Hohes Haus! Die Wahlen sind vorüber, sie
brachten, wie nicht anders zu erwarten war, die Brandmarkung des
reaktionären internationalen Bürgerblocks, der die nationalen
Koalitionen, die bis dahin geherrscht hatten, abgelöst hat.
Sie brachten eine ganz entschiedene Ablehnung des Systems, das
gleichermaßen kulturell, national, wirtschaftlich und sozial
verderblich gewesen ist und eine ungeheuere Fülle von Schuld
auf sich geladen hat. Daß es so kommen wird, haben wir vorausgesehen.
Wir haben es schon im Juni von dieser Stelle aus angekündigt,
indem wir damals aussprachen, daß der Zerfall des Bürgerblocks
unaufhaltsam fortschreitet, daß der Bürgerblock, wie
wir damals wörtlich gesagt haben, ein "lebender Leichnam"
sei, daß er sehr bald der Vergangenheit angehören werde
und daß es wie auch anderwärts die sozialdemokratischen
Parteien seien werden, die ihn zu Boden werfen werden, als die
Vollstrecker des Willens der Arbeiterklasse aller Nationen. Damals
rief uns die "Deutsche Landpost" zu, daß das Prophezeien
besonders in politischen Dingen eine sehr undankbare Aufgabe sei.
Wir aber wollten gar nicht prophezeien, wir wollten nur Tatsachen
feststellen, die wir klar und deutlich vor uns gesehen haben.
Vor uns lagen damals zwei Jahre der Wirksamkeit des internationalen
Bürgerblocks. Wir sahen damals alle Etappen der bürgerlichen
Koalitionspolitik vor uns, wir sahen vor allem auch alle die Leidensstationen,
durch die das Proletariat aller Nationen in diesem Lande unter
der Aera des Bürgerblocks hindurchgehen mußte, wir
kannten die Stimmung der Bevölkerung, wir wußten die
heftige, im Gange befindliche Abwehrbewegung richtig zu deuten
und verstanden es, daraus die Konsequenzen abzuleiten. Wir hatten
aber auch, was das allerentscheidendste ist, die Gemeindewahlergebnisse
aus den Jahren 1927 und 1928 vor uns, die fast durchwegs gegen
die bürgerlichen Parteien entschieden haben. Es gehörte
also damals kein besonderer politischer Spürsinn dazu, um
die im Gange befindliche Entwicklung richtig zu deuten, die sich
vorbereitenden Ereignisse vorauszusagen, die Ergebnisse des Wahlganges
vom 2. Dezember zu "prophezeien".
Die bürgerlichen Parteien dagegen, sowohl die èechischen
wie die deutschen, verfügten scheinbar über
einen sehr schlechten politischen Seismographen. Denn sie verstanden
die Volksbewegung, die im Gange war, nicht richtig zu deuten,
sie vermochten das sich vorbereitende politische Erdbeben nicht
abzulesen und stehen heute vor der neugeschaffenen Situation ganz
resigniert da. Charakteristisch dafür ist der Ausspruch des
Vorsitzenden der deutschen christlichsozialen Partei, Prof. Hilgenreiner,
der dahin lautete, daß man scheinbar nicht ungestraft unter
den Regierungspalmen wandeln dürfe. Allerdings, werte
Freunde, hat es ziemlich lange gebraucht, ehe sich die deutschen
und èechischen Regierungsparteien dazu entschließen
konnten, die schmezhaften Tatsachen, wie sie vorliegen, einzugestehen,
und wir haben vielfach die Erscheinung beobachten können,
daß sie das Eingeständnis am liebsten,
sobald es dem Gehege der Zähne oder der Feder entschlüpft
war, wieder hätten ungeschehen machen wollen.
Wie war die Situation unmittelbar nach dem
Wahltag? Unmittelbar nach dem Wahltag lauteten alle Pressebetrachtungen
aller bürgerlichen und oppositionellen Parteien auf Sieg,
Sieg, Sieg auf der ganzen Linie! "Von Sieg zu Sieg!"
