Úterý 18. èervna 1929

Ich habe vorhin das Beispiel Amerikas von der Freiheit erwähnt, die dort herrscht, und von der Freiheit gesprochen, die bei uns herrscht. Sie hatten einen Mann, den Wilson, und wir haben den Masaryk. Über Wilson ist ein sehr interessanter Artikel in den letzten "Süddeutschen Monatsheften": Über Wilson als Professor, als Verwaltungsbeamter und als arbiter mundi. Ich will keine Parallele ziehen zu unserem Präsidenten. Aber daß der èechische Staat sieh gleich bei seiner Geburt an die große Schwesterrepublik erinnert hat, das zeigen doch die zwei Verfassungen von 1786 und 1919. Beide fangen ungefähr so an: "Die Bevölkerungen dieses Staates oder dieser Staaten haben sich zusammengeschlossen in dem Willen, das gemeinsame Wohl zu fördern. Ordnung und Sicherheit zu erhalten und das Glück der Bevölkerung für die Dauer zu sichern".

Als sich Amerika im Jahre 1786 von England freigemacht hat, ist wirklich der Wille in allen amerikanischen Bürgern, ob sie nun Deutsche, Engländer, Iren oder Skandinaver waren, vorhanden gewesen, ein freies gemeinsames Staatswesen zu gründen. Bei uns, heißt es, haben sich die Völker dieses Staates zusammengeschlossen, um das zu machen, was Amerika damals beschlossen hat. Wir wurden aber gar nicht gefragt, wir waren nicht dabei, ohne unseren und gegen unseren Willen hat man das gemacht und arbeitet so weiter, denn die Geschäftsordnung, die bisher in diesem Hause herrscht - in den Ausschüssen ist es gleichfalls so - wendet man gegen uns an, 70 deutsche Abgeordnete unter 300 gelten einfach nichts. Wir sind nicht in der Lage, èechisch zu sprechen, es zu erlernen, wir brauchten es früher nicht, weil das Deutsche eine Weltsprache war, das Èechische aber die Sprache eines kleinen Volkes ist. Letztere ist nicht gleichwertig zu nehmen in Bezug auf den Verkehrswert. Infolgedessen können die Èechen das Deutsche eher erlernen, als umgekehrt die Deutschen das Èechische. Trotzdem ist es mir im Ausschusse, wo doch etwas verhandelt wurde, was tatsächlich von Chauvinismus nichts an sich hat, über Fragen der Gesundheit passiert, daß der Vorsitzende Abänderungsanträge, die ich ihn ersuchte, in deutscher Sprache entgegenzunehmen und sie im Bureau des Hauses übersetzen zu lassen, weil mir kein Übersetzer zur Verfügung stand, schroff mit der Bemerkung abwies: "To je vaše vìc, das ist ihre Sache, ich nehme die Anträge nicht an". Und so wurden die Anträge einfach als nicht eingebracht angesehen. Ob das nun Chauvinismus oder Engstirnigkeit ist, das überlasse ich zur Beurteilung der Öffentlichkeit. Es ist nur bezeichnend, daß auch bei dieser Frage der èechische Vorsitzende, der einer Partei angehört, die sonst nicht im Geruche des Chauvinismus steht... (Posl. dr Schollich: Wahrscheinlich war es ein Sozialdemokrat!) Nein, ein solcher war es nicht, ich will ihn weiter nicht nennen, er ist ja bekannt, es ist wie gesagt bezeichnend, daß auch in diesem Fall er das Büchel herauszog, die Geschäftsordnung, Paragraph so und soviel. (Posl. dr Koberg: Das ist die neue Atmosphäre!) Jawohl, seit dem Eintritt der Deutschen in die Regierung.

Bei dieser Gelegenheit ist es wohl angebracht, über die Lage des Ärztestandes in dies em Staate etwas detailliert zu sprechen. Warum ist es notwendig, darüber einmal zu sprechen? Es gibt viele Stände, die in Nöten sind, es gibt viele Klassen, die sich bedrückt fühlen und ich möchte sagen, das wirtschaftliche Leben ist überall, ob man sich in den oberen Regionen bewegt oder in den niederen, nicht gerade das rosigste. Aber der Ärztestand ist deswegen so furchtbar bedrohlich für die Allgemeinheit, wenn er proletarisiert wird, weil in seiner Hand eine ungeneuere Macht liegt. Keinem Menschen vertraut man sich so an wie dem Arzte.

