Meine Damen und Herren! Ständig hören
wir von den deutschen Regierungsparteien den Refrain in allen
Versammlungen, auch hier im Hause und in den Zeitungen, daß
sich seit ihrer Anteilnahme an der Macht, seit ihrem Regierungseintritt
die Atmosphäre wesentlich gebessert habe, daß man daran
sei, die vom Ministerpräsidenten Švehla angekündigte
Basis "Gleiche unter Gleichen" zu finden. Besonders
in den letzten Tagen, angesichts der Wahlen, wird von Regierungsabgeordneten
draußen der aufsteigende Unwille der Bevölkerung damit
bekämpft, daß man immer wieder auf die großen
Errungenschaften und Erfolge hinweist, die man besonders in der
letzten Zeit erzielt habe. Wie groß aber die Einflußnahme
der deutschen Regierungsparteien ist, bezw., um es gleich konkret
zu sagen, wie wenig sie bedeuten, wie man über sie und ihre
Meinung zur Tagesordnung hinweggeht, dafür will ich ein Beispiel
aus allerletzter Zeit bringen, das unsererseits den schärfsten
Protest herausfordern muß. Ich komme auf jenen Vorfall zu
sprechen, der sich in der vorigen Woche in Brünn im Deutschen
Theater ereignet hat und der zur Verhaftung von fünf deutschen
Studenten führte.
Was ist der Tatbestand, der diesem Ereignis zugrundeliegt? Die
Deutschen Brünns besitzen bekanntlich nach der "Eroberung"
des ehemals deutschen Stadttheaters durch die Èechen, kein
eigenes Theater mehr und sind seither zur Führung
eines dreifachen Bühnen betriebes unter großen Kosten
und Erschwerungen gezwungen. Der Ausschuß des deutschen
Theatervereins beschloß nunmehr unter teilweisem Widerstande
einzelner Mitglieder, am 31. Oktober eine Festvorstellung zu veranstalten,
jedenfalls mit Rücksicht auf das Staatsjubiläum am 28.
Oktober. Bei dieser Festvorstellung sollte die Oper der
èechischen Komponisten František Neumann "Herbststurm"
zur Aufführung gelangen. Es war das eine Erstaufführung
und, um dieser Vorstellung den notwendigen Glanz zu geben, wurde
sogar vorgeschrieben, daß die Teilnehmer in Festkleidung
zu erscheinen haben. Es wäre immerhin möglich gewesen,
daß vielleicht nicht genügend Zuhörer vorhanden
gewesen wären. Um dem abzuhelfen, zwang man die ständigen
Besucher des Theaters, auf Grund ihres Abonnements die Aufführung
eines èechischen Komponisten unter allen
Umständen anzuhören und an ihr teilzunehmen. Denn wollten
sie in dieser Woche auf ihren Platz nicht verzichten, blieb ihnen
nichts anderes übrig, als unbedingt hinzugehen.
Ich will in diesem Zusammenhange nicht das
durchaus unwürdige Verhalten und Vorgehen des Deutschen Theatervereinsausschusses
kritisieren. Dieser Ausschuß hätte es sich überlegen
müssen, eine derartige Festvorstellung überhaupt zu
veranstalten und sie gewissermaßen unter Zwang zu stellen.
Nach Bekanntwerden dieser Festvorstellung,
die hauptsächlich auf das Drängen des Theaterdirektors
zurückzuführen war, erhob dagegen die deutsche Studentenschaft
Einspruch und verlangte, daß diese Vorstellung abgesagt,
bezw. die Dauermiete aufgehoben werde. Die Studentenschaft konnte
in einer Theaterausschußsitzung nur eine Forderung durchsetzen,
daß die Mietkarten gegen Ersatz karten umgetauscht wurden.
Eine diesbezügliche Mitteilung aber an das Publikum in der
Presse wurde seitens der Theaterdirektion abgelehnt, so daß
dieses Zugeständnis unwirksam bleiben mußte. Die Studentenschaft
nahm nun selbst die Benachrichtigung der nationalen Kreise in
die Hand. Aber das wurde vereitelt. Es wurde z. B. auch die Veröffentlichung
im "Tagesboten" rundweg abgelehnt. Auch sonst die Verbreitung
z. B. von Flugblättern, Einsichtnahme in die Stammmietenliste,
das alles wurde verhindert.
