Úterý 5. dubna 1927

Und jetzt endlich setzt sich die Regierung in Bewegung. Jetzt endlich, nach dem 28. März, erfahren die Glasarbeiter des Isergebirges, daß es auch eine Regierung gibt. Und wie setzt sich die Regierung in Bewegung? Sie hat das ganze Gablonz-Tannwalder Gebiet, das ganze Isergebirge mit Gendarmerie völlig überschwemmt. (Výkøiky komunistických poslancù.) Auf dem Marktplatz in Morchenstern allein sind gestern 84 Gendarmen gestanden. Eine ganze Reihe von Arbeitern, von Vertrauensmännern der Arbeiterschaft des Isergebirges wurde von der Gendarmerie verhaftet, auf bloße Mutmaßungen, auf bloßen Verdacht hin, daß sie an den Ausschreitungen irgendwie beteiligt gewesen wären. Bei den Verhaftungen ist die Gendarmerie mit einer Brutalität vorgegangen, die im alten Österreich ihres gleichen sucht. Es wurde ein Vertrauensmann verhaftet, und weil seine Frau dagegen protestierte, wurde sie, die sich im Zustand hoher Schwangerschaft befindet, von den Gendarmen mit den Gewehrkolben zurückgestoßen, so daß sie ohnmächtig wurde. (Výkøiky komunistických poslancù.) Die Regierung hat alle ihre Bestien heute im Isergebirge losgelassen. In Morchenstern wurden Frauen, die auf dem Markt einkaufen gehen wollten, von der Gendarmerie zurückgetrieben und schließlich und endlich wurde gestern im ganzen Gablonz-Tannwalder Bezirk der Ausnahmszustand verhängt und zwar mit der Androhung der Verhängung des Standrechtes in diesem Bezirk. Das ist die Förderung der Industrie des Isergebirges durch die Regierung. Gendarmen haben gestern das Arbeiterheim in Morchenstern, wo einige Arbeiter saßen, mit einer Brutalität sondergleichen geräumt, indem sie die Arbeiter einfach aus dem Arbeiterheim hinaustrieben, sogar der Obmann des Vereines "Arbeiterheim", der gewissermaßen in diesem Heim Hausbesitzer ist, wurde von den Gendarmen aus dem Hause hinausgeworfen.

Heute noch besteht im Isergebirge im Gablonz-Tannwalder Bezirke der Ausnahmszustand. Das ganze lsergebirge steht heute unter der Drohung der Verhängung des Standrechtes. Wir haben einen Antrag eingebracht, daß der Minister des Innern aufgefordert wird, im Hause zu erscheinen, um hier Rechenschaft über die Verhängung des Ausnahmezustandes im lsergebirge abzulegen. (Souhlas komunistických poslancù.) Wir sollten erwarten dürfen, daß der Herr Minister diese Aufforderung, vorausgesetzt, daß die Regierungsparteien ihr zustimmen, nicht erst abwartet, sondern selber in diesem Hause erscheint, um Rechenschaft über die unerhörte Brutalität der Regierung gegenüber der Arbeiterschaft des Isergebirges abzulegen. Wir haben hier seit längerer Zeit wieder zum ersten Male seit der Anteilnahme der deutschen Minister an dieser Regierung die Tatsache zu verzeichnen, daß über einen der wichtigsten Teile Deutschböhmens der Ausnahmszustand verhängt worden ist und wir fragen die deutschen Minister, ob sie dieser Maßnahme der Regierung ihre Zustimmung gegeben haben. Wir machen Sie mitverantwortlich für dieses ungeheuerliche Vorgehen der Regierung gegenüber die Bevölkerung des Isergebirges, für ein Vorgehen, das die Ereignisse durch das provokative Verhalten der Regierung, die alle Bitten und Forderungen der Glasindustrie des Isergebirges einfach ignorierte und unbeantwortet ließ, selbst direkt mitverschuldet hat. Wir sehen, daß bei dieser Gelegenheit sich glänzend das bewahrheitet hat, was ich vor einigen Tagen im Budgetausschuß über einige Äußerungen des Herrn Finanzministers sagte. Der Herr Finanzminister hat im Budgetausschuß vor einiger Zeit, das war nicht zum ersten Male, gegenüber verschiedenen Anträgen, die gestellt wurden, um die besitzenden Klassen, die Kapitalisten zu einer stärkeren Besteuerung heranzuziehen, die Äußerung getan: Wenn wir eine solche Politik verfolgen würden, dann würde diese Politik ein Schlag ins Wasser sein und dem Staate keinen Nutzen, sondern Schaden bringen, weil, wie der Herr Minister sagte, das Kapital sich dagegen zur Wehre setzen oder einfach ins Ausland abwandern würde, weil das Kapital dafür sorgen würde, daß der Kredit des Staates geschädigt wird, dadurch, daß die Kurse der Staatspapiere sinken und die Währung eventuell in Mitleidenschaft gezogen werden könnte. Der Herr Finanzminister fertigt alles - und das ist seine ständige Redensart, - was beantragt wird, um Maßnahmen gegen das Kapital durchzuführen, mit einem Einwand ab: Es ist unmöglich, gegen das Kapital vorzugehen. Für den Herrn Finanzminister gibt es keine Kapitalisten, gegen die man vorgehen könnte, die man packen und bestrafen könnte, wenn sie sich der Durchführung des Gesetzes widersetzen.

