Was zunächst geschehen müßte, ist, daß die
Landesanstalt aus der Umklammerung der Kliniken hinauskäme,
auf das Land, daß sie modern eingerichtet werde; das mindeste
wäre ein Aufbau der Klinik und eine moderne Einrichtung,
wenigstens aber eine Aufstockung des Gebäudes. Die Herren
Professoren haben das Wort ergriffen, sie haben ihre Pflicht erfüllt,
aber nicht ihre ganze Pflicht. Die Herren Professoren hätten
mehr sagen müssen. Sie hätten auf das materielle Leid
der Krankenpflegerinnen hinweisen müssen, auf die Bezahlungs-
und Besoldungsverhältnisse derselben, auf den Skandal, daß
Krankenpflegerinnen Monate lang warten müssen, um zu ihrem
kärglichen Gehalt zu kommen. Sie hätten auf den Skandal
der Ernährung der Krankenpflegerinnen hinweisen müssen,
auf den Umstand, daß durch die Raumnot vier und fünf
Krankenpflegerinnen in einem Raum zusammengepfercht sind, d. h.,
daß diejenigen, die nach einem schweren, mühevollen
Tag einige Stunden Schlaf und einen Augenblick Erholung suchen,
daß diejenigen, die Nachtdienst haben, den Schlaf nicht
finden können. Die Professoren hätten ein Wort mehr
sagen müssen, sie hätten auf die Notlage der Spitäler
und Krankenanstalten auf dem Lande hinweisen müssen. Wenn
auch heute das Krankenhauswesen auf dem Lande eine höhere
Stufe erlangt hat als im alten Österreich, so ist dieser
Umstand nicht der Regierung zu verdanken, sondern lediglich dem,
daß nach dem Umsturz Tausende und Tausende von Menschen,
die bisher von der Gemeindeverwaltung ausgeschaltet waren, nun
in diese und auch in die Bezirke eingezogen sind und diesem ihnen
ganz neuen Aufgabenkreis ein tiefes Interesse und Verständnis
entgegengebracht haben. Erst einer späteren Zeit wird es
vorbehalten sein, diese wundervolle Tatsache auch gebührend
zu achten. Die Regierung ist diesen Menschen nicht zur Hilfe gekommen,
denn die Sanitätssteuer reicht bei weitem nicht hin, um unser
Krankenhauswesen etwa auf die Höhe zu bringen, die die moderne
Entwicklung der Wissenschaft fordert. (Posl. Grünzner:
Wird so geachtet, daß sie die soziale Fürsorge drosselt
und vernichtet!) Die Regierung es ist so, wie es Genosse Grünzner
sagt - hat diesen Menschen nicht geholfen, ist ihnen nicht zu
Hilfe gekommen, sondern sie hat durch das Verbrechen des Gemeindefinanzgesetzes,
das die sozialhygienische Tätigkeit der Gemeinden und Bezirke
nahezu unterbindet, diesen Leuten Prügel vor die Füße
geworfen.
Nach einer 10-jährigen Tätigkeit, Untätigkeit -
ich habe mich nur versprochen - nach einem 10-jähriggen Winter-
und Sommerschlaf sind uns nun auf einmal die beiden Gesetze, so
paradox es klingen mag, überstürzt in das Haus geworfen
worden. Gestatten Sie mir, daß ich zu der Geschichte dieser
Überrumplung und Überstürzung auch einige Worte
sage. Es war einen Tag unmittelbar vor Pfingsten, als die Einladungen
an die Mitglieder des Gesundheitsausschusses versandt wurden,
der Ausschuß sollte sich einen Tag nach den Pfingstfeiertagen
am Diensttagmorgen versammeln. Ich bin überzeugt, daß
es schon technisch nicht möglich war, daß die Einladungen
alle Ausschußmitglieder erreichen, und sie waren auch wirklich
nicht da. Eine Anzahl war da, aber das waren Mitglieder der Oppositionsparteien,
die Mitglieder der Koalitionsparteien zumeist gefehlt, und so
ist es gekommen, daß nach stundenlangem Warten der Vorsitzende,
trotzdem der Ausschuß zahlenmäßig beschlußfähig
war, entgegen der Geschäftsordnung, den Ausschuß einfach
vertagte. In einigen Tagen haben wir uns im Ausschusse versammelt
und nun war auch nach Ansicht des Vorsitzenden der Gesundheitsausschuß
beschlußfähig und hat getagt. Aber mitten in der Generaldebatte
wurde ein Subkomitee gewählt, eine Sitzung des Subkomitees
einberufen, und in der nächsten Sitzung des Gesundheitsausschusses
hatte ich - ich war just mitten in der Generaldebatte in meiner
Rede unterbrochen worden - das Vergnügen, auf einer meiner
Meinung nach ganz veränderter Diskussionsgrundlage meine
Rede fortzusetzen. Ich glaube, auch wenn wir hier an allerhand
gewöhnt sind, das war doch ein Übermaß an Verletzung
der Geschäftsordnung, an Verletzung Demokratie.
