Die Phrasen über die Zusammenarbeit der
Nationen, die angeblich durch diese Regierung verkörpert
werden soll, sind selbstverständlich nicht ernst zu nehmen,
diese Phrasen haben nur die Aufgabe, den wirklichen Inhalt der
Regierungspolitik zu verschleiern, nämlich die kapitalistische
Profitpolitik. Wir haben hier einen Beweis für diesen Charakter
der Politik der Regierung auch in den Worten, die Herr Ministerpräsident
Švehla in seiner Regierungserklärung über
die Krise verlor. Der Herr Ministerpräsident hat uns versprochen,
daß die Regierung die Krise studieren werde. An und für
sich wäre dieser Satz nur lächerlich, denn es ist einfach
lächerlich, wenn die Regierung in einer Zeit, wo sich die
Wirtschaftskrise von Tag zu Tag verschärft, wo sich der Hunger
in der Arbeiterklasse immer mehr verbreitet, wenn die Regierung
in dieser Zeit der rasch vorwärtsschreitenden Krise ankündigt,
daß sie die Krise studieren wolle. Aber der wirkliche Sinn
dieses Satzes besteht darin, daß die Regierung nicht imstande
ist, etwas Positives gegen die Krise zu unternehmen, weil diese
Krise nicht nur mit eine Folge der Politik der allnationalen Regierungskoalition
und zum guten Teil auch der heutigen Regierung, d. h. ihrer Mehrheit,
die bereits im Frühling in diesem Hause aufgerichtet wurde,
ist, sondern weil diese Krise und ihre Verschärfung direkt
ein Rechnungsposten in der Politik dieser neuen Regierung ist.
Denn die Arbeitslosigkeit und der Hunger sollen ja das Mittel
sein, um die Arbeiter niederzuzwingen, sie niederzuschlagen und
ihnen die Stabilisierungsmaßnahmen, die diese Regierung
plant, aufzuzwingen. Daß diese Regierungsmehrheit auch nicht
die geringste Maßnahme zur Linderung der Krise durchzuführen
gedenkt, haben wir ja von dieser Stelle aus dem Munde des Herrn
Dr. Viškovský gehört, des Sprechers
der èechischen Agrarier, der über die Anerkennung
der Sowjetregierung sprach. Herr Viškovský
hat uns hier erläutert, daß
diese Regierung wohl eventuell geneigt wäre, die Sowjetregierung
de jure anzuerkennen, daß sie aber abwarten wolle, also
gewissermaßen politische Bedingungen stellen wolle. Das
ist natürlich kein ernstlicher Angriff gegen die Sowjetregierung,
denn die Sowjetregierung ist auf die Anerkennung durch die Èechoslovakei
und durch die èechisch-deutsche bürgerliche Koalition
wirklich nicht angewiesen, es handelt
sich vielmehr um einschneidende Maßnahmen gegen die Wirtschaftskrise,
gegen die Absatzkrise der èechoslovakischen Industrie,
deren Notwendigkeit auch von kapitalistischer Seite eingesehen
wird. Indem diese Regierung laut Erklärung
des Herrn Viškovský nicht gewillt ist, eine
Anerkennung der Sowjetregierung durchzuführen und damit normale
politische und Handelsbeziehungen mit Sowjetrußland herzustellen,
erklärt die Regierung rundwegs, daß sie nicht in der
Lage ist, auch nur eine einzige wirksame Maßnahme gegen
die Krise, gegen die Arbeitslosigkeit durchzuführen, weil
eben die Krise und die Arbeitslosigkeit die Mittel sein sollen,
um die Arbeiterklasse niederzuringen. Die Regierungsparteien wissen
ganz gut, daß es sich in diesem Kampf jetzt darum handelt,
die ganze wirtschaftliche Macht des Kapitalismus und die ganze
politische Macht des Staates einzusetzen, um diese Politik durchzusetzen,
und die Regierungsparteien wissen genau so gut, und die Arbeiterparteien
sollten dies ebenso gut wissen, daß auf der anderen
Seite das Proletariat die Durchführung der Pläne dieser
deutsch-èechischen Regierungskoalition nur verhindern kann,
wenn es seine ganze wirtschaftliche und politische Macht als Klasse
in die Wegschale wirft. Aber wir sehen,
daß es noch gute Wege hat, bis das Proletariat so weit ist,
denn wir hören aus verschiedenen Reden und Artikeln der èechischen
Sozialisten, daß sie nicht gewillt sind, diese ganze Macht
des Proletariates gegen die heutige deutsch-èechische Regierungskoalition
einzusetzen, sondern daß sie die Spitze ihrer Oppositionsankündigungen
abstumpfen mit ihren Erklärungen, daß sie gegen diese
Regierungskoalition eine loyale Opposition durchführen wollen.
