




Hohes Haus! In den letzten Monaten ist das
politische Leben dieses Staates reich an Sensationen und turbulenten
Zwischenfällen gewesen. Es ist interessant festzustellen,
daß die früheren Koalitionsfreunde sich heute als streitende
Brüder gegenüberstehen und so manche interessante Sachen
aus der intimen Koalitionshäuslichkeit der Öffentlichkeit
gegenüber ausplaudern. Wir haben den Eintritt der Deutschen
in die Regierung zu verzeichnen, und es soll nur so nebenbei erwähnt
werden, daß heute früh der Herr Kol. Myslivec von
der Parlamentstribune ausdrücklich erklärte, daß
die Deutschen bedingungslos in die Regierung gegangen sind und
daß eigentlich die èechischen Parteien das Recht
gehabt hätten, Bedingungen zu stellen, weil die Deutschen
nicht loyal genug dem Staate gegenüber
gewesen sind. Es sollen also wahrscheinlich die deutschen Minister,
weil sie das Recht haben, auf den Ministerstühlen zu sitzen,
noch etwas herauszahlen. (Výkøiky nìm.
soc. demokratických poslancù.) Abgesehen
von diesen Ereignissen hat eine Skandalgeschichte die andere gejagt,
angefangen von der Affäre Gajda, die bis zum heutigen Tage
noch nicht restlos geklärt erscheint und über die sich
die Verantwortlichen in Stillschweigen hüllen, bis zum großen
letzten Korruptionsskandal der lex Cyrill, die alle das politische
Leben nicht nur bei uns, sondern in der ganzen Welt stark beschäftigt
haben.
Interessant ist, daß gewisse politischen
Parteien das Außenministerium in den Mittelpunkt all dieser
Skandalgeschichten stellen und daß die Freunde von gestern
heute die heftigsten Angriffe gegen die Politik des Außenministers,
gegen sein System und seine Person entfalten. Dieselben Parteien,
die hier eigentlich mitschuldig sind, die, solange sie mit der
Partei des Herrn Außenministers in der Regierung saßen,
dieselbe Politik mitmachten, das System gutgeheißen haben,
ja eigentlich als Ankläger von heute selbst die Mitschuldigen
an dem von ihnen bekämpften System sind. Es hat sich der
merkwürdige Fall ereignet, daß der Berichterstatter
über das Kapitel Ministerium des Äußern gleichzeitig
zum Ankläger geworden ist, eine Reihe von Dingen erwähnte,
die so recht zeigen, wie die Verwaltung und Verwendung der Mittel
dieses Ministeriums aussah. Der Berichterstatter hat erzählt,
daß die Erhaltung der Repräsentationsräume nicht
weniger als 190.000 Kronen jährlich erfordert und daß
außerdem unter dem Titel "amtliche Kanzleierfordernisse"
1,190.000 Kronen verausgabt werden und daß von diesen Mitteln
auch Dienstreisen des Ministers gedeckt worden sein sollen. Es
wurde nun dem System und der Außenpolitik der schärfste
Kampf angekündet, sicherlich nicht wegen all dieser Kleinigkeiten,
sondern aus politischen Gründen wurde der Kampf für
nur solange angekündigt, bis es dem Herrn Ministerpräsidenten
vielleicht doch gelingt, die Nationalsozialisten wieder an den
Regierungswagen zu spannen, dann werden auch die Kämpfer
von heute wahrscheinlich wieder anderer Meinung sein, als es bisher
zum Ausdruck kam.
