Meine Damen und Herren! Ein altes deutsches
Sprichwort sagt: "Gut Ding braucht Weile." Wenn man
diesen Spruch auf den zur Beratung stehenden Gesetzesvorlagedruck
Nr. 1938 über Zweck und Errichtung von Hilfsschulen (-Klassen)
anwenden wollte, müßte man zur Meinung kommen, daß
das neue Gesetz gut geraten sein muß, da es bis zur parlamentarischen
Behandlung immerhin 7 volle Jahre brauchte. Schon im Jahre 1921
legte ich namens des parlamentarischen Schulausschusses im Abgeordnetenhause
einen Antrag über Herausgabe eines Hilfsschulgesetzes vor,
der unter Druck Nr. 2082 aufgelegt wurde. Dieser Entwurf stammte
vom Verbande "Deutsche Hilfsschule" in der Èechoslovakei
mit dem Sitze in Reichenberg und war in seinen Richtlinien auf
der gründenden Versammlung dieses Verbandes im Jahre 1920
in Brüx beschlossen worden. Bei einer Vorsprache dieses deutschen
Verbandes mit dem èechischen Hilfsschulverein und dem èechischen
Schwachsinnigenfürsorgeverein machte der
damalige Minister für Schulwesen und Volkskultur Dr. Šusta
die Zusage, daß das Hilfsschulwesen ganz im Sinne der vorgelegten
Denkschrift in der kürzesten Zeit erledigt werden wird. Richtig
ist, daß damals ein Regierungsentwurf zur Ausarbeitung kam,
der sich an die wichtigsten Forderungen dieser Verbände anlehnte
und als gut und brauchbar bezeichnet werden muß. Er hatte
nur den Fehler, daß er im Abgeordnetenhause nicht zur Behandlung
vorgelegt wurde. Minister Dr. Šusta trat ab, andere
Herren Minister kamen im Wechsel der Jahre und der Regierungen.
Jeder neue Minister versicherte immer wieder bei Vorsprachen,
daß er ehestens den Gesetzentwurf über das Hilfsschulwesen
vorlegen werde, ohne allerdings selbst diesen Zeitpunkt im Amte
zu erleben. Auch dem ersten Regierungsentwurf folgten noch mehrere,
die leider nicht besser, sondern immer schlechter wurden. Dabei
hätte man es ohne Arbeit leicht gehabt, einen vorzüglichen
und modernen Entwurf vorlegen zu können, wenn man einfach
den vom "Verbande deutscher Hilfsschulen" ausgearbeiteten
Gesetzesantrag Druck Nr. 2082 zu dem seinen gemacht hätte.
Was uns heute vorliegt, ist nicht vielleicht trotz langen Wartens
besonders gut geraten, sondern ein allgemein wenig brauchbares
Flickwerk verschiedenster Ansichten und Meinungen, das eigentlich
von Haus aus und im ganzen wegen seiner vielen Fehler und Mängel
abgelehnt werden müßte, wenn man nicht fürchten
müßte, damit wieder eine Verzögerung von vielen
Jahren herbeizuführen. Etwas Schlechtes ist vielleicht in
diesem Fall immerhin besser als gar nichts, weil es doch die Möglichkeit
bietet, wenigstens auf dieser Grundlage weiter zu bauen und unermüdlich
zu verbessern. So ruft dieser Regierungsantrag schon jetzt
bei seiner Gesetzwerdung nach der Novellierung, die hoffentlich
nicht lange auf sich warten lassen wird. Traurig und bedauerlich
genug, daß die Èechoslovakei nicht gleich etwas Erstklassiges
schaffen kann, das anderen Staaten zum Muster
dienen könnte, sondern wieder nur wie bei anderen Gesetzen
ein vielfach lächerliches und wenig nachahmenswertes Stümperwerk
in die Welt setzt.