Für den Herrn Finanzminister existiert nur das unpersönliche Kapital, das man nicht packen und nicht zur Verantwortung ziehen kann, das wie eine überirrdische Macht da ist, wie eine geheimnisvolle Macht. Aber sonderbar, auf der anderen Seite existiert in der Phraseologie und Terminologie des Herrn Finanzministers absolut nicht das, was man die Arbeit nennt. Es gibt für den Herrn Minister keine überirdische unpersönliche Macht, die man Arbeit nennen könnte und es existiert keine Notwendigkeit, die Arbeit zu schützen. Er hat noch nicht gesagt, diese oder jene Maßnahme, die Erhöhung der Steuerbelastung der arbeitenden Klassen, ihre schärfere Ausbeutung, könne man nicht durchführen, weil sich die Arbeit dagegen zur Wehr setzen würde, weil die Arbeit das nicht dulden würde, sondern so wie die arbeitenden Klassen in Betracht kommen, dann sieht der Herr Minister und die ganze Regierung nichts anderes als eben die Arbeiter selbst und gegen die Arbeiter geht die Regierung zum Unterschied von der sanften Behandlung des Kapitals, recht energisch vor.

Sowie sich die Arbeiter zu Wehre setzen, nicht etwa weil ihr Profit herabgesetzt werden soll - was bei den Kapitalisten in Betracht kommt, ohne Gefährdung der materiellen Existenz derselben - aber wenn die Arbeiter sich zur Wehre setzen dagegen, daß ihr Hunger verschärft wird, daß ihre ganze menschliche Existenz aufs Spiel gesetzt wird, dann geht die Regierung gegen die Arbeiter - die Arbeit existiert für sie nicht mit der größten Brutalität vor, wie wir das jetzt gegenüber der Glasarbeiterschaft des Isergebirges erleben. An diesem einen Beispiel sehen wir, von welchen Tendenzen dieses heutige Regierungssystem beherrscht wird, an diesem Beispiel sehen wir, daß alle diese Mißstände und Übelstände in der Politik der Regierung auf deren Charakter als Regierung eines kapitalistischen, bürgerlichen Staates, als Regierung der besitzenden Klassen zurückzuführen ist. Wir erheben von dieser Stelle aus den schärfsten Protest gegen das brutale Vorgehen der Regierung gegenüber der Glasarbeiterschaft des Isergebirges, wir machen die Regierung verantwortlich für den Ruin der ganzen Glasindustrie des Isergebirges durch diese nur auf den Profit einzelner Kapitalisten berechnete Wirtschafts- und Finanzpolitik und wir fordern die arbeitenden Klassen auf, sich nicht nur gegen diese Politik der Regierung zur Wehre zu setzen, sondern auch zur Einsicht zu kommen, daß diese Politik solange nicht ihr Ende findet, solange es den arbeitenden Klassen nicht gelingt, das Regierungssystem dieses ganzen kapitalistischen Staates zu beseitigen. (Potlesk komunistických poslancù.)

