Hohes Haus! Mitten in schwerster wirtschaftlicher
Situation, mitten im größten Notstand der arbeitenden
Bevölkerung hat das Parlament seine Arbeiten wieder aufgenommen,
hat es die Verhandlung der Programmerklärung der neuen Regierung,
hat es die Beratung der von den sozialistischen Parteien zur Wirtschaftskrise
überreichten Interpellationen begonnen. Der Auftakt, den
die Regierung zu diesen Beratungen gab, war mehr als kläglich.
Er zeigt nicht nur, daß die neue Regierung nicht auf der
Höhe ihrer Aufgaben stehe, sondern daß sie sich als
Exponent der besitzenden Klassen, der besitzenden Klassen aller
Nationen, fühle, und gar nicht den Willen habe, ernste Maßnahmen
zur Linderung des Notstandes vorzukehren und gemeinsam mit dem
Parlamente an der Abwehr der sich mit jedem Tage verschärfenden
Krise und ihrer Auswirkungen zu arbeiten. Mit einem großen
Wortschwall von glühenden demokratischen Beteuerungen, von
süßlichen Verständigungsverheissungen, die das
Brandmal einer geradezu gewalttätigen Vergangenheit an sich
tragen, widmet die Regierungserklärung der Wirtschaftsnot
der arbeitenden Menschen, der Feststellung, der Untersuchung,
den Abwehrmaßnahmen der Krise sage und schreibe einen einzigen
Satz, sage und schreibe 55 Worte. Das ist alles, was die neue
Regierung den im Elend dahinlebenden Arbeitermassen zu bieten
hat. So beschaffen ist die der Arbeiterklasse überreichte
Visitkarte des neuen Systems, das schon in seiner Zusammensetzung
alle Merkmale der Arbeiterfeindlichkeit aufzeigt und anscheinend
gar nicht daran denkt, diesen sozial reaktionären Charakter
in seinen weiteren Lebensäußerungen zu verbergen. Darauf
wird sich die Arbeiterschaft aller Nationen einzurichten haben.
An späterer Stelle meiner Darlegungen
werde ich mich noch mit den die Wirtschaftsnot der arbeitenden
Menschen betreffenden Fragen ausführlicher beschäftigen,
vorerst aber will ich mich einigen Betrachtungen über die
neue Regierungskoalition und über ihr Programm zuwenden.
Die Neukonstituierung der Regierung brachte zweifellos eine große
politische Sensation. Deutsche Minister in einem èechoslovakischen
Kabinet, das ist wirklich ein Ereignis, das selbst alle großen
politischen Sensationen und Affairen, an denen die èechoslovakische
Politik gerade in der letzten Zeit so überreich gewesen ist,
in den Schatten stellt und an Bedeutung weit
überragt. Das empfinden nicht nur jene Kreise, die infolge
oberflächlicher Betrachtung der Dinge diese Möglichkeit
auf Jahre hinaus für vollkommen ausgeschlossen gehalten haben,
sondern auch jene, die diese Entwicklung vorausgesehen und immer
vorausgesagt haben. Wir zählen uns zu dieser Gruppe. Von
der ersten Stunde an, sofort nach Konstituierung dieses Staates
haben wir bei der Prognose, die wir diesem Lande gestellt haben,
diese Entwicklung als die von selbst gegebene, als die natürliche
und zwangsläufige bezeichnet, Schon damals haben wir diese
Erkenntnis förmlich zum Angelpunkt unserer Politik gemacht
und auf ihre Verwirklichung alle unsere Hoffnungen gesetzt, dies
alles zu einer Zeit, da derlei Gedankengänge noch als
phantastisch bezeichnet, in das Gebiet des politischen Wolkenkuckuckheims
verwiesen, von höchster staatsmännischer Warte herab
