Meine Damen und Herren! Volle drei Monate war
das Parlament ausgeschaltet. Die Pausen sind im Prager Parlamentarismus
nachgerade das Hauptsächlichste. Als erster Redner meiner
Partei lege ich vor allem Protest gegen diese nun schon typisch
gewordene Ausschaltung des Parlamentes ein. Man wird es wohl begreiflich
finden, daß ich die Gelegenheit benütze, alle die Beschwerden,
die sich während der parlamentslosen Zeit angesammelt haben,
vorzubringen.
Vor allem verweise ich auf den von meinem Klubkollegen
Krebs im sozialpolitischen Ausschuß bereits vorgebrachten
Protest gegen die Verschleppung der Novellierung des Gesetzes
über die Pensionsversicherung der Privatangestellten, ferner
gegen die Nichtvorlage des Gesetzes betreffend die Unterstützung
der Überalten und endlich gegen die Verschleppung der Novellierung
der Kriegsbeschädigtengesetze. Ich schließe mich diesem
Protest an, unterstreiche ihn.
Und nun ein Wort über die Sozialversicherung.
Seit Monaten steht der Kampf um die Sozialversicherung im Mittelpunkte
der politischen Lage. Die ursprüngliche Regierungsvorlage
betreffend die Abänderung des Sozialversicherungsgesetzes
vom 9. Oktober 1924 wurde von allen sozialistischen Parteien einmütig
abgelehnt. Ja selbst aus den Reihen der Regierungsparteien erhoben
sich Stimmen, welche vor gewissen Bestimmungen der Vorlage warnten.
Als hauptsächliche Grundlage der allgemeinen Ablehnung wurde
die in §§ 37 bis 43 der Novelle vorgeschlagene Einführung
der Parität bei der Verwaltung der Krankenkassen und die
mit § 19 vorgesehene Aufhebung der Kassenverbände bezeichnet.
Der Unterausschuß des sozialpolitischen Ausschusses hat
sich durch Monate mit der Vorlage beschäftigt und es hatte
den Anschein, als ob die Regierungsparteien bereit wären,
in dieser wichtigen, für hunderttausende Arbeiter entscheidenden
Gesetzesvorlage den Standpunkt der Arbeiterparteien anzunehmen
oder ihnen doch entgegenzukommen. In der heutigen Sitzung des
sozialpolitischen Ausschusses wurde die Regierungsvorlage durch
einen neuen Entwurf ersetzt. Allerdings liegen bis zur Stunde
nur die §§ 1 bis 15 vor, so daß ein abschließendes
Urteil über die Einstellung der Regierungsparteien zu den
erst in den späteren Paragraphen behandelten Fragen der Parität
und der Kassenverbände noch nicht möglich ist. Namens
meines Klubs habe ich mit aller Entschiedenheit zu erklären:
"Wir deutschen Nationalsozialisten werden jede Vorlage, welche
die Aufhebung der Kassenverbände bringt und die Parität
in der Verwaltung der Krankenkassen einführen will, mit aller
Entschiedenheit bekämpfen. (Souhlas na levici.)
Wir sind bereit, dem Beschluß
der anderen sozialistischen Parteien, den schärfsten Kampf
gegen eine solche Vorlage zu führen, beizutreten. Wir würden
den Kampf in geschlossener Front miit den schärfsten Mitteln
bis zur parlamentarischen Obstruktion mitführen. Wenn auch
dieses Mittel versagen sollte, so sind wir für die Niederlegung
der Mandate durch alle Arbeiterparteien." Das ist die Erklärung,
die ich namens meines Klubs hier abzugeben habe.
Und nun gestatten Sie, daß ich auch zu
verschiedenen anderen Fragen Stellung nehme. Vor allem wende ich
mich gegen die Durchführung des Gesetzes zum Schutze des
heimischen Arbeitsmarktes. Herr Koll. Schubert vom Bund
der Landwirte hat seinerzeit die Regierungsvorlage im Hause über
den grünen Klee gelobt. Die vom Fürsorgeministerium
unterdessen herausgegebenen Richtlinien dürften ihn, falls
er überhaupt belehrbar ist, inzwischen eines Bessern belehrt
haben. Sie zeigen, daß unsere Anschauung durchaus richtig
war, daß es sich auch hier um nichts anderes als um die
Verdrängung Deutscher handelt. Denn andere Personen kommen
unter den Ausländern kaum in Betracht. Eine Beschränkung
des Aufenthaltes im Auslande im Einzelfall bis zu drei Wochen,
im Wiederholungsfalle bis zu 6 Wochen bedeutet, daß die
Betroffenen für den Arbeitgeber hiedurch minder wertvoll
werden. Ich beschränke mich hier auf diese kurzen Darlegungen
und verweise auf die diesbezüglich von uns eingebrachte Interpellation.