2. Øeè posl. Simma (viz str. 580 tìsnopisecké zprávy):

Hohes Haus! Es war zu erwarten, und dieser Erwartung ist auch durch das Präsidium des Hauses entgegengekommen worden, daß der Bericht über den Rechnungsabschluß des Staates für das Jahr 1924 eine allgemeine Wirtschaftsdebatte auslösen wird. Der Gegenstand der Tagesordnung, über den Herr Dr Hnídek berichtet, ist nun einmal ein solcher, daß er reizt, die gesamten wirtschaftlichen Probleme des Staates aufzurollen. Wenn wir das heute tun, geschieht es freilich nicht zum erstenmale. Ich glaube, wir haben jede Gelegenheit dazu benützt, um gegenüber den verantwortlichen Faktoren der Handels- und Wirtschaftspolitik Mahner und Warner zu sein, gewiß auch Wegweiser. Wir bilden uns ein, selbst auch als oppositionelle Abgeordnete, dem Wirtschaftsleben, für das jeder Rechnungsabschluß des Staates ja nur ein in Zahlen gehaltener Niederschlag ist, manche fruchtbare Anregung gegeben zu haben. Freilich war manche unserer Stellungnahmen auch mit politischen Momenten verknüpft. Das ist nur natürlich, wenn man in einer Zeit lebt, die deutlicher als alles anderes aufzeigt, wie Handels- und Wirtschaftspolitik doch mit rein politischen Fragen verbunden bleibt. Ich will heute nicht einmal zu den allgemeinen Problemen des Staates in wirtschaftlicher Beziehung Stellung nehmen, ich will nur versuchen, an einem Einzelfalle der wirtschaftlichen Krise die Gesamtverhältnisse zu illustrieren, an einem Einzelfall wirtschaftlicher Krise, wie er sich aufzeigt in dem Darniederliegen eines Wirtschaftsgebietes, das einstmal zu einem der hervorragendsten Träger der gesamten Wirtschaft des Staates gehörte, des Gablonzer Wirtschaftsgebietes.

Die Krise in diesem Wirtschaftsgebiete ist zur offenen Katastrophe gediehen, deren Lösung des größten Interesses, der größten Tätigkeit, der verantwortlichen Faktoren zum Zwecke der Beilegung bedarf. Es ist allgemein bekannt, daß in dieser Hinsicht von den verantwortlichen Faktoren des Staates in der Vergangenheit nicht derart vorgegangen worden ist, als es notwendig gewesen wäre. Es wäre notwendig gewesen, daß die Krise im Gablonzer Bezirke, die in der letzten Woche zur offenen Katastrophe gediehen ist, für die Regierung ein Menetekel dargestellt hätte. Wir können aber nicht konstatieren, daß das der Fall gewesen ist, wenngleich sich eine einzelne Person, der Herr Handelsminister, gewiß bemüht hat, der Krise eine Lösung zuteil werden zu lassen. Die allgemeine Staatsführung aber blieb dieser Krise gegenüber vollständig desinteressiert, und das klagen wir heute an. Wir sind deshalb insbesondere veranlaßt, darüber zu klagen, weil in den letzten Tagen eine Methode, ein Lösungsversuch sich gefunden hat, den wir auf keinen Fall akzeptieren können, den wir mit der größten Schärfe zurückweisen müssen.

In der Nacht von Sonntag auf Montag vom 3. auf den 4. April, wurde von der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz folgende Kundmachung für das Gablonzer Wirtschaftsgebiet erlassen:

"In den letzten Tagen war ein Teil des hiesigen Bezirkes Schauplatz von beklagenswerten Ausschreitungen, wobei die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört, sowie auch die Sicherheit der Person und des Eigentums gefährdet wurde.

Infolge dieser Ereignisse finde ich mich bestimmt, für den ganzen Gerichtsbezirk Tannwald, sowie für die Gemeinden Wiesenthal a. N., Josefsthal und Unter-Maxdorf des Gerichtsbezirkes Gablonz a. N. im Grunde der §§ 22 und 35, Abschnitt A der Ministerialverordnung vom 19. Jänner 1853, R. G. Bl. Nr. 10, folgende außerordentliche Maßnahmen zu treffen:

1. Menschenansammlungen und Zusammenrottungen an öffentlichen Orten und Plätzen sind strengstens untersagt.

2. Nach 9 Uhr abends darf sich niemand auf der Straße aufhalten, die Haustore sind zu dieser Stunde zu schließen. Die Haushaltungsvorstände und Dienstgeber haben im Sinne des § 281 Str. G. Sorge zu tragen, daß niemand von den Hausgenossen nach 9 Uhr abends das Haus verlasse. Für Kinder und Jugendliche bis zu 16 Jahren ist auch während der Tagesstunden der Aufenthalt auf der Straße ohne zwingende Gründe unstatthaft.

