Hohes Haus! Es ist zwar eine Art Jungfernrede, die ich halte, insofern ich zum erstenmal wieder Gelegenheit habe, als Vertreter der Opposition zu sprechen, aber ich beabsichtige trotzdem keine Sensationen. Es würde mir geschmacklos erscheinen, nach mehr als dreijähriger Teilnahme an der Regierung mir nun in billiger Demagogie zu gefallen, ganz abgesehen davon, daß ich glaube, daß ich persönlich kein großes Talent zum Demagogen habe. Ich will vielmehr eine reinsachliche Kritik üben, getreu dem Programm unserer Partei, die unter allen Umständen mitarbeiten will am Gemeinwohl, mitarbeiten im Interesse unseres Volkes. Diesem Standpunkt sind auch die Anträge entsprungen, die ich mir schon im Budgetausschuß zu überreichen erlaubt habe und die ich, da sie dort abgelehnt wurden, dem Hohen Hause wieder vorlegen werde. Es sind nicht bloß Resolutionsanträge, es sind auch Abänderungsanträge, weil ich im Gegensatz zum Herrn Generalberichterstatter der Ansicht bin, daß das Parlament sich nicht das Recht nehmen lassen soll, auch am Budget selbst Änderungen vorzunehmen, wenn es solche für zweckmäßig hält. Ich habe mich auch bei diesem Vorgang geflissentlich jeder Demagogie enthalten. Meine Anträge sind weder dem Inhalte noch dem Umfange nach - was die Ziffern anlangt - demagogisch. Darum habe ich mich gehütet, Anträge in einem Umfang zu stellen, wie sie die vorjährige Opposition gestellt hat, deren Anträge eine Erhöhung des Budgets um 3 oder nach anderer Berechnung sogar um 6 Milliarden zur Folge gehabt hätte. Ich habe vielmehr getrachtet, durch Streichungen auf der einen Seite und Erhöhungen auf der anderen Seite das Gleichgewicht wieder herzustellen, und wenn sich jemand die Mühe geben würde, meine Anträge nachzurechnen, so würde er finden, daß sie im ganzen ein Mehrerfordernis, ich glaube von 20 bis 30 Millionen Kè ausmachen würden, was das Budget gewiß vertragen könnte. Ich habe, sage ich, Streichungen vorgenommen, aber auch in dieser Hinsicht war ich bescheiden. Ich bin nicht soweit gegangen wie die vorjährige Opposition, die ganze Ministerien aus dem Budget hat verschwinden lassen wollen, ich habe vielmehr nur da und dort, wo es zweckmäßig und angängig scheint, die im Budget eingesetzten Beträge herabgesetzt und andere wieder erhöht. Meine Anträge sind auch inhaltlich nicht demagogischer Natur, denn ich habe mich in dieser Hinsicht jeder Originalität enthalten, sondern habe vielmehr nur Anträge übernommen, die die heutigen Regierungsparteien, solange sie das Glück hatten, in der Opposition zu stehen, selbst gestellt haben, so daß sie diesmal in der Lage wären, für ihre Anträge vom Vorjahre zu stimmen.
Ich bin leider nicht der Hoffnung, daß die Anträge angenommen werden dürften, aber auch wenn sie nicht angenommen werden, wird das einen gewissen Nutzen haben. Es wird der Öffentlichkeit zeigen, daß auch die Oppositionsparteien, nachdem sie in die Regierung gegangen sind, genötigt waren, Wasser in den Wein zu tun und daß sie nun in der unangenehmen Lage sind, dieselben Anträge abzulehnen, die sie im vorigen Jahr eingebracht haben und deren Ablehnung sie der damaligen Regierung zum schweren Vorwurf gemacht haben. (Posl. Kremser: Sie bringen ein, was Sie im vorigen Jahr abgelehnt haben!) Ja, gewiß, um zu zeigen, daß man etwas nicht machen kann, auch wenn man die beste Absicht dazu hat. (Posl. Kremser: Demagogie ist das keine?) Nein, das ist eine Belehrung für das Volk, damit es sieht, daß die Herren aus demagogischen Gründen im Vorjahre Anträge gestellt haben. Das Volk wird über ihre Demagogie des Vorjahres entsprechend aufgeklärt und belehrt werden.
