Úterý 18. prosince 1928

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 178. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze v úterý dne 18. prosince 1928.

1. Øeè posl. dr Czecha (viz str. 21 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Die Wahlen sind vorüber, sie brachten, wie nicht anders zu erwarten war, die Brandmarkung des reaktionären internationalen Bürgerblocks, der die nationalen Koalitionen, die bis dahin geherrscht hatten, abgelöst hat. Sie brachten eine ganz entschiedene Ablehnung des Systems, das gleichermaßen kulturell, national, wirtschaftlich und sozial verderblich gewesen ist und eine ungeheuere Fülle von Schuld auf sich geladen hat. Daß es so kommen wird, haben wir vorausgesehen. Wir haben es schon im Juni von dieser Stelle aus angekündigt, indem wir damals aussprachen, daß der Zerfall des Bürgerblocks unaufhaltsam fortschreitet, daß der Bürgerblock, wie wir damals wörtlich gesagt haben, ein "lebender Leichnam" sei, daß er sehr bald der Vergangenheit angehören werde und daß es wie auch anderwärts die sozialdemokratischen Parteien seien werden, die ihn zu Boden werfen werden, als die Vollstrecker des Willens der Arbeiterklasse aller Nationen. Damals rief uns die "Deutsche Landpost" zu, daß das Prophezeien besonders in politischen Dingen eine sehr undankbare Aufgabe sei. Wir aber wollten gar nicht prophezeien, wir wollten nur Tatsachen feststellen, die wir klar und deutlich vor uns gesehen haben. Vor uns lagen damals zwei Jahre der Wirksamkeit des internationalen Bürgerblocks. Wir sahen damals alle Etappen der bürgerlichen Koalitionspolitik vor uns, wir sahen vor allem auch alle die Leidensstationen, durch die das Proletariat aller Nationen in diesem Lande unter der Aera des Bürgerblocks hindurchgehen mußte, wir kannten die Stimmung der Bevölkerung, wir wußten die heftige, im Gange befindliche Abwehrbewegung richtig zu deuten und verstanden es, daraus die Konsequenzen abzuleiten. Wir hatten aber auch, was das allerentscheidendste ist, die Gemeindewahlergebnisse aus den Jahren 1927 und 1928 vor uns, die fast durchwegs gegen die bürgerlichen Parteien entschieden haben. Es gehörte also damals kein besonderer politischer Spürsinn dazu, um die im Gange befindliche Entwicklung richtig zu deuten, die sich vorbereitenden Ereignisse vorauszusagen, die Ergebnisse des Wahlganges vom 2. Dezember zu "prophezeien".

Die bürgerlichen Parteien dagegen, sowohl die èechischen wie die deutschen, verfügten scheinbar über einen sehr schlechten politischen Seismographen. Denn sie verstanden die Volksbewegung, die im Gange war, nicht richtig zu deuten, sie vermochten das sich vorbereitende politische Erdbeben nicht abzulesen und stehen heute vor der neugeschaffenen Situation ganz resigniert da. Charakteristisch dafür ist der Ausspruch des Vorsitzenden der deutschen christlichsozialen Partei, Prof. Hilgenreiner, der dahin lautete, daß man scheinbar nicht ungestraft unter den Regierungspalmen wandeln dürfe. Allerdings, werte Freunde, hat es ziemlich lange gebraucht, ehe sich die deutschen und èechischen Regierungsparteien dazu entschließen konnten, die schmezhaften Tatsachen, wie sie vorliegen, einzugestehen, und wir haben vielfach die Erscheinung beobachten können, daß sie das Eingeständnis am liebsten, sobald es dem Gehege der Zähne oder der Feder entschlüpft war, wieder hätten ungeschehen machen wollen.