3. Die Polizeisperrstunde für Gast- und Schankgewerbe wir mit 9 Uhr abends festgesetzt. Nach Ablauf dieser Stunde dürfen in den betreffenden Lokalitäten keine Gäste verweilen.

Gegen diejenigen, die diese Verbote außeracht lassen würden, insbesondere aber gegen Ausschreitungen jedweder Art und Weise wird mit allen Mitteln der öffentlichen Macht rücksichtslos eingeschritten werden. Begangene Übertretungen werden nach einschlägigen Vorschriften mit der größten Strenge geahndet (§§ 7 und 11 der Verordnung vom 20. April 1854, R. G. Bl. 96, bezw. der Gew. Ordg.).

Wer dem Beamten oder der Wache, wenn diese die Menge auseinandergehen heißen, nicht Folge leistet, macht sich des Vergehens des Auflaufes nach § 283 Str. G. schuldig.

Die Bevölkerung wird nachdrücklich aufgefordert, die Gesetze und Anordnungen der Behörden zu achten und unter allen Umständen Besonnenheit, Ruhe und Ordnung zu bewahren, da widrigenfalls schärfste Maßnahmen, eventuell auch die Verhängung des Standrechtes in Anwendung gebracht werden müßten.

Polit. Bezirksverwaltung in Gablonz a. N. am 3. April 1917. Für den Regierungsrat Putze m. p."

