Hohes Haus! Die zur Beratung stehende Vorlage beinhaltet eine
Verlängerung bis zum 31. Dezember d. J. des Gesetzes, betreffend
die Einkommensrente der Kriegsbeschädigten. Das Gesetz, das
verlängert werden soll, besteht nun schon zwei Jahre und
seine Schaffung und jeweilige Verlängerung war stets ein
Gegenstand des heftigsten Kampfes sowohl im sozialpolitischen
Ausschuß, als auch im Plenum des Hauses selbst, zwischen
den Mehrheitsparteien und der Opposition. Die Einkommensgrenze
für Kriegsbeschädigte ist eine Erscheinung, die nur
in der Èechoslovakei zu verzeichnen ist, sonst in keinem
anderen Staate der Welt, und sie ist in diesem Staate eine umso
traurigere Erscheinung, als man die Einkommensgrenze so niedrig
gestellt hat, daß die Kriegsbeschädigten bei 5000,
beziehungsweise 10.000 Kronen Einkommen schon ihrer Rente verlustig
werden sollen. Warum gerade der Selbständige schon bei 5000
Kronen nichts mehr bekommen soll, darüber hat sich einer
meiner Herren Vorredner dahingehend ausgesprochen, daß damit
aufgezeigt wird, daß die Regierung von der Voraussetzung
ausgeht, daß die Selbständigen ihr Steuereinbekenntnis
nicht allzu genau machen und daß die Kriegsbeschädigten
genötigt sind, dem Beispiel der anderen zu folgen. Obwohl
wir eine Einkommensgrenze für die Entschädigung der
Kriegsbeschädigten nicht wünschen, so haben wir doch
einen Antrag eingebracht, der aber nicht von Selbständigen
und Nichtselbständigen spricht, sondern einen Antrag, der
darauf Bezug nimmt, daß die Grenze für ledige 10.000
und für verheiratete Kriegsbeschädigte 16.000 Kronen
sein soll, hinter welcher die Schmälerung der Rentebezüge
einzutreten hätte. Wir sind leider der Auffassung, daß
auch dieser jedenfalls über den Regierungsantrag hinausgehende
Antrag nicht Ihre Zustimmung finden wird, aber wir halten uns
für verpflichtet, ihn trotzdem einzubringen.
Die Gelegenheit der Aussprache über dieses Gesetz soll natürlich
auch von uns dazu benützt werden, um die Verhältnisse
der Kriegsbeschädigten im allgemeinen mit einigen Worten
aufzuzeigen. Das Elend der Kriegsbeschädigten und ihrer Angehörigen
sowie aller jener, die auf Kriegsbeschädigtenfürsorge
an gewiesen sind, ist überaus groß und traurig. Es
gibt, soweit sich das bisher hat amtlich feststellen lassen, in
diesem Staate weit mehr als eine halbe Million Kriegsbeschädigte,
Witwen, Waisen u. s. w. Es muß leider gesagt werden, daß,
trozdem die Landesämter mehr als ein halbes Dutzend Jahre
bestehen, es heute noch Menschen gibt, die immer noch nicht in
den Besitz ihrer Rente gelangt sind. Es muß leider festgestellt
werden, daß die berühmten Nachzahlungsbestimmungen
auf den Bögen, welche da besagen: "Die Nachzahlung Ihrer
Rente vom Mai 1920 usw. wird Ihnen nach Durchrechnung usw. angewiesen
werden", noch immer nicht verschwunden sind. Auf diese Nachzahlung
warten Zehntausende Menschen schon jahrelang, und Tausende von
Urgenzen und Hunderte von Interventionen werden bei den Landesämtern
durchgeführt, ohne daß leider bisher eine besondere
Besserung der Dinge eingetreten wäre. Es muß gesagt
werden, daß die Verhältnisse bei den Landesämtern
sich auch in den letzten Jahren leider nicht zum Besseren gewendet
haben, sondern daß die alten Verhältnisse geblieben
sind und daß wohl eine wirkliche Besserung erst dann eintreten
dürfte, wenn infolge Ablebens der Kriegsbeschädigten
und ihre Angehörigen diese Ämter nicht mehr werden belästigt
werden. Aber nicht nur die Landesämter, auch die Bezirksstellen
hat man aus Gründen der berühmten Sparmaßnahmen
abgebaut. Waren schon der anfänglich kreierten Bezirksstellen
zu wenig und ihre Einrichtungen mehr als mangelhaft, so muß
gesagt werden, daß leider in der letzten Zeit diese Bezirksstellen
fast jeden Wert verloren haben. Sie sind lediglich dazu da, daß
die Kriegsbeschädigten oder ihre Angehörigen ihre Einwendungen
und Zuschriften dorthin richten, daß diese dort eingetragen
und an die verschiedenen Landesämter weitergesendet werden.
