Ich habe heute einen Beleg darüber
in der Hand, wie die Staatseisenbahnverwaltung im alten Österreich
èechischen Gemeinden im Hinblick auf die Stationsbezeichnung
und die Aufschriften entgegengekommen ist, ganz anders als es
heute geschieht. Übrigens: Hebung des Verkehrs! Bekanntlich
das Schlagwort, das wir immer und immer wieder von den Funktionären
des Eisenbahnministeriums hören. In dieser Hinsicht bleibt
allerdings sehr viel zu wünschen übrig. Man braucht
nur an Sonn- und Feiertagen die überfüllten Züge
anzusehen und begreift, daß jeder, der hiezu Gelegenheit
besitzt, ein anderes Verkehrsmittel vorzieht. Ich habe es selbst
am Pfingstmontag in Freiwaldau erlebt, mit welch bodenloser Leichtfertigkeit
sich unter dem jetzigen System der Dienst abspielt und wie wenig
Rücksicht hiebei auf die Reisenden genommen wird. In drangvoll
fürchterlicher Enge mußten sich viele Hunderte zwischen
den Sitzen, in den Gängen und selbst an den verschwiegenen
Orten herumdrücken. (Výkøiky posl.
Krebse.) Ich selbst bin während dieser
Fahrt - ich bitte zu entschuldigen, wenn ich es offen sage - auf
einem Abortdeckel gesessen. Das war der einzige freie Sitzplatz,
und wenn ich ihn nicht gehabt hätte, hätte man mich
überhaupt nicht mitfahren lassen. (Posl. Krebs: Kommerzialisierung
der Eisenbahnen!) Sehr richtig, gerade an der unrichtigen
Stelle beginnt man damit. (Rùznì
výkøiky na levici.) Über
die Irrwege der Handelspolitik, von welcher ein èechisches
Blatt kürzlich sehr richtig behauptete, daß sie sich
gegenwärtig in einem Stadium der Impotenz und Stagnation
befinde, wird bei einer anderen Gelegenheit ausführlich zu
sprechen sein. Ich will die Gelegenheit nicht vorübergehen
lassen, ohne mich auch mit den Zuständen im Hultschiner Ländchen
zu befassen. Der Ausnahmszustand, welcher bisher dort herrschte,
wird ja nun wohl sein Ende finden. Ob dies jedoch auch das Ende
des durch ihn eingeleiteten Systems bedeutet, steht auf einem
anderen Blatt. Die Bevölkerung dieses Gebietes soll mit allen
Mitteln einer nachgerade orientalischen Paschawirtschaft kirregemacht
werden.
Trotzdem die Parlamentswahlen des Jahres 1925
zeigten und alle seither stattgefundenen Gemeindewahlen neuerlich
bestätigten, daß die überwiegende Mehrheit der
Bevölkerung deutsch gesinnt ist, gilt es im ganzen Gebiet
nicht eine einzige deutsche Schule. Die deutsche christlichsoziale
Partei besitzt dort eine förmliche Monopolstellung. Trotzdem
sie Regierungspartei ist, hat sie es bisher nicht verstanden,
einen Wandel der Dinge herbeizuführen. Eines ihrer Mitglieder,
Herr Slany, hat zwar sämtliche Parlaments- und Pressestimmen
über das Hultschiner Ländchen gesammelt, eine Sammlung,
die sehr lehrreiche Aufschlüsse gibt, aber von einer wirklichen
Tätigkeit dieser Regierungspartei für das Hultschiner
Ländchen, das sich ihr anvertraut hat, ist nichts zu verspüren.
Und nun etwas über die Schmerzen sämtlicher
Selbstverwaltungskörper. Das Gesetz über die Finanzgebarung
der Selbstverwaltungskörper zeitigt bereits in allen Gemeinden
und Bezirken die von uns vorausgesagten katastrophalen Wirkungen.
