Pátek 25. dubna 1930

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 44. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní republiky Èeskoslovenské v Praze v pátek dne 25. dubna 1930.

1. Øeè posl. Greifa (viz str. 17 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Als das Gesetz über die Arbeitslosenfürsorge nach dem Genter System, wie es gegenwärtig in Kraft ist und wie wir es durch die in Verhandlung stehende Regierungsvorlage abzuändern im Begriffe sind, 1921 Gesetzeskraft erlangte, da wurde erst vor allen Dingen einmal das Gesetz einige Jahre aufs Eis gelegt. 1925, als man glaubte, die Wirtschaft in unserem Staate sei mehr konsolidiert, ließ man dieses provisorisch fertigestellte Gesetz in Wirksamkeit treten. Man sah 1921 bereits ein - und es besteht wohl heute überall nirgends mehr ein Zweifel darüber - daß diese Lösung der Arbeitslosenfürsorgefrage, wie sie das in Geltung stehende Gesetz darstellt, eben nur durchführbar ist in Zeiten normaler wirtschaftlicher Konjunktur. Von diesen Zeiten sind wir leider noch weit entfernt. Wir taumeln von einer Wirtschaftskrise in die andere; hervorgerufen sind diese Zustände durch die immer mehr wachsende Abh ängigkeit der europäischen Wirtschaft vom amerikanischen Kapital. Auch wir tragen schwer an dieser Abhängigkeit und auch bei uns gilt als Schlagwort zur Rettung aus diesem Chaos, aus diesen wirtschaftlichen Krisenzuständen, der Ruf nach intensiver Rationalisierung unserer Wirtschaft. Nun, rationalisieren müssen wir, darüber besteht sicher kein Zweifel, wenn wir auf dem Weltmarkte konkurrenzfähig bleiben wollen, wenn wir wollen, daß unsere Fabriken laufen, daß unsere Arbeiter und Angestellten nicht feiern müssen. Aber es ist wesentlich, was man unter Rationalisierung verstehen kann. Wir meinen, daß die Rationalisierung der Erzeugung vor allem eine Vereinfachung und Erleichterung der Arbeit des Menschen bringen muß. Weiters sind wir der Ansicht, daß der Ertrag, hervorgerufen durch die Mehrleistung im rationalisierten Erzeugungsprozeß, auch zum Teil wieder dem Arbeiter zugute kommen muß, daß er sich auswirken muß in erhöhtem Einkommen, in verkürzter Arbeitszeit usw., was eben dem Arbeiter ein menschenwürdiges Dasein ermöglicht.

Diese Auffassung, wie wir sie über die Rationalisierungsbestrebungen haben, teilen weite Kreise leider nicht. Unter Rationalisierung verstehen heute weite Kreise lediglich eine schrankenlose Ausbeutung der Arbeitskraft des Menschen. Wir wenden uns dagegen, daß die Folgen, die der Rationalisierungsprozeß der Wirtschaft mit sich bringt, vor allem auf den Rücken der Arbeitnehmer ausgetragen werden. Die Folgen spüren wir überall heute schon. Sie äußern sich vor allen Dingen in der erhöhten Zahl der Arbeitslosen. Die Berichte der letzten Zeit, sowohl des statistischen Staatsamtes als auch des Ministeriums für soziale Fürsorge sprechen gewiß eine deutliche Sprache. Man muß sich den rationalisierten Erzeugungsprozeß nur etwas näher ansehen, und man wird die anderen Folgen leichter verstehen. Es ist heute nicht mehr möglich, daß nur mittelmäßige Arbeitskräfte noch in einem streng rationalisierten Betrieb Verwendung finden könnten. Nur junge, kräftige Leute können heute noch die Anstrengungen der modernen Arbeitsweise aushalten. Es ist ja bezeichnend, daß es schon vielfach Brauch geworden ist, bei Arbeitseinstellungen die sich anbietenden Arbeitskräfte einer gewissen Untersuchung zu unterziehen. Man verlangt heute in rationalisierten Betrieben bereits ärztliche Gutachten über den Gesundheitszustand usw., wir nähern uns also wieder dem Zeitpunkt, wo der Arbeitgeber vor 1000 Jahren den Sklaven, den er für seine Arbeit kaufte, selbst prüfte auf seine Tauglichkeit und Tüchtigkeit. Die Alten und Siechen verlieren immer mehr den Arbeitsplatz und werden schutzlos dem Elend überantwortet.