Und nun einige Beschwerden, die den Herrn Justizminister
angehen. Es freut mich, daß ich in der Lage bin, sie in
seiner Gegenwart vorzubringen. Es handelt sich hier vor allem
um einen ungeheuerlichen Korruptionsfall, der allerdings mehr
in das Wirkungsgebiet des Innenministeriums hineinspielt und in
allererster Reihe den damaligen Innenminister Malypetr
betrifft. Eine am 14. März d. J. vor dem Pressesenat in Prag
durchgeführte Ehrenbeleidigungsklage gegen einen gewissen
Dr. Emil Margulies hat einen geradezu haarsträubenden Fall
von Korrumpierung des öffentlichen Lebens aufgedeckt. Es
handelt sich um eine Angelegenheit, welche zur Zeit der letzten
Parlamentswahlen spielt. Damals wurde einem gewissen Markus Ungar
durch den damaligen Innenminister Malypetr - es handelt
sich um unseren heutigen sehr geschätzten Herrn Präsidenten
- für die Wirtschaftspartei moralische und materielle
Unterstützung im Wahlkampfe zugesichert. Er erhielt 100.000
Kè in Bargeld und überdies wurde ihm (Posl.
Krebs: Woher? Aus dem Dispositionsfond?) Sehr richtig.
Aus dem berühmten Reptilienfond. Überdies wurden ihm
28.000 Kè für den Druck der Kandidatenlisten erlassen.
Im Gegensatz hiezu ist der Staat noch heute meiner Partei einen
Betrag von 11.000 Kè schuldig, auf den sie das Recht besitzt,
der ebenfalls aus den Parlamentswahlen herstammt und zwar daher,
daß wir im Senatswahlkreis Brünn nicht
in allen Bezirken kandidierten. Statt uns diesen Betrag auszuzahlen,
war man schmutzig genug, ihn uns zu verweigern; wir mußten
diesbezüglich bis an das Verwaltungsgericht gehen und obwohl
dieses zu unseren Gunsten entschied, haben wir den Betrag bis
zum heutigen Tage, trotz mehrfacher Urgenz noch immer nicht ausbezahlt
bekommen. (Posl. Krebs: Der Innenminister Èerný
hat selbst versprochen, die Sache zu regeln! Das ist eine Schande,
ein Skandal!) Ich habe selbst einigemal
mit dem Innenministerium telephoniert und werde von Tag zu Tag
vertröstet. Bis zum heutigen Tage ist uns also der
Staat 11.000 Kè schuldig, während anderen Parteien,
die gefügig sind und die für irgendwelche Zwecke gebraucht
werden, Hunderttausende gegeben werden. (Výkøiky
posl. Krebse.) Wir haben diese Angelegenheit
in Interpellationen sowohl im Senat als auch im Abgeordnetenhaus
behandelt; ich habe mich aber bemüßigt gesehen, sie
auch in offener Haussitzung vorzubringen.
Ein weiteres Kapitel, das besonders den Herrn
Justizminister angeht, ist die geradezu haarsträubende Zensurpraxis.
Ich will mich bloß auf zwei sehr kennzeichnende Fälle
beschränken. In Heft 2 unserer Monatsschrift "Volk und
Gemeinde" wurde in einen von mir verfaßten Aufsatz,
"Der Nationalsozialismus, sein Werdegang in Mitteleuropa"
folgende Stelle beschlagnahmt: "Zum nationalen, aber auch
sozialen Staat aller Deutschen Mitteleuropas haben wir uns seit
jeher auf unseren Parteitagen und völkischen Tagungen, aber
auch auf dem Boden des Prager Parlaments bekannt. Dieses offene
Bekenntnis bildete auch den Kernpunkt der politischen Entschließung
unserer letzten Gesamtleitungssitzung. Wann wir dieses Ziel erreichen,
steht dahin. Zaghafte mögen abseits bleiben, Materialisten
erklären, sie hätten nichts davon. Wir streben und ringen,
wir bauen und säen die Saat. Einst reift die Ernte, der freie
deutsche Staat mit freien hochgemuten Menschen. Mögen die
einen der Vergangenheit nachtrauern, die anderen am Schmutz und
Sand einer öden geist- und seelenlosen Gegenwart hängen.
