Die zweite Antwort der Národní Jednota lautet in
der Zuschrift: "Auf Ihre Zuschrift vom 5. Jänner l.
J. zugesandt dem Moravský odbor Národní Rady
èeskoslovenské in Brünn teilen wir ergebenst
mit, daß über die politische Verläßlichkeit
der Ansucherin keine verläßlichen Informationen festzustellen
sind. Sie ist Witwe nach einem Oberstleutnant und eine verbissene
Deutsche nach alter österreichischer Erziehung. Aus diesem
Grunde sind wir grundsätzlich gegen die Erteilung der Staatsbürgerschaft
der Èechoslovakischen Republik an die
Gesuchstellerin". Ich will Ihnen nicht vorenthalten, wie
damals der Minister des Innern Èerný
auf diese Interpellation geantwortet hat. Er sagte damals im Dr.
Nr. 1505: "Es ist nicht richtig die Behauptung, daß
jedes Gesuch um Verleihung der Staatsbürgerschaft an die
Národní Jednota des betreffenden Ortes zur Begutachtung
geschickt wer den muß. Die Behörden, welche die Erhebungen
über die Personalien der Gesuchsteller pflegen, müssen
allerdings von allen Mitteln Gebrauch machen, um ein verläßliches
richtiges Urteil über den Gesuchsteller zu gewinnen. Wenn
die Behörden es in einigen Fällen für zweckmäßig
erachten, sich über einzelne ins Gewicht fallende Umstände
auch bei einer nationalen Institution zu informieren, so kann
darin eine Inkorrektheit nicht gesehen werden. Soweit festgestellt
werden konnte, fand dies nur rücksichtlich einiger Bewerber
statt, in keinen Falle aber wurde diesem Gutachten eine größere
Bedeutung beigelegt, als irgendeinem anderen Beweismittel. Für
die Beurteilung der einzelnen Gesuche gibt nur das Interesse des
Staates den Ausschlag." (Výkøiky.)
Meine Damen und Herren, wer beurteilt das aber? Eben nur wieder
diese Stelle, der Národní Výbor. Er meint
weiter, daß viele sich jetzt um die èechoslovakische
Staatsbürgerschaft bewerben, um die Anerkennung
ihrer Kriegsanleihe durchzusetzen - denn auch das war wiederum
eine der Forderungen; der Mann, der aufgenommen werden sollte,
dem die Staatsbürgerschaft verliehen werden sollte, mußte
verzichten auf alle Rechtsansprüche, selbstverständlich
auf die Kriegsanleihe, aber auch wenn er Pensionist eines staatlichen
Betriebes war, auf die Pension. Zum Schluß sagt Minister
Èerný: "Dieses
Vorgehen, dessen Zulässigkeit in rechtlicher, politischer
und moralischer Hinsicht nicht bezweifelt werden kann, wird nur
im Interesse der Gesuchsteller selbst eingeschlagen, damit ihre
Gesuche um Naturalisation nicht abgewiesen werden." Aber
noch viel schöner ist die Antwort des Ministers des Innern
Dr. Nr. 3014. Er sagte damals: "Weisungen sind an die Unterstellen
nicht herausgegeben worden". (Pøedsednictví
pøevzal místopøedseda inž. Dostálek.)
Ich weiß allerdings, daß eine
Weisung herausgegangen ist, dahingehend, daß vor allem bei
der Aufnahme darauf zu sehen ist, ob der betreffende ein Deutscher,
Pole oder Magyare ist. - "In Angelegenheit des Vorganges
bei der Erledigung von Naturalisationsansuchen gilt der allgemeine
Grundsatz, daß einem Ausländer die èechoslovakische
Staatsbürgerschaft nicht erteilt werden darf, sofern nicht
über sein Vorleben auch in politischer
Hinsicht absolut verläßliche und befriedigende Nachweise
vorliegen. Bei der Beurteilung der einzelnen Ansuchen ist vor
allem das Interesse der Republik und keineswegs nur das Interesse
des ansuchenden Ausländers ausschlaggebend. Die Behörden
entscheiden in allen Fällen der freiwilligen Erteilung der
Staatsbürgerschaft nach freiem Ermessen." - Wir wissen
ja auch tatsächlich, daß hier nach ganz verschiedenen
Grundsätzen vorgegangen wird, daß es manchmal schon
gelungen ist, jemandem die Staatsbürgerschaft zu verschaffen,
wenn der Betreffende einen entsprechenden Hintermann hatte, d.