Eine weitere Folge ist selbstverständlich ein Überangebot an Arbeitskräften und ein entsprechender dadurch hervorgerufener Anreiz, die billigsten Arbeitskräfte heranzuziehen. Die Frauenarbeit nimmt heute in weiten Industriekreisen bereits derart erschreckende Formen an, daß wir um die Erhaltung des Familienlebens und der notwendigen Erziehung des Nachwuchses ernstlich Sorge haben müssen. Wenn die Rationalisierungsbestrebungen in dieser Art fortgesetzt werden, dann ist es ganz unausbleiblich, daß die Reaktion wieder nur in erster Linie unsere Wirtschaft trifft. Heute ist die Forderung, Qualitätsware zu erzeugen; die wird aber nur von Qualitätsarbeitern erzeugt. Ein ausgemergelter Arbeiter, dessen Arbeitskraft bis aufs Letzte ausgebeutet wurde, ist nicht imstande, Qualitätsarbeit zu leisten, ganz abgesehen davon, daß durch den Rationalisierungsprozeß, durch die Arbeit am laufenden Band, wie sie heute vielfach eingeführt ist, auch der Berufsgedanke erschlagen wird, die Verbundenheit des Arbeiters mit seiner Arbeit, die Freude an der Arbeit. Das sind falsche Maßnahmen, um unsere Wirtschaft in die Höhe zu bringen. Wir wenden uns gegen eine solche Auffassung von Rationalisierungsbestrebungen. Unsere Forderungen, die wir in dieser Hinsicht stellen müssen, gehen vor allem dahin, daß in den verantwortlichen Kreisen die Erkenntnis platzgreift, daß die ewigen unveränderlichen Sittengesetze auch im Wirtschaftsprozeß Geltung haben müssen. Rationalisierung ist von der Moral nicht unabhängig. Solange der Arbeitgeber nur darüber nachdenkt, wie er die Tourenzahl an der Maschine steigert, kurz wie er die größtmögliche Arbeitsleistung pro Stunde aus der Maschine herauszuholen imstande ist, so lange handelt es sich nur um tote Maschinen; aber wir dürfen nicht vergessen, daß vor jede, auch vor die modernste Maschine, ein lebendiger Mensch gestellt werden muß, und da tritt allerdings an den Arbeitgeber die Verpflichtung heran, auch den betreffenden Menschen durch entsprechende Arbeitsbedingungen und Entlohnung ein menschenwürdiges Dasein zu sichern.