überschrieb der "Slovák" seinen Artikel
in dem Augenblicke, da die Partei des Abg. Hlinka 160.000
Stimmen verloren hatte, "Sieg und Erfolg" schrieb das
Blatt des Abg. Mlèoch, die "Reforma",
in dem Momente, in dem die Partei der èechischen Gewerbetreibenden
30.000 Stimmen auf der politischen Wahlstatt gelassen hatte. Einen
Hymnus auf die Treue der Wählerschaft stimmte das Blatt der
èechisch-klerikalen Partei, deren Führer
der derzeitige stellvertretende Regierungschef ist, an, nachdem
sie an 100.000 Stimmen eingebüßt hatte. "Sieg
der Vernunftpolitik" hieß es in der vorgestrigen Rede
des Herrn Ministers Dr. Spina. "Sieg des Positivismus!"
überschrieben die deutschen Agrarier ihren Artikel in der
"Landpost" in dem Augenblicke, in dem sie den sicherlich
schmerzhaften Verlust von 47.000 Stimmen zu verzeichnen hatten
ich komme darauf noch später zurück - und die deutschen
Christlichsozialen, die 57.000 Stimmen eingebüßt haben,
also weit über 20% des gesamten Wählerstatus, gaben
zwar zu, daß die Opposition einen "kleinen Erfolg"
zu verzeichnen habe, sagen aber, daß das sogenannte moralische
Übergewicht auf Seiten der Regierungsparteien, also natürlich
vor allem der deutschen Regierungsparteien sei. Daß der
nationalsozialistische "Tag" in dem Chorus nicht fehlen
kann, ist selbstverständlich. Denn wie sollte man es sonst
erfahren, "daß die deutsche Sozialdemokratie sich eine
moralische Niederlage geholt habe, denn sie erhoffte sich bei
den diesmaligen Wahlen einen ganz großen Coup". Sie
sehen, meine Herren, wie moralisch es in der nichtsozialistischen
Presse zugeht, fast so moralisch wie im Wahlkampfe selbst. Darum
trösten wir uns über die lieblichen Siegesbetrachtungen
unserer Gegner damit, daß uns schließlich doch noch
immer unsere angebliche moralische Niederlage lieber ist als die
moralischen Wahl- und Pressesiege der bürgerlichen Parteien.
(Sehr richtig!).
Die Frage ist nun, welche Schlußfolgerungen
aus den Wahlergebnissen zu ziehen sind und welche Konsequenzen
tatsächlich gezogen wurden. Zwei bis drei Tage nach dem Wahlabschluß
versammelte sich der Acherausschuß und gab ein Kommuniquée
heraus, in welchem er kurz und bündig sagte, daß sich
an der Position und dem Kräfteverhältnis in der Regierung
absolut nichts geändert habe, so daß nicht die geringste
Ursache vorhanden sei, das gegenwärtige System und die Richtung
der Regierung zu beseitigen. Wir haben auch heute eine Erklärung
des stellvertretenden Ministerpräsidenten gehört: ganz
kurz, ganz prägnant, ganz eindeutig und sonnenklar erklärt
er einfach: Die parlamentarische Situation habe sich nicht geändert.