h. wenn er jemanden hatte, der bei den Ministerien bei der Intervention
das nötige Gewicht aufzubringen in der Lage war. Er sagt
schließlich in der Antwort, daß eine Ungesetzlichkeit
nicht darin erblickt werden kann, wenn die politische Landesverwaltung
in Prag bei Durchführung der Erhebung die Äußerung
einer nationalen Institution eingeholt hat, allerdings sei die
Behörde an diese Äußerung nicht gebunden. Da hat
der Minister selbst zugegeben, daß also diese Ansuchen immer
an die Národní výbory gegeben werden. Wenn
er es bestritten hätte, hätte ich ihm die Photographie
eines Aktes gezeigt, wo die politische Bezirksverwaltung ausdrücklich
darauf schrieb: "Dieser Akt ist nunmehr dem Národní
výbor zur Begutachtung abzutreten." Dieser Akt kam
leider in schlechte Hände, er kam zur Gemeinde und wurde
infolge dieser Bemerkung photographisch aufgenommen. Von welchem
Gesichtspunkt sich der Národní výbor leiten
läßt, dafür nur ein Beispiel. Es betrifft einen
Fall in unserer unmittelbaren Nähe. Der Direktor einer Fabrik
suchte um die Staatsbürgerschaft an. Selbstverständlich
kam dieses sein Ansuchen an den Národní výbor
herunter, Obmann des Národní výbor war damals
ein Schlosser seiner Fabrik, allerdings ein Mann, übelberüchtigt,
nicht das beste Subjekt, außerdem hatte der Direktor mit
diesem Mann einmal einen großen Anstand gehabt. Sie können
sich vorstellen, daß naturgemäß der Národní
výbor oder der Obmann desselben nunmehr entschied, daß
der Direktor mit seinem Staatsbürgerschaftsgesuch unbedingt
abzuweisen sei, daß er also nicht würdig sei, hier
die Staatsbürgerschaft zu erhalten. Der Vorsteher der politischen
Bezirksverwaltung war selbst der Ansicht, daß dem Direktor
Unrecht geschehe, zumal er auch Jahrzehnte im Betrieb tätig
war, und als der Direktor einmal neuerdings vorsprach, gab er
ihm den guten Rat, zunächst einmal diesem. Schlosser eine
Gehaltsaufbesserung zu bewilligen, sich mit ihm besserzustellen,
damit vielleicht das neuerliche Ansuchen, das er einbringen müsse,
besser beurteilt werde. Diesen Rat befolgte der Direktor, er nahm
sich diesen Herrn vor, gab ihm eine Gehaltszulage und die Folge
davon war, daß das zweite Ansuchen, das wieder an den Národní
výbor abgetreten wurde, aufs beste befürwortet wurde
und er nach Jahr und Tag auf Grund dieser Empfehlung tatsächlich
die Staatsbürgerschaft bekam. Das hat sich in unzähligen
Fällen ereignet, nur haben wir nicht den Einblick, wir kennen
die Fälle nicht, aber in jedem Klub liegen hunderte solcher
Ansuchen, welche zeigen, mit welchem Gründen die Abweisungen
erfolgten. In den meisten Fällen wird überhaupt kein
Grund angegeben und der Gesuchsteller auf das Berufungsrecht vertröstet,
das selbstverständlich, wie Kollege Hackenberg richtig
ausgeführt hat, ganz problematischer Natur ist, weil immer
wieder letzten Endes das Gesuch an diejenige Stelle zurückkommt,
an den Národní výbor, welcher es schon das
erstemal abgewiesen hat. Wir wollen heute auch nicht über
das traurige Los jener sprechen, welche auf Grund dieser Verhältnisse
überhaupt keine Staatsbürgerschaft besitzen, Sie werden
von einem Staat in den anderen geschoben, hier verlieren sie die
Staatsbürgerschaft, der andere Staat erklärt wieder,
sie seien dort nicht zuständig, sie hängen also vollkommen
in der Luft. Es betrifft das leider auch nicht bloß unabhängige
Leute (Pøedsednictví pøevzal místopøedseda
Slavíèek.) welche vielleicht
Besitz haben, auch sehr viele Pensionisten irgendeiner Anstalt.
Infolgedessen entzieht sich auch die Anstalt - wie wir Beweise
dafür haben - der Verpflichtung, die Pension zu bezahlen.
Ich weiß den Fall eines Eisenbahners in der Jägerndorfer
Gegend, der heute dadurch in Notlage geraten ist, daß er
einfach Deutschösterreich zugewiesen wurde. Deutschösterreich
weigerte sich aber Jahr und Tag, weil die Verhältnisse nicht
klargestellt wurden, und der Mann bekam vorläufig eine ganz
geringe Rente, oder sagen wir, nur eine Anzahlung auf die künftige
Regelung seines Gehaltes.