Es ist vielleicht jedem von uns einmal im Leben passiert, daß der Arzt, der ihn behandelt hat, sein Leben in der Hand hatte, daß er von dem Gewissen und dem Wissen, sowie von dem Verantwortlichkeitsgefühl dieses Arztes abhängig ist, ob der Betreffende durchkommt oder stirbt. Das ist etwas Schreckliches. Und zweitens ist es furchtbar, welche Macht der Arzt dadurch in der Hand hat, daß er die Heilmittel, die zugleich Gifte sind, besitzt. Es sind bis heute sehr wenig Fälle bekannt geworden, wo Ärzte wegen Giftmordes oder wegen Mißbrauchs von Giften vor Gericht gestellt wurden. Es ist erst jetzt wieder ein Fall da, wo allerdings andere Motive vorherrschend sind. Aber stellen Sie sich vor: ein proletarisierter Arzt, der tatsächlich von der bittersten Not des Lebens getrieben wird und allen möglichen Versuchungen ausgesetzt ist, wäre ausgesetzt der Versuchung, er soll ein Zeugnis schreiben, daß der und der ein Narr ist, damit er ins Irrenhaus kommt. Der Arzt kann sich damit viel verdienen, er kann sich damit für die nächsten Jahre retten und über Wasser halten, er kann das Angebot aber auch ablehnen und weiterhungern. Stellen Sie sich vor, welche Macht der Arzt in der Hand hat, wenn er daran denkt, daß es lange dauern kann, bevor das herauskommt, daß das Verbrechen vertuscht und vergessen werden könnte. Die Armut depraviert, die Armut vernichtet das Verantwortlichkeitsgefühl, wenn sie zu lange währt. Und eine Proletarisierung des Ärztestandes bedeutet nicht dasselbe wie die Proletarisierung eines anderen Standes. Der Ärztestand ist auf dem besten Wege, vollständig zu verproletarisieren.

Koll. Schmerda hat zwar gesagt, er wünsche das nicht, hat aber andererseits erklärt, daß er auch nur ein kapitalistischer Ausbeuter sei und in den Armen ein Profitobjekt sehe, aus dem möglichst viel Gewinn herauszuschinden ist. Das ist ein logischer Widerspruch, den ich mir nicht erklären kann. Aber ich meine, daß der Ärztestand tatsächlich der Verproletarisierung entgegengeht.