Gerade aber der Gegenstand, die Errichtung
von Hilfsschulen für schwach befähigte Kinder, hätte
wegen seiner Bedeutung die aufmerksamste und großzügigste
Behandlung durch das Schulministerium erfordert. Über die
Notwendigkeit und Wichtigkeit solcher Schulen und Schulklassen
braucht man wohl heute nicht viel Worte zu verlieren, dank der
aufklärenden Arbeit, welche der "Verband deutscher Hilfsschulen"
mit seinem unermüdlichen Obmanne Marschas in den letzten
Jahren geleistet hat. Das auf dem 8. Verbandstag am 2. und 3.
Juli 1928 in Brünn gehaltene Referat des Herrn Hi!fsschullehrers
Hudl-Aussig hat in vorzüglicher Weise alles darauf Bezughabende
zusammengetragen.
In der Èechoslovakei gibt es Tausende
schwachbefähigte Kinder, welche das Lehrziel der Volksschulen
nicht erreichen Sie treten, vielfach mit 14 Jahren aus den untersten
Klassen der Volksschule aus, ohne sich die Kenntnisse und Fähigkeiten
erworben zu haben, welche der unerbittliche Lebenskampf an sie
stellt. Da sie in der Volksschule nie zu einer planmäßigen
Arbeit angeleitet werden konnten, sind sie meist arbeitsunfähig
und arbeitsunlustig und fallen somit später der Familie,
der Gemeinde und dem Staate zur Last. Millionen und Millionen
kostet jährlich die Erhaltung von schwachbefähigten
Insassen in Arresten, Besserungsanstalten, Arbeits- und Zuchthäusern.
Großzügige Fürsorgearbeit erfordert, vorbauend
Hilfsschulen und Erziehungsanstalten für solche schwachsinnige
Kinder zu schaffen und damit Hunderte Menschen vor dem Versinken
ins Verbrecher- und Bettlertum zu retten. Die Errichtung solcher
Schulen und Anstalten macht sich durch die Ersparnisse weitaus
bezahlt, die sonst die Erhaltung solcher unglücklicher Wesen,
sei es in Form von Unterstützungsgeldern oder Anstaltsauslagen,
kostet.
Da der Besuch der Volksschule für solche
schwachsinnige Kinder für Kind und Lehrer verlorene Zeit
ist, sie außerdem einen Ballast für die Normalen und
Begabten bilden, ist die Zusammenfassung solcher Kinder in eigenen
Klassen und Schulen und die Unterrichtserteilung unter Berücksichtigung
der geistigen und körperlichen Entwicklung bzw. Defekte äußerst
segensreich. Die bisher in der Èechoslovakei, besonders
aber im Ausland und hier vor allem im Deutschen Reich gemachten
Erfahrungen rechtfertigen die Behauptung, daß durch diese
mühevolle Arbeit die wirtschaftliche, sittliche und intellektuelle
Rettung der Schwachsinnigen bis auf einen verschwindend
kleinen Prozentsatz verbürgt wird.
Die Hilfsschule ist somit, wie der Erfolg beweist,
ebenso eine Notwendigkeit wie die Normalschule. Zwischen beiden
Schulen ist nur ein Unterschied in den Zielen und in den Methoden.
Der Hilfsschulunterricht muß individualisieren und jedes
Kind nach seinen Schwächen und nach seiner Eigenart behandeln.
Daher ist ein zweckmäßiges und erfolgreiches Unterrichten
nur möglich, wenn die Schülerhöchstzahl möglichst
niedrig gehalten wird. Das Schulministerium hat gerade in der
Bestimmung der Schülerhöchstzahl mit 25 in einer Klasse
bewiesen, daß es ganz verständnislos dem Wesen der
Hilfsschule gegenübersteht. Zwar gelang es, im Senate bei
der Beratung des Gesetzes die Schülerzahl auf 20 in einer
Klasse herabzudrücken, doch wäre es gefehlt, anzunehmen,
daß damit viel gewonnen wurde. Wir verlangen im Interesse
eines gedeihlichen Unterrichtes bei normalen Volksschulen eine
Schülerzahl von höchstens 25 bis 30 Schülern, da
nur dadurch die Möglichkeit eines individuellen Unterrichtes
gegeben ist. In einer einklassigen Volksschule dürfen aber
höchstens 10, in der ersten Klasse der mehrstufigen Hilfsschule
höchstens 15 Kinder sein, soll nicht jeder Unterrichtserfolg
in Frage gestellt werden. Das alte Österreich zeigte wie
in vielem auch hier mehr Verständnis und setzte mit Ministerialerlaß
vom 7. Mai 1907 fest, daß einer Lehrkraft nicht mehr als
15 und nur in Ausnahmsfällen 20 Kinder zuzuweisen sind. So
zeigt sich auch hier ein bedauerlicher Rückschritt, der umso
bemerkenswerter ist, wenn man damit die Bestimmungen anderer Staaten
wie z. B. Österreichs, Deutschlands und der Schweiz vergleicht.