Ich behaupte, daß auch hier Ordnung gemacht
werden muß. Man kann nicht mit zweierlei Maß messen.
Wenn die Ungerechtigkeit nunmehr im slovakischen Teile des Staates
an den Ungarn und teilweise auch an den Slovaken gutgemacht wird,
müssen wir unter allen Umständen verlangen, daß
auch die zahlreichen Fälle, die von deutscher Seite anhängig
sind, günstig erledigt werden, und zwar so rasch als möglich,
weil die davon Betroffenen sich vielfach in größter
Notlage befinden. Wir verlangen also, daß die neue Zollmehrheit,
wie sie kurz genannt wird, auch diesbezüglich ein Gesetz
als die Ergänzung zu dem vorliegenden Antrag vorlegt, und
wir werden uns wärmstens für den Antrag der deutschen
sozialdemokratischen Partei aussprechen. Wir hoffen, daß,
beseelt vom Geiste wahrer Versöhnung - denn dieser Geist
geht angeblich jetzt herum (Veselost.) - geleitet von dem
Bestreben, die nationalen Gegensätze zu mildern, nunmehr
auch diese Ungerechtigkeit ehebaldigst beseitigt werden wird.
(Potlesk poslancù nìm. strany národní.)
Hohes Haus! Das muß man der neuen Mehrheit
einräumen, sie nützt ihre Zeit vortrefflich aus. Nicht
zufrieden damit, daß sie die Zölle, das Kongruagesetz,
die Erhöhung der indirekten Abgaben durchzusetzen vermocht
hat, geht sie jetzt daran, gegen sozialpolitische Einrichtungen
anzurennen. Soviel man sich bemüht, den Gesetzentwurf, der
nun zur Verhandlung steht, als harmlos hinzustellen, es verbirgt
sich dahinter doch nichts anderes, als die Abneigung gegen das
Gesetz über die Sozialversicherung. Es ist in diesem Antrage
nichts anderes zu erblicken, als der erste Versuch, von dem Bau
der Sozialversicherung ein Stück wegzureißen, den Bau
zu erschüttern. Im Motivenbericht, der von der alten Koalitionsregierung
zur Einbegleitung der damaligen Vorlage genehmigt worden ist,
wird mit Recht darauf verwiesen, daß zur Durchführung
der Krankenversicherung starke und mächtige Gebilde notwendig
sind. Dazu braucht man insbesonders starke und gute Krankenkassen,
um die Verwaltungskosten bei der Invaliditäts- und Altersversicherung
zu verringern und da die Krankenversicherungsanstalten den Unterbau
für die Alters- und Invaliditätsversicherung bilden,
so sind die Darlegungen des Motivenberichtes vollauf begründet.
Es ist bei den Beratungen des Sozialversicherungsgesetzes nicht
gelungen, den einzig richtigen Gedanken zu verwirklichen, Einheitskassen
zu schaffen, und wir sehen jetzt, daß daraus noch bevor
das Gesetz in Kraft tritt, der Sozialversicherung Gefahren erwachsen.
Es ist richtig, die agrarischen Parteien sind im Stande gewesen,
bei der Beratung der Sozialversicherung die landwirtschaftlichen
Kassen durchzusetzen. In der Begründung des Antrages, der
den Anlaß zur jetzigen Beratung bildet, wird diese Tatsache
als Bevorrechtung der Landwirtschaft hingestellt, eine Bevorrechtung,
die der deutschen Gewerbepartei, wie es im Antrage heißt,
den Anlaß gibt, nun auch für den Gewerbestand und den
Kaufmannsstand die Erhaltung und Weiterführung ihrer Genossenschaftskrankenkassen
zu reklamieren. Es heißt in der Begründung dieses Verlangens,
daß, wenn man der Landwirtschaft eigene Kassen zubilligt
und zubilligen mußte, es vollauf gerechtfertigt sei, wenn
auch der Gewerbestand und der Kaufmannsstand seine Genossenschaftskrankenkassen
zugestanden erhält.
Wir sind keine Freunde der Beibehaltung der
Zersplitterung in der Krankenversicherungsorganisation gewesen.