Wie war die Situation unmittelbar nach dem Wahltag? Unmittelbar nach dem Wahltag lauteten alle Pressebetrachtungen aller bürgerlichen und oppositionellen Parteien auf Sieg, Sieg, Sieg auf der ganzen Linie! "Von Sieg zu Sieg!" überschrieb der "Slovák" seinen Artikel in dem Augenblicke, da die Partei des Abg. Hlinka 160.000 Stimmen verloren hatte, "Sieg und Erfolg" schrieb das Blatt des Abg. Mlèoch, die "Reforma", in dem Momente, in dem die Partei der èechischen Gewerbetreibenden 30.000 Stimmen auf der politischen Wahlstatt gelassen hatte. Einen Hymnus auf die Treue der Wählerschaft stimmte das Blatt der èechisch-klerikalen Partei, deren Führer der derzeitige stellvertretende Regierungschef ist, an, nachdem sie an 100.000 Stimmen eingebüßt hatte. "Sieg der Vernunftpolitik" hieß es in der vorgestrigen Rede des Herrn Ministers Dr. Spina. "Sieg des Positivismus!" überschrieben die deutschen Agrarier ihren Artikel in der "Landpost" in dem Augenblicke, in dem sie den sicherlich schmerzhaften Verlust von 47.000 Stimmen zu verzeichnen hatten ich komme darauf noch später zurück - und die deutschen Christlichsozialen, die 57.000 Stimmen eingebüßt haben, also weit über 20% des gesamten Wählerstatus, gaben zwar zu, daß die Opposition einen "kleinen Erfolg" zu verzeichnen habe, sagen aber, daß das sogenannte moralische Übergewicht auf Seiten der Regierungsparteien, also natürlich vor allem der deutschen Regierungsparteien sei. Daß der nationalsozialistische "Tag" in dem Chorus nicht fehlen kann, ist selbstverständlich. Denn wie sollte man es sonst erfahren, "daß die deutsche Sozialdemokratie sich eine moralische Niederlage geholt habe, denn sie erhoffte sich bei den diesmaligen Wahlen einen ganz großen Coup". Sie sehen, meine Herren, wie moralisch es in der nichtsozialistischen Presse zugeht, fast so moralisch wie im Wahlkampfe selbst. Darum trösten wir uns über die lieblichen Siegesbetrachtungen unserer Gegner damit, daß uns schließlich doch noch immer unsere angebliche moralische Niederlage lieber ist als die moralischen Wahl- und Pressesiege der bürgerlichen Parteien. (Sehr richtig!).

Die Frage ist nun, welche Schlußfolgerungen aus den Wahlergebnissen zu ziehen sind und welche Konsequenzen tatsächlich gezogen wurden. Zwei bis drei Tage nach dem Wahlabschluß versammelte sich der Acherausschuß und gab ein Kommuniquée heraus, in welchem er kurz und bündig sagte, daß sich an der Position und dem Kräfteverhältnis in der Regierung absolut nichts geändert habe, so daß nicht die geringste Ursache vorhanden sei, das gegenwärtige System und die Richtung der Regierung zu beseitigen. Wir haben auch heute eine Erklärung des stellvertretenden Ministerpräsidenten gehört: ganz kurz, ganz prägnant, ganz eindeutig und sonnenklar erklärt er einfach: Die parlamentarische Situation habe sich nicht geändert. In einer Bestimmung der Verwaltungsreform heißt es, daß politische Anträge in der neugegründeten Körperschaft nicht eingebracht und abgestimmt wer den können. Es ist kein Ulk, sondern wörtlich heißt es nun in dem ausgegebenen Kommuniquée, das ich hier übersetze: "Da politische Anträge nicht abgestimmt werden können, sei also die natürliche Folge, daß die Wahlen keine politische Bedeutung haben". Das ist doch sonnenklar! Die Regierung, heißt es weiter, steht nach wie vor auf dem Boden der Verfassung; solange die parlamentarischen Grundlagen sich nicht geändert haben, könne sich auch die parlamentarische und politische Situation nicht ändern. Kurz, bündig und klar und hoffentlich für die Arbeitsklassen ganz verständlich! Ich werde dann im Zuge der Betrachtungen auf die Einzelheiten noch näher eingehen, ich will nur noch feststellen, das die Berufung auf den § 30 des Verwaltungsreformgesetzes wohl das lächerlichste ist, denn dort heißt es, daß im Rahmen von politischen Debatten politische Anträge unzulässig sind und nicht abgestimmt werden können, d. h. also, daß es politische Debatten geben kann, daß unter Umständen eine Politisierung dieses neuen Verwaltungsapparats durchaus zulässig ist, nur die Antragstellung ist ausgeschlossen und es ist vorgehen, daß solche An träge nicht zur Entscheidung gestellt werden können. Der § 30 ist es, der der Regierung aus der Schlamastik heraushelfen soll. Es wird sich reichlich Gelegenheit finden, sowohl hier im Parlament, als auch in den neugeschaffenen Körperschaften, auch über dieses Kapitel zu sprechen. Im übrigen will ich, wie gesagt, auf die Einzelheiten noch näher zurückkommen.