Das Ministerium für Schulwesen und Volkskultur
zeigt auch sonst, was die Arbeitsleistung der Hilfsschullehrkräfte
anbelangt, eine bemerkenswerte Unkenntnis bzw. Geringschätzung
dieser Tätigkeit. Während in anderen Staaten alle Sonderlehrkräfte
den Bürgerschullehrern gleichgestellt sind, wird ihre besondere
Arbeitsleistung in der Èechoslowakei durch eine Zulage
von 1500 Kè und nach zehnjähriger
Dienstzeit von 2100 Kè honoriert. 125 bis 175 Kè
im Monat mehr ist der lockende Lohn für die besondere aufreibende
Arbeit in solchen Schulen. Dabei werden außer der normalen
Lehrbefähigung besondere Fachprüfungen und Fähigkeiten
auf Grund eingehender Studien verlangt.
Wie die Entlohnung der èechoslovakischen Staatsbeamtenschaft
und Lehrerschaft im allgemeinen eine miserable und durchaus ungenügende
ist, so werden auch die Hilfsschulkräfte auf Gotteslohn vertröstet.
Die Gleichstellung mit den Taubstummenlehrern
in Bezug auf Gehalt, wie in Bezug auf die besonderen Zulagen ist,
da gerechtfertigt, ehestens vorzunehmen und eine Forderung meiner
Partei.
Auch sonst fordert noch manche Bestimmung des
neuen Gesetzes zur Kritik heraus. Während der Staat auf der
einen Seite durch das neue Gemeindefinanzgesetz den Gemeinden
ihre Einnahmen beschneidet und die Höhe der Gemeindeumlagen
festlegt, bürdet er ihnen auf der anderen Seite immer neue
Lasten auf. So schiebt er auch im vorliegenden Fall die Kosten
solcher Hilfsschulen einfach den Gemeinden zu, ohne sich darum
zu kümmern, wie diese bei dem heutigen Stande der Gemeindefinanzen
den Aufwand decken sollen. Aus dieser Bestimmung geht wohl mit
Klarheit hervor, daß es sich dem Staate mit diesem Gesetze
nicht darum handelt, möglichst viele neue Hilfsschulen zu
schaffen, da leider die wirtschaftliche Situation der Gemeinden
dies nicht zulassen wird. Und doch ist es in erster Linie Pflicht
des Staates, für solche schwachsinnige Kinder zu sorgen und
die Gemeinschaft vor den sozialen, sittlichen und wirtschaftlichen
Gefahren zu schützen, die geistig Minderwertige verursachen.
Statt alle Bestrebungen auf diesem Gebiete einheitlich und nutzbringend
zusammenzufassen, wird auch die Errichtung privater Hilfsschulen
begünstigt und damit eine planmäßige Zusammenarbeit
verhindert.
Es ist müßig, die einzelnen Bestimmungen
des Gesetzentwurfes eingehend zu beleuchten und vielleicht Abänderungsanträge
zu stellen, weil sie keine Aussicht auf Annahme haben und daher
zwecklos sind.
