Hohes Haus! Die Novellierung der Sozialversicherung
war eine unabweisliche und zwingende Notwendigkeit. Sie mußte
kommen. Jede Reform, die geeignet ist, einen vernünftigen
sozialen Fortschritt zu fördern und dauernd und ernst festzuhalten,
ist gewiß nicht von der Hand zu weisen, aber das, was im
alten Sozialversicherungsgesetze geschaffen wurde, konnte absolut
nicht auf eine Dauergeltung rechnen, und im voraus schon wußten
wir - und jeder Vernünftige und halbwegs vorwärts Blickende
mußte es wissen - daß mit diesem Gesetz nur das Schattenbild
einer Sozialversicherung geschaffen wurde, geschaffen, um reif
zur baldigen Novellierung zu sein. Daran ist vor allem auch die
sehr oft mehrdeutige Diktion des Gesetzes schuld, so daß
sich auch hieraus sehr viele große Streitfälle ergeben
haben. Andere Staaten gingen bedächtiger vor und versuchten
es nicht, mit einem Wurf alle Versicherungspflichtigen zu erfassen.
Sie wählten den Etappenweg, so auch Deutschland und Frankreich.
Bei uns glaubte man mit einem Schlage das große Werk lösen
zu können. Die Folgen dieser übereilten, dieser überhasteten
Handlungsweise blieben daher auch nicht aus.
Auch in Deutschland bezeichnet man gegenwärtig
die durch die Sozialversicherung verursachten Lasten als für
die Volkswirtschaft sehr drückend und auch dort rufen ernste
Kreise nach der Herabminderung dieser Lasten durch strengere Sparsamkeit
und durch Reformen in der Organisation. In den letzten Monaten
wurde in jeder größeren landwirtschaftlichen Tagung
der dringende Ruf erhoben, die Härten dieses Gesetzes zu
mildern oder zu beseitigen. Der Landwirt ist nicht in der angenehmen
Lage wie beispielsweise die Industrie, die Beträge, die er
zahlen muß, durch teilweisen Aufschlag auf den Preis seiner
Produkte wieder einzubringen, denn nicht er bestimmt den Preis
seiner Produkte, da er diesen Preisbestimmung vollständig
machtlos gegenübersteht. Infolgedessen ist es unsere dringendste
Forderung gewesen, daß im Interesse von Landwirtschaft und
Gewerbe dieses Reformproblem erfolgreich gelöst werde. Hier
kommt also der alte Erfahrungssatz zur Geltung, daß alle
Extreme und natürlich auch Extreme in der Gesetzgebung wie
sie insbesondere auf sozialpolitischem Gebiete an der Tagesordnung
waren und sind, abgebaut werden müssen und eine gerechte
das gesamte Wirtschaftsleben berücksichtigende Gesetzgebung
hier ernst korrigierend eingreifen muß. In dem von der alten
Koalition geschaffenen Arbeitersozialversicherungsgesetze sind
die Dogmen des Sozialismus zur Verwirklichung gelangt, hier hat
sich die sozialistische Doktrin am offensichtlichsten ausgelebt.
Die Begeisterung, die die Massen diesem Gesetze entgegengebracht
haben, ist restlos geschwunden, es trat in den breiten Massen,
besonders der arbeitenden Bevölkerung und insbesondere unter
den landwirtschaftlichen und gewerblichen Arbeitern nicht nur
eine Ernüchterung ein, sondern mehr noch sind in diesen Kreisen
oft die stärksten Widersacher dieses Gesetzes zu suchen.
(Výkøiky nìm. soc. demokratických
poslancù.) Ich wäre in der
Lage, nur aus dem Kreise von Pfraumberg Zuschriften von 500 Personen
zu bringen, in denen von uns verlangt wird, daß man die
Sozialversicherung novellieren solle. Man mobilisiert vorerst
gegen uns mit der Behauptung, daß wir betreffend die Arbeitslöhne
in Europa angeblich erst an achtzehnter oder, ich weiß nicht,
an wievielter Stelle stehen. (Výkøiky
poslancù klubu Bund der Landwirte. -
Posl. Schäfer: [nìmecky]: Es ist das unser
Geld, von welchem bezahlt wird!) Ich
werde darauf reagieren, Herr Kollege, und dagegen polemisieren.
