Das Vereins- und Versammlungsrecht, das schon
längst eine dringende Neugestaltung erfordert, wird ärger
als im alten Österreich gehandhabt. Vor allem werden die
sozialistischen Vereine von den Behörden schikaniert, ihre
Versammlungen überwacht und unter den nichtigsten Gründen
verboten und aufgelöst. Die Anwendung des berüchtigten
Prügelpatentes wird hier zur Methode. Einige Leiter von politischen
Bezirksverwaltungen schlagen unter Duldung der höheren Behörden
auf diesem Gebiete wahre Rekorde. Ein besonderes Exemplar dieser
Gattung ist wohl der Rat der politischen Bezirksverwaltung in
Schüttenhofen, ein Herr Végr, der früher den
deutschen Namen Wegner führte. Diesem Bezirkspascha sind
unsere Organisationen ganz einfach Freiwild. Er hat in einigen
Monaten nicht weniger als 32 Veranstaltungen unserer Partei im
Bezirk Schüttenhofen verboten, darunter einen Frauentag,
einen Kindertag und die Matteotti-Feier. Eine Jugendversammlung
verbot er, weil ein politisches Referat erstattet werden sollte.
Die Abhaltung der Matteotti-Feier wurde von ihm mit der Begründung
untersagt, daß dies ein Anlaß zu feindseligen
Kungebungen gegen einen fremden Staat und den Repräsentanten
desselben sei. Sicher ein Prachtexemplar èechoslovakischer
Demokratie, das von den Prager Behörden gehegt und gepflegt
wird. Bei den Matteotti-Feiern zeigte sich die politische Landesverwaltung
überhaupt sehr besorgt und lies an alle Bezirksverwaltungen
die Weisung gehen, diese Feiern strenge zu überwachen, damit
ja kein Wort zu viel über den blutbefleckten Henker der italienischen
Freiheit, den größenwahnsinnigen Duce, dessen Größenwahnsinn
nur pathologisch sein kann, gesagt werde.
Von welchem rückständigen Polizeigeiste
unsere Behörden beseelt sind, beweist die Tatsache, daß
in Komotau die Polizei am Frohnleichnamstage einen Kinderausflug
durch die Stadt verbot, die politische Bezirksverwaltung in Podersam
die Teilnahme von Schulkindern an der sozialdemokratischen Maifeier
untersagte.
Der durch die Karlsbader Vorfälle berüchtigte
Polizeikommissär Dr Wottawa - ich muß mich mit ihm
schon etwas ausführlicher beschäftigen - hat sich eine
Polizei erzogen, die diesem Staate besondere Ehre macht. Das Wirken
dieser Polizei bestätigt unsere seinerzeitige Auffassung,
daß sie nicht geschaffen wurde, um die allgemein polizeilichen
Aufgaben zu erfüllen, sondern um die Bevölkerung die
Faust fühlen zu lassen. Obwohl der Mannschaftsstand gegenüber
früher ganz wesentlich erhöht wurde, läßt
der Ordnungsdienst sehr viel zu wünschen übrig, so daß
die Stadtgemeinde Karlsbad gezwungen war, eine Art Zivilpolizei
zu errichten und dafür bedeutende Mittel aufzuwenden, nur
um die eigentlichen polizeilichen Agenden, die in einem Kurort
nicht vernachläßigt werden dürfen, durchführen
zu können. Dagegen interessiert sich die Staatpolizei viel
lebhafter für die politische Betätigung der Staatsbürger
und sie ist vor allem bemüht zu zeigen, daß hier der
Pendrek regiert. Sie schafft Zustände, die von den zahlreichen
Kurgästen, die das ganze Jahr in Karlsbad weilen und aus
allen Ländern stammen bemerkt und im Ausland diskutiert werden.
Noch in aller Erinnerung sind die Vorfälle vom 2. März
d. J., wo anläßlich einer Demonstration die Polizisten
wie die Wilden hausten und ohne Anlaß in die wehrlosen Arbeiter
einhieben. Sie haben aber auch dafür, daß die Arbeiter
sich nicht ruhig niederschlagen lassen wollten, Rache genommen.
