Úterý 29. listopadu 1927

Hätten alle deutschen Parteien zur Zeit des Umsturzes nur auf ihre Tasche geschaut, statt auf das Gesamtinteresse des deutschen Volkes, so wie es heute die Landbündler tun, so wäre es natürlich nicht zur Landesregierung gekommen, sondern gleich zur bedingungslosen Unterwerfung. Herr Švehla, der 6 Jahre lang èechische sozialistische Parteien narrte und heute zum Unterschied deutsche Bürgerparteien narrt, war - wie festgehalten werden muß - selbst kein Unterhändler der Èechen, sondern das war ein viel seriöserer Mann, Tusar gewesen, der aber auch damals sagen mußte, daß die Mentalität des èechischen Volkes zur Zeit für einen Ausgleich nicht geeignet war. Wo damals Herr Windirsch war, weiß ich nicht. Daß er aber für die Gnade, in Švehlas Sonnenschein spielen zu dürfen, etwas zu viel opfert, allzuviel riskiert, steht fest und daß seine Partei, wenn sie den Fußtritt Švehlas bekommen wird, mit dem schlechten Zeugnis Hiebe vom Vater Wähler erhalten wird, ist sicher. Nicht abwaschen können die um Windirsch herum aber auch das Kainszeichen der Kriegstreiberei. Das deutschagrarische Bekenntnis von damals: "Mit den serbischen Soldaten nehmen wir es immer noch lieber auf als mit den serbischen Schweinen!" ist nicht vergessen. Die agrarische Hochschutzzollpolitik im alten Österreich war eine der Hauptursachen der Volksbewegung in Serbien gegen Österreich, aus der schließlich der Anlaß zum Weltkrieg hervorging, über dessen Ausgang gestern der agrarische Redner das ihm von Švehla erlaubte Quantum Tränen vergossen hat.

Auch gestern - und damit will ich auf den anderen Teil dieser Rede eingehen - feierte der deutschagrarische Redner die hohen Landwirtschaftszölle, von denen er behauptete, daß sie nicht nur die Kaufkraft, das Einkommen der Landwirte erhöhten - warum also just jetzt die Klage der Landbündler über untragbare Soziallasten? - sondern denen er auch den Effekt andichtete, daß sie allen zugute gekommen wären. Diese Glanzleistung agrarischer Märchenerzählerei verdient schon einen kleinen Aufenthalt. Herr Windirsch hat gestern auf die nun wieder rauchenden Schlote hingewiesen und hat dieses Rauchen der Schlote als einen Erfolg der agrarischen Zollpolitik hinstellen wollen. Er hat allerdings vergessen, auf die Tatsache aufmerksam zu machen oder auch nur an sie zu denken, daß das Wiederrauchen der Schlote eine internationale Erscheinung ist und daß just die Èechoslovakei auch da bedeutend den anderen Staaten nachhinkt. Aber auch noch ein anderes ist darüber zu sagen. Herr Windirsch hätte gut getan, nicht so in Bausch und Bogen mit einer Redewendung über die agrarische Hochschutzzollpolitik hinwegzugehen, sondern ein wenig mit Ziffern aufzuwarten. Nachdem er es nicht getan hat, möchte ich es gerne nachholen. Er hätte z. B. auf die Tatsache hinweisen können, daß infolge der landwirtschaftlichen Hochschutzzölle bei uns der Brotpreis gestiegen ist vom 31. Oktober 1923 bis 31. Oktober 1927 - in der Zwischenzeit waren keine merklichen Schwankungen - also durch die Zölle gestiegen ist von 2.8 Kè pro kg auf 3.11 Kè. Es sind das Ziffern aus einer ganzen Reihe von Städten Nordwestböhmens, die mir zur Verfügung stehen. Der Preis des Mehles ist pro Kilogramm von 3.17 Kè auf 4.23 Kè, der Preis des Zuckers - bei dem sich die von den deutschen Regierungsparteien bekanntlich mitbeschlossene Erhöhung der Zuckersteuer auswirkt von 4.96 Kè auf 6.04 Kè, der Preis für geräucherten Speck von 15.74 Kè auf 18.40 Kè gestiegen, so daß wir eine Steigerung in Prozenten haben: Beim Speck um 16.80%. beim Zucker von 21.77%, beim Mehl 33.43%, beim Brot 49.51%, also nahezu um 50%. Die Meßziffer ist in der Zeit bis zum Oktober 1927 infolge der Zölle um 18.36% gestiegen. Das ist die Auswirkung dieser Zölle auf die breiten Massen der Konsumenten. Wie sie sich für die großen landwirtschaftlichen Besitzer ausgewirkt haben, das geht aus einigen anderen außerordentlich aufschlußreichen Ziffern hervor. Die Ernte - und hier ist unter Ernte inbegriffen: Weizen, Erbsen, Roggen, Kartoffeln, Gerste und Hafer - betrug im Jahre 1925 123 Millionen q, die damals einen Wert von 10.3 Milliarden repräsentierten. Die Ernte vom Jahre 1926 - also nach den Zöllen - hat wesentlich weniger, nämlich 95 Millionen q, also um 28 Millionen weniger, betragen. Aber ihr Wert ist festgestellt mit 12.1 Milliarden Kronen. (Posl. Pohl: Das ist das arbeitslose Einkommen!) Jawohl, gewiß! Zur selben Zeit ist aber, was auch hervorgehoben werden muß, der Weltmarktpreis um durchschnittlich 35 Punkte gesunken.