Die Regierung, die in ihr vertretenen Parteien, der Achterausschuß stehen also auf dem Standpunkt, daß die Wahlen keine politische Bedeutung haben. Das widerstreitet so manchem, was unmittelbar vor den Wahlen gesagt wurde. Es ist zuzugeben, daß der Ministerpräsident, vorsichtig wie er ist, und mit seinem außerordentlich guten Instinkt, der ihn immer ausgezeichnet hat, auch außerhalb dieser Körperschaft sagte, daß diese Wahlen keinerlei Bedeutung haben werden. Aber ganz anders hat es schon sein Kollege Minister Nosek in einer kurz vor dem Wahltag in Tábor abgehaltenen Versammlung gesagt, er ließ es auch ruhig durch die Presse gehen, daß nämlich "die Wahlen politische Wahlen sind, daß von ihnen die Rekonstruktion des Kabinetts abhängt, daß diese Wahlen bei einem größerem Umschwung in der Kräfteverteilung im Frühjahr Neuwahlen in die Nationalversammlung zur Folge haben werden." Das ist ganz klar, eindeutig und ohne Vorbehalt. Ich übergehe dabei die wiederholten Äußerungen des zweiten Sekretärs der republikanischen Partei Žilka und zitiere die offizielle Kundgebung der èechischen republikanischen Partei, also der Partei des Ministerpräsidenten Švehla in dem Aufruf, der im "Venkov" vom 7. Oktober veröffentlicht ist und wo gesagt wurde: "In diesem Wahlkampf geht es nicht nur um die Zusammensetzung unserer obersten Selbst-Verwaltungskorporationen, geht es nicht nur um die Regelung unserer künftigen Selbst-Verwaltungspolitik, vielmehr wird die Bedeutung dieser Wahlen in erster Linie eine politische sein; es geht darum, daß wir dort ausharren, wo wir stehen geblieben sind, es geht darum, daß wir die größte und stärkste Partei in der Èechoslovakei sein werden." Ganz klar hat die stärkste, die führende Partei der Koalition den politischen Charakter des Wahlgangs umschrieben und förmlich das Signal zur Politisierung dieses Wahlgangs gegeben. Diese Tatsache wollen wir festhalten. Es wird vielleicht gesagt werden : Das mag eine Stimme sein, die aus èechischen Kreisen kommt und vielleicht für die deutschen Parteien nicht ganz maßgebend sein kann. Aber die deutschen Parteien, die die größten Leidtragenden bei diesem letzten Wahlgang gewesen sind, haben genau denselben Standpunkt unmittelbar nach der Wahl eingenommen, wie er heute vom stellvertretenden Ministerpräsidenten ausgedrückt wird. So schreibt die "Landpost" in einem kurz nach den Wahlen erschienenen Artikel : "Die Mehrheit, die Koalition, ist intakt und ist entschlossen, ihr Programm durchzuführen." Wir müssen uns die Frage vorlegen, auf Grund welcher Mathematik die "Landpost" diese intakte Mehrheit hernimmt. Da will ich eine zweite Stimme zitieren. Wie kommt Herr Sen. Hilgenreiner, der Obmann der deutschen christlichsozialen Partei, dazu, zu sagen, daß wohl Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Parteien stattgefunden haben, daß aber diese Verschiebungen nur innerhalb der Regierungsparteien zu verzeichnen sind? Dazu einige Feststellungen: Die drei klerikalen Parteien haben nahezu 360.000 Stimmen verloren, möge man welchen Maßstab immer nehmen, die èechische Gewerbepartei hat 30.000 Stimmen eingebüßt; die deutsche Agrarpartei, die einst mit der ungarischen Nationalpartei und mit der Gewerbepartei, mit den bei diesen ausgeborgten Stimmen im Jahre 1925 mit 571.000 Stimmen paradierte und sich daraufhin als stärkste deutsche Partei - natürlich mit den ungarischen Stimmen - vorstellte und auf Grund dieser imposanten Stimmenzahl die Vertretung in Parlamentspräsidium reklamierte, ist von 571.198 auf 262.985 Stimmen zurückgegangen und sie hat bei diesem Wahlkampf nicht nur das ungarische Stimmenanhängsel verloren - das war schon lange vor dem 2. Dezember in Verlust geraten - sondern sie hat noch einen weiteren Verlust von 47.000 Stimmen zu verzeichnen. Diese enormen Verluste haben selbstverständlich die zwei èechischen Parteien, die èechischen Republikaner und die Nationaldemokraten, nicht nachholen können und so ergibt der Wahlgang vom 2. Dezember zu Gunsten der Opposition ein Plus von 212.913 Stimmen.