Einen sonstigen Aufgabenkreis erfüllen wohl diese Bezirksstellen
nicht mehr, es sei denn, wenn es darum geht, die sogenannte sozialärztliche
Überprüfung vorzunehmen.
Diese sozialärztlichen Überprüfungen sind ein außerordentlich
trauriges Kapitel und sie zeigen sehr deutlich, daß in der
Èechoslovakei die Halbhubers noch nicht ausgestorben sind.
Wenn so ein Kriegsbeschädigter vor die sozialärztliche
Untersuchung gebracht oder verlangt wird, so kann er mit Sicherheit
darauf rechnen, ob nun die Tatsache stimmt oder nicht, daß
der untersuchende Arzt an ihm ein Stück Gesundungsprozeß
konstatiert und dies in der Form der Herabsetzung seines Prozentsatzes
der Erwerbsunfähigkeit zum Ausdruck bringt. Noch schlimmer
als den Invaliden selbst ergeht es den Witwen der Kriegsgefallenen
oder den Vorfahren, und die Fälle sind nicht selten, daß
man Kriegswitwen oder alte Leute für höchstens 30% erwerbsunfähig
erklärt, die nicht mehr imstande sind, die Treppe zu dem
Amt hinaufzusteigen, wo sie untersucht werden. Erheben diese Menschen
dann gegen den Befund dieser sozialärztlichen Bezirksstelle
Berufung in Prag oder bei einer anderen Landesstelle des Staates,
so ist der Effekt ihrer Berufung in der Regel nicht viel besser.
Auch die landesamtlichen Untersuchungen werden zumeist nicht genau
durchgeführt, und wer einmal bei der sozialärztlichen
Untersuchung sozusagen in den Genesungsstand gesetzt wird, der
hat damit zu rechnen, daß ihm die Rente abgebaut wird.
Ein trauriges Kapitel unter den Kriegsverletzten bilden insbesondere
die Kriegsblinden. Sie können heute nach dem Gesetz, wenn
sie vollständig auf beiden Augen blind sind und für
die Besorgung ihrer persönlichen Bedürfnisse noch jemanden
benötigen, eine Rente bis zu 500 Kronen im Monat bekommen.
Wie mit 500 Kronen im Monat ein hilfloser Blinder und seine Warteperson
leben sollen, das Kunststück zu lösen und aufzuzeigen,
wird wohl eine Aufgabe der èechoslovakischen Gesetzgebung
bleiben, und es muß gesagt werden, daß in keinem der
Staaten die Kriegsblinden so außerordentlich benachteiligt
werden, wie das gerade in unserer Republik der Fall ist.
Ein weiteres Kapitel und damit in Zusammenhang ist die Geltendmachung
von Ansprüchen auf die Invalidenrente bei Krankheit oder
Erwerbsunfähigkeit, die sich erst in späteren Jahren
als eine Folge der Kriegseinwirkungen darstellen. Die Fälle
sind gar nicht so selten, daß Menschen augenscheinlich ganz
heil vom Kriegsschauplatz zurückkehrten und erst nach Monaten,
ja nach Jahren sich die Auswirkungen der Kriegsstrapazen, allfällig
augenscheinlich verheilter Verwundungen usw. zeigten. Wenn sich
nun diese Menschen unterfangen, unter Hinweis darauf, daß
ihre Krankheitserscheinungen, ihre Arbeitsunfähigkeit usw.
