Wir sind grundsätzlich gegen die Wiedereinrichtung
des Zustandes, wie er vor 1868 bestanden hat und der für
den Lehrer und die Schule einen Irrgarten von Kompetenzgewalten
darstellte. Aber wir wissen auch, daß die Wiederherstellung
nicht möglich ist, weil den Gemeinden und Bezirken wie den
Ländern das finanzielle Rückgrat gebrochen ist, als
daß sie Leistungen aufbringen könnten. So wird es zur
Zentralschulkompetenz kommen und darauf ist eswohl abgesehen.
Die Einladung an die Selbstverwaltungsverbände zur Entscheidungsgewalt
für den Fall der Übernahme eines Teiles der finanziellen
Verantwortung bei der Schule ist nicht anders als platonisch zu
werden, höchstens noch als Verhöhnung, die ihren äußersten
Grad dort erreicht, wo als Geldquelle den Selbstverwaltungskörpern
die Schulgeldeinhebung suggeriert werden soll.
Die Entwicklung bringt nur eines, und hierauf
ist es, wie ich schon bemerkte, abgesehen: die zentralisierte
Schulkompetenz. Herr Engliš soll wissen, daß
wir es wissen.
Wo sind die stolzen Freiheiten der Schulorgane
geblieben, wie dieselben durch das böhmische Landesgesetz
vom 24. Feber 1873, L.-G.-Bl. 16, betreffend den Schulaufwand,
und das böhmische Landesgesetz gleichen Datums, L.-G.-Bl.
17, betreffend die Schulverwaltung, gegeben waren. Für Mähren
und Schlesien bestanden ähnliche, meist gleichlautende Gesetze.
Aber schon das Gesetz vom 9. April 1920, Slg. 292, zertrümmerte,
mehr noch das Gemeindefinanzgesetz, durch das die Schulorgane
zu zwecklosen Körperschaften gemacht wurden, die gerade froh
sein werden, wenn sie noch irgendwo ein bescheidenes Plätzchen
ausfüllen dürfen. Von freier Selbstbestimmung innerhalb
dieser Körperschaften ist keine Rede mehr. So müssen
die Ortsschulratserfordernisse in den engen Rahmen der allgemeinen
Gemeindeerfordernisse eingezwängt werden und mehr als 200%
dürfen es bekanntlich nicht sein. Da wird die Schule zunächst
betroffen werden. Wir schauen nicht zu düster, wenn wir den
Abstieg bis 1860 prophezeien in rascherem Tempo als der Aufstieg
seit diesen Tagen gerade auf dem Gebiete des Schulwesens sich
auslebte.
Ein weiteres böses Wort des Herrn Ministers
Engliš ist das von dem Normalisierungsplan für
Mittelschulen. (Výkøiky na levici.) Dieser
Plan - wir müssen das rechtzeitig begreifen lernen - ist
die Übertragung der Restrinktion auf das Gebiet der Mittelschule.
Wer, wie wir, innerhalb der Restringierungsaktion gegen die deutschen
Volksschulen gestanden ist, weiß, was die Restrinktion der
Mittelschulen bringen kann. Wir weisen jetzt und später diese
Absichten zurück. Die Begründung das Ministers ist unhaltbar.
Meine bisherige Polemik beschäftigte sich
eigentlich wenig mit dem Inhalte des Staatsvoranschlages, vielmehr
war sie auf die Stellungnahme der Staatsführung zum Kulturproblem
der nächsten Jahre in rein finanzieller Beziehung gerichtet.
Wir sind freilich nun auch verpflichtet, den Staatsvoranschlag
unter den besonderen deutschen Scheinwerfer zu nehmen. In dieser
Beziehung gilt es zu prüfen, ob die für Kulturzwecke
seitens des Staates zur Verfügung gestellten Mittel eine
allen Nationen gleichmäßig dienende proportionale Verteilung
erfahren. In den früheren Jahren gipfelten unsere Klagen
gegen die Voranschläge gerade hierin, daß wir eine
Ungleichheit in der Durchführung des Schuletats im Verhältnisse
zu den einzelnen Nationen feststellten. Noch im Vorjahre mußten
wir laute Klage führen, als wir einen auch von deutschen
Ministern mitgefertigten Voranschlag vorgelegt erhielten, der
wie die Voranschläge der Jahre 1920 bis 1926 eine unendliche
Versündigung an dem Proporzgedanken ausdrückte. Die
Prüfung des heurigen Staatsvoranschlages wird gleichzeitig
ein Politikum sein als Urteilsmöglichkeit über den Wert
einer gemischtnationalen Regierung, in der auch Deutsche sitzen,
für das deutsche Volk. Wie steht es also diesmal mit der
Verteilung der Mittel? Wirkt die Methode der Austrocknung unserer
Anstalten weiter? Wie diese Methode notwendig zur Kritik herausforderte,
sei nur an dem Investitionsaufwande für das Jahr 1926 bewiesen,
in dem von einer Summe von 97.7 Millionen Kronen nur
2 8 Millionen auf die Deutschen entfielen.