(Výkøiky posl. Wünsche.)
Das einzig Reale von den bisherigen Kundgebungen
der Regierung ist das, was uns der Herr Finanzminister Dr. Engliš
über das Budget, über die Staatsfinanzen vorgetragen
hat und das, was wir über die Steuerreformvorlage, die die
Regierung plant, bisher erfahren haben. Wir erinnern uns, daß,
als beinahe vor einem Jahr der Herr Minister Dr. Engliš
das Portefeuille des Finanzministers übernahm, er damals
als Minister auch von sozialistischer Seite begrüßt
wurde, mit der Begründung, daß er eine Autorität
auf dem Gebiete der Finanzwissenschaft sei, daß er imstande
sei, Ordnung in das Budget und in die Staatsfinanzen zu bringen.
So wurde sein Kommen damals begrüßt, von einem ganz
vagen allgemeinen Standpunkt, daß Ordnung in die Finanzwissenschaft
des Staates hineingebracht werden müsse. Wir haben die ersten
Schritte des Herrn Finanzministers beobachten können. Worin
bestanden sie? Erstens in der Zuckersteuererhöhung, zweitens
in der Vorlage über die Spiritussteuer und dann in der Vorlage
über die Verlängerung der verschiedenen Zuschläge
zu verschiedenen Steuern, sowie in einer absoluten Ablehnung jedweder
Ermäßigung der Einkommensteuer für die arbeitende
Klasse. Wir erinnern uns, wie unsere Anträge im Jänner
dieses Jahres in Bezug auf die Herabsetzung der direkten Steuerlasten
für die arbeitenden Klassen, in Bezug auf die Hinaufsetzung
des Existenzminimums usw. abgelehnt wurden und wie an Stelle dessen
Herr Finanzminister Dr. Engliš den bekannten Feldzug
gegen die Arbeiterklasse in der Form der Steuerabzüge von
dem Lohneinkommen durchführte, und wir erinnern uns leider
ebenso gut, daß wir die Hilfe der beiden sozialistischen
damaligen Regierungsparteien nicht fanden, daß sie damals
dem Herrn Finanzminister Dr. Engliš in diesem Bestreben
sekundierten und sich ebenfalls auf den Standpunkt stellten, daß
die Steuerlast der arbeitenden Klasse nicht im mindesten herabgesetzt
werden dürfe, und daß sie alle unsere eingebrachten
Anträge ablehnten. So hat damals für die ersten Schritte
seiner Steuer- und Finanzpolitik der Finanzminister Dr. Engliš
die Zustimmung der beiden sozialistischen Parteien gefunden und
was er uns heute vorlegt, ist nichts weiter als die logische Fortsetzung
der Politik, die er damals kurz nach seinem Amtsantritt inaugurierte.