Nun zur Sache selbst. Das Budget ist das muß jedermann unumwunden anerkennen - erfreulich, weil es aktiv ist, das Budget ist erfreulich, weil es eine gewisse Stabilität in der Entwicklung unserer Volkswirtschaft zeigt. Es ist auch erfreulich, daß von maßgebender Seite anerkannt wurde, daß unser Budget nunmehr, was die Einnahmenseite, die Steuerseite anlangt, bereits bis zum höchsten Maße angespannt ist, so daß man nun an einen allmählichen Abbau des Budgets man hat sogar von einer Milliarde, die man im Laufe der Zeit ins Auge fassen müsse gesprochen, denken muß. Allerdings ist eben ein solcher Abbau nur auf der Steuerseite, auf der Einnahmenseite möglich, denn auf der Ausgabenseite fehlt leider noch manches, was wir zur Bedeckung der öffentlichen Bedürfnisse brauchen. Es ist einerseits in gewissen Ressorts eine übertriebene Höhe der Ausgaben zu konstatieren, ich erinnere da nur an das Äußere, an das Militär und die verschiedenen Dispositionsfonds, andererseits besteht eine nicht ganz angemessene Sparsamkeit. An erster Stelle steht das Ministerium für soziale Fürsorge und die verschiedenen Gehalts- und Pensionsfragen. Auf der Einnahmenseite müssen wir eine ungerechte Verteilung der Steuerlast konstatieren, die sich namentlich darin äußert, daß die Hauptsteuerlast von den indirekten Steuern getragen wird, die ja immer gerade die Belastung der schwächsten Steuerträger bedeuten. (Výkøiky.) Wenn wir von zu hohen Ausgaben sprechen, müssen wir in erster Linie das Ministerium für nationale Verteidigung ins Auge fassen. Wir müssen zwar dem Herrn Finanzminister überaus dankbar sein, daß es ihm gelungen ist, die Ausgaben des Nationalverteidigungsministeriums auf die gesetzliche Höchstgrenze zu restringieren. Wir haben immerhin noch Besorgnisse, ob das eine wirkliche Restringierung ist oder ob wir nicht wieder das Schauspiel erleben werden, daß der Budgetausschuß am Schluß des Jahres in die Zwangslage versetzt werden wird, Überschreitungen des Ministeriums nachträglich zu genehmigen. Es ist ebenso mit Anerkennung zu konstatieren, daß im Rahmen des Ministeriums für nationale Verteidigung die Ausgaben für die französische Militärmission in diesem Jahre um 600.000 Kè zurückgegangen sind; aber leider ist das, was auf diese Weise auf der einen Seite erspart wurde, auf der anderen Seite wieder eingebröckelt worden worden, denn wir sehen, daß zu den 1400 Millionen Kè, die als Ausgaben präliminiert sind, nicht bloß die 312 Millionen Kè Rüstungsfonds hinzukommen, sondern auch noch einige Millionen Kè außerordentlicher Ausgaben, die im Finanzgesetz vorgesehen sind, so für Luftschiffe 1 Million Kè, dann für Militärdruckereien 1 1/2 Millionen Kè; dazu kommen ferner noch 222 Millionen Kè und etwas für Militärpensionisten, und rechnen wir die Auslagen für die Militärbauten dazu, so kommen wir zu Gesamtauslagen in der Höhe von 2500 Millionen Kè, also zu einem Viertel der Gesamtausgaben des Staates. Es ist begreiflich, daß das Mißfallen erregt. Ich habe hier eine Zuschrift des Bundes der Kriegsverletzten und Witwen und Waisen der Èechoslovakischen Republik, die sich mit Recht darüber beschwert, daß für die Invalidenfürsorge fast nichts geschieht, daß aber anderseits - sie führen das als besonders krasses Beispiel an und ich erwähne es, um Gelegenheit zu geben, die Sache nachzuprüfen, ich selbst war nicht in der Lage zu prüfen - in der Post für das Nationalverteidigungsministerium allein für 47 Offiziere zur Entsendung in Militärschulen und fremde Armeen über 100 Millionen Kè angefordert werden. Aus dem Budget selbst ist das leider nicht zu ersehen und ich möchte