Das Investieren liegt auch heuer wieder mehr bei den Èechen
als bei den Deutschen. Wir haben es lediglich zu einer Steigerung
um 1%, und zwar auf 4% auf uns aus dem Investitionsaufwande entfallende
Mittel gegenüber 96% für èechische Zwecke gebracht.
Im Vorjahr lag das Verhältnis wie ich schon anführte
3:97.
Ansonsten aber gibt es der Meinung des Herrn
Unterrichtsministers nach keine Benachteiligung der Deutschen
beim Schulkapitel. Ja, die Zahlen des Herrn Ministers, die offenbar
nicht nur für das lnland gelten, sind solche, daß eine
Bevorzugung des deutschen Elementes bei einzelnen Posten vorhanden
zu sein erscheint. Der Minister führte folgende Statistik
an: Unter 34 Handelsakademien gibt es 9 deutsche, d. s. 26.5%.
(Posl. Geyer: Wir haben nie ausbezahlt bekommen, was im Staatshaushalt
steht! In Wirklichkeit erhielten wir nie mehr als ein par Kreuzer!)
Ja das läßt eben die Statistik des Herrn Ministers
schon an und für sich illusorisch erscheinen. Aber ich komme
noch zu einer Begründung der Zweifelhaftigkeit dieser Statistik.
(Posl. Geyer: Weil die Selbstverwaltung diese Schulen gegründet
hat!)
Sie haben eben durch den Einwurf des Koll.
Geyer gehört, daß, wenn eine Überzahl an
deutschen Handelsakademien, Handels-, Fach- und Gewerbeschulen
besteht, das auf nichts anderes als auf die Initiative der deutschen
Selbstverwaltungskörper zurückzuführen ist. Unter
60 Handelsschulen sind 16 deutsche, d. s. 26.5%, unter
30 Gewerbeschulen 9 deutsche, d. s. 30%, unter 51 Fachschulen
25 deutsche, d. s. 49%, unter 47 Schulen für Hausindustrie
21 deutsche, d. s. 44%, unter 120 Familienschulen 34 deutsche,
d. s. 28%, während der Prozentsatz der Deutschen im Staate
23.3% beträgt. Ich zweifle an den Zahlen nicht.
Aber selbst wenn wir an den Zahlen des Herrn Ministers in jener
Proportion, wie er sie vornehmen wollte, nicht zweifeln wollten,
dann könnten wir doch zu ganz anderen Ergebnissen und zu
anderen Schlußfolgerungen kommen als die sind, die der Herr
Minister aus dieser Statistik ziehen will.
Aber man kann Statistiken so und so
machen. Wir setzen der Statistik des Herrn Ministers eine kleine
andere Statistik entgegen. Sie lautet: Von 1127 Industriebetrieben
des Staates, in denen über Hundert Arbeiter beschäftigt
sind, sind 746 deutsch, 189 utraquistisch und nur 192 èechisch.
Wenn durch dieses Zahlenverhältnis die industrielle und händlerische
Struktur des deutschen Volkes klarer als durch andere Dinge bewiesen
wird, haben wir zugleich auch eine Erklärung hiefür
gegeben, daß dieses industrielle deutsche Volk der Èechoslovakei
mehr Handels-, Fach- und Gewerbeschulen hat, als ihm etwa seiner
Zahl nach zukämen. Das deutsche Volk hat diese Schulen, weil
es dieselben als anerkannte Notwendigkeiten erhielt. Aber wir
stellen die Frage, ob es recht erscheint, daß von 34 landwirtschaftlichen
Staatsschulen nur 1 deutsch ist, wenn das Verhältnis der
èechischen zur deutschen Landwirtschaft dadurch illustriert
wird, daß von 9000 landwirtschaftlichen Genossenschaften
1800 als deutsche angesprochen werden dürfen.