im Zusammenhang mit den Kriegsfolgen stehen, die Rente zu fordern,
so wird ihnen diese zumeist rundweg aberkannt und wohl nur in
den seltensten Fällen ist es möglich, dann im Wege der
Berufung schließlich und endlich doch zu einer kleinen Rente
zu gelangen. Ein überaus trauriges Zeichen unserer Verhältnisse
ist der Umstand, daß man mit Ende des Jahres 1923 die Anmeldemöglichkeit
für die Gewährung von Renten, insbesondere aber für
Vorfahren. Renten ganz einfach als erledigt erklärt hat und
Tausende von Menschen, die diese Frist infolge Unkenntnis des
Gesetzes versäumten, sind ihrer berechtigten Ansprüche
aus rein formalen Gründen verlustig geworden, können
heute keine Rente bekommen. Wir sind seit jeher auf dem Standpunkt
gestanden, daß eine solche Beschränkung der Anmeldefrist
bei einem derartigen Gesetz überhaupt nicht bestehen soll
und nicht bestehen darf, und wir werden als Klub hier im Hause
bei entsprechender Gelegenheit es nicht verabsäumen, durch
einen Antrag dafür Sorge zu tragen, daß der Regierung
die Möglichkeit geboten wird, diese Bestimmung der Rentenanmeldung
freizugeben, so daß jeder, der rentenanspruchsberechtigt
ist, diese Rente auch tatsächlich bekommt. Das Ministerium
hat nun mit Erlaß vom 4. Dezember mitgeteilt, daß
solche Personen, die lediglich aus Fristenversäumnis keine
Rente bekommen, nun im Wege eines Ansuchens eine Rente bis zu
600 Kronen im Jahre und in der längsten Dauer von zwei Jahren
erhalten können. Wieviele Leute bei diesem Ansuchen berücksichtigt
werden können, ist natürlich nicht mitgeteilt worden.
(Pøedsednictví pøevzal místopøedseda
Stivín.) Aber es steht wohl eines fest, daß nur
ein geringer Bruchteil derer, die sich um eine vorübergehende
Rente bewerben werden, eine solche zu erhalten imstande sein wird,
und es ist fraglich, ob bei der besonders langwierigen Erledigung
der Fürsorgeagenden auf diesem Gebiete es nicht jahrelang
dauern wird, bis solch ein armer Teufel in den Besitz einer solchen
vorübergehenden Rente gelangt.
Aber noch ein neues Attentat plant man auf die Kriegsbeschädigten,
wenn man auch im gegenwärtigen Momente nicht davon spricht,
aber man wird schon im geeigneten Zeitpunkte damit bestimmt kommen.
Man will alle Kriegsbeschädigten, deren Erwerbsfähigkeit
nicht über 40% Einbuße erlitten hat, außer Genuß
der Renten setzen und damit auch auf diesem Gebiet der sozialen
Fürsorge nach berühmten Mustern in anderer Beziehung,
einen gewaltigen Abbau vornehmen. Wir werden selbstverständlich
auch einem solchen Angriff nicht ruhig gegenüberstehen, sondern
werden mit allen uns zu Gebote stehenden Mitteln uns zur Wehr
setzen, wenn es die Regierung wagen sollte, einen solchen Abbau,
eine solche neue schwere Schädigung der Kriegsbeschädigten
vorzunehmen.
Im übrigen verweise ich nochmals auf unseren Antrag, die
Einkommensgrenze auf 10.000, beziehungsweise 16.000 Kronen hinaufzusetzen,
und bitte um Annahme dieses Antrages. (Souhlas na levici.)
Meine Herren! In seiner am 16. Februar abgegebenen Regierun gserklärung
hat der Herr Ministerpräsident Dr. Švehla
von allem möglichen gesprochen, er fand es aber nicht
der Mühe wert, den über 500.000 Invaliden, Waisen und
Witwen auch nur ein einziges Wort zu widmen. Diese Geringschätzung
von bedauernswerten Männern, Frauen und Kindern hat nicht
nur weite Kreise des deutschen, sondern auch des èechischen
Volkes mit Recht empört.