(Hluk na levici.)
Místopøedseda inž. Dostálek (zvoní):
Prosím o klid. Slovo má pan posl. Schubert.
Posl. Schubert (pokraèuje):
Ich reagiere mit dieser Bemerkung darauf,
daß wir betreffend der Arbeitslöhne in Europa angeblich
an achtzehnter oder, ich weiß nicht, an welcher Stelle stehen.
(Posl. Schäfer: An vierzehnter Stelle!) Hiezu sei
gesagt: Das ist eine absichtliche Irreführung, denn wenn
man die Arbeitslöhne hier feststellen will, dann muß
man vor allem das arme karpathorussische und das arme slovakische
Hochgebirgsgebiet ausschalten. (Výkøiky
nìm. soc. demokratických poslancù.) Warten
Sie doch meine Argumentation ab! Wenn dieses der Fall wäre,
käme man zu anderen Ergebnissen. Können wir uns betreffend
die Höhe der Arbeitslöhne denn mit den reichen Staaten
überhaupt in eine Linie zum Vergleich stellen? (Výkøiky
posl. Schäfera.)
Von der kommunistischen Seite hat man uns und
in heftigerem Maße den sozialdemokratischen Parteien - Verwandte,
wenn sie miteinander hadern, tun dies immer lebhafter als Fremdstreitende
- den Vorwurf gemacht, daß die Novelle in aller erster Linie
nur den Agrariern zugutekommt und die Agrarier den Groß-
und Schwerteil eingeheimst hätten. Dies trifft natürlich
nicht zu. Die Novelle ist ein Kompromiß und die Vorteile,
die wir erreicht haben, betrachten wir nur als eine Abschlagszahlung,
bis die weitere Ausgestaltung des Gesetzes unbedingt weitere Erleichterungen
bringen wird. Ich konstatiere ferner diesbezüglich: Unsere
berechtigten Wünsche sind auch deshalb nicht in vollem Maße
erreicht, weil leider das Bürgertum nicht jene Schlagkraft
und jene Geschlossenheit hat, wie sie die Linksparteien besitzen.
Das ist das taktische Manko aller bürgerlichen Parteien.
Uns wurde des weitern der Vorwurf gemacht, daß wir die Versicherung
der Überalterten im Gesetze selbst durchzuführen verabsäumt
haben. Auch dieser Vorwurf hat eine demagogische Färbung,
denn der ganze Aufbau des Arbeitersozialversicherungsgesetzes
läßt ein Einschachteln der Überalterten nicht
zu und muß hier - den eigenen Verhältnissen Rechnung
tragend - ein eigenes Gesetz der Sache der Überalterten näher
treten. (Posl. Schäfer: Die Fachleute urteilen anders
darüber, Sie sind doch kein Fachmann!) Mit den Fachleuten
geht es wie mit den Statistikern. Jeder zweite hat eine andere
Meinung. Ich behaupte, daß die Statistiken der Fachleute
und Statistiker manchmal potenzierte Lügen sind. Und die
Statistik! Man nennt sie auch die Wissenschaft der Lüge.
Die Novellierung dieses Gesetzes war kein leichtes
Stück Arbeit, sie war ganz gegenteilig ein besonders schwieriges
Werk. Es ist ein alter parlamentarischer Erfahrungssatz, daß
es rascher gelingt, im ersten Anlauf, im ersten Überrumpelungselan,
Gesetze zu schaffen, daß es aber schwerer ist, die geschaffenen
Gesetze mit all ihren Lücken, Schwächen und Rückständigkeiten
zu reformieren.