Ich will mich auf das sog. "fixlování" mit Stimmen gar nicht einlassen, ob es jetzt 212.913 oder 180.000 oder 160.000 sind, es muß unbedingt zugegeben werden, daß die Opposition einen ganz gehörigen, respektablen, auf mehrere Abgeordnetemandate reichenden Wahlfolg zu verzeichnen hat. Wenn man das Senatsergebnis zur Grundlage nimmt, so haben von den sozialistischen Parteien die èechischen Sozialdemokraten um 178.000, die Deutschen um 43.000, zusammen um 211.000 Stimmen mehr bekommen. Wenn man sich auf die Vergleichsbasis der Nationalversammlungswahlen stellt, mit entsprechenden Zuschlägen und Abstrichen, so kommt man zu 108.000 Stimmen. Was die deutschen Sozialdemokraten anbelangt, so liegen die Dinge so: Die deutsche Sozialdemokratie hat trotz des bei diesem Wahlgang geltenden höheren Wahlalters, trotz der längeren Seßhaftigkeitsdauer 403.000 Stimmen erzielt. Die deutsche sozialdemokratische Partei ist nicht nur die relativ stärkste sozialistische Partei, das würde vielleicht gegenüber den anderen nicht viel besagen, aber sie ist überhaupt die größte deutsche Partei auf diesem Boden. Aber noch mehr. Bei ihr trifft etwas zu, was keine andere Partei in diesem Staate erlangen konnte: Jeder vierte deutsche Wähler hat sozialdemokratisch gewählt. Bei der Begrenztheit in den Möglichkeiten der Arbeit und Wirksamkeit der deutschen sozialdemokratischen Partei bleibt diese Tatsache unauslöschlich und wir laden die bürgerlichen Parteien ein, uns etwas derartiges zu zeigen, daß jeder vierte Mensch für ihre Partei den Stimmzettel abgibt. Es sind ca. 1,500.000 deutsche Wähler zur Wahl gegangen. Wenn wir auf die kommunistischen Wähler 150.000 rechnen da bin ich splendid, freilich nur am Tag nach der Wahl - so ergibt sich noch immer bei einer Zahl von 400.000 ein derartiges Verhältnis. Wenn man zu diesem Ergebnis die Stimmen der nationalsozialistischen Partei, die auch einen Aufstieg zu verzeichnen hat, zuschlägt, so muß zugegeben werden, daß die bürgerlichen Koalitionsparteien in die Minderheit gedrängt wurden und daß sie, um mich juristisch auszudrücken, in statu cridae gekommen sind. Ein effektiver status cridae! Da gibt es keine Mathematik und keine Rechenkunst, die die Koalitionsparteien nach dies em Wahlergebnis von ihrem Alpdruck zu befreien vermag. Übrigens, zeigt auch ein bürgerlicher Wahlstatistiker, daß unsere Rechnungen richtig sind, der "Veèer", der sicherlich nicht viel Sympathien für die sozialistischen Parteien übrig hat, hat eine Wahlstatistik veröffentlicht, die die Richtigkeit der Berechnungen, mögen sie von welchem sozialistischen Blatte immer gemacht worden sein, bestätigt, und es hat der Abg. Viškovský in einer Wahlbetrachtung unmittelbar nach den Wahlen festgestellt, daß die Mehrheit einen Verlust von 2.74%, die Opposition einen Gewinn von 2.85% zu verzeichnen hat, was natürlich unter Umständen bei einem Lande mit anderen Schichtungsverhältnissen im Parlamente und im Parteienlager und unter ganz anderen politisch-parlamentarischen Verhältnissen keinen erheblichen Ruck bedeuten würde, wenn nicht vor uns die eine Tatsache stünde, daß die ganze Mehrheit der Koalitionsparteien im Parlamente, sage und schreibe, sechs Stimmen beträgt, und daß es nur gewissen oppositionellen Gruppen, nicht zuletzt der kommunistischen Gruppe, zu danken ist, wenn der Regierung durch die Politik dieser Gruppen, durch ihre Absentierungen während der zurückliegenden Parlamentsperiode das Leben gerettet wurde.