Wir haben schon damals gesagt, daß wir dazu einen Finanzminister
vom wissenschaftlichen Range des Herrn Dr. Engliš
nicht gebraucht hätten, daß das, was er uns damals
bescherte, jeder x-beliebige Beèka oder
irgend ein anderer Kommis des Bankkapitals ebenfalls getroffen
hätte. Aber heute können wir schon zu einer andern Ansicht
kommen. Heute müssen wir der Tüchtigkeit des Herrn Finanzministers
alle Anerkennung zollen, denn was er uns hier in Bezug auf das
Budget vorgelegt bat, was er uns in Bezug auf die Steuerreform
ankündigt, das ist wirklich ein Meisterwerk, ist wirklich
ein Fortschritt in der ganzen Steuerpolitik dieses Staates, ist
ein Meisterwerk gegen die Stümperei des Herrn Beèka
und der bisherigen Finanzminister. Aber
freilich, von welchem Gesichtspunkte ist es ein Meisterwerk? Dieses
Budget und diese Steuerreform sind ein Meisterwerk vom Gesichtspunkte
des Kapitalismus, sie sind ein Meisterwerk vom Gesichtspunkte
der Interessen der besitzenden Klassen und sie sind ein Meisterwerk
als Anschlag gegen die arbeitenden Klassen. Nicht nur das Budget,
sondern vor allem die angekündigte Steuerreform sind zugeschnitten
auf die Interessen der besitzenden Klassen und gegen die arbeitenden
Klassen. Und so haben wir wieder einmal eine glänzende Bestätigung
dessen, daß das, was sich in der heutigen bürgerlichen
Gesellschaft Wissenschaft nennt, nichts anderes ist als die Dirne
des Kapitalismus und vor allem die Finanzwissenschaft, die der
ganzen kapitalistischen Wirtschaft am nächsten steht. Und
diesen Dienst der Wissenschaft im Interesse des Kapitalismus,
diese Herabwürdigung der Wissenschaft zur Dirne des Kapitalismus
treibt Herr Dr. Engliš so weit als Finanzminister,
daß er sich sogar hinreißen läßt, uns hier
über die Krise, über die Arbeitslosigkeit und über
die Teuerung offenkundig Unwahrheiten vorzutragen, Dinge, die
mit den Tatsachen im. Wirtschaftsleben, im Leben der arbeitenden
Klassen in schroffem Widerspruch stehen. Er bringt uns Ziffern
über die Arbeitslosigkeit vor, die den Tatsachen ins Gesicht
schlagen, er bringt uns Ansichten über die Krise, wie daß
wir den Höhepunkt der Krise angeblich überschritten
hätten, wo doch von Tag zu Tag Hunderte und Tausende von
Arbeitern aufs Pflaster geworfen werden. Er bringt uns Ziffern
über die Teuerung vor, während die Erfahrung des täglichen
Lebens uns zeigt, daß die Teuerung immer schlimmere Dimensionen
annimmt. Und was die Liebedienerei dieser Wissenschaft gegenüber
den besitzenden Klassen anbelangt, sehen wir, daß sie sogar
in sein Konzept ihre Schatten wirft. Ich verweise z. B. nur auf
die Bestimmungen in dem neuen Steuergesetz, in der sogenannten
Steuerreform, über die Grundsteuer. Die wissenschaftliche
Überzeugung des Herrn Dr. Engliš müßte
ihm selbstverständlich klar und deutlich sagen, daß
die heutige Form der Vorschreibung der Grundsteuer durchaus veraltet
ist, daß hier eine Reform notwendig wäre, aber der
Einspruch der Agrarier hat es zustande gebracht, daß Herr
Dr. Engliš in dieses sein Reformwerk die Grundsteuer
in ihrer alten Form der Bemessung auf Grund des Katastralreinertrages
hineingenommen hat. Das Diktat der Agrarier ist auch hier für
den Wissenschaftler maßgebend. Darüber dürfen
wir uns selbstverständlich nicht wundern, denn hier handelt