Also Statistiken können verschieden gemacht
werden. Wir fürchten uns nicht vor ihnen. Stets haben wir
denselben begegnet, wenngleich unsere Mittel zu dieser Arbeit
beschränkter waren und sind. Den staatlichen Verwaltungsapparat,
der sehr viel in Statistiken arbeitet, können und konnten
wir gewiß nicht paralysieren. Versuchen aber mußten
wir es. So leisteten wir Arbeit zumindest für jenen Kreis,
den wir jeweils überblickten. Ich habe mich der Mühe
unterzogen, im Gablonzer Bezirke mich etwas umzutun. Die Ergebnise
meines Suchens sind zweifellos nicht uninteressant. Ich gebe diese
Ergebnisse in Zahlen wieder:
Bezirk Gablonz: A. Deutsche Schulen: a) Gerichtsbezirk
Gablonz: Volksschulklassen 56, Bürgerschulklassen 25; b)
Gerichtsbezirk Tannwald: Volksschulklassen 42, Bürgerschulklassen
15; zusammen 138 Klassen (98 Volksschulklassen, 40 Bürgerschulklassen).
B. Èechische Schulen: a) Gerichtsbezirk Gablonz: Volksschulklassen
22, Bürgerschulklassen 6; b) Gerichtsbezirk Tannwald: Volksschulklassen
24, Bürgerschulklassen 5; zusammen 57 Klassen
(46 Volksschulklassen, 11 Bürgerschulklassen).
Einwohnerzahl und Klassenzahl: Politischer Bezirk Gablonz: 70.684
Deutsche, d. s. 82 bis 83%, 13.760 Èechen, d. s. 16 bis
17%. Klassenzahl 138 für die Deutschen, d. s. 70%, 57 für
die Èechen, d. s. 30%.
Gegenüberstellung ergibt: Stand
1. Sept. 1927 82 bis 83% Deutsche, 70% Klassen; 16 bis 17% Èechen,
30% Klassen.
Heutiger Stand nach den Klassenparallelisierungen, bei denen die
Deutschen 11 Klassen gewannen: 149 deutsche Klassen, d. s. 73%
und 27% èechische Klassen.
Die Schülerzahlen sind im Gerichtsbez.
Gablonz: deutsche Volksschüler 2289, deutsche Bürgerschüler
1036; Gerichtsbezirk Tannwald: deutsche Volskschüler 1376,
deutsche Bürgerschüler 518; zusammen 5219 deutsche Schüler.
Gerichtsbezirk Gablonz: èechische Volksund Bürgerschüler
756; Gerichtsbezirk Tannwald: èechische Volksund Bürgerschüler
688; zusammen 1444 èechische Schüler.
Schülerzahl im gesamten Bezirke 6663; davon deutsche Schüler
78% in deutschen Schulen, èechische Schüler 22% in
èechischen Schulen.
Hier muß bemerkt werden, daß die èechischen
Schulen viele bezirksfremde Kinder und deutsche Kinder besuchen.
Z. B. besuchen die Schule in Pintschei viele Kinder aus den Nachbargemeinden
des Bezirkes Semil. Die Puletschneier Schule besuchen die Kinder
aus den èechischen Gemeinden des Bezirkes Turnau. Die èechische
Schule in Johannesberg besuchen deutsche Kinder aus Friedrichswald,
Grenzendorf u. s. w.
Wenn wir die Zahlen ressumieren, dann kommen
wir zu dem Ergebnis, daß sich im Gablonzer Bezirke 82
bis 83% Deutsche mit über 80% der Schüler, aber nur
73% der Klassen befinden, während 16 bis 17% èechische
Bezirksbevölkerung, die über 18 bis 19% der Schüler
verfügt, 27% der Klassen besitzt. 1 deutsche Klasse hat durchschnittlich
35 Kinder, 1 èechische Klasse durchschnittlich
25 Kinder.
Diese Beispiele können sovielmals vermehrt
werden als wir deutsche Bezirke haben. Das Beispiel eines Bezirkes
soll dem Teil des Ministerexposées entgegengestellt sein,
in dem die Schaffung des Minderheitsschulwesens für
die Èechen als Wiedergutmachung gilt. Wenn ein Teufel bestanden
hätte, so treibt man ihn mit Belzebub aus, wenn man es so
weiter gut macht, wies geschah.
