Und jetzt endlich setzt sich die Regierung
in Bewegung. Jetzt endlich, nach dem 28. März, erfahren die
Glasarbeiter des Isergebirges, daß es auch eine Regierung
gibt. Und wie setzt sich die Regierung in Bewegung? Sie hat das
ganze Gablonz-Tannwalder Gebiet, das ganze Isergebirge mit Gendarmerie
völlig überschwemmt. (Výkøiky
komunistických poslancù.) Auf
dem Marktplatz in Morchenstern allein sind gestern 84 Gendarmen
gestanden. Eine ganze Reihe von Arbeitern, von Vertrauensmännern
der Arbeiterschaft des Isergebirges wurde von der Gendarmerie
verhaftet, auf bloße Mutmaßungen, auf bloßen
Verdacht hin, daß sie an den Ausschreitungen irgendwie beteiligt
gewesen wären. Bei den Verhaftungen ist die Gendarmerie mit
einer Brutalität vorgegangen, die im alten Österreich
ihres gleichen sucht. Es wurde ein Vertrauensmann verhaftet, und
weil seine Frau dagegen protestierte, wurde sie, die sich im Zustand
hoher Schwangerschaft befindet, von den Gendarmen mit den Gewehrkolben
zurückgestoßen, so daß sie ohnmächtig wurde.
(Výkøiky komunistických poslancù.)
Die Regierung hat alle ihre Bestien heute
im Isergebirge losgelassen. In Morchenstern wurden Frauen, die
auf dem Markt einkaufen gehen wollten, von der Gendarmerie zurückgetrieben
und schließlich und endlich wurde gestern im ganzen Gablonz-Tannwalder
Bezirk der Ausnahmszustand verhängt und zwar mit der Androhung
der Verhängung des Standrechtes in diesem Bezirk. Das ist
die Förderung der Industrie des Isergebirges durch die Regierung.
Gendarmen haben gestern das Arbeiterheim in Morchenstern, wo einige
Arbeiter saßen, mit einer Brutalität sondergleichen
geräumt, indem sie die Arbeiter einfach aus dem Arbeiterheim
hinaustrieben, sogar der Obmann des Vereines "Arbeiterheim",
der gewissermaßen in diesem Heim Hausbesitzer ist, wurde
von den Gendarmen aus dem Hause hinausgeworfen.
Heute noch besteht im Isergebirge im Gablonz-Tannwalder
Bezirke der Ausnahmszustand. Das ganze lsergebirge steht heute
unter der Drohung der Verhängung des Standrechtes. Wir haben
einen Antrag eingebracht, daß der Minister des Innern aufgefordert
wird, im Hause zu erscheinen, um hier Rechenschaft über die
Verhängung des Ausnahmezustandes im lsergebirge abzulegen.
(Souhlas komunistických poslancù.)
