Ich habe vorhin das Beispiel Amerikas von der Freiheit erwähnt,
die dort herrscht, und von der Freiheit gesprochen, die bei uns
herrscht. Sie hatten einen Mann, den Wilson, und wir haben den
Masaryk. Über Wilson ist ein sehr interessanter Artikel
in den letzten "Süddeutschen Monatsheften": Über
Wilson als Professor, als Verwaltungsbeamter und als arbiter mundi.
Ich will keine Parallele ziehen zu unserem Präsidenten. Aber
daß der èechische Staat sieh gleich bei seiner Geburt
an die große Schwesterrepublik erinnert hat, das zeigen
doch die zwei Verfassungen von 1786 und 1919. Beide fangen ungefähr
so an: "Die Bevölkerungen dieses Staates oder dieser
Staaten haben sich zusammengeschlossen in dem Willen, das gemeinsame
Wohl zu fördern. Ordnung und Sicherheit zu erhalten und das
Glück der Bevölkerung für die Dauer zu sichern".
Als sich Amerika im Jahre 1786 von England freigemacht hat, ist
wirklich der Wille in allen amerikanischen Bürgern, ob sie
nun Deutsche, Engländer, Iren oder Skandinaver waren, vorhanden
gewesen, ein freies gemeinsames Staatswesen zu gründen. Bei
uns, heißt es, haben sich die Völker dieses Staates
zusammengeschlossen, um das zu machen, was Amerika damals beschlossen
hat. Wir wurden aber gar nicht gefragt, wir waren nicht dabei,
ohne unseren und gegen unseren Willen hat man das gemacht und
arbeitet so weiter, denn die Geschäftsordnung, die bisher
in diesem Hause herrscht - in den Ausschüssen ist es gleichfalls
so - wendet man gegen uns an, 70 deutsche Abgeordnete unter 300
gelten einfach nichts. Wir sind nicht in der Lage, èechisch
zu sprechen, es zu erlernen, wir brauchten es früher nicht,
weil das Deutsche eine Weltsprache war, das Èechische aber
die Sprache eines kleinen Volkes ist. Letztere ist nicht gleichwertig
zu nehmen in Bezug auf den Verkehrswert. Infolgedessen können
die Èechen das Deutsche eher erlernen, als umgekehrt die
Deutschen das Èechische. Trotzdem ist es mir im Ausschusse,
wo doch etwas verhandelt wurde, was tatsächlich von Chauvinismus
nichts an sich hat, über Fragen der Gesundheit passiert,
daß der Vorsitzende Abänderungsanträge, die ich
ihn ersuchte, in deutscher Sprache entgegenzunehmen und sie im
Bureau des Hauses übersetzen zu lassen, weil mir kein Übersetzer
zur Verfügung stand, schroff mit der Bemerkung abwies: "To
je vaše vìc, das ist ihre Sache, ich nehme die Anträge
nicht an". Und so wurden die Anträge einfach als nicht
eingebracht angesehen. Ob das nun Chauvinismus oder Engstirnigkeit
ist, das überlasse ich zur Beurteilung der Öffentlichkeit.
Es ist nur bezeichnend, daß auch bei dieser Frage der èechische
Vorsitzende, der einer Partei angehört, die sonst nicht im
Geruche des Chauvinismus steht... (Posl. dr Schollich: Wahrscheinlich
war es ein Sozialdemokrat!) Nein, ein solcher war es nicht,
ich will ihn weiter nicht nennen, er ist ja bekannt, es ist wie
gesagt bezeichnend, daß auch in diesem Fall er das Büchel
herauszog, die Geschäftsordnung, Paragraph so und soviel.
(Posl. dr Koberg: Das ist die neue Atmosphäre!) Jawohl,
seit dem Eintritt der Deutschen in die Regierung.
Bei dieser Gelegenheit ist es wohl angebracht, über die Lage
des Ärztestandes in dies em Staate etwas detailliert zu sprechen.
Warum ist es notwendig, darüber einmal zu sprechen? Es gibt
viele Stände, die in Nöten sind, es gibt viele Klassen,
die sich bedrückt fühlen und ich möchte sagen,
das wirtschaftliche Leben ist überall, ob man sich in den
oberen Regionen bewegt oder in den niederen, nicht gerade das
rosigste. Aber der Ärztestand ist deswegen so furchtbar bedrohlich
für die Allgemeinheit, wenn er proletarisiert wird, weil
in seiner Hand eine ungeneuere Macht liegt. Keinem Menschen vertraut
man sich so an wie dem Arzte.