Es erfolgten in den Tagen nach der Demonstration Verhaftungen
über Verhaftungen. Die Opfer wurden zur Polizei geschleppt,
dort blutig geschlagen und dem Gerichte übergeben, das über
die Beschuldigten schwere Strafen verhängte. Zeugenschaft
gaben nur die Polizisten. Welcher Wert diesen Aussagen beizumessen
ist, geht daraus hervor, daß bei einer anderen Gelegenheit
der Kellnerlehrling Otto Hein, der sich dem ortsfremden Wachmann
gegenüber nicht legitimieren konnte, zur Wachstube geschleppt
und dort derart geschlagen wurde, daß er bewußtlos
zusammenstürzte. Der herbeigeeilte Polizeiarzt wurde belogen
und im Krankenhaus erst, wohin der Bewußtlose geschafft
wurde, kam die brutale Mißhandlung des Burschen ans Tageslicht.
Nicht genug daran, wollte man den jungen Menschen auch noch ins
Kriminal bringen, indem man ihn des Verbrechens der öffentlichen
Gewalttätigkeit anklagte. Obwohl der prügelnde Wachmann
seine Aussagen unter Eid machte, glaubte das Gericht den Behauptungen
des Prügelpolizisten nicht und sprach den Mißhandelten
frei. Der Polizist tut seinen Dienst heute noch, jene Wachleute
aber, die bei den Kundgebungen am 2. März nach Ansicht einiger
Spitzel nicht fest genug auf die Menge losschlungen, kamen in
Disziplinaruntersuchung und es ist ein Wunder, daß sie nicht
ums Brot kamen. Anlaß zu Zusammenstößen mit der
Bevölkerung gibt die Polizei selbst, ja, das Urteil der gesamten
Bevölkerung ist darüber einig, daß diese Anlässe
geradezu gesucht werden. Es kann keine Versammlung, kein Fest
veranstaltet werden, ohne daß die Polizei sich nicht
in der herausforderndsten Weise einmischen würde. Es werden
nicht nur die Freiheiten, die schon im alten Österreich im
Bezug auf das Versammlungs- und Pressewesen bestanden und die
bei der Besetzung der Stadt Karlsbad durch èechisches Militär
von dem Kommandanten der Besatzungstruppen in feierlichster Weise
unterstrichen wurden, mißachtet, es werden auch alle möglichen
Schwierigkeiten gemacht, nur um die Bevölkerung zu reizen.
Es darf keine Versammlung, kein Lichtbildervortrag, nicht die
kleinste Zusammenkunft veranstaltet werden, ohne daß die
Polizei vorher vorschriftsmäßig davon unterrichtet
worden wäre, und es vergeht keine öffentliche Versammlung,
die nicht wie in Metternichs Zeiten von einem Regierungsvertreter
überwacht würde. Der Regierungsvertreter kommt aber
nicht allein, sondern er bringt 30, 40, 50 Polizisten bis an die
Zähne bewaffnet mit. Die Umgebung eines Versammlungslokales
gleicht einem Heerlager. In einer Versammlung unter freiem Himmel
befanden sich die bewaffneten Polizisten mitten unter der Menge
und es mußte erst die volle Verantwortung des Regierungskommissärs
festgestellt werden, um durchzusetzen, daß die Leute die
Gesetze respektierten und sich entfernten. Neben den Bewaffneten
finden sich in allen Versammlungen massenhaft Spitzel ein, um,
wenn schon nichts anderes, so wenigstens bei Zusammenstößen
sofort die Opfer aussuchen zu können. Seit Jahrzehnten hält
die disziplinierte Arbeiterschaft des Karlsbader Bezirkes Versammlungen
und Feste ab, die oft von vielen Tausenden Menschen besucht sind,
ohne daß auch nur der geringste Zwischenfall zu verzeichnen
gewesen wäre. Das wurde erst anders, als die Staatspolizei
eingriff. Keine, auch die kleinste Unterhaltung darf vorübergehen,
ohne daß sie von einem Polizeiorgan belästigt würde.