mit einer verächtlichem Geste abgetan, belächelt und
bespöttelt wurden. Sosehr hatte sich die Fiktion vom èechoslovakischen
Nationalstaate, sosehr die Idee der
allnationalen Koalition, als der einzigen möglichen Regierungsform
in den Hirnen der Führer dieses Staates und eines großen
Teiles der èechoslovakischen Bevölkerung verankert,
daß schon der bloße Gedanke an andere Regierungsmöglichkeiten
nicht nur als Phantom bezeichnet, sondern als ketzerisch gescharfrichtert,
als hochverräterisch gebrandmarkt wurde. Allerdings, sosehr
die neuen Ereignisse ganz in der Linie der natürlichen Entwicklung
liegen, niemand, Švehla und Spina mit eingeschlossen,
konnten es ahnen, daß sich die große Wendung so rasch
vollziehen, daß sie so unvermittelt, daß sie so hemmungslos
vor sich gehen, daß sie förmlich über Nacht die
ganze Vergangenheit der deutsch-bürgerlichen aktivistischen
Politik Lügen strafen und drei deutsch-bürgerliche Parteien
ganz ohne jedes wirkliche Zugeständnis mitten aus der schärfsten
Opposition heraus in einem Sprunge in das Regierungslager führen
wird, der einem Saltomortale verdammt ähnlich sieht. Darum
mußte alle Welt, die auch in der Politik noch immer auf
Grundsätze hält, die noch immer etwas auf feierliche
Erklärungen und eidliche Schwüre gibt, die den Egerer
Eidschwur, die beiden deutsch-bürgerlichen Staatsrechtserklärungen,
die deutsch-bürgerliche Ministeranklage, das deutsch-bürgerliche
Misstrauensvotum noch immer nicht vergessen hat, geradezu aus
den Wolken fallen, als förmlich über Nacht die deutsch-èechische
Regierung da war, fix und fertig, dem staatsmännischen Kopf
Švehlas entsprungen,
etwa so wie einst Pallas Athene in voller Rüstung
ganz plötzlich dem Haupt Zeus' entsprungen war. Nun steht
die èechoslovakische Regierung leibhaftig vor uns, sie
ist lebendige Wirklichkeit und mit ihr all das, was sich da plötzlich
vor unseren Augen in den Ministerstühlen tummelt. Damit
ist eine ganze Reihe von Legenden der èechoslovakischen
Staatspolitik und vielleicht die bedeutungsvollsten, so die Legende
von èechoslovakischen Nationalstaat und die Legende vom
allnationalen Regime als der einzig mögliche Regierungsform
erbarmungslos zerstört worden und
in Schutt aufgegangen. Jene aber, die für den Fall des Zusammenbruches
dieser Staatsideologie, des Zusammenbruches dieser zum èechoslovakischen
Staatsgötzen erhobenen Staatsmaxime den Untergang der Welt
prophezeiht, mit Feuer und Schwert,
Blutrache, Aufruhr, Rebellion und Fascismus gedroht haben, stehen
nun, da der Götze zerbrochen am Boden liegt, da die allnationale
Koalition in der Versenkung verschwunden ist und durch eine deutschèechische
Koalition abgelöst wurde, verdutzt und betroffen
da, reiben sich die Augen und machen, nachdem sie sich vom ersten
Schrecken erholt und fatalistisch mit den neuen Dingen abgefunden
haben, zum bösen Spiel gute Miene und leisten dem neuen Umschwung
prompt ihre Paten-dienste. "Ich kann mir, rief Dr. Kramáø
noch am 25. Juni des Vorjahres, "den freien èechischen
Staat ohne èechische Mehrheit nicht vorstellen." "Niemals,
nikdy," sagte er bei einem anderen Anlaß, "werden
wir die Teilnahme der Deutschen an der Regierung zulassen."