Wir stehen auf dem Standpunkt, daß die Arbeiter und Arbeitnehmer überhaupt in erster Linie ihrer Selbsthilfe überlassen werden sollen, aber nur insoweit, als diese Selbsthilfeinstitutionen, die sie sich in schwerem harten Ringen geschaffen haben, zum Schutz ihrer Interessen ausreichen. Ist das nicht der Fall, dann verlangen auch wir das Eingreifen der Staatsgewalt. Innenpolitik ist heute zum großen Teile Wirtschaftspolitik und Wirtschaftspolitik muß heute zum größten Teil Sozialpolitik sein. Die Staatspolitik muß heute auf die Verteilung der Lasten Einfluß nehmen, wie sie die Wirtschaftsnotwendigkeiten im Gefolge haben. Wir sehen da als erste Aufgabe des Staates, wie schon erwähnt, den Schutz der Selbsthilfeinstitutionen der Arbeiter, wie sie die Gewerkschaften, die Genossenschaften usw. darstellen. Die zweite Aufgabe, die ich als nicht minder wichtig hinstellen möchte, besteht in Schutz und Hilfe für die Opfer der Rationalisierung. Die gegenwärtige Regierungsvorlage stellt einen zaghaften Schritt auf diesem Wege dar. Wir hoffen, daß es nicht der letzte ist. Die Regierungsvorlage, die das bestehende Arbeitslosenfürsorgegesetz abändern soll, entspricht durchaus nicht den Forderungen der Durchführungsorgane, der Berufsorganisationen. Die Berufsorganisationen, die das Genter System durchführen mußten, haben seit 1926, als die erste ausgesprochene Krise eintrat, seit dem Inkrafttreten des Genter Systems, den Ruf nach Novellierung dieses Gesetzes nicht mehr verstummen lassen. Vor allem forderten die Berufsverbände eine finanzielle Entlastung. Diese bringt die gegenwärtige Regierungsvorlage nicht, sie läßt also die wesentlichste Forderung der Berufsverbände ganz außer Acht. Ich weiß ja, daß auch diese Vorlage, wie jedes andere sozialpolitische Gesetz ein Kompromißwerk darstellt, und ich bin weit davon entfernt, Kritik lediglich um der Kritik willen daran zu üben. Diese Vorlage stellt aber auch - nicht nur, daß sie keine finanzielle Entlastung der Gewerkschaften bedeutet - auch keine ausreichende Fürsorge für die Arbeitslosen dar. Nach wie vor wird die Forderung bestehen bleiben und als äußerst dringlich bezeichnet werden müssen, daß die Regierung darangeht, eine obligatorische Arbeitslosenversicherung zu schaffen. Daß diese Forderung auch in Kreisen platzgreift, die den Arbeitern und Gewerkschaften nicht so nahe stehen, beweisen verschiedene Begebenheiten in der letzten Zeit. Ich will nur ein Beispiel herausgreifen. Der Stadtrat von Waagstadt hat am 4. April an die Regierungsstellen die dringende Aufforderung ergehen lassen, die obligatorische Arbeitslosenversicherung endlich Gesetz werden zu lassen.

Als Forderungen nach Schutz für die Opfer der Rationalisierung könnte ich einen ganzen Wunsch zettel aufstellen. Diese Forderungen, die von den Gewerkschaften immer wieder erhoben werden, sind allzu bekannt, als daß ich sie hier wiederholen müßte. Ich greife nur die wichtigsten heraus. Vor allem brauchen die Arbeitnehmer heute einen wirksameren Schutz ihres Einkommens. Wir haben noch immer keine gesetzliche Grundlage für den Schutz unserer Kollektivverträge. Wer im Gewerkschaftsleben tätig ist, weiß, unter welch schweren Kämpfen und harten Mühen Kollektivverträge zustandegeko mmen sind und heute noch zustandekommen. Überall, fast in jedem Berufszweig, ertönt heute leiser und lauter der Ruf nach Abbau der Löhne. Man nimmt sich seitens der Unternehmerorganisationen gar nicht mehr die Mühe, diese Forderung nach Lohnabbau sachlich zu begründen, man wirft diese Maßnahme ganz einfach mit unter den Begriff der Rationalisierung, stellt als Allheilmittel für die Gesundung unserer Wirtschaft dar, daß die Löhne der Arbeiter entsprechend herabgesetzt werden und dadurch die Profite der Unternehmungen erhöht werden müssen. Ich brauche mich wohl darüber nicht auszulassen, daß diese Maßnahmen grundverkehrt sind und sich im Gegenteil letzten Endes zu ungunsten der ganzen Wirtschaft auswirken müssen. Lohnkämpfe stehen bevor, sie sind die natürliche Folge derartiger Bes trebungen, und Lohnkämpfe bedeuten in der Regel wirtschaftliche Erschütterungen zum Teil schwerster Art. Aus dieser Erkenntnis ergibt sich die weitere Forderung nach endlicher Schaffung von sogenannten Einigungs- und Schlichtungsämtern seitens des Staates, die geeignet sind, größere Konflikte zu ve rmeiden und Lohnkämpfe, also schwere wirtschaftliche Erschütterungen, hintanzuhalten. Unter den Folgen der Rationalisierungsbestrebungen nannte ich vor allem auch das Verlieren des Arbeitsplatzes der alten und siechen Leute. Ganz besonders in Angestelltenkreisen macht sich heute das Bestreben bemerkbar, die alten Angestellten nach und nach manchmal radikaler, manchmal vorsichtiger, abzubauen. Wir brauchen ganz bestimmt auch einen gesetzlichen Kündigungsschutz für die alten oder die älteren Arbeitnehmer.