Wenn wir uns nun fragen, warum dieses Übermaß? Des
Rätsels Lösung liegt nicht fern. Der parlamentarische
Betrieb, die parlamentarische Maschinerie hat sich totgelaufen.
Das Parlament braucht Arbeit, und doch sieht die Regierung in
jeder neuen Vorlage eine große Gefahr, große Konfliktsmöglichkeiten,
vielleicht tötlicher Art, und darum haben sich die Koalitionsparteien
auf diese Vorlage gestürzt, über deren Inhalt vielleicht
auch die "Osmièka" einer Meinung ist, darum die
überstürzte Behandlung der beiden Vorlagen. (Posl.
Hackenberg: Um nach außenhin einen Parlamentarismus zu zeigen!)
Man muß den Parlamentarismus vortäuschen.
Nun haben wir die Vorlagen vor uns und wir haben uns mit ihnen
zu beschäftigen. Eine Reihe von Bestimmungen, die die Ärzte
und die Bevölkerung brauchen würden, enthalten die Vorlagen
nicht, was sie darüber enthalten, ist von Übel. In der
Vorlage steht z. B. nichts, unter welchen Umständen von einem
Arzt ein operativer Eingriff an einem Ohnmächtigen vorgenommen
werden kann, der früher diese Einwilligung dazu nicht gegeben
hat. In der Vorlage steht z. B. nichts über die Unterbrechung
der Schwangerschaft bei medizinischer Indikation, die bisher nicht
erlaubt war. Es ist nicht überall so wie bei uns. In Deutschland
ist die Unterbrechung der Schwangerschaft bei medizinischer Indikation
erlaubt. Wir werden neuerlich, wenn auch nicht im Zusammenhang
mit diesem Gesetz, den Antrag einbringen, daß bei medizinischer,
bei eugenischer und sozialer Indikation die Unterbrechung der
Schwangerschaft straffrei zu sein habe. Nicht weil wir glauben,
daß die Unterbrechung der Schwangerschaft schlechthin etwas
sei, wofür wir uns einsetzen sollten. Durchaus nicht. Wir
selbst wissen, daß eine Unterbrechung der Schwangerschaft
im allgemeinen immer ein brutaler Eingriff, immer unrationell
ist. Rationell ist nur die Vorbeugung der Schwangerschaft. Auch
dafür begeistern sich unsere Herrschaften nicht. Es ist nicht
überall so wie bei uns. In Holland werden von öffentlichkeitswegen
im ganzen Lande Vorträge gehalten, wie der Schwangerschaft
vorzubeugen sei, Beratungsstellen eingerichtet, und doch ist heute
Holland das Land, welches zwar die geringste Anzahl der Geburten
hat, aber auch die geringste Anzahl der Kindersterblichkeit. Denn
bei einer gesunden Bevölkerungspolitik kommt es nicht darauf
an, wieviel Kinder geboren werden, sondern daß die geborenen
auch aufgezogen werden. Es ist nicht überall so wie bei uns.
In England drüben hat schon im Jahre 1926 im House of Lords,
im englischen Oberhaus der Lord Bookmaster, ein Hochadeligerr
den Antrag eingebracht, daß den sozialen Körperschaften
erlaubt werden solle, verheiratete Frauen darüber aufzuklären,
wie der Schwangerschaft vorzubeugen sei. Dieser Antrag ist angenommen
worden. Dieser Adelige, dieser fromme Mensch hat gesagt, daß
ihn nur die Hochachtung vor der. Heiligkeit des Lebens zu seinem
Antrag gebracht hat. Ich denke, es müßte ein wenig
auch unseren Herren von gestern, dem Herrn Minister Tiso,
klar werden, daß der Bewegung für die bewußte
Geburtenregelung ein tiefer sozialer und ethischer Ernst innewohnt.