Nun, Dr. Kramáø hat sie
zugelassen, er hat selbst an der Vorbereitung dieser Regierung
mitgewirkt, er wird diese Regierung nicht nur nicht bekämpfen,
sondern ihr sogar seine Unterstützung leihen, und er denkt
gar nicht daran, ob der neuen Wendung Harakiri zu machen. Noch
am 23. Oktober 1925 rief er in einer Wischauer Versammlung
seinen Anhängern zu: "Wenn es dazu käme, daß
wir den Deutschen nachlaufen müßten, damit sie uns
regieren helfen, so wäre es um den èechischen Staat
geschehen." Und siehe da, die Deutschen helfen dem Dr Kramáø,
den èechischen Staat zu regieren. Er brauchte ihnen
allerdings nicht nachzulaufen, weil sie ihm zugelaufen sind. Aber,
die Deutschen regieren nun einmal mit, sie haben zwei Ministerfauteuils
besetzt und es ist nicht nur nicht um den freien èechischen
Staat geschehen, sondern er wird vielmehr,
wie aus der zwischen Kramáø und
Švehla vereinbarten Regierungserklärung hervorgeht,
als konsolidiert, als stabilisiert, als gesund, als pausbäckig
bezeichnet und die Regierung denkt allem Anscheine nach gar nicht
daran, zu abdizieren. So hat denn Dr Kramáø
auch mit dieser seiner Prognose Pech gehabt,
ebenso wie sein Kollege im Präsidium der nationaldemokratischen
Partei Sís, der für den Fall des Eintrittes der Deutschen
in die Regierung die Revolution verkündete mit dem Fascismus,
den er dann selbst als erster zu machen bereit war, drohte, während
er sich jetzt in den "Národní Listy",
die alle seine Drohungen mit großen Lettern plakatiert haben,
kramfhaft abmüht, nachzuweisen, daß es schließlich,
wenn auch schweren Herzens, doch mit der èechisch-deutschen
Mehrheit geht und daß man sich mit dieser traurigen Tatsache
abfinden müsse. So räumt die Geschichte unbarmherzig
mit allen Ideologien auf, die sich der natürlichen Entwicklung
entgegenstellen. So geht sie schonungslos über
sie hinweg. So verwandeln sich nationalistische Kraftworte und
blutige Drohungen in ganz simplen Theaterdonner, so bekommen berühmte
Worte wie das Kramáø'sche
"Nikdy" museale Bedeutung.
So gehen nationalistische Ideologien in leeren Dunst auf, so setzen
sich gewisse eiserne Tatsachen des Lebens ganz unerbittlich, über
allen Widerstand hinweg, durch und was nach all diesen Selbstverständlichkeiten
übrig bleibt, das ist bestenfalls die Pikanterie, die der
erste Anblick leibhaftiger deutscher Minister gewährt,
die man vielleicht noch eine gewisse Zeit als Wundertiere und
Exoten anstaunen wird, ebenso wie man im alten Österreich
sich erst an den Anblick der èechischem Minister Pražák,
Fiedler, Foøt, Kaizl, Randa und Rezek gewöhnen mußte,
bis man endlich fand, daß sie
alle in gebändigtem Zustand neben Prade, Marchet und Peschka
ganz gute Figur machen, daß sich Žáèek
mit Schreiner, Bráf mit Hochenburger, daß sich Trnka
mit Urban recht gut vertragen und ganz gut zusammenpassen. Es
ist dasselbe Bild, das sich auch hier
wieder aufs neue vor unseren Augen entrollt und das alte Wort
wahr macht, daß eben alles schon einmal dagewesen ist. So
ist es heute in der èechoslovakischen Politik, so war es
bereits vor vielen Jahrzehnten im alten Österreich, so war
es gestern und vorgestern und vor vielen Jahren
schon in den verschiedenen wirtschaftlichen Korporationen, in
den großen Unternehmerverbänden, in den Großbanken
und Aktiengesellschaften, in den industriellen Organisationen,
in den agrarischen Genossenschaftskorporationen, in den
diversen Zentrokooperativen, wo längst schon eine Zusammenarbeit
der deutschen kapitalistischen Kreise mit den èechischen
in Frieden und Freundschaft vor sich ging, während man sich
in der Politik noch tüchtig herumbalgte, nationalistische
Leidenschaften gegen einander entfesselte und
die "Volksgenossen" aller Stände zum Kampfe gegen
den "geschworenen "Erbfeind" aufrief. So ging das
Doppelspiel jahrzehntelang vor sich, bis man dann eines schönen
Tages fand, daß, da es gegen die Arbeiter und gegen den
Sozialismus geht, es das beste wäre, nun auch die politische
Maske fallen zu lassen und sich mit einander zu verbinden, um
sich auf Kosten der Arbeiter besser in die Macht teilen zu können.