bei dieser Gelegenheit darauf aufmerksam machen und die maßgebenden Faktoren veranlassen, doch nicht das Geld in so überflüssiger und verschwenderischer Weise auszugeben. Ebenso ist in diesem Rahmen zu erwähnen, daß die berechtigte und natürliche Gegenforderung, die die Bevölkerung an das Ministerium für nationale Verteidigung stellt, die Forderung nach Abkürzung der Militärdienstzeit auf 14 Monate, wiederum abgelehnt wird, obwohl ein gewiß berufener Fachmann, ein früherer Minister für Nationalverteidigung, dessen Patriotismus in diesem Staate kaum in Zweifel gezogen werden wird, Herr Senator Klofáè, erst kürzlich ausdrücklich erklärt hat, daß seiner Ansicht nach vom fachmännischen Standpunkt gegen die Verkürzung der Militärdienstzeit nichts einzuwenden sei und daß das Zuwarten auf die 8000 Unteroffiziere überflüssig sei. Während hier im Ministerium für Nationalverteidigung mit dem Geld ein wenig zu leichtfertig gewirtschaftet wird, sehen wir das Gegenteil im Ministerium für soziale Fürsorge. Es hat der Herr Minister für soziale Fürsorge sich zwar im Budgetausschuß redlich Mühe gegeben, zu beweisen, daß der Abstrich von 11 Millionen, den das Ministerium in diesem Jahre erfährt, in den Verhältnissen begründet ist, insbesondere durch das Ausscheiden der Komenský-Anstalt und deren Übertragung an das Justizministerium, aber wenn man anderseits bedenkt, daß eine völlig neue Post, die Sorge für die Überalterten, die 42 Millionen Kè ausmacht, eingesetzt ist, so ist doch dieser Abstrich von 11 Millionen Kè nicht ganz begreiflich und wird umso betrübender, wenn wir sehen, daß dieser Abstrich und die Ersparnis, die nötig ist, um die neuen 42 Millionen Kè zu decken, gerade in der Post gemacht wird, bei welcher es am wenigsten zweckmäßig erscheint. Es sind 37 Millionen Kè weniger für die Invaliden eingesetzt, und der Herr Minister für soziale Fürsorge hat sich heuer auch wiederum das angebliche Argument zu Nutze gemacht, das man da immer anwendet, das sei im natürlichen Absterben der Invaliden gegeben. Aber ich glaube doch, daß diese 37 Millionen Kè dadurch allein nicht hereingebracht werden können. Auch eine zweite Post weist eine Verringerung auf, die Post für Subventionen für Wohnbauten, und zwar um 23 Millionen Kè. Es ist jedenfalls bedauerlich, daß gerade im Ministerium für soziale Fürsorge gespart wird, umso bedauerlicher, als es doch jetzt in sozial durchaus verständigen Händen ist. Ob diese Ziffer im Ministerium für soziale Fürsorge gerade dadurch wettgemacht wurde, daß man die Ausgaben für das Ministerium für Volksernährung um 50% erhöht hat, das mag zweifelhaft erscheinen, denn es wird niemand an der Bedeutung des Ministers zweifeln, der an der Spitze dieses Ministeriums steht, aber die Bedeutung des Ministeriums selbst unterliegt manchem Zweifel, wenigstens hat ein Teil der heutigen Regierungsparteien im Vorj ahre noch für die Aufhebung dieses Ministeriums gestimmt. Schärfste Kritik an der ungesunden Verteilung der Staatsasugaben übt übrigens der Bericht zum Budget selbst, indem er ziffernmäßig prozentuell zeigt, wie sich die Ausgaben auf die einzelnen Ressorts verteilen und da sehen wir, daß nahezu die Hälfte der gesamten Staatseinnahmen verschiungen wird vom Staatsschuldendienst und von dem Erfordernis des Ministeriums für Nationalverteidigung. Der Staatssehuldendienst erfordert 22 %, die nationale Verteidigung nach der Berechnung des Budgets 18%, wenn man aber all das hinzurechnet, wovon ich schon oben gesprochen habe, so sind es eigentlich 25 % und das sind zusammen 40 %, bezw. 47 %; (Posl. Pohl: Ist der Rüstungsfond dabei?) Er wird