Wie oberflächlich die Gesetze gemacht wurden, davon überzeugen
die §§ 5 und 8. Der § 5 sagt, daß ein Professor
der Medizin im Ruhestande, der aus dem Auslande berufen worden
war, die Privatpraxis in der Èechoslovakei nicht ausüben
dürfe, wenn er nicht mittlerweile die èechoslovakische
Staatsbürgerschaft erreicht hat. Nirgends ist aber eine Gewähr,
daß er sie auch erhält. Das bedeutet in der Auswirkung,
daß er innerhalb der Èechoslovakei, wenn er die Staatsbürgerschaft
nicht erhalten hat, die Praxis nicht ausüben darf, wenn er
aber wieder in sein Vaterland heimkehrt, er die Pension verliert.
Im § 8 fehlt die Bestimmung einer Frist, binnen deren die
politische Behörde erster Instanz erklären muß,
daß sie die im Abs. 1 verlangte Erklärung als gegeben
erachtet. Es können dadurch Wochen vergehen, ehe der Arzt,
der seine Praxis ordnungsgemäß angemeldet hat, in den
Besitz der im Abs. 4 angeführten Bestätigung gelangt,
das heißt also, daß er wochenlang in seiner Existenz
außerordentlich geschädigt ist. Wo die Paragraphen
über rein formale, organisatorische Regelungen hinausgegangen
sind, haben sie den lebhaftesten Widerspruch der Ärzteschaft,
aber auch der Bevölkerung gefunden. Leidenschaftlich umstritten
waren besonders die sogenannten Mobilisierungsparagraphen 16 und
17. Sie sind im Ausschuß gestrichen worden, sie sollen aber
durch einen Koalitionsantrag in veränderter Form wieder auferstehen
und das ist an sich ein geschäftsordnungsmäßiger
Skandal, daß wir heute über Bestimmungen zu beraten
haben, die weder im Gesundheitsausschuß noch im sozialpolitischen
Ausschuß vorberaten waren. Nach dem Wortlaut des §
16 ist die Epidemiebereitschaft der Ärzte nicht in Verbindung
gebracht mit der Kriegsbereitschaft der Ärzte, aber meine
Damen und Herren, es ist natürlich ganz klar, daß im
Falle des Kriegsausbruches diese Organisation sofort in die Dienste
des Krieges gestellt würde. Die §§ 16 und 17 waren
darüber hinaus überflüssig. Die Epidemiebereitschaft
der Ärzte herzustellen, ist eine Angelegenheit der Behörden
und ist nicht schwierig durchzuführen. Wenn wir daran denken,
wieviel junge Ärzte es gibt, wieviel unbesoldete Ärzte
es gibt, wieviel ledige Ärzte es gibt, wieviel notleidende
Ärzte es gibt, ist es einem ganz klar, wenn man nur für
diese gefährliche und mühevolle Arbeit entsprechenden
Lohn verheißt und wenn man ihre Hinterbliebenen oder Geschädigten
nicht etwa mit einem Bettel abweist, wie das etwa im § 17
der ursprünglichen Vorlage geschieht, daß wir dann
die Epidemiebereitschaft hier haben werden. Die Ärzte haben
niemals versagt in Zeiten der Epidemiegefahr, es ist in der Geschichte
der Medizin nicht dagewesen, daß die Ärzte versagt
hätten. Dieser Paragraph ist also nicht nur überflüssig,
er ist auch aus einem anderen Grunde gefährlich. Er öffnet
einer willkürlichen Behandlung Tür und Tor, denn auf
Grund dieser Bestimmung ist es den Behörden ohne weiters
möglich, einen etwa aus politischen oder nationalen Gründen
mißliebig gewordenen Arzt gesundheitlich und in seiner Existenz
zu schädigen, ihn aber auch vielleicht für eine lange
Zeit aus seinem Wirkungskreis überhaupt zu entfernen.
Es ist für diese Gesetze symbolisch, daß sie in der
Beratung so nahe gerückt sind dem Gendarmeriegesetz. Geradezu
charakteristisch ist es für das Ärztekammergesetz, daß
die Disziplnarvorschriften weitaus den größten Raum
einnehmen.