Das Angebot an Ärzten wächst immer mehr und mehr und die private Praxis schwindet. Wir haben heute ungefähr 95% der Bevölkerung in Kassen oder kassenähnlichen Institutionen vereinigt. Das ist die Folge der sozialen Gesetzgebung, der sozialen Maß nahmen, die der Ärztestand an und für sich niemals abgelehnt hat, an denen wir bisher immer mitgearbeitet haben, und die ohne unsere Mitwirkung auch gar nicht durchzuführen wären. Aber bisher sind die sozialen Maßnahmen ohne Rücksicht auf das materielle Wohl der Ärzte durchgeführt worden. Es wurde an die Interesen der Arbeitgeber, der Arbeitnehmer, die Interessen der Angestellten, aber selten oder niemals an die Interessen der Ärzte gedacht; das muß einmal ausgesprochen werden und da ist nicht irgendwie eine politische Partei ausgenommen; auch jene politische Parteien, die sich besonders für die Sozialversicherung eingesetzt haben, sind z. B. und zwar durchwegs grundsätzliche Gegner der freien Ärztewahl gewesen. Warum spricht man von freier Ärztewahl? Es kann ja schließlich einem Kranken gleichgültig sein, wenn er zum Arzt geht, ob er sich ihn selbst wählen kann, oder ihn von der Krankenkasse zugewiesen bekommt. Da kommen wir darauf, daß die ärztliche Leistung nicht als Arbeit zu werten ist. Man kann von 8 bis 12 und von 2 bis 6 arbeiten und ein Achtstundenpensum erledigen. Ich kann vielleicht bestimmen, wieviel Akten ich erledigen muß, wieviel ich im Durchschnitt schreiben muß, wieviel Telephongespräche ich erledigen muß u. s. w. Aber wieviel Kranke ich behandeln kann, das kann ich nicht nach Stunden berechnen. Nun hat man bei der Sozialversicherung meistens entweder pauschalierte Bezahlung der Leistungen, so und soviel Hunderte Kranke, so und soviel Pauschalbezahlung oder man hat sie nach dem einzelnen Fall tarifiert, eingeschätzt und da kommt man zu den unmöglichsten Sachen. Da kommen eben die sogenannten billigen Löhne, es kommt dann zur Ausschaltung der freien Ärztewahl. Man bekommt bis 30 Kranke täglich zugewiesen und für eine Ordination 3 Kè Honorar. Ich kann den Kranken ansehen, mir die Zunge zeigen lassen, mir nach seinem Äußeren ungefähr ein Bild machen, man hat ja eine gewisse Routine als Arzt und weiß ungefähr was ihm fehlt. Das ist auch eine Ordination, ich gebe ihm einen Rat und fertig. Ich kann ihn auch von oben bis unten untersuchen, den Harn prüfen, den Mageninhalt untersuchen, um mir ein Bild über seine Gesundheit zu machen. Das ist auch eine Untersuchung. Läßt sich das überhaupt qualitativ nicht bewerten, um wieviel weniger quantitativ Der dumme und ungeschickte Arzt wird auch bei langer Untersuchung nicht viel herausbekommen, der geschickte Arzt bei kurzer Untersuchung viel erkennen. Es ist das wie beim Künstler. Man könnte ja eben so gut ein Gemälde nach dem Quadratmeter der bemalten Leinwand abschätzen, gleichgültig, ob das Bild von Rubens oder von einem Zimmermaler stammt. Farbe ist Farbe, Leinwand ist Leinwand, Material bleibt Material.