Der naive Betrachter der Dinge mag darüber
staunen. Er mag vor den neuen Tatsachen wie vor einem großen
Wunder stehen, er mag sich vor diesen Tatsachen bekreuzigen, aber
es ist nun einmal so und nicht anders. Es ist der Geschichte ehernes
Muß. Die Arbeiterklasse versteht dies, sie läßt
sich durch derartige Tatsachen nicht verblüffen und nicht
verwirren, sie sieht die Entwicklung klar vor sich, sie richtet
sich darauf ein und sie bereitet darnach ihren Kampf vor.
Doch nicht allein die Legende von der allnationalen
Koalition wurde von den neuen Tatsachen, von der neuen Wendung
erbarmungslos zerstört, sondern auch eine ganze Reihe anderer
Legenden wurde durch sie über den Haufen geworfen.
Jahrzehntelang hat man die deutsche Bevölkerung
mit den Phrasen von der Volksgemeinschaft und Schicksalsgemeinschaft
genarrt, ihr das Schlagwort von der Sieghaftigkeit der nationalen
Idee, ihr die Lüge von der Überordnung der nationalen
Idee über das Klasseninteresse einzuimpfen, sie mit der Parole
von der nationalen Einheitsfront zu betören versucht, und
als wir dieser Lüge entgegentraten, wurden wir als
"die Söldlinge der Èechen", als die "Verräter
an der deutsch en Nation", als "Dolchstößler
gegen den sudetendeutschen Widerstandsgeist" verschrieen,
und es wurde uns zugerufen: "Die Sozialdemokratie müsse
vernichtet werden", sonst müßte
der Kampf der Deutschen an dem sozialdemokratischen Verrat zerschellen.
Hohes Haus! Das haben nicht nur die nationalen Extremisten getan,
sondern auch die Herren aus dem aktivistischen Lager, und hier
wieder nicht nur die deutschen Landbündler und Christlichsozialen,
sondern auch die Herren Nationalsozialisten, die damals den leidenschaftlichen
Kampf gegen uns veranstalteten, heute aber die Herren Spina
und Mayr-Harting zu pardonieren bereit sind und mit
ihnen ganz getrost im Deutschen Verbande weiter verbleiben.
Als wir die unmittelbar vor den letzten Wahlen
von den Landbündlern erlassene Einheitsfrontparole, die inzwischen
im Lodgman-Køepek prozeß als ganz gewöhnliche
Komödie entlarvt worden ist, ablehnten, riefen die Landbündler
uns zu, daß sich die Èechen glücklich schätzen
können, uns in ihrem Lager zu haben, uns, die man "mit
nassen Hadern schlagen könne, ohne auf Widerstand zu stoßen".
Damals schrieb die "Landpost" in ihrer Nummer vom 29.
Oktober 1925 wörtlich: "Die Affenliebe zur èechischen
Sozialdemokratie wird der internationalen deutschsprechenden
Sozialdemokratie sicherlich keinen Gewinn bringen, noch weniger
aber internationale Hoffnungen erfüllen." Hohes Haus!
Ein Jahr ist seither verstrichen. Aus der sozialdemokratischen
Affenliebe ist eine agrarische Affenliebe geworden, wie sie inbrünstiger
überhaupt nicht mehr gedacht werden kann. Allerdings, mein
lieber Bauer: agrarische Affenliebe, das ist etwas anderes!