vielleicht dabei sein - während für die soziale Fürsorge nur 9 %, für das Gesundheitswesen 1 1/2 % brig bleiben. Das Schulwesen hat heuer allerdings 10 % zur Verfügung, aber es ist bedauerlich, daß an diesem Plus das deutsche Schulwesen sehr wenig partizipiert, daß z. B. die Brünner deutsche technische Hochschule heuer wiederum einen bedeutenden Abstrich erfährt. (Rùzné výkøiky. - Místopredseda Taub zvoní.) Diese Übersicht zeigt ferner, daß der Gewerbestand nahezu leer ausgeht, weil auf das Handelsministerium überhaupt nur ein halbes Prozent der Staatsausgaben entfallen. Ebenso ungünstig stellt sich die Einnahmenseite dar. Es sind die direkten Steuern wiederum um 150 Millionen geringer eingesetzt als im Vorjahre und der Rechnungsabschluß für 1928, der auch schon dem Hause vorgelegt wurde, zeigt wieder Millionen von Steuerrückständen und Steuerausfällen. Das beweist einerseits die schlechte wirtschaftliche Lage, in der wir uns befinden, es wirft aber auch ein schlechtes Licht auf die Steueradministrative und wenn der Herr Finanzminister vielleicht mit einem gewissen Recht von der mangelhaften Steuermoral gesprochen hat, so müssen wir eine solche mangelhafte Steuermoral leider auch bei den Steuerämtern und Steuerbehörden konstatieren, denn es hat ein Vertreter der Regierungsparteien selbst im Budgetausschuß geradezu erschreckende Beispiele dafür angeführt, wie unberechtigt manchen Leuten und zwar sehr zahlungsfähigen Leuten Steuern nachgesehen und erlassen wurden. Dagegen sehen wir ein ungeheueres Anwachsen der indirekten Steuern. Sie sind im Budget mit 82 Millionen Kè mehr ausgewiesen als im Vorjahre, nämlich mit 1771 Millionen Kè, davon die Zuckersteuer mit 620 Millionen Kè, das ist 24 Millionen Kè mehr als im Vorjahre. (Rùzné výkøiky.) 72 % der gesamten Steuererträge werden durch indirekte Steuern gedeckt. Während wir bei den direkten Steuern einen steten Rückgang an den Eingängen konstatieren können, sehen wir bei den indirekten Steuern auch noch Überschüsse. Zusammenfassend muß man daher dem Herrn Generalberichterstatter Recht geben, der im Budgetausschuß darauf hingewiesen hat, daß die Steuerreform administrativ versagt, aber auch in den Ergebnissen enttäuscht.
Von den Steuern ist nur ein Schritt zu den Staatsschulden. Sie zeigen einen gewissen Rückgang, sie machen 22 % aus und sind auf 620 Millionen Kè gesunken, entsprechend auch der Zinsen- und Amortisationsdienst. Aber wir wissen, daß wir im Haag neue Lasten dazu bekommen haben, so daß das Bild der Staatsschulden auch nicht überaus erfreulich ist. Vervollständigt wird der trübe Eindruck durch die schlechte Handelsbilanz, die im letzten Jahre in erschreckender Weise im Aktivum zurückgegangen ist; während noch bis 1928 das Aktivum mehr als 2000 Millionen Kè hatte, ist es im November des heurigen Jahres nur 187 Millionen Kè gewesen. Der Dezember ist etwas günstiger ausgefallen, so daß das Jahr noch mit einem Aktivum von 497 Millionen Kè abschließt, immerhin ein starker Rückgang gegenüber dem, was gewesen, ein Rückgang, der um so bedauerlicher ist, als er nicht eine vorübergehende Erscheinung darstellt, sondern in der unglücklichen Handelspolitik des Staates begründet ist. Es ist nachweisbar, daß eines der Hauptabsatzgebiete, die Donauländer, nahezu ganz verloren gegangen ist; wir sind dort fast völlig durch Deutschland verdrängt, und das zweite Übel ist, daß wir keine entsprechenden Handelsverträge haben. Teils fehlen sie uns überhaupt, teils, soweit sie geschlossen sind - ich erinnere bloß an unseren Handelsvertrag mit Frankreich - sind sie für uns überaus ungünstig ausgefallen.