Zu einem Ball der Karlsbader Lokalorganisation, wohl verstanden
zu einem Tanzvergnügen im schönsten Saale der Stadt,
wurde ein ganzes Aufgebot von Polizisten mit ihren Vorgesetzten
kommandiert, zu einem gemütlichen Beisammensein, das unsere
Karlsbader Frauenorganisation veranstaltete, stellte sich ein
Aufsichtsbeamter ein und präsentierte seine Gebührenrechnung,
nicht ohne dabei den damals zufällig anwesenden Kollegen
de Witte zu beleidigen wofür er sich dann entschuldigen
mußte. Es genügt nämlich nicht, daß zu allen
Festlichkeiten und Unterhaltungen Polizeileute kommen, sie müssen
auch noch bezahlt werden. Die Karlsbader Polizei scheint dafür
ganz eigene Taxen zu haben, die anscheinend dazu dienen, das Einkommen
der Wachorgane zu erhöhen. Wir sind die letzten, die den
Wachleuten, die elend bezahlt sind und mit ihren Familien hungern
müssen, eine Aufbesserung ihres Verdienstes nicht vergönnen
würden. Aber es ist überall in der Welt so, daß
der zu bezahlen hat, der einen Untergebenen irgendwohin schickt,
nicht aber der andere, dem der Besuch durchaus nicht erwünscht
ist und der ihn als überflüssig ansieht. Die Karlsbader
Gastwirte können ein Lied davon singen, was sie im Laufe
eines Jahres an Gebühren, die verschieden hoch bemessen werden,
an die Polizei zu entrichten haben. Sie murren wohl darüber,
können aber dagegen nicht öffentlich auftreten, weil
sie fürchten müssen, in eine noch schwierige Situation
zu kommen. Das ist eine Schande, das sind Zustände, wie sie
höchstens noch in Rumänien angetroffen werden, wo die
Polizei allmächtig ist und tun kann, was ihr beliebt. Die
Regierung wird schon noch spüren, was es bedeutet, einigen
übermütigen Polizeibeamten Vollmachten zur Etablierung
von Willkür und Rechtlosigkeit zu erteilen. Sie wird vor
allem nicht verhindern können, daß das Ausland unterrichtet
wird über die Zustände in diesem Lande. Denn die vielen
Fremden, die in Karlsbad weilen und dort das Treiben der Staatspolizei
beobachten, schliessen mit Recht, daß es überall im
ganzen Staate so sei, und so trägt die Karlsbader Staatspolizei
dazu bei, daß im Ausland Meinungen verbreitet werden, die
der Regierung durchaus nicht gleichgültig sein können.
Ein weiteres Beispiel: In Eger löste die
Regierungsvertretung eine Jugendversammlung auf, weil der Redner
das in Vorbereitung befindliche Gesetz über die vormilitärische
Erziehung als ein Schandgesetz bezeichnete. Ein besonderes Stückchen
vollbrachte wohl die politische Bezirksverwaltung in Böhm.
Krumau, die die Geldsammlung für die englischen Bergarbeiter
verboten hat. Der Minister des Innern, der darüber interpelliert
wurde, gab zwar die Zusage, daß er die politische Landesverwaltung
veranlassen werde, das Verbot rückgängig zu machen,
trotzdem bestrafte die politische Bezirksverwaltung in Böhmisch-Krumau
mit Erlaß vom 11. August 1926, Zl. 13.739, die vier Bergarbeiter,
die mit der Geldsammlung betraut waren, u. zw. mit 20 Kronen Geldstrafe,
eventuell zwei Tagen Arrest. Das ist sicherlich eine Kulturschande
für unsere Republik. In der ganzen zivilisierten Welt löste
der heroische Kampf der englischen Bergarbeiter Bewunderung und
Anerkennung aus und nirgends wurde der Hilfeleistung für
diese Menschen ein Hindernis bereitet. Nur unseren Behörden
blieb es vorbehalten. zu Gunsten der englischen Grubenbesitzer
einzugreifen und sich damit gegen die englischen Bergarbeiter
zu stellen. Diese Behörden, vor allem die politische Landesverwaltung,
sind auch rasch mit dem Schutzgesetz bei der Hand, das sehr rigoros
angewendet wird, wenn es gegen die Arbeiter geht. Man stellt sogar
die lächerliche Behauptung auf, damit das Prestige des Staates
zu schützen. Dafür nur ein Beispiel: Ich war Redner
in einer vollkommen ruhig verlaufenen Versammlung gegen die Schuldrosselungen.