Wenn die Vertreter des Gewerbestandes, die deutschen bürgerlichen
Parteien, der Meinung sind, daß in dem Zugeständnisse
an die Landwirtschaft, eigene Krankenkassen zu haben, eine Bevorrechtung
liegt, gäbe es einen anderen Weg, das Unrecht gutzumachen,
indem man sich bei der nächsten Gelegenheit für die
Novellierung des Gesetzes über die Sozialversicherung bemüht
und zu dem Grundsatze übergeht, den wir immer verfochten
haben, zur Einführung der Einheitskassen, zur Aufhebung der
Bevorrechtung, die nach den Antragstellern der Landwirtschaft
durch das Sozialversicherungsgesetz gegeben worden ist. Aber man
benützt den Umstand, daß es innerhalb der alten Koalition
nicht möglich war, wirklich zur Einheitskasse überzugehen,
dazu, jetzt auch noch die ohnehin schlimme Zersplitterung in der
Krankenversicherung zu vergrößern, jetzt schon gegen
den organisatorischen Aufbau der Krankenversicherung anzustürmen,
obzwar man sehr gut weiß, daß dadurch jenen nicht
gedient ist, für die vor allem die Versicherung geschaffen
wurde, und die Wert darauf legen müssen, daß die Versicherung
so organisiert ist, daß sie auch etwas zu leisten vermag.
Die Vertreter des Antrages Stenzl und des Vorschlages,
der heute vormittag im sozialpolitischen Ausschuß vereinbart
und beschlossen worden ist, reden immer davon, daß sie für
den Gewerbe- und Kaufmannsstand eigene Krankenkassen haben wollen,
daß das ihre Krankenkassen sind. Ich weiß, daß
die Herren nicht behaupten können, im Namen der Arbeiter,
also jener zu sprechen, für die die Sozialversicherung geschaffen
worden ist. Es mag sein, daß es hie und da in einem oder
dem andern Berufszweige Gehilfen oder Arbeiter gegeben hat, die
unter gewissen Einflüssen zunächst für die Beibehaltung
einer Genossenschaftskrankenkasse gewesen sind. Aber sowohl in
den Kundgebungen von Arbeiterorganisationen, als auch in verschiedenen
Erklärungen bei Tagungen der Arbeiter und Gehilfen, in denen
sie zur Krankenversicherung Stellung nahmen, ist wiederholt selbst
von kaufmännischen Angestellten das Bekenntnis zur Einheitskasse
abgegeben worden. Es ist also nicht wahr und es stimmt nicht,
wenn man behauptet, man spreche auch im Namen der Arbeiter.
Wir können in diesem so harmlos aufgemachten
Antrage nichts anderes erblicken, als einen wohl berechneten Vorstoß
gegen das Sozialversicherungsgesetz. (Výkøiky.)
Es ist das nichts anderes, als eine Teilerscheinung
des neuen Kurses, der sich jetzt durch setzen will. Wer die letzten
Sitzungen des sozial-politischen Ausschusses mitgemacht hat, den
überkommt ein eigenes Gefühl. Es ist jede Möglichkeit
unterbunden, im sozialpolitischen Ausschuß einen Fortschritt
durchzusetzen. Ich will nur darauf verweisen, daß
es nicht einmal möglich war, im sozialpolitischen Ausschuß
eine kleine Verbesserung des Loses der Arbeitslosen zu erzielen.
Nicht einmal das war möglich. Die deutschen und die èechischen
Agrarier, die deutschen und die èechischen
Christlich-Sozialen marschieren Arm in Arm auf gegen jede sozialpolitische
Anregung, und das, was sie hier tun, ist nichts anderes als ein
Vorstoß gegen das Werk der Sozialversicherung, gegen das
sie sich in Kundgebungen schon früher vielfach ausgesprochen
haben. Ich erinnere an viele Äußerungen von Unternehmerkörperschaften,
die, ehe noch das Sozialversicherungsgesetz fertig war, darauf
hingewiesen haben, daß darin eine ungeheuere Belastung der
Volkswirtschaft steckt und daß man infolgedessen mit sehr
gemischten Gefühlen der Sache gegenüberstehe. Eine Übertreibung
oder eine falsche und den Tatsachen nicht entsprechende Behauptung
kann man darin nicht sehen, wenn ich sage, es sei das nichts anderes
als ein Vorstoß gegen die Sozialversicherung.
Heute ist ein Antrag der Abgeordneten Dr Matoušek
und Genossen verteilt worden auf Ausschließung der Hausgehilfen
und Hausgehilfinnen aus der Versicherungspflicht. Wissen Sie,
was das heißt? Das heißt: Nachdem der gegen Krankheit
Versicherte zugleich gegen die Folgen der Invalidität und
des Alters versichert ist, berauben Sie die Hausgehilfen um die
Alters- und Invaliditätsversicherung. Der Antrag wird damit
begründet, daß dem kranken Hausgehilfen der Arzt der
Familie zur Verfügung stehe. Aus der Erfahrung wissen wir,
daß sich die Sache wesentlich anders abspielt. Die Hausgehilfinnen
werden bei Krankheit ins Spital geschickt, und wenn sie länger
krank sind, werden sie überhaupt nicht mehr in den Dienst
genommen, sondern einfach hinausgeworfen und wenn sie nicht krankenversichert
wären, aber invalid werden und auf die Unterstützung
geradezu angewiesen sind, hätten sie, wenn man Ihrem Antrage
zustimmen wollte, jeden Anspruch auf Unterstützung in der
Zeit des Alters und der vollständigen Arbeitsunfähigkeit
infolge Invalidität verloren. Schwer kann man rückschrittlicher,
reaktionärer sein als in diesem Antrag.