Ich brauche wohl nicht zu betonen, daß
die vom sozialpolitischen Ausschuß gefaßten Entschließungen
zum Gesetze aus dem sicheren Gefühle, daß das Gesetz
durchaus mangelhaft ist, hervorgegangen sind und daß man
mit diesen Entschließungen das Niveau des Gesetzes heben
wollte. Es steht wohl zu erwarten, daß diese Entschließungen
auch vom Abgeordnetenhaus angenommen und von der Regierung durchgeführt
werden. Von ganz einschneidender Bedeutung sind die drei ersten
Entschließungen: Die erste fordert die Regierung auf, Mittel
und Wege für eine angemessene entsprechende Fortbildung und
für eine berufliche Ausbildung der ehemaligen Hilfsschulkinder
zu finden. Wird dieser Forderung nicht entsprochen, so kann sich
auch das schönste Gesetz für Hilfsschulen nicht entsprechend
auswirken. Die zweite Entschließung ist für die Entwicklung
des Hilfsschulwesens außerordentlich wichtig Es ist eine
selbstverständliche Forderung, daß für Hilfsschulen
eigene Fachinspektoren angestellt werden, welche aus dem praktischen
Hilfsschuldienst hervorgegangen sind. Dies ist notwendig, damit
die Entwicklung des Hilfsschulwesens gleichförmig nach aufwärts
vor sich geht. Dazu nützt aber keineswegs nur theoretisches
Wissen und Können, das sich unsere ohnehin schwer überlasteten
Bezirks- und Landesschulinspektoren erwerben können. Und
ebenso wichtig ist noch die dritte Entschließung bezüglich
der Übernahme der Hilfsschulen laut § 20. Hier handelt
es sich um beschleunigte dauernde Anstellung der Hilfsschullehrkräfte,
welche schon 10 und mehr Jahre für den Hilfsschuldienst beurlaubt
sind, aber es handelt sich auch um die Vorbeugung eines Verfalles
der Hilfsschulen, welche durch das Gemeindefinanzgesetz sehr bedroht
sind.
Ich komme zum Schlusse. Das Gesetz bedeutet
also keine Verbesserung des jetzigen Zustandes, teilweise sogar
eine Verschlechterung, wobei die Besorgnis nicht von der Hand
zu weisen ist, daß auf Grund der höheren Festsetzung
der Kinderzahl sogar heute bestehende Hilfsschulklassen aufgelassen
werden können. Auch sonst enthält der Gesetzentwurf
zahlreiche Zweideutigkeiten und ungenaue Fassungen. Er müßte
daher von meiner Partei in seiner heutigen Fassung abgelehnt werden.
Trotzdem werden wir dafür stimmen, um überhaupt nur
erst einmal ein Hilfsschulgesetz zu schaffen, werden aber nicht
erlahmen, immer wieder auf die Mängel des Gesetzes hinzuweisen
und seine eheste Novellierung zu verlangen. (Souhlas
a potlesk poslancù nìm. strany národní.)
Hohes Haus! Gestern haben in der Èechoslovakei
Tausende und Abertausende Arbeiter und Arbeiterinnen für
ihre Forderungen demonstriert. Überall sind diese Demonstrationen
in voller Würde und Ruhe verlaufen. Nur in Marienbad gefiel
es der Staatspolizei, den würdigen Verlauf
der Demonstration dadurch zu stören, daß sie die Kinder,
die in Obhut und Obsorge ihrer Eltern an der Demonstration teilnahmen,
gewaltsam aus dem Zuge entfernt hat. Wir können das Vorgehen
der Staatspolizei nicht genug verurteilen, die sicherlich über
höheren Auftrag diesen Gewaltakt vollbracht hat. In diesem
Staat wird wie immer mit zweierlei Maß gemessen. Während
man z. B. bei Prozessionen am Fronleichnamstag die Kinder ruhig
mitmarschieren läßt, ihnen womöglich noch den
Schutz der Staatspolizei angedeihen läßt, entfernt
man bei unseren Demonstrationen die Kinder gewaltsam aus dem Zuge.
Wir erklären heute mit aller Energie, daß wir nicht
gewillt sind, uns in Zukunft in unsere Rechte, in unsere Elternrechte
eingreifen zu lassen.