Aus diesem Grunde vereinbarten einige Studenten,
daß sie vor der Theateraufführung ihren Protest der
Öffentlichkeit bekanntgeben werden. Der Student Bayer saß
mit vier anderen Studenten in einer Theaterloge und richtete
nach dem Spielen der èechischen Nationalhymne an die Besucher
einige sachlich gehaltene Sätze, die hauptsächlich gegen
die Theaterdirektion gerichtet waren. Kaum hatte er zwei Sätze
gesprochen, wurde er sofort von zahlreichen
Polizeiorganen, die im Hause anwesend waren, verhaftet, und mit
den anderen vier Studenten, die eigentlich bloß stumme Teilnehmer
und Zuhörer waren, abgeführt, zunächst auf die
Polizeidirektion gebracht, verhört und am nächsten Tage
ins Straflandesgericht eingeliefert, wo gegen sie auf Grund des
§ 14 des Schutzgesetzes die Anklage erhoben werden soll.
Seit diesem Ereignis ist bereits mehr als eine Woche vergangen,
es wäre also genügend Zeit und Gelegenheit gewesen,
den Tatbestand einwandfrei zu erheben und damit festzustellen,
daß es sich hier nicht um eine staatsgefährliche Aktion
handelt, sondern lediglich um eine Demonstration gegen die Theaterdirektion,
von welcher die Besitzer der Stammieten gezwungen wurden, an einer
Aufführung teilzunehmen, an der teilzunehmen, sie von Haus
aus vielleicht nicht die Absicht hatten Interessant ist, daß
inzwischen Hausdurchsuchungen durchgeführt wurden, daß
der Abg. Hawelka von der christlichsozialen Partei bei
der Polizeidirektion und beim Staatsanwalt mehreremale vorgesprochen
hat, um wenigstens eine Erleichterung der Haft durchzusetzen,
denn die jungen Leute sitzen noch immer in ihrer Festtagskleidung
im Arrest; es wurde ihnen bisher nicht einmal die Auswechslung
ihrer Kleidung bewilligt, es wurde ihnen nicht bewilligt, daß
sie sieh mit Gasthauskost verköstigen, sie werden festgehalten,
als ob sie ein schweres Verbrechen begangen hätten. (Výkøiky
posl. dr Koberga.) Obwohl doch eigentlich
weder eine Kollisionsgefahr, noch Fluchtgefahr vorliegt. Während
man sonst Erleichterungen jeder Art bewilligt, werden hier die
größten Schwierigkeiten bereitet, es wird den Eltern
der Zutritt zu den jungen Leuten nicht gewährt und das alles
nur deswegen, weil sich Bayer erkühnte, ein paar Worte gegen
diese Vorstellung vorzubringen. Der Herr Staatsanwalt äußerte
sieh auf Befragen dahin, daß den jungen Leuten einmal ein
gehöriger Denkzettel gegeben werden müßte. (Výkøiky
posl. dr Koberga.) Er untersuchte das Vorleben
der Studenten, angeblich habe Bayer auch in Deutschland einmal
eine Rede gehalten. Alles müsse festgestellt werden und solange
könne er nicht aus der Haft entlassen werden. Wenn nun die
Untersuchungen sich noch einige Monate hinziehen werden, dann
werden die fünf Studenten noch weiß Gott wie lange
sitzen müssen, obwohl, wie gesagt, gegen ihre Haftentlassung
nichts vorliegen würde. Und das geschieht unter dem Justizminister
Mayr-Harting, das geschieht zu einer Zeit, wo er doch ohne
Zweifel die Möglichkeit hätte, herbeizuführen,
daß den jungen Leuten Erleichterungen gewährt werden,
ohne mit der Unabhängigkeit der richterlichen Gewalt irgendwie
in Kollision zu geraten. Gewiß wird sich der Herr Justizminister
ausreden, er könne in die Unabhängigkeit der Richter
nicht eingreifen; aber was hier vorgeht, hat mit der Unabhängigkeit
der Richter nichts zu tun. Der Minister muß die Möglichkeit
haben, die Beschleunigung eines derart zwecklosen Verfahrens durchzusetzen.
