Ist denn die Lage wirklich eine solche, daß
man ohne Bedenken zu diesen Experimenten greifen kann? Erschüttert
nicht eine schwere Wirtschaftskrise unser Gesamtleben, zeugt nicht
das Steigen der Arbeitslosigkeit und die Einschränkung der
Betriebe auf die Hälfte und nicht mehr der normalen Arbeitszeit
von der furchtbaren Krise in der wir momentan wieder leben? Der
Wirtschaftsbarometer zeigt auf Sturm und die Begleiterscheinungen,
Konkurse und Ausgleiche, wachsen. Unser Export geht zurück,
die Aktivität der Handelsbilanzen schwindet von Monat zu
Monat und es ist sicher, daß dies auch unsere Zahlungsbilanzen
ungünstig beeinflussen muß. Bereits am 16. Jänner
hat sich die Vollversammlung des Hauptverbandes der Industriellen
in Teplitz mit diesen Fragen beschäftigt und es wird dort,
nachdem die Wirkung der Intlations- und Deflationskrise auf die
Wirtschaftslage dargestellt wurde, gesagt: "Die Folge ist
die immer mehr und mehr steigende Konkurrenzunfähigkeit einzelner
Branchen gegenüber der ausländischen Konkurrenz, wodurch
die Steuerquellen des Staates versickern und zweite Kreise der
Bevölkerung in Mitleidenschaft gezogen werden. Es erscheint
dringend notwendig, daß im öffentlichen Leben wirtschaftliche
Gesichtspunkte und wirtschaftliche Rücksichten wieder den
entsprechenden Raum einnehmen. Die gegenwärtige Überbesteuerung
ist nicht mehr aufrecht zu erhalten, zumal die eine Kapitalsbildung,
ohne die ein Wirtschaften unmöglich ist, verhindert."
Auch hier hören wir, wenn auch mit anderen Worten, die Tatsache,
daß unsere Industrie ihre Konkurrenzfähigkeit im Auslande
einbüßt, daß der Absatz stockt und der von mir
schon geschilderte Zustand eintritt. Es ist soviel die Rede von
der Konsolidierung, aber alle sprechen die Überzeugung aus,
daß die Tragfähigkeit der Bevölkerung in den Steuerlasten
überschritten sei. Nach statistischen Ermittlungen ist die
Steuerlast pro Kopf auf das 12-fache gegenüber der Friedenslast
gestiegen. Trotz Lohnabbau und verminderten Einkommen stiegen
die Steuereingänge, und wer nur einen Blick in den
Rechnungsabschluß des Staatshaushaltes für 1924 macht,
kann konstatieren, daß die präliminierten Summen, insbesondere
aber bei den indirekten Steuern, weit überschritten wurden.
Worliczek sagt in seiner Kritik des èechoslovakischen Staatsvoranschlag
pro 1926: "Trotz der notorischen Überlastung der Èechoslovakischen
Privatwirtschaft mit Steuern und Abgaben weist dieser Voranschlag
nicht nur den gleichen Stand wie im Jahre 1925 auf, sondern die
Erträge sind zum Teil im noch erhohtem Ausmaße eingesetzt.
Einerseits wird dies mit der Entwicklung der tatsächlichen
Steuereingänge motiviert, andererseits aber auch mit der
Einführung neuer Abgaben. Gewiß ist es sehr erfreulich,
daß sich die Steuereingänge günstig entwickeln,
aber schließlich darf auch nicht übersehen werden,
daß die Steuerquellen mit einer Intensität ausgenützt
werden, mit der als Dauererscheinung wohl kaum gerechnet werden
kann. Zumindest ist die geradezu groteske Höhe der Erträge
aus Verzugszinsen und Exekutionsgebühren von 95.3 Millionen,
das sind um 18 Millionen mehr als i. J. 1925, ein Zeichen starker
Erschöpfung der Steuerfähigkeit. Bei diesem Stand der
Steuerbelastung noch neue Abgaben einzuführen, ist immerhin
etwas gefährlich". Wer nicht blind die gedruckten Vorlagen
des Staatsvoranschlage, annimmt, wer die Ziffern untersucht und
sich mit ihnen eingehend beschäftigt, die Kritiken aufmerksam
ließt, die von berufenen Autoritäten erscheinen, wird
von der Budgetierungskunst nicht verblüfft und kommt zu keinem
für die Staatsverwaltung günstigen Ergebnis. Schon i.