Bevor ich mich mit dem Gesetz über die
Hilfsschulen selbst beschäftige, muß ich mich mit aller
Energie gegen den reaktionären Er laß des mährischen
Landesschulrates vom 20. Feber 1929, Z. 134 wenden. Dieser Erlaß
enthält Winke für die Durchführung des Qualifikationsverfahrens
und ist eine unerhörte Provokation nicht nur der Lehrerschaft,
sondern der gesamten freidenkenden Bevölkerung. Man erkennt
die Initiatoren und Inspiratoren des Erlasses, man erkennt den
Geist unserer Schulverwaltung. Die wenigen freiheitlichen Errungenschaften,
welche nach dem Kriege die Lehrerschaft erhielt, sollen wieder
abgebaut werden. Im alten Österreich war die Lehrerschaft
politisch und persönlich unfrei. Die dienstlichen Qualifikationen
wurden in vertraulichen Sitzungen durchberaten, das Wort "durchberaten"
in Anführungszeichen - und die Lehrpersonen hatten keine
Möglichkeit, sich gegen eine ungerechte, einseitige, oft
von persönlichem und parteipolitischem Haß beeinflußte
Qualifikation zu wehren. Nachdem die Qualifikation die Grundlage
zur Besetzung von Lehrstellen war, zwang man einen Teil der Lehrerschaft
zur knechtischen Unterwürfigkeit und vielfach zur politischen
Prostitution. Nun will man wiederum diesen Geist zwangsweise unter
die Lehrerschaft tragen, da man auf eine andere Art und Weise
die Lehrer, deren Freiheit jetzt durch § 4 des Gesetzes 306/20
teilweise gesichert ist, nicht botmäßig und politisch
unfrei machen kann. Die Lehrpersonen sollen wieder willenlose
Lakaien ihrer Vorgesetzten sein. Vor der Zurückrevidierung
der revolutionären Errungenschaften macht man auch hier nicht
halt. Altösterreich lebt wieder auf. Die Bezirksschulinspektoren
erhielten für die Ausfüllung der Qualifikationstabellen
u. a. folgende Anleitungen: "In diesem Punkte ist besonders
das Benehmen des Lehrers in der Öffentlichkeit zu beurteilen.
Es ist notwendig darauf zu sehen, inwieweit und ob das Verhalten
des Lehrers im Einklang mit den Bestimmungen der Lehrerdienstpragmatik
steht und ob sein Verhalten in der Öffentlichkeit nicht Ärgernis
erregt. Auf die politische Tätigkeit der Lehrer ist hiebei
nicht zu achten, sofern sie im Einklang mit den Bestimmungen des
vorangehenden Absatzes steht. Jede gegen den Staat gerichtete
Tätigkeit ist jedoch strengstens zu beurteilen."
Es fehlt nur eines in diesen Bestimmungen:
Denunzianten erhalten Prämien! Diese Verordnung ist nichts
anderes als eine Mausefalle für die Lehrerschaft. Sie erklärt
die Lehrerschaft vogelfrei. Was erregt in diesem Staate nicht
alles Ärgernis? Der Kampf um die Schulautonomie, der Kampf
gegen die willkürlichen Schuldrosselungen, gegen die Verpfaffung
der Schule, um die Verbesserung der Lebensverhältnisse, der
Kampf gegen Willkür und Vorherrschaft kann Ärgernis
bei einzelnen Vorgesetzten hervorrufen und dazu führen, daß
die eine oder andere Lehrperson eine schlechte Qualifikation erhält.
Die bürgerlichen Zöllner, an der Spitze die Klerikalen,
hetzen ohnedies schon planmäßig und zielbewußt
gegen die freie Lehrerschaft Das Schulprogramm der Klerikalen
ist nicht nur allein auf die Verfassung der Schule einige stellt,
sondern ist auch gegen die freie Lehrerschaft gerichtet, denn
es wird das Verbot des Vortrages irgendeiner antichristlichen
Anschauung im Unterricht verlangt und eine dementsprechende Kontrolle
der Lehrer. Die Lehrer sollen also wieder unter die Botmäßigkeit
der Katecheten gestellt werden. Und das nennt man Reform!
