Hohes Haus! In der Regierungserklärung des Herrn Ministerpräsidenten vom 13. Dezember wird in ausführlicher Weise der Notlage der Landwirtschaft in diesem Staate eingangs und am Schlusse gedacht. Insbesonders verweist der Herr Ministerpräsident darauf, daß die furchtbare Krise einen ungünstigen Einfluß auf alle übrigen Zweige unserer gesamten Wirtschaft ausüben muß, weshalb die sofortige Behebung dieser Krise eine zwingende Notwendigkeit ist, deren Lösung im Interesse der gesamten Volkswirtschaft gelegen ist. Die Kaufkraft des flachen Landes ist derart gesunken, daß namentlich in den Landstätten die Kaufleute zu den Weihnachtsfeiertagen über schlechten Geschäftsgang sich bitter beklagen. Schon am 28. Feber dieses Jahres habe ich anläßlich der Behandlung der Zusatzprotokolle zum polnischen Handelsvertrage von dieser Stelle aus namens meiner Partei zoll- und handelspolitische Forderungen gestellt, die leider unbeachtet geblieben sind. Die Preise von Getreide sinken allwöchentlich an den Börsen, nach Vieh ist keine Nachfrage; für Kleider, Schuhe und alle übrigen Bedarfsartikel die alten wenn nicht erhöhten Preise. Steuern werden insbesondere in den letzten zwei Monaten rücksichtslos eingetrieben, Vermögensabgabereste samt Verzugszinsen gerichtlich gepfändet und allmonatlich verlangt die Kranken- und Altersversicherung die in der letzten Zeit neuerlich kaum mehr für die Landwirtschaft ertragbaren erhöhten Beiträge. Trotz Rückgang des Getreidepreises um 50 Heller per Kilogramm in der Zeit vom Mai bis Dezember 1929, trotz Fallen des Viehpreises gibt es keine Verbilligung des Brotes und des Fleisches. Zehn Jahre nach dem Kriege wird am flachen Lande mancher Gabentisch ein recht armseliges Aussehen zu den Weihnachtsfeiertagen haben. Der Konsument keine billigen Lebensmittel, der Produzent keinen Lohn für seine schwere Arbeit. Die gegenwärtige Notlage ist hinsichtlich ihrer Schwere und Heftigkeit mit keiner Krise der früheren Zeit zu vergleichen. Mehr als zehn Jahre hat in angestrengter Tätigkeit unsere Landwirtschaft unter Anwendung großer Mittel den Stand der landwirtschaftlichen Kulturen auf die Friedenshöhe gebracht, ja sogar überschritten. Wenn wir in Betracht ziehen, daß trotz Kriegsopfer die Bevölkerungszahl gestiegen ist, so müßte man annehmen, daß im mitteleuropäischen Wirtschaftsgebiete die Verhältnisse dem der letzten Friedensjahre gleich sein müßten.
Dem ist aber nicht so. Als wirtschaftlicher Sieger ist Amerika aus dem Weltkriege hervorgegangen und ganz Europa befindet sich in Zinsknechtschaft. Amerika hat durch seine an die Landwirtschaft gewährten billigen Kredite, durch seine urwüchsige Produktionskraft, den billigen Wasserweg und durch die Hemmung der landwirtschaftlichen Produktion in den europäischen Staaten während des Krieges und der Nachkriegszeit - ich erinnere dabei an die vierjährige Zwangswirtschaft - die Produktion ungeheuer erhöht und es ist die Getreideanbaufläche in Amerika, Kanada und Argentinien von 29.6 Millionen Hektar auf 42.5 Millionen erhöht worden. Die Weltproduktion an Getreide und Vieh ist weit größer als der gesamte Weltbedarf, so daß die planlose Wirtschaftsf ührung in den einzelnen überseeischen Staaten im Jahre 1928-1929 zu einer Überproduktion von 900.000 Waggons Weizen geführt hat, im Vergleiche dargestellt, bedeutet die Überprod uktion an Weizen 3 Weizenernten des Deutschen Reiches. Hunderte von Waggons Kartoffeln können in der Èechoslovakei keinen Absatz finden. Amerika wurde zur großen Erweiterung der Anbauflächen Anreiz gegeben, als unsere heimische Landwirtschaft auf Grund von Höchstpreisverordnungen in der Nachkriegszeit 150 Kronen für 100 kg Getreide erhielt, die Kriegsgetreideanstalten für amerikanische Produkte aber über 400 Kronen gezahlt haben. An diese Zustände von seinerzeit sei auch anläßlich der Notlage der Landwirtschaft gedacht, weil diese Zwangsmaßnahmen mit zur heutigen Überproduktion und zur gegenwärtigen Krise der Landwirtschaft beigetragen haben. Weltüberproduktion hat nun die Weltkrise der Landwirtschaft heraufbeschworen und die heutigen Preise für landwirtschaftliche Erzeugnisse wie Getreide, Vieh, Hopfen, Obst u. a. m. decken schon seit langer Zeit nicht mehr die Erzeugungskosten. Laut Notierungen der Wiener Produktenbörse vom Jahre 1909 sind die Getreidepreise im Verhältnisse zu 40% niedriger als vor zwanzig Jahren, wo noch eine weit billigere Produktion möglich war als heute.