In einer Bestimmung der Verwaltungsreform heißt es, daß
politische Anträge in der neugegründeten Körperschaft
nicht eingebracht und abgestimmt wer den können. Es ist kein
Ulk, sondern wörtlich heißt es nun in dem ausgegebenen
Kommuniquée, das ich hier übersetze: "Da politische
Anträge nicht abgestimmt werden können, sei also die
natürliche Folge, daß die Wahlen keine politische Bedeutung
haben". Das ist doch sonnenklar! Die Regierung, heißt
es weiter, steht nach wie vor auf dem Boden der Verfassung; solange
die parlamentarischen Grundlagen sich nicht geändert haben,
könne sich auch die parlamentarische und politische Situation
nicht ändern. Kurz, bündig und klar und hoffentlich
für die Arbeitsklassen ganz verständlich! Ich werde
dann im Zuge der Betrachtungen auf die Einzelheiten noch näher
eingehen, ich will nur noch feststellen, das die Berufung auf
den § 30 des Verwaltungsreformgesetzes wohl das lächerlichste
ist, denn dort heißt es, daß im Rahmen von politischen
Debatten politische Anträge unzulässig sind und nicht
abgestimmt werden können, d. h. also, daß es politische
Debatten geben kann, daß unter Umständen eine Politisierung
dieses neuen Verwaltungsapparats durchaus zulässig ist, nur
die Antragstellung ist ausgeschlossen und es ist vorgehen, daß
solche An träge nicht zur Entscheidung gestellt werden können.
Der § 30 ist es, der der Regierung aus der Schlamastik heraushelfen
soll. Es wird sich reichlich Gelegenheit finden, sowohl hier im
Parlament, als auch in den neugeschaffenen Körperschaften,
auch über dieses Kapitel zu sprechen. Im übrigen will
ich, wie gesagt, auf die Einzelheiten noch näher zurückkommen.
Die Regierung, die in ihr vertretenen Parteien,
der Achterausschuß stehen also auf dem Standpunkt, daß
die Wahlen keine politische Bedeutung haben. Das widerstreitet
so manchem, was unmittelbar vor den Wahlen gesagt wurde. Es ist
zuzugeben, daß der Ministerpräsident, vorsichtig wie
er ist, und mit seinem außerordentlich guten Instinkt, der
ihn immer ausgezeichnet hat, auch außerhalb dieser Körperschaft
sagte, daß diese Wahlen keinerlei Bedeutung haben werden.
Aber ganz anders hat es schon sein Kollege Minister Nosek in
einer kurz vor dem Wahltag in Tábor abgehaltenen Versammlung
gesagt, er ließ es auch ruhig durch die Presse gehen, daß
nämlich "die Wahlen politische Wahlen sind, daß
von ihnen die Rekonstruktion des Kabinetts abhängt, daß
diese Wahlen bei einem größerem Umschwung in der Kräfteverteilung
im Frühjahr Neuwahlen in die Nationalversammlung zur Folge
haben werden." Das ist ganz klar, eindeutig und ohne Vorbehalt.
Ich übergehe dabei die wiederholten Äußerungen
des zweiten Sekretärs der republikanischen Partei
Žilka und zitiere die offizielle Kundgebung der èechischen
republikanischen Partei, also der Partei des Ministerpräsidenten
Švehla in
dem Aufruf, der im "Venkov" vom 7. Oktober veröffentlicht
ist und wo gesagt wurde: "In diesem Wahlkampf geht es nicht
nur um die Zusammensetzung unserer obersten Selbst-Verwaltungskorporationen,
geht es nicht nur um die Regelung unserer künftigen Selbst-Verwaltungspolitik,
vielmehr wird die Bedeutung dieser Wahlen in erster Linie eine
politische sein; es geht darum, daß wir dort ausharren,
wo wir stehen geblieben sind, es geht darum, daß wir die
größte und stärkste Partei in der Èechoslovakei
sein werden." Ganz klar hat die stärkste, die führende
Partei der Koalition den politischen Charakter des Wahlgangs umschrieben