Alles in allem müssen wir daher sagen, daß der unverblümte Pessimismus, den ein früherer Finanzminister dieses Staates, Herr Professor Horáèek, in der Neujahrsnummer der "Národní Politika" zum Ausdruck gebracht hat und der etwas vorsichtigere Pessimismus unseres aktiven Finanzministers durchaus begründet erscheinen und daß es nicht als Staatsfeindschaft ausgelegt werden darf, wenn sich ein Vertreter der Opposition diesem Pessimismus anschließt. Es ist in der Tat Grund genug vorhanden, um besorgt in die Zukunft zu blicken. Diese Besorgnisse sind teils finanzieller Natur. Wir haben einen Staatsvoranschlag vor uns, der, wie gesagt, was die Einnahmen anlangt, bereits auf das äu ßerste angespannt und trotzdem nicht geeignet und nicht imstande ist, die notwendigsten und dringlichsten Ausgabenbedürfnisse zu decken. Es fehlt uns noch immer eine befriedigende Lösung der Gehaltsfrage, der Pensionistenfrage, der Invalidenfrage, der Arbeitslosenfrage, der Bruderladenfrage, und dazu kommen noch die Reparationen. Aber mit den finanziellen gehen auch politische Besorgnisse Hand in Hand, die wir ebenfalls zum Teil aus dem Budget herauslesen können. Da ist zunächst einmal der Umstand, daß wir noch immer keinen Abbau der sogenannten Prestigepolitik konstatieren können, die gerade das Budget am schwersten belastet und die, wie die jüngsten Ereignisse im Haag gezeigt haben, durchaus keine glückliche Politik ist. Wir haben noch immer keine gesunde Regelung der Angestellten- und Pensionistenfrage, und solange das nicht der Fall ist, sind auch alle Wünsche nach einer Neu- und Umsystemisierung zwecklos, weil die Systemisierung nur dann ein geeignetes Beamtenkorps sichern wird, wenn wir in der Lage sind, dieses Beamten- und Angestelltenkorps entsprechend zu bezahlen.
Insbesondere auf dem Gebiete des Schulwesens sehen wir im Budget abermals ungeheuere Summen für die Minderheitsschulen, die ja, was der Ausländer so schwer begreift, nicht Schulen für die Minderheiten des Staates, sondern Schulen für die Èechen dort sind, wo sie sich in der Minderheit befinden. Anderseit haben wir keine genügende Fürsorge für das Schulwesen der wirklichen Minderheiten.
Vor allem stehen wir der gegenwärtigen Lage auch mit politischen Bedenken gegenüber im Hinblick auf die heutige Mehrheit und Regierung. Ich darf diese Bedenken um so eher zum Ausdrucke bringen, da ich nie ein unbedingter Lobredner der Vergangenheit und der jeweiligen Gegenwart war, weil ich auch schon früher mich immer dafür eingesetzt habe, daß wir eine Regierung und Mehrheit schaffen sollen, die den wirklichen politischen Verhältnissen im Staate und den wirklichen Bedürfnissen der Bevölkerung entspricht. Meine Bedenken richten sich durchaus nicht gegen die Zusammensetzung der Regierung und Mehrheit als solchen. Denn gerade ich habe mich immer dafür eingesetzt, daß wir Regierung und Mehrheit auf die breiteste Basis stellen sollen. Meine Bedenken richten sich gegen die Art und Weise, wie diese Regierung zustande gekommen ist, und gegen die Art der Zusammensetzung, die sie schließlich erhalten hat.
Wir haben es mit einer großen Mehrheit zu tun; wirklich mit einer sehr großen Mehrheit, was die Ziffer anlangt. Aber in der Tat erschöpft sich die Größe der heutigen Koalition in der Ziffer. Sie ist anderseits derart ungleichmäßig und ungleichartig zusammengesetzt, daß sie das an einer erfolgreichen Arbeit hindert. Die heutige Koalition ist eigentlich bei näherer Betrachtung nichts anderes als die alte allnationale Koalition (Výkøiky.), die nur ehrenhalber sich zwei deutsche Gruppen angegliedert hat, die aber ziffernmäßig für die Mehrheit gar nicht in Betracht kommen und daher auch gegebenenfalls ignoriert und beiseite geschoben werden können. (Posl. dr Schollich: Die letzten drei Jahre war es ja auch nicht besser!) Sie ist auch keine schwarz-rot-grüne Koalition, denn das Schwarze ist nur schwärzlich, es ist nur schwächlich vertreten und wird Mühe haben, den Ansturm von den andern Seiten aufzuhalten und gewiß nicht imstande sein, positive Forderungen durchzusetzen. (Výkøiky.) Sie ist aber vielleicht auch nicht einmal eine rot-grüne Koalition. Nur die roten Parteien stellen - das muß zu ihrer Ehre gesagt sein - einen festgeschlossenen Block dar, und man hat daher von sehr verständiger èechischer Seite die jetzige Koalition als eine rot-rot-grüne bezeichnet.