Durch Wolkenbrüche, Hagel, Sturm und Fröste wurde die Notlage der heimischen Landwirtschaft noch um ein bedeutendes verschärft. Aus zweihundertfünf Gemeinden mit einer Schadenssumme von 57,182.000 Kronen liegen von Landwirten und Kleinlandwirten mit einem Grundausmaß von über 78.500 Hektar Gesuche um Unterstützung aus dem Elementarkatastrophenfonde vor; aus 243 Gemeinden sind Ansuchen um Steuerrückerstattung infolge schwerer Beschädigung der landwirtschaftlichen Kulturen oder auch oftmals wegen gänzlicher Vernichtung eingegangen. Die Krise der Landwirtschaft greift auf alle Berufsstände über, die Krise wird zur Katastrophe, wenn Parlament und Regierung nicht sofort Maßnahmen zur Behebung derselben ergreifen. Aus den Reden, welche zur Regierungserklärung vorgestern und gestern gehalten wurden, ist hervorgegangen, daß alle Parteien die Notlage der Landwirtsch aft endlich erkannt und es ist Pflicht aller Parteien, gemeinschaftlich mit uns der Landwirtschaft zu helfen und damit die Krise vor den übrigen Berufsständen abzuwehren. Wir haben bereits unsere Vorschläge für die Behebung der Landwirtschaftskrise bei Zusammentritt des Parlamentes der Regierung unterbreitet und den ausgiebigen Schutz der landwirtschaftlichen Produktion gefordert.
Auf zoll- und handelspolitischem Gebiete verlangen wir:
1. die Streichung aller Posten im Artikel II der Zolltarifnovelle vom 22. Juni 1926, Slg. d. G. u. V. Nr. 109, welche gegenüber dem Art. I eine Zollherabsetzung für heimische Erzeugnisse enthalten und welche im Art. I bereits gesetzliche Anerkennung gefunden. Die Wirtschaftsverhältnisse haben sich zum Schaden der inländischen Produktion ganz wesentlich verschlechtert und rechtfertigen lediglich jene Zollsätze, die im Art. I bereits die gesetzliche Anerkennung gefunden haben.
2. Die Aufhebung der im Handelsvertrage mit Ungarn enthaltenen Bindungen; sollte diese notwendig gewordene zoll- und handelspolitische Maßnahme keine Zustimmung von Seite Ungarns finden, dann Kündigung des Handelsvertrages.
3. Die durch diese Maßnahmen erhöhten landwirtschaftlichen Zölle dürfen durch neue vertragliche Abmachungen mit fremden Staaten nicht wieder herabgesetzt werden.
4. Von der im Art. VIII der Zolltarifnovelle vom 22. Juni 1926, Nr. 109, enthaltenen Dumpingklausel ist gegenüber allen Staaten Gebrauch zu machen, welche durch besondere Maßnahmen die Ausfuhr ihrer agrarischen Erzeugnisse in einer Weise fördern und vornehmen, daß der heimischen Landwirtschaft eine verstärkte Konkurrenz erwächst. Dies gilt namentlich von Polen, das durch das Schweineausfuhrsyndikat den èechoslovakischen Markt beherrscht, für Amerika, dessen großzügige Kreditaktion an die Farmer von 16 Milliarden Kronen in erster Linie dem Export dienen soll und womöglich auch gegenüber jenen Staaten, die sich an den in Aussicht genommenen zu gründenden Getreideausfuhrsyndikate beteiligen werden. Die praktische Anwendung der Dumpingklausel in der Èechoslovakei würde auch anderen Staaten, in denen ähnliche Exportförderungspläne erwogen werden, vor der Verwirklichung abhalten.