J. 1921 gab es ein aktives Budget. Aber heute wie damals ist die
Budgetierungstechnik die primäre Ursache des finanziellen
Erfolges. Im J. 1921 ließ man Investionen und manche andere
Ausgaben einfach aus dem Budget ausgesondert und hat sie in ein
durch Anleihen zu deckendes Spezialbudget zusammengefaßt.
So entstand damals ein Überschuß in der Staatswirtschaft.
Heute ist man einen Schritt weitergegangen. Das Investitionsbudget
wurde wiederum beseitigt, aber nicht dadurch, daß die Investitionsausgaben
zur Gänze dem Budget der laufenden Gebarung einverleibt wurden.
Das geschieht nur zum kleineren Teil. Der Großteil der Investitionsausgaben,
das sind die staatlichen Betriebe, wurde vielmehr unter Berufung
auf deren erfolgte Kommerzialisierung überhaupt nicht budgetiert.
Wenn auch der Finanzminister Dr Engliš
das Budget 1926 als aktiv bezeichnet - wer die erschreckenden
Sätze des Herrn Finanzministers über die Aktivität
des Budgets genau wertet, der weiß, was er von dieser Budgetierung
zu halten hat, der weiß, daß nur künstliche Spiele
mit Ziffern zu einem aktiven Schlußergebnis geführt
haben. Wo sind denn die Summen hingekommen, die ausschließlich
dazu bestimmt waren, die Deckung der Mehrausgaben für die
Staatsangestellten zu bilden? Sie sind zerstoben und zerronnen,
finden anderweitige Verwendung und dienen zur Aktivierung des
Budgets.
Herr Dr Engliš sagt: "Ich
brauche die Zuckersteuer, die mir 200 Millionen Kronen einbringen
soll, ich brauche die Branntweinabgabe, die mir 75 Millionen bringt,
und ich rechne damit, daß mir die Zollerhöhung 200
Millionen eintragen wird. Dies reicht zur Bedeckung der bewilligten
Summen noch nicht aus und ich muß versuchen, durch Ersparungen
den Rest aufzubringen". Wenn seine Ersparungskünste
darin bestehen, daß er vom Militärbudget einen Betrag
streicht, dafür sich aber verpflichtet, nahezu den gleichen
Betrag als Beitragsquote zur Equipierung der Armee durch 11 Jahre
abzuführen, so haben wir einen Vorgeschmack, wie Ersparungen
erzielt werden.
Die Zuckersteuer gehört sicherlich mit
zu den unpopulärsten Steuern. Jede Erhöhung dieser Steuer
hat in der Bevölkerung heftigen Widerstand gefunden, und
es ist sicher, daß dieser Widerstand diesmal in verstärktem
Maße hervorbrechen wird. Der Zuckergenuß ist heute
nicht mehr, wie es in früheren Zeiten behauptet wurde, ein
Luxus, sondern der Zucker ist ein lebenswichtiges Produkt und
spielt insbesondere in der Kinderernährung eine große
Rolle. Langsam, aber stetig ist der Zuckerverbrauch gestiegen,
und während die Verbrauchsziffer pro Kopf in der Kampagne
1913/1914 19 kg betrug, ist sie 1924/25 auf 28.6 kg gestiegen.
In Deutschland ist sie in der gleichen Zeit von 21.4 auf 22.4
kg gestiegen, in Österreich von 20.8 auf 26.8 kg. Unsere
Zuckerindustrie hat ein lebhaftes Interesse, den Inlandskonsum
zu steigern, den Inlandsmarkt aufnahmsfähiger zu machen.