Ein anderer Antrag, der früher eingebracht
worden ist, will, daß die Lehrlinge bis zu einer höheren
Altersgrenze aus der Versicherungspflicht ausgeschieden werden.
Auch das ist, nachdem das Alters-Invaliditätsgesetz besteht,
eine schwere Schädigung der Lehrlinge. Sie sehen also, daß
auf der ganzen Linie, seitdem die neue Mehrheit im Parlament die
Macht ausübt, ein Zug der Feindseligkeit gegen die Sozialpolitik
sich durchsetzt, daß man jetzt darangeht, was in früheren
Jahren aufgebaut worden ist, wieder abzubauen, zu zerstören,
und sie beginnen bei einem Werke, sie beginnen ihre Zerstörung,
die Abbauarbeit bei einer Errungenschaft, mit der man viel in
der Welt geprunkt hat und die man als einen Beweis hingestellt
hat, daß in diesem Staate gesunde Sozialpolitik eine gute
Heimstätte hat. Wir sehen, wohin der Kurs führen soll.
Wir möchten von dieser Stelle ernstlich davor warnen, daß
Sie in Ihrer arbeiterfeindlichen Politik fortfahren. Wenn bei
Begründung des Antrages auf Aufrechterhaltung der genossenschaftlichen
Krankenkassen gesagt wird, daß Sie Krankenkassen haben wollen,
in denen keine Politik betrieben wird, so wissen wir, wohin diese
Anspielung abzielt. Wenn wir aber die Geschichte der Krankenkassen
durchgehen, finden wir, daß Parteipolitik gerade dort betrieben
wurde, wo es die Arbeiter nicht verstanden haben sich durchzusetzen.
Was Sie vermeiden, was Sie durch Ihren Antrag hintanhalten wollen,
das ist gerade bei Ihnen vorzüglich in Übung gewesen.
Im übrigen ist jener Teil der Begründung einfach kindisch,
er ist bei den Haaren herbeigezogen und hat keinerlei Berechtigung.
Da in den Krankenkassen die Wahlen nach dem Verhältniswahlrecht
durchgeführt werden, hat jede politische Gruppe und jede
Organisationsgruppe nach ihrer Stärke in der Verwaltung der
Krankenkasse Einfluß. Nützen Sie das Wahlrecht und
den Einfluß, den Sie haben, aus, so viel Sie wollen, aber
tasten Sie die Einrichtungen, die geschaffen worden sind und lange
noch nicht vollständig sind, nicht an, sondern lassen Sie
es bei dem Zustande, wie er heute ist. Und wenn Sie schon glauben,
daß an der Sozialversicherung novelliert werden muß,
dann sind wir bereit, mit Ihnen zu beraten, was zu novellieren
ist. Wir könnten Ihnen im Sozialversicherungsgesetz eine
ganze Reihe von Bestimmungen zeigen, die notwendig der Verbesserung
bedürfen, aber da dürften Sie nicht mit uns gehen, weil
Ihr Vorhaben nichts anderes ist, als die jetzige Sozialversicherung
zu erschüttern. Bevor sie noch Gesetz wird, wollen Sie deren
Abbau beginnen. Ich weiß ja nicht, wie lange Sie diese Machtstellung
einnehmen werden, die Sie heute haben, ich weiß nicht, auf
was für Abmachungen sie beruht, ob es Abmachungen sind, die
eine längere Dauer dieser jetzigen Koalition mit sich bringen.