Aber auch sonst, wenn man sich den Staatsvoranschlag
ansieht, findet man recht interessante Posten. Da haben wir für
Kosten des politischen und wirtschaftlichen Informationsdienstes
4 Millionen, für Publikationen, Zeitschriften und Bücher
5 Millionen. Es ist interessant dabei festzuhalten, daß
der Berichterstatter im Budgetausschuß nach seiner Berechnung
feststellen mußte, daß das Defizit bei der "Prager
Presse", dem sogenannten Regierungsorgan, allein 5 Millionen
Kronen ausmacht. (Posl. Schweichhart: Was ist mit der Saazer
Wolf-Presse?) Das wird jedenfalls eine Post sein, die unter
einem andern Kapitel unkontrollierbar versteckt wird. Sicherlich
ein sehr kostspieliges, aber, wie wir uns zu erlauben bemerken,
auch gleichzeitig wertloses Sprachrohr des Außenministers.
Wir finden weiter für Zirkulartelegramme an die Vertretungsbehörden
und Kosten der Berichterstattung nicht weniger als 3 Millionen
Aufwand, für den Abschluß und die Durchführung
zwischenstaatlicher Verträge 5 Millionen, weiter den Aufwand
für die Repräsentationsräume mit 400.000 Kronen
verzeichnet, sicherlich Posten, die für sich selbst sprechen.
Wir beantragen daher eine Herabsetzung des Betrages, der dem Außenministerium
zur Verfügung steht umsomehr als ebenfalls festgestellt werden
kann, daß beispielsweise bei der Gesandtschaft in Budapest
22 Beamte, in Bukarest ebenfalls 22, in Polen 15 und in Deutschland
13 Beamte tätig sind. Aus diesen Ziffern allein ergibt sich,
daß eine Restriktion der Gesandtschaften und Konsulate unbedingt
notwendig erscheint. Bei dieser Gelegenheit fordern wir auch gleichzeitig
die Aufhebung der Paßvisa und der Visagebühren und
ebenfalls die Anerkennung Sowjetrußlands.
Festgestellt muß auch werden, daß
zwischen der Außenpolitik und der Innenpolitik des Landesverteidigungsministeriums
ganz gewaltige Gegensätze bestehen. Während der Außenminister
wenigstens scheinbar auf allen Abrüstungs- und Verständigungskonferenzen
das große Wort führt, finden wir, daß der Landesverteidigungsminister
im Inlande das Gegenteil davon macht, und so viele Worte der Außenminister
für die Verständigung und Abrüstung findet, mit
so viel Worten fordert der Landesverteidigungsminister im Inlande
mehr Kanonen, mehr Gewehre, mehr Kriegsmaterial und den Ausbau
der Flugzeugflotte. Sicherlich ist diese Politik, die wir in diesem
Staate militärisch betreiben, eine Wahnsinnspolitik, die
weder dem Wesen, noch den Verhältnissen, noch der geographischen
Lage dieses Staates überhaupt entspricht und nur den einen
Zweck hat, daß die Soldatenspielerei der Bevölkerung
dieses Staates ungeheuere Summen, Milliarden kostet, die für
andere Zwecke wesentlich besser und günstiger angebracht
wären.
Bei dieser Gelegenheit soll festgehalten werden,
daß, als im Jahre 1918 die Unabhängigkeitserklärung
erschien, der Bevölkerung dieses Staates das feierliche Versprechen
gegeben wurde, die bestehende Heeresorganisation in eine Volksmiliz
umzuwandeln. In Erkenntnis dieses feierlichen Versprechens hat
man auch diesen Grundgedanken im § 1 des Wehrgesetzes verankert
und weil trotzdem Zweifler aufgestanden sind, hat es der damalige
Landesverteidigungsminister Klofáè
für notwendig gehalten, diese Zweifel
zu zerstreuen, indem er folgende feierliche Erklärung abgab:
"Feierlich erkläre ich, daß weder ich, noch meine
politischen Mitarbeiter von dem Grundgedanken des Milizsystems
unserer Wehrmacht abgelassen haben, daß wir niemals die
Idee des Fortschrittes verraten haben und verraten werden".
Gleichzeitig hat der damalige Referent des Wehrausschusses, der
heutige Landesverteidigungsminister Udržal bei
Behandlung dieses Gesetzes gesagt: "Wir wissen, daß
uns unsere strategische Lage häufig nötigen wird, die
schwersten Probleme der Verteidigung des Staates zur Lösung
eher dem Minister des Äußern als dem Kriegsminister
zu übertragen."