Weiters erhebe ich die besonders wichtige Forderung nach Erschwerung der Frauenarbeit. Ich bin gegenwärtig im westböhmischen Kohlengebiet daheim, und es ist keine Seltenheit, dort eine vollständige Umstellung der Familien- und Gesellschaftsordnung zu beobachten. Man sieht dort nicht selten Familienväter, die arbeitslos sind, ihren erwachsenen Töchtern und ihren Frauen das Essen in die Fabrik, an die Betriebsstätte bringen. Die Frauen und Mädchen sind heute in der Lage, die Maschinen leichter noch als der Mann zu bedienen. Ferner stellt die Frauenwelt eine entsprechend billigere Arbeitskraft dar und bietet so den Anreiz zur besonders vermehrten Beschäftigung von Frauen und Mädchen. Was die Folgen davon sind, brauche ich wohl kaum auszuführen: eine Vernachlässigung des Nachwuchses, sofern er aus Notgründen überhaupt nicht verhindert wird, ein Herausreißen der Frauen aus ihrem natürlichen Wirkungskreis, der Familie, und damit ein Zusteuern auf den Untergang unseres Volkes. So befremdend es gewiß manchen Kreisen klingen wird, muß ich doch von dieser Stelle die Forderung erheben, daß die Frauenarbeit erschwert werde, u. zw. durch die Erhöhung der sozialen Lasten für die Frau. Erhöhte Schutzfürsorgemaßnahmen für Schwangere und stillende Mütter vor und nach der Entbindung, vor allem aber endliche Abschaffung des unmora³ischen, unsozialen § 82 unserer Gewerbeordnung. Das sind nur einige wenige Forderungen zum Schutze der Opfer der Rationalisierung.

Nun gestatten Sie mir noch einige Worte zur Regierungsvorlage selbst, die in Verhandlung steht. Ich habe mir gestattet, einige Abänderungsanträge zu stellen. Ich weiß, daß ihnen hier im Hause dasselbe Schicksal wie im sozialpolitischen Ausschusse zuteil werden wird, daß sie zum größten Teile abgelehnt werden. Ich war bei der Stellung der Abänderungsanträge mehr als bescheiden, sowohl der Zahl, wie dem Inhalte nach. Ich habe in den Abänderungsanträgen Dinge verlangt, die eigentlich keiner Begründung bedürfen, die so selbstverständlich sind, daß mir die Ablehnung seitens der Mehrheitsparteien einfach unbegreiflich erscheint. Die Regierungsvorlage hat vergessen, ein schweres Unrecht gutzumachen, die Autonomie der Berufsverbände wieder herzustellen. Das gegenwärtig geltende Arbeitslosenfürsorgegesetz, das sogenannte Genter System, sagt in seinem § 4, Absatz 1, daß jeder Berufsverband jeden Arbeitnehmer aufnehmen muß, wenn er nur den geldlichen Verpflichtungen gegenüber dem Berufsverbande nachkommt und aus der betreffenden Berufsgruppe hervorgeht. Das besagt, daß die Berufsorganisationen nicht mehr freie Wahl bei der Aufnahme der Mitglieder haben, d. h., daß man die Gewerkschaften zu reinen Unterstützungsorganisationen degradiert hat. Ich weiß nicht, was für Absichten die damaligen Gesetzesmacher hatten, als sie diesem Paragraphen diese Fassung gaben. Heute jedenfalls ist diese Fassung nicht mehr berechtigt. Es kann nicht behauptet werden, daß der Berufsverband, wenn er sich auf den Standpunkt stellt, nur Leute einer gewissen Gesinnung aufzunehmen, Leute, sagen wir, wie es bei den Angestellten häufig der Fall ist, nur eines bestimmten Geschlechtes, männliche oder weibliche Mitglieder, aufzunehmen, eine Vergewaltigung der Gesinnung dieser Arbeiter oder Arbeitnehmer bezweckt. Heute gibt es derart viele Berufsverbände, geschieden nach Weltanschauungsrichtungen usw., daß es jedem Arbeitnehmer möglich ist, die Berufsorganisation zu finden, die seiner Anschauung entspricht. Die Gewerkschaften haben ganz sicher andere Aufgaben, als Unterstützungen auszubezahlen, Stellen zu vermitteln usw. Die Gewerkschaften haben seit ihrem Bestande derart wertvolle, ich möchte sagen, staatserhaltende Arbeit geleistet, daß sie eine größere Beachtung verdienen, als sie ihnen gegenwärtig zuteil wird. Die Gewerkschaft will vor allen Dingen einmal das kulturelle Niveau des Arbeitnehmers ständig heben, und das kann nur der Berufsverband, wenn er eben im Sinne des einheitlichen Willens seiner Mitgliedschaft arbeiten kann. Es ist nicht möglich, eine zusammengewürfelte Anhängerschaft in einer gewissen Richtung zu erziehen oder zu führen, wenn die Führung nicht die Möglichkeit hat, die Mitglieder entsprech end auszuwählen. Es ist ja bekannt - mein Vorredner hat bereits darauf verwiesen - daß z. B. die kommunistischen Organisationen sowohl die Arbeitslosenfürsorgegesetze, wie sie bestehen, als auch den Staatsbeitrag zum Genter System ablehnen, indirekt aber ihre Mitglieder ruhig auffordern, sich die Arbeitslosenunterstützung in anderen Gewerkschaften zu sichern. Was es bedeutet, wenn eine Berufsorganisation gezwungen ist, jeden sich meldenden und nur den Beitrag zahlenden Arbeitnehmer ganz ohne Wahl aufzunehmen, ist leicht auszudenken und kann Folgen haben, die es den Gewerkschaften unmöglich machen, ihre wirklichen Aufgaben zu erfüllen und ihnen gerecht zu werden.