Ihre Ursache liegt vor allem darin, daß der Staat den Gemeinden
Einnahmen entzogen hat, die ihnen bis dahin zustanden, und in
der Beschränkung der Umlagenhöhe, aber auch in den ungeheueren
Rückständen bei Überweisung der Zuschläge
zu den direkten Staatssteuern. Die "Verbandsnachrichten der
deutschen Selbstverwaltungskörper" brachten einmal hierüber
eine ausführliche Zusammenstellung, die Bände spricht,
und bringen überdies in jeder Nummer derartige weitere Mitteilungen.
Aus ihnen ist zu ersehen, daß eine der Ursachen der Finanznot
der Gemeinden und Bezirke auch in den Zuständen bei den Steueradministrationen
zu suchen ist. Kein Selbstverwaltungskörper besitzt beispielsweise
gegenwärtig die Möglichkeit, auch nur mit einiger Genauigkeit
die Grundlage für die auszuschreibenden Umlagen zu ermitteln.
Eine Änderung in dieser Hinsicht ist unbedingt notwendig
und mit ihr sollte sich das Finanzministerium sehr ernstlich auch
während des Urlaubs des Herrn Finanzministers beschäftigen,
statt stets nur auf die angeblich unwirtschaftliche Gebarung der
Selbstverwaltungskörper hinzuweisen. Eine Gegenüberstellung
der Anforderungen an den Dotationsfond und der Überweisungen
aus diesem beweisen klipp und klar die Unhaltbarkeit des jetzigen
Gesetzes. Hiefür nur einige Beispiele. Teplitz: Anforderung
an den Dotationsfond 5,177.825, darauf geleisteter Vorschuß
250.000 Kè. (Posl. Krebs: Nicht einmal
einen Beamtengehalt!) Sehr richtig!
Kosten 2,372.705, Vorschuß 120.000; Turn 3,438.740, darauf
geleistet 120.000; Tetschen 1,653.190, darauf geleistet 100.000;
Bodenbach 5,102.846, darauf geleistet 200.000 usw. Man ersieht
aus diesen lächerlichen Beträgen, mit welchen schwindlerichen
Angaben seinerzeit bei Behandlung dieser Regierungsvorlage gearbeitet
wurde. (Posl. Geyer: Das Ungeheuerlichste sind aber die neuen
Mustervorschriften, die dieselben Einnahmen neuerlicher Besteuerung
unterwerfen! - Posl. Heeger: Nur mit dem Unterschied, daß
den Reichen geschenkt und den Armen genommen wird!) Das ist
überhaupt das Kennzeichen des Systems. Daß das Gesetz
unhaltbar ist, wird heute schon von seinen eigenen Vätern
zugegeben. Seine Abänderung ist dringend notwendig, u. zw.
noch vor der Abfassung der Voranschläge der Gemeinden und
Bezirke für das Jahr 1929. Mit dieser Frage hat sich bereits
eine ganze Zahl von Gemeindevertretungen befaßt. Eine Entschließung,
welche in einer Sitzung des Verbandes der Bürgermeister und
Gemeindevorsteher für den politischen Bezirk Freudenthal
angenommen wurde, faßt die notwendigen Änderungen folgendermaßen
zusammen: 1. Erhöhung der Höchstgrenze für die
Gemeindeumlagen auf 300, bzw. 400%; 2. direkte Zuweisung des Anteiles
aus der Umsatzsteuer in dem früheren Ausmaße; 3. direkte
Zuweisung eines Anteiles aus der Personaleinkommensteuer; 4. direkte
Zuweisung eines Anteiles an der staatlichen Getränkesteuer;
5. Rücküberwälzung des Verpflegskostenfünftels
im Sinne des § 21 des Gesetzes Nr. 77 an die. Länder;
6. Ermöglichung eines billigen Kredits zu ermäßigtem
Zinsfuß für Investitionszwecke bei den sozialen Anstalten
und 7. Befreiung der Gemeindeunternehmungen von der Erwerbssteuer
und Anerkennung ihrer Gemeinnützigkeit. Ich bemerke hiezu
noch, daß wir diese Forderungen auch in einer Interpellation
meines Klubs verarbeitet haben.
