Støeda 19. záøí 1928

Pøíloha k tìsnopisecké zprávì

o 162. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní

republiky Èeskoslovenské

v Praze ve støedu dne 19. záøí 1928.

1. Øeè posl. Schuberta (viz str. 24 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Die Novellierung der Sozialversicherung war eine unabweisliche und zwingende Notwendigkeit. Sie mußte kommen. Jede Reform, die geeignet ist, einen vernünftigen sozialen Fortschritt zu fördern und dauernd und ernst festzuhalten, ist gewiß nicht von der Hand zu weisen, aber das, was im alten Sozialversicherungsgesetze geschaffen wurde, konnte absolut nicht auf eine Dauergeltung rechnen, und im voraus schon wußten wir - und jeder Vernünftige und halbwegs vorwärts Blickende mußte es wissen - daß mit diesem Gesetz nur das Schattenbild einer Sozialversicherung geschaffen wurde, geschaffen, um reif zur baldigen Novellierung zu sein. Daran ist vor allem auch die sehr oft mehrdeutige Diktion des Gesetzes schuld, so daß sich auch hieraus sehr viele große Streitfälle ergeben haben. Andere Staaten gingen bedächtiger vor und versuchten es nicht, mit einem Wurf alle Versicherungspflichtigen zu erfassen. Sie wählten den Etappenweg, so auch Deutschland und Frankreich. Bei uns glaubte man mit einem Schlage das große Werk lösen zu können. Die Folgen dieser übereilten, dieser überhasteten Handlungsweise blieben daher auch nicht aus.

Auch in Deutschland bezeichnet man gegenwärtig die durch die Sozialversicherung verursachten Lasten als für die Volkswirtschaft sehr drückend und auch dort rufen ernste Kreise nach der Herabminderung dieser Lasten durch strengere Sparsamkeit und durch Reformen in der Organisation. In den letzten Monaten wurde in jeder größeren landwirtschaftlichen Tagung der dringende Ruf erhoben, die Härten dieses Gesetzes zu mildern oder zu beseitigen. Der Landwirt ist nicht in der angenehmen Lage wie beispielsweise die Industrie, die Beträge, die er zahlen muß, durch teilweisen Aufschlag auf den Preis seiner Produkte wieder einzubringen, denn nicht er bestimmt den Preis seiner Produkte, da er diesen Preisbestimmung vollständig machtlos gegenübersteht. Infolgedessen ist es unsere dringendste Forderung gewesen, daß im Interesse von Landwirtschaft und Gewerbe dieses Reformproblem erfolgreich gelöst werde. Hier kommt also der alte Erfahrungssatz zur Geltung, daß alle Extreme und natürlich auch Extreme in der Gesetzgebung wie sie insbesondere auf sozialpolitischem Gebiete an der Tagesordnung waren und sind, abgebaut werden müssen und eine gerechte das gesamte Wirtschaftsleben berücksichtigende Gesetzgebung hier ernst korrigierend eingreifen muß. In dem von der alten Koalition geschaffenen Arbeitersozialversicherungsgesetze sind die Dogmen des Sozialismus zur Verwirklichung gelangt, hier hat sich die sozialistische Doktrin am offensichtlichsten ausgelebt. Die Begeisterung, die die Massen diesem Gesetze entgegengebracht haben, ist restlos geschwunden, es trat in den breiten Massen, besonders der arbeitenden Bevölkerung und insbesondere unter den landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeitern nicht nur eine Ernüchterung ein, sondern mehr noch sind in diesen Kreisen oft die stärksten Widersacher dieses Gesetzes zu suchen. (Výkøiky nìm. soc. demokratických poslancù.) Ich wäre in der Lage, nur aus dem Kreise von Pfraumberg Zuschriften von 500 Personen zu bringen, in denen von uns verlangt wird, daß man die Sozialversicherung novellieren solle. Man mobilisiert vorerst gegen uns mit der Behauptung, daß wir betreffend die Arbeitslöhne in Europa angeblich erst an achtzehnter oder, ich weiß nicht, an wievielter Stelle stehen. (Výkøiky poslancù klubu Bund der Landwirte. - Posl. Schäfer: [nìmecky]: Es ist das unser Geld, von welchem bezahlt wird!) Ich werde darauf reagieren, Herr Kollege, und dagegen polemisieren. (Hluk na levici.)