Wir sollten erwarten dürfen, daß
der Herr Minister diese Aufforderung, vorausgesetzt, daß
die Regierungsparteien ihr zustimmen, nicht erst abwartet, sondern
selber in diesem Hause erscheint, um Rechenschaft über die
unerhörte Brutalität der Regierung gegenüber der
Arbeiterschaft des Isergebirges abzulegen. Wir haben hier seit
längerer Zeit wieder zum ersten Male seit der Anteilnahme
der deutschen Minister an dieser Regierung die Tatsache zu verzeichnen,
daß über einen der wichtigsten Teile Deutschböhmens
der Ausnahmszustand verhängt worden ist und wir fragen die
deutschen Minister, ob sie dieser Maßnahme der Regierung
ihre Zustimmung gegeben haben. Wir machen Sie mitverantwortlich
für dieses ungeheuerliche Vorgehen der Regierung gegenüber
die Bevölkerung des Isergebirges, für ein Vorgehen,
das die Ereignisse durch das provokative Verhalten der Regierung,
die alle Bitten und Forderungen der Glasindustrie des Isergebirges
einfach ignorierte und unbeantwortet ließ, selbst direkt
mitverschuldet hat. Wir sehen, daß bei dieser Gelegenheit
sich glänzend das bewahrheitet hat, was ich vor einigen Tagen
im Budgetausschuß über einige Äußerungen
des Herrn Finanzministers sagte. Der Herr Finanzminister hat im
Budgetausschuß vor einiger Zeit, das war nicht zum ersten
Male, gegenüber verschiedenen Anträgen, die gestellt
wurden, um die besitzenden Klassen, die Kapitalisten zu einer
stärkeren Besteuerung heranzuziehen, die Äußerung
getan: Wenn wir eine solche Politik verfolgen würden, dann
würde diese Politik ein Schlag ins Wasser sein und dem Staate
keinen Nutzen, sondern Schaden bringen, weil, wie der Herr Minister
sagte, das Kapital sich dagegen zur Wehre setzen oder einfach
ins Ausland abwandern würde, weil das Kapital dafür
sorgen würde, daß der Kredit des Staates geschädigt
wird, dadurch, daß die Kurse der Staatspapiere sinken und
die Währung eventuell in Mitleidenschaft gezogen werden könnte.
Der Herr Finanzminister fertigt alles - und das ist seine ständige
Redensart, - was beantragt wird, um Maßnahmen gegen das
Kapital durchzuführen, mit einem Einwand ab: Es ist unmöglich,
gegen das Kapital vorzugehen. Für den Herrn Finanzminister
gibt es keine Kapitalisten, gegen die man vorgehen könnte,
die man packen und bestrafen könnte, wenn sie sich der Durchführung
des Gesetzes widersetzen.
Für den Herrn Finanzminister existiert
nur das unpersönliche Kapital, das man nicht packen und nicht
zur Verantwortung ziehen kann, das wie eine überirrdische
Macht da ist, wie eine geheimnisvolle Macht. Aber sonderbar, auf
der anderen Seite existiert in der Phraseologie und Terminologie
des Herrn Finanzministers absolut nicht das, was man die Arbeit
nennt. Es gibt für den Herrn Minister keine überirdische
unpersönliche Macht, die man Arbeit nennen könnte und
es existiert keine Notwendigkeit, die Arbeit zu schützen.
Er hat noch nicht gesagt, diese oder jene Maßnahme, die
Erhöhung der Steuerbelastung der arbeitenden Klassen, ihre
schärfere Ausbeutung, könne man nicht durchführen,
weil sich die Arbeit dagegen zur Wehr setzen würde, weil
die Arbeit das nicht dulden würde, sondern so wie die arbeitenden
Klassen in Betracht kommen, dann sieht der Herr Minister und die
ganze Regierung nichts anderes als eben die Arbeiter selbst und
gegen die Arbeiter geht die Regierung zum Unterschied von der
sanften Behandlung des Kapitals, recht energisch vor.
Sowie sich die Arbeiter zu Wehre setzen, nicht
etwa weil ihr Profit herabgesetzt werden soll - was bei den Kapitalisten
in Betracht kommt, ohne Gefährdung der materiellen Existenz
derselben - aber wenn die Arbeiter sich zur Wehre setzen dagegen,
daß ihr Hunger verschärft wird, daß ihre ganze
menschliche Existenz aufs Spiel gesetzt wird, dann geht die Regierung
gegen die Arbeiter - die Arbeit existiert für sie nicht mit
der größten Brutalität vor, wie wir das jetzt
gegenüber der Glasarbeiterschaft des Isergebirges erleben.