Wir bringen bei dieser Feststellung den Wunsch
vor, die Wiedererrichtung der geschlossenen deutschen Schulklassen
schon vorzunehmen, auch wenn die für das heurige Schuljahr
geltende Schülerzahlbestimmung von 70 nicht ganz erfüllt
ist. Wir wollen als Höchstschülerzahl die Zahl 60. Machen
Sie uns aber unbedingt keine Schwierigkeiten bei der Gründung
von Privatschulen.
Was die Mittelschulen anbelangt, so nehmen wir schon heute entschieden
gegen die geplante Normalisierung Stellung. Das deutsche Hochschulwesen
ist im besonderen auszubauen. Es ist nicht recht, daß 10
èechischen Hochschulen nur 3 deutsche Hochschulen
gegenüber stehen. Dieses Zahlenverhältnis ist ebenso
verbesserungsbedürftig als die Korrektur des Vorgebrachten.
Erfüllen Sie endlich einmal die deutschen Hochschulwünsche,
die Forderung nach deutschen Spezialhochschulen betreffend! Unerledigt
ist unser Antrag geblieben nach Errichtung einer Handels- und
Wirtschaftshochschule als Abteilung der deutschen technischen
Hochschule, wie unsere Anträge unberücksichtigt blieben,
die wir einbrachten betreffend die Gründung einer montanistischen
Fakultät an der deutschen technischen Hochschule, betreffend
die Erlassung eines Gesetzes über die Schaffung einer deutschen
forstlichen Hochschule, betreffend die Errichtung einer tierärztlichen
Fakultät an der deutschen Universität, einer Hochschule
für bildende und angewandte Kunst, wie eine Hochschule für
Leibesübungen. Wir urgieren diese Wünsche.
Wir urgieren insbesondere heute und hoffen,
das zum letztenmal tun zu müssen, die endgültige Erledigung
des noch unerfüllten Wunsches der deutschen Bevölkerung
dieses Staates nach Errichtung ihrer Handels- und Wirtschaftshochschule.
In gleicher Weise bekunden wir unser tiefes Interesse für
die zu gründende Hochschule für Journalistik. Endlich
müssen auch die dringenden deutschen Hochschulbauten vorgenommen
werden. Hierüber sprach ich eingehend im Ausschusse und habe,
wie ich glaube, eine ziemlich lückenlose Liste unserer Wünsche
in dieser Beziehung dem Herrn Minister vorgetragen. Wenn der heurige
Schulvoranschlag diese Wünsche nicht zur Realisierung bringen
kann, so wünschen wir doch, daß jene Vorbereitungen
getroffen werden, die zumindestens in der nächsten Zeit diese
Wünsche auch der Befriedigung zuführen.
Beim Hochschulvoranschlag und den Teilen des
Schulvoranschlages, der mit der Hochschule oder ihrer Hörerschaft
zu tun hat, begegnen wir vielen Unebenheiten. Es ist nicht recht,
wenn Sie für Universitätsstipendien 0.5358
Millionen Kronen auswerfen und den deutschen Anteil nur 0.0738
Millionen sein lassen, wenn Sie an Stipendien für technische
Hochschulen 0.1791 Millionen Kronen präliminieren,
davon nur 0.0343 Millionen für deutsche Stipendiaten,
wenn Sie für sozialstudentische Arbeit 10.536
Millionen Kronen widmen und den deutschen Anteil daran äußerst
bescheiden gestalten. Im Vorjahre betrug er 0.250 Millionen.
Es ist nicht recht, daß gegenüber dem èechischen
Jarnikfond, der mit 1 Million Kronen dotiert ist, die Krombholzstiftung
ganze 0.010
Millionen Kronen erhält, wenn für Unterstützung
wissenschaftlicher, literarischer und künstlerischer Vereinigungen,
Zeitschriften usw. verausgabt werden 4.771 Millionen
Kronen, davon für deutsche Zwecke 0.4 Millionen
Kronen. Es ist nicht recht, wenn für Kulturverbindung mit
der Fremde 14 Millionen Kronen in den Schulvoranschlag eingesetzt
sind, der Verbindung, bzw. Pflege der Verbindung mit deutscher
Kultur aber nicht ein Gedanke gewidmet wird, wenn die staatliche
Fürsorge für das deutsche Musikwesen allzugering ist,
obgleich sich wenigstens hier ein Stoß gegeben wurde. Hier
wie bei der staatlichen Fürsorge für die Literatur -
ursprünglich 1.4 Millionen Kronen nur für
die èechische Literatur - korrigierte die Regierung sich
selbst. Aber es gibt noch andere Posten, die in gleicher Weise
die Sünde wider allen guten Geist und einen gänzlich
ungenügenden Willen zur tatsächlichen gerechten Verteilung
der Mittel des Staates an die einzelnen Nationen aufweisen, daß
wir zur Kritik herausgefordert werden.