Der Herr Landesverteidigungsminister hat heute
seine Worte vom Jahre 1920 vollständig vergessen. Denn die
Politik, die er heute treibt, ist das Gegenteil von dem, was er
1920 bei Behandlung des Wehrgesetzes als Erkenntnis zum Ausdruck
gebracht hat. Heute denkt er nicht mehr daran, die Lösung
der schwierigsten Probleme dem Außenminister zu überlassen,
heute glaubt er, diese Probleme mit mehr Kanonen, mehr Gewehren,
mehr Geschützen und mit der Verlängerung der Dienstzeit
lösen zu können. So hat man bis heute das feierliche
Versprechen nicht eingehalten. Im Gegenteil, man hat nicht einmal
die im Wehrgesetze verankerten Grundsätze zur Durchführung
gebracht, denn jetzt soll nach diesem Wehrgesetze die 14monatliche
Dienstzeit in Kraft treten, und schon sind die hohe Generalität
und die Politiker so mancher Parteien bestrebt, das zu verhindern.
Während bei uns diese wahnsinnige Militärpolitik
betrieben wird, gehen andere Staaten, die ihren Völkern nicht
so feierliche Versprechungen gegeben haben, daran, die Militärlasten
abzubauen. So z. B. Dänemark: dort wird das Heer und die
Flotte in eine Grenzpolizei und Staatsmarine umgewandelt, die
allgemeine Wehrpflicht wird aufgehoben und diese durch die Erziehung
von 1600 Mann aus den Reihen der sich freiwillig Meldenden ersetzt.
Die Militärlasten sind dadurch bedeutend abgebaut. Dasselbe
Bestreben sieht man in Schweden, Norwegen und Belgien. Selbst
Frankreich geht daran, die Militärlasten gewaltig abzubauen.
Was bei uns nicht möglich, geschieht in Frankreich,
indem man dort ernstlich bestrebt ist, die einjährige Dienstzeit
einzuführen, während wir hier noch, trotzdem der Protektor
mit gutem Beispiele vorangeht, um die 14monatige Dienstzeit, die
gesetzlich verankert ist, einen Kampf führen müssen.
Man macht zwar so, alsob man ernsthaft daran
ginge, auch die Militärlasten in diesem Staate abzubauen.
Man unternimmt zwar den Versuch, dem Auslande gegenüber ziffermäßig
den Nachweis zu erbringen, alsob die Worte des Außenministers
nicht nur Worte wären, sondern alsob man wirklich im Innern
des Staates daran denken würde, sie zu erfüllen, und
den Abbau der Militärlasten ernsthaft ins Auge faßt.
So hat man zahlenmäßig wenigstens versucht, im Voranschlag
die Sache so darzustellen, daß jährlich 360 Millionen
Kronen weniger für den militärischen Aufwand ausgegeben
werden sollen. Aber man hat gleichzeitig auf der anderen Seite
315 Millionen Kronen in den unkontrollierbaren Rüstungsfond
verwandelt, diesen Betrag unter einem anderen Titel des Voranschlages
versteckt, so daß es sich scheinbar um einen Abbau
der Militärlasten handelt, was aber in Wirklichkeit
nicht der Fall ist. Der Wehrausschuß hat diesen Rüstungsfonds
schon beschlossen, und es ist nicht uninteressant festzustellen,
daß die deutschen Regierungsparteien, der Bund der Landwirte
und die deutschen Christlichsozialen, die draußen in den
Versammlungen die militärischen Ausgaben, die Kosten des
Militarismus als Hauptschlager betrachtet haben, glatt und bedingungslos
diesem Rüstungsfonds ihre Zustimmung gegeben haben, und sie
werden wahrscheinlich auch sonst für alle neuen Ausgaben
des Militarismus zu haben sein.