Unser ist die Zukunft! Ob unsere Idee früher oder später,
ob mit oder ohne Erschütterungen sich durchsetzen wird, wissen
wir nicht, aber daß sie sich durchsetzen wird, daß
einmal die Hakenkreuzfahne, die Banner des Deutschen Reiches sein
werden, das wissen wir!" Diese Stelle ist also beschlagnahmt
worden. In unserem Blatt "Der Tag", Folge 85 vom 1.
Mai l. J. wurde folgende Stelle beschlagnahmt: " Mögen
alle anderen untreu werden, wir bleiben treu und müssen uns
selbst getreu bleiben, wenn wir jemals das große Ziel unserer
Bewegung verwirklichen wollen, jenes große Ziel, das ja
auch schon aus der soeben angeführten Erklärung herausklingt,
das aber mehr noch in Erscheinung tritt in jener staatsrechtlichen
Erklärung, die einst an geschichtlicher Stätte in der
konstituierenden Nationalversammlung Deutschösterreichs von
unserem Freunde Knirsch abgegeben wurde. Am 21. Weinmonds
werden es 10 Jahre her sein. Sie ist und bleibt unsere Richtschnur,
denn sie verknüpft die beiden Gedanken unserer Weltanschauung,
den nationalen und den sozialen, zur Einheit, zum Staatsgedanken
der Zukunft: Deutschland wird nationalsozialistisch sein, oder
es wird überhaupt nicht sein." Der Herr Zensor hat sich
bemüßigt befunden, diese Worte der Kenntnis der Leser
zu entziehen, vermutlich unter dem Eindruck des Wahlspruches des
Staates, "die Wahrheit siegt!", allerdings die Wahrheit,
wie die Herren sie sich vorstellen. (Výkøiky
na levici.) Es
handelt sich bei dieser Stelle um einen bloßen Hinweis auf
die vom Koll. Knirsch am 21. Oktober 1918 namens unserer
Partei abgegebene staatsrechtliche Erklärung, welche folgenden
Wortlaut hatte: "Wir nationalen Sozialisten lehnen den Gedanken
an eine Vereinigung Deutschösterreichs zu einem Staatenbunde
mit den aus dem alten Österreich erstehenden slavischen Staaten
von vornherein ab. (Pøedsednictví pøevzal
místopøedseda Horák.)
Im nationalen, sozialen und kulturellen
Interesse fordern wir den staatsrechtlichen Anschluß Deutschösterreichs
als Bundesstaat an das Deutsche Reich. Die Regelung der außenpolitischen
und der Handelsbeziehungen zu den neuerstehenden Nachbarstaaten
kann nur unter dem Gesichtspunkte der Interessen des Gesamtdeutschtums
erfolgen, muß also Sache aller im Deutschen Reich vereinigten
Bundesstaaten sein. (Další dvì vìty
byly usnesením pøedsednictva posl. snìmovny
ze dne 12. èervna 1928 podle §u 9, lit. m)
jedn. øádu vylouèeny z tìsnopisecké
zprávy. Viz str. 57 této tìsnopisecké
zprávy.)
Diese Erklärung ist die ganzen Jahre hindurch
bis zum Amtsantritt der jetzigen Regierung, also bis zu dem Zeitpunkt,
da wir Gleiche unter Gleichen geworden sind und ein Deutscher
Justizminister wurde, anstandslos veröffentlicht worden.