es sich um Fragen, die nicht Fragen der Wissenschaft sind, nicht
Fragen der gegenseitigen Überzeugung mit Argumenten, sondern
hier handelt es sich um ausgesprochene Fragen des Klasseninteresses,
und das sind nicht Fragen der Wissenschaft, nicht Fragen der Diskussion,
sondern Machtfragen, so wie alle wirtschaftlichen und politischen
Fragen in dieser Gesellschaft pure Machtfragen sind. Bei dieser
Gelegenheit möchte darauf hingewiesen werden, daß von
demselben Gesichtspunkte aus die andern Fragen beurteilt werden
müssen, wie die Frage der Rationalisierung, die Frage der
Zoll- und Handelspolitik oder die Frage des Bankenkredits. Und
alle diese Fragen, wenn sie angeschnitten werden in der Öffentlichkeit
und wir die großen Auseinandersetzungen lesen - Auseinandersetzungen,
in denen sich auch Arbeiterblätter und Funktionäre der
Arbeiterbewegung bemühen darzulegen, wie heute ihre verschiedenen
Ideen über Rationalisierung, Handelspolitik usw. - wären,
so sehen wir auf der andern Seite, daß diese Argumentation
vollständig vergebens ist, weil es sich in jeder Frage um
Machtfragen handelt, Rationalisierung ist eine sehr schöne
Sache, die Rationalisierung der ganzen Produktionsorganisation
in jedem Betriebe. Aber wie stehen die Dinge heute? Die Dinge
stehen so, daß über die Art der Durchführung der
Rationalisierung und darüber, zu wessen Gunsten die Rationalisierung
ausschlägt, wem sie Profit und wem sie Schaden bringt, so
lange die Kapitalisten über die Produktion verfügen,
selbstverständlich diese auf Grund ihrer wirtschaftlichen
Macht entscheiden und jedwede Rationalisierung, die durchgeführt
wird, solange die Kapitalisten den Produktionsapparat in der Hand
haben, selbstverständlich eine Rationalisierung im Profitinteresse
der Kapitalisten sein wird und eine Rationalisierung, die den
Arbeitern eine Verschlechterung ihrer Arbeitsbedingungen, eine
Herabdrückung ihrer Lebenslage bringten wird. Wir haben auf
der anderen Seite eine Zollund Handelspolitik, aber gerade, ohne
daß wir uns über dieses Thema sehr verbreiten müßten,
gerade die heutige Äußerung des Herrn Dr. Viškovský
über die Anerkennung der Sovjetunion zeigt uns deutlich,
daß die besitzenden Klassen diese Frage von ihrem rein politischen
Klasseninteresse aus beurteilen und auch in dieser Frage, bei
der der bejahende Standpunkt, nämlich einfach die Anerkennung,
Herstellung normaler politischer und Handelsbeziehungen so klar
auf der Hand lag, sehen wir, daß sie nicht imstande sind,
diese Frage zu bejahen, nicht vom Gesichtspunkt ihrer wirtschaftlichen
Einsicht, weil sie vielleicht zu dumm wären, um das einzusehen,
sondern weil ihr politisches Interesse dem entgegensteht. Wir
haben hier mit der Frage der Rationalisierung auch die Frage der
Erneuerung unseres Produktionsapparates angeschnitten, die Frage
der Verbesserung unseres Produktionsapparates. Auch das ist eine
schöne Sache theoretisch, aber wenn die Frage praktisch gestellt
wird, so sehen wir, daß ein großes Hindernis der Verwirklichung
all dieser Pläne die Frage des Bankkredites ist, die Diktatur
des Bankkapitals, das der Industrie die Kapitalien nur zu ungeheuer
hohem Zinsfuß und zu ungeheuer hohen Spesen hergibt, und
es ist wiederum eine Machtfrage: Wer ist imstande das Bankkapital
zu zwingen, der Industrie billige Kredite zu geben, wer ist imstande