Jetzt soll durch dieses Gesetz auch noch die Privatpraxis tarifiert werden. Das soll so eine Art Schutz sein, damit die Leute nicht zuviel zahlen müssen. Ich sage, wenn ein Mensch so geizig ist, daß er sein höchstes Gut, die Gesundheit, nicht mehr schätzt und dabei sparen will, dann soll er eben zum billigeren Arzt gehen - es wird ja immer billige und teuere Ärzte geben. Warum will man aber den Arzt, der seine Leistung höher wertet, daran hindern, seine Leistung auch wirklich besser honorieren zu lassen? Kein Arzt hat ja ein Monopol. Es gibt tausende Ärzte. Anders wäre die Sache, wenn in einer Stadt nur ein Arzt vorhanden wäre und er hätte ein Monopol. Da könnte man sagen, wir müssen einen Tarif aufstellen, sonst zieht er uns alle aus. Aber, daß man einen Tarif herausgibt, der bestimmt, mehr als einen bestimmten Betrag darf ein Arzt nicht annehmen, oder nur unter gewissen Vereinbarungen, das scheint mir nicht einzuleuchten. Das lehnen wir ab. Ebenso lehnen wir die sozial herabsetzende Bestimmung ab, daß wir den Berufszwang haben. Koll. Schmerda hat jedenfalls meine Ausführungen im Ausschuß ganz und gar mißverstanden, wenn er sagte, ich hätte gesagt, wenn ein Hungernder Brot braucht, so müßte ihm jeder das Brot geben, denn er stürbe sonst vor Hunger. Folglich muß jeder der Brot hat, ihm das Brot geben. Den Kaufmann kann man nicht dazu zwingen, den Arzt aber will man zwingen, den Kranken zu behandeln. Das ist falsch verstanden. Ich habe vielmehr folgendes gesagt: Man kann ein solches Gesetz machen. Man kann den Arzt durch einen Paragraphen verpflichten, das und das zu tun. Wenn er aber nicht aus innerem Gewissensantrieb, aus innerer Menschenliebe, ohne die er meiner Meinung nach überhaupt kein Arzt ist, das tut, sondern nur wegen des Paragraph so und so viel des Gesetzes seine Pflicht tut, dann ist es traurig bestellt und er wird es trotzdem nicht tun, denn niemand wird ihm nachweisen können, daß er es nicht tun wollte. Er sagt einfach, ich wollte es tun, konnte es aber nicht. Man kann so etwas nicht erzwingen. Warum will man einen Stand unter einen Ausnahmszustand stellen? Wenn der ärztliche Stand nicht so viel soziales Gewissen und Empfinden hat, daß er durch ein solches Gesetz erst gezwungen werden muß, seine Berufspflicht zu erfüllen, dann hört alles auf, dann sind wir fertig und brauchen eine solche Sache nicht. Kann man Handwerker, Schneider, Schuster zwingen, jemandem Kleider oder Schuhe zu machen? Das kann man nicht. In dem Gesetz ist aber ein Paragraph, in dem es heißt: "Wenn ein Kranker von keinem Arzt in Behandlung genommen wird, kann der Bezirkshauptmann ihm einen Arzt zuweisen." Das muß schon ein sehr schlechter Kerl sein der vielleicht alle Ärzte in ihrer Ehre beleidigt hat, daß ihn kein Arzt in Behandlung nehmen will. Dann muß er eben ins Krankenhaus. Da bleibt ihm nichts anderes übrig. Das Krankenhaus muß ihn aufnehmen. (Výkøiky posl. dr Koberga.) Wie stellt man sich das aber in der Praxis vor? Angenommen, es wäre ein solcher Mensch da, der keinen Arzt findet, der ihn auch nicht für gutes Geld behandeln will. Nun bekommt ein Arzt einen solchen Kranken zugewiesen. Mit welchen Gefühlen wird der Betreffende den Arzt betrachten, der ihm durch den Bezirkshauptmann eventuell mit Gendarmerie zugeführt wird, und mit welchen Gefühlen wird der Arzt an diesen Kranken herangehen? Man braucht sich einen solchen Fall nur in der Praxis vorzustellen, um das Unmögliche und insbesondere das Degradierende für unseren Stand herauszufühlen. (Výkøiky posl. dr Koberga.) Angenommen, ein Mann stürzt vor meiner Türe zusammen, ich komme heraus, gesund und rüstig, und lasse ihn als Arzt liegen. Der Mann stirbt, weil ich mich geweigert habe, ihn zu behandeln, obgleich man mich aufmerksam gemacht hat, daß ich als Arzt helfen soll. In diesem Fall wird der Staatsanwalt mich nach dem schon bestehenden Gesetz vor Gericht stellen, und wird mich wegen einer Unterlassung, die die schwere Schädigung oder sogar den Tod eines Kranken verursacht hat, verurteilen. (Výkøiky posl. dr Koberga.), Das ist ein Nebengericht, neben dem allgemeinen Gericht. Ich bedauere und tue es ungern, daß ich hier gegen das Gesundheitsministerium sprechen muß, weil ich sonst in dieser Institution den Anfang einer vielversprechenden Entwicklung erblickt habe. Aber was könnte das Gesundheitsministerium nicht alles tun? Was liegt nicht alles in seiner Macht, wenn es seine Aufgabe wirklich erfassen und in Angriff nehmen wellte! Ich stelle mir vor, das Gesundheitsministerium sei dazu berufen, die Gesundheit der Menschen nicht bloß wieder herzustellen - das machen die Ärzte - auch nicht bloß dazu berufen, die Gesundheit zu erhalten, sondern auch berufen, präventiv für die Zukunft die Gesundheit sicherzustellen. Ich stelle mir vor, daß dieses Ministerium die Pflicht hätte, diese Aufgabe großzügig in Angriff zu nehmen. Gestatten Sie mir hier noch einige ganz kurze Richtpunkte dafür zu geben, wie ich mir die Tätigkeit eines èechischen Gesundheitsministeriums vorstelle. In erster Linie spreche ich von den negativen Seiten. (Posl. dr Schollich: Ist ja ganz vergeblich!) Ich hoffe, daß schließlich jedes gute Wort wie ein Samenkorn ist, das zwar manchmal, ja häufig, auf unfruchtbaren Boden fällt, aber manchmal doch auch auf fruchtbaren Boden in eine Ritze und sich dort vielleicht, wenn auch nicht zu einem großen Baum, so doch zu einem bescheidenen grünen Sträuchlein auswachsen kann. (Posl. dr Schollich: Hier findest Du keinen guten Boden!) Ich bin eben Optimist, ich glaube daran.