Die Regierung hat die Mehrheit verloren, was verblieben ist, das sind sage und schreibe sechs Stimmen Mehrheit im Parlamente, welcher Mehrheit durch die Wahlniederlage des Bürgerblocks, durch das Votum der Wähler jeder politisch-moralische Kredit, jeder Halt, jede Grundlage entzogen wurde, möge es auch von höchster Stelle, wie es heute geschah, anders festgestellt wer den. So beschaffen ist die nach der deutschen aktivistischen Auffassung intakte Mehrheit des Bürgerblocks, der sich, wie die "Landpost" mitteilt und wie Minister Šrámek heute gesagt hat, noch behaglich ein richtet, sein Programm - darauf werden wir noch später zu sprechen kommen - durchzuführen. In einem anderen konstitutionell regierten Lande, hätte ein Regierungschef, der bei den Wahlen so arg hergenommen wurde und dessen Partei eine so schwere Schlappe zugefügt wurde, so fort nach dem Wahlergebnis die Konsequenzen gezogen. Bei uns in der Èechoslovakei scheinen aber auf bürgerlicher Seite ganz andere Moralbegriffe zu bestehen.

Als man in England zum Schutzzollsystem übergehen wollte, hat es Ministerpräsident Baldwin sicherlich einer der konservativsten Männer Europas, der zu jener Zeit über eine ungeheuere überwältigende Mehrheit verfügte, es für selbstverständlich gehalten, das Haus einfach aufzulösen, Neuwahlen auszuschreiben und die Wähler entscheiden zulassen, ob sie zu seinem Programme, zum Übergang zum Schutzzoll, stehen. Das war selbstverständlich in einem Lande mit demokratischen Auffassungen. Nehmen wir die Verhältnisse in der Èechoslovakei! Als die Sozialisten bei den Gemeindewahlen im Jahre 1919 gesiegt haben, hat die ganze Öffentlichkeit eingesehen, daß das Regime Kramáø unmöglich sei, und hat den Übergang zum Regime Tusar vollzogen. Vielleicht ging das gegen die Wünsche und Vorstellungen des Dr. Kramáø, der in einem seiner letzten Leitartikel über diese Tatsache rumort, der sie nicht vergessen hat und sie wahrscheinlich sein Lebtag nicht vergessen wird. Aber die èechoslovakische Öffentlichkeit hat sich mit dieser selbstverständlichen Konsequenz abgefunden. Ein Detail, wenn es gestattet ist, Kleines mit Großem zu vergleichen: es hat sich unmittelbar nach diesen Wahlen im deutschen Gebiete, in Teplitz-Schönau, eine kleine Episode abgespielt. Es hat der Bürgermeister von Teplitz, als seine Partei bei den Landeswahlen, nicht bei den Gemeindewahlen, eine Niederlage erlitten hat, demissioniert und sein Bürgermeistermandat niederlegt und sich nicht darauf berufen, daß es nur Landeswahlen seien, während die Gemeindewähler für ihn entschieden hätten. Das war für jedermann eine Selbstverständlichkeit, über die es eigentlich in einem demokratischen Lande keine Diskussion geben sollte, vor allem nicht in einem Lande, dessen Verfassung den Willen des Volkes zum obersten Gesetz erhebt.