Es ist vielleicht jedem von uns einmal im Leben passiert, daß
der Arzt, der ihn behandelt hat, sein Leben in der Hand hatte,
daß er von dem Gewissen und dem Wissen, sowie von dem Verantwortlichkeitsgefühl
dieses Arztes abhängig ist, ob der Betreffende durchkommt
oder stirbt. Das ist etwas Schreckliches. Und zweitens ist es
furchtbar, welche Macht der Arzt dadurch in der Hand hat, daß
er die Heilmittel, die zugleich Gifte sind, besitzt. Es sind bis
heute sehr wenig Fälle bekannt geworden, wo Ärzte wegen
Giftmordes oder wegen Mißbrauchs von Giften vor Gericht
gestellt wurden. Es ist erst jetzt wieder ein Fall da, wo allerdings
andere Motive vorherrschend sind. Aber stellen Sie sich vor: ein
proletarisierter Arzt, der tatsächlich von der bittersten
Not des Lebens getrieben wird und allen möglichen Versuchungen
ausgesetzt ist, wäre ausgesetzt der Versuchung, er soll ein
Zeugnis schreiben, daß der und der ein Narr ist, damit er
ins Irrenhaus kommt. Der Arzt kann sich damit viel verdienen,
er kann sich damit für die nächsten Jahre retten und
über Wasser halten, er kann das Angebot aber auch ablehnen
und weiterhungern. Stellen Sie sich vor, welche Macht der Arzt
in der Hand hat, wenn er daran denkt, daß es lange dauern
kann, bevor das herauskommt, daß das Verbrechen vertuscht
und vergessen werden könnte. Die Armut depraviert, die Armut
vernichtet das Verantwortlichkeitsgefühl, wenn sie zu lange
währt. Und eine Proletarisierung des Ärztestandes bedeutet
nicht dasselbe wie die Proletarisierung eines anderen Standes.
Der Ärztestand ist auf dem besten Wege, vollständig
zu verproletarisieren.
Koll. Schmerda hat zwar gesagt, er wünsche das nicht,
hat aber andererseits erklärt, daß er auch nur ein
kapitalistischer Ausbeuter sei und in den Armen ein Profitobjekt
sehe, aus dem möglichst viel Gewinn herauszuschinden ist.
Das ist ein logischer Widerspruch, den ich mir nicht erklären
kann. Aber ich meine, daß der Ärztestand tatsächlich
der Verproletarisierung entgegengeht.
Das Angebot an Ärzten wächst immer mehr und mehr und
die private Praxis schwindet. Wir haben heute ungefähr 95%
der Bevölkerung in Kassen oder kassenähnlichen Institutionen
vereinigt. Das ist die Folge der sozialen Gesetzgebung, der sozialen
Maß nahmen, die der Ärztestand an und für sich
niemals abgelehnt hat, an denen wir bisher immer mitgearbeitet
haben, und die ohne unsere Mitwirkung auch gar nicht durchzuführen
wären. Aber bisher sind die sozialen Maßnahmen ohne
Rücksicht auf das materielle Wohl der Ärzte durchgeführt
worden. Es wurde an die Interesen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer,
die Interessen der Angestellten, aber selten oder niemals an die
Interessen der Ärzte gedacht; das muß einmal ausgesprochen
werden und da ist nicht irgendwie eine politische Partei ausgenommen;
auch jene politische Parteien, die sich besonders für die
Sozialversicherung eingesetzt haben, sind z. B. und zwar durchwegs
grundsätzliche Gegner der freien Ärztewahl gewesen.
Warum spricht man von freier Ärztewahl? Es kann ja schließlich
einem Kranken gleichgültig sein, wenn er zum Arzt geht, ob
er sich ihn selbst wählen kann, oder ihn von der Krankenkasse
zugewiesen bekommt. Da kommen wir darauf, daß die ärztliche
Leistung nicht als Arbeit zu werten ist. Man kann von 8 bis 12
und von 2 bis 6 arbeiten und ein Achtstundenpensum erledigen.