die Diktatur des Bankkapitals und die Diktatur des Finanzkapitals
zu brechen? Was die Frage der Zoll- und Handelspolitik anlangt,
so sehen wir auf der einen Seite, daß es unsere Kapitalisten
ausgezeichnet verstehen, auch von den Schattenseiten der Zoll-
und Handelspolitik zu profitieren, wir sehen, wie unsere Kapitalisten,
wenn sie nicht imstande sind, am Export unserer Industrieprodukte
nach Jugoslavien und nach Ungarn zu verdienen, einfach nach Jugoslavien
und Ungarn gehen und ihr Kapital dort investieren bei der Errichtung
von Betrieben, die die Konkurrenz der dortigen Industrie gegen
die unsere wieder verschärft. Und wer will sie, diese Kapitalisten
zwingen zu einer vernünftigeren, wie man sagt, Zoll- und
Handelspolitik, wenn ihr Interesse verknüpft ist mit dem
Aufkommen, dem Gedeihen, den Profiten von Unternehmungen, die
von unserer schlechten Handelspolitik leben? Und wenn wir in der
letzten Zeit Vorstöße von Seite des Großkapitals
gegen diese Zoll- und Handelspolitik erleben, Vorstöße
in der Richtung einer Beseitigung all dieser Zollschranken, Vorstöße
in der Richtung einer Inaugurierung der Freihandelspolitik, bis
zur Forderung der vereinigten Staaten Europas - vom wirtschaftlichen
Gesichtspunkte gesehen, ohne Zollschranken, so sehen wir, daß,
bevor noch die ersten Schritte zur Verwirklichung dieser Idee
gemacht wurden, das Großkapital, das schwerindustrielle
Kapital bereits Vorbereitungen getroffen hat, durch Bildung gewaltiger
Eisentrusts, um auch, wenn dieses Ziel erreicht würde, es
zu benützen, die neuen wirtschaftlichen Machtverhältnisse
in Europa zu benützen, um die ganze Produktion zu monopolisieren.
Wenn jetzt in einem Manifest, das heute veröffentlicht wurde,
ausgerechnet die Vertreter des internationalen Bankkapitals sich
für den Freihandel einsetzen, so zeigt das klar und deutlich,
daß diese Frage ebenfalls nicht gelöst wird vom Standpunkt
irgendwelcher unvernünftigen oder vernünftigen Handelspolitik,
daß bei der Beibehaltung der bestehenden wirtschaftlichen
und politischen Machtverhältnisse selbstverständlich
das Großkapital imstande sein wird, auch wenn dieses Ziel,
das sich die verschiedenen Ideologen setzen die Vereinigten Staaten
von Europa mit der Beseitigung der Zollschranken - verwirklicht
würde, in diesen Tagen schon das Großkapital gerüstet
wäre und die Verwirklichung dieses Zieles nicht den Arbeitern,
sondern nur dem Großkapital Vorteil bringen würde.
Die Bourgeoisie bei uns weiß ganz gut, daß
es sich hier um keine wissenschaftlichen Fragen handelt, sondern
um Fragen des Klasseninteresses, um Machtfragen und aus diesem
Grunde hat die deutsche und èechische Bourgeoisie ihren
Interessenzusammenschluß in dieser Regierungsmehrheit und
in dieser Regierungskoalition vollzogen. Mit der Frage des Zusammenlebens
der Nationen in diesem Staate hat selbstverständlich diese
deutschèechische Regierungskoalition nicht das mindeste
zu tun. Es ist eine Frage des Zusammenlebens der Bourgeoisien
in diesem Staate. Die èechische
Bourgeoisie ist zu schwach, um die jetzige Periode der Stabilisierungspolitik
aus eigener Kraft zu einem erfolgreichen Ende für den Kapitalismus
zu führen, und deshalb war sie gezwungen, die Bourgeoisien
der anderen Nationen zur Mithilfe heranzuziehen.