Místopøedseda inž. Dostálek (zvoní): Prosím o klid. Slovo má pan posl. Schubert.

Posl. Schubert (pokraèuje): Ich reagiere mit dieser Bemerkung darauf, daß wir betreffend der Arbeitslöhne in Europa angeblich an achtzehnter oder, ich weiß nicht, an welcher Stelle stehen. (Posl. Schäfer: An vierzehnter Stelle!) Hiezu sei gesagt: Das ist eine absichtliche Irreführung, denn wenn man die Arbeitslöhne hier feststellen will, dann muß man vor allem das arme karpathorussische und das arme slovakische Hochgebirgsgebiet ausschalten. (Výkøiky nìm. soc. demokratických poslancù.) Warten Sie doch meine Argumentation ab! Wenn dieses der Fall wäre, käme man zu anderen Ergebnissen. Können wir uns betreffend die Höhe der Arbeitslöhne denn mit den reichen Staaten überhaupt in eine Linie zum Vergleich stellen? (Výkøiky posl. Schäfera.)

Von der kommunistischen Seite hat man uns und in heftigerem Maße den sozialdemokratischen Parteien - Verwandte, wenn sie miteinander hadern, tun dies immer lebhafter als Fremdstreitende - den Vorwurf gemacht, daß die Novelle in aller erster Linie nur den Agrariern zugutekommt und die Agrarier den Groß- und Schwerteil eingeheimst hätten. Dies trifft natürlich nicht zu. Die Novelle ist ein Kompromiß und die Vorteile, die wir erreicht haben, betrachten wir nur als eine Abschlagszahlung, bis die weitere Ausgestaltung des Gesetzes unbedingt weitere Erleichterungen bringen wird. Ich konstatiere ferner diesbezüglich: Unsere berechtigten Wünsche sind auch deshalb nicht in vollem Maße erreicht, weil leider das Bürgertum nicht jene Schlagkraft und jene Geschlossenheit hat, wie sie die Linksparteien besitzen. Das ist das taktische Manko aller bürgerlichen Parteien. Uns wurde des weitern der Vorwurf gemacht, daß wir die Versicherung der Überalterten im Gesetze selbst durchzuführen verabsäumt haben. Auch dieser Vorwurf hat eine demagogische Färbung, denn der ganze Aufbau des Arbeitersozialversicherungsgesetzes läßt ein Einschachteln der Überalterten nicht zu und muß hier - den eigenen Verhältnissen Rechnung tragend - ein eigenes Gesetz der Sache der Überalterten näher treten. (Posl. Schäfer: Die Fachleute urteilen anders darüber, Sie sind doch kein Fachmann!) Mit den Fachleuten geht es wie mit den Statistikern. Jeder zweite hat eine andere Meinung. Ich behaupte, daß die Statistiken der Fachleute und Statistiker manchmal potenzierte Lügen sind. Und die Statistik! Man nennt sie auch die Wissenschaft der Lüge.

Die Novellierung dieses Gesetzes war kein leichtes Stück Arbeit, sie war ganz gegenteilig ein besonders schwieriges Werk. Es ist ein alter parlamentarischer Erfahrungssatz, daß es rascher gelingt, im ersten Anlauf, im ersten Überrumpelungselan, Gesetze zu schaffen, daß es aber schwerer ist, die geschaffenen Gesetze mit all ihren Lücken, Schwächen und Rückständigkeiten zu reformieren.