Wir haben über die einzelnen Paragraphen in den Ausschüssen
gesprochen, wir legen auch heute unsere Abänderungs- und
Ergänzungsanträge vor. Im Einzelnen möchte ich
darauf hinweisen, daß es insbesondere vier Fehlerquellen,
vier Hauptmängel sind, die das Ärztekammergesetz zu
einer Unmöglichkeit machen. Der erste Hauptmangel ist, daß
sich das Gesetz aufbaut auf dem veralteten und antiquierten Begriff
der Standesehre. Ein zweiter Hauptmangel ist, daß die Mitwirkung
der Ärzte am Sanitätswesen nahezu ganz ausgeschaltet
wird, ein dritter Hauptmangel ist, daß die Vorlage blind
an den primitiven Erfordernissen der Demokratie vorübergeht,
der vierte Hauptmangel ist, daß die Vorlage blind an der
Tatsache vorbeigeht, daß in der Èechoslovakei nicht
eine einzige Nation lebt, sondern eine Anzahl von Nationen, daß
die Èechoslovakei kein Nationalstaat ist, sondern ein Nationalitätenstaat.
Ich werde im Einzelnen auf diese Hauptmängel noch zurückkomme.
Die Kammervertretung ist jenes Organ der Ärztekammer, welche
Träger aller ihrer Rechte und Pflichten ist, aber die Wahlen
in die Kammervertretung bestimmt das Ministerium, denn alle dahinzielenden
Worte in den Bestimmungen sind abgeschwächt durch das beigefügte
Wort "in der Regel" oder aber "womöglich".
Und wir, die wir das Ministerium für Volksgesundheit zu kennen
das Vergnügen haben, wir wissen, daß dem Ministerium,
wenn es will, alles möglich ist und wenn es nicht will, alles
unmöglich ist. Die bürokratische Bevormundung treibt
im Ärztekammergesetz direkt Blüten. Die Ärztekammern
sind einer Aufsichtsbehörde untergeordnet, diese Aufsichtsbehörde
hat die Ärztekammer zu kontrollieren. Diese Aufsichtsbehörde
kann die Ärztekammer auflösen, ist aber durchaus nicht
verpflichtet, etwa sofort für die Neuwahl der Ärztekammer
zu sorgen, sie ist, wie es hier heißt, lediglich dazu verhalten,
innerhalb dreier Monate die Neuwahlen für die Ärztekammer
vorzubereiten. Die wichtigsten Bestimmungen werden nicht im Gesetz
verankert, sondern der Durchführungsverordnung überwiesen,
z. B. die Wahlen. Die Wahlen werden vom Ministerium gemacht. Wie
sie gemacht werden, darüber schweigen die Bestimmungen. Kein
Wort der Sicherung dafür, daß die Wahlordnung eine
gerechte ist, kein Wort der Sicherheit dafür, daß das
Wahlverfahren ein gerechtes ist, kein Wort der Sicherheit dafür,
ob etwa das Proportionalverfahren aufgenommen ist, und darum bitte
ich Sie, meine Damen und Herren, unsere Abänderungsanträge
nach dieser Richtung anzunehmen.
Ich habe schon gesagt, daß die Vorlage ganz achtlos an der
Frage der Autonomie vorübergeht. Wir haben bisher in der
Slovakei und Karpathorußland keine Ärztekammer besessen,
wir haben sie nur in Mähren und Böhmen, aufgerichtet
auf der Basis der Sektionierung. Diese Einrichtung hat sich bisher
gut bewährt. Aber das paßt den Herrschaften nicht,
ein friedliches, ein sachliches Arbeiten paßt den Herrschaften
nicht, da müssen künftige Konfliktsmöglichkeiten
hineingetragen werden, da müssen künstlich Reibungsflächen
geschaffen werden. Wie sehr das Bestreben auch vonseiten unseres
Gesundheitsministeriums vorliegt, möchte ich an einem kleinen,
aber bezeichnenden Beispiel illustrieren. Wenn ein Staatsbeamter
oder ein Staatsbediensteter auf Grund des Heilfonds zum Kurgebrauch
nach Karlsbad kommt, erhält er zugleich mit der Bewilligung
zum Kurgebrauch auch ein Verzeichnis der in Karlsbad ordinierenden
und praktizierenden Ärzte, aber nicht etwa ein Verzeichnis
aller Ärzte, sondern lediglich das Verzeichnis jener Ärzte,
die èechoslovak scher Nationalität sind. Es ist bezeichnend,
daß es einer Regierung vorbehalten ist, in der Mayr-Harting
und Spina sitzen, mit diesem kärglichen Rest von Autonomie
restlos aufzuräumen. Ein Hauptfehler der Vorlage ist, daß
sie sich aufbaut auf dem ganz veralten Begriff der Standesehre.