Darin offenbart sich die Ohnmacht der deutschen Regierungsparteien,
die Ohnmacht des Herrn Ministers Mayr-Harting in seinem
Ressort, dasselbe Verhalten, das wir ja im Falle Popelka feststellen
konnten, welches ja zu einer vollständigen Revolution und
Rebellion und zu einer direkten Blamage des Herrn Mayr-Harting
führte, indem sich die anderen èechischen Richter
mit Popelka solidarisch erklärten. In einem solchen Falle,
wie er in Brünn vorliegt, müßte nicht bloß
die Opposition auftreten, es müßten die deutschen
Regierungsparteien von der Regierung unbedingt sofortiges Eingreifen
und Haftentlassung verlangen. Es wäre auch Sache des deutschen
Theatervereines, der durch seine Ungeschicklichkeit diesen Vorfall
herbeigeführt hat, hier einzugreifen und die Befreiung zu
erwirken. [Další èást øeèi
byla usnesením pøedsednictva posl. snìmovny
ze dne 7. listopadu 1928 podle § 9, lit. m) jedn.
øádu vylouèena z tìsnopisecké
zprávy. Viz str. 114 této tìsnopisecké
zprávy.] Übrigens mußte
ja gestern im Senate der Herr Senator Dr Hilgenreiner von
der christlichsozialen Partei selbst betrübten Herzens festhalten,
daß sich eigentlich seit Jahr und Tag in der Behandlung
der Deutschen im Voran schlage und auch sonst nichts geändert
hat. Ich frage, wie es denn die deutschen Parteien noch immer
in der Regierung aushalten und alles dekken, was geschieht, ohne
endlich einmal die Konsequenzen daraus zu ziehen. Wir protestieren
gegen dieses Vorgehen gegen die deutschen Studenten in Brünn
und verlangen, daß in kürzester Zeit Remedur geschaffen
wird.
In diesem Zusammenhang will ich noch auf einen
anderen Fall, der sich im September ereignet hat, zurückgreifen.
Im September fand in Eisenstein die Hauptversammlung des deutschen
Böhmerwaldbundes statt, bei welcher Gelegenheit auch besondere
Festlichkeiten abgehalten wurden. Am Festzuge beteiligten sich
mehrere Mitglieder des Vereines deutscher Hochschüler des
Böhmerwaldes "Hochwald". Der Festzug bewegte sich
von Eisenstein nach dem fast eine Stunde entfernten Girgelhof.
Bei der Aufstellung wurden die Studenten aufmerksam gemacht, daß
während des Festzuges die Kappen in der Hand getragen werden
müssen, welcher Aufforderung sie auch ohne weiteres nachkamen.
Hinter dem Dorfe Eisenstein, fast drei Viertelstunden hinter Eisenstein,
löste sich der Festzug in einzelne Gruppen auf. Bei dieser
Gelegenheitsetzten die Studenten ihre Kappen auf, ohne selbstverständlich
die Absicht zu haben, jemanden zu provozieren oder zu beleidigen.