und förmlich das Signal zur Politisierung dieses Wahlgangs
gegeben. Diese Tatsache wollen wir festhalten. Es wird vielleicht
gesagt werden : Das mag eine Stimme sein, die aus èechischen
Kreisen kommt und vielleicht für die deutschen Parteien nicht
ganz maßgebend sein kann. Aber die deutschen
Parteien, die die größten Leidtragenden bei diesem
letzten Wahlgang gewesen sind, haben genau denselben Standpunkt
unmittelbar nach der Wahl eingenommen, wie er heute vom stellvertretenden
Ministerpräsidenten ausgedrückt wird. So schreibt die
"Landpost" in einem kurz nach den Wahlen erschienenen
Artikel : "Die Mehrheit, die Koalition, ist intakt und ist
entschlossen, ihr Programm durchzuführen." Wir müssen
uns die Frage vorlegen, auf Grund welcher Mathematik die "Landpost"
diese intakte Mehrheit hernimmt. Da will ich eine zweite Stimme
zitieren. Wie kommt Herr Sen. Hilgenreiner, der Obmann
der deutschen christlichsozialen Partei, dazu, zu sagen, daß
wohl Verschiebungen im Kräfteverhältnis der Parteien
stattgefunden haben, daß aber diese Verschiebungen
nur innerhalb der Regierungsparteien zu verzeichnen sind? Dazu
einige Feststellungen: Die drei klerikalen Parteien haben nahezu
360.000 Stimmen verloren, möge man welchen Maßstab
immer nehmen, die èechische Gewerbepartei
hat 30.000 Stimmen eingebüßt; die deutsche Agrarpartei,
die einst mit der ungarischen Nationalpartei und mit der Gewerbepartei,
mit den bei diesen ausgeborgten Stimmen im Jahre 1925 mit 571.000
Stimmen paradierte und sich daraufhin als stärkste deutsche
Partei - natürlich mit den ungarischen Stimmen - vorstellte
und auf Grund dieser imposanten Stimmenzahl die Vertretung in
Parlamentspräsidium reklamierte, ist von 571.198 auf 262.985
Stimmen zurückgegangen und sie hat bei diesem Wahlkampf nicht
nur das ungarische Stimmenanhängsel verloren - das
war schon lange vor dem 2. Dezember in Verlust geraten - sondern
sie hat noch einen weiteren Verlust von 47.000 Stimmen zu verzeichnen.
Diese enormen Verluste haben selbstverständlich die zwei
èechischen Parteien, die èechischen
Republikaner und die Nationaldemokraten, nicht nachholen können
und so ergibt der Wahlgang vom 2. Dezember zu Gunsten der Opposition
ein Plus von 212.913 Stimmen.
Ich will mich auf das sog. "fixlování"
mit Stimmen gar nicht einlassen, ob es jetzt 212.913 oder 180.000
oder 160.000 sind, es muß unbedingt zugegeben werden, daß
die Opposition einen ganz gehörigen, respektablen, auf mehrere
Abgeordnetemandate reichenden Wahlfolg zu verzeichnen hat. Wenn
man das Senatsergebnis zur Grundlage nimmt, so haben von
den sozialistischen Parteien die èechischen Sozialdemokraten
um 178.000, die Deutschen um 43.000, zusammen um 211.000 Stimmen
mehr bekommen. Wenn man sich auf die Vergleichsbasis der Nationalversammlungswahlen
stellt, mit entsprechenden Zuschlägen
und Abstrichen, so kommt man zu 108.000 Stimmen. Was die deutschen
Sozialdemokraten anbelangt, so liegen die Dinge so: Die deutsche
Sozialdemokratie hat trotz des bei diesem Wahlgang geltenden höheren
Wahlalters, trotz der längeren Seßhaftigkeitsdauer
403.000 Stimmen erzielt. Die deutsche sozialdemokratische Partei
ist nicht nur die relativ stärkste sozialistische Partei,
das würde vielleicht gegenüber den anderen nicht viel
besagen, aber sie ist überhaupt die größte deutsche
Partei auf diesem Boden. Aber noch mehr. Bei ihr trifft etwas
zu, was keine andere Partei in diesem Staate erlangen konnte:
Jeder vierte deutsche Wähler hat sozialdemokratisch gewählt.