Welch mittelalterliches Gespenst steigt da vor einem auf! Was
ist die Standesehre? Am Ende des Jahres 1928 ist vonseite des
Gesundheitsministeriums an die Verwaltung der Krankenhäuser
ein Erlaß, eine Mitteilung herabgelangt, daß verschiedene
Ärzte in privaten und staatlichen Anstalten vom Patienten
3. Klasse für besondere Leistungen Extrahonorare verlangt
hätten, und das Ministerium hat zugleich auf ein Gesetz aus
dem Jahre 1924, auf das sog. Spiritusgesetz, hingewiesen, das
derartige Handlungen mit großen Strafen bedroht. Wir haben
aber nicht gehört, daß etwa das Gesundheitsministerium
eingeschritten wäre, wir haben nicht gehört, daß
etwa die Ärztekammern sich an das Gesundheitsministerium
gewendet hätten, um die Namen jener anzuprangern, um vielleicht
jene vor Gericht zu bringen - etwa um der Standesehre willen.
Was ist das, Ehre? Eine gesetzliche Bestimmung auf einem so schwankenden
dehnbaren Begriff aufzubauen, ist von Übel. Auch der Begriff
Ehre ist umstritten. Jeder versteht unter diesem Begriff etwas
anderes. Der eine glaubt, er sei es der Ehre schuldig, sich vor
einem Rüpel, der ihn etwa gröblich beleidigt hätte,
unter der Einhaltung bestimmter Formalitäten sich totschießen
zu lassen. Einer hält es mit seiner Ehre vereinbar, etwa
als hoher Staatsbeamter Provisionsgelder zu nehmen und so die
Allgemeinheit zu schädigen; derselbe hält es aber vielleicht
mit seiner Ehre nicht vereinbar mit einem subalternen Beamten
gesellschaftlich zu verkehren. Was ist das Standesehre? Haben
etwa Ärzte eine andere Sorte von Ehre wie die Advokaten oder
aber wie die Schneider oder wie die Textilarbeiter oder die Juristen,
oder Goldarbeiter? Ich glaube nicht, daß sie es haben und
wenn wir nun einen solchen Begriff im Gesetz verankern würden,
dann würden wir für einen Stand ein Privilegium schaffen,
dann würden wir uns in strikten Widerspruch versetzen mit
den klaren Bestimmungen der Verfassung, die ausspricht, daß
Vorrechte, die aus der Geburt, aus dem Geschlecht und aus dem
Beruf stammen, zu beseitigen sind. Das ist Mittelalter. Aber das
ist nicht das ganze Mittelalter des § 1. Da ist noch ein
ganz anderes Stück Mittelalter, über das ich jetzt ein
wenig sprechen werde. Die Mitwirkung der Ärzte an dem öffentlichen
Gesundheitswesen, an der Gesundheitspolitik ist durch die Fassung
des § 1 nahezu ausgeschaltet, ganz im Gegensatz zur bisherigen
Regelung, ganz im Gegensatz zur Fassung des altösterreichischen
Gesetzes, das die Ärzte, wenn auch in ganz bescheidenen Formen,
aber doch in Anspruch genommen hat, bei Fragen des öffentlichen
Gesundheitswesens. Was sagt uns nun der § 1 inbezug auf den
Wirkungskreis der Ärztekammer? Er sagt gar nichts, er schweigt
sich aus. Das Gesundheitsministerium wünscht offenbar die
Mitarbeit der Ärzteschaft nicht. Das können die Bürokraten
ganz allein, die können es viel besser. Die Bevölkerung,
das Volk, die misera plebs und dazu gehören auch die Ärzte
- die haben zu zahlen und zu schweigen, wenn sie nicht gefragt
werden. Es ist nicht überall so wie bei uns. Wenn auch in
§ 19 von der Entsendung der Ärzte in die Sanitätsräte
die Rede ist, so ändert das an der Sachlage nichts, denn
die Kammer hat nach der klaren Bestimmung des § 1 nur über
eine abgegrenzte Anzahl von Dingen zu beraten und hat durchaus
keine Weisungen zu geben. Und wenn wir auch Stadt-, Land- und
Bezirksgesundheitsräte haben, so möchte ich dazu sagen,
daß diese Körperschaften heute gar nicht in Funktion
treten, und wenn sie tun, daß die Ärzte dort natürlich
nicht als Repräsentanten der Ärztekammer anzusprechen
sind. In Deutschland haben die Ärztekammern einen weiten
Wirkungskreis. Dort werden sie gefragt, dort wird ihre Meinung
eingeholt. Sie erheben aber auch spontan ihre Stimme. Bei uns
ist das nicht der Fall, bei uns werden sie zurückgewiesen
auf die Erledigung rein formaler Angelegenheiten, auf die Erledigung
ihrer Organisationsfragen, auf die Erledigung von Disziplinarfragen
beschränkt. Darüber hinaus wünscht man die Mitarbeit
der Ärzte nicht. Das sind Reste mittelalterlicher Standesanschauungen,
darin steckt geradezu zünftlerischer Geist. Der Aufgabenkreis
der Ärztekammern könnte und müßte in einem
fortschrittlichen Geiste erweitert werden, so wie es der Wichtigkeit
des ärztlichen Berufes gebührt. Die Ärzte müssen
als beratende Körperschaften in Fragen der Volksgesundheit
mitwirken, ihre Meinung müßte eingeholt werden, sie
müßten an den Gesetzen initiativ mitwirken, sie müßten
aber auch ihre Stimme warnend und kritisch erheben dürfen.