In diesem Zusammenhange muß ich noch
eine zweite Reminiszenz auffrischen. Eineinhalb Jahre sind es
her, seitdem auf ein von der "Deutschen Landpost" am
27. Feber 1925 ausgegebenes Stichwort eine wüste, von allen
deutschbürgerlichen Parteien inszenierte Hetze gegen die
angebliche Ministerstreberei der deutschen Sozialdemokraten, gegen
unsere Partei losging. Ein bürgerliches Blatt schrieb
damals: "Die Herren Obergenossen dürfen sich die Stiefel
schmieren und nach einem Frackschneider Umschau halten, denn,
warte nur, balde kommt die Einberufungsorder in die èechische
Regierung." Hohes Haus, mit allen Hämmern
wurde damals von deutschbürgerlicher Seite auf uns losgeschlagen,
obwohl an den Behauptungen der "Deutschen Landpost"
nicht ein wahres Wort war. Doch es genügte schon die bloße
journalistische Verdächtigung, um uns vor dem deutschen Forum
in Anklage zu versetzen, zu einer Zeit, da man in landbündlerischen
Kreisen bereits gierig nach der Anteilnahme an der Macht gerufen
hatte. Heute sind die "Stiefel bereits geschmiert",
heute sind die Frackschneider bereits in Aktion. Heute sitzen
deutsche Minister bereits in Fauteuils oder - wie man sich in
deutschbürgerlichen Kreisen auszudrücken pflegt - "in
der Laube", aber, siehe da, es sind Minister aus einem andern
Lager, es sind Minister aus jenem Lager, für das damals Ministerschaft
und nationaler Verrat ganz identische Begriffe gewesen sind, aus
einem Lager, das sich damals in antiministerieller Treiberei gegen
unsere Partei nicht genug gütlich tun konnte. Und welch eine
Wandlung! Dieselben Parteien und dieselbe Presse, für die
die deutsche sozialdemokratische Partei wegen angeblicher Ministerstreberei
förmlich zum Freiwild geworden ist, verlangen heute für
sich Generalpardon. Sie fordern, daß man ihren Ministern
Ruhe gewähren möge, sie fordern, daß man ihnen
eine Atempause einräume, daß man sie in ihrer Arbeit
nicht störe. Nun, hohes Haus, wir hätten nach alledem,
was zurückliegt, alles Anrecht, gleiches mit gleichem heimzuzahlen,
ohne daß uns daraus irgend ein Vorwurf treffen könnte.
Doch das fällt uns natürlich absolut nicht im Taume
ein. Die deutschen Minister mögen nur recht ausgiebig von
"ihrem Anteile an der Macht" Gebrauch machen und der
deutschen Bevölkerung zeigen, daß der sogenannte "historische
Wendepunkt" das Ende der nationalen Fremdherrschaft, daß
er die Verwirklichung der "nationalen Gleichberechtigung"
bedeute, wie dies die neuen deutschen Regierungsblätter jetzt
in alle Welt hinauszuposaunen belieben. Wir aber wissen, daß
es ganz anders kommen wird und daß der wahre Sinn der deutschen
Ministerschaft nur das Streben nach Sicherung der Interessen der
deutschen Bourgeoisie ist, der das Klasseninteresse über
alle Volksgemeinschaft geht.
Das ist in Wirklichkeit der wahre Sinn, das
ist die Bedeutung des großen Umschwungs, der wieder einmal
klar und deutlich die alte sozialistische Wahrheit aufzeigt, daß
die nationale Idee nur soweit tragfähig ist, als sie nicht
mit dem wirtschaftlichen Interesse der Klasse kollidiert, daß
das grundlegende Motiv des Handelns das Klasseninteresse ist,
daß der Klassengegensatz alle nationalen Fronten durchbricht,
daß es keine die Klassengegensätze überbrückende,
sie überwindende Volksgemeinschaft gibt und daß, wie
es im Kommunistischen Manifest so schön heißt: Die
Geschichte aller bisherigen Gesellschaft ist nur eine Geschichte
von Klassenkämpfen. So können wir dem arbeitenden Volk
einmal lebendigen Anschauungsunterricht über den Zusammenbruch
der Legende von der nationalen Volksgemeinschaft liefern und ihm
auch in diesem Lande, in dem die Schleier der nationalen Kämpfe
und nationalen Gegensätze den klaren Ausblick immer und immer
wieder zu trüben vermochten, das Schulbeispiel typischer
bürgerlicher Klassenpolitik vor Augen führen.