Und nun etwas über die Verwaltungsreform.
Das Rätselraten über ihr Inkrafttreten ist noch nicht
beendet, aber ihre Auswirkungen zeigen sich bereits. Bezirke werden
aufgelöst, Schulbezirke zusammengelegt. Eine ganze Anzahl
von Bezirken wendet sich bereits gegen die beabsichtigte Auflösung
und fordert die Errichtung von Verwaltungsbehörden erster
Instanz. Dies ist nicht nur bei deutschen, sondern auch
bei èechischen Bezirken der Fall. Ein èechisches
Blatt und auch der "Svaz èeskoslovenských mìst"
haben sich gegen die größeren Verwaltungseinheiten
ausgesprochen und dagegen Stellung genommen, daß den kleineren
Städten, welche bisher Sitz von Bezirksvertretungen
waren, diese weggenommen werden. Die Begründung für
diese Stellungnahme, welche auch wir uns zueigen machen, liegt
darin, daß die Auflassung der kleinen Verwaltungsbezirke
keinerlei Ersparnis bedeutet, insoferne als die größeren
Verwaltungsgebiete stärker besetzte Ämter und größere
Reisekosten erfordern. Der offenkundigste Nachteil dieser größeren
Gebiete liegt aber in ihrer Unübersichtlichkeit und in der
Benachteiligung der Bevölkerung durch zu weite Reisen zum
Sitze der Verwaltungsbehörden.
Im Zusammenhang damit steht die Frage der Schulbezirke.
Übrigens eine Frage an den Schulminister: Wo bleibt eigentlich
die Schulautonomie, die doch bereits am 1. Juli des Vorjahres
in Kraft treten sollte? (Posl. Krebs: Xmal angekündigt
wurde sie!) Jawohl, xmal angekündigt, sehr richtig. Ein
Jahr ist verflossen und man hört seit den Mitteilungen über
einen gründlich verunglückten Entwurf, dessen Inhalt
rechtzeitig bekannt wurde, um die Durchführung zu verhindern,
nichts mehr von dieser Frage. Wenn die deutschen Regierungsparteien
schon nichts anderes erreichen, so müßte die Forderung
nach Schulautonomie für sie eine Kardinalforderung bedeuten.
Leider sind sie dieser Aufgabe anscheinend nicht im geringsten
gewachsen. Ich erinnere mich noch der traurigen Rolle, welche
gelegentlich einer Vorsprache der Mitglieder des deutschen parlamentarischen
Ausschusses beim Minister Dr. Hodža
am 13. Juli des Vorjahres die Angehörigen der deutschen Regierungsparteien,
vor allem aber der Obmann des Ausschusses, Abg. Hodina,
spielten. Dieselbe schwächliche Haltung nehmen die genannten
Parteien übrigens auch in der Frage der Selbstverwaltung
auf anderen Gebieten ein, wie z. B. bei der Sozialversicherung.
Welche Stellung sie in der Sprachenfrage beim Gewerbe einnehmen,
das werden wir ja sehr bald sehen. Nach dem, was sich im Ausschuß
ereignet hat, haben wir hier auch nicht die Hoffnung, daß
die Herren den Wünschen nach Änderung des § 54
der Gewerbeordnung im èechischen Sinne nicht Rechnung
tragen werden. Statt einer Besserung der Verhältnisse bedeutet
die Teilnahme der Deutschen an der Regierung eine offenkundige
Verschlechterung selbst auf jenen Gebieten, die keineswegs mit
einer grundsätzlichen Änderung der
Verhältnisse verknüpft sind. Wie soll dann erst eine
Verfassungsänderung erzielt werden? Ich habe eingangs den
Wortlaut der von meiner Partei in den Umsturztagen abgegebenen
staatsrechtlichen Erklärung verlesen. Sie fußt auf
der Inanspruchnahme des Selbstbestimmungsrechtes auch durch unser
Volk, ein Standpunkt, der übrigens nicht nur von uns Nationalsozialisten,
verfochten wird, sondern auch noch nach den Wahlen 1925 von sämtlichen
deutschen Parteien des Parlaments geteilt wurde. Beweis dafür
ist u. a. die vom jetzigen Minister Dr Spina am 18. Dezember
1925 im Abgeordnetenhaus im Namen der gegenwärtigen deutschen
Regierungsparteien und meiner Partei abgegebene Erklärung.