Es ist ein offenes Geheimnis, daß noch
heute viele Lehrpersonen schikaniert werden, nur weil sie den
Mut haben, eine eigene Meinung zu haben und aus ihrer politischen
Gesinnung kein Hehl zu machen. Statt, daß man alles dazu
beitragen würde, um das Verhältnis zwischen Lehrer und
Schulbehörde auf Freundschaft und Vertrauen aufzubauen, will
man wieder knechtische Unterwürfigkeit schaffen und berechtigtes
Mißtrauen säen. Dieser neue Gewaltstreich muß
die Empörung der gesamten Lehrerschaft auslösen und
sie zum gemeinsamen Kampfe gegen derart reaktionäre und undemokratische
Maßnahmen zusammenzuschließen. Eines wollen wir aber
der Lehrerschaft sagen: Auf die Mithilfe und Unterstützung
der bürgerlichen Parteien werden sie bei ihrem Kampfe nicht
rechnen können, denn die schul- und lehrerfreundliche Gesinnung
des Bürgertums werden sie wohl schon zur Genüge kennen
gelernt haben. Wir brauchen demgegenüber aber nicht zu erklären,
daß die sozialdemokratische Partei immer eine warme und
energische Verfechterin der Lehrerinteressen war, ist und bleibt.
Wir werden auch diesen Kampf mit ungeteilter Kraft weiter führen.
Nun zum Gesetze selbst.
Das zur Beratung stehende Gesetz ist wieder
nur ein Stückwerk. Wie wenig ernst es der Regierung, vielmehr
den Koalitionsparteien mit der Regelung des Hilfsschulwesens ist,
beweist, daß die Beratungen seit dem Jahre 1920 dauern.
Wenn es um ein arbeiterfeindliches Gesetz geht, wenn es gilt,
Zölle zu beschließen, die Kongrua zu erhöhen,
den Zuckerbaronen Millionen Kronen von Handelssteuern zu refundieren,
da haben es die Herren sehr eilig. Es ist kennzeichnend, wie bei
uns so wichtige Fragen von pädagogischem, gesundheitlichem
und sozialem Zweck behandelt und erledigt werden. Seit dem Jahre
1920 unternahm der Verband der deutschen Hilfsschullehrer gemeinsam
mit dem èechischen Vereine für Schwachsinnigen-Fürsorge
Schritte beim Ministerium für Schulwesen und Volkskultur,
damit ein Gesetz geschaffen werde, durch welches
das Hilfsschulwesen einheitlich organisiert und auf eine feste
Grundlage gestellt werde. Man verwies mit Recht darauf, daß
in England seit dem Jahre 1899 ein Hilfsschulgesetz besteht und
in Frankreich seit dem Jahre 1909. In Alt-Österreich erschienen
wohl seit dem Jahre 1869 Erlässe und Verordnungen, die die
Errichtung von Sonderklassen für Schwachsinnige ermöglichen,
vielfach befürworten, doch eine gesetzliche Regelung erfolgte
nicht Wohl wurden in einzelnen Orten Hilfsklassen errichtet, doch
waren ihrer viel zu wenig. Eine kleine Erweiterung des Hilfsschulwesens
und Errichtung neuer Klassen brachte im Jahre 1919 ein Erlaß
des Landesschulrates für Böhmen, demzufolge der Landesverwaltungsausschuß
dem Ministerium für Schulwesen und Volkskultur mitteilt,
daß er in konkreten Fällen die Vertretungskosten für
die zum Hilfsschuldienst beurlaubten Lehrpersonen auf Rechnung
der Bezirksschulfonde übernehmen werde. Es ist ein unbestrittenes
Verdienst jener Gemeinden und Ortsschulräte, die den Wert
der Hilfsschulen einsahen und vielfach nicht nur für sachliche
Erfordernisse ausreichende Beträge in die Schulvoranschläge