Ich glaube aber, eines sagen zu können: Sie werden mit Ihrer
reaktionären Politik, Sie werden mit Ihrem Auftreten gegen
die sozialpolitischen Errungenschaften, Sie werden mit Ihren Vorstößen
und Ihrem Anrennen gegen die Sozialpolitik das Gegenteil von dem
erreichen, was Sie wollen. Die Arbeiter, die sich im Vorjahr vielfach
noch durch Versprechungen haben täuschen lassen, werden erkennen,
daß sie ihr Schicksal Parteien ausgeliefert haben, die in
ihrer Rückschrittlichkeit keine Besinnung mehr kennen, sondern
darauf los gehen, einzureißen, was unter schweren Opfern
aufgebaut worden ist, sie werden erkennen, daß das, was
im Vorjahre geschehen ist, gutzumachen ist. Und es wird gutgemacht
werden. Im übrigen, meine Herren, glaube ich nicht daran,
daß die jetzige Mehrheit ein langes Leben haben wird. Und
vielleicht deshalb, weil Sie selbst nicht mehr daran glauben,
daß man Sie lange in der Mehrheit wird mitschleppen wollen,
wollen Sie die paar Stunden, die Sie die Macht haben, ausnützen,
nicht für Fragen der Allgemeinheit, sondern gegen die Arbeiter.
Das werden die Arbeiter Ihnen schon bei Zeiten zu lohnen wissen.
(Souhlas a potlesk nìm. soc. demokratických
poslancù.)
Hohes Haus! Wenn uns heute der Gesetzentwurf,
der am Vormittag im soziapolitischen Ausschuß geboren wurde,
zur Beratung vorliegt, so erkläre ich im Namen meiner Partei,
daß er unsern Wünschen nicht entspricht. (Hluk.)
Wir hätten es lieber gesehen... (Výkøiky
nìm. soc. demokratických poslancù.) Lasen
Sie mich doch sprechen, ich habe Sie doch auch nicht gestört.
(Výkøiky nìm. soc. demokratických
poslancù.)... daß der Antrag
Stenzl und Genossen, der nicht nur die Erhaltung der bestehenden,
sondern die Schaffung neuer Genossenschaftskrankenkassen für
unsere Hilfsarbeiter verlangt, jetzt in Beratung gestanden wäre.
(Posl. Kaufmann: Ist die Gehilfenschaft gefragt worden?) Lassen
Sie mich doch sprechen, wir haben Ihren Kollegen Schäfer
doch auch sprechen lassen. (Posl. Kaufmann: Der hat
vernünftig gesprochen! - Veselost.) Ich habe ja
auch noch nicht zu Ende gesprochen. Wir sind den Weg eines Dringlichkeitsantrages
nicht gern gegangen, das kann ich Ihnen offen sagen. Wir haben
den Antrag, über den heute im sozialpolitischen Ausschuß
hätte verhandelt werden sollen, bereits am 17. März
eingebracht. Seit anfangs Mai ist er im sozialpolitischen Ausschuß
gelegen, ist bis heute nicht behandelt worden, also es blieb uns
kein anderer Weg übrig. (Hluk a odpor na levici.) Ich
gebe zu, daß aus technischen Gründen eine solche Gesetzesvorlage
in einigen Stunden, wie dies verlangt worden ist, nicht zu machen
ist, denn das Gesetz schneidet tief ein in die Struktur unseres
ganzen Sozialversicherungsproblems. Deshalb haben wir heute eine
Kompromißformel gefunden, und das ist der Ausschußantrag,
der Ihnen vorliegt. (Posl. de Witte: Das heißen Sie eine
Kompromißformel?) Jawohl, das ist ein Kompromiß.
Mit dem Antrag, der heute vorliegt, ist nichts anderes gesagt
und wird nichts anderes geschehen, als daß einige Krankenkassen
nicht am 1. Juli 1926, sondern am 1. Jänner 1927 liquidieren
sollen. Ich glaube, diese Zeit werden Sie schon erwarten können.
(Posl. de Witte: Sie hoffen auf die Herbstsession, warum sind
Sie denn gar so bescheiden?) Kann schon möglich sein.
Es kann hier von einer Böswilligkeit nicht gesprochen werden.
Es ist auch kein reaktionäres Beginnen. Es liegt gewiß
nicht in unserer Absicht und wir haben auch im sozialpolitischen
Ausschuß erklärt, daß wir im Herbst, bis die
Gewitterschwüle aus diesem Haus geschwunden ist, uns mit
Ihnen an den Beratungstisch setzen und daß wir dann gegenseitig
einmal über die Novellierung des ganzen Gesetzes beraten
wollen. Die Frage der Erhaltung der Genossenschaftskrankenkassen
ist ja nichts neues, sie ist ja auch nicht die Angelegenheit einer
politischen Partei. Die ganze Kaufmannschaft und der ganze Gewerbestand
verlangt diese Kassen und auch die Gehilfen. (Výkøiky
nìm. soc. demokratických poslancù: Damit
Sie die Gehilfenschaft ganz in die Hand bekommen!)