Neben dem Selbstbestimmungsrechte, dessen Verwirklichung von der
Entente als ihr Kriegsziel ausgegeben wurde - erst dieses Kriegsziel
schuf ihr die Helfershelfer im Lager unseres Volkes, ohne welche
dieses niemals niedergerungen worden wäre - ist es das Vermächtnis
der sudetendeutschen Landesregierungen der Umsturzzeit, das unsere
Politik von allem Anfang an bestimmte. Auch dieses Vermächtnis
ist in der erwähnten Erklärung enthalten. Es heißt
on ihr u. a.: "Deshalb verlangen wir, daß auch der
Aufbau des Staates und die Art, wie er regiert wird, sich nach
den Bedürfnissen und Forderungen aller ihn bewohnenden Völker
richtet". Diesem Bekenntnis trugen wir Rechnung, als wir
bei Behandlung der Regierungsvorlage über die Verwaltungsreform
in Abgeordnetenhaus und Senat in den Reden Jung und Teschner
und in den von ihnen eingebrachten Anträgen die Anerkennung
des Sudetendeutschtums als einer den Èechen und Slovaken
gleichberechtigten Nation die Gleichberechtigung unserer Sprache,
die Selbstverwaltung unserer Schule und unser sudetendeutsches
Land verlangten. In diesem Verlangen liegt nur
die Forderung nach Einlösung jenes Versprechens, welches
Ministerpräsident Švehla in seiner am 15. Oktober
1926 abgegebenen Regierungserklärung gab.
Die Forderung nach Selbstverwaltung erstreckt
sieh übrigens nicht allein auf das Sudetendeutschtum. Auch
Frankreich kennt diese Frage und es behandelt sie, wie der Colmarer
Prozeß zeigte, in derselben Form, in welcher die ihr verbündete
Èechoslovakei derartige Fragen zu lösen pflegt. Zwischen
Èechen und Franzosen scheint wirklich eine durch gleiche
Blutwesensheit bedingt Verwandschaft zu bestehen.
(Posl. Krebs: Herr Dr Beneš ist Fachmann für Minderheitsfragen!)
Der paßt dazu, da hat man den Bock zum Gärtner
gemacht!
Pøedseda (zvoní): Upozoròuji
pana øeèníka, že uplynula jeho øeènická
lhùta.
Posl. inž. Jung
(pokraèuje): Ich werde
sofort schließen. Ich verweise auf die nationale Autonomie
der Slovenen in Kärnten und auf eine bevorstehende ähnliche
Lösung im Deutschen Reiche. In beiden Fällen handelt
es sich, was sehr wesentlich ist, zum Unterschied von uns Sudetendeutschen
um kleine Minderheiten. Denn die Slovenen in Kärnten zählen
nur 1,7%, sämtliche Minderheiten des Deutschen Reiches bloß
4,4%. Da jedoch von der letzteren Zahl auch noch die Friesen und
Holländer als Stammesgenossen in Abzug gebracht werden müssen,
ebenso aber auch das eine Prozent Juden, so bleiben in Wirklichkeit
nur 3%. Bei den kürzlich stattgefundenen Reichstagswahlen
erzielten die Minderheiten sogar nur 2%. Und es ist nun sehr heiter,
festzustellen, wie die vom Präsidenten Masaryk bekanntlich
als "unerlöst" hingestellten Wenden gewählt
haben. Es hat sich dabei gezeigt, daß von diesen zwei Prozent
ein geradezu verschwindender Teil Wenden sind. Demgegenüber
beachte man, daß die Volksgenossen im Elsaß und in
Lothringen 2 Millionen und wir Sudetendeutsehen gar 3,5 Millionen
stark sind. Erst an dieser Gegenüberstellung gemessen, sieht
man, was wir Deutsche unter "herrschen" verstehen im
Gegensatz zu den angeblich demokratischen anderen Völkern
und welcher tiefe und unüberbrückbare Gegensatz trotz
ministerieller Symbiose zwischen Völkern bestehen kann. Wir
Nationalsozialisten kämpfen für ein großes Ziel.