Nach erstatteter Relation der politischen Bezirksverwaltung gab
die Landesverwaltung den Auftrag, gegen mich die Anzeige wegen
Verletzung des Schutzgesetzes zu erheben, weil ich unter anderem
gesagt habe: "Die Èechoslovakei wird sein ein Bund
freier Völker oder die Èechoslovakei wird nicht sein."
Nach der Beweisführung zog allerdings
die Staatsanwaltschaft die Anklage zurück, hat aber den Akt
der politischen Bezirksverwaltung abgetreten mit der Bemerkung,
mich auf Grund des Prügelpatents zu bestrafen. Ich glaube,
daß diese angeführten Beweise wohl genügen dürften,
um zu zeigen, daß dieses schmachvolle System reif zum Abbruch
ist.
Wir fordern daher mit allem Nachdruck eine
Neugestaltung des Vereins- und Versammlungswesens, die Aufhebung
des Prügelpatentes, Beseitigung der Sonderbestimmungen für
politische Vereine, die Abschaffung des Schutzgesetzes und die
Einführung der vollständigen Vereins- und Versammlungsfreiheit.
Nur dann wird sich diese Republik zu einem modernen Staatswesen
gestalten, wenn die wirkliche demokratische Selbstverwaltung eingeführt
wird und jedem Bürger auch gestattet ist, seine Meinung frei
zu äußern. Daran denkt die Regierung vorläufig
aber nicht, es wird vielmehr eine wahre Aufzucht der Polizei vorgenommen.
So sind im Budget bei diesem Kapitel für die Errichtung neuer
staatlicher Polizeiämter 4,800.000 Kè vorgesehen.
Wir sind gegen die Errichtung dieser Polizeiämter, weil sie
überflüssig sind. Kommt doch noch hinzu, daß dieser
allmächtigen Bürokratie neben der starken Polizeigewalt
auch noch eine ungeheuere Gendarmeriemacht zur Verfügung
steht, die weniger im Interesse der Sicherheit
da ist, sondern zur Bespitzelung und Überwachung der Staatsbürger
benützt wird. Wir besitzen nicht weniger als 12.733 Gendarmen,
mit den Offizieren sogar über 13.000. Auf je 1000 Einwohner
entfällt ein Gendarm. Schlimmer schaut es noch in Karapthorußland
aus, welches wie eine Kolonie behandelt wird. Dieses Land hat
mit seinen 500.000 Einwohnern d 900 Gendarmen. An Gendarmerieoffizieren
wird durchaus nicht gespart. Während im alten Österreich
die Gendarmerie unter dem Kommando eines einzigen Generals stand,
bei sitzen wir gleich drei solcher Generäle. Der Aufwand
für die Polizei und das Gendarmeriewesen ist direkt horrend
und für die Slovakei bedeutend größer als für
Böhmen, am größten aber für Karpathorußland.
Der Aufwand beträgt für die Polizei in den historischen
Ländern und der Slovakei 132,508.390 Kè, für
Karpathorußland 6,662.350 Kè fur Gendarmerie in den
historischen Ländern und der Slovakei 220,405.220 Kè,
in Karpathorußland 17,634.720 Kè. In Böhmen
wird für die Polizei ein Betrag
von 94 5 Millionen Kè ausgegeben, in der Slovakei 64.5
Millionen Kè. Obzwar die Slovakei nur ein Drittel der Einwohner
von Böhmen zählt, sind die Ausgaben nicht viel niedriger,
als bei uns. Will man den Slovaken die Liebe zur Republik mit
Hilfe der Polizei und Gendarmerie beibringen? Wir glauben, daß
gerade das Gegenteil damit erzielt wird. Die Gendarmen selbst
werden in echt militärischem Drill und mit militärischer
Disziplin erzogen, die fachliche Ausbildung ist Nebensache. Dabei
wird ihnen die Ausübung der primitivsten bürgerlichen
Rechte entzogen. Während in anderen Staaten den Gendarmen
gestattet ist, sich zum Schutze der wirtschaftlichen Existenz
zu organisieren, wird ihnen hier dieses Recht vorenthalten. Wir
verlangen, daß diese Zurücksetzung beseitigt wird und
daß man diesen Menschen so wie jedem anderen Staatsbürger
das Koalitionsrecht einräumt.