Die objektive Presse hat Recht, wenn sie vor
kurzer Zeit schrieb, daß die Novelle das größte
und mühevollste Werk der Koalition ist und daß dieses
Werk nicht durch überstürzte Eile zustande gebracht
wurde, sondern im Gegensatz zu manchen Gesetzen der alten Zeit
dieser Novelle der Stempel eifrigen ernsten und mehr als elfmonatigen
Studiums anhaftet. Alle Spekulationen, die bei diesem schweren
Werke mit der Zertrümmerung der Mehrheit rechneten, erwiesen
sich als falsch und trügerisch. Allerdings darf ich auch
andererseits nicht unerwähnt lassen, daß es einige
Blätter der Opposition sind, die in dieser Beziehung erheblich
über das Ziel schießen. (Výkøiky
a hluk na levici.) Man glaubt, wenn man
sie liest oder die Zwischenrufe hier hört, schier den "Arizona
Kiker" vor sich zu haben. Letztere Wahrnehmung ist für
uns als Aktivpost zu buchen und das Goethewort "Freund, bist
Du grob, bist Du im Unrecht" hat hier seine Gültigkeit.
Allerdings kann ich mich trotz der scharfen Einstellung mancher
oppositioneller Blätter nicht des Gedankens erwehren, daß
es sich hier nur um Rückzugs- und Nachhutsgefechte handelt.
Ein geschätztes und ernstdenkendes Mitglied
der Opposition hat den früheren èechischen
Koalitionsparteien im sozialpolitischen Ausschuß vorgeworfen,
daß dieselben gemeinsam mit den èechischen sozialistischen
Parteien dieses Gesetz schufen und nunmehr nicht an ihm festhalten.
Ich gestatte mir zu diesem Einwande zu bemerken:
Politische Parteien können doch nicht ewig miteinander verkettet
sein. Wenn politische Parteien Gesetze schaffen und später
zur Überzeugung kommen, daß sich in der Praxis schwere
Mängel ergeben, haben diese Parteien nicht nur das Recht,
sondern vielmehr auch die Pflicht, diese Gesetze zu novellieren.
(Posl. Schäfer: Die Mängel haben Sie ja gar nicht
beseitigt! Hätten Sie uns doch gleich bei der ersten Beratung
gefolgt!) Wir folgen nicht immer und nicht jedem! (Rùznì
výkøiky.) Derselbe Redner
hat auch im Ausschuß erklärt, daß nach seiner
Ansicht für die nächsten Jahre zwar der 41/2%ige
Zinsfuß als finanzielle Grundlage des Gesetzes genüge,
er aber trotzdem ihn für die weitere Zukunft ablehne müsse.
Diese Stellungnahme genügt uns und wir ersehen daraus, daß
die Gespenster, die man diesbezüglich an die Wand malte,
nicht existieren und für absehbare Zeit der 41/2%ige
Zinsfuß gesichert ist. Hier gilt das Wort: "Wer der
Zeit dient, der dient ehrlich." Daß dem so ist, dafür
kam uns gerade dieser Tage ein Beweis darin, daß die Banken
den Einlagenzinsfuß erhöht haben. Über letztere
Tatsache schweigen sich die Stimmen der Opposition aus wie das
Grab. Aus dieser Tatsache ziehen die Herren nicht die unsere Anschauung
stützenden Schlüsse. Ein anderes Mitglied der Opposition
hat uns die Zölle auf Agrarprodukte vorgehalten. Dieser Vorhaltung
gegenüber habe ich nur zu bemerken: Um zu sehen, wie die
Zölle sich in der Wirklichkeit auswirken, braucht man nur
vor allem in die Bücher der Reiffeisen-, der landwirtschaftlichen
und anderer Kassen, in die Bücher der Hypotheken- und anderer
Banken Einsicht zu nehmen und man wird sehr traurige Tatsachen
über die so intensiv einsetzende Verschuldung von Grund und
Boden zu konstatieren in der Lage sein, abgesehen davon, daß
ja unsere Landwirtschaft durch die Dürre des heurigen Sommers,
vielerorts auch durch Hagelschäden in einen schweren Notstand
geriet. Der Landwirt muß insbesondere seine Viehbestände
zu Schleuderpreisen abgeben und ist die Viehhaltung und Viehzüchtung
nicht nur eine unrentable, sondern eine verlustreiche geworden.
Wenn daher die Landwirtschaft nicht katastrophal gefährdet
werden soll, so müssen unter anderem auch ihre sozialen Lasten
gemildert werden. Das Problem der Sozialversicherung darf gewiß
nicht vom kleinen engen Rahmen und umsoweniger im kleinen Rahmen
eines noch dazu kleinen Staatswesens behandelt werden und ist
sich meine Partei dessen bewußt, daß sie die Sache
großzügig zu beurteilen hat und ihre Erwägungen
und Beschlüsse auch mit Rücksicht auf die ausländische
Gesetzgebung einstellen und fassen muß. Der Beweis hiefür
wird mir aus der ausländischen Gesetzgebung, die ich mangels
Redezeit nur flüchtig anführen kann, nicht schwer werden.