Ich kann vielleicht bestimmen, wieviel Akten ich erledigen muß,
wieviel ich im Durchschnitt schreiben muß, wieviel Telephongespräche
ich erledigen muß u. s. w. Aber wieviel Kranke ich behandeln
kann, das kann ich nicht nach Stunden berechnen. Nun hat man bei
der Sozialversicherung meistens entweder pauschalierte Bezahlung
der Leistungen, so und soviel Hunderte Kranke, so und soviel Pauschalbezahlung
oder man hat sie nach dem einzelnen Fall tarifiert, eingeschätzt
und da kommt man zu den unmöglichsten Sachen. Da kommen eben
die sogenannten billigen Löhne, es kommt dann zur Ausschaltung
der freien Ärztewahl. Man bekommt bis 30 Kranke täglich
zugewiesen und für eine Ordination 3 Kè Honorar. Ich
kann den Kranken ansehen, mir die Zunge zeigen lassen, mir nach
seinem Äußeren ungefähr ein Bild machen, man hat
ja eine gewisse Routine als Arzt und weiß ungefähr
was ihm fehlt. Das ist auch eine Ordination, ich gebe ihm einen
Rat und fertig. Ich kann ihn auch von oben bis unten untersuchen,
den Harn prüfen, den Mageninhalt untersuchen, um mir ein
Bild über seine Gesundheit zu machen. Das ist auch eine Untersuchung.
Läßt sich das überhaupt qualitativ nicht bewerten,
um wieviel weniger quantitativ Der dumme und ungeschickte Arzt
wird auch bei langer Untersuchung nicht viel herausbekommen, der
geschickte Arzt bei kurzer Untersuchung viel erkennen. Es ist
das wie beim Künstler. Man könnte ja eben so gut ein
Gemälde nach dem Quadratmeter der bemalten Leinwand abschätzen,
gleichgültig, ob das Bild von Rubens oder von einem Zimmermaler
stammt. Farbe ist Farbe, Leinwand ist Leinwand, Material bleibt
Material.
Jetzt soll durch dieses Gesetz auch noch die Privatpraxis tarifiert
werden. Das soll so eine Art Schutz sein, damit die Leute nicht
zuviel zahlen müssen. Ich sage, wenn ein Mensch so geizig
ist, daß er sein höchstes Gut, die Gesundheit, nicht
mehr schätzt und dabei sparen will, dann soll er eben zum
billigeren Arzt gehen - es wird ja immer billige und teuere Ärzte
geben. Warum will man aber den Arzt, der seine Leistung höher
wertet, daran hindern, seine Leistung auch wirklich besser honorieren
zu lassen? Kein Arzt hat ja ein Monopol. Es gibt tausende Ärzte.
Anders wäre die Sache, wenn in einer Stadt nur ein Arzt vorhanden
wäre und er hätte ein Monopol. Da könnte man sagen,
wir müssen einen Tarif aufstellen, sonst zieht er uns alle
aus. Aber, daß man einen Tarif herausgibt, der bestimmt,
mehr als einen bestimmten Betrag darf ein Arzt nicht annehmen,
oder nur unter gewissen Vereinbarungen, das scheint mir nicht
einzuleuchten. Das lehnen wir ab. Ebenso lehnen wir die sozial
herabsetzende Bestimmung ab, daß wir den Berufszwang haben.
Koll. Schmerda hat jedenfalls meine Ausführungen im
Ausschuß ganz und gar mißverstanden, wenn er sagte,
ich hätte gesagt, wenn ein Hungernder Brot braucht, so müßte
ihm jeder das Brot geben, denn er stürbe sonst vor Hunger.
Folglich muß jeder der Brot hat, ihm das Brot geben. Den
Kaufmann kann man nicht dazu zwingen, den Arzt aber will man zwingen,
den Kranken zu behandeln. Das ist falsch verstanden. Ich habe
vielmehr folgendes gesagt: Man kann ein solches Gesetz machen.