Ein Kapitel für sich bildet die Verleihung
der Staatsbürgerschaft, die von den Behörden ganz willkürlich
gehandhabt wird. Es haben darunter besonders die Arbeiter zu leiden,
denn Tausende gibt es, die in diesem Staate schon Jahrzehnte lang
leben und denen ohne Begründung die Staatsbürgerschaft
verweigert wird. Viele Existenzen und Familien werden dadurch
zerstört. In der Slovakei will man tausende Personen kurzerhand
ausweisen. Stellen Sie sich das Martyrium vor, das diese Leute
durchzumachen haben, die aus ihrem Beruf, von ihrem Besitz verjagt
und um Verdienst und Arbeit gebracht werden. Nebenbei besteht
auch ein unerhörtes Protektionssystem. In vielen Fällen
wenden sich die Behörden direkt an die "Národní
jednota", also an einen privaten Verein, um Auskunft über
jene Personen einzuziehen, die um die Staatsbürgerschaft
ansuchen. Fällt diese Auskunft ungünstig aus, d. h.
gehört der Bewerber nicht zur èechischen Nation,
wird das Ansuchen rundwegs abgelehnt. Wir fordern, daß jenen
Personen, die gezwungen sind, hier zu leben, die Staatsbürgerschaft
zuerkannt wird, denn sie müssen dem Staate und der kapitalistischen
Gesellschaft ebenfalls ihren Tribut leisten.
Charakteristisch ist auch die präliminierte
Ausgabe für die Filmzensur im Betrag von 1.8 Millionen Kronen.
Wir finden diese Ausgabe sowie die Filmzensur selbst als höchst
überflüßig, weil durch die Zensur die Herstellung
von künstlerischen und erzieherischen Filmen unterbunden
wird. Dadurch wird es auch unmöglich gemacht, das Kino, welches
tatsächlich von den Volksmassen besucht wird, zu einer wirklichen
Bildungstätte auszugestalten. Während man den größten
Schundfilm unbeanständet läßt, verschandelt man
durch die Zensur hervorragende Filmkunstwerke. Als drastisches
Beispiel dafür dient der "Potemkinfilm", der von
unserer Zensur derart verstümmelt und kastriert wurde, daß
er nur mehr ein Fragment darstellt. Es muß um die Sicherheit
des Staates sehr windig ausschauen, wenn zu solchen Mitteln gegriffen
wird. Wir fordern daher die Abschaffung der Filmzensur und verweisen
darauf, daß dieselbe in Österreich und in anderen Ländern
längst nicht mehr besteht.
So ist weit und breit auf keinem Gebiete in
diesem Staate auch nur ein Hauch von wirklicher Demokratie zu
spüren. Nicht nur aus dem Kapitel "Ministerium des Innern",
sondern aus dem gesamten Staatsvoranschlag grinst uns die Fratze
einer erzreaktionären kapitalistischen Bürgerregierung
entgegen, die ihren Kurs rücksichtslos gegen die Arbeiterschaft
richtet, einer Regierung, die einen schamlosen Bereicherungsfeldzug
des èechisch-deutschen Bürgertums einleitet, der sich
auf Kosten der arbeitenden Menschen vollzieht. Dieser Regierung
sprechen wir nicht nur unser Mißtrauen
aus, sondern wir wer, den ihr innerhalb und außerhalb dieses
Hauses unseren schärfsten Kampf entgegenstellen. (Potlesk
nìm. soc. demokratických poslancù.)