Dabei haben selbstverständlich auch internationale Rücksichten,
wie z. B. des Staatskredits usw. eine Rolle gespielt. Die deutsche
Bourgeoisie ist selbstverständlich mit Freude auf dieses
Angebot, auf diese Möglichkeit zur Zusammenarbeit
mit der èechischen Bourgeoisie eingegangen. Es hieß
der deutschen Bourgeoisie in ihrer Argumentation zu viel Recht
geben wenn man sagen wollte, daß dieser Schritt in irgendeinem
scharfen Gegensatz zur bisherigen Politik der deutschen Bourgeoisie
stand. Wir wissen, nach dem Umsturz hat die
deutsche Bourgeoisie ebenfalls das Losungswort vom Selbstbestimmungsrecht
aufgegriffen, aber wir wissen ebenso gut, daß die deutsche
Bourgeoisie bis zum Umsturz vom Selbstbestimmungsrecht nie etwas
wissen wollte, daß die deutsche Bourgeoisie immer auf Seite
einer Politik der Vergewaltigung anderer Nationen stand. Wir kennen
die Kriegsziele, die die deutsche Bourgeoisie draußen im
Reiche und hier im alten Österreich aufstellte. Diese Kriegsziele
sprachen eine sehr deutliche Sprache. Es ist klar, warum die deutsche
Bourgeoisie mit dem Selbstbestimmungsrecht erst kam, nachdem ihre
ganzen Kriegspläne zusammengebrochen waren, die Losung war
für die deutsche Bourgeoisie nur eine Notwehrlüge und
die deutschen Kapitalisten haben diese Lösung nie
ernst genommen. Sie haben von allem Anfang an nach Gründung
dieses Staates ihren wirtschaftlichen Ausgleich mit der èechischen
Bourgeoisie und mit dem èechischen Staate vorbereitet.
Von Schritt zu Schritt haben die deutschen Kapitalisten
ihr Zusammenarbeiten auf wirtschaftlichem Gebiet mit den Èechen
beschlossen, mit den èechischen Kapitalisten organisiert,
so weit organisiert, daß wir heute von einer schroffen Abgrenzung
des deutschen und èechischen Kapitals überhaupt nicht
sprechen können, daß heute
die Grenzen zwischen deutschem und èechischem Kapital verwischt
sind. Die èechischen Agrarier, wie überhaupt die Agrarier
in diesem Staate haben es ebenfalls verstanden, die wirtschaftliche
Zusammenarbeit zu organisieren. Ich verweise auf
den Zusammenschluß der èechischen und deutschen
agrarischen Wirtschaftsgenossenschaften und was das Politische
anlangt, so haben wir deutlich genug gesehen, daß die deutsche
Bourgeoisie schon in den Jahren 1918 und 1919, in jedem Falle,
wo ihr die deutsche Arbeiterschaft auf
die Kappe stieg, nach der èechischen Staatsgewalt gerufen
hat. Die deutsche Bourgeoisie hat sich immer mit der èechischen
Staatsmacht ausgesöhnt, wenn sie diese èechische Staatsmacht
gegen deutsche Arbeiter brauchte. Ich erinnere nur z.
B. an den Dezember 1920, wo alle deutschen Partei en sich in diesem
großen Kampfe auf die Seite des èechischen Staates,
auf die Seite der allèechischen Koalition gestellt haben.
Ich erinnere an das Jahr 1923, wo die deutschen Parteien den Widerstand
gegen die Annahme des Gesetzes zum Schutze
der Republik in diesem Hause vollständig aufgegeben haben.