Nach ca zehn Minuten schon wurden sie abseitsgerufen und ihnen
von einem Gendarmeriewachtmeister und einem Herrn in Zivil, der
sich legitimierte, das Nationale abgenommen. Nunmehr erhielten
sie eine Vorladung zu Gericht, wo sie wegen Übertretung des
§ 383 - Aufruhr und Verweigerung des Gehorsams gegen Behörden
- angeklagt sind. Sie sehen also, daß selbst das Aufsetzen
einer unschuldigen Kappe heute schon beinahe unter dem Hochverratsparagraphen
steht und daß sofort gegen die armen Studenten mobilisiert
wird, um sie nur dahin zu bringen, die Kappen abzulegen und damit
nach außenhin nicht mehr zu bekunden, daß sie
Deutsche sind. Dieses scharfe Vorgehen gegenüber deutschen
Studenten und gegenüber der deutschen Öffentlichkeit
bei Demonstrationen und sonstigen Anlässen steht in krassem
Widerspruch zu der milden Auffassung, wie sie umgekehrt bei èechischen
Demonstrationen geübt wird. Ich will nur ein Beispiel anführen,
das mich selbst und unsere Stadt betrifft. Am 27. Oktober veranstalteten
mir einige Studenten der èechischen Mittelschule in Neutitshein
eine Katzenmusik, weil ich es verhindert hatte, daß
die "Verkaufte Braut" im Deutschen Vereinshau se im
èechischen Text aufgeführt wurde. Mein Vorgehen richtete
sich nicht vielleicht gegen Smetanas Oper, sondern es richtete
sich gegen den Um stand, daß eine Veranstaltung im deutschen
Vereinshaus zum ersten Mal in èechischer
Sprache durchgeführt werde. Denn das war der Zweck der Übung,
die Durchbrechung des Prinzips, daß im deutschen Vereinshaus
nicht in èechischer Sprache gespielt wird. Das gelang mir
zu verhindern. Die Folge davon war die Demonstration am
Abend des 27. Oktober, unter Führung von Mittelschülern,
wie festgestellt wurde, des Sohnes eines èechischen Kaufmannes
und Leinenwarenerzeugers Leon Kraus, der in erster Linie deutsche
Kundschaft hat und von Deutschen lebt, und unter Führung
des Sohnes des èechischen Juden
Brod der Likrus-Aktienbrauerei. Die Polizei verhielt sich bei
diesem Anlaß vollständig passiv, sie schritt nicht
ein, verhaftete niemanden, ja, als man sie darauf aufmerksam machte,
was da vorgehe, erklärte sie, keine Handhabe gegen die
Demonstranten zu haben. Sie forderte nur zum Schlusse die Demonstranten
auf auseinanderzugehen, welcher Aufforderung auch Folge geleistet
wurde. Damit gab sich die Polizei vollständig zufrieden.
Ich hörte auch seither nicht, daß irgendwie seitens
der Direktion des èechischen Reformrealgymnasiums
wegen Beteiligung der Schüler eingeschritten oder irgendwie
eine Untersuchung eingeleitet worden wäre. Ich frage: Was
würde im umgekehrten Falle geschehen, wenn deutsche Mittelschüler
eine derartige Demonstration auch nur
gegen irgendeinen èechischen Výbor-Mann veranstalten
würden? Selbstverständlich würden die Verantwortlichen,
die den Zug angeführt haben, verhaftet, und die Direktion
würde mit den schwersten Strafen, mit Karzer. Hinauswurf
vorgehen. Hier in diesem Vorgehen allein sehen
Sie schon den Unterschied, der gemacht wird, das zweierlei Maß,
das hier zur Anwendung gelangt. Man geht eben über die Deutschen
ruhig zur Tagesordnung über. Man kümmert sich nicht
um ihre Wünsche, nicht um ihre Forderungen, wenn sie solche
aufzustellen überhaupt die Kühnheit haben. Man macht
ihnen zwar bei den Verhandlungen schöne Worte und weitgehende
Versprechungen, ohne sie irgendwie später einzuhalten. Ich
verweise in diesem Zusammenhang nur auf das Verhalten des Schulministeriums
bei der sogenannten Jubiläums schulbroschüre. Sie erinnern
sich an die Vorfälle hier im Hause anläßlich dieser
Angelegenheit. Sie erinnern sich, daß ich es war, der zuerst
auf diese Broschüre hingewiesen und erklärt hat, daß
wir unter keinen Umständen der Verbreitung dieser Broschüre
zustimmen können, daß sie geradezu eine Beleidigung
für die Deutschen bedeute. Daraufhin wurden auch die deutschen
Regierungsparteien auf die Jubiläumsschrift aufmerksam und
Abg. Dr Feierfeil erklärte im Abgeordnetenhause: "Wir
erheben den schärfsten Protest gegen diese Broschüre
und verlangen die sofortige Zurücknahme". Abg. Petersilka
führte im Hause aus, daß die Broschüre ein Faustschlag
in das deutsche Gesicht sei. "Ich kann nicht anders",
sagte er, "als im Namen der Katholiken und der Deutschen
gegen dieses Vorgehen aufs äußerste zu protestieren
und den Herrn Unterrichtsminister zu bitten, in zwölfter
Stunde - Samstag ist die Feier - eine Ordre hinausgehen zu lassen,
daß diese Broschüre, welche noch dazu schlecht ins
Deutsche übersetzt ist, an die deutschen Schulen nicht
ausgefolgt wird. Was die èechischen Schulen anbelangt,
so mögen sich das die èechischen Katholiken ausmachen.