Das, was hier geschieht, ist keine Gegenwartsarbeit und viel weniger
noch ist es ein Schritt in die Zukunft hinein, in eine Zeit hinein,
in der der Sozialismus den Ärzten als den Trägern der
Volksgesundheit innerhalb der Volkswohlfahrt eine wichtige Funktion
zubilligt. Das ist keine Zukunftsarbeit, das ist keine Gegenwartsarbeit,
das ist Vergangenheitsarbeit. Jetzt, wo wir die Gesetze beraten,
heute, schon in der Stunde ihrer Geburt, gehören diese zwei
Gesetze in die geistige Rumpelkammer der Zeit. Wir werden gegen
dieses Gesetz votieren. (Souhlas a potlesk poslancù
nìm. soc. dem. strany dìlnické.)
Die in Verhandlung stehenden zwei Ärztegesetze, das ist das
Gesetz über die ärztliche Praxis und das Gesetz über
die Ärztekammern haben nicht nur ihre Bedeutung für
den ärztlichen Stand und die öffentlich-rechtliche Gesundheitspflege,
sondern müssen insbesondere bewertet werden vom Standpunkte
der Arbeiterschaft im kapitalistischen Staate. Denn das Ziel der
kapitalistischen Gesellschaftsordnung ist die Herauspressung von
Profiten aus der Arbeiterklasse. Der Arbeiter ist einfach das
Bereicherungsmittel für den Kapitalisten, und wird dieses
lebendige Werkzeug unbrauchbar, schlecht oder überflüssig,
wurde es wie eine Zitrone ausgepreßt, dann wird es erbarmungslos
weggeworfen. Das Elend der Arbeitslosigkeit, Krankheit, Alter,
Invalidität, nichts wird berücksichtigt, riesige Massen
werden über Bord geschleudert, ohne die geringste Beunruhigung
des Gewissens, das sich nur dann rührt, wenn die Kapitalistenklasse
und deren Einrichtungen gefährdet werden und ins Wanken geraten.
Wenn wir von diesem Gesichtspunkt aus die Sozialpolitik und die
gesetzlichen Vorkehrungen der kapitalistischen Regierungen betrachten,
ist es für die Arbeiterschaft klar, daß alle diese
Maßnahmen nicht im Interesse der arbeitenden Schichten,
sondern nur zum Schutze der kapitalistischen Klasse und zur Erhaltung
der privatkapitalistischen Wirtschaftsordnung, d. h. der Ausbeutung,
erfolgen. Alle Sozial- und Gesundheitspolitik muß in der
mörderschen Wirtschaftsordnung zum Hohne werden, da täglich,
ja stündlich tausende schaffende Menschen durch unerhörte
Ausbeutung und Rationalisierung an ihrem Leben, ihrer Gesundheit
und Existenz bedroht sind und zu Krüppeln geschlagen werden.