An diesem einen Beispiel sehen wir, von welchen Tendenzen dieses
heutige Regierungssystem beherrscht wird, an diesem Beispiel sehen
wir, daß alle diese Mißstände und Übelstände
in der Politik der Regierung auf deren Charakter als Regierung
eines kapitalistischen, bürgerlichen Staates, als Regierung
der besitzenden Klassen zurückzuführen ist. Wir erheben
von dieser Stelle aus den schärfsten Protest gegen das brutale
Vorgehen der Regierung gegenüber der Glasarbeiterschaft des
Isergebirges, wir machen die Regierung verantwortlich für
den Ruin der ganzen Glasindustrie des Isergebirges durch diese
nur auf den Profit einzelner Kapitalisten berechnete Wirtschafts-
und Finanzpolitik und wir fordern die arbeitenden Klassen auf,
sich nicht nur gegen diese Politik der Regierung zur Wehre zu
setzen, sondern auch zur Einsicht zu kommen, daß diese Politik
solange nicht ihr Ende findet, solange es den arbeitenden Klassen
nicht gelingt, das Regierungssystem dieses ganzen kapitalistischen
Staates zu beseitigen. (Potlesk komunistických
poslancù.)
Hohes Haus! Es war zu erwarten, und dieser
Erwartung ist auch durch das Präsidium des Hauses entgegengekommen
worden, daß der Bericht über den Rechnungsabschluß
des Staates für das Jahr 1924 eine allgemeine Wirtschaftsdebatte
auslösen wird. Der Gegenstand der Tagesordnung, über
den Herr Dr Hnídek berichtet, ist nun einmal ein
solcher, daß er reizt, die gesamten wirtschaftlichen Probleme
des Staates aufzurollen. Wenn wir das heute tun, geschieht es
freilich nicht zum erstenmale. Ich glaube, wir haben jede Gelegenheit
dazu benützt, um gegenüber den verantwortlichen Faktoren
der Handels- und Wirtschaftspolitik Mahner und Warner zu sein,
gewiß auch Wegweiser. Wir bilden uns ein, selbst auch als
oppositionelle Abgeordnete, dem Wirtschaftsleben, für das
jeder Rechnungsabschluß des Staates ja nur ein in Zahlen
gehaltener Niederschlag ist, manche fruchtbare Anregung gegeben
zu haben. Freilich war manche unserer Stellungnahmen auch mit
politischen Momenten verknüpft. Das ist nur natürlich,
wenn man in einer Zeit lebt, die deutlicher als alles anderes
aufzeigt, wie Handels- und Wirtschaftspolitik doch mit rein politischen
Fragen verbunden bleibt. Ich will heute nicht einmal zu den allgemeinen
Problemen des Staates in wirtschaftlicher Beziehung Stellung nehmen,
ich will nur versuchen, an einem Einzelfalle der wirtschaftlichen
Krise die Gesamtverhältnisse zu illustrieren, an einem Einzelfall
wirtschaftlicher Krise, wie er sich aufzeigt in dem Darniederliegen
eines Wirtschaftsgebietes, das einstmal zu einem der hervorragendsten
Träger der gesamten Wirtschaft des Staates gehörte,
des Gablonzer Wirtschaftsgebietes.
Die Krise in diesem Wirtschaftsgebiete ist
zur offenen Katastrophe gediehen, deren Lösung des größten
Interesses, der größten Tätigkeit, der verantwortlichen
Faktoren zum Zwecke der Beilegung bedarf. Es ist allgemein bekannt,
daß in dieser Hinsicht von den verantwortlichen Faktoren
des Staates in der Vergangenheit nicht derart vorgegangen worden
ist, als es notwendig gewesen wäre. Es wäre notwendig
gewesen, daß die Krise im Gablonzer Bezirke, die in der
letzten Woche zur offenen Katastrophe gediehen ist, für die
Regierung ein Menetekel dargestellt hätte. Wir können
aber nicht konstatieren, daß das der Fall gewesen ist, wenngleich
sich eine einzelne Person, der Herr Handelsminister, gewiß
bemüht hat, der Krise eine Lösung zuteil werden zu lassen.