Es ist ein Stück Krieg im Frieden, das wir in einem Gebiete erleben, das, wie ich schon gesagt habe, bisher beispiellos gearbeitet hat, in einem Gebiet, das bisher einen integrierenden Teil der Gesamtwirtschaft des Staates dargestellt hat. An dieser Erscheinung, an der Verfügung von Ausnahmsordnungen im Gablonzer Wirtschaftsgebiet, können wir nicht achtlos vorübergehen. Es ist notwendig, daß wir in die eigentlichen Gründe und Ursachen dieses Ausnahmszustandes für ein Gebiet unseres Staates etwas mehr hineinleuchten, als das etwa diese Verfügung der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz a. N. tut, die lediglich als Begründung für die Verfügung mit wenigen Sätzen sagt: "In den letzten Tagen war ein Teil des hiesigen Bezirkes Schauplatz von beklagenswerten Ausschreitungen, wobei die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört sowie auch die Sicherheit der Person und des Eigenturns gefährdet wurden", die also nur etwas feststellt, was geschehen ist, vielleicht in einem größeren Ausmaße, als es tatsächlich geschehen ist, die aber keinesfalls bereit ist, auf die Ursachen und Gründe der Geschehnisse und Ereignisse etwas näher einzugehen. Da ist es notwendig, diesem Mangel des Verfahrens der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz a. N., die ja Geschäftsträger der Regierung in diesem Wirtschaftsgebiet ist, einigermaßen abzuhelfen und von dieser Stelle die Gründe und Ursachen, die Geschehnisse und Ereignisse im Gablonzer Bezirk, in diesem hervorragenden Wirtschaftsgebiet, etwas darzustellen. Die Frage ist nicht uninteressant und darf nicht uninteressant sein, für keinen von Ihnen. Woraus resultieren eigentlich die Ereignisse und Geschehnisse der letzten Tage im Gablonzer Bezirke? Meine einleitenden Worte deuteten schon auf das Entstehen dieser schweren Krisenverhältnisse hin. Das Gablonzer Industriegebiet ist seit 4 Jahren, seit dem Jahre 1922, der Schauplatz schwerster Existenzkämpfe, nicht nur einer Minderheit von Menschen, schwerer Existenzkämpfe von Menschen, die wenn man die Gesamtheit ihrer Familienmitglieder hinzuzählt, eine Zahl von Hunderttausend ausmachen. Der Existenzkampf, so könnte mir entgegnet werden, sei vielleicht auch anderswo, heutigen Tags vielleicht überall vorhanden, dieses Argument sei also nicht stichhältig. Ich darf aber hier und zwar im vollen Bewußtsein der Verantwortung meiner Worte behaupten, daß der Existenzkampf im Gablonzer Gebiet höheren Grades als ein solcher in jedem anderen Industriegebiet des Staates und in jedem anderen Industriezweig ist. Wir wissen und sind ja über die allgemeine Lage unterrichtet, wir wissen, daß die gesamte Wirtschaft des Staates seit Jahren litt und leidet, aber es ist für einzelne Teile der Gesamtwirtschaft in den letzten Jahren doch möglich gewesen, sich über die Krise wenigstens durch eine kleine Periode neuer möglicher Arbeit zu erholen, wenngleich wir wissen, daß kein Industriezweig selbst in dieser vielleicht ausnahmsweise vom übrigen Zustand abweichenden Zeit den Zustand des Normalen erreichen konnte. Es gab schon Industrie und Teile der Gesamtwirtschaft, die sich doch zumindest zeitlich aus der allgemein andauernden seit dem Umsturz währenden Krise erholten, besonders jene Industriezweige, die sich mit der Produktion lebenswichtigen Bedarfs beschäftigte, wie z. B. die Textilbranche und vielleicht auch andere. Die Gablonzer Industrie aber erlebt nach einer ausnahmsweisen Konjuktur, die ganz unnatürlich war, etwa in den Jahren 1919 und 1920, seit diesen Tagen eine ständige Krise und vermochte sich nicht mehr zu erholen aus dem Grunde nämlich, weil die allgemeinen weltwirtschaftlichen Krisenverhältnisse es dazu brachten, daß überall die Bedeckung des Bedarfes für die aus dieser Industrie hervorgehenden Waren - und es sind zumeist Luxuswaren - gestoppt wurde. Das ist wohl der Grund, daß keine Industrie so schwer unter den Nachkriegsverhältnissen zu leiden gehabt hat wie die Gablonzer. Ein weiterer Grund ist vielleicht, daß der Markt dieser Industrie die ganze Welt war. Es ist dies nicht zuviel gesagt. Es hat kein europäisches, kein außereuropäisches Land, keine Kolonie außerhalb Europas, die einem europäischen Staate zugehörte, gegeben, die nicht Markt für die Gablonzer Industrie gewesen wären und wenn nur in einem Teil der Welt, ob das nun der ferne Osten war oder der Westen, es zu irgendeiner Schwankung des wirtschaftlichen Gleichgewichtes kam, verspürte das für alle Fälle die Gablonzer Industrie: Weiterer Grund für die Krisenverhältnisse in diesem Industriegebiete ist, die Beschaffenheit der Gablonzer Industrie, die so feiner Gliederung, so feiner Konstruktion ist, daß sie eben mehr wie vielleicht eine robustere Industrie auf Schwankungen in der Weltwirtschaft reagiert. Ich habe schon öfter das Gablonzer Industriegebiet mit einem Seismographen, mit einem Erdbebenmesser verglichen, der alles mißt, was auf der Welt an Unruhe geschieht. Das sind die Gründe dafür, daß in den letzten Tagen in diesem Wirtschaftsgebiet im Gablonzer Umkreis es zu den Ausschreitungen kam, von denen die Kundmachung spricht als von beklagenswerten, von solchen, durch welche die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört und die Sicherheit der Person und des Eigentums gefährdet wurde.