Mit einigen gesetzlichen Bestimmungen und der privatlichen Wohltätigkeit
versucht die Kapitalistenklasse die Schattenseiten ihrer Wirtschaftsordnung
zu überbrücken und auszugleichen, aber alle Versuche
müssen scheitern an der maßlosen Ausbeutung und Profitsucht
des Kapitalismus. Wir sehen den unerhörten Raubbau an Arbeitskraft
und Gesundheit durch die immer schärfer werdende Ausbeutung
und Rationalisierung in den Betrieben und Werkstätten. Wir
sehen, daß die Unglücksfälle sich mehren und alle
Gesetze, die in diesem Hause gemacht werden, nicht danach angetan
sind, diesem mörderischen System auch nur ein wenig Einhalt
zu tun. Aus den spärlichen Statistiken, die uns zur Verfügung
stehen, ist das unaufhörliche Steigen der Unfälle infolge
der Rationalisierung zu erkennen. So sind von hunderttausend Versicherten
jährlich verunglückt im Jahre 1920 1.289, im Jahre 1921
1.529, im Jahre 1922 1.732, im Jahre 1923 1.759, im Jahre 1924
1.721, im Jahre 1925 1.765 und im Jahre 1926 1.798. Daraus ist
zu ersehen, daß die Zahl der Verunglückten in den Betrieben
jährlich steigt und alle getroffenen Vorkehrungen an den
Folgen der Ausbeutung und Rationalisierung wirkungslos abprallen.
Der Raubbau an der Arbeitskraft und Gesundheit steigt von Tag
zu Tag und ist diese Wirtschaftsordnung nicht imstande, seiner
Herr zu werden. Auch die Berufskrankheiten fordern alljährlich
immer mehr Opfer. Es ist außer Zweifel, daß der Arbeiterschutz
in den kapitalistischen Staaten nicht so beschaffen ist, wie er
erforderlich wäre. Wir sehen fast keinen Schutz der arbeitenden
Frauen, der Kinder und Jugendlichen. Die sanitären Einrichtungen
in den Betrieb sind sehr mangelhaft und schlecht richte die gesetzlichen
Bestimmungen werden eingehalten und dann müssen naturnotwendig
die Folgen dementsprechend sein. Der gesetzlich festgelegte Achtstundentag
wird durchbrochen und in großem Ausmaß werden Überstunden
gemacht. So wurden im ganzen Jahre 1928 mehr als 15 Millionen
Überstunden geleistet. Davon entfallen auf den Jänner
859.868, Feber 1,117.814, März 1,183.987, April 907.262,
Mai 1,161.595, Juni 1,122.105, Juli 1,258.049, August 1,524.495,
September 1,351.309, Oktober 1,859.068 und den November 1,582.509.
Alle diese Überstunden wurden von den Behörden bewilligt
und dabei ist in der Aufstellung keine Rücksicht darauf genommen,
wieviel Überstunden ohne behördliche Bewilligung geleistet
wurden. Aus dieser Überstundenzahl gehen die erhöhte
Rationalisierung und verschärfte Ausbeutung hervor. Durch
Überstunden sowie die mangelhafte Fürsorge der arbeitenden
Frauen, Kinder und Jugendlichen wird die Gesundheit der arbeitenden
Menschen untergraben und die Arbeiter den Gefahren der Berufserkrankungen
und der Unfälle ausgesetzt. Wir wissen, daß natürlich
nicht nur das hier Angeführte die Ursache aller Erscheinungen
ist, die wir tagtäglich in den Betrieben sehen und die wir
aus den Statistiken der Sozialversicherungsanstalten entnehmen,
sondern das sind nur die Folgen der Methoden der kapitalistischen
Wirtschaftsordnung. Wir wissen, daß der Staat, die Regierung
und die kapitalistische Klasse gar kein Interesse daran haben,
diese traurigen Verhältnisse irgendwie abzubauen oder abzuändern,
weil in dem Augenblick des Abbaues gleichzeitig ihr eigenes Ausbeutungssystems
gefährdet wird. Die unzulänglichen Urlaube sind nicht
darnach angetan, daß der arbeitende Mensch in die Lage kommt,
seinem Körper der tagtäglich, jahraus, jahrein ausgeschunden
und ausgemergelt wird, die notwendige Ruhe und Erholung zu geben.
Wir wissen, daß insbesondere die Frauen am schwersten betroffen
sind, daß für Mutterschutz nicht gesorgt wird; daß
die Gewerbeinspektorate nicht jene Aufgaben erfüllen, die
ihnen nach dem Gesetze zukommen, daß sie vielmehr ausweichen
und den Schlendrian und die fürchterlichen Zustände
in den Fabriken nicht sehen wollen, die zu beseitigen sie eigentlich
berufen wären. (Posl. Haiblick: Im Gegenteil, sie leugnen
ab!) Sehr richtig, geleugnet wir, und wenn die Arbeiter durch
ihre Organisationen intervenieren, wird dem nicht Folge geleistet.