Der Herr Finanzminister Dr Engliš meint, die
Belastung pro Kopf beträgt ja nur 3 Kè. Den Durchschnittsbezug
berechnet er mit 15 kg pro Kopf, wobei er allerdings nicht
den Verbrauch von Industriezucker berücksichtigt, der schließlich
und endlich in Form von Kanditen, Schokolade, Süßbackwaren
u. dgl. mehr ebenfalls im Massenkonsum Absatz findet und selbstverständlich
bei der Preisbildung auf die Konsumenten überwälzt werden
wird. Er tröstet uns damit, daß eine Verteuerung des
Zuckers nicht eintreten wird, weil die Zuckerindustrie diese Belastung
übernehmen muß und den heute geltenden Verkaufspreis
nicht erhöhen darf. Welche Gewähr gibt uns aber die
Regierung dafür, daß dies immerwährend so bleibt?
Der Herr Finanzminister übersieht ganz, daß uns der
Weltmarktpreis nicht zugute kommt, daß bei Zugrundelegung
des Weltmarktpreises von Rohzucker der Inlandspreis viel zu hoch
ist und nach dem Gesetze von Angebot und Nachfrage eine unbedingte
Ermäßigung des Inlandspreises eintreten müßte.
In der Vorlage ist aber vor allem eines, was
von allen Parteien ausnahmslos bekämpft werden müßte,
und das ist die Stabilisierung dieser Steuer ohne jedwede Einschränkung,
Bisher wurde die Steuer immer nur für ein Jahr bewilligt
und der Nationalversammlung war so Gelegenheit geboten zu überprüfen,
ob das Ausmaß der Steuer gerechtfertigt sei. Nach der Verfassung
ist einzig und allein die Nationalversammlung berechtigt, die
Bewilligung zu Steuereinhebungen zu erteilen. Aber was schert
sich unsere Bürokratie um Verfassungsmäßigkeit,
wenn die Nationalversammlung ihre Rechte grundlos preisgibt und
jedes Wort der Kritik unterdrückt, anstatt sich mit aller
Wucht der Entäußerung ihrer Rechte zu erwehren!
Wir finden in dem Gesetze kein Wort, daß
der Zuckerpreis unverändert bleiben muß. Angeblich
sollen private Abmachungen zwischen dem Finanzministerium und
der Zuckerindustrie existieren, durch welche eine erhöhte
Überwälzung der Abgabe an die Konsumenten ausgeschlossen
sei. Rechnen wir einmal, was die Zuckersteuer einbringt: Der Inlandsverbrauch
in der Kampagne 1924/25 betrug 39.000 Waggons, die Steuer mit
1.84 Kè angenommen, wirft dies einen Ertrag von 718.6 Millionen
Kronen ab. Dazu kommt die Umsatzsteuer von
25 Kronen, was auch einen Ertrag von 97.5 Millionen ergibt, so
daß aus dem Zucker allein eine Einnahme von 816 Millionen
Kronen resultiert. Wenn man da noch zu behaupten wagt, daß
dies eine erträgliche Summe sei, die auf den einzelnen Konsumenten
entfällt, kann man mit seiner Empörung über die
rücksichtslose Erschließung solcher Steuerquellen nicht
zurückhalten. Wir sehen die Wiederholung dieses Systems,
welches durch Generationen von den Feudalen im absolutistischen
Staat immer wieder angewendet wurde, in der demokratischen Republik
unter der Devise "Möglichst indirekte Besteuerung unter
hohen Schutzzöllen" wieder auflebt. Indirekte Steuern
und Zölle, die auf notwendige Gegenstände des täglichen
Bedarfes gelegt werden, belasten den Minderbemittelten in viel
schärferem Maße als die Wohlhabenden. Der Nachteil
der Verbrauchssteuern liegt, sofern sie auf den Massenkonsum gelegt
sind, hauptsächlich darin, daß sie sich nicht nach
dem Prinzipe der Gerechtigkeit, nach der wirtschaftlichen Leistungsfähigkeit
umlegen lassen. In jedem kulturell und politisch hochentwickelten
Volke mit ausgeprägtem Gerechtigkeitsgefühl muß
eine Steuer auf notwendige Lebensmittel und Bedarfsgüter
als ungerecht empfunden werden. Wo ist dieses ausgeprägte
Gerechtigkeitsgefühl bei uns zu suchen? Unsere Herren Agrarier
und unsere Klerikalen scheren sich einen Teufel darum, ob die
Bevölkerung unter der Last der Abgaben zusammenbricht, sie
wollen nur für sich Gerechtigkeit und Steuerfreiheit, sie
wollen aus ihrer Wirtschaft Reichtum und Einkommen schöpfen,
möge dabei auch alles andere zugrunde gehen.