Darum müssen wir jenem Blatte recht geben, das 1925 nach der Wahlniederlage der allnationalen Koalition und der Wiederbetrauung des Ministerpräsidenten Švehla geschrieben hat: "Der 15. November ist der schwarze Tag der Koalition, und wenn hier, schreibt dieses Blatt, "sich Demokratismus, wie wir ihn verstehen, eingebürgert hätte, würde Ministerpräsident Švehla dem Präsidenten Masaryk, der ihn nach der formellen Demission mit der Weiterführung der Geschäfte betraut hatte, erklären, er könne diesen Auftrag nicht annehmen, weil es der Volksstimme widerspricht." Und das Blatt schließt sentimental: "Aber die Koalition läßt nur jene Volkesstimme gelten, die ihr paßt." Das Blatt, das in demokratischen Dingen solch ein Feingefühl entwickelt hat, das aus dem Demokratismus, wie es ihn versteht - wörtlich! - damals die letzten Konsequenzen gezogen wissen wollte und sich sogar über die Wiederbetrauung des Herrn Ministerpräsidenten Švehla mit der Kabinettsbildung entrüstete, das alles auf die Volksstimme stellte, ist die "Deutsche Landpost", das Blatt des Herrn Ministers Spina, das in seiner Nummer vom 19. November 1925 uns einen kleinen Kursus darüber gegeben hat, wie man sich in solcher Situation zu stellen hat und wozu der Demokratismus, wie sie ihn versteht, verpflichtet.

Das war 1925. Bitte, das kann vielleicht im Affekt geschrieben sein, das kann geschrieben sein vielleicht in einer teilweisen oder völligen Sinnesverwirrung, das kann geschrieben sein in einem Zustande vollständiger Sinnesverrückung. Aber ich werde nachweisen, daß die Herren 1923, während der Gemeindewahlen, ebenso dachten, daß in dem Jahre, in welchem sie den Marxismus wieder zu Grabe getragen hatten, wo der Marxismus nach hrer Auffassung zum so und sovielten Male vernichtet wurde, wo die Deutschbürgerlichen über den Sozialismus triumphierten, sie schrieben: "Da wird nicht zuletzt mit Recht der Ruf ertönen, wieso man diese oder jene Partei mit so und soviel Abgeordnetenstimmen über Fragen entscheiden lassen kann, obwohl die Mehrzahl der heutigen Wähler auf ganz anderem Boden steht und ganz andere Anschauungen hat, als damals, wo sich die Mehrzahl der Wähler für Parteien entschieden hat, die heute nicht mehr ihre Zustimmung haben, deren Vertreter im Parlament aber gegen die Auffassung, gegen den Willen der damaligen Wähler entscheiden." Damals, hohes Haus, war die Partei des Herrn Ministers Spina, war das Parteiorgan, die "Deutsche Landpost" dafür, das Parlament aufzulösen, dessen Zusammensetzung dem Wahlausgang widersprach, heute aber vertritt man die These, daß das Ergebnis der Landeswahlen die parlamentarische Situation absolut nicht tangiere. Und warum, meine Herren, warum diese Sinneswandlung, warum diese Umkehrung der Anschauungen? Weil die bürgerlichen Parteien damals den Sieg davongetragen haben, während heute die Bevölkerung für den Sozialismus entschieden hat. Damals bestritt man sogar, obwohl es sich nur um Gemeindewahlen, also nicht um politische Wahlen handelte, dem anders zusammengesetzten Parlament - ich bitte, beachten Sie die Umkehrung der Verhältnisse - das Recht, Gesetze zu erlassen, die der neuen Willensentscheidung der Wählerschaft, dem neuen Wahlausgang widersprechen, heute aber wird das Weiterverbleiben der Funktionäre im Parlament als Selbstverständlichkeit erklärt. Ja, Bauer, landbündlerischer Bauer, das ist etwas anderes! Warum wir das alles dem hohen Hause erzählen? Nur deshalb, um der Bevölkerung einmal zu zeigen, welch falsches Spiel mit ihr getrieben wird, um ihr zu zeigen, wie man mit dem kurzen Gedächtnis der Bevölkerung spekuliert, um ihr zu zeigen, welche beleidigenden Zumutungen man an die Bevölkerung stellt und wie groß der Verfall gewisser Schichten des deutschen Bürgertums ist, die, da sie nun einmal an die Macht gelangt sind, sofort alle Grundsätze, alle Ideale ihrer eigenen Vergangenheit zum alten Eisen werfen.