Wir sind jedoch keine Träumer, die nur nach den Sternen blicken
und darüber die Steine auf der Straße übersehen.
Wir kennen die Hemmnisse, die sich unserem Streben auch innerhalb
unseres Volkes entgegenstellen: Den Materialismus und die mit
ihm Hand in Hand gehende seelische Verlotterung und kulturelle
Verlumpung, die geflissentlich geförderte Feigheit weiter
Volkskreise. Wir kennen aber auch die Macht einer großen
Idee und sind bereit, ihr zu dienen. Diese Idee gipfelt in der
Verwirklichung des Staates nationaler Freiheit und sozialer Gerechtigkeit.
Dies im Jubiläumsjahr auszusprechen, halten wir für
unsere Pflicht. (Souhlas a potlesk nìm. nár.
socialistických poslancù.)
Hohes Haus! Die politischen Zustände in der Èechoslovakischen
Republik haben unter der grün-schwarzen Koalition eine Entwicklung
aufzuweisen, die zu ernsten Betrachtungen herausfordert.
Von einem wirklichen parlamentarischen Leben, von einer sachlichen
und gewissenhaften Überprüfung der wichtigsten Fragen
im Parlamente ist keine Rede mehr. Alle Angelegenheiten werden
erledigt unter dem Gedanken, die Arbeiterklasse damit zu treffen,
werden in Angriff genommen, nur zu dem Zwecke, um die Bourgeoisie,
das Agrariertum politisch und wirtschaftlich zu stärken.
In der Zollpolitik ist das zum Ausdruck gekommen, in den darauffolgenden
Gesetzen lebt derselbe Geist, die Verwaltungsreform räumt
mit den Resten der Selbstverwaltung auf, die wir noch gehabt haben,
und wie es mit der Sozialpolitik in der Èechoslovakei gegenwärtig
aussieht, das kann man am besten beurteilen, wenn man in Betracht
zieht, daß an der Spitze dieses Ministeriums Pater
Šrámek steht. Unter ihm stockt die sozialpolitische
Gesetzgebung und die soziale Fürsorge vollständig. Aber
man gibt sich nicht damit zufrieden, von staatswegen alles einzuschränken
und einzustellen, was an sozialen Fürsorgemaßnahmen
notwendig ist, und getan werden sollte, man geht jetzt
unter dem neuen Gemeindefinanzgesetz sogar daran, die soziale
Fürsorge der Gemeinden und Bezirke vollständig zu erwürgen.
Vor einigen Tagen hat in Kaaden der Vertretertag der deutschen
Landeskommission für Jugendschutz und Kinderfürsorge
stattgefunden. Wer die Tätigkeit der Landeskommission nur
einigermaßen kennt, weiß, daß von ihr aus manches
für den Schutz der Jugendlichen und der Kinder getan worden
ist. Natürlich konnten diese Leistungen nur mit Hilfe von
Zuwendungen der Gemeinden und Bezirke vollbracht werden. Aber
nun, unter der Herrschaft des grün-schwarzen Bürgerblocks,
nimmt das ein jähes Ende. Eine derartige Behandlung in Fürsorge-
und Kulturfragen ist wohl in keinem Staate außer
der Èechoslovakei möglich. Gegenwärtig haben
wir in Brünn eine Kulturausstellung der Èechoslovakei.
