Ich richte daher an alle bürgerlichen
Parteien in diesem Hause, aber auch an die sozialistischen Parteien
als Arbeiterparteien - hier meine ich nicht Klassenparteien, aber
ich darf annehmen, daß sie sich auch als Standespartei fühlen
- den Appell, dem Gedanken des Ständeparlaments näher zu treten,
ihn zu beraten und dann ihre Meinung zu sagen. Sie und ich, wir
wissen nicht, was in einer Zeit von wenigen Jahren kommen wird.
So möchte ich zum Schlusse meiner Ausführungen kurz folgendes
sagen: Nach dem hier Gesagten ist die deutsche Gewerbepartei als
Partei der arbeitenden Schichten des deutschen Mittelstandes außer
Stande, den in Verhandlung befindlichen drei Vorlagen zuzustimmen.
Mit Bangen und mit großer Besorgnis um die weitere Erhaltung der
selbständigen Existenzen blikken wir in die Zukunft und ich erachte
es als meine Pflicht, von dieser Stelle aus den Ruf der Sammlung
an alle jene Kreise ergehen zu lassen, die für wahre Demokratie
und Erhaltung der Privatwirtschaft in diesem Staate einzutreten
gewillt sind. (Potlesk.)
Meine Damen und Herren! Das Hauspräsidium hält sich an den Grundsatz: "Variatio delectat, und so debattieren wir zunächst einmal über die Wohnungsgesetze, dann über die Steuervorlagen und dann wieder über die Wohnungsgesetze. Vielleicht wird bis morgen ein neuer Unterhaltungsgegenstand gefunden sein.
Die Frage des Mieterschutzes, der Bauförderung und aller damit zusammenhängender Probleme beginnt sich langsam zu einem Krebsgeschwür des èechoslovakischen Parlamentarismus auszuwachsen. Es vergeht kein Jahr, in welchem nicht infolge der unbegreiflichen Hinziehungstaktik der Regierung das Parlament nicht genötigt wäre, eine Debatte über die bestehenden Gesetzesprovisorien auf dem Gebiete der Wohnungsfrage abzuführen. Im Jahre 1926 hat zum ersten und zum letztenmale die Regierung ein definitives Wohnungsgesetz den gesetzgebenden Körperschaften vorgelegt, dasselbe aber wegen einer ablehnenden Kritik aus den Kreisen der organisierten Hausherren und Mieter mit einer unverständlichen Schnelligkeit, zurückgezogen und seit dieser Zeit wird mit ganz unmöglichen und unhaltbaren Gesetzesprovisorien von Jahr zu Jahr weitergewurstelt. Jedes Jahr gibt die Regierung, mag sie zusammengesetzt sein, wie sie wolle, das große Versprechen, daß in kürzester Zeit die Vorlage eines definitiven Wohnungsgesetzes er folgen werde und jedes Jahr kommt die schwere Enttäuschung. Da kann es niemanden wundern, wenn man in den Tagesblättern ließt, daß der Regierung der Vorwurf des Wortbruches gemacht wird.
Und doch ist dieser Vorwurf falsch. Nicht um unerfüllte Versprechungen der Regierung handelt es sich in diesem Falle, sondern um unaufrichtige und trügerische Versprechungen. Jede Regierung, die die Vorlage eines definitiven Wohnungsgesetzes verspricht, hat im Augenblick des Versprechens schon gewußt, daß es ihr mit dieser Zusage nicht eine Sekunde lang ernst ist. Früher, unter dem Regime der bürgerlichen konservativen Regierung, fehlte der gute Wille, weil diese Regierung sozusagen jedes Jahr irgendwelche Wahlen durchmachen mußte. Einmal waren es die Gemeindewahlen, dann wieder Wahlen in die Bezirks und Landesvertretungen, schließlich die Parlamentswahlen. Jede Regierungspartei fürchtete, daß der demagogisch aufgezogene Wahlschlager "Mieterschutz" ihr bei den Wahlen Schaden bringen könnte, und vermied es daher, zu dem ganzen Wohnungsproblem irgendwie eindeutig Stellung zu nehmen. Die jetzige Regierung bedient sich der billigen Ausrede, daß der Abbau des Mieterschutzes unmöglich in der Zeit einer schweren wirtschaftlichen Krise begonnen werden können. Heute wissen wir, daß alle diese Ausreden nicht stichhältig sind. Gerade weil wir die Erfahrungen aus den Zeiten bester Konjunktur und schwerer wirtschaftlichen Krise sammeln konnten, müßten wir imstande sein, ein allen Verhältnissen Rechnung tragendes Gesetz über den Abbau des Mieterschutzes und der Bauförderung zu schaffen. Aber dazu fehlt der Regierung nicht nur der gute Willen, sondern auch die Fähigkeit und darum hat der Herr Berichterstatter des Budgetausschusses Recht, wenn er die Behauptung aufstellt, daß die gegenwärtige Regierungsvorlage Druck Nr. 786 nicht das letzte Provisorium des Wohnungsgesetzes ist.