Der Herr Finanzminister hat im Budgetausschuß
schöne Worte gefunden und mit Stolz darauf verwiesen, daß
die Militärlasten abgebaut wurden, daß noch im Jahre
1926 die militärischen Erfordernisse 1935 Millionen betrugen,
während im Voranschlag 1927 bloß 1370 Millionen für
militärische Ausgaben vorgesehen sind. Diese Darstellung
ist, gelinde gesagt, eine Augenauswischerei. Wenn man den Voranschlag
durchgeht, findet man, daß zu den 1370 Millionen noch der
Rüstungsfonds mit 315 Millionen kommen muß, daß
wir weiter Ausgaben für die Militärkanzlei des Präsidenten
im Ausmaße von 320.000 Kronen zu verzeichnen haben, daß
unter dem Titel "Militärbauten" unter den verschiedensten
Kapiteln des Voranschlages hohe Summen enthalten sind,
die zusammengezählt einen Betrag von 1711 Millionen ergeben
und nicht 1370 Millionen, wie die Militärverwaltung den Anschein
erwecken möchte. Wenn doch Ersparnisse zu verzeichnen sind,
geschieht dies durchwegs auf Kosten der Mannschaft, vor allem
durch den Abbau der Mannschaftslöhne, durch die Streichung
der Teuerungszulage und die Verkürzung der Verpflegskosten.
Während der Außenminister und der
Finanzminister von einem Abbau der Militärlasten sprechen,
daß er scheinbar ziffernmäßig durchgeführt
wird, wahrscheinlich um die Stellung des Außenministers
bei den verschiedenen Verständigungs- und Abrüstungskonferenzen
zu erleichtern, hat der Landesverteidigungsminister im Budgetausschuß
jene berühmte Rede gehalten, daß wir zu wenig Kanonen
und zu wenig Gewehre haben, daß wir mehr Kriegsmaterial
benötigen und vor allem ein besonderes Augenmerk dem
Ausbau der Flugzeuge zugewendet werden müsse. Wir stimmen
mit dem Landesverteidigungsminister in einer Auffassung überein,
eine besondere Sorgfalt für die Flugzeugskatastrophen, die
sich in diesem Staate in erschreckender Zahl vermehren. In der
Zeit vom Juli bis Oktober, also innerhalb vier Monaten, sind nicht
weniger als 12 Fliegerunfälle mit 14 Toten, 7 Schwer- und
und 2 Leichtverletzten zu verzeichnen. (Posl. Grünzner:
Kriegsmäßige Übungen!) Sicherlich, kriegsmäßige
Übungen, es ist aber auch ein Beweis dafür, welch ein
frivoles Spiel hier mit Menschenleben getrieben wird. Wenn nun
der Herr Landesverteidigungsminister darauf verweist, daß
wir mehr Kriegsmaterial benötigen, so haben wir auch dafür
eine Statistik, und zwar eine Statistik der Opfer, die durch Explosionskatastrophen
und sonstige Unfälle in diesem Staate zu Schaden gekommen
sind. Ich will sie gar nicht einzeln aufzählen, sondern nur
feststellen. Wir haben in der Zeit vom März bis September
nicht weniger als 155 meist tödtliche Unfälle von Soldaten
und Zivilpersonen, die durch die Manipulation mit Kriegsmaterial
heraufbeschworen worden sind. Leichtsinniger ist wohl noch nie
mit Menschenleben umgegangen worden. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda inž. Dostálek.)