Auf dem Vertretertag der Landeskommission für Jugendschutz
und Kinderfürsorge wurde mit Recht erklärt, man müßte
auf diese Kulturausstellung die Jahresvoranschläge
der Gemeinden und Bezirke schicken, in denen jede Ausgabe für
soziale Zwecke gestrichen wird. (Sehr gut!) Die Bezirke
dürfen nicht mehr für die Kinder der Arbeitslosen Mittel
bereitstellen, sie dürfen Blindenanstalten nicht mehr unterstützen,
sie dürfen keine Beträge der Landeskommission für
Jugendschutz und Kinderfürsorge mehr zuweisen. Sie dürfen
nichts mehr für die Waisenhäuser hergeben. Alle diese
Beträge in den Voranschlägen werden einfach gestrichen.
(Posl. Heeger: Dafür aber für die Errichtung von
Fronleichnamsaltären!) Das ist unter der jetzigen grün-schwarzen
Koalition eine viel wichtigere Sache als die Unterstützung
armer Kinder, als die Hilfe, die Gemeinden und Bezirke in bescheidenem
Maße den Ärmsten im Staate gegeben haben. Diese
Zustände und vor allem die Tatsache, daß das ganze
parlamentarische Leben unter dem Diktat und unter der Selbstherrlichkeit
der "Osmièka" leidet, die sogar den Ausschüssen
vorschreibt, wie sie zu entscheiden haben, die Tatsache, daß
wir vor einem völligen Zusammenbruch der
ganzen sozialen Fürsorge stehen, die Tatsache, daß
die Politik des Bürgerblocks und des Großbauerntums
die Arbeiter-Klasse schwer drückt, sie zur leidenschaftlichen
Erbitterung treibt, veranlassen uns, in dieser ersten Sitzung
nach der langen Pause folgende Erklärung abzugeben:
Die trockene Feststellung, daß wir heute
am 12. Juni die erste Sitzung des Abgeordnetenhauses seit dem
23. März zu verzeichnen haben, charakterisiert am besten
die politischen Verhältnisse in diesem Lande und den Mißbrauch,
der von den Mehrheitsparteien dieses Hauses mit den Institutionen
des Parlamentarismus getrieben wird. Denn es waren nicht etwa
Zeiten politischer Windstille, in der den Volksvertretern Ferien
wohl zu gönnen wären, sondern es haben sich im Gegenteil
gerade in der Parlamentspause die wichtigsten politischen Ereignisse
zugetragen. Diese Ereignisse bedeuten für die Regierungsmehrheit
eine Kette schwerer Niederlagen. Die Fanfarentöne über
die granitne Festigkeit der Koalition und über die restlose
Durchführung ihres Programms sind verstummt und wir stehen
heute vor einer vollkommen ratlosen, vollkommen zerfahrenen, vollkommen
aktionsunfähigen Koalition. Im Vordergrund des allgemeinen
Interesses und natürlich auch im Mittelpunkte unserer Erwägungen
steht nach wie vor der Kampf um die Sozialversicherung, in deren
Mittelpunkt neben einer ganzen Reihe von Verschlechterungen des
Gesetzes die Paritätsfrage steht, die mit einer ganzen Reihe
von Verschlechterungen im Gesetze überhaupt und in der Selbstverwaltung
der Arbeiterkrankenversicherungsanstalten verbunden ist. Wir sprechen
der Mehrheit, die nicht auf das Programm der Verschlechterung
der Sozialversicherung gewählt worden ist, nach demokratischen
Grundsätzen das Recht ab, an das Gesetz ihre zerstörende
Hand anzulegen und sagen allen dahinzielenden Aktionen die Fortsetzung,
die Verschärfung, die Steigerung unseres Kampfes an.