Es hat vor einigen Jahren ein sehr begabter junger èechischer Schriftsteller einen Artikel in einer Fachzeitung veröffentlicht, wo er das Prinzip der kleinsten Mehrheit vertritt. Es war ein sehr kluger und gessunder Gedanke, den er in diesem Artikel dem leider kranken früheren Ministerpräsidenten Švehla zuschob. Ich weiß nicht, ob das das Programm Švehlas war und ich bin auch nicht der Ansicht, daß die kleinste Majorität unter allen Umständen die beste ist. Aber sicher ist, daß eine zu große Majorität schlimmer und schlechter sein kann, als eine kleine, und in dieser Lage befindet sich die jetzige Mehrheit. Sie ist zustande gekommen auf Grund der Wahlen, die die erwartete kleine Verschiebung nach links ergaben. Ich sage mit Absicht kleine Verschiebung. Denn es ist nicht mehr. Der Linksblock hatte bei den ersten Wahlen im Jahre 1920 136 Stimmen, im Jahre 1925 ist er auf 115 zurückgegangen, heute hat er 122 Stimmen. Es ist also eine Verschiebung um sieben Mandate eingetreten, das kann man nicht als eine grundstürzende Änderung in den Verhältnissen des Staates ansehen. Sie ist nur deshalb etwas deutlicher in Erscheinung getreten, weil dieser Linksblock als ganzes genommen aus sehr heterogenen Elementen besteht. Ich meine die kommunistische Partei, die nicht mitgezählt werden kann, weil sie vorläufig noch nicht regierungsfähig ist, und diese kommunistische Partei hat an die übrigen sozialistischen Parteien Mandate abgegeben. Dadurch sieht die Verschiebung etwas stärker aus. Wenn sie aber links und rechts, schwarz und rot oder wie Sie es nennen wollen, vergleichen, so werden Sie konstatieren, daß gegenüber 1925 ein Gewinn von sieben Mandaten vorliegt, der für Sie gewiß sehr erfreulich ist, was aber nicht bedeutet, daß jetzt im Staate die Dinge ganz anders werden müssen und sollten. Nebenbei bemerkt, haben die deutschen Sozialdemokraten eine viel wichtigere Aufgabe, kommt mir vor, als den Kampf gegen die Bürgerlichen, nämlich den gegen die Kommunisten, weil sie nicht vergessen dürfen, daß im kommunistischen Lager heute noch sieben deutsche Mandate stecken. Wir sind 1920 mit 72 deutschen Mandaten eingezogen und haben heute 66 oder 65 Mandate. Diese sechs oder sieben Mandate haben Sie an die Kommunisten abgegeben, die sind dem deutschen Volke verloren gegangen. Wenn Sie Ihr Hauptziel darin sehen würden, diese sieben Mandate dem deutschen Volke wieder zurückzugewinnen, würden Sie sich ein großes Verdienst um das deutsche Volk erwerben. (Posl. Kirpalová: Haben die Kommunisten nicht auch ein paar katholische Stimmen?) Ich glaube nicht, aber vielleicht werden sie mit der Zeit katholisch werden.
Das Ergebnis der Wahlen hat eine kleine Verschiebung nach links bedeutet und es haben sich damit die verschiedensten politischen Möglichkeiten eröffnet. Man konnte auf Grund des Wahlergebnisses ebenso gut eine schwarz-rot-grüne wie eine rot-grüne oder eine schwarz-rote Mehrheit bilden. Es ist bemerkenswert, daß im Laufe der Verhandlungen über die neue Mehrheit und Regierung alle diese Möglichkeiten erwogen und durchprobiert wurden, aber keine einzige vom Standpunkt einer politischen Konzeption, einer staatsmännischen Auffassung, sondern einzig und allein von dem Standpunkt, wie man es macht, daß die Linke oder wie man es macht, daß die Rechte in der Mehrheit stärker wird. Es war, wie die Öffentlichkeit ja gesehen hat, ein Kampf um Ministerstühle und dementsprechend fiel schließlich auch das Regierungsprogramm aus, das nichts anderes ist, als die mühselige Fleißarbeit eines stilistisch begabten Präsidialisten. Und wenn wir nun das beliebte Bild von der Ehe auf diese Koalition anwenden wollen und sollen, wird man bei der Erinnerung an die wenig liebenswürdigen Verhandlungen, aus denen diese Koalition geboren wurde, an das Wort Shakespeares erinnert: In solcher Laune ward noch nie ein Weib gefreit. Und wenn man die frühere Koalition