Diese Empörung steigerte sich, als dem Hause der Regierungsentwurf
über die unveränderte Verlängerung des Kriegsbeschädigtengesetzes
vom 10. April 1924, bzw. vom 19. Dezember 1924 vorgelegt wurde.
Nach diesem Entwurf soll bei selbständig Erwerbenden in der
Regel nur der Anspruch auf eine Rente haben, der ein Höchsteinkommen
von 5000 Kronen hat. Für wirtschaftlich Unselbständige
wird die Grenze mit 10.000 Kronen festgesetzt.
Im Motivenbericht vom 12. Dezember 1925 und im Bericht des Sozialpolitischen
Ausschusses wird die unveränderte Gesetzesvorlage damit begründet,
die wirtschaftlichen Verhältnisse hätten sich im Jahre
1925 nicht geändert und es sei auch gar nicht zu erwarten,
daß sich in der nächsten Zeit besondere Veränderungen
ergeben würden.
Wenn der Index, wenn die Verlautbarungen über die Zahl der
Arbeitslosen, wenn die monatlichen Berichte über die Aus-
und Einfuhr das einzige Barometer wären, das uns über
den Stand der Wirtschaft Aufschlüsse gäbe, dann wäre
diese Begründung sicherlich richtig.
Hier muß aber noch etwas anderes berücksichtigt werden:
Die Verschuldung, besonders die der kleinen Leute, wird nicht
abgeleugnet. Die Steuerlasten wurden erhöht und sie werden
schon in den nächsten Wochen abermals erhöht werden.
Daß Gemeindeumlagen erniedrigt werden, hört man selten,
wohl aber wissen wir, daß in zahlreichen Gemeinden die Umlagen
erhöht werden mußten. Daß sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse verschlechtert haben, geben die Herren von der
Koalition indirekt selbst zu, indem sie die Erhöhung der
Staatsbeamtengehälter als notwendig bezeichnen.
Aber selbst wenn sich die wirtschaftlichen Verhältnisse wirklich
nicht geändert hätten, bestünde die sittliche Pflicht,
für die Opfer des Krieges ausreichender als bisher zu sorgen.
Die Sorge für die Kriegsbeschädigten ist vor allem ein
sittliches Problem, ein Problem, das losgelöst sein muß
von allen politischen Reminiszenzen.
In keinem Staate wird so viel von Humanität gesprochen als
bei uns. Die humanitäre Arbeit aber steht oftmals in krassem
Widerspruch zu den Worten. Da wird im Auslande von Hilfsbereitschaft
geredet, da werden im Auslande Freundschaftsverträge unterschrieben,
im Innern aber verspüren wir von der Humanität sehr
wenig. Das sehen wir wiederum bei der Fürsorge für die
Kriegsopfer.
Und doch wäre gerade die Èechoslovakei kraft ihrer
geographischen Lage, kraft ihrer ethnographischen Struktur, es
wäre dieser Staat, an dessen Spitze ein Philosoph steht,
der immer und immer wieder die Humanität preist, dieser Staat
wäre berufen und verpflichtet, den Gedanken der Humanität
in alle Gaue Europas zu tragen. Wir aber sehen beim Kriegsbeschädigtenproblem
aufs neue, daß in anderen Staaten, wo von Humanität
weniger geredet wird, die Kriegsopfer besser behandelt werden
als von unserer Regierung.
Die Unterstützung der Kriegsbeschädigten ist unzulänglich.
Unser Urteil entspringt nicht einem Querulantentum, es entspringt
unserer Liebe zu diesen Bedauernswerten, es entspringt unserem
Rechtsempfinden.
Bei uns erhält ein Kriegsblinder, der in häuslicher
Pflege ist, monatlich 300 Kronen, die ihm im Gnadenwege auf 500
Kronen erhöht werden können. Im armen Österreich,
das die Entente selbst zu einem Kriegskrüppel geschlagen
hat, muß ein Kriegsblinder monatlich mindestens 1500 Kè
erhalten Österreich, das mit seiner Existenz ringt, hat vom
Völkerbund die Bewilligung erhalten, im Jahre 1926 etwa 20
Millionen Kè mehr als bisher für die Kriegsbeschädigten
zu verwenden.