Man kann den Arzt durch einen Paragraphen verpflichten, das und
das zu tun. Wenn er aber nicht aus innerem Gewissensantrieb, aus
innerer Menschenliebe, ohne die er meiner Meinung nach überhaupt
kein Arzt ist, das tut, sondern nur wegen des Paragraph so und
so viel des Gesetzes seine Pflicht tut, dann ist es traurig bestellt
und er wird es trotzdem nicht tun, denn niemand wird ihm nachweisen
können, daß er es nicht tun wollte. Er sagt einfach,
ich wollte es tun, konnte es aber nicht. Man kann so etwas nicht
erzwingen. Warum will man einen Stand unter einen Ausnahmszustand
stellen? Wenn der ärztliche Stand nicht so viel soziales
Gewissen und Empfinden hat, daß er durch ein solches Gesetz
erst gezwungen werden muß, seine Berufspflicht zu erfüllen,
dann hört alles auf, dann sind wir fertig und brauchen eine
solche Sache nicht. Kann man Handwerker, Schneider, Schuster zwingen,
jemandem Kleider oder Schuhe zu machen? Das kann man nicht. In
dem Gesetz ist aber ein Paragraph, in dem es heißt: "Wenn
ein Kranker von keinem Arzt in Behandlung genommen wird, kann
der Bezirkshauptmann ihm einen Arzt zuweisen." Das muß
schon ein sehr schlechter Kerl sein der vielleicht alle Ärzte
in ihrer Ehre beleidigt hat, daß ihn kein Arzt in Behandlung
nehmen will. Dann muß er eben ins Krankenhaus. Da bleibt
ihm nichts anderes übrig. Das Krankenhaus muß ihn aufnehmen.
(Výkøiky posl. dr Koberga.) Wie stellt man
sich das aber in der Praxis vor? Angenommen, es wäre ein
solcher Mensch da, der keinen Arzt findet, der ihn auch nicht
für gutes Geld behandeln will. Nun bekommt ein Arzt einen
solchen Kranken zugewiesen. Mit welchen Gefühlen wird der
Betreffende den Arzt betrachten, der ihm durch den Bezirkshauptmann
eventuell mit Gendarmerie zugeführt wird, und mit welchen
Gefühlen wird der Arzt an diesen Kranken herangehen? Man
braucht sich einen solchen Fall nur in der Praxis vorzustellen,
um das Unmögliche und insbesondere das Degradierende für
unseren Stand herauszufühlen. (Výkøiky posl.
dr Koberga.) Angenommen, ein Mann stürzt vor meiner Türe
zusammen, ich komme heraus, gesund und rüstig, und lasse
ihn als Arzt liegen. Der Mann stirbt, weil ich mich geweigert
habe, ihn zu behandeln, obgleich man mich aufmerksam gemacht hat,
daß ich als Arzt helfen soll. In diesem Fall wird der Staatsanwalt
mich nach dem schon bestehenden Gesetz vor Gericht stellen, und
wird mich wegen einer Unterlassung, die die schwere Schädigung
oder sogar den Tod eines Kranken verursacht hat, verurteilen.
(Výkøiky posl. dr Koberga.), Das ist ein
Nebengericht, neben dem allgemeinen Gericht. Ich bedauere und
tue es ungern, daß ich hier gegen das Gesundheitsministerium
sprechen muß, weil ich sonst in dieser Institution den Anfang
einer vielversprechenden Entwicklung erblickt habe. Aber was könnte
das Gesundheitsministerium nicht alles tun? Was liegt nicht alles
in seiner Macht, wenn es seine Aufgabe wirklich erfassen und in
Angriff nehmen wellte! Ich stelle mir vor, das Gesundheitsministerium
sei dazu berufen, die Gesundheit der Menschen nicht bloß
wieder herzustellen - das machen die Ärzte - auch nicht bloß
dazu berufen, die Gesundheit zu erhalten, sondern auch berufen,
präventiv für die Zukunft die Gesundheit sicherzustellen.
Ich stelle mir vor, daß dieses Ministerium die Pflicht hätte,
diese Aufgabe großzügig in Angriff zu nehmen. Gestatten
Sie mir hier noch einige ganz kurze Richtpunkte dafür zu
geben, wie ich mir die Tätigkeit eines èechischen
Gesundheitsministeriums vorstelle. In erster Linie spreche ich
von den negativen Seiten. (Posl. dr Schollich: Ist ja ganz
vergeblich!) Ich hoffe, daß schließlich jedes
gute Wort wie ein Samenkorn ist, das zwar manchmal, ja häufig,
auf unfruchtbaren Boden fällt, aber manchmal doch auch auf
fruchtbaren Boden in eine Ritze und sich dort vielleicht, wenn
auch nicht zu einem großen Baum, so doch zu einem bescheidenen
grünen Sträuchlein auswachsen kann. (Posl. dr Schollich:
Hier findest Du keinen guten Boden!) Ich bin eben Optimist,
ich glaube daran.