Der Minister wird geradezu köstlich, wo
es sich um die Sorge um die Mannschaft handelt. Er hat zugeben
müssen, daß die Teuerungszulage der Mannschaft abgebaut
wurde, daß aber dafür die Mannschaft eine ausgiebigere
und bessere Kost erhält als vorher. Und damit ja kein Zweifel
darüber bestehe, daß dem so sei, erklärt der Herr
Landesverteidigungsminister, er habe sich wiederholt höchst
persönlich von der besonderen Güte der Mannschaftskost
überzeugt. Ich wünsche nur, daß der Herr Landesverteidigungsminister
ein Jahr lang von dieser Mannschaftskost leben sollte, er würde
wahrscheinlich eine andere Meinung bekommen. Er erklärt also,
die Teuerungszulagen sind zwar abgebaut, muß weiterzugeben
- und es sprechen ja die Ziffern des Voranschlages - daß
die gesamten Verpflegskosten bedeutend abgebaut worden sind. Es
ist doch weiter eine unbestreitbare Tatsache, daß die Lebensmittelpreise
bedeutend gestiegen sind. Der Herr Minister aber bringt das Kunststück
fertig, trotz der Teuerung eine bessere und ausgiebigere Mannschaftskost
herstellen zu lassen. Er muß allerdings zugeben, daß
Mängel in der Mannschaftsverpflegung bestehen, was aber nach
seiner Meinung auf die Tatsache zurückzuführen ist,
daß die Militärköche eine schlechte Ausbildung
genossen haben. Durch Einführung von Kursen für die
Erziehung und Ausbildung von Militärköchen werde auch
dieser Übelstand verschwinden. Es wäre praktisch, wenn
sich der Herr Landesverteidigungsminister diese ministerielle
Weisheit, wie man aus nichts etwas machen kann, patentieren ließe,
er würde sicherlich sehr viel Abnehmer dafür finden.
Aber auch sonst müssen die Worte des Herrn
Landesverteidigungsministers etwas genauer untersucht werden.
Er hat im Budgetausschuß vor allem eine Schilderung der
Wohlfahrtspflege, des angenehmen Daseins der Soldaten, aller möglichen
Einrichtungen, die den Dienst der Soldaten erleichtern können,
gegeben. Er hat erklärt, daß den Soldaten nicht nur
Kinos, Klublokale, Theater und Spielplätze zur Verfügung
stehen, sondern daß die Militärverwaltung alles getan
hat und tun wird, um der Mannschaft das Dasein so angenehm wie
möglich zu gestalten. Diesen Worten des Ministers steht aber
gegenüber die erschreckend große Anzahl der Soldatenselbstmorde
in diesem Staat und aus dieser erschreckend hohen Zahl der Soldatenselbstmorde
spricht etwas anderes, als aus den Worten des Landesverteidigungsministers
zu entnehmen ist. Und wenn die Statistik sagt, daß seit
1. Jänner 1926 in der Prager Garnison aus Furcht vor Strafe
7 Soldaten Selbstmord verübt haben, in Olmütz einer,
in der Georgskaserne einer, in Neuhaus einer, in Pilsen einer
und zwar der Infanterist Hojer, in Weißkirchen einer, kurz
wenn in allen Kasernen Soldatenselbstmorde auf der Tagesordnung
stehen, wenn sich der Soldat dazu entschließt, sein junges
Leben von sich zu werfen, dann werden es wohl andere Dinge gewesen
sein, die ihn dazu getrieben haben, als die Annehmlichkeiten,
die der Herr Landesverteidigungsminister so interessant für
die Soldaten zu schildern wußte. Erst in den letzten Tagen
hat sich in Troppau auf dem Übungsplatz ein Soldat erschossen,
der einen Tag vorher beim Kompagnierapport gestellt wurde, und
in den letzten Tagen hat sich in Brünn ein Soldat erhängt,
ebenfalls aus Furcht vor Strafe, so daß man wohl ruhig sagen
kann, der Herr Minister sollte sich nicht nur um die schönen
Einrichtungen kümmern, sondern auch die Ursachen der Soldatenselbstmorde
ergründen und prüfen, denn da würde er finden,
daß all das nicht zutrifft, was er von Annehmlichkeiten
zu erzählen wußte. Als Antwort auf seine Schilderungen
möchte ich dem Herrn Minister zwei Soldatenbriefe gegenüberstellen,
Soldatenbriefe, die so recht zeigen, was die Soldaten gegenwärtig
zu ertragen haben. Da schreibt ein Freund dem andern in einem
Brief, worin er das Leben der Soladten schildert (ète):
"Was hilft alles Klagen, hier gibt
es nur eins Maul und Schritt halten!" Was man die zwanzig
Tage, die wir hier sind, schon erlebt hat, das läßt
sich nicht aufschreiben. Für geringe Vergehen gibt es gleich
eine Reihe von Strafen. Am Dienstag Abend beim Menageholen fällt
es einem Rottmister ein, daß wir angeblich nicht in Ordnung
und Ruhe angetreten sind. Sofort mußte die ganze Rotte im
Kassernhof antreten und 3/4 Stunden exerzieren. Einer hatte sich
beim Antreten verspätet. Dafür mußte er fünfzehnmal
um den Kassernhof laufen und sich alle zehn Schritte in den Dreck
legen. (Výkøiky nìm. soc. demokratických
poslancù.) Oder: Es ist 9 Uhr abends.