Die allgemeine Staatsführung aber blieb dieser Krise gegenüber
vollständig desinteressiert, und das klagen wir heute an.
Wir sind deshalb insbesondere veranlaßt, darüber zu
klagen, weil in den letzten Tagen eine Methode, ein Lösungsversuch
sich gefunden hat, den wir auf keinen Fall akzeptieren können,
den wir mit der größten Schärfe zurückweisen
müssen.
In der Nacht von Sonntag auf Montag vom 3.
auf den 4. April, wurde von der politischen Bezirksverwaltung
in Gablonz folgende Kundmachung für das Gablonzer Wirtschaftsgebiet
erlassen:
"In den letzten Tagen war ein Teil des
hiesigen Bezirkes Schauplatz von beklagenswerten Ausschreitungen,
wobei die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört, sowie
auch die Sicherheit der Person und des Eigentums gefährdet
wurde.
Infolge dieser Ereignisse finde ich mich bestimmt,
für den ganzen Gerichtsbezirk Tannwald, sowie für die
Gemeinden Wiesenthal a. N., Josefsthal und Unter-Maxdorf des Gerichtsbezirkes
Gablonz a. N. im Grunde der §§ 22 und 35, Abschnitt
A der Ministerialverordnung vom 19. Jänner 1853, R. G. Bl.
Nr. 10, folgende außerordentliche Maßnahmen zu treffen:
1. Menschenansammlungen und Zusammenrottungen
an öffentlichen Orten und Plätzen sind strengstens untersagt.
2. Nach 9 Uhr abends darf sich niemand auf
der Straße aufhalten, die Haustore sind zu dieser Stunde
zu schließen. Die Haushaltungsvorstände und Dienstgeber
haben im Sinne des § 281 Str. G. Sorge zu tragen, daß
niemand von den Hausgenossen nach 9 Uhr abends das Haus verlasse.
Für Kinder und Jugendliche bis zu 16 Jahren ist auch während
der Tagesstunden der Aufenthalt auf der Straße ohne zwingende
Gründe unstatthaft.
3. Die Polizeisperrstunde für Gast- und
Schankgewerbe wir mit 9 Uhr abends festgesetzt. Nach Ablauf dieser
Stunde dürfen in den betreffenden Lokalitäten keine
Gäste verweilen.
Gegen diejenigen, die diese Verbote außeracht
lassen würden, insbesondere aber gegen Ausschreitungen jedweder
Art und Weise wird mit allen Mitteln der öffentlichen Macht
rücksichtslos eingeschritten werden. Begangene Übertretungen
werden nach einschlägigen Vorschriften mit der größten
Strenge geahndet (§§ 7 und 11 der Verordnung vom 20.
April 1854, R. G. Bl. 96, bezw. der Gew. Ordg.).
Wer dem Beamten oder der Wache, wenn diese
die Menge auseinandergehen heißen, nicht Folge leistet,
macht sich des Vergehens des Auflaufes nach § 283 Str. G.
schuldig.
Die Bevölkerung wird nachdrücklich
aufgefordert, die Gesetze und Anordnungen der Behörden zu
achten und unter allen Umständen Besonnenheit, Ruhe und Ordnung
zu bewahren, da widrigenfalls schärfste Maßnahmen,
eventuell auch die Verhängung des Standrechtes in Anwendung
gebracht werden müßten.