Die deutschen Katholiken aber protestieren dagegen". Die
deutschen Regierungsparteien gaben sodann nach
einer Rücksprache mit dem Unterrichtsminister folgende Verlautbarung
kund, die durch die ganze Presse ging: "Die Broschüre
des Unterrichtsministeriums bildete den Gegenstand eingehender
Erörterungen der deutschen Parteien. Die christlichsoziale
Volkspartei hielt eine Klubsitzung ab, wobei beschlossen wurde,
beim Chef der Regierung zwecks sofortiger Einstellung der Verbreitung
dieser Broschüre an den deutschen Schulen einzuschreiten.
Auch der Bund der Landwirte beschäftigte sich mit dieser
Angelegenheit und am Abend begaben sich die Abgeordneten Dr. Luschka
und Hodina zum stellvertretenden Ministerpräsidenten
Šrámek, um ihm die Auffassung der deutschen
Mehrheitsparteien in dieser Frage zu verdolmetschen. Es hat diese
Broschüre wegen ihrer hussitischen Tendenz auch auf
èechischer und slovakischer katholischer Seite Unwillen
erregt. Nachfragen im Schulmnisterium nach der Autorschaft dieser
Broschüre hatten kein Ergebnis. Niemand im Schulministerium
will sich als Vater dieser Broschüre bekennen". Die
"Deutsche Landpost" schreibt am gleichen
Tage: "Die Broschüre wurde daraufhin zurückgezogen.
Soweit die alte Broschüre bereits ausgegeben wurde, wird
sie über Weisung des Unterrichtsministeriums den Kindern
wieder abgenommen werden".
Sie sehen also, daß diese erzwungene
Zurücknahme der Broschüre als ein kolossaler Erfolg
der deutschen Regierungsparteien hingestellt wurde. Auch in den
Zeitungen wurde die Nachricht mit Fettdruck groß aufgemacht.
Was aber geschah in Wirklichkeit? In Wirklichkeit wurde die Broschüre
an den deutschen Schulen der Republik, und zwar an den meisten
Schulen, tatsächlich verbreitet. Hie und da ist sie allerdings
zurückgehalten worden. Es ist nicht bekannt, ob seitens des
Ministeriums eine Weisung hinausgegeben wurde. Tatsache ist, was
bei uns überall fest gestellt werden konnte, daß die
Broschüre trotz Einschreitens der deutschen Regierungsparteien
und trotz dieser angeblichen Weisung des Ministeriums zur Verbreitung
gelangte. Ich stelle weiters fest, daß sie auch später
nicht wieder zurückgefordert oder zurückgenommen wurde.
Es kam dann allerdings eine kleine Flugschrift auf zwei Seiten
läppischen Inhalts heraus, aber die alte Broschüre blieb
nach wie vor in den Händen der Kinder. So sieht also der
angebliche Erfolg der deutschen Regierungsparteien in Wirklichkeit
aus. Man fühlte sich seitens des Ministeriums und der Behörden
in keiner Weise veranlaßt, diese Schrift zurückzunehmen.