Derselbe beweist sich im besonderen bei den
Kapiteln von der Schulaufsicht und Schulverwaltung. Wir finden
in den heurigen Schulvoranschlag 15,468.729 Kè für
die Zentralverwaltung eingestellt. Das ist ein Betrag, mit dem
ein Heer von Beamten erhalten wird. Die Zahl der
Deutschen in diesem Heere ist aber
nicht größer, als wir dieselbe mit den Fingern der
Hände demonstrieren können. Die Schulaufsicht macht
16,949.395 Kosten. Wie groß ist hier der deutsche Anteil?
Bewegt er sich im gerechten Proporz oder ist es nicht so, wie
wir so vielmals aufzeigten, wenn wir die Blätter auch des
Berichtes des Haushaltsausschusses zum Schulkapitel aufschlagen,
daß er hier desgleichen fehlt.
Und so kämpfen wir die Jahre herauf um
Recht und Gerechtigkeit. Eine kleine Korrektur macht es nicht
aus, daß wir zufrieden werden. Das ganze Recht muß
es sein.
Aber, meine Herren, selbst wenn es der Fall
wäre, daß sie uns in der gerechtesten Weise bedächten,
es könnte uns nicht freuen, insolange sie es tun. Es ist
unsere erstrangige Forderung, daß wir uns in unserer Kultur
selbst bestimmen dürfen. Heute werden wir von fremdnationalen
Beamten bedient und verwaltet. Es ist aber beides ethisch kulturell
unhaltbar: Von einer fremden Nation in kulturellen Dingen bedient
und verwaltet zu werden, oder als Beamter eine fremde Nation kulturell
zu bedienen und zu verwalten. Es ist also ein Weg zu finden, der
beides vermeidet.
Als ein Weg kommt in Frage eine nationale Sektionierung
des staatlichen Verwaltungsapparates für kulturelle Dinge.
Der andere Weg führt über die Rechtsdelegation der staatlichen
Verwaltungsrechte an nationalkulturelle Selbstverwaltungskörperschaften.
Dabei muß festgestellt sein. daß das Nachdenken über
die Erfüllung der ethischrechtlichen Forderung der Nationen
nach eigennationaler Kultur- und Schulpflege erst den Anfang des
Denkens im neuzeitlichen Nationalitätenproblem darstellt.
Aber es ist ein Anfang.
"Der Umstand, daß nur in wenigen
Staaten alle Staatsbürger zu ein und derselben Nation gehören
und daß die Staatsgrenzen nur in einigen Ausnahmefällen
genau mit den Sprachgrenzen übereinstimmen, hat das Minoritätenproblem
in den Vordergrund gestellt. Noch vor wenigen Jahren wurde dieses
Problem als Problem der Fremdvölker angesehen und
versucht, es in primitiver Weise auf machtpolitischem Wege durch
Unterdrückung oder relative Bevorzugung zu lösen. Die
stets wachsende Einsicht, daß jede Nationalität ein
natürliches Recht auf Schutz und Anerkennung seiner staatlichen
Bedeutung und auf feste Verankerung dieser Forderung besitzt,
hat die Minoritätenfrage im Laufe des letzten Jahrzehnts
von Jahr zu Jahr immer mehr vom rein machtpolitischen Boden auf
den rechtspolitischen übergeführt. Dadurch ist sowohl
im Völkerrecht als auch im Staatsrecht ein neues wichtiges
Gebiet geschaffen worden, an welchem wohl kein europäischer
Staat seine Mitarbeit versagen darf. Dieses Rechtsgebiet umfaßt
verschiedene Fragen des Minoritätenschutzes, darunter auch
die Frage der Sicherstellung des ungestörten kulturellen
Eigenlebens, welche zweifellos den Eckstein des Problems bildet."