Polit. Bezirksverwaltung in Gablonz a. N. am
3. April 1917. Für den Regierungsrat Putze m. p."
Es ist ein Stück Krieg im Frieden, das
wir in einem Gebiete erleben, das, wie ich schon gesagt habe,
bisher beispiellos gearbeitet hat, in einem Gebiet, das bisher
einen integrierenden Teil der Gesamtwirtschaft des Staates dargestellt
hat. An dieser Erscheinung, an der Verfügung von Ausnahmsordnungen
im Gablonzer Wirtschaftsgebiet, können wir nicht achtlos
vorübergehen. Es ist notwendig, daß wir in die eigentlichen
Gründe und Ursachen dieses Ausnahmszustandes für ein
Gebiet unseres Staates etwas mehr hineinleuchten, als das etwa
diese Verfügung der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz
a. N. tut, die lediglich als Begründung für die Verfügung
mit wenigen Sätzen sagt: "In den letzten Tagen war ein
Teil des hiesigen Bezirkes Schauplatz von beklagenswerten Ausschreitungen,
wobei die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört sowie
auch die Sicherheit der Person und des Eigenturns gefährdet
wurden", die also nur etwas feststellt, was geschehen ist,
vielleicht in einem größeren Ausmaße, als es
tatsächlich geschehen ist, die aber keinesfalls bereit ist,
auf die Ursachen und Gründe der Geschehnisse und Ereignisse
etwas näher einzugehen. Da ist es notwendig, diesem Mangel
des Verfahrens der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz a.
N., die ja Geschäftsträger der Regierung in diesem Wirtschaftsgebiet
ist, einigermaßen abzuhelfen und von dieser Stelle die Gründe
und Ursachen, die Geschehnisse und Ereignisse im Gablonzer Bezirk,
in diesem hervorragenden Wirtschaftsgebiet, etwas darzustellen.
Die Frage ist nicht uninteressant und darf nicht uninteressant
sein, für keinen von Ihnen. Woraus resultieren eigentlich
die Ereignisse und Geschehnisse der letzten Tage im Gablonzer
Bezirke? Meine einleitenden Worte deuteten schon auf das Entstehen
dieser schweren Krisenverhältnisse hin. Das Gablonzer Industriegebiet
ist seit 4 Jahren, seit dem Jahre 1922, der Schauplatz schwerster
Existenzkämpfe, nicht nur einer Minderheit von Menschen,
schwerer Existenzkämpfe von Menschen, die wenn man die Gesamtheit
ihrer Familienmitglieder hinzuzählt, eine Zahl von Hunderttausend
ausmachen. Der Existenzkampf, so könnte mir entgegnet werden,
sei vielleicht auch anderswo, heutigen Tags vielleicht überall
vorhanden, dieses Argument sei also nicht stichhältig. Ich
darf aber hier und zwar im vollen Bewußtsein der Verantwortung
meiner Worte behaupten, daß der Existenzkampf im Gablonzer
Gebiet höheren Grades als ein solcher in jedem anderen Industriegebiet
des Staates und in jedem anderen Industriezweig ist. Wir wissen
und sind ja über die allgemeine Lage unterrichtet, wir wissen,
daß die gesamte Wirtschaft des Staates seit Jahren litt
und leidet, aber es ist für einzelne Teile der Gesamtwirtschaft
in den letzten Jahren doch möglich gewesen, sich über
die Krise wenigstens durch eine kleine Periode neuer möglicher
Arbeit zu erholen, wenngleich wir wissen, daß kein Industriezweig
selbst in dieser vielleicht ausnahmsweise vom übrigen Zustand
abweichenden Zeit den Zustand des Normalen erreichen konnte. Es
gab schon Industrie und Teile der Gesamtwirtschaft, die sich doch
zumindest zeitlich aus der allgemein andauernden seit dem Umsturz
währenden Krise erholten, besonders jene Industriezweige,
die sich mit der Produktion lebenswichtigen Bedarfs beschäftigte,
wie z. B. die Textilbranche und vielleicht auch andere. Die Gablonzer
Industrie aber erlebt nach einer ausnahmsweisen Konjuktur, die