Es ist dies eigentlich selbstverständlich oder sollte wenigstens
selbstverständlich sein, weil es sich um eine geschichtliche
Tatsache handelt, um ein Vorkommnis, das mit der Geschichte des
Umsturzes untrennbar verknüpft ist. "Die Wahrheit siegt",
lautet der Wahlspruch des Staates. Dann aber müssen seine
Regierenden auch den Mut besitzen, die geschichtliche Wahrheit
zu hören. Unter dem deutschen klerikalen Justizminister wird
aber sogar der einfache Hinweis auf eine geschichtliche Tatsache
beschlagnahmt. (Posl. Krebs: So haben unsere Zeitungen noch
niemals ausgeschaut, wie in dieser Zeit! Es ist eine
Schande für die Èechoslovakische Republik, wie die
Zeitungen jetzt ausschauen! - Rùznì
výkøiky. Sehr richtig!) Seitdem
Mayr-Harting Justizminister ist, sind die Bocksprünge
der Zensur einfach überhaupt nicht mehr zu ertragen. (Posl.
Simm: Auch vieles andere ist böser geworden.) Sehr richtig!
Es zeigt sich die ganze Kriecherei der deutschen Regierungsparteien.
(Posl. Simm: Noch niemals waren so viel Deutsche hinter Kerkermauern!)
Das ist ein sinnfälliges Beispiel für die Gesinnung,
die Nackensteife und den Einfluß der deutschen Minister.
Das zweite Beispiel lieferte kürzlich der deutsche Arbeitsminister,
als er den Ministerrat untertänigst um die Erlaubnis fragte,
ob er Schirmherr eines deutschen Festes werden dürfe und
sich vom Ministerrat die Teilnahme an diesem Fest verbieten ließ.
Beide Beispiele kennzeichnen am besten den niederträchtigen
Schwindel, der in der Behauptung liegt, daß wir nunmehr
Gleiche unter Gleichen sind und sie kennzeichnen gleichzeitig
die ganze Knieweichheit dieses deutschen Regierungskurses. (Posl.
Simm: Zu jedem Sokolfest rückt die ganze Regierung aus!)
Die Herren fragen eben nicht, während die deutschen Minister,
wenn sie einen Schritt unternehmen, ergebenst um die Erlaubnis
ansuchen. Wenn ich vom Justizministerium spreche - es tut
mir leid, daß der Herr Justizminister unterdessen davongelaufen
ist - so will ich in diesem Zusammenhang auf das Urteil eines
èechischen Universitätsprofessors über die Entartung
der Justiz hinweisen. Es handelt sich um einen Aufsatz des Universitätsprofessors
Dr. Hora, erschienen in der Zeitschrift "Právník".
Prof. Hora unterzieht dort den Kurs in der Justizverwaltung einer
vernichtenden Kritik; er führt vor allem aus, wie heute die
Richter förmlich dazu gepreßt werden, gegen ihre Überzeugung
zu handeln und er führt wörtlich Folgendes an: "Bedenken
wir, wenn sich die Richter, die in der Achtung vor den Gesetzen
erzogen wurden und diese Achtung noch immer im Blute haben, zur
Verletzung der Gesetze hinreißen lassen, wie wird es mit
dem Nachwuchse stehen, der schon beim Eintritt in den richterlichen
Dienst diese Nichtachtung der Gesetze wie ein Gift langsam, aber
sicher wirkend in sich aufnimmt!" Ich habe dieser Kritik
von èechischer Seite nichts hinzuzufügen.
Zu den offenkundig von der Justizverwaltung
geradezu geforderten oder zumindest geförderten Gesetzesverletzungen
gesellen sich die kleinlichen Schikanen der Verwaltungsbehörden.
Als kennzeichnendes Beispiel hiefür führe ich das Verbot
des bekannten Lichtbildervortrages des Koll. Wenzel durch
die Polizeidirektion in Mährisch Ostrau an. Dieser Vortrag
konnte unbeanständet, nachdem es freilich zuerst immer Rummel
und Aufregung gegeben hatte, an mehreren Orten stattfinden; nur
die genannte Stelle verbot sein Stattfinden in Neu-Oderberg mit
der lächerlichen Begründung, daß die Partei zur
Veranstaltung eines solchen Vortrages nicht berechtigt sei. Weil
diese Begründung... (Posl. Krebs: Wenn diese Begründung
nur nicht gar so blöd wäre!) Ja, sie haben eingesehen,
daß sie Trottel sind und haben eine zweite Begründung
dazu gegeben. Weil diese Begründung offenkundig zu fadenscheinig
war, wurde noch die gefährdete Ruhe und Ordnung herangezogen.