Hiemit konstatiere ich nur ganz übersichtlich die teilweise
Entwicklung dieser Materie.
Zwei Anschauungen rangen in den europäischen
Staaten um die Lösung dieses Problems: Hie Sozialversorgung,
dort Sozialversicherung! Auf der weiten europäischen Linie
hat der Gedanke der Sozialversicherung über jenen der schüchtern
in reichen Staaten durchgeführten Sozialversicherung die
Oberhand gewonnen. Im weiteren will ich nun zwei Versicherungsarten
anführen und mit einer dieser Anführungen das Vorhergesagte
beweisen. Auf der einen Seite steht das durch seine Neutralität
vermögend gewordene Schweden. Schweden kennt eine Arbeitersozialversicherung,
aber keinen Arbeitgeberbeitrag. Das Extrem davon ist Rußland.
Hier hat der Versorgungsgedanke schwer zu kämpfen gehabt.
1918 wurde dort die Staatsversorgung eingeführt. Die staatlichen
Hilfsmittel versagten. 1920 bereits, also nach zwei kurzen Jahren,
brach dieses Versorgungssystem restlos zusammen und Sowjetrußland
mußte sein Prinzip verlassen und mit dem Arbeitsgesetzbuch
vom 9. November 1922 sich dem Sozialversicherungssystem zukehren.
Allerdings lugt jetzt auch hier ein Extrem aus diesem Arbeitsgesetzbuch
hervor, das ich Schweden gegenüberstelle. Schweden hat eine
Arbeitersozialversicherung ohne Beitrag des Arbeitgebers, Rußland
eine Arbeitersozialversicherung, zu der der Arbeiter keinen Heller
beiträgt, sondern bei der man alle Beiträge restlos
auf die Schultern des Arbeitgebers überwälzt hat. Früher
hatten wir bei uns einen Frohn und einen Robot von Oben, dort
in Rußland ist dies augenscheinlich eine Robot von Unten
und es sind ja auch bei uns leider große Ansätze hiezu
in der sozialpolitischen Gesetzgebung verstaucht. (Rùznì
výkøiky na levici.) Zwar
bestimmt unsere Gesetzgebung, daß der Arbeiter 50% der Beiträge,
wie der Arbeitgeber, mitzuzahlen hat. In vielen Gegenden des Staates
wirkt sich aber die Sache in der Praxis ganz anders aus und der
landwirtschaftliche Arbeitgeber zahlt in der weitaus größten
Mehrzahl die gesamten Beiträge. Wir haben daher in der Praxis
eigentlich dieselben Verhältnisse, wie sie das russische
Arbeitsgesetzbuch vom 9. November 1922 stipuliert. (Smích
na levici. Rùznì výkøiky.)
Wenn ich Schwedens Gesetzgebung berührte,
so will ich in Paranthese noch nachholen, daß es wohl nicht
ohne Interesse ist, daß das vermögende Schweden die
Altersrente erst mit 67 Jahren anfallen läßt und volle
Erwerbsunfähigkeit verlangt. Wir sind hier liberaler. In
Frankreich wird die Altersrente mit 60, in den Niederlanden, Spanien
und Italien mit 65, in Schweden mit 67, in Jugoslavien mit 70
Jahren erworben. Die ausländische Gesetzgebung geht aber
auch noch in mannigfach anderer Richtung klarer und bedächtiger
vor. In den meisten ausländischen Gesetzen ist der Eintritt
in die Invaliditäts- und Altersversicherungspflicht meist
mit 16 Jahren fixiert, unser altes Gesetz kennt diese Grenze nach
unten nicht und glaubte, auch diesbezüglich weitergehen zu
können, während wir doch alle Ursachen haben, in der
unteren Grenze vorsichtiger zu sein als ein Staat mit Pfund Sterlingwährung.