Die Zuckersteuer von solch furchtbarer Höhe
ist ja bald bewilligt, aber bei der Zähigkeit der Finanzminister
ohne Ausnahme, von dem Errungenen nichts aufzugeben, kann die
Höhe der Steuer zum Verhängnis für die Verbraucher
werden, sie kann aber auch der Zuckerindustrie, der Lieferantin
des weißen Goldes, der Hauptstütze einer aktiven Handelsbilanz
zum Verhängnis werden. Dies möchte ich mit allem Nachdruck
hier hervorheben.
Nun zur Branntweinabgabe. Spiritus kostet
heute in Rumänien 7.80 Kè, in Jugoslavien 22.71 Kè,
in Österreich 23.7 Kè, in Ungarn 24.13 Kè,
in Polen 32.4 Kè, in Deutschland 34.32 Kè, in der
Èechoslovakei 35.45 Kè. Die Steuer beträgt
in Rumänien 4.22 Kè, in Österreich 11.31 Kè,
in Ungarn 11.50 Kè, in Jugoslavien 14.95 Kè und
in der Èechoslovakei 24.26 Kè, wozu noch die Umsatzsteuer
in der Höhe von 2.80 Kè kommt. Wir haben, trotzdem
wir ein großes Produktivland sind, den höchsten Spirituspreis,
aber auch die höchste Steuer, denn sie
beträgt 69% vom Verkaufspreis. Auch hier wie bei der Zuckerindustrie
bestehen private Abmachungen zwischen dem Finanzministerium und
der Spiritusverwertungsgesellschaft, nach welchen vom Hektoliter
rein versteuerten Spiritus 800 Kè separat an die Finanzverwaltung
abzuliefern waren. Im § 1 des Gesetzes wird nun festgelegt,
daß vom 1. September 1928 diese 800 Kè in den Gesamtsteuerbetrag
einbezogen werden sollen. Es ist bezeichnend, daß der Spirituspreis
gegen die Vorkriegszeit um das siebzehnfache gestiegen
ist, während die Kaufkraft der Bevölkerung nur das Sechsfache
erreicht. Zur Bewirtschaftung des Spiritus wurde die sogenannte
Spiritusverwertungsgesellschaft errichtet. Wenn man vom Spiritus
spricht, so kommt einem unwillkürlich der Gestank in die
Nase, der seinerzeit durch den unerhörten und bisher noch
immer unaufgeklärten Spiritusskandal in der Republik verbreitet
wurde. Die unerhörteste Korruption ging von dieser Stelle
aus, die Presse berichtete von Bestechungen der ärgsten Art,
im öffentlichen Leben hervorragend tätige Männer
wurden kompromittiert. Was hat die Regierung getan? Sie hat den
Mantel christlicher Nächstenliebe über all das gedeckt,
sie war bestrebt, eine öffentliche Besprechung dieses Skandals
zu verhindern und bis auf wenige, die allzu arg belastet wurden,
gehören heute die so Geschützten zu den Stützen
der Gesellschaft. Wiederholt haben die Konsumenten verlangt sowohl
in der Zucker-, wie in der Spirituswirtschaft die ihnen gebührende
Vertretung zu erhalten, immer haben es aber die Machthaber der
beiden Kartelle, denn wir haben es mit versteckten Kartellbildungen
zu tun, verstanden, jede Einflußnahme und jeden Einblick
in ihre Geschäftspraktiken zu verhindern und sie entledigten
sich bisher erfolgreich der unwillkommenen Anteilnahme der Konsumenten
wie der wirkungsvollen Ingerenz des Finanzministeriums in ihre
Interessensphäre.