ganz unnatürlich war, etwa in den Jahren 1919 und 1920, seit
diesen Tagen eine ständige Krise und vermochte sich nicht
mehr zu erholen aus dem Grunde nämlich, weil die allgemeinen
weltwirtschaftlichen Krisenverhältnisse es dazu brachten,
daß überall die Bedeckung des Bedarfes für die
aus dieser Industrie hervorgehenden Waren - und es sind zumeist
Luxuswaren - gestoppt wurde. Das ist wohl der Grund, daß
keine Industrie so schwer unter den Nachkriegsverhältnissen
zu leiden gehabt hat wie die Gablonzer. Ein weiterer Grund ist
vielleicht, daß der Markt dieser Industrie die ganze Welt
war. Es ist dies nicht zuviel gesagt. Es hat kein europäisches,
kein außereuropäisches Land, keine Kolonie außerhalb
Europas, die einem europäischen Staate zugehörte, gegeben,
die nicht Markt für die Gablonzer Industrie gewesen wären
und wenn nur in einem Teil der Welt, ob das nun der ferne Osten
war oder der Westen, es zu irgendeiner Schwankung des wirtschaftlichen
Gleichgewichtes kam, verspürte das für alle Fälle
die Gablonzer Industrie: Weiterer Grund für die Krisenverhältnisse
in diesem Industriegebiete ist, die Beschaffenheit der Gablonzer
Industrie, die so feiner Gliederung, so feiner Konstruktion ist,
daß sie eben mehr wie vielleicht eine robustere Industrie
auf Schwankungen in der Weltwirtschaft reagiert. Ich habe schon
öfter das Gablonzer Industriegebiet mit einem Seismographen,
mit einem Erdbebenmesser verglichen, der alles mißt, was
auf der Welt an Unruhe geschieht. Das sind die Gründe dafür,
daß in den letzten Tagen in diesem Wirtschaftsgebiet im
Gablonzer Umkreis es zu den Ausschreitungen kam, von denen die
Kundmachung spricht als von beklagenswerten, von solchen, durch
welche die öffentliche Ruhe und Ordnung gestört und
die Sicherheit der Person und des Eigentums gefährdet wurde.
Ich habe in kurzer Art und Weise die Gründe
und Ursachen schweren Krisenerscheinungen dargestellt, die im
Gablonzer Industriegebiete hunderttausend Menschen sozusagen in
ihrer Lebensmöglichkeit außer Ordnung setzen. Es ist
selbstverständlich, daß zwischen den Ursachen, die
ich hier aufgezeigt habe und die mehr weltwirtschaftlicher Art
sind, noch eine Menge von anderen Ursachen liegen, die zur Steigerung
der Krise beitrugen. Die Gründe, von denen ich desgleichen
in ausführlicher Weise sprechen müßte, sind mehr
innerstaatlicher Natur. Sie liegen in dem Versäumnis der
verantwortlichen Handels- und Wirtschaftspolitik etwa in der Richtung
des notwendigen Abschlusses von Handelsverträgen. Wir dürfen
nicht sagen, daß in der Vergangenheit in jenem Tempo in
dieser Richtung vorgegangen worden wäre, wie das zweckdienlich
gewesen wäre. Wir stellen auch diesen Mangel staatswirtschaftlicher
und handelspolitischer Art fest, weil er eben mit zur Krise geführt
hat. Ein dritter Krisengrund für die Gablonzer Industrie
lag darin, daß innerhalb dieser Industrie in den letzten
Jahren zu schweren und bedeutsamen Umstellungen im Produktionsprozesse
kam. Es hat sich in den letzten beiden Jahren der Umstellungsprozeß
von der Handarbeit zur Maschinenarbeit in einem Tempo vollgezogen,
das nicht im gleichen Aus maß verarbeitet verden konnte.
Es haben sich aber auch gewisse Veränderungen ergeben, die
in gleicher Weise auf die ganze Stellung der Gablonzer Industrie
schweren Einfluß nahmen. Das alles nun ist der Grund hiefür,
daß sich in diesem Gebiete Tausende Menschen außer
jeder Möglichkeit zu arbeiten gesetzt sahen, und damit zu
verdienen, was sie zur Erhaltung ihres Lebens notwendig haben.