Auch das neue französische Sozialversicherungsgesetz,
das die französische Kammer knapp vor ihrer Auflösung
passiert hat und das innerhalb 20 Monaten in Geltung trat, normiert
die Versicherungspflicht erst vom 16. Lebensjahre an.
Der Landwirt und der Gewerbetreibende haben
von jenen jungen Leuten, die mit 14 Jahren in ihre Dienste treten,
kaum einen wirtschaftlichen Vorteil. (Rùzné
výkøiky.) Es sind dies Halbkinder,
die noch kein Verantwortungsgefühl haben und nicht haben
können. Man kann daher auch ihre Arbeit nicht hoch einschätzen.
Und es ist daher recht unbillig, wenn der Arbeitgeber für
sie die ganzen Beiträge zahlen soll, wobei diese Jungen oft
keinen Geldlohn beziehen.
In Deutschland hat man auch die Soldaten aus
der Versicherung ausgeschaltet und auch jene, die für Kost
arbeiten und Gewerbesaisonarbeiter. Bei uns ist man auch in dieser
Richtung entgegenkommend. Die Versicherung der Soldaten, welche
zur Ableistung der Präsenzdienstpflicht und in der Ersatzreserve
einrücken (nicht zur Waffenübung), fällt in die
Klasse Aa. Und auch da noch glauben die Linksparteien daran mäkeln
zu können. (Výkøiky.) Reiche
Länder sind auch in vielen anderen Belangen nicht soweit
gegangen wie unsere Gesetzgebung. Die reiche Schweiz hebt einen
mäßigen Beitrag zu den Arzt- und Medikamentkosten vom
Versicherten ein. Diese Maßregel hat sich bewährt und
wird durch sie das Simulantenwesen eingeschränkt. Auch im
neuen französischen Sozialversicherungsgesetz wird bestimmt,
daß der Versicherte einen Teil der Heilmittel selbst zu
bezahlen hat. Bei uns liebt man ansonsten französische Vorbilder
und will auch die Schweizer Methoden nicht verachten. In diesem
Falle haben wir aber keine Mehrheit erhalten können. Objektiv
sei auch dies konstatiert. Zur weiteren Beleuchtung der Sachlage
erwähne ich, was wohl das Wichtigste ist, wie der Nachbarstaat
Deutschland seine Zahlungen für die Sozialversicherungsgesetzgebung
festgelegt hat. Wir wissen, daß wir die reichsdeutschen
Verhältnisse nicht ganz sklavisch kopieren dürfen, denn
die Verhältnisse hier und in Deutschland sind grundverschieden.
Wir müssen nach den Informationen unserer slovakischen Kollegen
mit der geringen Zahlungskraft der slovakischen Gebiete sehr ernst
rechnen, von Karpathorußland gar nicht zu reden. Was die
Krankenversicherungszahlungen anbelangt, so brauchen wir nach
der Statistik einem Vergleiche mit Deutschland nicht aus dem Wege
zu gehen. Dagegen sind wir betreffs der Invaliditäts- und
Altersversicherung gegenüber Deutschland im Hintertreffen.