Bereits 1922 wurde die gebundene Spirituswirtschaft
als unhaltbar anerkannt und allgemein als ein unangenehmes Überbleibsel
der Kriegszeit anerkannt. Der Ministerrat hat sich am 18. März
1922 im Prinzip für die Freiheit der Produktion und des Handels
mit Spiritus bei gleichzeitiger Regelung der Spiritussteuer ausgesprochen.
Auch die anderen Interessentengruppen waren für die Beseitigung
der gebundenen Wirtschaft. Die freie Wirtschaft konnte sich aber
trotzdem nicht durchsetzen und scheiterte an dem Widerstand derjenigen,
die an der gebundenen Wirtschaft das lebhafteste Interesse hatten.
Solange eine Spiritusindustrie besteht, hat sie es verstanden,
die Staatsfinanzen zu ihren Gunsten auszunützen. Ich erinnere
nur an die galizische Propinationswirtschaft mit ihr em berüchtigten
Kontingentierungssystem im alten Österreich. Ich erinnere
weiters daran, daß es die Spiritusinteressenten bei uns
ebenfalls verstanden haben, vom Staat einen höheren Preis
zu erpressen, als er von der Spirituszentrale an die Konsumenten
abgegeben wurde, wodurch ein in die vielen Millionen gehender
Mehrertrag erzielt wurde.
Während andere Staaten daran gehen, den
Alkoholgenuß auszutrocknen, wie dies in den nordischen Staaten,
in Amerika und mit anerkennenswertem Erfolge auch in Rußland
der Fall ist, wird bei uns der Alkoholgenuß gefördert,
denn er bildet eine reiche Einnahmsquelle für den Staat.
So beträgt die Kopfquote an Bier in Böhmen im Jahre
1923 81.6 Liter, der hierauf entfallende Steuersatz 30.86 Kè.
In der ganzen Republik entfällt ein Biergenuß von 52.1
Liter pro Kopf, die Steuer beträgt 19.15 Kè. Ähnlich
verhält es sich mit Wein und Branntwein. Alle wissenschaftlichen
Autoritäten sind sich darin einig,
daß der Alkoholgenuß die verderblichsten Wirkungen
auf den menschlichen Organismus ausübt. Überall widmet
man der Bekämpfung der Alkoholseuche die größte
Aufmerksamkeit, bei uns in der Èechoslovakei aber werden
wir es noch erleben, daß eine besondere
Propagandastelle von der Regierung für den Alkoholgenuß
eingerichtet wird. Doch halt, einmal, ein einzigesmal während
des Bestandes der Nationalversammlung ist Ihr Gewissen erwacht.
Sie hat, mehr der Not gehorchend als dem eigenen Triebe, ein Gesetz
beschlossen, das zumindest die Jugend vor dem Alkoholgenusse schützen
soll. Das Gesetz ist in Kraft, aber wer beachtet es? Das scharfe
Auge des Gesetzes, welches jeden Bettler rücksichtslos faßt,
ist blind gegen jede Übertretung, niemand beachtet das Gesetz,
für Sie ist es nur ein Alibi, mit dem Sie in der Kulturwelt
paradieren. Allerdings, auf Weltkongressen, die sich mit dieser
Frage beschäftigen, tritt auch der Vertreter unserer Regierung
für die Einschränkung und für die Aufhebung des
Alkoholgenusses mit schönen Worten ein. Das gehört mit
zu den guten Sitten und zum Beweise kulturellen Hochstandes. Wie
es in Wirklichkeit aussieht, beweisen die Ziffern des Bierkonsums
und zeigt Ihnen auch die Tatsache, daß jährlich das
Spirituskontingent erhöht wurde. So wurde erst im Herbst
das Kontingent für das Jahr 1925/1926 von 500.000 hl auf
550.000 hl erhöht. In den Gegenden, in denen dem Branntweingenuß
stark gehuldigt wird, zeigt sich in krasser Weise der geistige
Rückstand, die Gleichgültigkeit und Bedürfnislosigkeit
und der stetig fortschreitende Verfall der Menschen. Aus diesen
Produkten Einnahmsquellen für den Staat zu machen, überlassen
wir der Mehrheit dieses Hauses und erklären, beide Vorlagen
abzulehnen.