Im Gegenteil, es ereignete sich hie und da, wie mir mitgeteilt
wurde, eine Verschärfung der Situation dadurch, daß
in manchen Orten und Städten die Kinder diese Flugschrift
des Ministeriums, wie ich es ja hier direkt empfohlen hatte, zerrissen
haben. Die Zerrreissung dieser Flugschrift wurde seitens des Národní
výbor oder irgendeiner anderen èechischen Ortsbehörde
aufgegriffen und darüber nunmehr Anzeige erstattet, die meines
Erachtens auf einer falschen Voraussetzung beruht; weil in dem
Momente, wo die Broschüre den Kindern in die Hand gegeben
wird, sie in das Eigentum übergegangen ist, mit dem jeder
machen kann, was er will. Es ist auch, die inzwischen vom Ministerium
verurteilte Schrift keineswegs irgendwie so geheiligt, daß
sie nicht ruhig zerrissen oder dem Feuer übergeben werden
darf, bezw. daß das ein crimen laesae majestatis, eine staatsgefährliche
Handlung sein könnte. Auf die Anzeige der Jednota
oder des Národní výbor oder sonst einer èechischen
Körperschaft werden da und dort, wie mir mitgeteilt wurde,
hochnotpeinliche Untersuchungen durchgeführt, um festzustellen,
ob vielleicht die Herren Lehrer oder Professoren
an dem Zerreissen irgendwie beteiligt waren. Man will dadurch
die deutschen Lehrer und Professoren für die Zukunft einschüchtern,
man will ihnen Ungelegenheiten machen, durch dieses Vorgehen werden
ohne Zweifel auch tatsächlich viele für die Zukunft
abgeschreckt, die armen öffentlichen Angestellten und Lehrpersonen
wissen ja heute so wie so nicht mehr, wie sie sich verhalten dürfen,
um nicht das Mißfallen der vorgesetzten Behörde zu
erregen, sie sind ja dem schwersten Druck ausgesetzt. (Posl.
dr Koberg: Sie mußten Lobreden auf den Staat halten!) Ich
habe damals in meiner Rede darauf hingewiesen, daß es mir
gar nicht schwer fallen würde, derartige Lobreden auf die
nationale Befreiung und auf die Freiheitsbestrebungen zu halten,
wenn man am Schlusse die entsprechende Nutzanwendung aus diesen
Reden zieht, wozu ich ja damals die Lehrpersonen aufgefordert
habe. (Posl. dr Koberg: Es wird ihnen daraus der Strick gedreht!)
Ich hoffe aber, daß sich selbst durch diese Schikanen
die deutschen Lehrpersonen und überhaupt unsere öffentlichen
Angestellten nicht von ihrem deutschen Bekenntnis werden abbringen
lassen und daß sie sich in keiner Weise werden einschüchtern
lassen, wenn auch solche Übergriffe vorkommen. Wir ersuchen
nur die Öffentlichkeit, uns jeden einzelnen Fall bekannt
zu geben, wenn irgendwo jemand in Disziplinaruntersuchung gezogen
oder eine Disziplinierung vorgenommen werden sollte, und wir werden
dann die deutschen Regierungsparteien in Bewegung setzen, um eine
Bestrafung zu verhindern, bezw. um sie dann im andern Falle dafür
verantwortlich zu machen. So sieht der Einfluß der deutschen
Regierungsparteien in der Koalition aus. In der heutigen Sitzung
des Kulturausschusses sprach unter anderem Abg. Petersilka
davon, wie sich so manches gegen früher gebessert habe und
wie jetzt die Vorschläge und Wünsche der Opposition
eine weitgehende Beachtung finden, nicht mehr so wie früher,
wo man über sie schlankweg zur Tagesordnung überging.