Die objektive Presse hat Recht, wenn sie vor kurzer Zeit schrieb, daß die Novelle das größte und mühevollste Werk der Koalition ist und daß dieses Werk nicht durch überstürzte Eile zustande gebracht wurde, sondern im Gegensatz zu manchen Gesetzen der alten Zeit dieser Novelle der Stempel eifrigen ernsten und mehr als elfmonatigen Studiums anhaftet. Alle Spekulationen, die bei diesem schweren Werke mit der Zertrümmerung der Mehrheit rechneten, erwiesen sich als falsch und trügerisch. Allerdings darf ich auch andererseits nicht unerwähnt lassen, daß es einige Blätter der Opposition sind, die in dieser Beziehung erheblich über das Ziel schießen. (Výkøiky a hluk na levici.) Man glaubt, wenn man sie liest oder die Zwischenrufe hier hört, schier den "Arizona Kiker" vor sich zu haben. Letztere Wahrnehmung ist für uns als Aktivpost zu buchen und das Goethewort "Freund, bist Du grob, bist Du im Unrecht" hat hier seine Gültigkeit. Allerdings kann ich mich trotz der scharfen Einstellung mancher oppositioneller Blätter nicht des Gedankens erwehren, daß es sich hier nur um Rückzugs- und Nachhutsgefechte handelt.

Ein geschätztes und ernstdenkendes Mitglied der Opposition hat den früheren èechischen Koalitionsparteien im sozialpolitischen Ausschuß vorgeworfen, daß dieselben gemeinsam mit den èechischen sozialistischen Parteien dieses Gesetz schufen und nunmehr nicht an ihm festhalten. Ich gestatte mir zu diesem Einwande zu bemerken: Politische Parteien können doch nicht ewig miteinander verkettet sein. Wenn politische Parteien Gesetze schaffen und später zur Überzeugung kommen, daß sich in der Praxis schwere Mängel ergeben, haben diese Parteien nicht nur das Recht, sondern vielmehr auch die Pflicht, diese Gesetze zu novellieren. (Posl. Schäfer: Die Mängel haben Sie ja gar nicht beseitigt! Hätten Sie uns doch gleich bei der ersten Beratung gefolgt!) Wir folgen nicht immer und nicht jedem! (Rùznì výkøiky.) Derselbe Redner hat auch im Ausschuß erklärt, daß nach seiner Ansicht für die nächsten Jahre zwar der 41/2%ige Zinsfuß als finanzielle Grundlage des Gesetzes genüge, er aber trotzdem ihn für die weitere Zukunft ablehne müsse. Diese Stellungnahme genügt uns und wir ersehen daraus, daß die Gespenster, die man diesbezüglich an die Wand malte, nicht existieren und für absehbare Zeit der 41/2%ige Zinsfuß gesichert ist. Hier gilt das Wort: "Wer der Zeit dient, der dient ehrlich." Daß dem so ist, dafür kam uns gerade dieser Tage ein Beweis darin, daß die Banken den Einlagenzinsfuß erhöht haben. Über letztere Tatsache schweigen sich die Stimmen der Opposition aus wie das Grab. Aus dieser Tatsache ziehen die Herren nicht die unsere Anschauung stützenden Schlüsse. Ein anderes Mitglied der Opposition hat uns die Zölle auf Agrarprodukte vorgehalten. Dieser Vorhaltung gegenüber habe ich nur zu bemerken: Um zu sehen, wie die Zölle sich in der Wirklichkeit auswirken, braucht man nur vor allem in die Bücher der Reiffeisen-, der landwirtschaftlichen und anderer Kassen, in die Bücher der Hypotheken- und anderer Banken Einsicht zu nehmen und man wird sehr traurige Tatsachen über die so intensiv einsetzende Verschuldung von Grund und Boden zu konstatieren in der Lage sein, abgesehen davon, daß ja unsere Landwirtschaft durch die Dürre des heurigen Sommers, vielerorts auch durch Hagelschäden in einen schweren Notstand geriet. Der Landwirt muß insbesondere seine Viehbestände zu Schleuderpreisen abgeben und ist die Viehhaltung und Viehzüchtung nicht nur eine unrentable, sondern eine verlustreiche geworden. Wenn daher die Landwirtschaft nicht katastrophal gefährdet werden soll, so müssen unter anderem auch ihre sozialen Lasten gemildert werden. Das Problem der Sozialversicherung darf gewiß nicht vom kleinen engen Rahmen und umsoweniger im kleinen Rahmen eines noch dazu kleinen Staatswesens behandelt werden und ist sich meine Partei dessen bewußt, daß sie die Sache großzügig zu beurteilen hat und ihre Erwägungen und Beschlüsse auch mit Rücksicht auf die ausländische Gesetzgebung einstellen und fassen muß. Der Beweis hiefür wird mir aus der ausländischen Gesetzgebung, die ich mangels Redezeit nur flüchtig anführen kann, nicht schwer werden. Hiemit konstatiere ich nur ganz übersichtlich die teilweise Entwicklung dieser Materie.