Bei der Begrenztheit in den Möglichkeiten der Arbeit und
Wirksamkeit der deutschen sozialdemokratischen Partei bleibt diese
Tatsache unauslöschlich und wir laden die bürgerlichen
Parteien ein, uns etwas derartiges zu zeigen, daß jeder
vierte Mensch für ihre Partei den Stimmzettel abgibt. Es
sind ca. 1,500.000 deutsche Wähler zur Wahl gegangen. Wenn
wir auf die kommunistischen Wähler 150.000 rechnen da bin
ich splendid, freilich nur am Tag nach der Wahl - so ergibt sich
noch immer bei einer Zahl von 400.000 ein derartiges Verhältnis.
Wenn man zu diesem Ergebnis die Stimmen der nationalsozialistischen
Partei, die auch einen Aufstieg zu verzeichnen hat, zuschlägt,
so muß zugegeben werden, daß die bürgerlichen
Koalitionsparteien in die Minderheit gedrängt wurden und
daß sie, um mich juristisch auszudrücken, in statu
cridae gekommen sind. Ein effektiver status cridae! Da
gibt es keine Mathematik und keine Rechenkunst, die die Koalitionsparteien
nach dies em Wahlergebnis von ihrem Alpdruck zu befreien vermag.
Übrigens, zeigt auch ein bürgerlicher Wahlstatistiker,
daß unsere Rechnungen richtig sind, der "Veèer",
der sicherlich nicht viel Sympathien für die sozialistischen
Parteien übrig hat, hat eine Wahlstatistik veröffentlicht,
die die Richtigkeit der Berechnungen, mögen sie von welchem
sozialistischen Blatte immer gemacht worden sein, bestätigt,
und es hat der Abg. Viškovský in einer Wahlbetrachtung
unmittelbar nach den Wahlen festgestellt, daß die Mehrheit
einen Verlust von 2.74%, die Opposition einen
Gewinn von 2.85% zu verzeichnen hat, was natürlich
unter Umständen bei einem Lande mit anderen Schichtungsverhältnissen
im Parlamente und im Parteienlager und unter ganz anderen politisch-parlamentarischen
Verhältnissen keinen erheblichen Ruck bedeuten würde,
wenn nicht vor uns die eine Tatsache stünde, daß die
ganze Mehrheit der Koalitionsparteien im Parlamente, sage und
schreibe, sechs Stimmen beträgt, und daß es nur gewissen
oppositionellen Gruppen, nicht zuletzt der kommunistischen Gruppe,
zu danken ist, wenn der Regierung durch die Politik dieser Gruppen,
durch ihre Absentierungen während der zurückliegenden
Parlamentsperiode das Leben gerettet wurde.
Die Regierung hat die Mehrheit verloren, was
verblieben ist, das sind sage und schreibe sechs Stimmen Mehrheit
im Parlamente, welcher Mehrheit durch die Wahlniederlage des Bürgerblocks,
durch das Votum der Wähler jeder politisch-moralische Kredit,
jeder Halt, jede Grundlage entzogen wurde, möge es auch von
höchster Stelle, wie es heute geschah, anders festgestellt
wer den. So beschaffen ist die nach der deutschen aktivistischen
Auffassung intakte Mehrheit des Bürgerblocks, der sich, wie
die "Landpost" mitteilt und wie Minister Šrámek
heute gesagt hat, noch behaglich ein richtet, sein Programm
- darauf werden wir noch später zu sprechen kommen - durchzuführen.
In einem anderen konstitutionell regierten Lande, hätte
ein Regierungschef, der bei den Wahlen so arg hergenommen wurde
und dessen Partei eine so schwere Schlappe zugefügt wurde,
so fort nach dem Wahlergebnis die Konsequenzen gezogen. Bei uns
in der Èechoslovakei scheinen aber auf bürgerlicher
Seite ganz andere Moralbegriffe zu bestehen.