Diese Gefährdung erfolgt, wie ich aus eigener Erfahrung weiß,
in Neu-Oderberg gewöhnlich durch einige èechische
Eisenbahner, die offenkundig eigens zu diesem
Zweck dorthin versetzt wurden. Auch mich haben sie einigemale
zu stören versucht. Nachdem ihnen aber einmal ein solcher
Störungsversuch ewas übel bekommen ist, habe ich von
diesen Herrschaften nun Ruhe, was allerdings die Verwaltungsbehörden
nicht hindert, gelegentlich sich auf sie als Nothelfer zu berufen.
Unsere Ortspartei hat den Rekurs an die politische Landesverwaltung
in Troppau eingebracht. (Posl. Krebs: Gibt es die überhaupt
noch?) Vorderhand noch, wir wissen aber nicht, wie lange,
das wissen nicht einmal die Herren von den Regierungsparteien.
Diese politische Landesverwaltung hat selbstverständlich
die gegen das Verbot eingebrachte Berufung verworfen. Aus diesem
Beispiel kann man ersehen, welcher Freiheiten sich die
deutschen Staatsbürger im Zeichen der "Gleiche unter
Gleichen" erfreuen. Der Èeche kann ungestört
randalieren, kann alles mögliche tun, der Deutsche darf nicht
einmal Vorträge veranstalten. Aber nicht nur die unteren
Verwaltungsbehörden leisten sich allerhand
Stückchen.
Die obersten Behörden gehen mit schlechtem
Beispiel voran. Das erhellt aus dem Vorgehen des Ministeriums
für öffentliche Arbeiten und des Fürsorgeministeriums
gegen die Prager Privatanstalt für Taubstumme in Smíchov.
Ich lese das diesbezügliche an unseren Klub gerichtete Schreiben
der Oberdirektion dieser Anstalt vor. Es beleuchtet diesen Skandal
- anders kann man dieses Vorgehen nicht nennen - sehr deutlich.
Das Schreiben lautet: "Die im Jahre 1786
gegründete Prager Privatanstalt für Taubstumme in Smíchov
erbaute ohne Beihilfe der Staats- oder Landesbehörden, lediglich
mit Hilfe von Beiträgen, Stiftungen und Legaten von Wohltätern,
ein zweckentsprechendes, von einem großen Garten umgebenes
Gebäude. In diesem wurden 160 arme, taubstumme Kinder untergebracht,
denen ohne Rücksicht auf Religion, Nationalität oder
politische Partei der Eltern Erziehung und Bildung zuteil wurde.
Dieses Gebäude wurde als einziges aller Wohltätigkeitsanstalten
im Jahre 1919 teilweise, im Jahre 1921 gänzlich seitens der
Regierung für das statistische Amt beschlagnahmt. Als Ersatz
wurde der Oberdirektion das Schönborn'sche Schloß in
Dolní Lukavice bei Pilsen angeboten mit der Versicherung,
die Beschlagnahme werde binnen kurzer Zeit aufgehoben werden.
Die Oberdirektion erhob Einspruch und wies darauf hin, daß
das Schloß in Dolní Lukavice für eine Taubstummenanstalt
gänzlich unpassend sei. Für die Erziehung der Taubstummen
ist nämlich die Großstadt mit ihren Museen, Sammlungen,
Kaufläden, Auslagen, Werkstätten, historischen Sehenswürdigkeiten,
sowie hauptsächlich wegen der leichten Zugänglichkeit
der Kliniken für Ohrenleiden und Kinderkrankheiten geradezu
unentbehrlich. Diese begründeten und berechtigten Einsprüche
blieben unbeachtet, so daß die Oberdirektion mit Rücksicht
auf das Wohl der ihr anvertrauten Zöglinge gezwungen war,
die als Ersatz angebotene provisorische Wohnstätte in Alt-Dejvic
anzunehmen. Dies geschah im Vertrauen auf das seitens der Regierung
gegebene Versprechen, die Beschlagnahme werde binnen zwei Jahren
aufgehoben werden. Leider ist es unmöglich, in Alt-Dejvic
mehr als 20 Kindern Unterkunft und Erziehung zu bieten. Bereits
am 16. August 1923 anerkannte das Ministerium für soziale
Fürsorge mit Erlaß Nr. 7709/23 die obigen Einwendungen
der Oberdirektion in vollem Maße und ersuchte das Ministerium
für öffentliche Arbeiten, die Beschlagnahme aufzuheben
und das Gebäude seiner ursprünglichen Bestimmung ehebaldigst
zuzuführen.