Wir haben eine Einkommensgrenze, die fast kein Staat kennt. Wohin
diese Bestimmung führt, das, meine Herren, sehen wir immer
und immer wieder. Ich halbe z. B. diesen Sonntag einen Kriegsblinden
besucht, dem außerdem das linke Bein amputiert worden ist.
Plötzlich am 1. Jänner wird ihm die Rente eingestellt.
Beim Kriegsbeschädigtenamt in Brünn sagte man ihm, man
finde seinen Akt nicht. Wahrscheinlich ist das Steuerreferat schuld,
das hat vielleicht berechnet, daß der Mann nicht 5000 Kronen
Jahreseinkommen hat, sondern vielleicht 5100 Kronen, und deswegen
kommt der Mann mit seiner Familie ganz um die Rente.
In diesem Staate erhalten nur jene eine Rente, deren Invalidität
mindestens 20% beträgt, wobei darauf hingewiesen werden muß,
daß die Zahl der Bezugsberechtigten durch wiederholte sozialärztliche
Untersuchungen ständig vermindert wird. Polen und Frankreich
zahlen schon dann Renten, wenn die Invalidität mindestens
15% beträgt. Man hat uns wiederholt gesagt, daß speziell
Schwerinvalide schon in der nächsten Zeit bedeutend besser
gestellt werden sollen. Wir hören aber, daß diese Besserstellung
erfolgen soll auf Koten jener Invaliden, deren Invalidität
30% und 40% beträgt.
In der Èechoslovakei besteht wohl die Pflicht, Legionäre
in den Staatsdienst einzustellen, Legionäre, denen die in
den Legionen zugebrachten Jahre dreifach gezählt werden.
Es besteht aber weder für den Staat, noch für die Gemeinde,
noch für den Privatbetrieb die gesetzliche Verpflichtung,
Invalide zu beschäftigen. Im Jahre 1920 brachte es die Regierung
nur zu einer Geste, die aber sicher keinen 10 Invaliden geholfen
hat: bei Anstellungen und Beförderungen sind nämlich
Kriegsbeschädigte solchen Bewerbern vorzuziehen, die dieselbe
Dienstzeit und dieselbe Qualifikation haben. Statt den Invaliden
Anstellungen zu sichern, hat man viele von jenen Invaliden, die
im Staatsdienst oder in Fabriken angestellt waren, wie eine ausgepreßte
Zitrone behandelt, man hat sie einfach aufs Pflaster geworfen.
Ich frage Sie, wo bleibt da die Humanität, wo bleibt da die
soziale Fürsorge?
Deutschland gewährt den mit mindestens 25% klassifizierten
Invaliden eine Sondersteuerbegünstigung, jenes Deutschland,
das alljährlich Milliarden Goldmark an Kriegsentschädigung
zahlen muß. Dieses Deutschland geht daran, Steuern zu ermäßigen;
und die Èechoslovakei? Jeder von uns kennt Fälle,
wo bei den Invaliden rücksichtslos die Steuern nicht eingehoben,
sondern eingetrieben werden. Wir alle kennen die traurige Lage
der kriegsbeschädigten Trafikanten, von denen man - und das
ist eine Errungenschaft der letzten Zeit - nicht wenige mit einem
unfreiwilligen Kompagnon beglückt, der sich mit dem bisherigen
alleinigen Besitzer um den kargen Reingewinn zu teilen hat.
Und doch will man natürlich auch gegenüber dem Auslande
die Meinung aufkommen lassen, es werde hier sehr gut für
die Invaliden gesorgt. Da teilten die Zeitungen vor ein paar Wochen
mit, an Kriegsbeschädigte würden sogar Geschenke ausgeteilt
werden! Tausende werden wohl auf die ausgeworfene Summe von 80.000
Kronen wie auf einen Haupttreffer gesehen haben. Liest man aber
den Erlaß selbst, dann erstirbt man nicht mehr in Ehrfurcht
und Bewunderung vor dieser Fürsorge, dann ist man darüber
empört, daß man statt einer durchgreifenden Regelung
ein paar Brocken als Almosen austeilt.