Ich habe in kurzer Art und Weise die Gründe und Ursachen schweren Krisenerscheinungen dargestellt, die im Gablonzer Industriegebiete hunderttausend Menschen sozusagen in ihrer Lebensmöglichkeit außer Ordnung setzen. Es ist selbstverständlich, daß zwischen den Ursachen, die ich hier aufgezeigt habe und die mehr weltwirtschaftlicher Art sind, noch eine Menge von anderen Ursachen liegen, die zur Steigerung der Krise beitrugen. Die Gründe, von denen ich desgleichen in ausführlicher Weise sprechen müßte, sind mehr innerstaatlicher Natur. Sie liegen in dem Versäumnis der verantwortlichen Handels- und Wirtschaftspolitik etwa in der Richtung des notwendigen Abschlusses von Handelsverträgen. Wir dürfen nicht sagen, daß in der Vergangenheit in jenem Tempo in dieser Richtung vorgegangen worden wäre, wie das zweckdienlich gewesen wäre. Wir stellen auch diesen Mangel staatswirtschaftlicher und handelspolitischer Art fest, weil er eben mit zur Krise geführt hat. Ein dritter Krisengrund für die Gablonzer Industrie lag darin, daß innerhalb dieser Industrie in den letzten Jahren zu schweren und bedeutsamen Umstellungen im Produktionsprozesse kam. Es hat sich in den letzten beiden Jahren der Umstellungsprozeß von der Handarbeit zur Maschinenarbeit in einem Tempo vollgezogen, das nicht im gleichen Aus maß verarbeitet verden konnte. Es haben sich aber auch gewisse Veränderungen ergeben, die in gleicher Weise auf die ganze Stellung der Gablonzer Industrie schweren Einfluß nahmen. Das alles nun ist der Grund hiefür, daß sich in diesem Gebiete Tausende Menschen außer jeder Möglichkeit zu arbeiten gesetzt sahen, und damit zu verdienen, was sie zur Erhaltung ihres Lebens notwendig haben. Denn aus der Arbeit allein resultiert die Möglichkeit des Gelderwerbes, mit dem dann das Leben des einzelnen Menschen wie der Familie überhaupt bestritten werden kann. Das hat nun zu Verhältnissen geführt, die wir so sehr beklagen und von denen wir wünschten, daß sie dem allgemeinsten Interesse der verantwortlichen Faktoren des Staates begegneten. Nur die ohne Verantwortung lebenden Menschen können behaupten, daß die Verhältnisse für die betroffenen Menschen noch erträglich seien. Ich sage dies nicht umsonst, ich weiß, daß das Handelsministerium oftmals Informationen erhält über die Krisenzustände im Gablonzer Wirtschaftsgebiet, welche abschwächen wollen und zwar aus ganz begreiflichen Gründen. Der Herr Handelsminister ist im Hause anwesend und ich ersuche ihn, sich nicht etwa nur einseitig informieren zu lassen, sondern auch die Informationen, die aus den Kreisen der in schwerster Bedrängnis gekommenen Menschen stammen, zu werten, jener Menschen, die oftmals unter Verhältnissen leben, die an die Verhältnisse heranreichen - ich sprach davon schon einmal in den letzten Tagen in einer öffentlichen Versammlung - welche die Tausende und Abertausende bei dem gleichen Prozeß der Umstellung von der Handarbeit zur Maschinenarbeit im Weberlande über sich ergehen lassen mußten.