Also die negative Seite wäre zunächst die Bekämpfung
der Volksseuchen, also hauptsächlich der Tuberkulose, der
Lues und der Rhachitis der Kinder. Die Bekämpfung der Tuberkulose,
wie sie die Masarykliga betreibt, genügt nicht. Es genügt
nicht, wenn man chauvinisti scher Weise überall nur èechische
Plakate aufhängt, mit Darstellung einer Figur, mit einer
èechischen Aufforderung: "Schützet euch vor der
Tuberkulose, atmet keinen Staub ein, macht keinen Staub"
u. s. w. Die Leute bei uns verstehen das Èechische nicht.
Wenn man das èechisch national aufzäumt, obgleich
man von einem international esinnten Vater abstammt, so halte
ich das nicht für den richtigen Weg der Bekämpfung der
Tuberkulose. Dazu gehören noch viel andere Sachen. Es gehören
dazu einmal die vorbeugenden Maßnahmen, die Belehrung darüber,
daß man weiß, wie man sich ansteckt, wie die Ansteckung
verhütet wird, dazu gehört auch die Ernährungslehre,
dazu gehört, daß man die Hygiene in den Schulen fördert,
die Staubentwicklung in den Schulen, Kindergärten, Wohnungen
und so weiter bekämpft. Mit der Propaganda des Staubsaugers
ist viel mehr für die Tuberkulosebekämpfung getan als
mit der ganzen Liga.
Die Luesbekämpfung ist hauptsächlich und fast allein
durch Belehrung zu erzielen. Es hängt ja Lues mit dem Geschlechtsleben
nicht ganz direkt zusammen. Es ist ein Unglück, wenn einer
luetisch wird, meist freilich ist die Ansteckung auf geschlechtlichem
Wege erfolgt, und da ist es nun Aufgabe der Staatsverwaltung,
dafür zu sorgen, daß die Jugend insbesondere über
die Gefahren dieses Verkehrs aufgeklärt werde. Rhachitis
wird heute in großem Maße durch Sonnenbestrahlung
und durch den Ersatz der künstlichen Höhensonne bekämpft.
Auch das ließe sich durch das Gesundheitsministerium in
größerem Maße fördern, als es bisher geschehen
ist. Was nun die Aufklärung in allen diesen drei Fragen der
Seuchen anlangt und auch die Aufklärung, die ich wünsche
bei Bekämpfung der Volksgifte des Alkohols und des übermäßigen
Nikotingenusses, und da verweise ich darauf, daß nicht bloß
Vorträge gehalten werden könnten, sondern auch das Radio
in den Dienst dieser Sache gestellt werden sollte. Es müßte
möglich sein, daß mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums
èechische und deutsche Vorträge - von den èechischen
haben bloß die Èechen etwas, wir verlangen aber als
Staatsbürger gleiche Rechte auch bei der Aufklärung
in gesundheitlichen Fragen - jede Woche natürlich von bezahlten
Leuten in leicht verständlicher volkstümlicher Form
gehalten werden. Das müßte sich ständig wiederholen.
Es müßten die Kinos verpflichtet werden, wöchentlich
einmal belehrende, aufklärende Filme in dieser Richtung zu
bringen. Die Kinos gehen gut, sie machen fast alle sehr gute Geschäfte,
werden besonders, von der Jugend ungeheuer gerne aufgesucht und
es läßt sich kein wirksameres Propagandamittel denken
als der Film. Ich habe im Gesundheitsausschuß ein Beispiel
erwähnt, daß in Reichenberg ein Film über die
Gefahren der Lues lief und daß wir, als wir mit den vier
Spezialisten über ein Vierteljahr später zusammenkamen,
alle vier Spezialisten von Reichenberg erklärten, sie hätten
das ganze Vierteljahr keinen Primäraffekt mehr gesehen, und
erst nach einem Vierteljahr war der Film so weit vergessen, daß
sich wieder Ansteckungen ereigneten. Welch ein Erfolg wäre
es, wenn es gelänge, durch systematische, immer neue Erinnerung
die Ansteckungsmöglichkeit wenigstens vielleicht auf die
Hälfte oder ein Viertel herabzudrücken. Das sind nur
so einige Gedanken, die ich so hinwerfe, die vielleicht aufgegriffen,
die vielleicht auch beiseite gestellt werden können, weil
die Geldmittel fehlen oder weil man den Apparat und die Arbeit
scheut. Das ist nicht meine Sache.