Also die negative Seite wäre zunächst die Bekämpfung der Volksseuchen, also hauptsächlich der Tuberkulose, der Lues und der Rhachitis der Kinder. Die Bekämpfung der Tuberkulose, wie sie die Masarykliga betreibt, genügt nicht. Es genügt nicht, wenn man chauvinisti scher Weise überall nur èechische Plakate aufhängt, mit Darstellung einer Figur, mit einer èechischen Aufforderung: "Schützet euch vor der Tuberkulose, atmet keinen Staub ein, macht keinen Staub" u. s. w. Die Leute bei uns verstehen das Èechische nicht. Wenn man das èechisch national aufzäumt, obgleich man von einem international esinnten Vater abstammt, so halte ich das nicht für den richtigen Weg der Bekämpfung der Tuberkulose. Dazu gehören noch viel andere Sachen. Es gehören dazu einmal die vorbeugenden Maßnahmen, die Belehrung darüber, daß man weiß, wie man sich ansteckt, wie die Ansteckung verhütet wird, dazu gehört auch die Ernährungslehre, dazu gehört, daß man die Hygiene in den Schulen fördert, die Staubentwicklung in den Schulen, Kindergärten, Wohnungen und so weiter bekämpft. Mit der Propaganda des Staubsaugers ist viel mehr für die Tuberkulosebekämpfung getan als mit der ganzen Liga.

Die Luesbekämpfung ist hauptsächlich und fast allein durch Belehrung zu erzielen. Es hängt ja Lues mit dem Geschlechtsleben nicht ganz direkt zusammen. Es ist ein Unglück, wenn einer luetisch wird, meist freilich ist die Ansteckung auf geschlechtlichem Wege erfolgt, und da ist es nun Aufgabe der Staatsverwaltung, dafür zu sorgen, daß die Jugend insbesondere über die Gefahren dieses Verkehrs aufgeklärt werde. Rhachitis wird heute in großem Maße durch Sonnenbestrahlung und durch den Ersatz der künstlichen Höhensonne bekämpft. Auch das ließe sich durch das Gesundheitsministerium in größerem Maße fördern, als es bisher geschehen ist. Was nun die Aufklärung in allen diesen drei Fragen der Seuchen anlangt und auch die Aufklärung, die ich wünsche bei Bekämpfung der Volksgifte des Alkohols und des übermäßigen Nikotingenusses, und da verweise ich darauf, daß nicht bloß Vorträge gehalten werden könnten, sondern auch das Radio in den Dienst dieser Sache gestellt werden sollte. Es müßte möglich sein, daß mit Unterstützung des Gesundheitsministeriums èechische und deutsche Vorträge - von den èechischen haben bloß die Èechen etwas, wir verlangen aber als Staatsbürger gleiche Rechte auch bei der Aufklärung in gesundheitlichen Fragen - jede Woche natürlich von bezahlten Leuten in leicht verständlicher volkstümlicher Form gehalten werden. Das müßte sich ständig wiederholen. Es müßten die Kinos verpflichtet werden, wöchentlich einmal belehrende, aufklärende Filme in dieser Richtung zu bringen. Die Kinos gehen gut, sie machen fast alle sehr gute Geschäfte, werden besonders, von der Jugend ungeheuer gerne aufgesucht und es läßt sich kein wirksameres Propagandamittel denken als der Film. Ich habe im Gesundheitsausschuß ein Beispiel erwähnt, daß in Reichenberg ein Film über die Gefahren der Lues lief und daß wir, als wir mit den vier Spezialisten über ein Vierteljahr später zusammenkamen, alle vier Spezialisten von Reichenberg erklärten, sie hätten das ganze Vierteljahr keinen Primäraffekt mehr gesehen, und erst nach einem Vierteljahr war der Film so weit vergessen, daß sich wieder Ansteckungen ereigneten. Welch ein Erfolg wäre es, wenn es gelänge, durch systematische, immer neue Erinnerung die Ansteckungsmöglichkeit wenigstens vielleicht auf die Hälfte oder ein Viertel herabzudrücken. Das sind nur so einige Gedanken, die ich so hinwerfe, die vielleicht aufgegriffen, die vielleicht auch beiseite gestellt werden können, weil die Geldmittel fehlen oder weil man den Apparat und die Arbeit scheut. Das ist nicht meine Sache.