Sie können schreien so viel
Sie wollen. Ich habe wiederholt an Gehilfenversammlungen teilgenommen
und gerade die gewerblichen Gehilfen waren es, ich kann Ihnen
den Beweis erbringen, Abordnungen gewerblicher Gehilfen waren
hier und haben die Einrichtung solcher Kassen verlangt. Der Kollege
Schäfer meint, es wäre ein Antrag der deutschen
Gewerbepartei. Es haben ja auch andere Parteien im Hause die gleichen
Anträge eingebracht, sie haben hier den Antrag des Kollegen
Pekárek, Dr Lukavský und Genossen,
alle diese Parteien verlangen die Errichtung von Genossenschaftskrankenkassen.
Die Kassen sind ja nicht für uns, wir verlangen sie für
unsere gewerblichen Hilfsarbeiter. (Posl. Kaufmann: Lassen
Sie die Arbeiter! Sind Sie Vertreter dieser Arbeiter?) Dies
zu behaupten ist mir nicht eingefallen. Die landwirtschaftlichen
Kassen haben ja auch nicht die landwirtschaftlichen Arbeiter erkämpft,
diese mußten die Bauern für sie erkämpfen. Die
Agrarier mußten das machen! (Odpor nìm.
soc. demokratických poslancù.)
Die gewerblichen Hilfsarbeiter und
die kaufmännischen Gehilfen wissen, warum sie nach eigenen
Krankenkassen schreien. Sie sind der Wirtschaft in den Kassen
satt, sie wollen eine Entpolitisierung der Krankenkassen haben,
und mit Recht. (Odpor nìm. soc. demokratických
poslancù. - Hluk.) Das ist
die Hauptfrage. Bitte, meine Herren, betrachten Sie sich doch
heute die Verwaltungskommissionen, mit denen Sie auch nicht einverstanden
sein können. Welches Recht haben die Versicherten, welches
Recht haben wir in den Verwaltungskommissionen? Betrachten Sie
die Sache doch objektiv. Sie werden den Schrei der gewerblichen
Hilfsarbeiter verständlich finden. (Výkøiky:
Den hören wir schon! - Hluk.)
Místopøedseda inž. Dostálek
(zvoní): Prosím o klid.
Posl. Tichi (pokraèuje):
Der Gang der Sozialpolitik ist bisher
Ihren Weg gegangen. Wir haben es im Jahre 1919 sehr schwer getragen
und das sind Ihre Erfolge, daß man damals mit einem Federstrich
mehr als 500 Krankenkassen aus der Welt geschafft hat, gute Krankenkassen,
denn Sie können nicht behaupten, daß der Großteil
dieser Krankenkassen schlecht verwaltet war. Es sind ungeheuere
Reservefonds übernommen worden, die natürlich Ihren
Zwecken gut getan haben. Der gewerbliche Hilfsarbeiter wollte
diese Krankenkassen erhalten haben, weil in diesen Genossenschaftskrankenkassen
die freie Ärztewahl bestand, was ihm in den meisten Bezirkskrankenkassen
nicht geboten wird. Heute handelt es sich, wie einer Ihrer Herren
erklärt hat, um den "schäbigen Rest" von 47
Kassen und wegen dieser 47 Kassen wollen Sie ein so kleines Zugeständnis
nicht einräumen. In dem Antrag liegt nichts anderes als eine
Kompromißformel, wie ich bereits gesagt habe; lassen Sie
also die 47 Kassen bestehen und wir setzen uns allen Ernstes dann
im Herbst zusammen, um dann über die Novellisierung nachzudenken,
denn auch in Ihren Kreisen gibt es Leute, die behaupten, daß
diese Sozialversicherung novelliert werden muß und daß
vieles darin ist, was auch im Interesse der Arbeiter anders sein
müßte. (Posl. Kaufmann: Sehr richtig, nur werden
Sie den Veränderungen nicht zustimmen, die wir haben möchten!)
Das kann man nicht wissen, vielleicht. Es muß ja nicht
eine reaktionäre Novellierung sein, wie Sie der Meinung sind.
Am ersten Juli sollte fast der ganze Rest der bestehenden Sozialversicherungskassen
noch vereinigt werden.
Alle Gremialkassen unter 2000 Mitgliedern sollen
aufgelöst werden, die anderen Genossenschaftskassen unter
4000. Man hat den Stichtag mit 1. Jänner 1924 wohldurchdacht
festgelegt, also in einer Zeit, wo wirklich die Frequenz bei den
Kassen die geringste war. Wenn Sie da eine Durchschnittszahl annehmen,
so kann ich heute schon sagen, daß z. B. die Gremialkasse
in Brünn am 1. Jänner 1924 - das wird Kollege Taub
am besten wissen - 1733 Mitglieder hatte, daß sie aber schon
im Jahre 1924 4565 Mitglieder gezählt hat. Diese Kasse muß
aufgelöst werden, weil sie eben damals am 1. Jänner
1924 nicht die volle Zahl von 2000 Mitgliedern gezählt hat.