Es fragt sich nur, ob die enttäuschte Bevölkerung sich auf die Dauer wird einen Zustand der Unsicherh it und Ungewißh eit in der Frage des Mieterschutzes und der Baubewegung gefallen lassen. Ich hatte als Vertreter meiner Partei schon viermal Gelegenheit, von dieser Stelle des Abgeordnetenhauses unsere Stellung zur volkswirtschaftlichen und sozialen Bedeutung des Wohnungsproblems bekannnt zu geben. Ich kann es mir ersparen, dies ein fünftesmal zu tun. Die eheste Rückkehr zur freien und ungebundenen Wirtschaft auf dem Wohnungsmarkte unter gleichzeitigem Schutz der wirtschaftlich schwachen Schichten der Bevölkerung ist ein Problem, das nicht nur sofort gelöst werden kann, sondern das die schnellste Bereinigung im Interesse der Volkswirtschaft verlangt; aber mit so ernsten und verantwortungsvollen Aufgaben haben wir uns heute hier gar nicht zu beschäftigen.
Die Regierung sah sich zwischen die Forderung der organisierten Hausherren nach einem planmäßigen Abbau des Mieterschutzes und die Forderung der organisierten Mieter nach einer Verschärfung des Mieterschutzes und dessen Ausdehnung auch auf Neubauten gestellt und wählte den ungeeignetsten Mittelweg, um aus dieser Zwickmühle herauszukommen. So liegt heute ein Regierungswurf vor, in dem jede einzelne Bestimmung mit einem großen Fragezeichen versehen werden kann. Durch die Änderungen der Mieterschutzbestimmung in früheren Jahren hat man eine Reihe von Ungerechtigkeiten in den Kreisen der Festbesoldeten, der Handelsund Gewerbetreibenden geschaffen, die Ursache der größten Unzufriedenheit in diesen Kreisen geworden sind. Heute trifft die Regierung auch nicht mehr, als diese Ungerechtigkeit noch zu vermehren. Jetzt wird hinsichtlich der zulässigen Mietzinserhöhung der Mieter nach den Einkommensgrenzen von 45.000 und 60.000 Kè klassifiziert, wird in Gruppen nach der Kinderzahl eingeteilt und schließlich auch noch nach der Größe der Betriebstätte unterschieden. In den Budgetdebatten und in Steuerprotestversammlungen wurde der Regierung bewiesen, mit welcher Willkür von den staatlichen Steuerämtern das Einkommen der Steuerträger bestimmt wird, und ausgerechnet dieses versteuerte Einkommen soll jetzt das Kriterium für die zulässige Mietzinserhöhung abgeben! Wenn jetzt auch noch den staatlichen Behörden und ihrem freien Ermessen es vorbehalten werden soll, die Definition der "kleinen" "mittleren" und "großen Betriebsstätten" zu bestimmen, dann wird es bald keinen Bürger in diesem Staate geben, der nicht nur in Steuerangelegenheiten, sondern auch in Mietzinsfragen auf Gnade und Ungnade der Willkür der staatlichen Behörde ausgeliefert sein muß.
Durch die Schaffung der Einkommensgrenze von 45.000 für die Mietzinserhöhungen wird aber auch der Kreis der noch unter Mieterschutz stehenden Staats und öffentlichen Angestellten eingeengt und damit die Hoffnung verringert, daß dieser Kreis einmal bei völligem Abbau des Mieterschutzes einen erfolgreichen Kampf um die Revision ihrer Gehaltsbezüge wird führen können. Man kann ruhig behaupten und beweisen, daß nach diesem Gesetze nur jene Menschen noch unter Mieterschutz stehen, die auf Grund ihrer großen Wohnung und Betriebsstätten und auf Grund des minimalen Zinses einen ungerechten Gewinn aus dem Mieterschutze ziehen. Solange es in diesem Staate politische Parteien geben wird, die auf die 80 bis 100 Tausend Stimmen dieser unberechtigten Nutznießer des Mieterschutzes spekulieren, solange wird es in diesem Parlamente einen Kampf um die definitive Lösung der Wohnungsfrage geben.