Hohes Haus! Es ist über ein Jahr her,
daß ich namens meiner Partei zur Schulpolitik sprach. Es
war das anläßlich der Stellungnahme zum vorjährigen
Schulvoranschlag am 29. September 1925. Mit Recht verwies ich
in meinen seinerzeitigen Worten darauf, daß sich der
Kampf in diesem Hause niemals so heftig gestalte, als
wenn die Schulpolitik des èechischen Staates, eines Teiles
der Staatspolitik überhaupt, zur Debatte steht. Wir erleben
dann immer einen nach außen hin deutlich vermerkbaren Höhepunkt
des Ringens der nichtèechischen Völker
um die genügende Berücksichtigung ihrer Lebenserfordernisse,
dem dann freilich sich stets Argumente der Staatsverwaltung gegenüberstellten
mit der Absicht, uns in unsern Klagen zu entkräften. Die
Höhepunkte dieses Ringens hier in diesem Hause sind begreiflich,
die Schule ist nun einmal das wichtigste Lebenserfordernis einer
Kulturnation. Sie dient der absolut nötigen Funktion der
Ausbildung, deren Störung gleichbedeutsam ist mit einer Störung
des Gesamtorganismus der Nation. Je kultivierter die Nation ist,
umso deutlicher tritt das Bestreben zu Tage, gerade in dieser
Funktion unbehindert zu sein. Es ist tausendfach erwiesen, wie
solche Behinderung rückwärts bringt und schließlich
umkommen läßt. Die Soziologen wissen, daß sie
einem Volke gerecht werden müssen in seinem Verlangen nach
Bildung. Ich wüßte zum Beweise dessen nichts Besseres,
als die hierauf geltenden Worte des Präsidenten des Staates
anzuführen, der in einem seiner Werke über die Bildung
spricht: "Es ist das erste Erfordernis der Menschlichkeit,
die erste Norm der Soziologie, daß ein jeder die Möglichkeit
hat, sich zu bilden. Wer einem Volke dem Streben nach Bildung
in den Weg tritt, begeht eine Todsünde. Das Recht sich zu
bilden hat jeder Mensch genau so wie das Recht zu leben."
Ich möchte diese Worte in ihrer besonderen Bedeutung hervorgehoben
haben, ihrer Feststellung der Bildung als Voraussetzung zum Leben.
Also ist es verständlich, wenn sich bei
der Besprechung des Schulvoranschlages, der auch heuer nicht in
dem Sinne besserer Erkenntnisse läuft, gefühls- und
verstandesmäßige Widerstände jener Nationen auslösen,
deren Lebensrechte berührt werden. Das gilt zunächst
einmal allgemein: Wenn wir den Beweis der Berechtigung unserer
besonderen Klagen als Deutsche vorerst außeracht lassen,
wenn wir annehmen wollten, daß das, was wir Störung
der Bildungsfunktion nennen, in der Tat sich gleichmäßig
den Völkern des Staates aus dessen ungünstigen Verhältnissen
mitteilte, schon dann wäre es kein Ehrenmal. Es gibt unserer
Meinung nach für eine Verminderung eines in einer Zeit freier
Gesinnung geschaffenen Schulwesens keine Begründung. Diese
Begründung müßte erst am Ende des Staates selbst
stehen. Das Programm eines Staates, seine Verfassungsgesetze sollen
etwas Sakrosanktes sein. Jede Verletzung derselben fällt
in den Bereich schwerster Verfehlungen. Ist es aber nicht eine
Verletzung des guten Geistes, der ihnen Pate gestanden hat, wenn
seit Jahr und Tag, ohne dafür die Gründe zu haben, gegen
das Schulwesen, die Zellen der Bildungsfunktion in unverantwortlicher
Weise vorgegangen wird, wenn seit den Tage der zweckhaft geschaffenen,
revolutionären und nachrevolutionären Schulgesetzgebung
tausende von Bildungszellen zetrümmert wurden und diese herostratische
Arbeit weiterdauert?
Hier feiert die Gegensätzlichkeit zwischen
Theorie und Praxis der Staatsführung die größten
Orgien.