5. Die Einfuhr von Getreide und Mehl ist neuerlich dem Bewilligungsverfahren zu unterwerfen und dürfen die Einfuhrbewilligungen nur auf Antrag einer einzusetzenden Kommission erteilt werden, welcher auch Vertreter der Landeskulturräte und der landwirtschaftlichen genossenschaftlichen Zentralkörperschaften angehören.
6. Die seuchenpolizeilichen Bestimmungen über Einfuhr von Vieh sind insbesonders jenen Staaten gegenüber, deren Veterinärverhältnisse noch mangelhaft sind, zu verschärfen und in rigoroser Weise zu handhaben.
Ich verweise auf die vom Bundesministerium für Landwirtschaft im Einvernehmen mit dem Ministerium für soziale Fürsorge in Deutschösterreich am 1. Feber erlassenen veterinärpolizeilichen Bestimmungen an die Grenzkontrollorgane, die der Landwirtschaft Deutschösterreichs vor Seucheneinschleppung einen entsprechenden Schutz bieten. Der Abschluß eines Veterinärabkommens mit Deutschland ist im Interesse der Belebung des Grenzverkehrs zu beschleunigen.
7. Die Notlage des Hopfenbaues erfordert raschestens Maßnahmen zur Abhilfe:
a) Herabsetzung des Eingangszolles für èechoslovakischen Hopfen nach den Ausfuhrländern, insbesonders nach Deutschland,
b) Anerkennung des èechoslovakischen Hopfenprovenienzgesetzes durch Deutschland,
c) Ausdehnung der obligatorischen Bezeichnungspflicht für èechoslovakischen Hopfen, der im Inlande verwendet wird.
d) Herabsetzung der Umsatzsteuer für Hopfen von 2 auf 1%,
e) Auflassung der Privatlager für ausländischen unverzollten Hopfen,
f) Herabsetzung der Einlagerungspflicht für diesen Hopfen,
g) Strengste Handhabung des Hopfenprovenienzgesetzes,
h) Ermäßigung der Fracht für Hopfen und Kunstdünger.
8. Solange ein definitiver Zolltarif nicht erlassen worden ist, ist die Einfuhr von Flachs dem Bewilligungsverfahren zu unterwerfen und die Aufhebung der Umsatzsteuer für alle Flachs verarbeitenden Betriebe zwecks Verminderung der Erzeugungskosten ist bei Novellierung des Gesetzes über die Umsatzund Luxussteuer zu beachten. Weiters ist eine 50% ige Ermäßigung der Eisenbahntarifsätze für inländische Flachsprodukte notwendig. Staatliche Vorkehrungen zur Deckung des ärarischen Bedarfes sowie aller Staats- und Landesanstalten mit Leinen aus inländischem Flachs sind zu treffen.
9. Durch die Kältekatastrophe des vergangenen Winters ist der heimische Obstbau in der schwersten Weise geschädigt worden und es bedarf der nachdrücklichsten Förderung auf zoll- und handelspolitischem Gebiete, da nur bei Sicherung angemessener Obstpreise die Wiederanpflanzung der vernichteten Obstkulturen in absehbarer Zeit zu erwarten ist. Die wichtigsten Forderungen des Obstbaues sind die Erstellung eines angemessenen Minimalzolles für unverpackt eingeführte Äpfel und Birnen, die Erhöhung des Zollsatzes für feines Tafelobst, die alljährliche Sperre der Äpfel- und Birneneinfuhr im November, Dezember und Jänner, namentlich gegenüber allen amerikanischen Staaten und den baldigen Abschluß eines für den èechoslovakischen Obstexport günstigen Handelsvertrages mit Deutschland. Geradezu katastrophal wirkt sich die Krise bei unseren Gurkenbauern aus; für 1 kg werden 5 h bezahlt und hier ist die Hilfeleistung auch besonders am Platze.