Wir haben heute Arbeitsverhältnisse, die, wenn ich sie Ihnen vortragen wollte, von Ihnen nicht geglaubt würden, die aber doch existieren und von denen ich wünschte, daß sie von den verantwortlichen leitenden Faktoren so zur Kenntnis genommen würden, wie es notwendig wäre, am besten durch Besuch der Gebiete. Wir haben Heimarbeiter, die nicht der Wohltat ausgesetzt sind, in 8stündiger Tagesarbeit das zu verdienen, was notwendig ist, um das Leben zu erhalten. Wir haben Heimarbeiter, die mit der Familie in Arbeitsverhältnissen leben, die geradezu einzig dastehen, die einen Tiefstand der Existenzmöglichkeit für den Menschen bedeuten. Die Fälle sind nicht selten im Gablonzer Wirtschaftsgebiet, in denen der Heimarbeiter 16 Stunden in Tage arbeitet. Durch seine Frau wird er vielleicht noch durch eine 8stündige Arbeitszeit unterstützt. Eine weitere Unterstützung erhält er durch 2 Kinder, die den Vater zusammen 8 Stunden in der Arbeit unterstützen. Die Heimarbeiterfamilie arbeitet mit 32 Arbeitsstunden täglich oder auf die Woche umgelegt 192 Arbeitsstunden und diese Familie verdient zusammen gerade das, was nötig ist, um sich am Leben zu erhalten. An diesen Dingen kann man nicht achtlos vorübergehen, diese Dinge müssen gesagt werden, insbesondere zu dem Zwecke, die verantwortlichen Leiter des Handelsministeriums zu bestimmen, diese Zustände einmal an Ort und Stelle zu studieren. Jedenfalls aber müßten diese Zustände ein Menetekel sein. Die Schilderung müßte eine weitere Verstärkung dadurch erfahren, wie durch die Einführung des Arbeitsprozesses auf Herstellung minderwertiger Ware Tausende von bisher in der Produktion stehenden qualifizierten Arbeitern überhaupt aus jedem Arbeitsprozesse ausgeschaltet wurden. Insbesondere die Glasschleifer. Sie wurden dadurch, daß sich die Produktion gewisse nicht akzeptable Methoden zulegte, vollständig aus dem Arbeitsprozeß ausgeschaltet. Das sind die Ursachen hiefür, daß die Arbeiterschaft dieses Gebietes - es sind ihrer Tausende gewesen - aber auch alle jene, deren wirtschaftliches Rückgrat das Einkommen der arbeitenden Menschen ausmacht, sich am 21. März 1927 veranlaßt sahen, in einer gewaltigen Kundgebung in Gablonz a./N. auf ihre Lebensverhältnisse die verantwortlichen Faktoren des Staates aufmerksam zu machen, insbesondere zu dem Zwecke, um Hilfsmaßnahmen für sich herbeizuführen. Diese Kundgebung, sie liegt wenige Wochen zurück, verlief obwohl an ihr 45.000 Menschen teilnnahmen, und zwar Arbeiter und Gewerbetreibende, in vollster Ruhe und Ordnung, ein Beweis dafür, daß den Arbeitern nur daran lag, auf ihre Notlage aufmerksam zu machen, keinesfalls aber irgendwie den Anlaß zu benützen, um Ausschreitungen und Exzesse zu verüben, die auch wir bedauern und nicht gutheißen. Es hätte gerade diese Kundgebung der Anlaß sein müssen, dem Problem der Gablonzer Industrie mit aller Sorgfalt an den Leib zu rücken und zwar sofort. Es ist nicht geschehen und vielleicht war das der Grund, daß sich 8 Tage später, am 27. März 1927 im Tannwalder Gebiet Demonstrationen wiederholten, die dann in Morchenstern zu einigen Ausschreitungen führten, bei welchen Ausschreitungen allerdings niemand an seinem Leben zu Schaden gekommen ist und die Arbeiter lediglich jene minderwertige Ware in einzelnen Betrieben auf die Strasse warfen, deren Erzeugung den Qualitätsarbeiter aus dem Arbeitsprozeß ausgeschaltet hatte. Aber diese Ausschreitungen wären kein genügender Grund zu jenen Ausnahmsverfügungen gewesen, welche die politische Bezirksverwaltung in der Nacht von Sonntag den 3. auf Montag den 4. April für den Tannwalder Gerichtbezirk und einzelne Gemeinden des Gablonzer Bezirkes erließ. Es hätte das Versäumnis korrigiert werden müssen, daß man zu dem Problem der Gablonzer Industrie nicht Stellung genommen hat. Aber statt dessen hat es die politische Bezirksverwaltung in Gablonz a./N. - und sie kommt zunächst als Informatorin der Regierung in Betracht, - für gut gefunden, über die genannten Gebiete den Ausnahmszustand zu verhängen, der mit den schwersten Beengungen der Freiheit jedes einzelnen Menschen und mit schwerer wirtschaftlicher Beeinflussung verbunden ist. Jedenfalls muß ich hier nochmals sagen, daß mit dieser Verfügung der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz a./N. das Problem nicht gelöst ist und wenn man für diese Frage keine andere Antwort hat, dann können wir von einer ernsten Bemühung, das Problem zu lösen, nicht sprechen. Ich weiß, daß sich mit dieser Meinung nicht alle identifizieren werden. Ich sage, in aller Offenheit, daß der Herr Handelsminister das Problem mit Interesse verfolgt, aber es muß auch beim Herrn Handelsminister die nötige Tatkraft ausgelöst werden. Es muß der Herr Handelsminister im besonderen tätig sein, um die passive Resistenz gewisser Faktoren im Gablonzer Wirtschaftsgebiet zu brechen, die eine Lösung der Krise, und zwar eine allen zuträgliche Lösung der Krise unterbinden oder zeitlich wenigstens verhindern möchten. Diesen Faktoren müßte der Herr Handelsminister mit der nötigen Energie entgegentreten.

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