Ich erinnere an das Jahr 1924, wo der parlamentarische Zusammenschluß
der deutschen Parteien in der Zeit der Budgetberatung ebenfalls
durchgeführt wurde, aber nicht um den Kampf gegen
diesen Staat und gegen dieses System zu führen, sondern,
wie dies seinerzeit der Karlsbader "Volkswille" behauptet
hat, nur, damit für den Fall des Zerfalles der allnationalen
èechischen Regierungskoalition ein einheitlicher deutscher
Faktor da sei, um die Verhandlungen zur Bildung einer neuen Regierungskoalition
aufzunehmen. Daher kann das, was die deutschen Agrarier und die
deutschen Christlichsozialen heute durch den Eintritt in die Regierungsmehrheit
und in die Regierung selbst getan haben, für uns selbstverständlich
keine Überraschung sein. Kann es denn eine Überraschung
von unserem Standpunkte des revolutionären, des proletarischen
Klassenkampfes, kann es etwas neues sein, wenn sich die Tatsache
so deutlich zeigt, daß die Bourgeoisie ihr Klasseninteresse
über alles stellt, über alle ihre sonstigen politischen
Losungen? Daher sollen wir uns nicht überrascht zeigen und
nicht in diesem Punkte Anklagen erheben, wir sollen über
etwas anderes nachdenken, darüber, daß das unangenehme
bei der ganzen Sache nur ist, daß wir uns überraschen
ließen und daß nicht alle Arbeiterparteien in demselben
Tempo wie die bürgerlichen Parteien an dem Abbau, an der
Beseitigung und Überwindung der nationalen Gegensätze
gearbeitet haben, und in der Richtung zum internationalen Zusammenschluß
gemeinsam vorgegangen sind. Der größte Fehler ist,
daß die bürgerlichen Parteien dem größten
Teil der Arbeiterparteien in der Überwindung dieser nationalen
Gegensätze und in der Erzielung eines internationalen Zusammenwirkens
im Klasseninteresse der Bourgeoisie zuvorgekommen sind. Jede Regierung,
die jetzt gebildet wird, jede Regierung, die in dieser Zeit auf
dem Boden des kapitalistischen Systems und des kapitalistischen
Staates steht, kann nur eine Regierung der politischen und der
wirtschaftlichen Reaktion sein, weil anders als durch die Angriffe
gegen die arbeitende Klasse, anders als durch die Herabsetzung
der Lebenslage der arbeitenden Massen, anders als durch die Aufrichtung
eines Regimes gegen die arbeitenden Klassen, die Durchführung
der Stabilisierung dieses kapitalistischen Systems nicht möglich
ist. Und dürfen wir uns wundern, wenn in einer Zeit, wo die
bürgerlichen Politiker die schärfste wirtschaftliche
und politische Reaktion verlangen, daß wir ausgerechnet
in dieser Zeit die deutsche Bourgeoisie in die Regierung eintreten
sehen? Diese deutsche Bourgeoisie, die, ich möchte sagen,
die klassische Klasse der Reaktion ist, die deutsche Bourgeoisie,
die, von einigen Episoden, die sehr kurz waren, abgesehen, immer
in Europa seit Jahrzehnten das festeste Bollwerk der politischen
und wirtschaftlichen Reaktion gewesen ist und noch ist.
Wir sehen auch, daß mit dem Augenblick,
wo die deutschen Minister in die Regierung eingetreten sind, wo
die deutschen Parteien in die Regierungsmehrheit eintraten, wir
die wirtschaftliche und politische Reaktion sofort zu spüren
bekamen. Und ich meine damit nicht nur die Zollpolitik als Zeichen
der wirtschaftlichen Reaktion. In diesem Punkte ist die deutsche
Bourgeoisie ja nur den Traditionen ihrer Politik in den Neunzigerjahren
in Deutschland treu geblieben. Im letzten Jahrzehnt des vorigen
Jahrhunderts und im ersten Jahrzehnt dieses Jahrhunderts stand
die deutsche Bourgeoisie stets an der Spitze der wirtschaftlichen
Reaktion, stets an der Spitze der Hochschutzzollpolitik. Ich meine
damit auch nicht nur die kulturelle Reaktion und hier soll man
auch das eine nicht vergessen, daß diese kulturelle Reaktion
in der Kongruavorlage doch nur in der Erhöhung der Ziffern
zum Ausdruck kam. Der Umstand, daß die Kongrua aus
den Steuergeldern der Staatsbürger für die Kirche gezahlt
werden muß, ist ein Erbe der allnationalen èechischen
Koalition. Weder bei uns in der allnationalen Regierungskoalition,
noch in Deutschland, noch in Österreich hat man den
Mut gefunden, die Trennung der Kirche vom Staate durchzuführen.