Zwei Anschauungen rangen in den europäischen Staaten um die Lösung dieses Problems: Hie Sozialversorgung, dort Sozialversicherung! Auf der weiten europäischen Linie hat der Gedanke der Sozialversicherung über jenen der schüchtern in reichen Staaten durchgeführten Sozialversicherung die Oberhand gewonnen. Im weiteren will ich nun zwei Versicherungsarten anführen und mit einer dieser Anführungen das Vorhergesagte beweisen. Auf der einen Seite steht das durch seine Neutralität vermögend gewordene Schweden. Schweden kennt eine Arbeitersozialversicherung, aber keinen Arbeitgeberbeitrag. Das Extrem davon ist Rußland. Hier hat der Versorgungsgedanke schwer zu kämpfen gehabt. 1918 wurde dort die Staatsversorgung eingeführt. Die staatlichen Hilfsmittel versagten. 1920 bereits, also nach zwei kurzen Jahren, brach dieses Versorgungssystem restlos zusammen und Sowjetrußland mußte sein Prinzip verlassen und mit dem Arbeitsgesetzbuch vom 9. November 1922 sich dem Sozialversicherungssystem zukehren. Allerdings lugt jetzt auch hier ein Extrem aus diesem Arbeitsgesetzbuch hervor, das ich Schweden gegenüberstelle. Schweden hat eine Arbeitersozialversicherung ohne Beitrag des Arbeitgebers, Rußland eine Arbeitersozialversicherung, zu der der Arbeiter keinen Heller beiträgt, sondern bei der man alle Beiträge restlos auf die Schultern des Arbeitgebers überwälzt hat. Früher hatten wir bei uns einen Frohn und einen Robot von Oben, dort in Rußland ist dies augenscheinlich eine Robot von Unten und es sind ja auch bei uns leider große Ansätze hiezu in der sozialpolitischen Gesetzgebung verstaucht. (Rùznì výkøiky na levici.) Zwar bestimmt unsere Gesetzgebung, daß der Arbeiter 50% der Beiträge, wie der Arbeitgeber, mitzuzahlen hat. In vielen Gegenden des Staates wirkt sich aber die Sache in der Praxis ganz anders aus und der landwirtschaftliche Arbeitgeber zahlt in der weitaus größten Mehrzahl die gesamten Beiträge. Wir haben daher in der Praxis eigentlich dieselben Verhältnisse, wie sie das russische Arbeitsgesetzbuch vom 9. November 1922 stipuliert. (Smích na levici. Rùznì výkøiky.)

Wenn ich Schwedens Gesetzgebung berührte, so will ich in Paranthese noch nachholen, daß es wohl nicht ohne Interesse ist, daß das vermögende Schweden die Altersrente erst mit 67 Jahren anfallen läßt und volle Erwerbsunfähigkeit verlangt. Wir sind hier liberaler. In Frankreich wird die Altersrente mit 60, in den Niederlanden, Spanien und Italien mit 65, in Schweden mit 67, in Jugoslavien mit 70 Jahren erworben. Die ausländische Gesetzgebung geht aber auch noch in mannigfach anderer Richtung klarer und bedächtiger vor. In den meisten ausländischen Gesetzen ist der Eintritt in die Invaliditäts- und Altersversicherungspflicht meist mit 16 Jahren fixiert, unser altes Gesetz kennt diese Grenze nach unten nicht und glaubte, auch diesbezüglich weitergehen zu können, während wir doch alle Ursachen haben, in der unteren Grenze vorsichtiger zu sein als ein Staat mit Pfund Sterlingwährung.