Die Prämien für die Invaliditäts- und Altersversicherung
sind um 50%, um die Hälfte, niedriger als bei uns. Dies ist
umso auffallender und umso mehr hervorhebenswert, als Deutschland
durch die Inflation 94% seiner gesamten Goldreserven verloren
hat und umso bemerkenswerter, als trotz alledem die Renten dort
valorisiert wurden und über 3 Millionen Renten an 17 Millionen
Personen wieder zur Auszahlung gelangten. All das über Deutschland
angeführte zeige, wie eine musterhafte Organisation auch
unter den denkbar ungünstigsten Verhältnissen in kürzester
Zeit ein fast aller seiner Geldreserven entblößtes
Institut zu glänzendem Aufstieg führen kann. Die Anschauungen
über das Sozialversicherungsgesetz und seine Ausführung
sowie über die Möglichkeit, die durch dieses Gesetz
verursachten Belastungen bei den gegenwärtigen Wirtschaftsverhältnissen
zu tragen, haben sich auch in manchen bürgerlichen Kreisen
ganz wesentlich gewandelt. Bei der Beratung des alten Gesetzes
sind bei jenen, die dem ländlichen und gewerblichen Wirtschaftsleben
ferner stehen, die Auswirkungen eines solchen Gesetzes auf das
Wirtschaftsleben oft weniger bekannt, so daß sie bei bestem
Willen mit halbverschleiertem Auge und nicht gefestigtem Urteil
der Sache gegenüberstehen. (Hört! Hört!) Es
ist ein Fehlschuß, wenn z. B. seinerzeit selbst von nichtsozialistischer
Seite - es handelt sich nicht um Politiker - die These aufgestellt
wurde: Die Wirtschaft hat sich grundsätzlich den Erfordernissen
der Sozialversicherung und der Sozialpolitik überhaupt anzupassen
und nicht umgekehrt. Ausgehend von dieser Anschauung verstieg
sich diese Stimme sogar zu dem Satze: "Durch diese Sozialversicherung
wird die Wirtschaft ethisiert". Mit klaren Augen gesehen,
verhält sich die Sache gerade umgekehrt. Nicht die Wirtschaft
und insbesondere nicht die leidende Wirtschaft kann sich den Erfordernissen
dieser Sozialpolitik anpassen, denn es ist nicht sozial gedacht,
wenn ich einem anderen zu helfen bemüßigt werde und
dabei selbst zugrunde gerichtet werde. Wer selbst in Not ist,
kann seine Taschen nicht für andere leeren. (Výkøiky
na levici.) Im Gegenteil, Tempo und Ausmaß
der Sozialpolitik haben sich den jeweiligen Wirtschaftsverhältnissen
anzuschmiegen, denn nur dann werden Landwirtschaft und Gewerbe
vor dem Niederbruch bewahrt und nur dann kann erst von einer Ethisierung
der Wirtschaft gesprochen werden. Auch heute hege ich wie früher
ferner die ernste Anschauung, daß erst die Harmonie der
europäischen Valuten eintreten muß, um überhaupt
der Sache näher treten zu können. Der Druck der Weltkonkurrenz
- ich will nicht ins Detail eingehen - unsere übergroße
Staatsverschuldung, die ungeregelten Finanzverhältnisse,
die schwere Lage so vieler unserer Sparkassen und anderer Geldinstitute,
die öffentlichen Giebigkeiten und vieles andere sind für
uns Warnung genug, um bedächtige und vorsichtigere Wege zu
gehen. Ich wiederhole: Erst die Ausgleichung der europäischen
Valuten wäre das vorerst zu lösende ernste Problem,
um dann, hierauf fußend, die sozialpolitische Gesetzgebung
restlos auszubauen. (Posl. Schäfer: Also überhaupt
keine Sozialversicherung!) Ich sage: Restlos auszubauen, ich
bitte mir keine anderen Worte zu unterschieben. Insolange dies
nicht erfolgt, bauen wir auf schwankendem Grund und werden wir
stets allerseits Unzufriedenheiten auslösen und uns in Verordnungen
und Novellierungen ergehen müssen. Vor der Inszenierung einer
weit ausklaffenden sozialpolitischen Gesetzgebung sind die Geldquellen
hierfür zu erschließen und zu sichern und die ausländischen
Schuldknechtschaften abzuschütteln. (Hluk. Rùznì
výkøiky.) Es wird ja noch
viel Wasser die Moldau herabrinnen, ehe das ideale Paneuropa Coudenhoves
aufgebaut wird, aber ein reales Paneuropa wäre bereits heut
aufbaubar, ein Paneuropa, das in seiner Schuldknechtschaft eine
gemeinsame Front bildet gegen Pfund und Dollar, eine Front, die
nicht etwa dem politischen Hasse fröhnt, dem Völkerhasse,
dafür aber auf ihren berechtigten Vorteil streng bedacht
ist. Erst dann, wenn der Kontinent dieser Schuldlasten entledigt
ist, wird eine große allgemeine Freibahn für die sozialpolitische
Gesetzgebung geschaffen.