Sind die hier lebenden èechoslovakischen Kriegsbeschädigten
schlecht gestellt, so gilt dies noch weit mehr von den im Auslande
lebenden kriegsbeschädigten èechoslovakischen Staatsbürgern.
Vor ein paar Wochen ging durch die Zeitung folgende Nachricht:
Der Kriegsbeschädigte Bartholomeus Paul, wohnhaft in Leipzig,
hat angesucht, man möge ihm die Hilflosenrente zuerkennen,
da er tuberkulös ist. Bevor noch die negative Entscheidung
kam, war der Mann gestorben. Die in Österreich und Deutschland
wohnenden Kameraden beklagen sich immer und immer wieder, daß
man ihre Gesuche monatelang, ja, jahrelang einfach liegen läßt.
Die Armen warten auf ihre Renten, sie müssen mit jeder Krone
rechnen. Wir wissen ganz gut, daß der Minister diese Nachlässigkeit
mißbilligt, Tatsache aber ist, daß sich gewisse Leute,
besonders solche, die in Ämtern sitzen, die dem Ministerium
für soziale Fürsorge nicht unterstehen, um Anweisungen
des Ministers einfach nicht kümmern.
Wenn wir unsere Klagen vorbringen, sagt man uns immer wieder:
"Wir haben ja d guten Willen, es fehlt uns aber das Geld".
Wenn ein französischer General der Ansicht ist, es läge
im Interesse Frankreichs, daß die Èechoslovakei die
18monatige Dienstzeit beibehalten, dann ist für diesen Wunsch
Geld vorhanden. Für russische Studenten ist auch Geld vorhanden.
Für die kostspielige Außenpropaganda und für die
teuren Gesandten ist auch Geld vorhanden. Wenn wir das sagen,
sagt man uns, wir sprächen wie Querulanten. Da habe ich eine
interessante Broschüre entdeckt, sie ist jedenfalls nicht
für das deutsche Publikum bestimmt. Sie lautet: "Memorandum
pomocné agendy Svazu èsl. legionáøù
v Americe". Die ist in Cleveland, im Staate Ohio, im Jahre
1922 erschienen. In diesem Memorandum heißt es, daß
während des Weltkrieges 2300 Amerikaner, und zwar gebürtige
Èechen und Slovaken, in der amerikanischen Armee gekämpft
haben. Von diesen sind 197 gefallen und 107 verwundet worden.
Und für diese Verwundeten verlangt jetzt dieser Hilfsverband
von der èechoslovakischen Regierung, daß diese Kriegsbeschädigten,
die in Amerika wohnen, die Rente in Gold gezahlt bekommen, und
zwar derart, daß für je 5 èsl. Kronen ein Dollar
ausgezahlt werde. Das ist weniger interessant. Aber wissen Sie,
wie die Legionäre in Amerika das Geld für ihre Kameraden
hereinbringen wollen? So ziemlich auf jeder Seite beklagen sie
sich darüber, daß der èechoslovakische Gesandte
in Washington ungeheuere Summen bezieht, und zwar wird von dem
damaligen Gesandten Dr Štìpánek gesagt, daß
er jährlich 40.000 Dollar erhalten haben soll. Und die Legionäre
sind es, die auf jeder Seite klagen, man soll diesem Herrn weniger
geben, dann würden die Kriegsinvaliden genug Geldhaben. Wenn
wir das sagen, dann werden wir mit dem neuesten Schimpfwort Querulanten
bezeichnet. Für diese Sachen ist Geld da, für die Invaliden
aber hat man kein Geld. Wir verlangen, daß für die
Kriegsbeschädigten mehr gegeben wird als bisher. Die Kriegsbeschädigten
brauchen einfach das Geld und da muß das nötige Geld
bewilligt werden.