Aber wenn die Koalition in der Frage der Sozialversicherung
unterliegt - und eine Niederlage bedeutet für sie schon das
bisherige Ergebnis - welche Lebensberechtigung hat sie überhaupt?
Auf welchem Gebiete vermag sie noch etwas Positives zu leisten?
Ihre größte Leistung, sozusagen ihr Monumentalwerk,
war die Verwaltungsreform, freilich ein Monumentalwerk des engstirnigsten
Polizeigeistes und des Machtdünkels, für das èechische
Bürgertum ein Verrat seiner alten demokratischen Traditionen,
eine Preisgabe der einst so zäh verteidigten Selbstverwaltung,
für die deutschen Regierungsparteien eine restlose Kapitulation
vor der chauvinistischen Ideologie des Herrn
Dr. Kramáø. Aber
wie sieht es mit der Durchführung dieses Monumentalwerkes
aus? Ist es nicht grotesk, daß ein Monumentalwerk durch
persönliche Fragen, durch den Streit der Parteien um die
Besetzung der maßgebenden Stellen in die größten
Schwierigkeiten gebracht wird? Und was ist mit der Ausschreibung
der Wahlen? Fühlen sie von allen sachlichen und verwaltungstechnischen
Problemen abgesehen, nicht die Schande, die in der Verschiebung
der Wahlen liegt? Die Wahlen finden auf Grund eines verschlechterten
Wahlrechtes statt, sie sind mit allen Garantien der Unschädlichkeit
für das Regierungssystem umgeben: hat eine Regierung, die
sich nicht einmal zu solchen Wahlen zu stellen wagt, überhaupt
noch eine Existenzberechtigung? Gescheitert in der Sozialpolitik,
gescheitert in der Innenpolitik suchen die Bürgerblockparteien
ihre Erfolge vielleicht auf dem Gebiet der unmittelbaren Vertretung
kapitalistischer Interessen, in der Wirtschaftspolitik. Wie haben
sich die Bürgerblockpolitiker aufgeblasen, als die große
Konjunkturwelle in der ganzen Welt auch die Èechoslovakei
ein Stückchen mitnahm. Heute stehen sie auch hier vor Trümmern
und Scherben. In der Flachsindustrie Ostböhmens sind die
Betriebe stillgelegt, tausende Arbeiter müssen gezwungen
feiern, mit den Familienangehörigen sind
50.000 Menschen zum Hunger verurteilt. Was hat die Regierung getan?
Welche Hilfsmaßnahmen hat sie eingeleitet? Der Herr stellvertretende
Ministerpräsident hat - nach vielen Winkelzügen - eine
Deputation aus dem Notstandsgebiet vorzulassen geruht, kühl
bis ans Herz hinan hat er sie angehört und, ohne positive
Auskunft zu geben, sie wieder entlassen. Was kümmert eine
Bürgerblockregierung auch das Schicksal von 50.000 Proletariern?