Die Auswirkungen des alten Gesetzes sind jedoch
noch viel schwerere und weiter tragende. Dieses Gesetz förderte
direkt die Arbeitslosigkeit, denn der kleine Landwirt und der
kleine Gewerbsmann sind gar nicht imstande, für ihre Dienstboten
und Lehrlinge diese Prämienzahlungen zu leisten, und dadurch
oft direkt gezwungen, ihre Arbeitnehmer zu entlassen, wodurch
das Heer der Arbeitslosen gerade durch dieses Gesetz kolossal
vermehrt wird. Ein Rückgang der landwirtschaftlichen und
gewerblichen Produktion muß sich als weitere bedeutende
Schadensfolge einstellen. (Rùzné výkøiky.)
Die Industrie und der Handel werden ihnen
das gleiche sagen, beide verlieren überdies ihre Konkurrenzfähigkeit
mit dem Auslande, welch letzteres, Deutschland, Italien und die
Schweiz, nicht so schwere Soziallasten trägt, wie wir sie
hier zu tragen bemüßigt sind. (Rùznì
výkøiky.) Nun, ich erwähne
auch Urteile von sozialistischer und halbsozialistischer Seite.
(Rùzné výkøiky. Výkøiky
poslancù nìmecké strany soc. demokratické
a poslancù nìm. strany agrární.)
Místopøedseda inž. Dostálek
(zvoní): Prosím o klid. (Hluk trvá.)
Prosím o klid. (Hluk. Rùzné
výkøiky.) Prosím o
klid. (Hluk trvá.)
Posl. Schubert (pokraèuje):
Staatssekretär Müller vom Reichswirtschaftsamt
in Berlin sagte bereits Ende 1918: "Erste Voraussetzung aller
wirtschaftlichen Reorganisation bildet die Wiederbelebung der
Produktion. Durch unsere Überlastung wird jedoch die Produktion
gedrosselt". Der Sozialpolitiker Dr. Grohmann erklärt:
"Jeder Fortschritt der Wirtschaft ist davon abhängig,
daß nicht der gesamte Ertrag der Volkswirtschaft konsumiert,
sondern ein Teil zurückgelegt wird, also abhängig von
der Kapitalsbildung. Jede Erhöhung der Abgaben verringert
nun die Möglichkeit der Kapitalbildung. Die Belastung durch
die Sozialversicherung und jede andere Entziehung von Betriebskapital
für sonstige Zwecke würde eine Gefahr für die Volkswirtschaft
bedeuten, die innere Kapitalsbildung außerordentlich hemmen
und das fremde Kapital von der Kreditgewährung im Inlande
abschrecken". So urteilt Sozialpolitiker Grohmann. Nun, meine
Herren, will ich auch einen Sozialisten zitieren. In einem Falle
hat selbst Karl Marx vollständig recht. Er hat vollständig
recht, wenn er behauptet, daß sich Entwicklungsstufen nicht
überspringen lassen. Das Gesetz, das wir heute novellieren,
war durch seinen einseitigen Charakter ein solches abnormales
Überklettern mehrerer Entwicklungsstufen. (Hluk.
Rùzné výkøiky.)
Místopøedseda inž. Dostálek
(zvoní): Prosím o klid.
Posl. Schubert (pokraèuje):
Deshalb folgt jetzt das Einrenken. Ich
habe Marx zitiert und ich werde auch einen zweiten sozialistischen
Führer, Vandervelde, zitieren. Auch einem Vandervelde können
wir Bürgerlichen zustimmen, dort, wo er in seinem Werke "Drei
Seiten der russischen Revolution" den Rückgang der russischen
Produktion durch einseitige Überspannung der Zahlungen gekennzeichnet
hat, so daß auch hier das Überklettern von mehr als
einer Entwicklungsstufe zur Umkehr zwang und im russischen Arbeitsgesetzbuche
der Sowjetregierung vom 28. März 1920 in einem Dekret es
unter anderem heißt: "Die Arbeiterräte und Fabrikskomitees
wurden seinerzeit ins Leben gerufen, um die Ordnung in den Fabrikszentren
sicherzustellen. Sie haben diese Aufgaben nicht erfüllt,
sondern der Produktion beträchtlichen Schaden zugefügt.