Ich habe ferner Abänderungsanträge auf Ausdehnung des erhöhten Staatsbeitrages für ledige Familienversorger gestellt. Im sozialpolitischen Ausschusse ist diesen Anträgen insoweit Rechnung getragen worden, als ledige Arbeitslose auch den erhöhten Staatsbeitrag beziehen können, wenn sie für erwerbslose Eltern zu sorgen haben, die über 65 Jahre alt sind. Es wäre gewiß nur gerecht, wenn man diesen erhöhten Staatsbeitrag auf ledige Arbeitslose ausdehnen würde, wenn sie für Geschwister usw. zu sorgen haben.

Ein weiterer Abänderungsantrag verlangt Erleichterungen bei den Meldevorschriften für Arbeitslose. Man muß gewisse Gegenden kennen, um zu sehen, welche Härten das bestehende Gesetz gerade in seinen Meldevorschriften aufweist. Ich kenne Gegenden, wo die Arbeitslosen, um ihren Meldepflichten ordnungsgemäß nachkommen zu können, ihre ganze Arbeitslosenunterstützung oder den größten Teil für die Omnibusfahrt verwenden müssen, weil der Weg zur Meldestelle soviele Stunden und Kilometer beträgt. Es ist eine Forderung, die gewiß dem Gerechtigkeitsprinzipe entspricht, wenn in dieser Beziehung. Erleichterungen geschaffen werden, wie ich sie im Abänderungsantrage verlangt habe, daß auch in besonders berücksichtigungswürdigen Fällen die Gemeindeämter die Anmeldung des Arbeitslosen entgegennehmen können.