Um dieses Falschspiel zu bemänteln sucht man nun die ganze Sache auf ein anderes Geleise zu schieben und durch Scheinargumente sachlich zu fundieren. In ihrer Nummer vom 6. Dezember schreibt die "Deutsche Landpost", daß die Wahlen keinen politischen Charakter haben, daß es sich lediglich um wirtschaftliche Körperschaften handelt, daß diese Wahlen des politischen Charakters schon im vorhinein, schon vor dem Wahlgang entbehrt haben, und daß wir die jetzt gewählten Körperschaften nicht verwechseln dürfen mit parlamentarischen Körperschaften. Aber nach den Gemeindewahlen im Jahre 1923, bei denen die deutschen Landbündler obenauf waren und bei denen es gegen den Marxismus ging, dachte man über die Dinge ganz anders. Damals hieß es: Die Gemeindewahlen sind, was nicht geleugnet werden kann, der Ausdruck der heutigen politischen Gesinnung der gesamten Wählermassen, die, wie bereits betont, seit den Wahlen in die Nationalversammlung eine Veränderung erfahren hat; dieser Tatbestand müsse in einem Parlament, das nationale und politische Schichtungen und deren Stärke ins Kalkül ziehen muß, zum Ausdruck gelangen, ein solcher Tatbestand dürfe im Parlament nicht ohne Auswirkung bleiben. Kein Wort, das unserem Standpunkt widerstreiten würde, kein Wort, das nicht momentan an die Adresse der deutschen landbündlerischen Partei, kein Wort, das nicht momentan an den Repräsentanten dieser Partei in der Regierung gerichtet werden könnte. Wenn wir all das sagen müssen, wenn wir in der Vergangenheit schürfen müssen, wenn wir uns wegen solcher primitiver Dinge mit den Landbündlern auseinandersetzen müssen, so ist das die betrüblichste Erscheinung der deutsch-bürgerlichen Regierungspolitik, ist eine typische Verfallserscheinung der beiden deutschen aktivistischen Parteien.

Was seinerzeit in der landbündlerischen Presse, was vor den Wahlen in den offiziellen Kundgebungen der deutschèechischen agrarischen Parteien, was in der Rede des klerikalen Ministers Nosek ausgesprochen wurde, sind alles Selbstverständlichkeiten, über die man in einem Lande mit demokratischen Sitten und demokratischen Einrichtungngen und demokratischer Gesetzgebung eigentlich nicht diskutieren sollte. Bei uns aber, in dem Lande, in welchem die Phrase von der Demokratie in der letzten Zeit überall und namentlich in den letzten Erklärungen der Regierung wahre Orgien feiert, in dem man mit den Worten Demokratie, Parlamentarismus, Volkswille, Volksseele nur so herumjongliert, muß die wahre Demokratie von uns gegen ihre patentierten Hüter, gegen jene verteidigt werden, die sie gepachtet haben wollen, muß gegen jene verteidigt werden, die, wie sie sagen, ein Monopol auf die Demokratie genommen haben. Sie, die ansonsten die Diktatur verhöhnen, die Beherrschung der Minderheit durch die Mehrheit mit aller Entschiedenheit ablehnen, darüber Gift und Galle speien, sie usurpieren in dem Augenblicke, wo das Volk gegen sie entschieden hat, die Macht, indem sie sich kaltblütig über die Volksentscheidung über den Volkswillen hinwegsetzen, und ein Minderheitenregiment einrichten, das so manchen Usurpator Europas zur Ehre gereichen würde, nur mit dem Unterschied, daß diese sich nicht mit demokratischen Phrasen drapieren und versuchen, ihre Diktatur verfassungsmäßig aufzumachen. Was ich hier sage, ist nicht etwa bloß eine Behauptung, nicht ersonnen für diese Rede, für diese Auseinandersetzung, sondern ist meinem vor drei Tagen erschienen Artikel der "Národní Listy" vom 16. Dezember nachzulesen, die es dem deutsch-èechischen Bürgerblock, wie es wörtlich heißt, zugute halten, daß er den Verfassungsboden behütet, daß er den Schutz der Grundlagen des Parlamentarismus und der Demokratie als Hauptaufgabe betrachtet - der Bürgerblock, der die Finanzgesetznovelle gemacht hat, der die Verwaltungsreform geschaffen hat! So werden die Dinge in diesem Lande einfach auf den Kopf gestellt. Aber der Wahlausgang vom 2. Dezember hat gezeigt, daß sich die Wähler trotz alledem nicht alles aufdisputieren lassen und daß sie den Regierungsjongleuren die richtige Antwort zu geben verstehen.


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