Auch das neue französische Sozialversicherungsgesetz, das die französische Kammer knapp vor ihrer Auflösung passiert hat und das innerhalb 20 Monaten in Geltung trat, normiert die Versicherungspflicht erst vom 16. Lebensjahre an.

Der Landwirt und der Gewerbetreibende haben von jenen jungen Leuten, die mit 14 Jahren in ihre Dienste treten, kaum einen wirtschaftlichen Vorteil. (Rùzné výkøiky.) Es sind dies Halbkinder, die noch kein Verantwortungsgefühl haben und nicht haben können. Man kann daher auch ihre Arbeit nicht hoch einschätzen. Und es ist daher recht unbillig, wenn der Arbeitgeber für sie die ganzen Beiträge zahlen soll, wobei diese Jungen oft keinen Geldlohn beziehen.

In Deutschland hat man auch die Soldaten aus der Versicherung ausgeschaltet und auch jene, die für Kost arbeiten und Gewerbesaisonarbeiter. Bei uns ist man auch in dieser Richtung entgegenkommend. Die Versicherung der Soldaten, welche zur Ableistung der Präsenzdienstpflicht und in der Ersatzreserve einrücken (nicht zur Waffenübung), fällt in die Klasse Aa. Und auch da noch glauben die Linksparteien daran mäkeln zu können. (Výkøiky.) Reiche Länder sind auch in vielen anderen Belangen nicht soweit gegangen wie unsere Gesetzgebung. Die reiche Schweiz hebt einen mäßigen Beitrag zu den Arzt- und Medikamentkosten vom Versicherten ein. Diese Maßregel hat sich bewährt und wird durch sie das Simulantenwesen eingeschränkt. Auch im neuen französischen Sozialversicherungsgesetz wird bestimmt, daß der Versicherte einen Teil der Heilmittel selbst zu bezahlen hat. Bei uns liebt man ansonsten französische Vorbilder und will auch die Schweizer Methoden nicht verachten. In diesem Falle haben wir aber keine Mehrheit erhalten können. Objektiv sei auch dies konstatiert. Zur weiteren Beleuchtung der Sachlage erwähne ich, was wohl das Wichtigste ist, wie der Nachbarstaat Deutschland seine Zahlungen für die Sozialversicherungsgesetzgebung festgelegt hat. Wir wissen, daß wir die reichsdeutschen Verhältnisse nicht ganz sklavisch kopieren dürfen, denn die Verhältnisse hier und in Deutschland sind grundverschieden. Wir müssen nach den Informationen unserer slovakischen Kollegen mit der geringen Zahlungskraft der slovakischen Gebiete sehr ernst rechnen, von Karpathorußland gar nicht zu reden. Was die Krankenversicherungszahlungen anbelangt, so brauchen wir nach der Statistik einem Vergleiche mit Deutschland nicht aus dem Wege zu gehen. Dagegen sind wir betreffs der Invaliditäts- und Altersversicherung gegenüber Deutschland im Hintertreffen. Die Prämien für die Invaliditäts- und Altersversicherung sind um 50%, um die Hälfte, niedriger als bei uns. Dies ist umso auffallender und umso mehr hervorhebenswert, als Deutschland durch die Inflation 94% seiner gesamten Goldreserven verloren hat und umso bemerkenswerter, als trotz alledem die Renten dort valorisiert wurden und über 3 Millionen Renten an 17 Millionen Personen wieder zur Auszahlung gelangten. All das über Deutschland angeführte zeige, wie eine musterhafte Organisation auch unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen in kürzester Zeit ein fast aller seiner Geldreserven entblößtes Institut zu glänzendem Aufstieg führen kann. Die Anschauungen über das Sozialversicherungsgesetz und seine Ausführung sowie über die Möglichkeit, die durch dieses Gesetz verursachten Belastungen bei den gegenwärtigen