Klagen wir mit den fortschrittlichen Elementen
des Staates den Geist der Reaktion an, der sich in den Maßnahmen
der Schul-Verwaltung au tobt, besonders jener der Präsidien
der Landesschulräte, so haben wir als Deutsche des weiteren
Beschwerden zu führen über die Einseitigkeit, mit der
dieser Geist im Besonderen sich gegen uns richtet. Lassen wir
die Berechtigung gelten jeder Klage über den Verlust einer
Schule, einer Klasse, über den Verlust einer èechischen
so gut wie einer deutschen, so liefern wir heute neuerlich den
Beweis dafür, daß unsere Klagen unter dem Druck der
schwersten Folgewirkungen, wie sie so schwer kein anderes Volk
zu tragen hat, entstanden. Schon was im Vorjahre geschehen
ist, war ein Höchstmaß unverantwortlicher Eingriffe
in unsere Kultur, dessen Tendenz kaum den Laien unerkennbar blieb,
umsoweniger dem Politiker, Volkswirtschaftler und Soziologen.
Was heuer trotz allem und allem dazu geschieht, das ist einfach
unerträglich.
Ich wiederhole einige schon im Vorjahr gebrachte
Ziffern: Wir hatten als Deutsche bis Ende des Schuljahres 1924-1925
von ursprünglich 11.747 Klassen im Gesamtstaatsgebiete deren
2.779, das sind 24% verloren. Der Kollektiv-Drosselungserlaß
vom Jahre 1925 brachte uns allein in Böhmen einen weiteren
Verlust von 635 Schulen bzw. Klassen, eine Zahl, welche durch
Rücknahme einiger Schulsperrungsfälle auf 535 zurücklief.
Aber es stand damals schon ein Gesamtverlust an deutschen Schulen
und Klassen von 4.000 zu buchen. Die Zahl blieb unwidersprochen,
sie besteht demnach gewiß zu Recht. Und noch nicht soll
genug getan sein. In den letzten Wochen erflossen neue Schulsperrungsverfügungen.
Hierüber wissen wir bisher keine genaue Zahl anzugeben, aber
es scheint so, als ob zumindestens jene 100 Klassen durch die
neuen Maßnahmen endgültig verloren gingen, die wir
voriges Jahr noch zu retten vermochten. Nach den Mitteilungen
des mährischen Schulausschusses handelt es sich in Mähren
allein nm 22 Klassenauflösungen. In diesem Lande wurde seit
dem Umsturz 106 Volksschulen und 25 Bürgerschulen insgesamt
mit 771 deutschen Volksschulklassen und 83 deutschen Bürgerschulklassen
aufgelöst.
Die neuen Schulsperren sind die Folgewirkung
eines ministeriellen Erlasses, dessen Autor bisher nicht gefunden
wurde. (Posl. inž. Jung: Deus lex! Hundert Personen
suchen einen Autor!) Jawohl. Eines ist
sicher, daß dieser ministerielle Erlaß, also ein Kollektiverlaß
ähnlich dem vorjährigen Schulsperrenerlaß besteht.
Die verantwortlichen Funktionäre der Präsidien der Landesschulräte
entschuldigen sich für ihre Verwaltungsmaßnahmen mit
ihm. Bei den letzten Vorsprachen in den Landesschulräten,
die dem Zwecke der Korrektur der neuen Schuldrosselungen galten,
hörten wir so. Der Erlaß und seine Autorschaft interessiert
uns schon mit Rücksicht darauf, als sein Inhalt entgegengesetzt
ist dem Inhalte der letzten im Budgetausschuß gefallenen
Äußerungen des Chefs der Schulverwaltung. Ist Herr
Minister Hodža der Autor
des neuen Drosselungserlasses und setzte er sich dadurch, daß
er bei Erlassung desselben in Widerspruch mit seinen Worten geriet,
zu uns bewußt in ein unliebsames Verhältnis? Oder ist
der Autor des Erlasses ein anderer? Wir vernahmen als Datum des
Erlasses den 1. Oktober. Seine Expedition erfuhr er jedoch erst
später. Wer ist also der Autor? Für uns, die wir Kritik
üben, ist die Kenntnis hierüber sehr nötig. Herr
Hodža soll von uns keine
unverdiente Kritik erfahren.