Die positive Seite, die der Arbeit des Gesundheitsministeriums
unterläge, das wäre die Eugenie. Das ist ein Wissenszweig,
nicht neu, aber doch nicht so bekannt, wie viele andere. Es ist
nicht so wichtig, daß man jeden Krüppel erhält,
daß man jedes schwach geborene Kind mit allen möglichen
Mitteln aufpäpelt und zu einem halbwegs erträglichen
Leben bringt, es ist nicht so wichtig, daß wir an den Verbrechern
alle möglichen Erziehungsmethoden versuchen, um sie zu bessern,
oder mit den Narren, daß wir sie ins Irrenhaus schaffen
und dort jahrelang unnütz pflegen. Wichtiger wäre es,
daß kein so belastetes und mit kranker Erbmasse behaftetes
Individuum geboren wird, daß vor allem das Negative, die
schlechten Stämme ausgeschaltet werden, daß Eltern,
die schwer erblich belastet sind, sich nicht fortpflanzen dürfen.
Heute können wir solche Gesetze noch nicht machen, die Volksstimmung
und das allgemeine Verständnis sind noch nicht so weit herangereift,
daß wir mit solchen Gedanken an die Öffentlichkeit
treten können. Aber wir können durch Aufklärung
dahin wirken, daß dieses Erkenntnis in die große Masse
des Volkes eindringt, daß es nicht wichtig ist, solche krankhafte
Lebewesen künstlich aufzupäpeln und notdürftig
zu brauchbaren Menschen heranzubilden, mit vielen Kosten, mit
vieler Arbeit und vieler Mühe und Not, sondern daß
es viel wichtiger ist, diese von vornherein Minderwertigen auszuschalten,
durch Nichtzeugung und Nichtgeborenwerden.
Dazu wäre eine Eheberatung einzurichten und zwar eine amtliche.
Eine solche amtliche Eheberatung kann nur durch den Arzt erfolgen,
kein anderer Mensch, der etwa einen Kurs in Eugenie mitgemacht
hat und Beamter ist, der das dann wieder herunterhuzelt, ist dazu
geeignet, nur ein Arzt mit Takt und großem Wissen und Verständnis
ist in der Lage, das zu tun. Es wäre notwendig, jedes Weib
und jeden Mann, die die Ehe eingehen wollen, zu untersuchen, wie
sie erbveranlagt sind und wie ihr Gesundheitszustand ist, und
wenn solche Ehen geschlossen werden, die voraussichtlich minderwertige
Kinder in die Welt setzen würden, dann wäre den Leuten
der Rat zu geben, die Kinderzeugung zu vermeiden. Wenn die Eugenie
auf diese Weise langsam stetig fortschreiten, das ganze Volk erfassen
würde, wenigstens nach der negativen Seite, nicht auf Hochzüchtung,
aber auf Vermeidung minderwertigen Zuwachses, dann würden
die Methoden der sozialen und Individuellen Hygiene erst zur Auswirkung
kommen.
Was nützt es, wenn wir Sportplätze anlegen und die individuelle
Hygiene dem Einzelnen einprägen, wenn wir in den Schulen
lehren, daß das so und so gemacht werden müsse, wenn
wir die Kinder untersuchen und aufmerksam machen, wenn die Materie,
aus der das Volk entsteht, die heranwachsende Jugend, mit so und
so viel Fehlern belastet ist.
Es ist ein zynischer Ausspruch, aber er ist wahr. Wenn man manchmal
untereinander ist, so sagt man: "Was soll man mit dem und
dem machen, der müßte sich umzeugen lassen." Bei
diesen Menschen ist Hopfen und Malz verloren, man kann nicht viel
mit ihm anfangen, man päpelt ihn weiter auf, er müßte
sich umzeugen lassen, er müßte neu, geschaffen werden.
Dann würden diese Mittel, die wir für die soziale und
individuelle Hygiene ausgeben, zur vollen Wirkung kommen.