Wirtschaftsverhältnissen zu tragen, haben sich auch in manchen bürgerlichen Kreisen ganz wesentlich gewandelt. Bei der Beratung des alten Gesetzes sind bei jenen, die dem ländlichen und gewerblichen Wirtschaftsleben ferner stehen, die Auswirkungen eines solchen Gesetzes auf das Wirtschaftsleben oft weniger bekannt, so daß sie bei bestem Willen mit halbverschleiertem Auge und nicht gefestigtem Urteil der Sache gegenüberstehen. (Hört! Hört!) Es ist ein Fehlschuß, wenn z. B. seinerzeit selbst von nichtsozialistischer Seite - es handelt sich nicht um Politiker - die These aufgestellt wurde: Die Wirtschaft hat sich grundsätzlich den Erfordernissen der Sozialversicherung und der Sozialpolitik überhaupt anzupassen und nicht umgekehrt. Ausgehend von dieser Anschauung verstieg sich diese Stimme sogar zu dem Satze: "Durch diese Sozialversicherung wird die Wirtschaft ethisiert". Mit klaren Augen gesehen, verhält sich die Sache gerade umgekehrt. Nicht die Wirtschaft und insbesondere nicht die leidende Wirtschaft kann sich den Erfordernissen dieser Sozialpolitik anpassen, denn es ist nicht sozial gedacht, wenn ich einem anderen zu helfen bemüßigt werde und dabei selbst zugrunde gerichtet werde. Wer selbst in Not ist, kann seine Taschen nicht für andere leeren. (Výkøiky na levici.) Im Gegenteil, Tempo und Ausmaß der Sozialpolitik haben sich den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen anzuschmiegen, denn nur dann werden Landwirtschaft und Gewerbe vor dem Niederbruch bewahrt und nur dann kann erst von einer Ethisierung der Wirtschaft gesprochen werden. Auch heute hege ich wie früher ferner die ernste Anschauung, daß erst die Harmonie der europäischen Valuten eintreten muß, um überhaupt der Sache näher treten zu können. Der Druck der Weltkonkurrenz - ich will nicht ins Detail eingehen - unsere übergroße Staatsverschuldung, die ungeregelten Finanzverhältnisse, die schwere Lage so vieler unserer Sparkassen und anderer Geldinstitute, die öffentlichen Giebigkeiten und vieles andere sind für uns Warnung genug, um bedächtige und vorsichtigere Wege zu gehen. Ich wiederhole: Erst die Ausgleichung der europäischen Valuten wäre das vorerst zu lösende ernste Problem, um dann, hierauf fußend, die sozialpolitische Gesetzgebung restlos auszubauen. (Posl. Schäfer: Also überhaupt keine Sozialversicherung!) Ich sage: Restlos auszubauen, ich bitte mir keine anderen Worte zu unterschieben. Insolange dies nicht erfolgt, bauen wir auf schwankendem Grund und werden wir stets allerseits Unzufriedenheiten auslösen und uns in Verordnungen und Novellierungen ergehen müssen. Vor der Inszenierung einer weit ausklaffenden sozialpolitischen Gesetzgebung sind die Geldquellen hierfür zu erschließen und zu sichern und die ausländischen Schuldknechtschaften abzuschütteln. (Hluk. Rùznì výkøiky.) Es wird ja noch viel Wasser die Moldau herabrinnen, ehe das ideale Paneuropa Coudenhoves aufgebaut wird, aber ein reales Paneuropa wäre bereits heut aufbaubar, ein Paneuropa, das in seiner Schuldknechtschaft eine gemeinsame Front bildet gegen Pfund und Dollar, eine Front, die nicht etwa dem politischen Hasse fröhnt, dem Völkerhasse, dafür aber auf ihren berechtigten Vorteil streng bedacht ist. Erst dann, wenn der Kontinent dieser Schuldlasten entledigt ist, wird eine große allgemeine Freibahn für die sozialpolitische Gesetzgebung geschaffen.