als Vernunftehe bezeichnet hat, möchte ich sagen, daß bei der neuen Koalition gewiß keine Liebe, aber vielleicht auch nicht viel Vernunft dabei war. Es scheint mir, wenn ich die Dinge recht betrachte, daß eine Anleihe bei dem noch immer nicht anerkannten Sowjetrußland vorliegt, es scheint mir eine Registerehe zu sein, die rasch geschlossen und ebenso rasch wieder gelöst werden kann. Nicht als ob wir den Wunsch hätten, daß dieses Verhältnis so bald als möglich wieder auseinander ginge, im Gegenteil, wir hoffen, daß der Bund lange genug beisammen bleibe, um der Öffentlichkeit, die ja leider nur sehr langsam und schwer belehrbar ist, die Unmögli chkeit und Aussichtslosigkeit eines Systems zu beweisen, das keines ist, weil ihm jede innere Geschlossenheit fehlt, und das darum auch nicht imstande sein wird, etwas Positives zu leisten. (Posl. Horpynka: Wäre das System ein anderes, wenn Sie in der Regierung wären?) Wahrscheinlich! Jedenfalls aber wird das System nicht imstande sein, etwas zu leisten, sobald man genötigt sein wird, zu schöpferischer Arbeit überzugehen. Bisher beschränkt sich die neue Mehrheit darauf, in den Bahnen der alten fortzuschreiten, odroèiti a prodloužiti, das ist vorläufig das Stigma der neuen Mehrheit, sie schreitet in den Bahnen der alten Mehrheit fort und beruft sich darauf auch im Budget, indem sie sagt: Wir haben noch kein Budget gemacht, wir haben einfach das Budget der alten Mehrheit übernommen. Was schlecht daran ist, hat noch die alte Mehrheit zu verantworten. Das scheint mir deshalb nicht ganz richtig, weil der Finanzminister doch Zeit gefunden hat, da und dort Millionen zu streichen und wahrscheinlich auch Zeit genug gewesen wäre, dort, wo es zweckmäßig war, neue Millionen zu bewilligen. Doch das sind nicht unsere Sorgen. Sie haben bisher nichts Positives geleistet. Wir sehen auch in der wichtigen Frage der Wirtschaftskrise bisher nur ein gegenseitiges Überhäufen mit Vorwürfen, nichts Positives ist geschehen, und wir sind neugierig, wie die in den nächsten Wochen fällige Frage der Neubestimmung des Zuckerpreises im Schoße der neuen Koalition gelöst werden wird. Doch das sind nicht unsere Sorgen. Wir wollen uns in die internen Verhältnisse der Koalition nicht einmischen, nur wenn ich die Lidová strana in dieser Gesellschaft sehe, erinnere ich mich des Wortes: Es tut mir in der Seele weh, daß ich sie in dieser Gesellschaft seh,. Aber wir wollen hoffen, daß der Graben, der die Opposition von der Regierung trennt, nicht so tief ist, daß er es uns unmöglich machen sollte, unter dem Gesichtspunkt des gemeinsamen christlichen Gedankens zusammenzuarbeiten. (Posl. dr Stránský: Pane profesore, dojde-li k nìjakému zlepšení té cukerní otázky, pøipustíte potom, že jsou socialisté také k nìèemu dobøí?) Rád, velmi rád! Sehr gerne.
Doch auch abgesehen davon, wollen wir ja nicht Opposition um der Opposition willen machen, wir wollen mitarbeiten im Interesse der Gesamtheit und im Interesse unseres deutschen Volkes und vor allem im Interesse des Friedens in diesem Staate. Und da müssen wir mit Bedauern feststellen, daß der allgemeine europäische Friede heute fast weiter fortgeschritten ist, als der Friede in diesem Staate. Wir sehen, daß ungeachtet der wiederholten Versicherungen von der Unverletzlichkeit der Friedensverträge eine Bestimmung dieser Verträge nach der anderen fällt, soweit sie dem wirklichen Frieden hindernd im Wege steht. Wir haben das gerade in den letzten Wochen an zwei charakteristischen Artikeln erlebt, und zwar an Art. 230 des Versailler Vertrages, der von den Kriegsverbrechern handelt; wir haben erlebt, daß einer dieser Kriegsverbrecher, der frühere Kronprinz von Bayern, mit königlichen Ehren in Italien empfangen wurde. Aber weitaus wichtiger ist, daß Art. 430 des Versailler Vertra es verschwunden ist, der die Wiederbesetzung Deutschlands für den Fall der Nichtbefolgung von