Aus mittelmäßiger Materie kann ich durch hygienische
Maßnahmen eine sehr vollwertige machen, da dürfen Geldmittel
keine Rolle spielen. Man hat für die Ertüchtigung des
Volkes beim Militär viele Milliarden übrig. Dieses eine
kann man dem Militär zugute halten, daß die Leute das
ganze Jahr an der frischen Luft sind, daß sie Körperübungen
machen und turnen müssen und sonstigen Sport betreiben, das
ist das Einzige, was wir beim Militär als Gutes finden können.
Denn daß es zur Verteidigung des Staates dient - Sie wissen,
wie wir darüber denken und ich glaube, daß auch die
Èechen sich keinen Illusionen hingeben, sonst hätten
sie keine solche Furcht vor der Spionage, denn, dann wenn ich
meines Heeres sicher bin, dann brauche ich mich vor ein paar Falouten
nicht zu fürchte, die etwas verraten. Für solche Zwecke
hat man also Milliarden übrig und für Zwecke der Aufklärung
hat man nichts. Es ist gewiß minimal, was das Gesundheitsministerium
für solche Zwecke aufwenden darf und kann. Aber da müßte
einmal mit den regierenden Kreisen eine Aussprache gepflogen werden:
Was will man? Will man ein Kulturstaat, fortschrittlich sein,
will man das in Wirklichkeit beweisen, was man zum Schein zu sein
vergibt, dann gehe man die Sache an. Wenn man das Gesundheitsministerium
hat, dann wende man nicht bloß zur Propaganda große
Mittel auf, oder um Sokolfeste oder sonst etwas groß aufgemacht
aufzuziehen oder man gibt auch natürlich für gute Zwecke
etwas aus, etwa für einen Sportplatz, eine Schwimmanstalt.
Für deutsche Gegenden gibt man sehr wenig, ob man in èechischen
Gegenden anders ist, weiß ich nicht. Aber man wende endlich
einmal größere Mittel an, man verlange sie einfach
und man wird des Großteils der Volksvertreter sicher sein.
Wenn man vor die Volksvertretung hintritt und sagt, wir brauchen
für diese und diese Zwecke so und soviel Millionen, wird
man wahrscheinlich die Volksvertretung gegen den Finanzminister
auf seiner Seite haben. Es wären auch nicht gar so viele
Millionen notwendig. Die Aufklärungsarbeit kann auch so gefördert
werden, daß man diejenigen Leute, die das schon freiwillig
tun, wenigstens unterstützt, daß man Vereinigungen,
die das freiwillig auf sich genommen haben ausgiebiger unterstützt,
es bedarf nicht wieder eines neuen Gesetzes, um die Ärzte
zu beauftragen, sie haben Vorträge in den Schulen in jedem
Jahre zu halten, in den Volksbildungsausschüssen u. s. w.
Das alles hat keinen Sinn. Man nehme vielmehr Prämien und
gebe den Leuten, die so und soviel Vorträge gehalten haben
eine Prämie zum Geschenk. Das wird sie aneifern. Aber nur
nicht sie zwingen. Dem Zwang gehorcht man nicht gern man vermeidet
direkt, dem Zwang zu gehorchen. Aber dem Anreiz widersteht man
nicht so leicht.
Dann müßten die Ärzte mitarbeiten bei allen großen
hygienischen Maßnahmen, ihre Mitarbeit müßte
vielmehr in Erscheinung treten. Bei der Städtebauberatung,
bei der Anlage von Wasserleitungen, beim Straßenbau, bei
der Arbeits- und Kinderhygiene, der Wohnungshygiene der Arbeiterschaft
u. s. w. Dazu müßten überall ärztliche Fachleute
mitherangezogen werden. Man würde dadurch auch einen Teil
des Überschusses der heranwachsenden Ärztegeneration
ableiten auf die halbamtliche vorbeugende Hygiene und ärztliche
Tätigkeit. Wenn schon die Chinesen so gescheit sind, daß
sie sagen, sie bezahlen ihren Arzt jährlich dafür, daß
er dafür sorgt, daß sie in dem Jahre nicht krank werden,
während wir unsere Ärzte nur bezahlen, wenn wir krank
werden und wenn uns der Arzt heilt - wo schon die Chinesen so
gescheit waren, um wieviel gescheiter sollten wir in diesem Staate,
im Herzen Europas sein und sollten für solche Zwecke, die
Geldmittel bereitstellen und die Ärzte dafür bezahlen,
daß sie das Volk gesund erhalten, als daß sie sie
in die Krankenkassen stecken und sie wieder gesund machen lassen.