Alles liegt auf dem Cavalet. Die Schuhe stehen unter dem Bett.
Da kommt der Rottmister nachschauen, ob alles in Ordnung sei und
dabei wirft er 10 Paar Schuhe zum Fenster hinaus, weil angeblich
Dreck auf den Sohlen war. Am Exerzierplatz werden wir betitelt.
"Ochs", "Rindvieh", "ich spuck Ihnen
ins Gesicht!"
Das ist die gute Behandlung, von der der Landesverteidigungsminister
spricht, das sind Soldaten, die eingerückt sind und dabei
gleich einen angenehmen Begriff vom militärischen Dasein
bekommen. Da darf es einen nicht wundern, wenn bei diesem angenehmen
Soldatendasein Briefe an die Eltern geschrieben werden wie der
folgende (ète): "Liebe
Mutter! Ich muß mitteilen, daß ich jetzt wie ein Fremdenlegionär
behandelt werde. Ich habe mich schon über alles hinweggesetzt,
mag es kommen wie es will, alles ist gleich, es kann mich nur
noch mein Leben kosten. Wenn Ihr wüstet und sehen würdet,
wie es uns hier geht, würdet Ihr die Hände über
dem Kopf zusammenschlagen. Aber ich muß es mit Geduld tragen,
denn ich werde so nicht 18 Monate dienen, weil ich sie nicht aushalten
kann. Ich bin schon so herunter, daß ich mich kaum noch
aufrecht erhalten kann. Ich habe es Euch schon im letzten Brief
geschrieben, daß meine Tage gezählt sind und ich warte
nur noch auf mein Gesuch, wenn das nicht eintrifft, bin ich nicht
mehr zu retten, ich gehe dorthin, wohin mein Kollege" - es
wird der Name genannt "gegangen ist." Das ist der Schmerzensschrei
eines Soldaten über die Quälereien und Sekaturen, die
sie zu erdulden haben. Und da kommt der Landesverteidigungsminister
und erzählt von Einrichtungen, Klublokalen, Kinos, Spielplätzen,
so daß man förmlich verleitet wäre auszurufen,
"Oh welche Lust Soldat zu sein", wenn nicht die nackte
Wirklichkeit eine andere Sprache reden würde.
Aber nicht nur die Pflege und Sorge der Mannschaft
ist anders, als dargestellt wird, nicht nur die scheinbare Herabsetzung
der Militärlasten ist ein Beweis, daß man in Wirklichen
gar nicht daran denkt, die Abrüstungspolitik im Staate einzuleiten,
sondern die Militaristen dieses Staates sowie ein Teil der politischen
und vor allem der Koalitionsparteien haben noch mehr Wünsche.