Als man in England zum Schutzzollsystem übergehen
wollte, hat es Ministerpräsident Baldwin sicherlich einer
der konservativsten Männer Europas, der zu jener Zeit über
eine ungeheuere überwältigende Mehrheit verfügte,
es für selbstverständlich gehalten, das Haus einfach
aufzulösen, Neuwahlen auszuschreiben und die Wähler
entscheiden zulassen, ob sie zu seinem Programme, zum Übergang
zum Schutzzoll, stehen. Das war selbstverständlich in einem
Lande mit demokratischen Auffassungen. Nehmen wir die Verhältnisse
in der Èechoslovakei! Als die Sozialisten bei den Gemeindewahlen
im Jahre 1919 gesiegt haben, hat die ganze Öffentlichkeit
eingesehen, daß das Regime Kramáø unmöglich
sei, und hat den Übergang zum Regime Tusar vollzogen.
Vielleicht ging das gegen die Wünsche und Vorstellungen des
Dr. Kramáø, der in einem seiner letzten
Leitartikel über diese Tatsache rumort, der sie nicht vergessen
hat und sie wahrscheinlich sein Lebtag nicht vergessen wird. Aber
die èechoslovakische Öffentlichkeit
hat sich mit dieser selbstverständlichen Konsequenz abgefunden.
Ein Detail, wenn es gestattet ist, Kleines mit Großem zu
vergleichen: es hat sich unmittelbar nach diesen Wahlen im deutschen
Gebiete, in Teplitz-Schönau, eine kleine Episode abgespielt.
Es hat der Bürgermeister von Teplitz, als seine Partei bei
den Landeswahlen, nicht bei den Gemeindewahlen, eine Niederlage
erlitten hat, demissioniert und sein Bürgermeistermandat
niederlegt und sich nicht darauf berufen, daß es nur Landeswahlen
seien, während die Gemeindewähler für ihn entschieden
hätten. Das war für jedermann eine Selbstverständlichkeit,
über die es eigentlich in einem demokratischen Lande keine
Diskussion geben sollte, vor allem nicht in einem Lande, dessen
Verfassung den Willen des Volkes zum obersten Gesetz erhebt.
Darum müssen wir jenem Blatte recht geben,
das 1925 nach der Wahlniederlage der allnationalen Koalition und
der Wiederbetrauung des Ministerpräsidenten Švehla
geschrieben hat: "Der 15. November ist der schwarze Tag
der Koalition, und wenn hier, schreibt dieses Blatt, "sich
Demokratismus, wie wir ihn verstehen, eingebürgert hätte,
würde Ministerpräsident Švehla dem Präsidenten
Masaryk, der ihn nach der formellen Demission mit der Weiterführung
der Geschäfte betraut hatte, erklären, er könne
diesen Auftrag nicht annehmen, weil es der Volksstimme widerspricht."
Und das Blatt schließt sentimental: "Aber die Koalition
läßt nur jene Volkesstimme gelten, die ihr paßt."
Das Blatt, das in demokratischen Dingen solch ein Feingefühl
entwickelt hat, das aus dem Demokratismus, wie es ihn versteht
- wörtlich! - damals die letzten Konsequenzen gezogen wissen
wollte und sich sogar über die Wiederbetrauung des Herrn
Ministerpräsidenten Švehla mit der Kabinettsbildung
entrüstete, das alles auf die Volksstimme stellte, ist die
"Deutsche Landpost", das Blatt des Herrn Ministers Spina,
das in seiner Nummer vom 19. November 1925 uns einen kleinen Kursus
darüber gegeben hat, wie man sich in solcher Situation zu
stellen hat und wozu der Demokratismus, wie sie ihn versteht,
verpflichtet.
Das war 1925. Bitte, das kann vielleicht im
Affekt geschrieben sein, das kann geschrieben sein vielleicht
in einer teilweisen oder völligen Sinnesverwirrung, das kann
geschrieben sein in einem Zustande vollständiger Sinnesverrückung.