Vereinbarungen betrifft, an dessen Stelle eine wesentlich milder formulierte Vereinbarung getreten ist. So wird in Europa am allgemeinen Frieden gearbeitet. Anders bei uns. Bei uns gilt nicht bloß die Verfassung als ein noli me tangere, sondern jeder Versuch der Änderung der Verhältnisse im Großen oder Kleinen wird bereits als Staatsverrat, Hochverrat, Pangermanismus u. dgl. verschrieen. Ich kann verstehen und begreifen, wenn manche èechische Kreise den Gedanken der territorialen Autonomie ablehnen, weil sie darin den ersten Schritt zu einer Loslösung eines Teiles des Staates erblicken. Wie gesagt, ich kann das verstehen, obwohl es durchaus falsch ist, denn gerade umgekehrt, je mehr Bewegungsfreiheit, je mehr Selbständigkeit Sie den Deutschen und Slovaken in diesem Staate gewähren, desto fester werden Sie sie an den Staat binden. Aber ich kann nicht begreifen . . . (Posl. Kremser: Daß Sie die Verwaltungsreform gemacht haben! - Veselost.) Wir werden uns nie begreifen! Wir können es aber nicht begreifen, daß Sie die kulturelle Entwicklung der Völker in diesem Staate zu hemmen bemüht sind, denn wir müssen und werden immer an dem Prinzip, der freien Schule im freien Staat festhalten, sowohl in nationaler wie in konfessioneller Hinsicht. Ich kann es verstehen, daß Sie ein Sprachengesetz gemocht haben, obwohl gerade in diesem Staat mit seiner Vielsprachigkeit diese Art der Regelung vielleicht nicht die zweckmäßigste ist, weil es gerade in diesem Staat wichtiger wäre, wie ein maßgebender Faktor im Staate sich ausgedrückt hat, die Sprache nicht zum staatsrechtlichen Popanz, sondern zu einem zweckmäßigen Verkehrsmittel zu machen; aber ich kann es nicht begreifen, daß Sie im Rahmen des Sprachengesetzes an einer Sprachenverordnung festhalten, die in sehr wichtigen Bestimmungen von dem maßgebensten Gerichte dieses Staates als ungesetzlich erklärt worden ist, und daß Sie nach wie vor mit einer Nadelstichpolitik die sprachlichen Verhältnisse erschweren und verbittern. Ich erinnere da nur an die letzten Tage, wo der deutschen Technik in Brünn ein èechisches Siegel aufgedrängt wurde. (Posl. Kremser: Und was hat denn Prof. Mayr-Harting als Justizminister getan?) Ich habe einiges gemacht, was Sie vielleicht nicht wissen. Ich kann ferner verstehen, daß Sie an der Spitze der wichtigsten Staatsämter Èechen haben wollen, obwohl in der kleinen Schweiz auch da in anderer Weise gehandelt wird, aber ich kann es nicht verstehen, daß Sie die deutschen Beamten verdrängen und nicht vorwärts kommen lassen, wo doch die Erfahrung gezeigt hat, daß die deutschen Beamten die verläßlichsten Elemente sind, und es jedenfalls für die deutsche Bevölkerung ein beruhigendes Gefühl ist, einem deutschen Beamten und einem deutschen Richter gegenüberzustehen. Ich kann es verstehen, daß Sie hinsichtlich der Minderheitsschulen das Möglichste leisten, um Ihren èechischen Minderheiten im deutschen Gebiet den Schulunterricht zu sichern, aber es scheint mir unverständlich, daß Sie nicht mit gleichem Maße messen und daß Sie, was Sie auf der einen Seite zu viel tun, auf der anderen Seite zu wenig tun, daß Sie insbesondere im Hultschiner Gebiet den Deutschen die von ihnen wiederholt geforderten Schulen vorenthalten; und ich kann es verstehen, daß Sie die Bodenenteignung und die Wälderverstaatlichung zu Ihrem Programm gemacht haben, denn vom sozialen und wirtschaftlichen Standpunkt vertritt auch unsere Partei die Forderung einer maßvollen Enteignung; aber die Art und Weise, wie Sie sie durchgeführt haben, ist alles, nur keine soziale Maßregel. Sie haben dem einen Grund genommen, um ihn anderen in Gestalt eines Restgutes zu geben, Sie haben Tausende Angestellter und Beamten um ihr Brot gebracht und haben mit diesem Grund und Boden in einer Weise gewirtschaftet, die geradezu - ich will nicht sagen, einen Diebstahl - aber einen schweren Verlust am Volksvermögen bedeutet.