Nachdem Herr Windirsch aber sozusagen der Masse der arbeitenden Bevölkerung hier seine landwirtschaftlichen Hochschutzzölle als Schutzmittel vorgestellt hat und sozusagen den Dank der Arbeiterschaft dafür noch erwartet hat, ist es wohl zweckmäßig, noch mit einer anderen Statistik aufzuwarten, u. zw. mit einer Statistik des Internationalen Arbeitsamtes, aus deren Meßziffern Folgendes hervorgeht: Es hat der Reallohn, der Lohn auf Grund der Nahrungsmittelpreise allein bemessen, am 1. Juli 1924 betragen: In Amsterdam (nach Grundlage 100 in London) 89, in Berlin 55, in London 100, in Madrid 57, in Ottawa 172, in Paris 73, in Philadelphia 213 und in Prag 56. Dann kamen die Zölle. Und nun die Höhe des Reallohns nach Inkrafttreten der Lebensmittelpreisänderung durch die Zölle! Da sehen nun die Vergleichsziffern folgendermassen aus: Am 1. Jänner 1927: In Amsterdam 86, in Berlin 66 (also in Berlin von 55 des Jahres 1925 gestiegen auf 66, also um 11 Meßziffern), in London 99, in Madrid 55, in Ottawa 151, in Paris 57, in Philadelphia 173 und in Prag 49 (Hört! Hört!). Die Meßziffer ist also in der Zeit von 1925 auf 1927 von 56 auf 49 Punkte, also um 7 Meßziffern, gesunken. (Posl. Pohl: Das ist eine internationale Feststellung!) Das ist eine Feststellung, an der man natürlich nicht vorübergehen kann und die man nicht abtun kann mit vergeblichen Redensarten. Das ist die Feststellung, die besagt, daß Hunger und Elend und weitere Verelendung in der Èechoslovakischen Republik, daß Not und Sorge in den Wohnungen der Arbeiterschaft auf Grund der Politik der gegenwärtigen Mehrheit, auf Grund der Politik der deutschen Regierungsparteien eingezogen sind.