Die Auswirkungen des alten Gesetzes sind jedoch noch viel schwerere und weiter tragende. Dieses Gesetz förderte direkt die Arbeitslosigkeit, denn der kleine Landwirt und der kleine Gewerbsmann sind gar nicht imstande, für ihre Dienstboten und Lehrlinge diese Prämienzahlungen zu leisten, und dadurch oft direkt gezwungen, ihre Arbeitnehmer zu entlassen, wodurch das Heer der Arbeitslosen gerade durch dieses Gesetz kolossal vermehrt wird. Ein Rückgang der landwirtschaftlichen und gewerblichen Produktion muß sich als weitere bedeutende Schadensfolge einstellen. (Rùzné výkøiky.) Die Industrie und der Handel werden ihnen das gleiche sagen, beide verlieren überdies ihre Konkurrenzfähigkeit mit dem Auslande, welch letzteres, Deutschland, Italien und die Schweiz, nicht so schwere Soziallasten trägt, wie wir sie hier zu tragen bemüßigt sind. (Rùznì výkøiky.) Nun, ich erwähne auch Urteile von sozialistischer und halbsozialistischer Seite. (Rùzné výkøiky. Výkøiky poslancù nìmecké strany soc. demokratické a poslancù nìm. strany agrární.)

Místopøedseda inž. Dostálek (zvoní): Prosím o klid. (Hluk trvá.) Prosím o klid. (Hluk. Rùzné výkøiky.) Prosím o klid. (Hluk trvá.)

Posl. Schubert (pokraèuje): Staatssekretär Müller vom Reichswirtschaftsamt in Berlin sagte bereits Ende 1918: "Erste Voraussetzung aller wirtschaftlichen Reorganisation bildet die Wiederbelebung der Produktion. Durch unsere Überlastung wird jedoch die Produktion gedrosselt". Der Sozialpolitiker Dr. Grohmann erklärt: "Jeder Fortschritt der Wirtschaft ist davon abhängig, daß nicht der gesamte Ertrag der Volkswirtschaft konsumiert, sondern ein Teil zurückgelegt wird, also abhängig von der Kapitalsbildung. Jede Erhöhung der Abgaben verringert nun die Möglichkeit der Kapitalbildung. Die Belastung durch die Sozialversicherung und jede andere Entziehung von Betriebskapital für sonstige Zwecke würde eine Gefahr für die Volkswirtschaft bedeuten, die innere Kapitalsbildung außerordentlich hemmen und das fremde Kapital von der Kreditgewährung im Inlande abschrecken". So urteilt Sozialpolitiker Grohmann. Nun, meine Herren, will ich auch einen Sozialisten zitieren. In einem Falle hat selbst Karl Marx vollständig recht. Er hat vollständig recht, wenn er behauptet, daß sich Entwicklungsstufen nicht überspringen lassen. Das Gesetz, das wir heute novellieren, war durch seinen einseitigen Charakter ein solches abnormales Überklettern mehrerer Entwicklungsstufen. (Hluk. Rùzné výkøiky.)

Místopøedseda inž. Dostálek (zvoní): Prosím o klid.