10. Der èechoslovakische Weinbau verlangt auf zoll- und handelspolitischem Gebiete die Beschränkung der Weineinfuhrkontingente. Trotzdem die Weinbaugebiete der Èechoslovakei nur einen Teil des heimischen Weinkonsums zu decken vermögen, lagern in diesen Gebieten große Mengen von Wein, namentlich guter Qualität, die unverkäuflich sind. Das Verlangen der Beschränkung der Weineinf uhrkontingente ist deshalb nach den gegebenen Verhältnissen vollkommen begründet.
11. Der Vermahlungszwang für inländisches Getreide ist für alle Mühlen einzuführen, desgleichen auch der Zwang zur Vermischung von inländischem und ausländischem Mehl.
12. Die Verbesserung des Einfuhrscheinsystems gehört in den Rahmen der zoll- und handelspolitischen Maßnahmen. Nach der heutigen Handhabung können sich die Einfuhrscheine nicht voll auswirken, da ihre Verwendung allzuviel beschränkt ist. Die Verbesserung des Einfuhrscheinsystems liegt in der wesentlichen Ausdehnung der Verwendbarkeit der Einfuhrscheine zur Zollzahlung für eingeführte Kolonialwaren, für landwirtschaftliche Maschinen, Düngemittel und andere notwendige Bedarfsartikel. Die Èechoslovakei hat die niedrigsten landwirtschaftlichen Zölle und diese Tatsache hat sich zum Schaden der Landwirtschaft katastrophal ausgewirkt. Während die Produktionskosten bei Roggen 180 Kronen, bei Weizen 200 Kronen per 100 Kilogramm betragen, erhält der Landwirt 40 bis 50 Kè unter den tatsächlichen Erzeugungskosten. In der Èechoslovakei erhält der Landwirt nur 50% des Preises, den der Konsument bezahlen muß, während in Dänemark und Nordamerika die Landwirte 75% der Konsumentenpreise für ihre Produkte erhalten. Dieser Umstand ist wohl der beste Beweis, daß der Zwischenhandel in der Èechoslovakei riesige Gewinne einsteckt und eine Zollerhöhung auf eingeführte landwirtschaftliche Artikel eine Verteuerung der Lebensmittel nicht nach sich ziehen braucht, sondern auf Kosten der Gewinne des Zwischenhandels gehen muß. Die heutigen Brotpreise sind aufgebaut auf einem Kornpreis von 230 Kronen und der Preis für Weißgebäck auf einem Weizenpreis von 400 Kronen. Während der Landwirt für seine Kartoffeln 25 Heller erhält, müssen dieselben von den Konsumenten in den Städten mit 80 Heller bis zu einer Krone bezahlt werden. Nach dem Stande vom September 1929 betragen die Zölle für fremdes Getreide in der Èechoslovakei 16.9%, in Deutschland 29 %, in Ungarn 32%, in Rumänien 27%, in Jugoslavien 34%, in Polen 36%, in Frankreich 35% und in Italien 41% des Getreidewertes. Es bleibt der Èechoslovakei nichts übrig, als die Getreidezölle auf 40% des Getreidewertes zu erhöhen oder die Einfuhr von Getreide im Bewilligungsverfahren derart zu drosseln, daß nur die fehlenden, im Inlande nicht produzierten Mengen eingeführt werden dürfen. Über die Frage des Getreidemonopols läßt sich verhandeln; der Landwirtschaft kann es gleich bleiben, auf welche Weise der Ertrag ihrer Arbeit gesichert wird. Wenn ein Getreidemonopol ihr einen Preis durch entsprechenden Einfluß auf die Preisbildung sichert, der den Durchschnitt der letzten sieben Jahre gewährleistet, dann sind wir auch damit einverstanden. Erwogen kann auch die Regelung nach Schweizer Muster werden; die Bundesgetreideanstalt in der Schweiz ist verpflichtet, die gesamte Inlandsproduktion abzun ehmen und einen Preis von 28 bis 45 Franken, das ist um 8 1/2 Schweizer Franken höher als der mittlere Marktpreis für Auslandsgetreide franko verzollt ab Schweizer Grenze ca 240 Kronen für 100 kg zu zahlen. Die Landwirtschaft braucht rasche Hilfe und mit langwierigen Verhandlungen und Versprechungen ist hier in dieser für sie so ernsten Zeit keinesfalls gedient. Dasselbe Verhältnis gegenüber anderen Staaten finden wir bei den Viehzöllen. Nur einige wenige Beispiele will ich herausgreifen. Die èechoslovakischen Zölle für Vieh sind derzeit folgende: Ochsen per Stück 360 Kè, Stiere per Stück 240 Kè, Kühe per Stück 210 Kè, Jungvieh per Stück 126 Kè, Kälber per Stück 40 Kè, Schweine von 50 bis 80 kg pro Stück 60 Kè, Schweine über 120 kg pro Stück 110 Kè.