Herr Windirsch hat auch sonst noch gestern eine großzügige, wie die "Deutsche Landpost" schreibt, eine hochbedeutsame politische Rede vorgelesen. Er hat dabei auch ein bischen nach uns hinübergeschielt und hat gegen uns ins Treffen führen wollen Ausführungen des Genossen Dr. Renner, die dieser im niederösterreichischen Budgetausschuss getan hat. Genosse Dr. Renner hat im österreichischen Budgetausschuss gesagt: "Es zeigt sich schon, daß die beiden Republiken, die österreichische und die èechoslovakische, einander am nächsten stehen und in vielen Fragen eine Interessengemeinschaft besitzen, zumal es den Anschein hat - wie er halb wohlwollend, halb spöttisch auf die Seite herüber sagte - daß wenigstens allmählich die Deutschen in der Èechoslovakischen Republik zu einem Regime der Anteilnahme an der Staatsgewalt und vielleicht auch zu einem Regime der nationalen Autonomie gelangen können." Herr Windirsch hat daraus ein kolossales Lob für die deutschen Regierungsparteien herausgelesen, trotzdem diese doch seit einem Jahre überall erzählen, daß sie den Anteil an der Macht bereits haben, während Dr. Renner jetzt sagt, nach einem Jahre der Anteilnahme der deutschen Regierungsparteien an der Macht, daß einmal die Zeit kommen wird, die vielleicht nicht so weit entfernt ist, wo allmählich die Deutschen zu einem Anteil an der Staatsgewalt kommen können. Nachdem Herr Windirsch aber gesagt hat, Dr. Renner könne nicht anders zu dieser Auffassung gekommen sein, als auf Grund von Wahrnehmungen, die er anläßlich seines letzten Aufenthaltes in Prag vor den Gemeindewahlen gemacht hat, ist es wohl zweckmäßig darauf zu verweisen, was Genosse Dr. Renner just damals in Bezug auf die Politik derselben deutschen Regierungsparteien gesagt hat. Er hat darauf hingewiesen, daß wir nun in der Èechoslovakei statt der allnationalen eine allreaktionäre Koalition haben, daß ein deutscher Bürger in der Èechoslovakei, der von keinem anderen als nur vom nationalen Gesichtspunkte sich leiten ließe, nur die deutsche sozialdemokratische Partei wählen müßte. weil er da allein eine Wahrung der Rechte des deutschen Volkes in diesem Staate erwarten könnte, und er hat dann über die Politik der deutschen Aktivisten Folgendes erklärt - ich zitiere hier wörtlich: "Auch diese Behauptung ist in trauriger Weise bestätigt worden, als die deutschen Aktivisten die nationalen Interessen der Deutschen vollkommen im Stiche ließen. Sie haben an der Regierung teilgenommen, ohne ihre Bedingungen zu stellen, ohne ihre Sicherungen vorauszunehmen. Aber sie haben noch Schlimmeres getan und das wird ihnen die Geschichte nie verzeihen. Sie haben zugelassen, daß an Stelle einer nationalen Lokalverwaltung die Länderverwaltung tritt, die überall die Deutschen zur Ohnmacht verurteilt. Sie haben sogar zugelassen, daß das einzige Land mit deutscher Mehrheit in Mähren einverleibt wurde. In ihrem geschlossenen Wohngebiet ist eine Nation unsterblich. Tausend Jahre lang haben die Magyaren die Slovakei beherrscht, aber sie haben sie in tausend Jahren nicht entnationalisiert, weil sie das lokale Zusammenleben der Slovaken nicht durchbrechen konnten. Man kann eine Nation, die ihre eigene Lokalverwaltung hat, eine Zeit lang unter Fremdherrschaft halten, aber sie wird wieder frei. Deshalb ist es besonders wichtig, daß die Deutschen in diesem Lande die Lokalverwaltung in Bezirk und Kreis besitzen. An Stelle der Gaue wäre auf die alte Kreiseinteilung zurückzugehen gewesen."