Die Regierungsvorlage bringt außer der Novellierung des Gesetzes über das Genter System auch noch Bestimmungen für die Zeiten einer außerordentlichen Arbeitslosigkeit. Meine Herren, ich bin felsenfest überzeugt, daß diese Bestimmungen auf dem Papier stehen bleiben, denn ich glaube nicht, daß es Gewerkschaften gibt, welche Mitglieder aus Industriezweigen besitzen, die heute wie die ganzen Jahre hindurch ständigen Krisen unterworfen sind, daß es Gewerkschaften dieser Art gibt, welche eine neuerliche Belastung in finanzieller Hinsicht ertragen können. Es wäre ganz gewiß wünschenswert gewesen, wenn in dieser Hinsicht der Herr Finanzminister etwas tiefer in den Staatssäckel gegriffen hätte und die Unterstützung für die außerordentliche Arbeitslosigkeit zur Gänze aus Staatsmitteln bewilligt hätte, denn die Gewerkschaften sind nicht imstande, weitere Belastungen zu ertragen und es wird ihnen nichts anderes übrig bleiben, als letzten Endes eben wiederum die Arbeitslosen vor die Bezirksämter zu schicken. Die Gewerkschaften kann eine Schuld nicht treffen und wenn vielleicht in manchen Kreisen die Absicht bestanden hätte, durch erhöhte finanzielle Belastung der Gewerkschaften die Arbeitslosen zum Aufruhr gegen die Gewerkschaft aufzuwiegeln, ist das eine verfehlte Spekulation. Die Gewerkschaften sind durch ihre Kontrolle des Ministeriums für soziale Fürsorge ja gezwungen, auf Heller und Pfennig ihre Arbeitslosenfonds zu verrechnen und die Arbeiter sind heute nicht mehr so naiv, daß sie diesen Berechnungen nicht folgen könnten, nicht aus eigenem einsehen würden, daß die Gewerkschaften bis zum Weißbluten alles getan haben, was sie tun konnten. Es bestehen große und starke Verbände, ganz besonders in den schweren Krisen unterworfenen Industriezweigen, wie die Verbände der Metallarbeiter, Textilarbeiter und Glasarbeiter, deren Arbeitslosenfonds ganz gewaltige Defizite aufweisen. Ich verweise nur auf einige Ziffern, die den deutschen christlichen Textilarbeiterverband betreffen, gewiß einen verhältnismäßig kleineren Verband mit 15.000 Mitgliedern, der im Jahre 1929 7500 Arbeitsfälle verrechnet hat, bei dem also 50% aller Mitglieder die Arbeitslosenunterstützung bezogen haben. Der Beitrag, den die Gewerkschaften in den Arbeitslosenfonds leisten, der nicht gesetzlich vorgeschrieben ist, differiert zwischen 12 und 17%. Der deutsche christliche Textilarbeiterverband zahlt volle 25% aller Einnahmen in den Arbeitslosenfonds und hat trotzdem ein Defizit von 867.000 Kè in diesem Fonds aufzuweisen. Woher wurde es gedeckt? Der Verband war gezwungen, Mittel bereit zu stellen, die für andere Zwecke bestimmt waren. Daß dadurch nicht nur die Schlagkraft des Verbandes, sondern die ganze Arbeit einer Berufsorganisation gehemmt und gehindert ist, ist wohl leicht einzusehen. Wir hätten gewünscht, daß die ganze Regierungsvorlage in vielen Punkten eine etwas deutlichere und klarere Fassung hätte. Ich bin überzeugt, daß aus den Übergangsbestimmungen in diesem Gesetz Streitigkeiten ohne Zahl und Ende erwachsen werden. Trotzdem werden wir für dieses Gesetz stimmen, u. zw. weil dieses Gesetz eine Verlängerung der Unterstützungsdauer bringt; wir stimmen dafür, weil es andererseits auch unserem christlichsozialen Programm entspricht, welches uns verpflichtet, allen Schichten unseres Volkes die helfende Hand zu bieten, zuerst aber den Bedürftigsten, den wirtschaftlich Schwächsten. (Potlesk.)