Denn aus der Arbeit allein resultiert die Möglichkeit des
Gelderwerbes, mit dem dann das Leben des einzelnen Menschen wie
der Familie überhaupt bestritten werden kann. Das hat nun
zu Verhältnissen geführt, die wir so sehr beklagen und
von denen wir wünschten, daß sie dem allgemeinsten
Interesse der verantwortlichen Faktoren des Staates begegneten.
Nur die ohne Verantwortung lebenden Menschen können behaupten,
daß die Verhältnisse für die betroffenen Menschen
noch erträglich seien. Ich sage dies nicht umsonst, ich weiß,
daß das Handelsministerium oftmals Informationen erhält
über die Krisenzustände im Gablonzer Wirtschaftsgebiet,
welche abschwächen wollen und zwar aus ganz begreiflichen
Gründen. Der Herr Handelsminister ist im Hause anwesend und
ich ersuche ihn, sich nicht etwa nur einseitig informieren zu
lassen, sondern auch die Informationen, die aus den Kreisen der
in schwerster Bedrängnis gekommenen Menschen stammen, zu
werten, jener Menschen, die oftmals unter Verhältnissen leben,
die an die Verhältnisse heranreichen - ich sprach davon schon
einmal in den letzten Tagen in einer öffentlichen Versammlung
- welche die Tausende und Abertausende bei dem gleichen Prozeß
der Umstellung von der Handarbeit zur Maschinenarbeit im Weberlande
über sich ergehen lassen mußten.
Wir haben heute Arbeitsverhältnisse, die,
wenn ich sie Ihnen vortragen wollte, von Ihnen nicht geglaubt
würden, die aber doch existieren und von denen ich wünschte,
daß sie von den verantwortlichen leitenden Faktoren so zur
Kenntnis genommen würden, wie es notwendig wäre, am
besten durch Besuch der Gebiete. Wir haben Heimarbeiter, die nicht
der Wohltat ausgesetzt sind, in 8stündiger Tagesarbeit das
zu verdienen, was notwendig ist, um das Leben zu erhalten. Wir
haben Heimarbeiter, die mit der Familie in Arbeitsverhältnissen
leben, die geradezu einzig dastehen, die einen Tiefstand der Existenzmöglichkeit
für den Menschen bedeuten. Die Fälle sind nicht selten
im Gablonzer Wirtschaftsgebiet, in denen der Heimarbeiter 16 Stunden
in Tage arbeitet. Durch seine Frau wird er vielleicht noch durch
eine 8stündige Arbeitszeit unterstützt. Eine weitere
Unterstützung erhält er durch 2 Kinder, die den Vater
zusammen 8 Stunden in der Arbeit unterstützen. Die Heimarbeiterfamilie
arbeitet mit 32 Arbeitsstunden täglich oder auf die Woche
umgelegt 192 Arbeitsstunden und diese Familie verdient zusammen
gerade das, was nötig ist, um sich am Leben zu erhalten.
An diesen Dingen kann man nicht achtlos vorübergehen, diese
Dinge müssen gesagt werden, insbesondere zu dem Zwecke, die
verantwortlichen Leiter des Handelsministeriums zu bestimmen,
diese Zustände einmal an Ort und Stelle zu studieren. Jedenfalls
aber müßten diese Zustände ein Menetekel sein.
Die Schilderung müßte eine weitere Verstärkung
dadurch erfahren, wie durch die Einführung des Arbeitsprozesses
auf Herstellung minderwertiger Ware Tausende von bisher in der
Produktion stehenden qualifizierten Arbeitern überhaupt aus
jedem Arbeitsprozesse ausgeschaltet wurden. Insbesondere die Glasschleifer.