Im Nachhange zum Regierungsantrag Druck 4994 heißt es, bis
30. Juni 1924 seien für die Kriegsbeschädigten 2.821,000.000
Kronen präliminiert gewesen. Tatsächlich hat man aber
um 828 Millionen weniger ausgegeben. Das muß uns gegenüber
den in den letzten Jahren präliminierten und von der Regierung
als sehr hoch bezeichneten Ziffern zur größten Vorsicht
mahnen. Ich gebe gerne zu, daß es sehr lange gedauert hat,
bis man endlich die genaue Zahl der Invaliden, Witwen, Waisen
und Hinterbliebenen ermittelt hat und daß dadurch die Ziffern
des Staatsvoranschlages nicht auf volle Genauigkeit Anspruch erheben
konnten. Die Tatsache aber, daß gerade bei den Invaliden
eine derart große Summe erspart wurde, gibt wohl zu denken.
Noch etwas muß hier in Betracht gezogen werden. Die Ausgaben
für die Kriegsbeschädigten sind ja keine dauernde Belastung
des Staates. In demselben Maße, wie die Zahl der zu Unterstützenden
sinkt, sinken auch die Ausgaben.
Bei dieser Gelegenheit lenke ist Ihre Aufmerksamkeit auf den Staatsvoranschlag
des Ministeriums für soziale Fürsorge. Wenn man die
letzten Bände durchgeht, so stößt man auf ganz
merkwürdige Ziffern. Ein paar Beispiele: Es gab in Böhmen
im Jahre 1922 80.000 Kriegswitwen, Ende 1923 nur 60.000 und Ende
1924 nur 53.000. Bei den Waisen ist es ähnlich. Da sinkt
die Ziffer von 140.000 auf 128.000 und dann auf etwa 100.000.
Ich will aus diesen Ziffern nur die eine Folgerung ziehen: Der
Herr Minister könnte spielend leicht alle jene Anträge
durchführen, die wir gestellt haben, ohne sich um neue Geldquellen
umzusehen. Bei dieser Abnahme der Kriegsbeschädigten muß
doch aus den bewilligten Geldern genug erübrigen.
Die mangelhafte Fürsorge für die Kriegsinvaliden ist
charakteristisch für den Geist, der hier herrscht. Die bescheidenen
Forderungen der Invaliden werden nicht erfüllt. Würde
man es tun, dann könnte diese Tat eine Zeit der Versöhnung
einleiten.
In einem Staate, in welchem den Kommunisten mit dem Pendrek gedroht
wird; in einem Staate, wo die übrigen Oppositionellen ausgerechnet
von jenen, die im alten Wiener Parlament die Tribüne gestürmt
haben, mit dem Ausdruck "Querulanten" bezeichnet werden;
in diesem Staate dürfen sich auch die Invaliden keine Hoffnungen
machen. Die Kalvariastraße der Kriegsopfer wird auch weiterhin
mit Männern bedeckt sein, die aus Verzweiflung zusammenbrechen.
Sie wird weiterhin bedeckt sein mit Kriegswitwen und ihren Kindern,
denen der Krieg den Vater, der neue Staat aber den Glauben an
Menschlichkeit und Dankbarkeit genommen hat. Kürzlich kamen
deutsche Frauen nach Arras. Sie übergaben dem Bürgermeister
gesammelte Gelder mit der Bitte, auf den ehemaligen Schützengräben
Bäume des Friedens zu pflanzen. Ganz Frankreich hat diese
wackeren deutschen Frauen begrüßt. In unserem Staate
hat der Weltkrieg, Gott sei Dank, nur wenige Schützengräben
aufgewühlt. Der nationale Chauvinismus der Nachkriegszeit
aber hat die Herzen von Hunderttausenden mehr zerrissen als die
Granaten den Boden von Arras. (Sehr gut.) Was hat die Regierung
getan um diese fürchterlichen Schäden zu heilen? Die
Regierungsvorlage, über die wir eben verhandeln, gibt uns
abermals eine deutliche Antwort.
Wir werden gegen diese Vorlage stimmen und für die Anträge,
die wir eingebracht haben. (Souhlas na levici.)