Das Statistische Amt verständigte am 28.
August 1923, G. Z. 5709/präs. 23, das Ministerium für
öffentliche Arbeiten, daß das nach seinem Grundrisse
als Pädagogium aufgeführte Gebäude seinem jetzigen
Zwecke überhaupt nicht entspreche, umsoweniger, als das Statistische
Amt besondere Räumlichkeiten benötige, Maschinenhaus,
ein großes Magazin, einen Raum für Rechenmaschinen,
und beantragte in Übereinstimmung mit dem statistischen Staatsrate,
es möge sobald als möglich ein Neubau aufgeführt
werden.
Dieses wohlbegründete Ansuchen wurde öfters
erneuert. Sämtliche Ministerialbeschlüsse, als Bitten
und Interventionen beim Herrn Präsidenten, bei verschiedenen
Ministerien und beim Landesverwaltungsausschuß blieben erfolglos
und die Oberdirektion gab bereits alle Hoffnung auf, ihr beschlagnahmtes
Haus wiederzuerhalten und war bereits der Meinung, das
private Eigentumsrecht sei in der Èechoslovakischen Republik
bereits außer Geltung. Erst im Kostenvoranschlag für
das heurige Jahr wurde ein Betrag von 50.000 Kè für
Vorarbeiten zu einem Neubau für das Statistische Amt eingestellt
und die Oberdirektion erwartet mit Bestimmtheit
die Rückgabe ihres Gebäudes. (Výkøiky
na levici.)
Ein neuer Schlag vernichtete aber alle Hoffnung.
Das Statistische Amt, welches in seinen Eingaben unaufhörlich
darauf hinwies, daß die Durchführung der bevorstehenden
Volkszählung in dem beschlagnahmten Gebäude unmöglich
sei, teilte der Oberdirektion mit, daß laut Mitteilung des
Ministeriums für öffentliche Arbeiten vom 13. Jänner
1928, G. Z. 56.827 ai 1927, mit der Aufführung eines Neubaues
bis zum Jahre 1930 nicht gerechnet werden könne."
Dies der Sachverhalt. So also wird eine Wohltätigkeitsanstalt
behandelt. Es ist natürlich gar kein Wunder, daß die
Behandlung anderer Anstalten noch mehr zu wünschen übrig
läßt. (Posl. Krebs: Das deutsche Taubstummeninstitut
in Leitmeritz mit 102 Kindern bekommt 2000 Kè
Jahressubvention!) Das ist ein sehr bezeichnender Fall, vielleicht
wird man die Subvention einmal auf 200 Kè herabsetzen.
Über die Art der Durchführung der
vom Präsidenten Masaryk als größte soziale
Tat gepriesenen Bodenreform hat Koll. Krebs schon einmal
im Hause recht kennzeichnende Aufschlüsse gebracht. Ich will
mich nicht unmittelbar mit dem Restgutschacher, wohl aber mit
seinen Auswirkungen beschäftigen. In Zattig, einer Gemeinde
Schlesiens, wurden zwei Arbeitsleute um die ihnen vom Bodenamt
ausdrücklich zugesicherten Stellungen auf einem der beiden
durch die Beschlagnahme eines Bellegardeschen Gutes entstandenen
Restgüter dadurch gebracht, daß der neue Besitzer das
Gut erst in einem späteren Zeitpunkt übernahm und seine
eigenen Arbeiter mitbrachte. Wegen Ablaufs der Einspruchsfrist
waren die Betroffenen um ihr Recht geprellt. Es handelt sich um
ein Ehepaar namens Biefel. Der Mann ist Kriegsinvalide, das Ehepaar
hat zwei Kinder. Alle Bemühungen der beiden, beim staatlichen
Bodenamt sowie bei der politischen Bezirksverwaltung Freudenthal,
blieben ohne Erfolg. Der Fall hat insoferne einen pikanten Beigeschmack,
als die Genannten Mitglieder der deutschen christlichsozialen
Partei, also einer Regierungspartei, sind, während der eigentliche
Besitzer des Restgutes, der sie aufs Pflaster warf, eine èechisch-klerikale
Genossenschaft ist, an deren Spitze der Abg. Pater Rýpar
steht. Es haben also die Èechisch-klerikalen einen Angehörigen
der ihnen nahestehenden deutschen christlichsozialen Partei aufs
Pflaster geschmissen und die deutschen Christlichsozialen hatten
nicht den Mut, für ihre eigenen Angehörigen einzutreten,
um die Bundesgenossenschaft mit den èechischen Klerikalen
nicht zu gefährden.