Wir machten ihm bei diesem Anlaß sofort den Zwischenruf,
daß sich nach unserer Meinung gegen früher aber rein
gar nichts geändert und gebesset hat. Die Gesetze werden
genau so gemacht wie früher, die berechtigten Einwürfe
und Verbesserungsanträge der Opposition werden genau so vernachlässigt
und niedergestimmt, wie es früher unter der allnationalen
Koalition der Fall war. Die verschiedenen Gesetzentwürfe
werden genau so wie früher erst in der Koalition ausgepackelt,
und wenn die Sache dann so weit bereinigt ist, wenn die widersprechenden
Meinungen auf eine gemeinsame Linie gebracht sind, dann erst wird
der Entwurf der parlamentarischen Behandlung im Ausschuß
und im Hause hier zugeführt. Die Anträge der Opposition
werden niedergestimmt, die Beratungen hier haben vielleicht nur
mehr nach außen hin eine Berechtigung, sonst ist alles genau
so wie ehedem. Wir sprechen daher mit Recht von der Diktatur der
jeweiligen Koalition, was naturgemäß dazu führt,
daß der Parlamentarismus immer mehr und mehr abstirbt, daß
das Interesse an den parlamentarischen Vorgängen in der Öffentlichkeit,
wie auch das Interesse der Abgeordneten selbst hier an den Verhandlungen
des Hauses auf den Nullpunkt gesunken ist. Sie brauchen sich ja
nur einmal einen Augenblick im Hause umsehen und feststellen,
wie groß die Teilnahme der Herren Abgeordneten an den Verhandlungen
ist, Sie brauchen nur feststellen, unter welch beschämenden
Umständen die verschiedenen Verhandlungen geführt werden,
um zu sehen, daß der ganze Parlamentarismus, wie wir wohl
sagen können, bereits auf den Hund gekommen ist. Die deutschen
Regierungsparteien hätten sich auch diesbezüglich ohne
Zweifel ein gewisses Verdienst erwerben können wenn sie einmal
bei Behandlung der Opposition wirklich nach diesen Gesichtspunkten
vorgegangen wären, wie ich vorhin sagte, daß sie alle
berechtigten Einwände und Wünsche einer eingehenden
Kritik unterzogen und auch berücksichtigt hätten. Das
alles ist bisher nicht geschehen und wird wahrscheinlich auch
in Zukunft so bleiben. Es hat sich auch die Behandlung der verschiedenen
Interpellationen und Anfragen in gar keiner Weise gegen früher
geändert. Welchen Zweck verfolgen eigentlich die Interpellationen
und Anfragen? Den Zweck, gewisse Übelstände da und dort
aufzuzeigen und darauf zu dringen, daß sie abgestellt werden,
um die Allmacht der Beamten und der Bürokratie im allgemeinen
ein wenig zu beschneiden und unter Kontrolle zu stellen, um Auswüchse
des Beamtenapparates dadurch zu verhindern. Die Kontrolle sollte
das wichtigste Recht des Parlamentes und damit der Volksvertreter
im allgemeinen sein. Was geschieht aber heute bei Behandlung der
Interpellationen und Anfragen? Nach der Geschäftsordnung
haben solche Interpellationen binnen zwei Monaten von dem betreffenden
Fachminister beantwortet zu werden. Ich stelle hierzu fest - ich
greife nur meine Interpellation heraus, aber jeder andere Kollege
wird dasselbe feststellen können - daß von meinen Interpellationen
folgende bisher nicht beantwortet wurden, wobei die Zeit weit
überschritten wurde: Am 9. September 1926, also vor zwei
Jahren, eine Interpellation über der Schacher mit Einfuhrscheinen;
am 9. Juni 1927, - also vor anderthalb Jahren, wegen Nichtkonstituierung
des Ortsschulrates und Stadtschulausschusses in Friedek; am 7.
Juli 1927 - das sind die Einreichungsdaten - Ausübung der
Privatpraxis durch den Staatstierarzt in Neutitschein; am 19.
Oktober 1927 über die skandalösen Schulverhältnisse
in Friedek; am 11. Mai 1928 über Neujahrsremunerationen an
Staatsbeamte; am 10. Mai 1928 über den Verkauf von Losen
für die Brünner Ausstellung an deutschen Schulen; am
13. Juni 1928 über die Brüskierung der Deutschen auf
der Ausstellung in Brünn; am 20. Juni 1928 über die
Ernennungen in den Straßenrat; am 20. Juni 1928 über
die Verbreitung eines Boykottflugblattes in Leipnik, am 7. September
1928 betreffend Übergriffe eines Gendarmeriewachtmeisters
im Hultschiner Ländchen; am 8. Juli 1928 betreffend das Vorgehen
des Steueramtes in Zwickau: am 9. Juli 1928 betreffs der Beförderung
des Richters Janoušek in Görkau. Das andere will ich
mir ersparen, weil immerhin erst drei bis vier Monate seit der
Einbringung verflossen sind. Einige dieser Interpellationen sind
also zwei Jahre eingebracht und bis heute nicht beantwortet. (Posl.