Es ist also vom ersten bis zum letzten Worte klar und unzweideutig die Verurteilung der volksverräterischen Politik der deutschen Regierungsparteien. Wenn angesichts dieser Tatsachen Herr Windirsch just auf Dr. Renner sich beruft, so zeigt er entweder selbst ein geringes Gedächtnis oder setzt diesen Mangel des Gedächtnisses bei den breiten Massen in der deutschen Bevölkerung voraus. Es ist aber sehr viel aufgehoben von dem, was nicht nur einmal Dr. Renner, sondern auch was die deutschen Regierungsparteien gesagt haben, zur Zeit, als sie noch nicht in der Regierung waren, und davon möchte ich hier nur zwei Belege nochmals in Erinnerung bringen. Der eine ist die Erklärung, die am 5. September 1925 von den Landbündlern bei dem Rufe nach der Einheitsliste abgegeben worden ist und in der es heißt, daß dem geeinten Vernichtungswillen des Gegners die geeinigte Abwehrfront aller deutschen Parteien entgegengesetzt werden müßte. Da waren also ganz andere Töne angeschlagen, als sie der Herr Windirsch gestern in der Anbetung seines augenblicklichen Gottes Švehla angeschlagen hat. Der zweite ist die Erklärung, die vor den letzten Wahlen die deutsche parlamentarische Arbeitsgemeinschaft hinausgegeben hat und die ich hier nochmals kurz wiederhole, nachdem in dieser deutschen Arbeitsgemeinschaft die deutschen aktivistischen Parteien nicht nur dabei waren, sondern sie überhaupt bildeten. Da hat es geheißen: "Die Obmännerkonferenz der deutschen parlamentarischen Arbeitsgemeinschaft hat sich in ihrer ersten Sitzung nach den Osterferien an erster Stelle mit dem sensationellen Machwerk des deutschgeschriebenen Regierungsorgans "Prager Presse" beschäftigt, das von einem angeblich geplanten bedingungslosen Eintritt einzelner deutscher Parteien in eine Regierung der èechischen allnationalen Koalition nach den Wahlen zu berichten wußte. Es wurde zunächst festgestellt, daß die Informationen "aus deutschparlamentarischen Kreisen", auf die sich das genannte Blatt beruft, unter gar keinen Umständen aus den Reihen der deutschen Arbeitsgemeinschaft stammen können. Die Ziele der Arbeitsgemeinschaft sind der politischen Öffentlichkeit aller Lager hinlänglich bekannt". Nun heißt es weiter: "Allgemein weiss man, daß die Vertreter der Arbeitsgemeinschaft nie ein Hehl daraus gemacht haben, daß sie die Rechte, die das deutsche Volk in diesem Staate zu fordern hat, als unveräußerliches Gut immer und von jeder Regierung fordern werden. Mit dieser Politik stünde es im schroffsten und grundsätzlichsten Widerspruch, wenn Parteien der Arbeitsgemeinschaft den bedingungslosen Anschluss an eine Regierungsmehrheit von der Art der jetzigen überhaupt in Erwägung zögen. Derartige politische Naivitäten kann kein ernst zu nehmender Politiker der deutschen Arbeitsgemeinschaft zutrauen." Wenn man diese Erklärung, die allerdings für die Wähler berechnet war, für die Wähler, die mit nationalen Schlagworten eingefangen werden sollten, eine Politik zu unterstützen. wie sie im voraus damals beschlossen war, als Politik nur gegen die Interessen des deutschen Volkes, wenn man diese Erklärung mit dem vergleicht, was inzwischen geschehen ist, so muß man sagen: Es gehört eine eiserne Stirne dazu, angesichts der Wandlung in so unerhört kurzer Zeit sich hier an den Tisch zu stellen und noch eine Vertretung des deutschen Volkes, der deutschen Interessen, eine Vertretung der Gesamtinteressen des deutschen Volkes markieren zu wollen.