Bei den Methoden der Krankenkassen, bei diesen bürokratischen
Methoden, die durch Beamte, die eine so große Befähigung
dazu haben, ausgeübt werden - ein jeder von Ihnen, es sind
nur so wenige da, wenn alle Bänke besetzt wären, könnte
ein jeder von den Abgeordneten Beispiele aus seinem Bezirke anführen,
was für Beamte in solchen Institutionen oft maßgebend
sind. (Posl. dr Schollich: Dafür haben sie die Parteilegitimation!)
Das habe ich nicht untersucht, ob das damit zusammenhängt.
Wenn der Ärztestand in Zukunft nicht verproletarisieren,
sondern in sein em Niveau durch Maßnahmen, wie ich sie vorgeschlagen
habe, gehoben werden soll, ist notwendig, auch für seine
Bildung das höchste zu tun, was geleistet werden kann. Da
haben wir im Laufe der Debatte so manches gehört, was uns
traurig gestimmt hat.
Im Gesundheitsausschuß wurde ein Fünferausschuß
eingesetzt. Wir Deutschen sind ja das fünfte Rad am Wagen.
Wenn man sich dort um das Wort meldet, so überhört einen
der Vorsitzende, oder er hört nur halb hin. Man versteht
ihn nicht, übersetzt wird nichts, man muß sich an einen
Kollegen wenden; ich habe mich an den Koll. Schmerda gewendet,
er hat mir das allernotwendigste übersetzt, sonst hätte
ich oft gar nicht gewußt, was man verhandelt. Dieser Fünfer-Ausschuß
sollte die Mißstände in den Krankenhäusern untersuchen.
Es war ausgemacht worden, am Montag, also gestern vor acht Tagen,
diese Expedition zu unternehmen. Ich fuhr Sonntag abend nach Prag,
eigens damit ich dabei sein kann. Es ist einmal gesagt worden,
es kann sich jeder anschließen, der Lust hat. Nun, ich war
einer von denen, die Lust hatten. Ich kam vor zwei Uhr ins Parlament,
ich erkundigte mich, ich holte Information ein, von wo aus diese
Expedition gehen wird, es war aber nichts zu erfahren. Wir telephonierten
an den Obmann des Gesundheitsausschusses. Auch nichts. Im Gesundheitsministerium
erfuhr ich auch nichts. Kurz, ich ging nach drei Uhr weg, und
es war nichts. Nachher habe ich gehört, daß die Expedition
am Mittwoch in die Kliniken hinausgegangen ist. Es hätte
mir als deutschem Arzt sehr viel darangelegen mit zu sein, obgleich
ich ja die Zustände kenne. Das nur zur Aufklärung, wie
manchmal vorgegangen wird.
Wie die Kliniken hier beschaffen sind, können wir schon daraus
ersehen, daß im Jahre 1886 der ehemalige österreichische
Unterrichtsminister Gautsch, der in Prag war, sagte, es sei ein
Skandal, wie das Krankenhaus ausschaut. Ich habe hier studiert
und seit der Zeit ist es nicht viel anders geworden. Nicht wesentlich
anders. Der Krankenstand ist größer, infolgedessen
die Gebäude größer und neue angebaut, aber im
wesentlichen sind die Zustände die gleichen geblieben. So
kann man, das nicht forführen und so wird es auch nicht gehen,
wenn Kompetenzstreitigkeiten entstehen, das Krankenhaus dem Lande
gehört die Kliniken dem Unterrichtsministerium, und das Gesundheitsministerium
hat womöglich überhaupt nichts zu sagen, weiß
wirklich nicht, wie die Sache steht. An solchen bürokratischen
Künsten darf nicht das Wohl der Lehrenden, der Lernenden
und am wenigsten das der Behandelten Schaden leiden. Das darf
nicht weiter geduldet werden, und ich hoffe, daß durch diese
Debatte das Gewissen der Regierenden, sowohl des Staates wie des
Landes, als auch aller sonstigen Faktoren, die mitzureden haben,
wachgerüttelt und darüber nachgedacht werden wird, Pläne
ausgearbeitet werden, wie diesem Übelstande abgeholfen werden
kann.