Aber ich werde nachweisen, daß die Herren 1923, während
der Gemeindewahlen, ebenso dachten, daß in dem Jahre, in
welchem sie den Marxismus wieder zu Grabe getragen hatten, wo
der Marxismus nach hrer Auffassung zum so und sovielten Male vernichtet
wurde, wo die Deutschbürgerlichen über den Sozialismus
triumphierten, sie schrieben: "Da wird nicht zuletzt mit
Recht der Ruf ertönen, wieso man diese oder jene Partei mit
so und soviel Abgeordnetenstimmen über Fragen entscheiden
lassen kann, obwohl die Mehrzahl der heutigen Wähler auf
ganz anderem Boden steht und ganz andere Anschauungen hat, als
damals, wo sich die Mehrzahl der Wähler für Parteien
entschieden hat, die heute nicht mehr ihre Zustimmung haben, deren
Vertreter im Parlament aber gegen die Auffassung, gegen den Willen
der damaligen Wähler entscheiden." Damals, hohes Haus,
war die Partei des Herrn Ministers Spina, war das Parteiorgan,
die "Deutsche Landpost" dafür, das Parlament aufzulösen,
dessen Zusammensetzung dem Wahlausgang widersprach, heute aber
vertritt man die These, daß das Ergebnis der Landeswahlen
die parlamentarische Situation absolut nicht tangiere. Und warum,
meine Herren, warum diese Sinneswandlung, warum diese Umkehrung
der Anschauungen? Weil die bürgerlichen Parteien damals den
Sieg davongetragen haben, während heute die Bevölkerung
für den Sozialismus entschieden hat. Damals bestritt man
sogar, obwohl es sich nur um Gemeindewahlen, also nicht um politische
Wahlen handelte, dem anders zusammengesetzten Parlament - ich
bitte, beachten Sie die Umkehrung der Verhältnisse - das
Recht, Gesetze zu erlassen, die der neuen Willensentscheidung
der Wählerschaft, dem neuen Wahlausgang widersprechen, heute
aber wird das Weiterverbleiben der Funktionäre im Parlament
als Selbstverständlichkeit erklärt. Ja, Bauer, landbündlerischer
Bauer, das ist etwas anderes! Warum wir das alles dem hohen Hause
erzählen? Nur deshalb, um der Bevölkerung einmal zu
zeigen, welch falsches Spiel mit ihr getrieben wird, um ihr zu
zeigen, wie man mit dem kurzen Gedächtnis der Bevölkerung
spekuliert, um ihr zu zeigen, welche beleidigenden Zumutungen
man an die Bevölkerung stellt und wie groß der Verfall
gewisser Schichten des deutschen Bürgertums ist, die, da
sie nun einmal an die Macht gelangt sind, sofort alle Grundsätze,
alle Ideale ihrer eigenen Vergangenheit zum alten Eisen werfen.
Um dieses Falschspiel zu bemänteln sucht
man nun die ganze Sache auf ein anderes Geleise zu schieben und
durch Scheinargumente sachlich zu fundieren. In ihrer Nummer vom
6. Dezember schreibt die "Deutsche Landpost", daß
die Wahlen keinen politischen Charakter haben, daß es sich
lediglich um wirtschaftliche Körperschaften handelt, daß
diese Wahlen des politischen Charakters schon im vorhinein, schon
vor dem Wahlgang entbehrt haben, und daß wir die jetzt gewählten
Körperschaften nicht verwechseln dürfen mit parlamentarischen
Körperschaften. Aber nach den Gemeindewahlen im Jahre 1923,
bei denen die deutschen Landbündler obenauf waren und bei
denen es gegen den Marxismus ging, dachte man über die Dinge
ganz anders. Damals hieß es: Die Gemeindewahlen sind, was
nicht geleugnet werden kann, der Ausdruck der heutigen politischen
Gesinnung der gesamten Wählermassen, die, wie bereits betont,
seit den Wahlen in die Nationalversammlung eine Veränderung
erfahren hat; dieser Tatbestand müsse in einem Parlament,
das nationale und politische Schichtungen und deren Stärke
ins Kalkül ziehen muß, zum Ausdruck gelangen, ein solcher
Tatbestand dürfe im Parlament nicht ohne Auswirkung bleiben.