Und nun will ich mich der Programmerklärung
der neuen Regierung zuwenden und vor allem erst noch einiges über
die neue Regierungskoalition sagen. Trotz der starken Männer,
die ihr angehören, die an ihre Spitze gestellt wurden und
mit denen man anscheinend paradieren und vielleicht irgendjemandem
imponieren will, vermag die Regierung die ihr innewohnenden Schwächen
nicht zu verbergen. Denn sie widerspiegelt, schon ganz äußerlich
betrachtet, die zahlreichen Gegensätze, die ihr innewohnen
und die zu verschmelzen auch einem größeren Geiste
als es der Herr Ministerpräsident Švehla ist,
nicht gelingen dürfte. Aus schwarz läßt sich nicht
weiß, aus einem Fascisten kein Demokrat, aus einem Klerikalen
kein Hussit, aus einem Föderalisten kein Zentralist, aus
einem Reaktionär kein Kämpfer für Freiheit, nationale
Gleichberechtigung und Demokratie machen. So vereinigt die neue
Regierungskoalition, von den Klassengegensätzen abgesehen,
die ihr innewohnen, die heterogensten, aber auch die widerstrebensten
Elemente in sich, denen nur eines gemeinsam ist: der Haß
gegen die Arbeiterpartei und den Sozialismus, das Streben, den
kapitalistischen Interessen auf der ganzen Linie Geltung zu verschaffen,
in der Maske eines demokratischen Regimes dem industriellen, dem
agrarischen und insbesondere dem Finanzkapital zur Hegemonie zu
verhelfen, die revolutionären Errungenschaften der Arbeiterklasse
schrittweise abzubauen, den Sozialismus langsam, aber sicher bis
zur vollständigen Bedeutungslosigkeit niederzuwerfen. So
weist denn das neue Regime, das neue System, die neue Regierung
alle charakteristischen Merkmale eines plutokratischen, eines
antisozialen und reaktionären Regimes auf.
Welche Dauer diesem System beschieden sein
wird, läßt sich in diesem Augenblick nicht in voraus
bestimmen. Denn in der Geburtsstunde, in der sich die neue Regierung
dem Hause vorstellte, besaß sie noch immer keine Mehrheit
oder besser gesagt, hatte sie die Mehrheit bereits nicht mehr,
mußte sie sich vor aller Welt durch die heftigsten Zurufe
und durch die Oppositionsstellung der slovakischen Volkspartei,
das Konzept und die Freude an dem Geburtsakt verderben lassen,
während der nationaldemokratische Teil der Regierungskoalition
sich als Cerberus an den Pforten der Koalition etablierte, um
einen etwaigen Konzessionenschmuggel nach der deutschen Seite
zu verhindern und den deutschen Partnern die Flitterwochen und
die Koalitionsfreuden gründlich zu verderben. (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda inž. Dostálek.)
Herr Ministerpräsident Švehla
hat sich für die historische Sitzung eine gewisse Feschosität
zurecht gelegt. Aber er hat trotz alledem nicht zu lachen, auch
wenn es ihm gelingen sollte, die widerhaarigen slovakischen Elemente
wieder einmal an die Stange zu bringen.
Aber so traurig die Lage der neuen Regierung
ist, so armselig ist ihre Programmerklärung. Natürlich,
mit Worten hat man nicht gekargt und mit guten Vorsätzen
ist man nicht sparsam umgegangen. In jedem Satz wird in allen
möglichen Garnierungen von Demokratie gesprochen. Dem Parlamentarismus
werden auf Schritt und Tritt die schönsten Komplimente gemacht,
Verheißungen gibt es eine ganze Menge. Aber man versuche
einmal, aus der ganzen programmatischen Erklärung auch nur
ein einziges konkretes Wort, auch nur ein einziges bestimmt und
genau umschriebenes Bekenntnis, auch nur einen einzigen präzise
formulierten Gedanken, eine einzige präzis umschriebene programmatische
Zusage herauszuschälen. Nichts als Allgemeinheiten, bestenfalls
Andeutungen, äußerstens Hinweise auf einseitige Versprechungen,
nichts als ein Jonglieren mit Worten, als ein Hin- und Herlavieren,
aber beileibe nur kein Farbebekennen, denn ein Zugeständnis
nach der einen Seite müßte naturgemäß sofort
prompt einen Kriegsfall nach der anderen Seite abgeben.