Wir stimmen gegen die Steuer, aber nicht nur
wegen ihres wirtschaftlichen Charakters und der sozialen Ungerechtigkeit,
wir stimmen auch dagegen, weil wir zu dem Regierungssystem kein
Vertrauen haben. Die Bewilligung solcher Steuern kommt einem Vertrauensvotum
für die Regierung gleich und wir werden heute das Schauspiel
erleben, daß deutsche Parteien, obwohl sich im System bisher
nichts geändert hat, für diese Steuern stimmen und damit
der Regierung ein Vertrauensvotum ausstellen. Es ist noch nicht
lange her, als man aus dem Lager dieser Parteien es anders vernahm.
Ich möchte da die Kundgebung der deutschen Arbeitsgemeinschaft
vom 10. Feber 1925 zitieren, die folgendermaßen lautet:
"Die deutsche Arbeitsgemeinschaft ist jederzeit bereit, an
allen sachlichen Beratungen teilzunehmen, die eine Steigerung
und Verbilligung der heimischen Produktion und eine Ausschaltung
jeder ungesunden spekulativen Preisgestaltung im Auge haben. Sie
wird sich für alle Maßnahmen einsetzen, die vernünftigerweise
geeignet sind, den breiten Schichten des Volkes in der Versorgung
mit den wichtigsten Bedarfsartikeln eine Erleichterung zu gewähren.
Zunächst müssen aber die unerläßlichen Voraussetzungen
für wirtschaftliche und soziale Verbesserungen von der Regierung
selbst geschaffen werden. Diese Voraussetzungen bestehen in einem
radikalen Abbau der staatlichen Ausgaben bei gleichzeitiger Herabsetzung
der Steuerbelastung, in einer völligen Ausschaltung der staatlichen
Einflußnahme auf die privatwirtschaftliche Betätigung,
in der sofortigen Einstellung der parteipolitisch organisierten
Bodenaufteilung und schließlich in einer sachlichen Behandlung
aller wirtschaftlichen und staatsfinanziellen Fragen, die der
deutschen Wirtschaft an den maßgebenden wirtschaftlichen
Zentralstellen den der deutschen Bevölkerungszahl entsprechenden
Einfluß sichert." In dieser Erklärung wird der
richtige Grundsatz aufgestellt, daß unerläßliche
Voraussetzungen für die wirtschaftliche und soziale Besserung
von der Regierung geschaffen werden müssen und es knüpft
sich weiters daran die Kritik der speziellen Verhältnisse,
die uns alle zusammen in die schärfste Opposition drängten.
Wir wollen in aller Öffentlichkeit hier den Umfall dieser
Parteien feststellen, wir wollen aufzeigen, daß es die deutschen
Landbündler, die Christlichsozialen und die Gewerbetreibenden
sind, die für diese unerhörten Steuerleistungen stimmen
und wir wollen aufrufen das Volksgericht, damit es sein Urteil
über diesen unerhörten politischen Verrat fälle.
Selten ist in der Geschichte politischer Parteien die Felonie
soweit getrieben worden, wie wir es hier miterleben. Für
uns bleibt die Parole: Keinen Mann und keinen Groschen einer Regierung,
insolange uns nicht die natürlichen und gesetzlich zustehenden
Rechte gewährt werden! (Potlesk nìm. soc.
demokratických poslancù.)