Die Zölle anderer Staaten betragen bei Schlachtvieh: Deutschland per 100 kg 144 Kè, Ungarn per 100 kg 105 Kè, Österreich per 100 kg 105 Kè, Jugoslavien per Stück 660 Kè, Schweiz per Stück 520 Kè, Rumänien per Stück 630 Kè. Schweine: Ungarn per 100 kg 154 Kè, Deutschland per 100 kg 144 Kè, Jugoslavien per 100 kg 264 Kè.
Die Èechoslovakei hat nicht nur das Recht, sondern die Pflicht, in der Frage der landwirtschaftlichen Zölle mit den übrigen Staaten gleichen Schritt zu halten und jede Ungleichheit in diesen Belangen kann der Volkswirtschaft als übergeordnetem Faktor zum Verhängnis werden. Der Überschuß an landwirtschaftlichen Produkten macht es notwendig, daß unverzüglich Maßnahmen auf zoll- und handelspolitischem Gebiete ergriffen werden, welche die Landwirtschaft vor dem gänzlichen Verfalle bewahrt.
Wir haben im Laufe der ersten zehn Monate des Jahres 1929 13.136 Waggons fremden Weizenmehles eingeführt. Welchen Schaden unserer heimischen Landwirtschaft durch diese Mehleinfuhr zugefügt wurde, läßt sich wohl leicht ermessen. Es ist ein großer Fehler, daß unsere Konsumentenkreise die Anschauung vertreten, daß fremdes Weizenmehl besser sei als unsere Erzeugnisse. Ende Mai 1929 war bereits der Beginn des Rückganges der Getreidepreise mit 15 Kronen bei Roggen, 10 Kronen bei Weizen, 15 Kronen bei Hafer und 8 Kronen bei Gerste an der Börse zu verzeichnen. Unaufhaltsam war die Preisentwicklung bei Getreide nach abwärts, so daß wir heute vor einem gänzlichen Verfall der Getreidepreise sprechen können, der, wie ich bereits nachgewiesen, keinesfalls auch nur annähernd den Produktionskosten entspricht. Alle unsere Nachbarstaaten haben schon vor langer Zeit ihre Landwirtschaft durch entsprechende Maßnahmen geschützt. So hat Italien am 23. Mai die Zollsätze für Getreide von 71.50 Kronen auf 92 Kronen erhöht und auch die Erhöhung der Zollsätze für Mehl im selben Verhältnisse vorgenommen. Am 10. Juni d. J. wurden in Frankreich die Zollsätze von 46ÿ20 Kronen auf 66 Kronen pro Meterzentner erhöht. In vorbildlicher Weise hat das französische Parlament Ende November 1929 das Getreidehandelsgesetz mit 581 gegen 3 Stimmen beschlossen, welches den Landwirtschaftsminister ermächtigt, durch Dekret die Mischung von in- und ausländischem Mehl zu bestimmen, den Zoll auf Getreide, Kartoffel und Vieh zu erhöhen sowie die Getreide- und Vieheinfuhr durch Kontingentierung zu regeln. Alle Parteien des französischen Parlaments waren sich der Bedeutung der Landwirtschaft für Volk und Staat bei der Abstimmung bewußt. Das Abstimmungsergebnis ist umso bedeutungsvoller, als von Genf aus für ein Verbot von Ein- und Ausfuhrbeschränkungen und Zollfrieden Stimmung gemacht wird. Im Zusammenhange mit dieser Frage wird darauf verwiesen, daß für landwirtschaftliche Produkte in den Vereinigten Staaten in der gegenwärtigen Zeit ein Zoll von 23% des Getreidewertes besteht und dieser Zoll nach den Beschlüssen der Senatskommission auf 33% erhöht wurde. Unsere Industriezölle von heute betragen 30 bis 50% des Einkaufswertes und andererseits muß wieder unsere Exportindustrie Einfuhrzölle, die 50 bis 100% des Wertes betragen, überbrücken, so daß ein Zollfrieden erst dann zustande kommen kann, bis einerseits die Parität zwischen Industrie und Landwirtschaft bei uns und anderseits zwischen den einzelnen