Es ist nun endlich auch in diesem Staate, in dem die nationalen Leidenschaften so raffiniert gezüchtet werden - und das ist in Bezug auf die weitere geschichtliche Entwicklung eine außerordentlich begrüßenswerte Tatsache - um derart die Klassengegensätze zu übertünchen, die Tünche abgewaschen worden. Der Kampf der Klassen ist in seiner ganzen Brutalität enthüllt. Die nationalen Tenöre, die wir bei Eröffnung dieses Hauses so laut haben singen hören, sind inzwischen heiser geworden, die nationalen Götzen sind eingeschmolzen und zu einem Gott umgegossen worden: In das goldene Kalb, in den Gott Nimm. Er war immer dieser Herren Gott, aber die Verhältnisse haben 8 Jahre lang seine Diener genötigt, ihn vor den Massen zu verleugnen und scheinbar jene Götter anzubeten, die bei den Wählern angesehener sind. Der 15. November 1925 wendete die Situation. Nun konnte man die Rücksichten fallen lassen. Man braucht keine Versöhnung der Völker. Die deutschen und èechischen Parteien des Kapitals haben sich allein großartig zusammengefunden, um die Völker, die sich noch nicht zusammengefunden haben, hübsch zu scheren. Wir deutschen Sozialdemokraten, die wir den Zerfall der allnationalen Koalition immer vorausgesagt haben, weil wir wußten, daß die Wahrheit der Klassengegensätze stärker ist als die Lüge der nationalen Klassenharmonie, wir sind nicht überrascht durch das, was gekommen ist. Hätten die deutschen Zöllner ihre Profitwut zähmen können, so hätte man viel für die nationale Befriedigung erreichen müssen. So aber, wie die Dinge sich entwickelten, muß man eben einen Umweg machen: Den Völkern wird dargetan, daß die Besitzklasse ihr Klasseninteresse über alles stellt und diese Erkenntnis wird eine Fackel für die Völker sein, aus der Nacht des Nationalismus herauszukommen und sich nun selbst zu finden.

Es ist von meinen Parteifreunden bereits so viel an Tatsachen aufgezeigt worden, welche Arbeit da die Völker vorfinden würden. Ich will nur noch über ein Kapitel einige Bemerkungen machen, über die Justiz. Zum Klassenstatt gehört die Klassenjustiz, zu dem mit dem Signum des nationalen Chauvinismus gezeichneten Klassenstaat die überdies auch noch nationalchauvinistisch exzedierende Klassenjustiz. In der Hauptversammlung der deutschen Richter, die im verflossenen Jahre in Eger tagte, wurde festgestellt, daß in dem verflossenen Jahr zwar überaus zahlreiche deutsche Richter in den Ruhestand versetzt oder verdrängt worden sind, daß aber demgegenüber trotz vielfachen Bewerbungen nur verschwindend wenig deutsche Anwärter in den richterlichen Vorbereitungsdienst aufgenommen wurden, so daß das Schicksal der deutschen Richter wohl bald besiegelt sein dürfte. "Dieser Zustand" - heißt es in der Entschließung weiter "greift aber nicht nur an den Lebensnerv des deutschen Richterstandes, sondern wäre auch ein vernichtender Schlag gegen das ganze deutsche Volk, das damit seine eigenen Richter verlöre. Wir fordern daher für unser Volk, daß auch deutsche Richteramtsanwärter Aufnahme nach dem Bevölkerungsschlüssel finden. Der deutsche Richterstand leidet schwer unter den Auswirkungen des Sprachengesetzes und der Sprachenverordnung, da besonders ihm dadurch eine mit seinem richterlichen Beruf in keinem Zusammenhang stehende ungeheure Mehrarbeit aufgebürdet worden ist und dadurch der ordentliche Geschäftsgang namentlich der Gerichte im deutschen Sprachgebiet schwer leidet." Das hebe ich noch einmal hervor, weil der Herr Justizminister gesagt hat, es sei falsch, daß man sich mit dem Gedanken trägt, eine Entlastung der Gerichte durch Einschränkung des mündlichen Verfahrens herbeizuführen, trotzdem das in dem Motivenbericht steht, den der Herr Finanzminister hinausgegeben hat. Tatsache ist, woran der Herr Minister Engliš denken müßte und woran man in der Justizverwaltung und überhaupt in der Regierung denken müßte, daß wirklich eine große Erschwerung der gerichtlichen Tätigkeit hauptsächlich durch die Sprachengesetze herbeigeführt wurde.