Sie haben im Staatsvoranschlag diese Wünsche aufgezählt
und brennen schon darauf, daß sie verwirklicht werden. Sie
verlangen vor allem ein Gesetz, durch welches einige Bestimmungen
im militärischen Disziplinar- und Strafrecht geändert
werden sollen. Es soll die Kommandogewalt noch verstärkt
werden, so daß die Leiden der Mannschaften noch größer
werden, als es heute der Fall ist. Man verlangt weiter ein Gesetz
über die Beibehaltung der 18monatigen Dienstzeit, während
jetzt gesetzlich die 14monatige Dienstzeit festgelegt ist. Man
begründet diese Forderung als eine Staatsnotwendigkeit, während
der militärische Protektor dieses Staates, Frankreich, daran
geht, die 12monatige Dienstzeit einzuführen. Es ist weiter
ein Gesetz in Vorbereitung, das die Unterbringung der längerdienenden
Unteroffiziere vorsieht. Es ist das Wiederaufleben des österreichischen
Zertifikatistengesetzes, das die Revolutionsversammlung dieses
Staates als erstes Gesetz abgeschafft hat. Ein weiteres Gesetz
über Wehrvorbereitungen, worunter - und das möchte ich
zum Schlusse betonen - sich die Einführung der vormilitärischen
Erziehung verbirgt. Es soll der Feldwebel als Erzieher der Jugend
Verwendung finden in einer Zeit, wo die ganze gesittete Welt eine
systematische Propaganda gegen den Krieg und das Waffenhandwerk
betreibt. Die provisorischen Wehrvorschriften sollen durch definitive
ersetzt werden, indem eine kürzere Dienstzeit für die
Söhne der Reichen und eine 8wöchige Dienstzeit für
die Bauernsöhne als Kaufpreis für die Regierungstreue
der Landbündler und Christlichsozialen festgelegt werden
sollen. (Výkøiky na levici.) Wir
protestieren heute schon gegen diesen versteckten Plan
und erklären, daß die Militärpolitik in einem
so kleinen Staate wie die Èechoslovakei ein heller Wahnsinn
ist und daß dem Staate und seiner Entwicklung nur eine ausgesprochene
unzweideutige Friedenspolitik dienlich sein kann. (Potlesk
nìm. soc. demokratických poslancù.)
hat in seiner Regierungserklärung u. a.
wieder einmal ein Hohelied auf die in diesem Staate herrschende
Demokratie angestimmt und verkündet, daß diese Demokratie
vor keiner schwierigen Frage haltmachte, ja daß sogar mit
Entschlossenheit an die Lösung weiterer Probleme geschritten
werden wird. Wenn wir aber die bestehenden Zustände in diesem
Staate betrachten, so wird uns sofort klar, daß die Worte
des Herrn Ministerpräsidenten nur Phrasen sind. In keinem
anderem Staate wird mit der Demokratie so Schindluder getrieben,
als in unserem, denn im Namen dieser Demokratie werden hier die
reaktionärsten Anschläge verübt und die schmählichsten
Unterdrückungsmethoden in wirtschaftlichen, politischen,
sozialen und nationalen Fragen gesetzlich sanktioniert.
Es wird wahrscheinlich von dieser Regierung
als vollkommen demokratisch empfunden, daß in einer Zeit
der ärgsten Wirtschaftskrise, in einer Zeit, wo tausende
Arbeiter durch Arbeitslosigkeit, Kurzarbeit und Feierschichten
immer tiefer im Elende versinken, daß in einer solchen Zeit
die Lebenslage dieser Menschen durch die Auswirkungen der Zollgesetze
bis zur Unerträglichkeit gesteigert wird. Die èechisch-deutsche
Bürgerregierung findet es anscheinend
auch ferner demokratisch, wenn sich der èechischnationale
Chauvinismus weiter austobt, daß weiter deutsche Arbeiter
und Angestellte brotlos gemacht und aufs Pflaster gesetzt werden,
wenn man weiter deutsche Schulen drosselt und dadurch unsere kulturelle
Entwicklung rücksichtslos unterbindet. Das nennt man Demokratie
in diesem Staate, der sich von Tag zu Tag immer mehr zu einem
polizeilichen Obrigkeitsstaat allererster Ordnung ausbaut, in
welchem die Bürokratie eine schrankenlose und brutale Herrschaft
aufrichtet.