Die Regierung sieht sich veranlaßt, die Komitees gänzlich
aufzulösen". Auch das ist bezeichnend. Die Überschreitung
eines gewissen Maßes war auch bei der Sozialversicherung
aus wirtschaftlichen Gründen nicht am Platze. Der italienische
Minister Luzatti, der hochverdiente Sozialpolitiker, trifft ins
Schwarze, wenn er die soziale Zwangsversicherung mit dem Schulzwang
vergleicht und mit Recht meint, ebenso wie der Schulzwang sich
nur auf die elementaren Kenntnisse erstrecken könne, höhere
Bildung aber zu erwerben jedem einzelnen überlassen bleiben
müsse, so dürfe der Versicherungszwang sich nur auf
ein Minimum erstrecken. Von diesem aber bis zum Maximum zu gelangen,
müsse Aufgabe des Individuums sein. Luzatti hat als Sozialpolitiker
internationalen Ruf. Die soziale Überlastung beträgt
beispielsweise für die Industrie nicht, wie behauptet wird,
91/2 bis 111/2% der
Lohnsumme, sondern 12 bis 13 %. Die Belastungen der Landwirtschaft
waren 5% für die Krankenversicherung - allerdings auf dem
Papiere, worüber ich noch Näheres anführen werden
- 4.4% bei der Alters- und Invalidenversicherung und
1.8% bei der Unfallversicherung, zusammen 11.2%,
wozu sich ja noch die Pensionsversicherung zugesellt, so daß
der Prozentsatz von 12 bis 13% eher zu tief als zu hoch gegriffen
ist.
Die Belastung der Landwirtschaft durch die
sozialpolitische Gesetzgebung ist eine schwere. Die Prager landwirtschaftliche
Akademie, also eine hochwertige und sicherlich objektive Anstalt....
(Posl. Grünzner: Namentlich, wenn sie mit solchen Kräften
besetzt sind, wie Sie!) Es sind nicht die schlechtesten
Früchte, an denen die Wespen nagen, und Schuster bleib bei
deinem Leisten! (Veselost a souhlas poslancù
nìm. strany agrární.)
Die Prager landwirtschaftliche Akademie und
auch viele unserer deutschen Organisationen haben eingehende und
gewissenhafte Berechnungen angestellt. Das Ergebnis lautet: Ein
Hektar landwirtschaftlichen Bodens wird durch die sozialpolitische
Gesetzgebung nachstehend belastet: Im Getreide- und Kartoffelgebiete
mit 90, im Futtermittelgebiete mit 95, im Rübengebiet mit
250 und im Wein- und Gartengebiet sogar mit 1200 Kè. Diese
Zahlen allein widerlegen völlig alle gegnerischen
Argumente. Selbstverständlich verschieben sich jedoch diese
Zahlen noch wesentlich nach oben, da ich bereits anführte,
daß in den meisten landwirtschaftlichen Betrieben der Arbeitgeber
nicht die 50%ige, sondern die volle Prämie bei der Sozialversicherung
fast stets bezahlt. Sie erhöhen sich alle dadurch auf das
Doppelte.
Wie werden derartige Belastungen erst in der
Slovakei und im armen Karpathorußland sich auswirken, wo
die wirtschaftliche Not noch viel größer ist als bei
uns. Der Herr Landwirtschaftsminister hat im Juli 1927 Karpathorußland
besucht und u. a. sich auch dahin geäußert, daß
dort Mangel an landwirtschaftlichen Krediten herrsche und ihm
Fälle berichtet worden seien, wo Zinsen von 100 bis 200%
gezahlt wurden. Herr Minister Dr Srdínko hat recht,
wenn er sagt, daß unter solchen Umständen die Landwirtschaft
sich nicht heben könne.
Aber nicht nur dies, eine derart ausgebeutete
Landwirtschaft kann doch unmöglich noch dazu übergroße
sozialpolitische Lasten tragen. Die natürliche Folge wird
sein, daß man die Zahlungen einfach schuldig bleibt, und
ich wäre sehr neugierig, von der Zentralsozialversicherungsanstalt
erfahren zu können, wie es diesbezüglich mit den eingezahlten
und mit den nichteingezahlten Beiträgen steht. Wir wünschen
diesbezüglich einen baldigen aufklärenden und eingehenden
Bericht. (Výkøiky nìm. soc. demokratických
poslancù.) Ich halte das Gesetz
in diesen Gebieten für undurchführbar.