Die Versetzbarkeit der Richter ist nun wohl endlich außer Kraft gekommen, aber was nützt das, wenn man doch die Möglichkeit hat, nichtèechischen Richternachwuchs glatt zu unterbinden. An einigen Ziffern vom Obersten Gericht, die ich bereits im Budgetausschuß mitgeteilt habe, will ich das noch feststellen: Von den richterlichen Beamten beim Obersten Gericht sind 76.92% èechoslovakischer und nur 19.23% deutscher und 3.85% ungarischer Nationalität. Von den 7 - Konzeptsbeamten der Generalprokuratur sind - 85.71% èechischer und 14.29% deutscher Nationalität.

Wesentlich wichtiger aber ist etwas anderes. Die Franzosen und die Italiener in der Schweiz bilden dort eine viel kleinere Minderheit, als die Deutschen in der Èechoslovakei sie darstellen. Aber es kann sich überall in der Schweiz der französische und der italienische Staatsbürger in seiner Muttersprache sein Recht holen, wo immer in der Schweiz er auch genötigt sei, diesen Anspruch zu erheben. In der Hauptstadt des Nationalitätenstaates Èechoslovakische Republik, eines Staates, in dem die Deutschen mehr als ein Viertel der gesamten Bevölkerung ausmachen, ist der Deutsche, der sich die Kosten einer rechtsfreundlichen Vertretung nicht leisten kann, glatt rechtlos gemacht. Es ist gut und richtig, daß ein èechischer Staatsbürger in Eger sein Recht in èechischer Sprache finden kann, aber es ist eine Ungeheuerlichkeit, daß es einem Staatsbürger deutscher Nationalität unmöglich gemacht wird, in der Hauptstadt und in den anderen Gerichtsortne mit nichtqualifizierter deutscher Minderheit sein Recht zu begehren.

Die Justitia, die sich für Millionen von Staatsbürgern die Ohren verbindet, ist eine traurige Gestalt, es wäre besser, wenn ihre Augen lichtdichter wären, aber dann dürfte sie ja vor allem keine Klassenjustiz sein.

Die Richter selbst, soweit sie klare Menschen sind, anerkennen diese Tatsache, wenn sie auch - wie z. B. ein Redner am Egerer Richtertage - insoferne auf ein Nebengeleise kamen, als sie den "Modernen Staat", den "von Klassen- und Nationalitätenkampf beherrschten Parteistaat" als die Fehlerquelle ansahen. Ein anderer Redner auf dieser Tagung, der über die Erziehung zum Richter sprach, kam dem Problem schon sehr nahe, er kam zu dem ihm alle Ehre machenden Schlusse, daß das Studium der Rechtswissenschaften zu reformieren sei, da nach dem bisherigen Lehrplane die Kenntnis des Gesetzes alles, die Kenntnis des Menschen und seiner inneren Vorgänge nichts sei, so daß der absolvierte Jurist ohne psychologisches Wissen, ohne psychologische Schulung auf die Menschheit losgelassen werde. Wieviele Fehlurteile aber mögen gerade darin ihren Grund haben, daß die Richter dem wirklichen Leben fernstehen, praktisch abseits der großen Heerstraße gehen und niemals Gelegenheit bekamen, ihren Blick entsprechend zu schulen.

Es wäre aber noch etwas dazu zu sagen. Wir müssen wünschen, daß der Sohn armer Eltern, der Mensch aus dem Proletariat, die Bahn zum Richteramte freibekomme, der Mensch, der auf keine finanziellen Nachschübe von zu Hause rechnen kann, der aber dafür um so besser den Leidensweg des armen Volkes kennt, der ihn aus eigener Erfahrung kennt. Dazu aber wäre nötig, daß man nicht ohne solche Nachschübe von zu Hause als Richter und Richteramtsanwärter hungern müsse. Der Staat müßte die Menschen, die er mit dem verantwortungsvollsten aller Mandate, mit dem der Rechtsprechung, betraut, so bezahlen, wie das ihrem hohen Amte, ihrer großen Verantwortung ihren Mitmenschen gegenüber entspricht. Auch das Sparen am Richtergehalte schon ist in seinen Auswirkungen ein Stück Weg zur gewollten Klassenjustiz. (Posl. Blatná: So wird erbitterten Menschen das Schicksal aufgeprägt!) Ganz richtig, aber noch etwas, Koll. Blatny Es werden sehr viele Menschen, die die Fähigkeit und den Willen zum Richteramte hätten, von diesem Amte ferngehalten, weil ihnen bei dem heutigen Stand der Dinge die finanzielle Möglichkeit dazu fehlt.