Die positive Seite, die der Arbeit des Gesundheitsministeriums unterläge, das wäre die Eugenie. Das ist ein Wissenszweig, nicht neu, aber doch nicht so bekannt, wie viele andere. Es ist nicht so wichtig, daß man jeden Krüppel erhält, daß man jedes schwach geborene Kind mit allen möglichen Mitteln aufpäpelt und zu einem halbwegs erträglichen Leben bringt, es ist nicht so wichtig, daß wir an den Verbrechern alle möglichen Erziehungsmethoden versuchen, um sie zu bessern, oder mit den Narren, daß wir sie ins Irrenhaus schaffen und dort jahrelang unnütz pflegen. Wichtiger wäre es, daß kein so belastetes und mit kranker Erbmasse behaftetes Individuum geboren wird, daß vor allem das Negative, die schlechten Stämme ausgeschaltet werden, daß Eltern, die schwer erblich belastet sind, sich nicht fortpflanzen dürfen. Heute können wir solche Gesetze noch nicht machen, die Volksstimmung und das allgemeine Verständnis sind noch nicht so weit herangereift, daß wir mit solchen Gedanken an die Öffentlichkeit treten können. Aber wir können durch Aufklärung dahin wirken, daß dieses Erkenntnis in die große Masse des Volkes eindringt, daß es nicht wichtig ist, solche krankhafte Lebewesen künstlich aufzupäpeln und notdürftig zu brauchbaren Menschen heranzubilden, mit vielen Kosten, mit vieler Arbeit und vieler Mühe und Not, sondern daß es viel wichtiger ist, diese von vornherein Minderwertigen auszuschalten, durch Nichtzeugung und Nichtgeborenwerden.

Dazu wäre eine Eheberatung einzurichten und zwar eine amtliche. Eine solche amtliche Eheberatung kann nur durch den Arzt erfolgen, kein anderer Mensch, der etwa einen Kurs in Eugenie mitgemacht hat und Beamter ist, der das dann wieder herunterhuzelt, ist dazu geeignet, nur ein Arzt mit Takt und großem Wissen und Verständnis ist in der Lage, das zu tun. Es wäre notwendig, jedes Weib und jeden Mann, die die Ehe eingehen wollen, zu untersuchen, wie sie erbveranlagt sind und wie ihr Gesundheitszustand ist, und wenn solche Ehen geschlossen werden, die voraussichtlich minderwertige Kinder in die Welt setzen würden, dann wäre den Leuten der Rat zu geben, die Kinderzeugung zu vermeiden. Wenn die Eugenie auf diese Weise langsam stetig fortschreiten, das ganze Volk erfassen würde, wenigstens nach der negativen Seite, nicht auf Hochzüchtung, aber auf Vermeidung minderwertigen Zuwachses, dann würden die Methoden der sozialen und Individuellen Hygiene erst zur Auswirkung kommen.

Was nützt es, wenn wir Sportplätze anlegen und die individuelle Hygiene dem Einzelnen einprägen, wenn wir in den Schulen lehren, daß das so und so gemacht werden müsse, wenn wir die Kinder untersuchen und aufmerksam machen, wenn die Materie, aus der das Volk entsteht, die heranwachsende Jugend, mit so und so viel Fehlern belastet ist.

Es ist ein zynischer Ausspruch, aber er ist wahr. Wenn man manchmal untereinander ist, so sagt man: "Was soll man mit dem und dem machen, der müßte sich umzeugen lassen." Bei diesen Menschen ist Hopfen und Malz verloren, man kann nicht viel mit ihm anfangen, man päpelt ihn weiter auf, er müßte sich umzeugen lassen, er müßte neu, geschaffen werden. Dann würden diese Mittel, die wir für die soziale und individuelle Hygiene ausgeben, zur vollen Wirkung kommen.