Etwas ist auch über die Heeresverwaltung
zu sagen. Vor allem möchte ich um Aufklärung ersuchen,
welche Absichten mit der Abhaltung von Manövern in den an
das Deutsche Reich grenzenden Gebieten verfolgt werden. Vor kurzem
fand nämlich in der Hannsdorfer Gegend eine Generalstabsreise
statt und in deren Verfolg sollen im Herbste größere
Manöverübungen im Raume Mährisch-Altstadt, Goldenstein,
Wiesenberg stattfinden. Dabei soll eine Gruppe von Wiesenberg
gegen Mähr. Altstadt auf eine dort in Verteidigung befindliche
Gruppe vorstoßen. Offenkundig handelt es sich also hier
um Übungen, bei welchen das Deutsche Reich als Gegner gedacht
ist. Es ist das nicht der erste Fall und es ist recht merkwürdig,
daß bei allen Manövern stets mit dem Deutschen Reiche
als Feind gerechnet wird, während... (Posl. dr Schollich:
Die Äußerungen Spaèeks!) Darauf komme ich
noch zu sprechen. Dagegen finden niemals Übungen gegen Polen
oder Rumänien, die doch auch an die Èechoslovakei
grenzen, statt. Daraus ersehen wir, daß die seinerzeit vom
Abg. Špaèek als Berichterstatter
zu zwei Wehrvorlagen im Hause gebrauchten Worte, die einzigen
in Betracht kommenden Feinde seien Deutschland und Ungarn, die
Ansichten der Heeresverwaltung wiedergeben. Es fragt sich nun,
wie sich denn diese Ansichten mit den ständigen Beteuerungen
des Außenministers, daß er an nichts anderes als die
Sicherung des Friedens denke und daß die Beziehungen zum
Deutschen Reiche freundschaftlich seien, zusammenreimen.
Einen unglaublichen Fall von Benachteiligung
eines seine Militärdienstzeit Ableistenden will ich auch
in Kürze behandeln. Ich habe ihn in einer ausführlichen
Eingabe dem Herrn Wehrminister zur Kenntnis gebracht. Es handelt
sich um einen gewissen Ingenieur Otto Olbrich, der seit dem Jahre
1914 seinen Wohnsitz in Wien hat und sich mit Rücksicht auf
seinen Lebensunterhalt um die österreichische Staatsbürgerschaft
beworben hat. Die in Betracht kommenden militärischen Dienststellen
haben ihn bei seiner Einrückung ausdrücklich versichert,
daß er am 17. März l. J. entlassen wird, seine Entlassung
stand sogar schon im Befehl. Er hat daraufhin ein en Posten angenommen
und hat sich bei Nichtantritt dieses Postens zu einer Strafe von
10.000 Kronen verpflichten müssen. Knapp vor dem 17. März
wurde ihm mitgeteilt, daß er nicht im Jahre 1928, sondern
erst im Jahre 1929 entlassen wird. (Hört! Hört!)
Der Mann hat seinen Posten nicht nur verloren, er ist auch
um 10.000 Kronen, sein einziges Besitztum, gebracht worden und
ist heute infolge des Vorgehens der Militärverwaltung und
ihrer Organe ein Bettler. (Výkøiky na
levici.) Wenn
das Militär derartig wirtschaftet, so ist es begreiflich,
daß es sich keineswegs die Zuneigung der mit ihm gezwungenermaßen
in Berührung Kommenden erwirbt. (Posl. Krebs: Ich kenne
zahlreiche Fälle, wo beim Militär Leute erkrankt sind,
die in Not geraten sind und die elend verhungern! Die Militärverwaltung
kümmert sich um diese Leute überhaupt nicht!) Ich
werde auch noch über diese Fälle bei einer anderen Gelegenheit
ausführlich sprechen.
Ein Wort ist auch zu den Erpressermethoden
bei der Werbung für das Rote Kreuz zu sagen. Koll. Krebs
hat eine solche, den Bereich der Prager Postdirektion betreffende
Angelegenheit kürzlich in einer Interpellation behandelt.