einsetzten, sondern den Hilfsschulen Zulagen bewilligten und die
Differenzbeträge der Hilfsschullehrer auf den Gehalt gleichdienstaltriger
Fachlehrer erhöhten. Wenn man jedoch bedenkt, daß es
nach der im Jahre 1921 durchgeführten Zählung der deutschen
geistig zurückgebliebenen Kinder 6000 Schulkinder gibt, von
denen 5.400 hilfsschulbedürftig sind, und wenn man bedenkt,
daß im deutschen Sprachgebiet nur in 30 Orten 59 Hilfsschulklassen
bestehen, so sieht man mit Entsetzen, daß bei einer Schülerhöchstzahl
von 15 Kindern in einer Klasse nur für 885 Kinder der Besuch
einer Hilfsschule möglich ist, während 4.515 Kinder
gezwungen sind, entweder dem Schulunterrichte fernzubleiben oder
die ohnedies überfüllten Klassen der Normalschulen
zu besuchen. Im èechischen Gebiet sieht es nicht viel anders
aus. Das bedeutet in der Praxis, daß bei geistig schwachen
Kindern, die gezwungen sind, Normalschulen zu besuchen, kein Lernerfolg
zu erzielen ist, denn die Lehrpersonen können sich trotz
besten Willens diesen Kindern nicht widmen, denn das geistig zurückgebliebene
Kind braucht eine individuelle Behandlung. Diese Kinder bedeuten
aber auch eine Hemmung der Tätigkeit des Lehrers und es leidet
dadurch die Schulung der normalen Kinder. Für gesonderte
Schulen und Klassen spricht auch noch ein weiteres erzieherisches
Moment. Diese armen bedauernswerten, von der Natur stiefmütterlich
bedachten Kinder - die Ursachen dieser Erscheinung will ich heute
nicht aufrollen und untersuchen - leiden doppelt, den in sie sind
meist der Stein des Anstoßes und werden vielfach von den
normalen Kindern oft ohne böse Absicht am Wege zur oder von
der Schule verlacht und verspottet. Soziale und wirtschaftliche
Gründe sprechen für die Errichtung und Förderung
der Hilfsschulen. Die geistig Minderwertigen zu nützlichen
Gliedern der Gesellschaft, zur Selbsterhaltung zu erziehen, ist
die vornehmste Aufgabe. 70 bis 80% dieser Kinder wären
sicher zu retten, wenn sie rechtzeitig einer fachgemäßen
Erziehung und Behandlung zugeführt werden. Der Mehraufwand
für diese Schulen bedeutet im wahren Sinne des Wortes eine
Ersparnis. Unter den Prostituierten befindet sich ein großer
Prozentsatz schwachsinniger Mädchen, die vielfach hätten
gerettet werden können, wenn man ihnen den Weg zur Selbsterhaltung
nicht verschlossen hätte. Gefängnisse, Armenhäuser
würden weniger gefüllt sein, mancher Schwachbegabte
auf seine alten Tage nicht als sogenannter Dorftrottel herumlaufen,
wenn diese Bedauernswerten nicht in der Kinder- und Jugendzeit
dem Zufall überlassen worden wären und wenn für
sie Vorbedingungen geschaffen worden wären, durch die sie
die Fähigkeit erlangt hätten, den schweren Kampf ums
Dasein im späteren Leben bestehen zu können.
Ich will nun zum Gesetz selbst etwas sagen.
Es bietet uns durchaus keine Gewähr für eine grundlegende
Änderung des Hilfsschulwesens. Das Gesetz ist mit sehr vielen
Mängeln behaftet und trägt den sozialen und kulturellen
Notwendigkeiten nicht Rechnung. Vor allem verlangen wir, daß
die Hilfsschulen staatliche Einrichtungen sein sollen, das heißt,
daß der Staat dem gesamten Aufwand Rechnung tragen solle.