Ich zeigte dieselben schon an dem mährischen
Beispiel auf. Die hier genannten Zahlen müssen jedoch noch
eine besondere Illustration erfahren: Schulen, die noch vor 4
Jahren sechs Klassen gezählt haben, sind im Vorjahre auf
3 gesunken, nunmehr auf 2. Die Dinge liegen heute so, daß
von einer ordnungsgemäßen Unterrichtserteilung überhaupt
nicht mehr die Rede sein kann. In den übriggebliebenen Klassen
finden sich die Schüler der verschiedensten Schuljahre kunterbunt
zusammengepfercht vor. (Posl. Krebs: Die Herren des Landesschulrates
sollte man hinschicken!) Ja wohl! Welcher Lehrer vermöchte
unter solchen Verhältnissen, wie sie heute bestehen, für
einen Unterrichtserfolg zu garantieren in der Lage sein? Ich nahm
persönlich Gelegenheit, in einzelne Schulklassen zu schauen
und sage hier ohne Übertreibung, daß ich über
das Gesehene bestürzt war. Ich kann mich bei dem Studium
der Gründe der letzten Maßnahmen nicht des Eindruckes
erwehren, als ob in dem Jahre vor dem Inkrafttreten des durch
§ 5 des kleinen Schulgesetzes festgelegten mäßigeren
Bedingungen der Schülerzahlen, von 1928 gilt die Zahl 70
anstatt 80, die letzte Möglichkeit der Schädigung unseres
Schulwesens ausgenützt sein sollte. Es scheint - ich habe
in dieser Beziehung Herrn Hodža in
Bezug auf die Autorschaft des letzten Drosselungserlasses nicht
unbegründet gefragt - als ob ein Klüngel von Leuten
der Schuladministrative sich geradezu bewußt über Maßnahmen
der Regierung hinwegsetzt, welche letztere der Entspannung der
zwischen den Völkern des Staates bestehenden Atmosphäre
dienen sollen. Es scheint, als ob diesem Klüngel von Leuten
die Sabotage des Friedens Orgie ist. Wer die Dinge in der Schulverwaltung
nur einigermaßen aus eigener Anschauung kennt weiß,
was diese Worte bedeuten sollen.
Depopulation und Finanznot des Staates können
nur scheinheilig zur Begründung der letzten Maßnahmen
herangezogen werden. Wenngleich die Depopulation zugestandenerweise
bei den vorjährigen Maßnahmen immerhin als Begründung
geführt werden konnte, so ist es anderseits doch klar, daß
sich heuer der Geburtenrückgang als Folge des Krieges schon
wieder zu beheben anschickt. Das spiegelt sich ja gerade in den
dermaligen Schülerzahlen wieder. Im übrigen stellten
wir die Begründung der Reduktionsmaßnahmen durch die
Depopulation schon früher auch auf das richtige Maß
zurück. Und die Finanznot des Staates? Sollte die sich nicht
lieber bei anderen Budgetposten wirkend machen als beim
Schulposten? Fast uns selbst zum Überdrusse stellen wir wiederum
diese Frage.
Ich sprach hievon schon einleitend, daß
wir an 4000 deutsche Volks- und Bürgerschulklassen seit dem
Umsturze verloren haben. Nimmt man den Durchschnittsbezug eines
Lehrers mit jährlich 20.000 Kronen an, so ergibt das einen
Betrag von 80 Millionen Kronen, den der Staat jährlich am
deutschen Schulwesen schon erübrigt. Ich glaube, sagen zu
dürfen, daß solcherart dem staatsfinanziellen
kategorischen Imperativ in Beziehung auf das deutsche Schulwesen
genügend Berücksichtigung geworden ist. Wir würden
das alles mit weit weniger Erregung feststellen, wenn wir die
gleiche Betonung der Staatsnöte auch gegenüber dem èechischen
Schulwesen betont fänden. Aber was geschieht da nicht an
Gegenteiligem?