Der Hintertreppenwitz dieses Gesetzes liegt aber in der Bestimmung, daß der Gesetzgeber den Staat, die Länder, die Bezirke und die Gemeinden unter jene wirtschaftlich schwachen Mieter einreiht, die auch in Zukunft noch des Mieterschutzes teilhaftig werden müssen.
Die Regierung hat sich aber nicht einmal die Mühe genommen, jene Änderungen an den bestehenden Mieterschutzbestimmungen in dem vorliegenden Provisorium vorzunehmen, die ohne jede Schädigung wirtschaftlich schwacher Mieterkreise nur aus Billigkeitsund Gerechtigkeitsgründen hätten durchgeführt werden können. Der vorliegende Gesetzentwurf ist aus jenem Geist geschaffen, der nach dem marxistischen Dogma das Eigentum als Verbrechen bezeichnet. Das vorliegende Gesetz stellt immer noch nicht das Recht des Eigentümers auf den Gebrauch seines Hauses wieder her, es beseitigt nicht einmal die Ungerechtigkeit, daß es zahlreiche Mieter gibt, die den Mieterschutz zulasten ihrer oft sozial schwächeren Hausbesitzer ausnützen.
Die Regierung legt weiter gesetzlich fest, daß bei Prozessen aus dem Mietverhältnis der Hausherr auch dann die ganzen Kosten des Verfahrens tragen muß, wenn er vor Gericht Recht behält, also nur sein Recht gefordert hat, und dem Mieter, der unterlegen ist, noch die Prozeßkosten ersetzen muß. Das harmoniert glänzend mit dem Grundsatz: justitia fundamentum regnorum. Nichts geschieht für jene wirtschaftlich schwachen Hausbesitzer aus den Kreisen der Arbeiter und Angestellten, die aus eigenen Mitteln nicht imstande sind, ihr Haus bewohnbar zu erhalten und die aus dem geringen Zinserträgnis die notwendigsten Reparaturen nicht bezahlen können. Diesen armen Teufeln läßt man ihr Hab und Gut elend zugrundegehen. Das größte Bedenken, das man aber gegen den vorliegenden Gesetzentwurf haben muß, ergibt sich aus der Tatsache, daß dadurch die Baubewegung für das Jahr 1931 direkt erschlagen wird. Vielleicht ist aber gerade das die Absicht der Regierung, damit sie im November 1931 sagen kann, daß ein definitives Wohnungsgesetz noch nicht geschaffen werden könnte, weil infolge der Stagnation in der Baubewegung die notwendige Anzahl von Wohnungen nicht hergestellt werden könnte, die eine unbedingte Voraussetzung für jeden Abbau des Mieterschutzes bildet.
Mit welchem Ernste und mit welchem Verantwortungsgefühl in diesem Parlament das Wohnungsproblem behandelt wird, kann man am besten an folgender Tatsache erkennen: die èechischen Agrarier haben jetzt während der Beratung im Plenum Abänderungsanträge gestellt und bemühen sich, die Annahme derselben durchzusetzen. Angeblich soll aber die Aussicht der Agrarier auf Erfolg sehr gering sein. Der Vertreter einer sozialistischen Partei erklärte, daß die soz ialistischen Parteien die meisten dieser Abänderungsanträge ohne weiters annehmen könnten, aber jetzt sei das noch nicht notwendig und auch nicht ratsam. Das ist wohl der Gipfel des Zynismus, mit welchem hier Parteischacher getrieben wird.
Die Behandlung der Wohnungsfrage ist nur ein Glied in der Kette der gänzlich verfehlten Wirtschafts und Sozialpolitik in diesem Staate. Der Bauer, der jetzt schwer kämpfen muß um den bescheidensten Ertrag seiner Arbeit, wird von den anderen Ständen und Klassen als der agrarische Wucherer und Ausbeuter bekämpft, der Handelsund Gewerbetreibende wird vernadert, weil er die Schuld daran trägt, daß die Preise nicht sinken, dem Festbesoldeten wird die kleinste Gehaltserhöhung geneidet, der Arbeitgeber ist nur noch der blutrünstigste Aussauger der Arbeitnehmer, jeder Hausherr ist ein geborener Verbrecher. Und so was nennt sich Volksgemeinschaft. Das ist das Ergebnis der Standes und Klassenpolitik. Aus diesem Sumpfe können das Volk nur noch echte und wahre Volksparteien herausführen.
In diesem Sinne wird auch die
Deutsche Nationalpartei den Kampf gegen das hier herrschende System
bis zu dessen Zusammenbruch führen. (Potlesk.)