Staaten hergestellt ist. Zur Behebung der Wirtschaftskrise in der Landwirtschaft ist Deutschland darangegangen, Handelsverträge zum Zwecke des Inkrafttretens der autonomen Zollsätze für Getreide zu kündigen. Deutschland hat den Vermahlungszwang von inländischem Weizen für alle Mühlen eingeführt und müssen die letzteren vom 1. Dezember 1929 bis 31. Juli 1930 30% inländischen Weizens vermahlen. Der Ernährungsminister kann auf Grund der Ergebnisse des inländischen Marktes und der Vorräte diese Prozentsätze erhöhen. Am 10. Juli 1929 hat Deutschland erhöhte Zollsätze für alle Getreidearten neu festgelegt und beschlossen, Eingänge aus den Zollerhöhungen für Mietzinszuschüsse an Minderbemittelte und kinderreiche Familien zu gewähren. Diese Maßnahme billigen wir voll und ganz und sind jederzeit bereit, für die wirklich Bedürftigen einzutreten. Die Kartoffelzölle wurden verdoppelt und die Erhöhung des Butt erzolles durchgeführt. Weiters wurde im Deutschen Reiche Roggen aus dem östlichen Erzeugungsgebiete durch Vergällung für den menschlichen Genuß unbrauchbar gemacht und durch eine Prämie von 320 Kronen pro Tonne aus staatlichen Mitteln zu Futterzwecken verbilligt abgegeben. Der Roggen ist hauptsächlich für das Schweinemastgebiet im Westen Deutschlands bestimmt. Zu diesem Zwecke wurden 20 Millionen von der deutschen Regierung bereitgestellt. Weiters wurden Richtpreise für Getreide festgelegt, falls diese Richtpreise nicht erlangt werden, zum autonomen Zoll ein Ausgleichszuschlag von 2 1/2 Mark nominiert. Die Erhöhung der Viehzölle auf 560 Kronen per 100 kg Fleisch und auf 448 Kronen per 100 kg Lebensgewicht bei Rindvieh und auf 960 bis 1920 Kronen per 100 kg zubereitetes Fleisch werden in den nächsten Tagen zur Tatsache werden. Die Ankündigung der Maßnahmen haben ein entsprechendes Steigen der reichsdeutschen Getreidepreise zur Folge und es werden sich diese Maßnahmen segensreich für die Landwirtschaft des Deutschen Reiches auswirken. Deutschösterreich hat am 10. Jänner 1929 eine entsprechende Zollerhöhung, namentlich auf Schweine eingeführt und am 1. Feber hat das Bundesministerium für Land- und Forstwirtschaft amtliche Veterinärnachrichten als Dienstesanweisung an die Grenzkontrolltierärzte hinausgegeben. In diesen amtlichen Veterinärnachrichten ist die Frage der Einfuhr von Fleisch und Vieh aus dem Auslande geregelt und richtet sich namentlich gegen die übermäßige Einfuhr polnischer Schweine. Schweine im geschlachteten Zustande dürfen nach diesen Bestimmungen nur mit sämtlichen Innereien eingeführt werden, was eine besondere Erschwerung der Einfuhr darstellt. Die Kontingentierung der Einfuhr polnischer Schweine wurde in Deutschösterreich bereits duchgeführt. Deutschösterreich beabsichtigt, den Getreidezoll von 2 Goldkronen auf 6 Goldkronen zu erhöhen und hat den Mahl- und Mischzwang eingeführt. Die Mühlen Deutschösterreichs sind nach dem Wortlaut des landwirtschaftlichen Notprogrammes verpflichtet, 40% Weizen und 70% Roggen inländischer Herkunft zu vermahlen und ausländisches Weizenmehl wird mit 40% inländischen und ausländisches Roggenmehl mit 70% inländischen vermischt. Durch diese Maßnahme wird auch erreicht, daß nach Deutschösterreich mehr Getreide als Mehl eingeführt wird und die inländische Mühlenindustrie beschäftigt. Maßnahmen zur Hebung der