Aus mittelmäßiger Materie kann ich durch hygienische Maßnahmen eine sehr vollwertige machen, da dürfen Geldmittel keine Rolle spielen. Man hat für die Ertüchtigung des Volkes beim Militär viele Milliarden übrig. Dieses eine kann man dem Militär zugute halten, daß die Leute das ganze Jahr an der frischen Luft sind, daß sie Körperübungen machen und turnen müssen und sonstigen Sport betreiben, das ist das Einzige, was wir beim Militär als Gutes finden können. Denn daß es zur Verteidigung des Staates dient - Sie wissen, wie wir darüber denken und ich glaube, daß auch die Èechen sich keinen Illusionen hingeben, sonst hätten sie keine solche Furcht vor der Spionage, denn, dann wenn ich meines Heeres sicher bin, dann brauche ich mich vor ein paar Falouten nicht zu fürchte, die etwas verraten. Für solche Zwecke hat man also Milliarden übrig und für Zwecke der Aufklärung hat man nichts. Es ist gewiß minimal, was das Gesundheitsministerium für solche Zwecke aufwenden darf und kann. Aber da müßte einmal mit den regierenden Kreisen eine Aussprache gepflogen werden: Was will man? Will man ein Kulturstaat, fortschrittlich sein, will man das in Wirklichkeit beweisen, was man zum Schein zu sein vergibt, dann gehe man die Sache an. Wenn man das Gesundheitsministerium hat, dann wende man nicht bloß zur Propaganda große Mittel auf, oder um Sokolfeste oder sonst etwas groß aufgemacht aufzuziehen oder man gibt auch natürlich für gute Zwecke etwas aus, etwa für einen Sportplatz, eine Schwimmanstalt. Für deutsche Gegenden gibt man sehr wenig, ob man in èechischen Gegenden anders ist, weiß ich nicht. Aber man wende endlich einmal größere Mittel an, man verlange sie einfach und man wird des Großteils der Volksvertreter sicher sein. Wenn man vor die Volksvertretung hintritt und sagt, wir brauchen für diese und diese Zwecke so und soviel Millionen, wird man wahrscheinlich die Volksvertretung gegen den Finanzminister auf seiner Seite haben. Es wären auch nicht gar so viele Millionen notwendig. Die Aufklärungsarbeit kann auch so gefördert werden, daß man diejenigen Leute, die das schon freiwillig tun, wenigstens unterstützt, daß man Vereinigungen, die das freiwillig auf sich genommen haben ausgiebiger unterstützt, es bedarf nicht wieder eines neuen Gesetzes, um die Ärzte zu beauftragen, sie haben Vorträge in den Schulen in jedem Jahre zu halten, in den Volksbildungsausschüssen u. s. w. Das alles hat keinen Sinn. Man nehme vielmehr Prämien und gebe den Leuten, die so und soviel Vorträge gehalten haben eine Prämie zum Geschenk. Das wird sie aneifern. Aber nur nicht sie zwingen. Dem Zwang gehorcht man nicht gern man vermeidet direkt, dem Zwang zu gehorchen. Aber dem Anreiz widersteht man nicht so leicht.

Dann müßten die Ärzte mitarbeiten bei allen großen hygienischen Maßnahmen, ihre Mitarbeit müßte vielmehr in Erscheinung treten. Bei der Städtebauberatung, bei der Anlage von Wasserleitungen, beim Straßenbau, bei der Arbeits- und Kinderhygiene, der Wohnungshygiene der Arbeiterschaft u. s. w. Dazu müßten überall ärztliche Fachleute mitherangezogen werden. Man würde dadurch auch einen Teil des Überschusses der heranwachsenden Ärztegeneration ableiten auf die halbamtliche vorbeugende Hygiene und ärztliche Tätigkeit. Wenn schon die Chinesen so gescheit sind, daß sie sagen, sie bezahlen ihren Arzt jährlich dafür, daß er dafür sorgt, daß sie in dem Jahre nicht krank werden, während wir unsere Ärzte nur bezahlen, wenn wir krank werden und wenn uns der Arzt heilt - wo schon die Chinesen so gescheit waren, um wieviel gescheiter sollten wir in diesem Staate, im Herzen Europas sein und sollten für solche Zwecke, die Geldmittel bereitstellen und die Ärzte dafür bezahlen, daß sie das Volk gesund erhalten, als daß sie sie in die Krankenkassen stecken und sie wieder gesund machen lassen. Bei den Methoden der Krankenkassen, bei diesen bürokratischen Methoden, die durch Beamte, die eine so große Befähigung dazu haben, ausgeübt werden - ein jeder von Ihnen, es sind nur so wenige da, wenn alle Bänke besetzt wären, könnte ein jeder von den Abgeordneten Beispiele aus seinem Bezirke anführen, was für Beamte in solchen Institutionen oft maßgebend sind. (Posl. dr Schollich: Dafür haben sie die Parteilegitimation!) Das habe ich nicht untersucht, ob das damit zusammenhängt. Wenn der Ärztestand in Zukunft nicht verproletarisieren, sondern in sein em Niveau durch Maßnahmen, wie ich sie vorgeschlagen habe, gehoben werden soll, ist notwendig, auch für seine Bildung das höchste zu tun, was geleistet werden kann. Da haben wir im Laufe der Debatte so manches gehört, was uns traurig gestimmt hat.