Ja, wenn es Generäle oder Verwaltungsräte oder Restgutbesitzer
wären! An allen Ecken und Enden flammen große Lohnkonflikte
auf, der Streik in der Glasindustrie hat sich gefährlich
zugespitzt, die Regierung sieht einfach mit verschränkten
Händen zu. Die Zuckerindustrie ist in einen schweren Notstand
geraten, wir haben von der Regierung noch nicht gehört, was
sie zu tun gedenkt. Will sie die Zuckerbarone auf Kosten der Konsumenten
sanieren oder will sie untätig bleiben, wenn tausende Arbeiter
auf das Pflaster geworfen werden? Will sie dem Zuckerkartell jenen
Steuernachlaß gewähren, den sie den Konsumenten seit
Jahren hartnäckig verweigert? Die Regierung antwortet nicht,
weil sie rat- und hilflos ist. Wirft doch auch die englische Zollpolitik
- Zucker und Knöpfe - das vollständige Stokken aller
Handelsvertragsverhandlungen, der offene Zollkrieg mit Polen,
der versteckte Zollkrieg mit dem verbündeten Jugoslavien,
ein sehr merkwürdiges Licht auf die Voraussicht der Regierung
in wirtschaftlichen Dingen. So sieht die Wirtschaftspolitik der
grün-schwarzen Koalition aus; und mit der Finanzpolitik steht
es womöglich noch schlimmer. Herr Dr Engliš hat
umsonst seine sozialpolitisch angehauchte Vergangenheit preisgegeben,
umsonst sein theoretisches Rüstzeug in den Dienst kapitalistischer
Profitgier gestellt. Er fällt als erstes Opfer; aber die
ganze Finanzpolitik des Bürgerblocks ist zusammengebrochen
im finanziellen Zusammenbruch der Selbstverwaltungskörper,
den kurzsichtiger Haß gegen die Tätigkeit der Arbeiter
in der Selbstverwaltung und der maßlose Drang der Kapitalisten,
sich an der Steuerreform zu bereichern, verschuldet hat. Die deutschen
Christlichsozialen rufen heute nach Novellierung des Gemeindefinanzgesetzes.
Aber wir werden den klaren Tatbestand nicht verdunkeln lassen,
daß sie mit allen Parteien des Bürgerblocks die Katastrophe
herbeigeführt haben, vor der ihnen nun selbst zu grauen beginnt.
Wenn sie das Gemeindefinanzgesetz novellieren, so erwerben sie
damit kein Verdienst um die Selbstverwaltung, sondern bekennen
nur den Zusammenbruch ihrer sinnlosen Politik.
Zusammenbruch, Niederlage, Wirrwarr auf allen
Linien. Außenpolitisch ohne Programm und politische Konzeption,
handelspolitisch isoliert, innerpolitisch zerrüttet, wirtschaftspolitisch,
finanzpolitisch von unabsehbaren Krisen bedroht, in der Sozialpolitik
unfähig, etwas zu schaffen und kaum noch stark genug, zu
zerstören, in der Kulturpolitik völlig unfruchtbar,
das ist die Regierung der starken Hand, die Regierung der Ordnung
und der Konsolidierung. Das ist die Regierung, die uns vor nicht
ganz zwei Jahren die Lösung des schwersten èechoslovakischen
Problems des nationalpolitischen, verhieß,
und die heute gerade noch fähig ist, eine Kundgebung zu verbieten
oder eine Zeitung zu konfiszieren, aber mit keinem der Probleme
fertig wird, vor die sie gestellt ist und die sie zum Großteil
selbst leichtsinnig und übermütig ins Rollen gebracht
hat.
Was bleibt der Regierung übrig? Will sie
sich von einem faulen Kompromiß zum andern fortschleppen,
bis sie im Sumpf erstickt, oder will sie, mag auch das deutsche
Beispiel noch so peinliche Besorgnisse wachrufen, wenigstens halbwegs
in Ehren sterben? Abtreten, das Haus auflösen, dem Volk die
Möglichkeit geben, den Ausweg selbst zu suchen, den sie durch
ihre Politik verrammelt hat, das wäre das einzige Mittel,
das die Regierung noch wenigstens vor der Verachtung retten könnte,
nachdem sie sich den Zorn, die Empörung, die Flüche
der verelendeten Volksmassen reich verdient hat.
Indes, die Situation ist dem Bürgerblock
ebenso bekannt wie uns. Es liegt an den Blockparteien, welche
Konsequenzen sie daraus ziehen wollen. Was immer die Blockparteien
beschließen mögen, die Arbeiterklasse geht ihren Weg,
den Weg des mutigen Widerstandes, die Organisierung der Volksmassen,
der Zusammenfassung aller Kräfte des Proletariats, der Fortsetzung
des Kampfes bis zum Sturz des reaktionären Systems, bis zum
Sieg der Arbeiter! (Potlesk nìm. soc. demokratických
poslancù.)