Außer der Ausbeutung in den Fabriken, wo die Gesundheit
und das Leben der Arbeiter bedroht wird, spielt auch die Wohnungsfrage
eine gewaltige Rolle. Der Arbeiter, der täglich in stinkigen
Lokalen und Betrieben gezwungen ist, seinem Erwerbe nachzugehen
um das Stückchen Brot zu verdienen, findet, wenn er nach
Hause kommt, nicht jene Ruhe und Ordnung, die als Ausgleich der
Berufsarbeit notwendig wäre. Wenn ein Staat, auch der kapitalistische,
eine gute Gesundheitspolitik machen will, so kann das nicht mit
solchen Gesetzen bewerkstelligt werden, wie dies bei den zwei
in Verhandlung stehenden Gesetzen versucht wird, wobei, wie der
Herr Berichterstatter Matoušek sagte, nur ein Kompromiß
zwischen den Staatsinteressen und den öffentlich-rechtlichen
Gesundheitsinteressen herauskommt. Kompromisse werden gemacht,
um es sich nicht mit den Ärzten zu verscherzen, und werden
daher die Interessen der öffentlichen Gesundheitspolitik
preisgegeben. Eine gute Gesundheitspolitik kann nur gemacht werden,
wenn der Kampf um eine kürzere Arbeitszeit, um einen höheren
Lohn und um den Ausbau der sozialpolitischen Einrichtungen und
die Durchsetzung der Forderungen der Arbeiterschaft geführt
wird. Wir sind überzeugt, daß im kapitalistischen Staat
jede Gesundheitspolitik und ihre Vorkehrungen nur kleine Mittelchen
sein können. Nur wenn es gelingen wird, die privatkapitalistische
Wirtschaftsordnung zu beseitigen und an ihre Stelle den Arbeiterstaat,
die Diktatur des Proletariats aufzurichten, können im Interesse
der Arbeiterschaft jene Vorkehrungen getroffen werden, die der
arbeitende Mensch zu seinem Leben und zu seiner Existenz braucht.
Es ist zweifellos notwendig, daß im proletarischen Staate
- in der kapitalistischen Wirtschaftsordnung können wir gar
nicht daran denken, weil dadurch ihre Grundfesten erschüttert
würden - alle medizinischen Unternehmungen, wie Apotheken,
Sanatorien, Bäder, Heilanstalten, durch öffentliche
Fonds unterstützt und nationalisiert werden zum Wohle der
arbeitenden Menschen, in deren Dienst sie gestellt werden, nicht
in den Dienst der Bourgeoisie, die die Möglichkeit hat, sich
vom Nichtstun zu erholen, sondern in den Dienst der Arbeiter,
die, wie ich gezeigt habe, tagtäglich in der Berufsarbeit
an ihrer Gesundheit aufs schwerste gefährdet werden und deren
Kraft ausgebeutet wird. Erste Bedingung für eine wirkliche
Gesundheitspflege ist die unentgeltliche Heilfürsorge, die
wir aber hier nicht finden. Es wird wohl gesagt, daß Unternehmer,
der Staat, die Krankenversicherungsanstalten, alle möglichen
Institute, die Heilfürsorge für die Arbeiter pflegen
sollen, in Wirklichkeit ist es aber so, daß der Arbeiter
selbst durch seiner Hände Arbeit alle Kosten aufbringen muß.
Im kapitalistischen Staate können wir heute noch nicht von
der Verstaatlichung der Ärzte sprechen. Ohne Zweifel hat
der Arzt in der Gesellschaftsordnung eine besondere Stellung.
Wir begreifen, daß der Arzt schon jetzt nicht Privatperson,
sondern dazu da ist, den Kranken und Mühseligen zu helfen
und sie der Gesellschaft wieder zurückzugeben. Wir wissen,
daß der Arzt auch im kapitalistischen Staate mit Sorgen
zu kämpfen hat, was für ein schwerer Konkurrenzkampf
infolge der Überproduktion an den Universitäten tobt.
Den Ärzten kann aber nicht durch das Gesetz über die
ärztliche Praxis und durch das Ärztekammergesetz geholfen
werden, sondern nur dadurch, wenn der Staat die volle Verpflichtung
übernimmt, allen kranken Menschen, die in der kapitalistischen
Welt unbrauchbar geworden sind, die Heilfürsorge angedeihen
zu lassen und die Ärzte dementsprechend zu honorieren. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda Horák.)