Schweinezucht namentlich für den Zuckerrübenbauern sind vorgesehen. Die deutschösterreichische Regierung hat für die Erhaltung der Getreideanbaufläche die Subventionssumme auf 45 Millionen Kronen erhöht, wovon die gesamte Landwirtschaft Zuschüsse erhält. In deutschösterreichischen Regierungskreisen ist man ernstlich bestrebt, die Getreideanbaufläche unter allen Umständen zu erhalten, weil man von der Bedeutung der inländischen Produktion für Staat und Volk überzeugt ist. Allgemein ist bekannt, daß die Erzeugung des Getreides in Amerika trotz besserer Löhne und Lebensweise infolge der ungemein großen fruchtbaren Flächen, bei denen sich jede Düngung erübrigt, und infolge geringerer Steuern, sowie sozialer Abgaben bedeutend niedrigerer ist. Dessen ungeachtet hat die amerikanische Regierung durch das Gesetz über die Farmerhilfe der amerikanischen Landwirtschaft 500 Millionen Dollars jährlichen billigen Kredits zur Verfügung gestellt. Gegen Preisverluste wurden Versicherungsgenossenschaften eingeführt und die großzügige amerikanische Hilfsaktion trotz der reichen natürlichen Hilfsquellen und eigenen Kapitalskraft der Landwirtschaft Amerikas hat zu einer Erweiterung der Getreideanbauflächen geführt und diese Erweiterung sowie die billige Produktionsweise der östlichen Staaten tragen die Hauptschuld an der heutigen landwirtschaftlichen Krise. Selbst in Getreideausfuhrstaaten wie Polen wurde in der letzten Zeit eine Zollerhöhung durchgeführt und Ausfuhrprämien an die polnische Landwirtschaft durch Verordnung vom 10. November 1929 mit Wirksamkeit vom 15. April 1930 festgesetzt. Der polnische Landwirt erhält für ausgeführtes Getreide einen Schein, womit er Steuern bezahlen kann und dieses System der Ausfuhrscheine ist weit zweckentsprechender als das System der Einfuhrscheine in der Èechoslovakei. Dadurch, daß die Einfuhrscheine dieses Staates nur wiederum zur zollfreien Einfuhr von Getreide Verwendung finden können, erfüllen sie oftmals den ihnen zugedachten Zweck nicht und gefährden bis zu einem gewissen Grade unseren gesamten Wirtschaftsplan hinsichtlich der Getreidewirtschaft. Es wäre zu erwägen, ob man nicht auch in der Èechoslovakei die Scheine, die man bei der Ausfuhr von Getreide erhält, für Steuerzahlungen verwendbar machen und ihre Wirksamkeit auf die Einfuhr von Kaffee, Tee, Baumwolle, landwirtschaftliche Maschinen und sonstige Artikel ausdehnen sollte, damit sie vollwertig verkauft werden können. Selbstverständlich müßte im Interesse des einheimischen Gersteund Hopfenbaues sowie der Zuckerproduktion dieses System der Einfuhrscheine im Interesse der Behebung des Notstandes auch auf diesem Gebiete der landwirtschaftlichen Erzeugnisse, die im Inlande zur Gänze nicht an den Mann zu bringen sind, ausgedehnt werden, weil eine Umstellung in der landwirtschaftlichen Produktion innerhalb Jahresfrist nicht möglich ist. Die billige Produktion in den Oststaaten Rumänien, Polen und Ungarn macht es möglich, daß Bestrebungen im Gange sind, die Märkte der Èechoslovakischen Republik vollständig in die Hand zu bekommen. Ähnlich dem polnischen Schweineexportsyndikat will man eine gemeinsame Ausfuhrorganisation der ungarischen, rumänischen und jugoslavischen Getreideexporteure bilden. Man will die Getreideernte gemeinsam aufkaufen und auf gemeinsame Rechnung durch die