Der Klassencharakter des Staates kommt aber auch im Strafrechte und im Strafvollzuge in furchtbarer Deutlichkeit zum Ausdruck. Forel hat einmal gesagt, daß die Zukunft des Strafrechtes in seiner Abschaffung, in der Entfernung eines jeden Rechtes zur Strafe liegen müsse, daß unser heutiges Strafrecht nur ein Überrest alter barbarischer Sitten sei und daß man anstelle des Strafrechtes viel eher ein Schutzrecht müßte treten lassen. Auch Rathenau hat einmal etwas ähnliches gesagt, indem er jede Strafe nur als eine Fortsetzung des Unrechtes erklärte. Natürlich wissen wir, daß wir heute ohne Strafrecht nicht auszukommen vermögen, aber wir wissen auch, daß man weniger Strafhäuser bauen müßte, wenn man mehr Krankenhäuser und mehr Irrenhäuser, mehr Korrektionsanstalten und Trinkerasyle, mehr Erziehungsanstalten für schwachsinnige Kinder bauen wollte. Wir haben heute vor 8 Tagen erlebt, daß in Leitmeritz ein junger Mensch, der ein Mörder geworden ist, zum Tode verurteilt wurde, und bei der Verhandlung hat man das Furchtbare erlebt, daß die Mutter dieses Menschen erklären mußte, sie habe jahrelang darum gebeten und gebettelt, daß ihr Kind, bei dem sie verbrecherische Neigungen wahrgenommen und auf dessen verbrecherische Tätigkeit im kleinen sie immer hingewiesen hat, in eine Erziehungsanstalt komme, daß es geschützt werde vor dem gänzlichen moralischen Zusammenbruch, der dann auch eingetreten ist. Man hat ihr aber immer gesagt, es ginge nicht, man hätte dazu keine Möglichkeit. Die Frau hat bei Gericht und bei verschiedenen Fürsorgestellen angegeben, daß dieses Kind zu Hause die Eltern bestohlen, in der Wohnung die Schränke aufgebrochen habe, daß also verbrecherische Neigungen evident seien. Da sagte man ihr, das genüge nicht, es müsse ärgeres geschehen. Dieser krankhaft veranlagte Mensch ist nun Mörder geworden, dank der Gesellschaft, die keinen Schutz dagegen hat, daß eine derartige Entwicklung eintritt, und nun hat man für ihn als Versorgung den Galgen, und wenn er begnadigt wird, 20 Jahre Zuchthaus. So sieht dieser Staat aus und seine Stellung als Rechts-Fürsorgeinstitution gegenüber dem Staatsbürger. (Pøedsednictvi pøevzal místopøedseda Zierhut.)