(Posl. Stenzl: Karlsbad, Marienbad!) Ich bitte, die Kasse
in Marienbad. Am 1. Jänner 1924, also im Winter und noch
dazu in einem Kurort, kann es ja nicht anders sein, hat die Kasse
1294 Mitglieder gehabt, am 1. Juli 1925 zählt sie 6000 Mitglieder.
Diese Kasse muß verschwinden, weil die Mitgliederanzahl
dem Buchstaben des Gesetzes nicht entsprochen hat. Es ist vom
Herrn Vorredner der Vorwurf erhoben worden, daß das Vermögen
der aufgelösten Genossenschaftskrankenkassen an politische
Parteien verteilt wurde. Meine Herren, ich weiß nicht, welche
politische Partei Sie damit meinen, meine Partei hat nie die Herrschaft
in irgendeiner Kasse gehabt und meine Partei hat nie irgendeinen
Heller aus irgendeiner Genossenschaftskasse bekommen, aber ich
möchte nicht untersuchen, wieviel Geld, Tausende und Abertausende
Kronen, die in den Genossenschaftskassen zusammengetragen waren,
für politische Agitation verwendet worden sind. Von unserer
Seite bestimmt nicht.
Es liegt gewiß in der modernen Sozialpolitik
als Ideal, Einheitskassen zu schaffen. Sie werden wohl zugeben,
daß man in Deutschland eine gute Krankenversicherung hat
und doch hat man auch in Deutschland bis heute keine Einheitskasse
geschaffen. Nach der Statistik gibt es im Deutschland Ortskrankenkassen
2524, Landkrankenkassen 496, Betriebskrankenkassen 4599, Genossenschaftskassen
- in Deutschland bestehen sie also trotz der dortigen großen
Entwicklung - 866, Ersatzkrankenkassen 46, Knappschaftskrankenkassen
123. Die durchschnittliche Mitgliederanzahl bei sämtlichen
reichsdeutschen Krankenkassen beträgt bloß 2209 Mitglieder.
Hier haben Sie durch die Schaffung des Gesetzes den Kassen, die
3900 Mitglieder haben, keine Möglichkeit gegeben, weiterzubestehen.
Ich glaube, daß dieser Zug unserer Sozialpolitik nicht richtig
ist. Bei den Betriebskrankenkassen in Deutschland ist die Durchschnittszahl
1819 Mitglieder, bei den Genossenschaftskassen sogar 380 Mitglieder.
Sie wissen, daß wir im Jahre 1919 alle unsere Kassen - und
es waren einige Hunderte sperren mußten, weil sie nicht
volle 400 Mitglieder gehabt haben. Das Gesetz vom Jahre 1924 gibt
den Landwirten die Möglichkeit, eigene Kassen zu errichten.
Wenn nun der industrielle Arbeiter die Möglichkeit hat, eigene
Krankenkassen zu schaffen, wenn dem landwirtschaftlichen Arbeiter
nach dem Gesetze ebenfalls diese Möglichkeit gegeben wurde
- wir haben diesen Pakt ja nicht geschlossen, die Herren (obrácen
k nìm. soc. demokratickým poslancüm),
Ihre Kollegen von drüben (ukazuje na èsl.
soc. demokratické poslance) haben
es gemacht. Sie nicht, aber die anderen - dann werden Sie es begreiflich
finden, daß auch bei den gewerblichen Hilfsarbeitern der
Wunsch besteht, eigene Kassen zu haben. (Posl. Grünzner:
Der ist aber nicht bei den Arbeitern!) Gewiß ist er
da. Ich erkläre nochmals: Von diesem Standpunkt aus betrachten
wir die Leitung der ganzen Frage und wir werden gewiß Gelegenheit
haben, im Herbst uns über diese Sache noch ausgiebig zu unterhalten.
Ich erkläre zum Schluß, daß die jetzige Gesetzesvorlage,
über die wir abstimmen sollen, für uns ein Provisorium
ist, im wahrsten Sinne des Wortes. Wir beharren nach wie vor auf
der Schaffung eigener genossenschaftlicher Krankenkassen, wir
wollen das Recht haben, unsere Kassen zu errichten und wir werden
nicht ruhen und rasten, bis diese unsere Forderung erfüllt
ist. (Potlesk.)