So spricht der Motivenbericht des Gesetzes
über die esthländische Kulturselbstverwaltung der Minoritäten,
über dessen Grundsätze ich ja schon einigemale berichtete.
Esthland hat nach den anfänglichen Schwierigkeiten, die ihm
die Nationalitätenfrage staatspolitisch machte, durch dieses
Gesetz vom Jahre 1925 den Minderheiten bildenden Nationen, aber
auch sich selbst genützt. Es ist bewunderungswürdig,
mit welchem Ernste in diesem Gesetze weiter zugestanden wird,
daß es eine unleugbare Tatsache ist, daß kein Volk
die kulturellen Bedürfnisse eines anderen so gut erkennen
und befriedigen kann wie dieses selbst. Die esthländische
Kulturselbstverwaltung-Gesetzgebung ist der erste große
legislatorische Wurf eines Staates im Sinne der von der Genfer
Nationalitätenkonferenz 1925 und erneut vom Nationalitätenkongreß
1926 erhobenen programmatischen Forderungen der organisierten
nationalen Gruppen Europas.
Der Weg der esthländischen Schul- und
Kulturgesetzgebung ist nunmehr auch vom Kärntner Landtag
beschritten worden. Das Land Kärnten hat nach Wiederaufnahme
der Verwaltung jenes Landesteiles, welches durch Vertrag von St.
Germain vom 19. September 1919 dem jugoslawischen Staate zur einstweiligen
Besetzung und Verwaltung überlassen wurde und auf Grund des
Ergebnisses der Volksabstimmung vom 10. Oktober 1920 jedoch wieder
Österreich angegliedert worden ist, die Frage des national-kulturellen
Eigenlebens der in diesem Gebiete lebenden Slovenen mit gleichem
Ernste zu regeln versucht als Esthland sein Minderheitenproblem
durch seine Gesetzgebung regelte. Die Art dieser Regelung zeigt
der am 14. Juli 1927 im Kärntner Landtage eingebrachte Antrag
der Abgeordneten Neutzler, Kernmaier, Reinprecht, Angerer und
Genossen. betreffend die Erlassung eines Gesetzes über die
Selbstverwaltung der slovenischen Minderheit.
Die Slovenen werden in diesem Gesetze mit aller
Liebe als Söhne Kärntens behandelt, ihre sprachliche
und nationale Eigenart für alle Zeit zu wahren gesucht, sowie
ihrem geistigen und wirtschaftlichen Aufblühen dieselbe Sorge
zugewendet wird wie den deutschen Bewohnern des Landes. Leitsätze
des Kärntner Schulautonomiegesetzes sind: Daß die slovenische
Minderheit eine eigene öffentlich-rechtliche Körperschaft
zu bilden hat, die, mit Rücksicht auf die eigenartigen Siedlungsverhältnisse
in Kärnten personell organisiert, ihr Volkstum pflegen und
entwickeln kann. Die Freiheit des Bekenntnisses zur Minderheit
wird gewahrt, die Eintragung in das slovenische Volksbuch keiner
Bestreitung oder Überprüfung unterworfen und die Freiheit
des Bekenntnisses zur slovenischen Volksgemeinschaft durch Androhung
von Strafen gegen die Verletzung gesichert. Das Land soll für
das kulturelle Leben der Slovenen nicht nur die im Staatsvertrage
von St. Germain vorgesehenen Beträge. sondern darüber
hinaus den gesamten Personalaufwand für die notwendigen slovenischen
Volks schulen leisten.
Das ist in Esthland und Kärnten geschehen,
um dem vielleicht wichtigsten Teil des Minderheitenproblems an
den Leib zu rükken. Aber es wäre unrecht, bei der Verzeichnung
der esthländischen und kärntnerischen Kultur- und Schulverwaltungsgesetzgebung
des alten Österreich nicht Erwähnung zu tun. Das alte
Österreich besaß ein ausgeprägtes Denken im Sinne
neuzeitlicher Nationalitätenpolitik. Es dachte in diesem
Sinne schon zu einer Zeit, in der dieses Denken bei den anderen
sich nicht im entferntesten regte. Das war und ist schließlich
begreiflich bei der ethnographischen Struktur des alten Staates
als eines klassischen Nationalitätenstaates. Aber es ist
auch eine Tat des alten Österreich gewesen, aus der Tatsache
seiner ethnographischen Struktur die Konsequenzen zu ziehen. Eine
der äußersten Konsequenzen in dieser Richtung war seine
Schulgesetzgebung. Inbezug auf Schule und Kulturpflege der einzelnen
Nationen lagen in Österreich die Dinge so, wenn wir das nationale
Moment in den Vordergrund stellen.