dr Koberg: Das ist eine Mißachtung des Parlaments!) Ganz
richtig das ist eine gröbliche Mißachtung des Parlaments
und der Tätigkeit der Volksvertreter, das ist eine Verletzung
der Geschäftsordnung, und es hätte meines Erachtens
Aufgabe des Hauspräsidiums sein müssen, hier einzugreifen
und die Herren Fachminister zu veranlassen, daß sie ihren
Verpflichtungen restlos nachkommen. Sie hätten rechtzeitig
darauf aufmerksam gemacht werden müssen. Durch so ein Vorgehen
diskreditiert sich das Parlament selbst, begibt sich seiner wichtigsten
Rechte und andererseits wird damit das eine erzielt, daß
die Beamtenschaft weiß, sie könne sich alles erlauben,
sie könne machen was sie wolle. Selbst in jenen Fällen,
wenn einmal der Minister eine Antwort auf Interpellationen gibt
- ich bitte, nehmen Sie die letzten Verteilungen zur Hand - ist
entweder der Zeitpunkt soweit zurückliegend, daß das
allgemeine Interesse nicht mehr vorhanden ist, oder man wird mit
einigen Phrasen abgespeist, weil die Herren Minister alles decken,
was von ihren untergeordneten Organen gemacht wird. Selbst die
größten Ungerechtigkeiten werden heute restlos gedeckt.
Damit erzielen sie, daß die Beamtenschaft kontrolle- und
kritiklos arbeiten kann, daß sie sich der Bevölkerung
gegenüber alles erlauben darf. (Výkøiky
na levici.) Hat doch vor nicht langer Zeit
in Friedek über eine eingebrachte Beschwerde der betreffende
Beamte einfach erklärt: "Fahrt mir mit Kanonen ins Ministerium,
mir ist es ganz Wurst". Das heißt doch einfach: Ihr
könnt machen was ihr wollt, ihr werdet euer Recht
nicht finden, bezw. ich mache, was ich will, das Ministerium kann
mir in dieser Hinsicht nichts dreinreden. Das wäre im alten
Österreich ich war dort nicht Abgeordneter, aber selbst èechische
Kollegen haben das schon mehrmals festgestellt
- unmöglich gewesen, ist nie eingetreten, weil das Präsidium
des Hauses dafür sorgte und diese Übelstände selbst
abstellte. Das ist der spezifische èechische Parlamentarismus,
wie er sich in den letzten Jahren hier herausgebildet hat.
Das Präsidium hat Wichtigeres zu tun.
Das Hauspräsidium muß vor allem darauf sehen, ob nicht
etwa hier im Hause ein zu freies Wort gesprochen wird, es muß
die Reden der Abgeordneten noch einer doppelten Zensur unterziehen
und herausstreichen, was sich seiner Ansicht nach auch nur halbwegs
nicht zur Verbreitung eignet. Der Staatsanwalt ist oft noch ein
Waisenknabe gegenüber dem Hauspräsidium und seiner Tätigkeit.
Dazu kommt noch, daß diese Zensur oft in einem Zeitpunkte
ausgeübt wird, wo vielleicht der Durchschlag der Reden schon
an die Zeitungen gegangen ist. Dann kommt es vor, daß auf
einmal draußen Zeitungen konfisziert werden, weil der betreffende
Abgeordnete nicht rechtzeitig in Kenntnis der Konfiskation war.
Was die Konfiskationspraxis in der letzten
Zeit sich geleistet hat und wie besonders unter dem Justizminister
Mayr-Harting jetzt draußen diese Praxis geübt
wird, wie das dann durcheinandergeht, das will ich Ihnen nur an
einigen Beispielen zeigen.