht in der Lage, die ungeheuer angehäufte Arbeit gewissenhaft erledigen zu können und dadurch kommt es auch, daß die Vorschreibungen rein schematisch vorgenommen werden, die Rekurse keine Erledigung finden und dadurch die vielen Steuerrückstände vorhanden sind, für die dann enorme Verzugszinsen eingehoben werden.
Diese angehäuften Steuerrückstände mit den damit verbundenen Verzugszinsen und Mahngebüren sind es, welche gerade die kleinen Gewerbebetriebe in ihrer Existenz schwer bedrohen und die aber wieder andererseits dazu dienen sollen, den Ausfall der Einnahmen im Staatsvoranschlag auszugleichen. Man sieht also, daß die allgemein verurteilte bürokratische und zumeist auch unfachliche Arbeit der Steuerämter doch das eine Gute hat, daß sie dem Finanzminister die Gelegenheit geben, durch diese angehäuften Steuerrückstände die veranschlagte Summe von 120 Millionen an Strafgeldern aus den Steuerträgern herauspressen zu können.
Der Herr Finanzminister erklärte im Jänner noch, daß die Höhe der Ausgaben gerade die schwächsten Steuerträger am schwersten treffe. Zu diesen Schwächsten gehören aber gerade die kleinen Handels- und Gewerbetreibenden und bestehen für diese Schichten demzufolge nicht die rosigsten Aussichten für die Zukunft, zumal im diesjährigen Voranschlag die bisher vorgesehenen 3 Millionen zu besonderen Maßnahmen zur Förderung des Gewerbes gestrichen wurden. Daraus folgert, daß dem Handels- und Gewerbestand für das Jahr 1931 nur die Steuerknute in Aussicht steht.
Der Herr Finanzminister weist darauf hin, daß sich trotz der Senkung des Großhandelsindex seit Ende 1929 um 13% jene Preise, die der Verbraucher zahlen muß, nicht wesentlich geändert haben. Zwischen deren Niveau und dem der Großhandelspreise sei eine unüberbrückbare Barriere, die letzten Endes die Wirtschaftskrise verlängere. Herr Dr. Engliš nennt sie die "Barriere der Vermittler" und verdächtigt pauschaliter den Kleinhandel. Diese immer wiederkehrenden generell gehaltenen Verdächtigungen der Handelstreibenden müssen auf das Entschiedenste zurückgewiesen werden, weil nicht die Schuld bei diesen ist, sondern das Hindernis einer allgemeinen Preissenkung in der unglücklichen Steuerpolitik und der unvernünftigen Handelspolitik zu suchen ist, wobei ich aber keinesfalls die Qualitäten dieser Ressortminister anzweifeln will, sondern nur feststellen möchte, daß auch diese Herren, trotz besserer Einsicht, gegenüber dem herrschenden System eben auch machtlos sind. Der Herr Finanzminister Dr. Engliš hat selbst wiederholt die Umsatzund andere Handelssteuern als die schädlichsten bezeichnet und trotzdem steigen sie unter seinen Händen von Jahr zu Jahr. Wir haben in der Èechoslovakei unter den Nachbarstaaten die teuerste Steuerverwaltung, welche 8·3% der Einnahmen verschlingt. In Deutschland erfordert die Steuerverwaltung 4·5%, in England gar nur 1·8%. Die Tabakregie hat ihre Verkaufspreise nicht erniedrigt, trotzdem ihr Rohmaterial im Einkauf um 40% gefallen ist.