Die Organisation der österreichischen
Schulverwaltung ist durch das Gesetz vom 25. Mai 1868, R. G. Bl.
Nr. 140, geschaffen worden, womit grundsätzlich die Errichtung
von Orts-, Bezirks- und Landesschulräten als Aufsichtsbehörden
angeordnet wurden. Die näheren Ausführungen waren der
Landesgesetzgebung überlassen worden, welche in dieser Hinsicht
Anfang der siebziger Jahre des vorigen Jahrhunderts erflossen
sind.
Durch dieses österreichische Gesetz wurde
durchwegs die nationale Autonomie zur Durchführung gebracht,
indem die Orts- und Bezirksschulräte selbst national getrennt
waren, demzufolge also jede nationale Schule nur durch eine gleich
nationale Behörde verwaltet, bzw. beaufsichtigt werden konnte.
Damit war - und das war in den siebziger Jahren des vorigen Jahrhunderts,
also fünfzig Jahre zurückliegend - der Anschauung, daß
die Volks- und Bürgerschule dem Volke gehört und daß
ihr eine freie Entwicklung mit Ausschluß jedes fremden Einflusses
gewahrt werden muß, zum Siege verholfen. Die letzte Vervollständigung
dieses legislatorischen Gedankens, der 1870 festgelegt wurde,
geschah dann 1890.
Geleitet von dem Bestreben, die Reibungsflächen zwischen
den beiden die Länder der böhmischen Krone bewohnenden
Völkern zu verringern, wurde in den denkwürdigen Ausgleichskonferenzen
vom 4. bis 18. Jänner 1890 der Landesschulrat in zwei Abteilungen
gegliedert, in Böhmen wie in Mähren. Jeder der beiden
in den Ländern wohnenden Volksstämme sollte auch das
letzte Entscheidungsrecht über sein Schulwesen haben. Ganze
Männer haben seinerzeit an dem Ausgleichswerke, das in der
Sitzung des böhmischen Landtages vom 16. Mai 1890 Annahme
fand, mitgewirkt: Plener, Hallwich, Schmeykal, Scharschmid, Schlesinger
von den Deutschen, Rieger, Mattuš, Zeithammer von den Èechen.
Es ist ein wertvolles Werk, das sie mit der nationalen Selbstverwaltung
auf dem Gebiete des Schulwesens schufen. Aus der konsequenten
Verfolgung des in ihm niedergelegten Gedankens sollte es zur Selbstverwaltung
der Völker in allen Zweigen des staatlichen Lebens kommen.
Auf dem Gebiete des Schulwesens setzte man also zunächst
eine Tat. Die Voraussetzungen waren in der schon erwähnten
tadellosen Schulgesetzgebung des alten Österreich gegeben.
Das. was 1890 geschah. war nichts anderes, als eine Durchführung
der Möglichkeiten, zur Selbstverwaltung zu kommen, die schon
durch das Reichsvolksschulgesetz vom 14. Mai 1869 an die weitere
Schulgesetzgebung verbürgt waren. Die wichtigsten Teile der
Schulverwaltung wie die Errichtung von Schulen, die Einstellung
der Lehrpersonen, die Aufbringung der erforderlichen Mittel usw.
waren durch das Reichsvolksschulgesetz den Landesbehörden
überlassen worden. Es war eine wahrhaft historische Tat,
die sich dama!s anließ und wir Deutsche waren an derselben
ehrlich beteiligt. Das war im Jahre 1925 in Esthland, 1927 in
Kärnten, das war vor 50 und 30 Jahren in Altösterreich.
Als die Èechoslovakei ihr Leben begann, konnte sie im Sinne
des alten Österreich weiter fahren. Sie hätte gut daran
getan. Auch für sie bestanden von Anfang an die Konsequenzen
eines Nationalitätenstaates. Vielleicht bestanden dieselben
für die Èechoslovakei in größerem Maße
als für das alte Österreich. Im neuen Staate fehlte
die Tradition. die dem alten Staate immerhin leichter das Übergehen
lebenswichtiger staatlicher Tatsachen ermöglichte.