2. Øeè posl. Kaspera (viz str. 21 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Schon seit mehreren Monaten herrscht in diesem Staate - der noch nie arm an wirtschaftlichen Erschütterungen war die seit 5 Jahren schwerste Krise in Industrie, Handel und Gewerbe, ohne daß uns inzwischen in diesem Hause die Möglichkeit geboten worden wäre, zu dem seit Jahren dringend gewordenen Problem der Neugestaltung der Arbeitslosenfürsorge Stellung nehmen zu können. Trotz aller dringenden Forderungen der letzten Zeit, trotz der Schwere der Wirtschaftskrise und trotz des Vorhandenseins hunderttausender arbeitsloser Menschen hat man sich auf der Regierungsseite mit der Erledigung dieser Frage reichlich Zeit gelassen, sodaß der Außenstehende versucht sein könnte zu glauben, daß die zu Tage getretene Verzögerung auf eine allzu gründliche Durchberatung des in Frage stehenden Problems zurückzuführen sei. Der Inhalt der Regierungsvorlage Druck 308, die hastige Durchpeitschung derselben in den Unterausschüssen, ihre verspätete Vorlage und Behandlung im Hause selbst, zeigen uns jedoch deutlich genug, daß die Ursachen der Verzögerung keineswegs in einer übermäßigen Gründlichkeit, sondern vielmehr in einer beständigen Uneinigkeit der heutigen Koalition und nicht zuletzt in der Junktimierung der sozialen Vorlagen mit den agrarischen Forderungen zu suchen sind. Wir erheben daher entschiedensten Einspruch sowohl gegen diese zum Unheil tausender Arbeitsloser gereichende Verschleppung, wie auch gegen die in nichts begründete Verbindung der sozialen Vorlagen mit den Agrar- und Viehzöllen. In diesem Zusammenhange betone ich jedoch nochmals ausdrücklichst - so wie ich es gestern an dieser Stelle getan habe - daß wir deutschen Nationalsozialisten die bestehende Landwirtschaftskrise keineswegs in Abrede stellen, sondern dieselbe zumindestens mit derselben Ehrlichkeit als jene anerkennen, die sich so gerne als alleinige Retter des Bauernstandes bezeichnen. Wir behaupten, daß die heutige Landwirtschaftskrise zum Großteil auf dieselben Ursachen wie die Industriekrise zurückzuführen ist, bzw. darüber hinaus sogar eine direkte Folgeerscheinung der Industriewirtschaftskrise und der durch sie bedingten niederen Kaufkraft darstellt; denn der Mangel an Geld bedingt in gleicher Weise einen verminderten Absatz agrarischer wie industrieller Produkte und fûhrt notgedrungen zur Stockung von Handel und Wandel, zu Erschütterungen in Industrie und Wirtschaft.

Ich kann mich daher auch mit der Ansicht des Herrn Finanzministers keineswegs befreunden, wenn er in letzter Zeit des öfteren von dem Bestehen einer Depression in Industrie, Handel und Gewerbe, dagegen aber von einer Krise in der Landwirtschaft sprach. Schon die nackten Zahlen hätten den Herrn Finanzminister eines anderen und wahrlich nicht besseren belehren und hätten ihm zeigen müssen, daß wir es in diesem Staate seit Monaten mit der schwersten Industriewirsch aftskrise zu tun haben.

Ich habe mich bereits im sozialpolitischen Ausschuß eingehendst mit dieser Frage befaßt und ein genaues Bild über die wirkliche Lage in Industrie, Handel und Gewerbe entworfen. Es würde viel zu weit führen, diese Darlegungen vollinhaltlich zu wiederholen, weshalb ich mich darauf beschränke, an Hand einiger kurzen Hinweise die ganze Schwere der heutigen Wirtschaftskrise neuerlich aufzuzeigen. Gemäß der Mitteilungen des Statistischen Staatsamtes erreichte die Arbeitslosigkeit im abgelaufenen Jahre, und zwar im Juli 1929 mit 32.701 nicht untergebrachten Stellenbewerbern ihren Tiefstand. Sie stieg im August 1929 auf 34.789, im November auf 38.293 und ging dann mit einem jähen Ruck in die Höhe und betrug mit Ende Dezember 1929 52.809 nicht untergebrachte Stellenbewerber.

Noch weit schärfer tritt die wirtschaftliche Erschütterung mit Beginn des Jahres 1930 zu Tage, denn die Arbeitslosigkeit stieg im Jänner 1930 auf 73.891 und im Feber d. J. auf 86.000 nicht untergebrachte Bewerber. Damit wurde im Feber 1930 der höchste Arbeitslosenstand seit Mitte 1924 erreicht, sodaß keineswegs mehr von einer bloßen Depression oder wirtschaftlichen Erschütterung gesprochen werden kann.

Und doch kommt damit noch lange nicht der wahre Stand der Arbeitslosigkeit zum Ausdruck; denn die vom Statistischen Staatsamt ausgewiesenen Zahlen umfassen lediglich jene nicht untergebrachten Bewerber, die sich in den Arbeitsvermittlungsanstalten um die Zuweisung eines Arbeitsplatzes meldeten.