Posl. Schubert (pokraèuje): Deshalb folgt jetzt das Einrenken. Ich habe Marx zitiert und ich werde auch einen zweiten sozialistischen Führer, Vandervelde, zitieren. Auch einem Vandervelde können wir Bürgerlichen zustimmen, dort, wo er in seinem Werke "Drei Seiten der russischen Revolution" den Rückgang der russischen Produktion durch einseitige Überspannung der Zahlungen gekennzeichnet hat, so daß auch hier das Überklettern von mehr als einer Entwicklungsstufe zur Umkehr zwang und im russischen Arbeitsgesetzbuche der Sowjetregierung vom 28. März 1920 in einem Dekret es unter anderem heißt: "Die Arbeiterräte und Fabrikskomitees wurden seinerzeit ins Leben gerufen, um die Ordnung in den Fabrikszentren sicherzustellen. Sie haben diese Aufgaben nicht erfüllt, sondern der Produktion beträchtlichen Schaden zugefügt. Die Regierung sieht sich veranlaßt, die Komitees gänzlich aufzulösen". Auch das ist bezeichnend. Die Überschreitung eines gewissen Maßes war auch bei der Sozialversicherung aus wirtschaftlichen Gründen nicht am Platze. Der italienische Minister Luzatti, der hochverdiente Sozialpolitiker, trifft ins Schwarze, wenn er die soziale Zwangsversicherung mit dem Schulzwang vergleicht und mit Recht meint, ebenso wie der Schulzwang sich nur auf die elementaren Kenntnisse erstrecken könne, höhere Bildung aber zu erwerben jedem einzelnen überlassen bleiben müsse, so dürfe der Versicherungszwang sich nur auf ein Minimum erstrecken. Von diesem aber bis zum Maximum zu gelangen, müsse Aufgabe des Individuums sein. Luzatti hat als Sozialpolitiker internationalen Ruf. Die soziale Überlastung beträgt beispielsweise für die Industrie nicht, wie behauptet wird, 91/2 bis 111/2% der Lohnsumme, sondern 12 bis 13 %. Die Belastungen der Landwirtschaft waren 5% für die Krankenversicherung - allerdings auf dem Papiere, worüber ich noch Näheres anführen werden - 4.4% bei der Alters- und Invalidenversicherung und 1.8% bei der Unfallversicherung, zusammen 11.2%, wozu sich ja noch die Pensionsversicherung zugesellt, so daß der Prozentsatz von 12 bis 13% eher zu tief als zu hoch gegriffen ist.

Die Belastung der Landwirtschaft durch die sozialpolitische Gesetzgebung ist eine schwere. Die Prager landwirtschaftliche Akademie, also eine hochwertige und sicherlich objektive Anstalt.... (Posl. Grünzner: Namentlich, wenn sie mit solchen Kräften besetzt sind, wie Sie!) Es sind nicht die schlechtesten Früchte, an denen die Wespen nagen, und Schuster bleib bei deinem Leisten! (Veselost a souhlas poslancù nìm. strany agrární.)

Die Prager landwirtschaftliche Akademie und auch viele unserer deutschen Organisationen haben eingehende und gewissenhafte Berechnungen angestellt. Das Ergebnis lautet: Ein Hektar landwirtschaftlichen Bodens wird durch die sozialpolitische Gesetzgebung nachstehend belastet: Im Getreide- und Kartoffelgebiete mit 90, im Futtermittelgebiete mit 95, im Rübengebiet mit 250 und im Wein- und Gartengebiet sogar mit 1200 Kè. Diese Zahlen allein widerlegen völlig alle gegnerischen Argumente. Selbstverständlich verschieben sich jedoch diese Zahlen noch wesentlich nach oben, da ich bereits anführte, daß in den meisten landwirtschaftlichen Betrieben der Arbeitgeber nicht die 50%ige, sondern die volle Prämie bei der Sozialversicherung fast stets bezahlt. Sie erhöhen sich alle dadurch auf das Doppelte.

Wie werden derartige Belastungen erst in der Slovakei und im armen Karpathorußland sich auswirken, wo die wirtschaftliche Not noch viel größer ist als bei uns. Der Herr Landwirtschaftsminister hat im Juli 1927 Karpathorußland besucht und u. a. sich auch dahin geäußert, daß dort Mangel an landwirtschaftlichen Krediten herrsche und ihm Fälle berichtet worden seien, wo Zinsen von 100 bis 200% gezahlt wurden. Herr Minister Dr Srdínko hat recht, wenn er sagt, daß unter solchen Umständen die Landwirtschaft sich nicht heben könne.

Aber nicht nur dies, eine derart ausgebeutete Landwirtschaft kann doch unmöglich noch dazu übergroße sozialpolitische Lasten tragen. Die natürliche Folge wird sein, daß man die Zahlungen einfach schuldig bleibt, und ich wäre sehr neugierig, von der Zentralsozialversicherungsanstalt erfahren zu können, wie es diesbezüglich mit den eingezahlten und mit den nichteingezahlten Beiträgen steht. Wir wünschen diesbezüglich einen baldigen aufklärenden und eingehenden Bericht. (Výkøiky nìm. soc. demokratických poslancù.) Ich halte das Gesetz in diesen Gebieten für undurchführbar.

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