Vor lauter Demokratie ist man noch nicht dazu
gekommen, endlich einmal an die Reform unseres total veralteten
Verwaltungssystems zu schreiten ja, wir sehen, daß man eifrig
darangeht, dieses System so zentralistisch als nur möglich
zu gestalten, um die Macht der Bürokratie zu erhöhen
und zu verankern. Die Selbstverwaltung, die uns Masaryk als
das Wesen der wahren Demokratie erklärte, wird systematisch
abgebaut. Statt freigewählter Körperschaften haben wir
ernannte Landes- und Bezirksverwaltungskommissionen und man beabsichtigt
sogar, derartige Kommissionen auch für die Bezirkskrankenversicherungsanstalten
zu ernennen, sowie man die Leitung der Zentralstelle der Sozialversicherung
ohne Rücksicht auf die anderen Nationalitäten besetzt
hat. Wir verlangen, daß doch endlich die Wahlen für
diese Körperschaften angeordnet werden.
Das im Jahre 1920 geschaffene Gesetz über
die Gau- und Bezirksämter, das uns weder in demokratischer
noch in nationaler Hinsicht befriedigt und nur ein Surrogat einer
Selbstverwaltung darstellt, wurde zwar in der Slowakei durchgeführt,
bei uns aber wird das Inkrafttreten dieses Gesetzes absichtlich
sabotiert. Wir sind jetzt schon soweit, daß der Herr Innenminister
erklärte, es werde das Gaugesetz in der jetzigen Fassung
bei uns überhaupt nicht durchgeführt, weil angeblich
die eingeteilten Gaue zu klein und infolgedessen finanziell nicht
leistungsfähig seien. Damit ist der Grund gegeben, um die
schüchternen Ansätze von nationaler Selbstverwaltung
auszutilgen. In der Slovakei, wo die Gaue kleiner sind
als bei uns, wird von einer finanziellen Leistungsunfähigkeit
nicht gesprochen. In Wirklichkeit wird das Gaugesetz bei uns aus
nationalen Gründen fallen gelassen. Die zwei deutschen Gaue
Karlsbad und Böhm. Leipa sind dem èechischnationalen
Chauvinismus noch zuwider, deshalb müssen sie verschwinden
und in èechische Gaue eingegliedert werden. Dagegen wenden
wir uns auf das entschiedenste. Die Schaffung derartiger Gaugebilde
bedeutet nicht nur eine weitere Entrechtung der Deutschen, sondern
bedroht auch die Arbeiterschaft, die dadurch in ihren sozialen
und kulturellen Bedürfnissen geschädigt wird. Es bedeutet
aber auch einen unverschämten Raub des letzten Restes nationaler
Autonomie, der nun durch die beabsichtigte Neuregelung der Finanzwirtschaft
der autonomen Körperschaften die Krönung finden soll.
Und das alles machen die deutschen Landbündler, Gewerbeparteiler
und Christlichsoziallen, die jetzt in der Regierung sitzen, widerspruchlos
mit. Freilich, seit diese Herrschaften an der Regierungskrippe
sitzen und zum Gotte "Nimm" beten, ist die Zeit vergessen,
wo sie hier die heftigsten Anklagen gegen dieses fluchwürdige
System erhoben haben. Sie haben aus Liebe zum Geldsack ihr wahres
Christentum und ihren wahren Nationalismus verschachert. Ohne
jedwede nationale Konzession leisten diese strammen Deutschen
der Regierung Henkerdienste. So wird die nationale Selbstverwaltung
auch mit Hilfe der deutschen Regierungsparteien stranguliert,
und die Macht der reaktionären, volksfremden Bürokratie
in die Hände gespielt. Was sich diese dreimalgeheiligte Bürokratie
an Übermut in diesem Staate leistet, stellt oftmals die vormärzliche
Zeit tief in den Schatten.