Es kann daher mit ziemlicher Sicherheit behauptet werden, daß durch die Arbeitsvermittlungen kaum ein Drittel aller Arbeitslosen erfaßt wird und daß daher die wirkliche Zahl der Arbeitslosen mit Ende Feber 1930 nicht 86.000 - sondern mindestens mit 260.000 bis 300.000 angenommen werden kann. Da gleiche oder ähnliche Verhältnisse auch in allen anderen Staaten und Ländern bestehen, so muß vor allem von einer schweren Wirtschaftskrise im wahrsten Sinne des Wortes gesprochen werden!

Wenn es sich nun darum handelt, Mittel und Wege zur Bekämpfung der gegenwärtigen Krise zu finden, so erscheint es vor allem notwendig, die wahren Ursachen der bestehenden Weltwirtschaftskrise zu ergründen, da sich nur aus dieser Erkenntnis heraus eine richtige Lösung des schweren und zeitgerechten Problems der Arbeitslosigkeit und ihrer Folgeerscheinungen ableiten läßt.

Die wahren Ursachen der heutigen Weltwirtschaftskrise sind durch mehrere Begleitumstände charakterisiert. Sie sind vor allem in den Auswirkungen des Krieges, bzw. der ihn beschließenden und angeblich auch beendigenden Friedensverträgen zu suchen; denn die Tatsache ist unbestritten, daß der alteingelebte und seit Jahrhunderten bewährte Wirtschaftskörper Europa durch die Friedensverträge und ih re Bestimmungen zerrissen und verstümmelt wurde. Sie schufen eine Reihe neuer kleiner Staaten und verwandelten damit ein bisher zusammenhängendes Wirtschaftsgebilde in mehrere selbständige und scharf von einander getrennte Zollgebiete, in denen man emsig bemüht war, eigene nationale Industrien ins Leben zu rufen. Damit wurden nicht nur bisher bestandene Industrien überflüssig, sondern es machte sich auch eine gewaltige Überproduktion zum Schaden und zum Unheil aller geltend. Dazu kam ein für die europäische Industrie und Wirtschaft nicht unbedeutender Verlust der Absatzgebiete in den überseeischen Kontinenten, sowie das Ausscheiden Rußlands aus dem eigentlichen Wirtschaftsleben Europas.

Eine ganz besondere Bedeutung kommt bei diesen Betrachtungen vor allem der gleichfalls durch den Krieg und seine Folgeerscheinungen bedingten Verschiebungen des wirtschaftlichen Gleichgewichtes und der daraus resultierenden Abhängigkeit der europäischen Wirtschaft von Amerika und insbesondere vom amerikanischen Finanzkapital zu. Die Verschiebung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes kommt am besten durch die Tatsache zum Ausdruck, daß die Produktion Amerikas in der Zeit von 1913 bis 1925 um ungefähr 25%, jene Europas dagegen kaum um 5% stieg und der Außenhandel Amerikas sich ungefähr um 35% erhöhte, jener Europas hingegen um 11% zurückging. Die finanzielle Abhängigkeit Europas von Amerika ist am besten dadurch gekennzeichnet, daß Amerika vor dem Kriege 130 Milliarden an Europa schuldete, während Europa gegenwärtig ungefähr 500 Milliarden an Amerika schuldet, wodurch eine Kapitalsverschiebung von 630 Milliarden gezeitigt wurde. Diese finanzielle Abhängigkeit ist durch die Schaffung der Reparationsbank und durch den amerikanischen Einfluß auf dieselbe noch wesentlich gesteigert worden.

Damit liegt das wirtschaftliche Schicksal Europas heute zum Großteil in den Händen des amerikanischen Banken- und Börsenkapitals, das als einziger Sieger aus dem Weltkriege hervorgegangen ist und heute auch darüber zu bestimmen hat, wieviele Arbeitslose es in Europa geben soll.

Damit ist nicht nur Deutschland, sondern auch jeder andere vermeintliche Siegerstaat und mit ihnen ganz Europa zu einer Schuldkolonie, oder wie Koll. Ing. Jung unlängst erklärte, zu einer Sklavenplantage Amerikas, bzw. des amerikanischen Finanzkapitals geworden, für das wir im modernen Sinne des Wortes schuften und roboten müssen.


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