Kein Wort, das unserem Standpunkt widerstreiten würde, kein
Wort, das nicht momentan an die Adresse der deutschen landbündlerischen
Partei, kein Wort, das nicht momentan an den Repräsentanten
dieser Partei in der Regierung gerichtet werden könnte. Wenn
wir all das sagen müssen, wenn wir in der Vergangenheit schürfen
müssen, wenn wir uns wegen solcher primitiver Dinge mit den
Landbündlern auseinandersetzen müssen, so ist das die
betrüblichste Erscheinung der deutsch-bürgerlichen Regierungspolitik,
ist eine typische Verfallserscheinung der beiden deutschen aktivistischen
Parteien.
Was seinerzeit in der landbündlerischen Presse, was vor den
Wahlen in den offiziellen Kundgebungen der deutschèechischen
agrarischen Parteien, was in der Rede des klerikalen
Ministers Nosek ausgesprochen wurde, sind alles Selbstverständlichkeiten,
über die man in einem Lande mit demokratischen Sitten und
demokratischen Einrichtungngen und demokratischer Gesetzgebung
eigentlich nicht diskutieren sollte. Bei uns aber, in dem Lande,
in welchem die Phrase von der Demokratie in der letzten Zeit überall
und namentlich in den letzten Erklärungen der Regierung wahre
Orgien feiert, in dem man mit den Worten Demokratie, Parlamentarismus,
Volkswille, Volksseele nur so herumjongliert, muß die wahre
Demokratie von uns gegen ihre patentierten Hüter, gegen jene
verteidigt werden, die sie gepachtet haben wollen, muß gegen
jene verteidigt werden, die, wie sie sagen, ein Monopol auf die
Demokratie genommen haben. Sie, die ansonsten die Diktatur verhöhnen,
die Beherrschung der Minderheit durch die Mehrheit mit aller Entschiedenheit
ablehnen, darüber Gift und Galle speien, sie usurpieren in
dem Augenblicke, wo das Volk gegen sie entschieden hat, die Macht,
indem sie sich kaltblütig über die Volksentscheidung
über den Volkswillen hinwegsetzen, und ein Minderheitenregiment
einrichten, das so manchen Usurpator Europas zur Ehre gereichen
würde, nur mit dem Unterschied, daß diese sich nicht
mit demokratischen Phrasen drapieren und versuchen, ihre Diktatur
verfassungsmäßig aufzumachen. Was ich hier sage, ist
nicht etwa bloß eine Behauptung, nicht ersonnen für
diese Rede, für diese Auseinandersetzung, sondern ist meinem
vor drei Tagen erschienen Artikel der "Národní
Listy" vom 16. Dezember nachzulesen, die es dem deutsch-èechischen
Bürgerblock, wie es wörtlich heißt, zugute halten,
daß er den Verfassungsboden behütet, daß er den
Schutz der Grundlagen des Parlamentarismus und der Demokratie
als Hauptaufgabe betrachtet - der Bürgerblock, der die Finanzgesetznovelle
gemacht hat, der die Verwaltungsreform geschaffen hat! So werden
die Dinge in diesem Lande einfach auf den Kopf gestellt. Aber
der Wahlausgang vom 2. Dezember hat gezeigt, daß sich die
Wähler trotz alledem nicht alles aufdisputieren lassen und
daß sie den Regierungsjongleuren die richtige Antwort zu
geben verstehen.