Die Regierungserklärung beginnt mit einem
feierlichen Bekenntnis zur programmatischen Erklärung vom
18. Dezember 1925. In Angstschweiß windet man sich durch
dieses zwanzig gedruckte Spalten umfassende Programm durch. Aber
dann kommt sofort die zweite Bescherung, denn Švehla übernimmt
in der programmatischen Erklärung vom 18. Dezember 1925 gleichzeitig
die Richtlinien, die Verbindlichkeiten und die Verheißungen
aller vorangehenden èechoslovakischen Regierungen, und
so rollt sich denn automatisch die ganze Geschichte der èechoslovakischen
Politik und der èechoslovakischen Regierungen von der Gründung
des èechoslovakischen Staates bis zum heutigen Tage vor
unseren Augen auf und mit ihr sämtliche
programmakischer Regierungen von Kramáø
bis Švehla und mit ihr natürlich
sämtliche in diesem Haus abgegebenen Regierungserklärungen.
Ich gestehe ganz offen, daß ich alle diese Regierungserklärungen
vor der Sitzung nicht nachgelesen habe, aber ich hoffe bestimmt,
daß sie wenigstens von den Herren Ministern Spina und
Mayr-Harting nachgelesen wurden, daß diese beiden
Herren sich wenigstens diese Erklärungen zu Gemüte geführt
haben, ehe sie die Zustimmung zur neuen Programmerklärung
und damit zu ihren integrierenden alten Bestandteilen gegeben
haben. Dabei übersehe man ein ganz kleines Detail nicht,
daß die deutschen Minister Spina und Mayr-Harting
die programmatische Erklärung vom 18. Dezember 1925 und
implicite alle vorangegangenen Programmerklärungen mitübernehmen
und in ihr eigenes Programm miteinbeziehen lassen mußten,
obwohl sie alle diese Programmserklärungen anno dazumal auf
das heftigste bekämpft und gegen alle diese Programmserklärungen
gestimmt haben. Das sind so die Schrullen der Weltgeschichte,
die, wenn sie einmal aus der Versenkung wieder aufsteigt, direkt
zum enfant terrible wird. Warum wir das alles anführen? Weil
wir uns nicht vorzustellen vermögen, daß die deutschen
Minister allen Ernstes all dem tatsächlich zugestimmt haben,
was in den früheren Programmerklärungen enthalten ist,
so insbesondere der von ihnen so heftig bekämpften "Entfaltung
der Kolonisation auf dem beschlagnahmten Boden", so der von
Ihnen stark angefochtenen "Bodenreform auf landwirtschaftlichem
Waldgrund", so der von Ihnen zum Gegenstande einer Beschwerde
beim Völkerbunde gemachten "systematischen Durchführung
der Aktion zur Verstaatlichung der beschlagnahmten Waldkomplexe",
so der Verwirklichung des "von der vorangegangenen Regierung
abgesteckten Programms auf dem Gebiete des Schulwesens",
so der "Vertiefung der Wehrhaftigkeit der Nation durch die
vormilitärische Erziehung". Es wird Sache der deutschen
Minister sein aufzuklären, ob alle diese Punkte tatsächlich
Bestandteile des zwischen den neuen Koalitionsparteien vereinbarten
Regierungsprogramms bilden, oder ob sie, wie die "Národní
Listy" vermuten lassen und wie sie dies mit Dank quittieren,
hinterrücks in die Regierungserklärung hineinlanziert
und hineininterpretiert werden sollen.