Organisation verkaufen. Wenn solche Pläne zur Verwirklichung gelangen, dann muß die èechoslovakische Regierung dieser Bewegung ein besonderes Augenmerk schenken und seine Landwirtschaft durch entsprechende Maßnahmen wie die Anwendung der im Art. VIII der Zollgesetznovelle vom 22. Juni 1926 enthaltenen Düngungsklauseln, die nicht lange auf sich warten lassen, schützen. Die Schweiz schützt die Landwirtschaft dadurch, daß sie gegenwärtig für 100 kg Getreide 55 Kronen Zuschuß bezahlt und zwar bis zu einem Zeitpunkte, wo der Getreidepreis 240 Kronen per 100 kg nicht erreicht hat. Bezeichnend ist, daß Rumänien einen Ausfuhrzoll auf ausgeführtes Vieh in die Èechoslovakei festgelegt hat. Rumänien schafft sich Staatseinnahmen auf Kosten der Landwirtschaft in der Èechoslovakei, weil bisher ein ungenügender Viehzoll bei uns dies möglich macht. Die Landwirtschaft darf bei Abschluß von Handelsverträgen nicht das Schacherobjekt für andere Wirtschaftszweige sein, weil Staat und Völker nur bestehen können, wenn eine sichere Landwirtschaft arbeitet. Zoll- und handelspolitische Maßnahmen allein sind nicht hinreichend, um die heutige katastrophale Landwirtschaftskrise zu beheben. Auf dem Gebiete des Eisenbahntarifwesens müssen Vorkehrungen getroffen werden und die Eisenbahntarifpolitik muß in zweckentsprechender Weise die Zoll- und Handelspolitik ergänzen. Unsere Kleinbauern brauchen billige Futtermittel und es ist die Herabsetzung der Frachttarife für Futtermittel und ein Ausfuhrverbot für dieselben dringend geboten; die Eisenbahntarife bei der Einfuhr ausländischer Erzeugnisse sind einer Revision zu unterziehen, damit Polen nicht billiger nach Prag liefern kann, als die östlichen Gebiete des Inlandes zu liefern imstande sind. In unserem Antrage sind die zu ergreifenden Maßnahmen auf dem Gebiete des Eisenbahntarifwesens ausführlich angeführt. Ein besonderes Augenmerk ist den steuerpolitischen Angelegenheiten zuzuwenden. Eine gerechte Besteuerung der Landwirtschaft entsprechend den tatsächlichen Verhältnissen unter besonderer Berücksichtigung der gegenwärtigen Krise ist ein Gebot der Zeit. Schärfstens muß ich mich von dieser Stelle aus gegen die Übergriffe einzelner Steueradministrationen wenden, die den Steuergesetzen vom Jahre 1927 eine oft wissentlich falsche Auslegung geben. Die Finanzverwaltung ist verpflichtet, diesbezügliche Weisungen zu erlassen und nicht bloß die Steuerträger, sondern auch die Beamten der Steueradministrationen und Steuerämter zur Moral zu erziehen. Bei einer Steueradministration meines Wahlkreises hat ein Kleinlandwirt angesucht um Steuerbegünstigung infolge Nonnenfraß. Das Gesuch hat ein Finanzrat der betreffenden Steueradministration dahin beantwortet, daß er dem wirtschaftlich schwachen Kleinlandwirt anempfiehlt, sein Gesuch zurückzuziehen, weil er ansonsten einige Tausend Kronen von Kommissionskosten bezahlen müsse. Diese ungerechtigte Drohung hat insofern ihren Zweck erreicht, als der Gesuchsteller sein Gesuch in der Furcht vor Bezahlung der hohen Kommissionskosten sofort zurückzog.
Was müßte ein Landwirt oder Kleinlandwirt, der früh um halb sieben Uhr an die Arbeit geht und abends um zehn Uhr sich ermüdet ins Bett legt, für einen Tag seiner Arbeit bekommen, wenn ein Steuerbeamter Tausende von Kronen für eine solche Kommission bekommt.