Der Fall liegt so: Am 16. Dezember 1927 war im Amtsblatt Nr. 42
eine Aufforderung zur Werbung von Mitgliedern enthalten,
in welcher den Amtsvorständen der Auftrag erteilt wurde,
alles für diese Werbung zu tun. Die betreffenden Worte lauten:
"Es ist direkt ein Befehl der Pflicht, dem Èechoslovakischen
Roten Kreuze beizutreten". Man kann sich
daraufhin lebhaft vorstellen, welcher Druck auf die Angestellten
ausgeübt worden ist.
Wenn ich schon eine Reihe von Verwaltungszweigen
behandelt habe, so will ich auch das Eisenbahnministerium nicht
aus dem Spiele lassen. Vor allem möchte ich darauf hinweisen,
daß bei den verschiedensten Gelegenheiten darunter auch
bei der Behandlung des Staatsvoranschlages im Ausschuß und
im Hause, nicht nur von uns der sprachliche Chauvinismus der Staatseisenbahnverwaltung
mit Recht kritisiert wurde, sondern daß sogar dem Herrn
Abg. Windirsch, der doch von Ergebenheit förmlich
trieft, diese Methoden zuweit gingen und er den Eisenbahnminister
ersuchte, er möge doch die Sprache als Verkehrsmittel ansehen,
was nebenbei bemerkt, bei einem Verkehrsunternehmen selbstverständlich
sein sollte. Hierzulande freilich predigt man tauben Ohren. Der
Staatsbahnbetrieb ist nur deshalb zum Wirtschaftsbetrieb gemacht
worden, damit man sich um die ohnehin unzureichenden Bestimmungen
des Sprachengesetzes herumdrücken kann. Das ist der einzige
Zweck der Übung gewesen, und wer das heute noch nicht einsieht,
gehört zu jener Gattung von harmlosen Mitteleuropäern,
die von allen anderen natürlich immer auf die Leimspindeln
gelockt werden. Daß dies geradezu oft zu Lächerlichkeiten
führt, spielt auf dem èechischen Globus nicht
die geringste Rolle. So sind beispielsweise auf den Grenzbahnhöfen
Lundenburg und Oderberg sämtliche Aufschriften in èechischer
und französischer Sprache angebracht. In Lundenburg ist überhaupt
kein deutsches Wort zu sehen. In Oderberg hat
man allerdings bei den Kassen auch deutsche Aufschriften angebracht,
damit die Deutschen, welche 99 % aller Reisenden ausmachen, wenigstens
sehen, wo sie ihr Geld loswerden können. Aber selbst im rein
deutschen Gebiet geht es nicht anders zu. (Pøedsednictví
se ujal pøedseda Malypetr.) Alle
Aufschriften in den Wagen auf den Strecken im Egerland und in
Westschlesien z. B.... (Posl. Geyer: Auch in den Motorwagen!)
Ja, auch die Motorwagen in Joachimsthal, Schlackenwerth usw.,
tragen kein deutsches Wort. In das gleiche Gebiet fallen
aber auch die rein èechischen Fahrpläne, welche die
Staatseisenbahnverwaltung an die Direktionender Deutschen Reichsbahngesellschaft
abgegeben hat. Wir haben eine diesbezügliche Interpellation
eingebracht, sie ist vom Herrn Eisenbahnminister
beantwortet worden. Wir müssen aber dazu sagen, daß
uns diese Antwort nicht im geringsten befriedigt. (Posl. Knirsch:
Die Einleitung ist geradezu eine Frechheit!) So wie gewöhnlich
bei all den Antworten, die man erhält. Man behauptet hierzulande
immer, daß angeblich im alten Österreich den Èechen
in sprachlicher Hinsicht auch nicht entgegengekommen wurde. Ich
behaupte aus eigener Erfahrung, daß trotz der deutschen
Dienstsprache, die damals festgelegt war, das Gegenteil richtig
ist. Ich habe im Hause schon vor Jahren
für diese Behauptung Belege beigebracht. Sie betrafen Prüfungen
von Staatsbahnbediensteten in der Werkstätte Jägerndorf
aus dem Jahre 1899 und diese Prüfungen waren in èechischer
Sprache abgelegt worden.