Sie wurden dadurch, daß sich die Produktion gewisse nicht
akzeptable Methoden zulegte, vollständig aus dem Arbeitsprozeß
ausgeschaltet. Das sind die Ursachen hiefür, daß die
Arbeiterschaft dieses Gebietes - es sind ihrer Tausende gewesen
- aber auch alle jene, deren wirtschaftliches Rückgrat das
Einkommen der arbeitenden Menschen ausmacht, sich am 21. März
1927 veranlaßt sahen, in einer gewaltigen Kundgebung in
Gablonz a./N. auf ihre Lebensverhältnisse die verantwortlichen
Faktoren des Staates aufmerksam zu machen, insbesondere zu dem
Zwecke, um Hilfsmaßnahmen für sich herbeizuführen.
Diese Kundgebung, sie liegt wenige Wochen zurück, verlief
obwohl an ihr 45.000 Menschen teilnnahmen, und zwar Arbeiter und
Gewerbetreibende, in vollster Ruhe und Ordnung, ein Beweis dafür,
daß den Arbeitern nur daran lag, auf ihre Notlage aufmerksam
zu machen, keinesfalls aber irgendwie den Anlaß zu benützen,
um Ausschreitungen und Exzesse zu verüben, die auch wir bedauern
und nicht gutheißen. Es hätte gerade diese Kundgebung
der Anlaß sein müssen, dem Problem der Gablonzer Industrie
mit aller Sorgfalt an den Leib zu rücken und zwar sofort.
Es ist nicht geschehen und vielleicht war das der Grund, daß
sich 8 Tage später, am 27. März 1927 im Tannwalder Gebiet
Demonstrationen wiederholten, die dann in Morchenstern zu einigen
Ausschreitungen führten, bei welchen Ausschreitungen allerdings
niemand an seinem Leben zu Schaden gekommen ist und die Arbeiter
lediglich jene minderwertige Ware in einzelnen Betrieben auf die
Strasse warfen, deren Erzeugung den Qualitätsarbeiter aus
dem Arbeitsprozeß ausgeschaltet hatte. Aber diese Ausschreitungen
wären kein genügender Grund zu jenen Ausnahmsverfügungen
gewesen, welche die politische Bezirksverwaltung in der Nacht
von Sonntag den 3. auf Montag den 4. April für den Tannwalder
Gerichtbezirk und einzelne Gemeinden des Gablonzer Bezirkes erließ.
Es hätte das Versäumnis korrigiert werden müssen,
daß man zu dem Problem der Gablonzer Industrie nicht Stellung
genommen hat. Aber statt dessen hat es die politische Bezirksverwaltung
in Gablonz a./N. - und sie kommt zunächst als Informatorin
der Regierung in Betracht, - für gut gefunden, über
die genannten Gebiete den Ausnahmszustand zu verhängen, der
mit den schwersten Beengungen der Freiheit jedes einzelnen Menschen
und mit schwerer wirtschaftlicher Beeinflussung verbunden ist.
Jedenfalls muß ich hier nochmals sagen, daß mit dieser
Verfügung der politischen Bezirksverwaltung in Gablonz a./N.
das Problem nicht gelöst ist und wenn man für diese
Frage keine andere Antwort hat, dann können wir von einer
ernsten Bemühung, das Problem zu lösen, nicht sprechen.
Ich weiß, daß sich mit dieser Meinung nicht alle identifizieren
werden. Ich sage, in aller Offenheit, daß der Herr Handelsminister
das Problem mit Interesse verfolgt, aber es muß auch beim
Herrn Handelsminister die nötige Tatkraft ausgelöst
werden. Es muß der Herr Handelsminister im besonderen tätig
sein, um die passive Resistenz gewisser Faktoren im Gablonzer
Wirtschaftsgebiet zu brechen, die eine Lösung der Krise,
und zwar eine allen zuträgliche Lösung der Krise unterbinden
oder zeitlich wenigstens verhindern möchten. Diesen Faktoren
müßte der Herr Handelsminister mit der nötigen
Energie entgegentreten.