Und denselben Geist, wie der eben erörterte
Teil der programmatischen Erklärung, atmen auch alle anderen
Teile derselben. Ganz ruhig könnten wir jenes Kapitel, welches
von demokratischen Bekenntnissen und Beteuerungen förmlich
überflieht, übergeben. Denn die Vergangenheit des Systems
Švehla lehrt uns, was man von solchen Beteuerungen
für die Zukunft zu halten hat. Noch sind nicht alle Kunststücke
des alten Regimes vergessen, das Schutzgesetz, das Terrorgesetz,
die Preßgesetznovelle, die Wahlnovelle, die Sprachenverordnung,
noch nicht vergessen die Methoden, nach denen man die Opposition
zu Paaren getrieben, durch Vergewaltigung zur Verzweiflung gebracht,
sie verächtlich behandelt, übergangen und ignoriert
hat, noch nicht vergessen die Methoden der Regierungsbildung,
die völlige Beiseiteschiebung des Parlaments in den entscheidenden
Momenten. Wie soll man da das Wort der Programmerklärung
von der Bereitwilligkeit zur Zusammenarbeit mit der Opposition,
von der Geneigtheit zur Respektierung der Anregungen und Kritiken
der Opposition ernst nehmen, besonders wenn man sieht, wie im
selben Augenblicke schon auf die Opposition wieder losgeschlagen
wird und ihr, wie dies jezt beispielweise im Senate geschehen
soll, selbst die bisher zugestandene spärliche Vertretung
im Parlamentspräsidium geraubt werden soll. Den politischen
Zusagen des neuen Regimes, des Systems Švehla zu trauen,
dazu gehört ein Glauben, der Berge zu versetzen imstande
ist. Und wenn es anders werden soll, dann werden die jetzigen
Machthaber der Koalition, die Herren Švehla und Šrámek,
die Herren Nosek und Hodža tüchtig
umzulernen haben, und dann werden sie gut tun, sich hiebei die
Erfahrungen zunutze zu machen, die ihre Ministerkollegen Spina
und Mayr-Harting in den zurückliegenden Jahren
in der Opposition zu machen Gelegenheit gehabt haben.
Nun möchte ich mich jenem Teile der Regierungserklärung
zuwenden, der sich mit dem Problem des Zusammenlebens der dieses
Land bewohnenden Völker beschäftigt und in sehr verschwommenen
Weise von der Lösung des Problems der "Zusammenarbeit
ohne Unterschied der Nationalität", von der "Arbeit
zur Bildung eines harmonischen Zusammenlebens", von dem Weg
zur Lösung "der Art der Erledigung und Beseitigung der
Differenzen und Streitigkeiten" usw. spricht. Wie man sieht,
wird jedes klare, jedes prägnante Wort geflissentlich, ja
krampfhaft vermieden, wird dem Wie, Wo, Wann und und Was in weitem
Bogen ausgewichen und trotz der so vielen Komplimente vor der
Idee des nationalen Friedens nicht einmal eine Andeutung darüber
gemacht, wie man dem jetzigen unerträglichen Zustand ein
Ende bereiten und den den Minderheiten zugefügten Schaden
wieder tilgen könnte. Es ist wohl richtig, daß die
Regierungserklärung nach dieser Richtung, gemessen an der
Schweigsamkeit der früheren Regierungserklärungen und
für den, der sich mit bloßen Komplimenten vor den nackten
Tatsachen des Lebens zufrieden gibt, einen Fortschritt und einen
Erfolg bedeutet. Wer aber die Regierung nach ihren Taten zu beurteilen
gewohnt ist, wer die Geschichte des gerade während des Regimes
Švehla den Minderheiten gegenüber begangenen
schweren Wortbruches kennt, wem die seinerzeitige Erklärung
des Ministers Nosek über die Nichtgebundenheit
èechoslovakischer Regierungen an gegebene Verpflichtungserklärungen
noch in den Ohren nachgellt, der wird den realen
Wert der armseligen, unterminierten, unkonkretisierten Regierungserklärung
zu diesem Punkte richtig einzuschätzen wissen.