Wir verlangen weiters, daß die Hilfsschulen unter eigener
fachmännischer Leitung stehen und in eigenen Gebäuden
und mit eigenen Turnsälen, Spielplätzen und Werkstätten
ausgestattet sind. Was sagt aber in dieser Beziehung der §
3? Auf Grund des § 3 kann dort, wo die örtlichen Umstände
die Errichtung einer selbständigen Hilfsschule nicht ermöglichen,
die Hilfsklasse als eine besondere Abteilung der Normalschule
mit dieser vereint werden. Um was geht es der Regierung? Nach
dem Erlasse des Ministeriums für Schulwesen und Volkskultur
vom 25. September 1925 soll jetzt schon der Hilfsschullehrer an
der einzelnen angegliederten Hilfsklasse ein eigenes Kabinett
haben, eigene, dem Unterrichte angepaßte Lehrmittel, eine
eigene Schülerbibliothek, eine besondere Lehrerbibliothek
mit heilpädagogischen Schriften. Der Hilfsschullehrer soll
eine eigene Hilfsschullehrerchronik führen und alle Arbeiten
leisten, die ein Leiter einer selbständigen einklassigen
Hilfsschule verrichten muß. Die Absicht der Regierung ist
durchsichtig. Es wird wieder am unrichtigen Orte gespart. Das
Unterrichtsministerium verlangt alle diese Arbeiten, will sie
aber nicht bezahlen. Den Antragstellern geht es um nichts anderes
als um die Ersparung der Funktionszulagen.
Gegen die Angliederung an eine normale Schule
spricht noch ein wichtiges Moment. Kann man von den Schulleitern
der Volksschulen verlangen, daß sie den Hilfsschullehrern
pädagogische Ratgeber sein sollen? Nein. Denn dies zu sein,
muß man nicht nur praktische Erfahrungen haben, sondern
dies bedarf auch eines eifrigen Studiums heilpädagogischer
Fragen. Man kann aber keinen Leiter zwingen, dieses Fachstudium
zu betreiben, zumal den meisten Schulleitern die Zeit hiezu fehlen
dürfte. Eine angegliederte Hilfsschule an ein Normalschule
muß mit der Zeit zu einem Ballast werden. Auch das Verhöhnen
und Verspotten der geistesschwachen Kinder von den normalen Kindern,
von denen ich schon vorher sprach, ist ein wichtiges Argument
und spricht ganz entschieden gegen die Angliederung der Hilfsschulen
an eine normale Schule.
Eine der wichtigsten Fragen ist die Festsetzung
der Schülerzahl für eine Klasse. Nach dem Regierungsentwurf
ist die größte Anzahl von Kindern in einer Klasse mit
20 bestimmt. Es drängt sich da mit Recht die Frage auf, ob
es der Regierung mit der Erziehung und der unterrichtlichen Behandlung
der geistig zurückgebliebenen Kinder ernst ist. Das Wort
"schwer erziehbar" sagt schon, daß jedes Kind
anders behandelt sein will und muß. Nur in den seltensten
Fällen wird es aber einem Lehrer gelingen, einen Lernerfolg
zu erzielen, wenn er 20 Kinder unterrichten muß. Nur Menschen
ohne Verantwortungsgefühl können ihre Zustimmung zum
§ 5 geben. Wir haben zu diesem Paragraphen einen Abänderungsantrag
eingebracht und verlangen die Herabsetzung der Schülerzahl
von 20 auf 15 Kinder.
Bei dieser Gelegenheit möchte ich noch
auf eine weitere Gefahr aufmerksam machen. Nicht nur allein, daß
die Lehrperson, die auch bei der kleinsten Anzahl von Kindern
eine furchtbar schwere, nervenaufreibende Arbeit vollbringen -
man muß dem Unterricht in einer Hilfsschule einmal beigewohnt
haben, um dies zu ermessen - es droht das ganze Hilfsschulwesen,
das erst in der Entwicklung begriffen ist, in Mißkredit
zu geraten. Müßten die Eltern dieser Kinder nicht das
Vertrauen zu der Schule verlieren, wenn sie sehen würden,
daß der Lehrer außerstande ist, Lernerfolge bei den
Kindern zu erzielen? Nur bei einer geringen Anzahl von Schülern
kann die Schule leistungsfähig sein. Es ist auch unverantwortlich,
von den Lehrern zu verlangen, daß sie über ihre physischen
und psychischen Kräfte arbeiten. Über kurz oder lang
müssen sie zusammenbrechen. Von der Annahme oder Ablehnung
dieses Paragraphen hängt nicht nur das Wohl Tausender und
Abertausender bedauernswerter Geschöpfe ab, sondern es hängt
auch die Entwicklung des Schulwesens davon ab.