Im Gesundheitsausschuß wurde ein Fünferausschuß eingesetzt. Wir Deutschen sind ja das fünfte Rad am Wagen. Wenn man sich dort um das Wort meldet, so überhört einen der Vorsitzende, oder er hört nur halb hin. Man versteht ihn nicht, übersetzt wird nichts, man muß sich an einen Kollegen wenden; ich habe mich an den Koll. Schmerda gewendet, er hat mir das allernotwendigste übersetzt, sonst hätte ich oft gar nicht gewußt, was man verhandelt. Dieser Fünfer-Ausschuß sollte die Mißstände in den Krankenhäusern untersuchen. Es war ausgemacht worden, am Montag, also gestern vor acht Tagen, diese Expedition zu unternehmen. Ich fuhr Sonntag abend nach Prag, eigens damit ich dabei sein kann. Es ist einmal gesagt worden, es kann sich jeder anschließen, der Lust hat. Nun, ich war einer von denen, die Lust hatten. Ich kam vor zwei Uhr ins Parlament, ich erkundigte mich, ich holte Information ein, von wo aus diese Expedition gehen wird, es war aber nichts zu erfahren. Wir telephonierten an den Obmann des Gesundheitsausschusses. Auch nichts. Im Gesundheitsministerium erfuhr ich auch nichts. Kurz, ich ging nach drei Uhr weg, und es war nichts. Nachher habe ich gehört, daß die Expedition am Mittwoch in die Kliniken hinausgegangen ist. Es hätte mir als deutschem Arzt sehr viel darangelegen mit zu sein, obgleich ich ja die Zustände kenne. Das nur zur Aufklärung, wie manchmal vorgegangen wird.

Wie die Kliniken hier beschaffen sind, können wir schon daraus ersehen, daß im Jahre 1886 der ehemalige österreichische Unterrichtsminister Gautsch, der in Prag war, sagte, es sei ein Skandal, wie das Krankenhaus ausschaut. Ich habe hier studiert und seit der Zeit ist es nicht viel anders geworden. Nicht wesentlich anders. Der Krankenstand ist größer, infolgedessen die Gebäude größer und neue angebaut, aber im wesentlichen sind die Zustände die gleichen geblieben. So kann man, das nicht forführen und so wird es auch nicht gehen, wenn Kompetenzstreitigkeiten entstehen, das Krankenhaus dem Lande gehört die Kliniken dem Unterrichtsministerium, und das Gesundheitsministerium hat womöglich überhaupt nichts zu sagen, weiß wirklich nicht, wie die Sache steht. An solchen bürokratischen Künsten darf nicht das Wohl der Lehrenden, der Lernenden und am wenigsten das der Behandelten Schaden leiden. Das darf nicht weiter geduldet werden, und ich hoffe, daß durch diese Debatte das Gewissen der Regierenden, sowohl des Staates wie des Landes, als auch aller sonstigen Faktoren, die mitzureden haben, wachgerüttelt und darüber nachgedacht werden wird, Pläne ausgearbeitet werden, wie diesem Übelstande abgeholfen werden kann.


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