Je weniger ein Staat seine sozialen Verpflichtungen erfüllt, desto härter wird er in seinem Strafrechte sein, je weniger Fürsorgemenschen er in Dienst stellt, desto mehr Strafrichter und Gefängniswärter wird er brauchen. Die amtlichen Ziffern des Staates belegen dies in ganz unzweideutiger Weise. So kann ich den Mitteilungen des Statistischen Staatsamtes der Èechoslovakischen Republik dafür sehr interessantes Material entnehmen und es dürfte vielleicht genügen, hier nur einige Ziffern aus der Kriminalstatistik von Böhmen, Mähren und Schlesien anzuführen. Und nun hören Sie diese Ziffern, deren Sprache so beredt ist, daß sie mehr erzählen, als die langathmigste Abhandlung über Strafrecht und die Methoden der Strafverfolgung. Zwei Jahre seien hier einander gegenübergestellt, das Friedensjahr 1912 und das Nachkriegsjahr 1920. Im Jahre 1912 wurden bei den Bezirksgerichten im Oberlandesgerichtssprengel Prag 12.596 Personen wegen Übertretungen gegen die körperliche Sicherheit verurteilt und im Jahre 1920 war die Ziffer auf 7293 gesunken, trotz der Verrohung, die infolge des Krieges eingetreten sein soll. Dagegen ist die Zahl der wegen Diebstahls und Diebstahlsteilnehmung verurteilten Personen von 16.835 im Jahre 1912 auf 33.437 im Jahre 1920 gestiegen. Noch interessanter, noch viel lehrreicher wird diese Rubrik, wenn man Jahr um Jahr diese Ziffern vergleicht. Da finden wir, daß in den letzten drei Friedensjahren die Ziffern nahezu gleich bleiben, nur zwischen 16.835 und 17.230 schwanken. Im Jahre 1915 steigt die Zahl der Fälle um rund 1000 und ebenso im Jahre 1916. Dann setzt die große Not ein, der Mangel, die Teuerung, das riesenhaft wachsende Elend, und plötzlich schnellt nun die Ziffer der Verurteilungen wegen Diebstahls von 19.000 von mehr als 32.000 in einem Jahre empor.

Ebenso stieg die Zahl der Verurteilungen im selben Gerichtssprengel wegen verdächtigen Ankaufs und in derselben Zeit, also ganz klar sichtbar unter denselben Voraussetzungen, von 561 im Jahre 1912 auf 2080 im Jahre 1 920. Bei den Gerichtshöfen erster Instanz sind die Verurteilungen wegen Diebstahls von durchschnittlich 200 in den Friedensjahren auf mehr als 1000 in den Nachkriegsjahren gestiegen. Die Verurteilungen wegen verdächtigen Ankaufes haben sich in der Zeit verdreißigfacht. Die als Verbrechen qualifizierten Diebstähle sind im Oberlandesgerichtssprengel Prag in der angegebenen Zeit von 1.383 auf 13.927, also auf das zehnfache gestiegen. Wegen des Verbrechens des Betruges wurden in den Friedensjahren durchschnittlich 430 Personen verurteilt, im Jahre 1920 war diese Ziffer im Prager Sprengel auf 1071 angewachsen.

In diesen Ziffern drückt sich das unerhörte Anwachsen der sozialen Not aus, sie zeigen uns die soziale Not als Triebfeder zum Verbrechen. Wer solche Ziffern lesen und verstehen kann und außerdem auch sonst noch ein Mensch ist, der wird sich sagen müssen, daß in den meisten Fällen die Leute, die in das Gefängnis geworfen werden, Opfer sind, Opfer der kapitalistischen Wirtschaft, der Ausbeutung des Menschen durch den Menschen, daß die Hauptschuldigen an dem Anwachsen der Kriminalität die sind, die durch ihre nur auf die Befriedigung ihrer auf Wucherinteressen abzielende Politik tausende Menschen erst auf die Bahn des Verbrechens gezwungen haben.

Nun sind wir natürlich nicht so naiv zu glauben, daß im Klassenstaate restlos diese Ursache des Verbrechens beseitigt werden könnte. An einem aber müssen wir jedenfalls im Klassenstaate auch schon arbeiten, daran, daß wenigstens das Übel gemildert werde. Sie von der Mehrheit, die Sie die Zollpolitik gemacht haben, die Sie die Schaffung des Lebensunterhaltes maßlos erschweren, Sie die Sie mit einer schlechten Wirtschaftspolitik viele Zehntausende von Menschen zu dauernder Arbeitslosigkeit verurteilen und ihnen dann sogar die Unterstützung verweigern, Sie, die Sie Milliarden für den Militarismus hinauswerfen und das Geld an den Kriegskrüppeln und Kriegsweisen, an Krankenhäusern und Fürsorgestätten sparen, Sie füllen damit die Gefängnisse! Es gilt für Sie das harte Wort: Ihr laßt den Armen schuldig werden, dann überlaßt Ihr ihn der Pein.

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