Hohes Haus! Ich beziehe bei der Behandlung der Gesetzesvorlage
über die Schaffung einer Einkommensgrenze für Kriegsbeschädigte
keinen anderen Standpunkt als den, welchen ich schon im sozialpolitischen
Ausschuß bezogen habe. Es ist das eine tatsächliche
Wiederholung von Begründungen für Abänderungen
des Regierungsentwurfes, eine Wiederholung, die wir uns schließlich
ersparen könnten, weil wir der Meinung sind, daß dieselbe
nicht unter allen Umständen einen größeren Effekt
erzielt, als unsere Arbeit im Ausschuß. (Výkøik:
Daher der Name Parlament!) Ja, so ist es! Die Wiederholung
muß aber doch geschehen, weil wir auch von dieser Tribüne
aus unsere größere Einsicht gegenüber dem Kriegsbeschädigtenproblem
bekunden müssen, als diese Einsicht bei den Schöpfern
des vorliegenden Gesetzes besteht, das, schon im Entstehen begriffen,
den begreiflichen Widerstand aller durch dieses Gesetz zu Treffenden
erregt hat.
Man sollte sich auch von der Regierungsseite zum Kriegsbeschädigtenproblem
etwas anders einstellen, als es aus dem vorliegenden Gesetze ersichtlich
ist. Man müßte einigermaßen zu verstehen versuchen,
daß den Kriegsbeschädigten als Menschen, welche der
Gesellschaft das größte Opfer an Blut und Gesundheit
brachten, wenn nicht eine um eine Nuance größere Sorgfalt
bei der Behandlung ihrer Fragen, so doch mindestens die gleiche
Behandlung zuteil werden müßte, wie sie etwa anderen
sozial Schutzbedürftigen zuteil wird. Zu diesem Standpunkte
müßte man sich endlich durchgerungen haben. Jede Reminiszenz,
sei sie national, historisch oder sonst wie, welche diesen Standpunkt
stören könnte, hätte nachgerade zu schweigen. Wir
sehen aber das Gegenteil, trotz aller Versicherungen zu ausreichender
sozialer Fürsorge für die Kriegsbeschädigten. Wir
sehen, daß man sich gerade die Kriegsbeschädigten aussuchte
als Objekt, an welchem der staatsfinanzielle kategorische Imperativ,
der in diesem Hause seitens der Regierungsparteien bei Behandlung
verschiedener Gesetze immer ins Vordertreffen geführt wird,
zu praktizieren möglich ist.
Zum Meritum des Gesetzes haben eine ganze Menge Vorredner schon
gesprochen, so daß nicht viel Neues zu sagen ist. Die Regierung
hat dem Hause einen Antrag unterbreitet, nach welchem die Einkommensgrenze
nach § 2 des Versorgungsgesetzes für Kriegsbeschädigte
wieder mit 5.000 Kronen für wirtschaftlich selbständig
Tätige und mit 10.000 Kronen für wirtschaftlich unselbständig
tätige Kriegsbeschädigte festgelegt wird. Es handelt
sich dabei um eine Verlängerung des bis 31. Dezember 1925
gegoltenen Zustandes, der, als er mit der Novelle vom 10. Feber
1924, Nr. 79 Slg. d. G. u. V., festgelegt wurde, schon damals
unserer größten Kritik begegnete. Wir könnten
heute dem Umstande, daß dieser Regierungsantrag, der die
Verlängerung des bis 31. Dezember 1925 geltenden Gesetzes
auf ein Jahr festlegt, zu dem verspätet eingebracht wurde,
eine größere kritische Betrachtung zuwenden. Eine Verwaltung,
welche ein Gesetz, das mit 31. Dezember 1925 abgelaufen ist, erst
im März 1926 neuerlich verlängert, müßte
einer gewissen Versäumnis wegen angeklagt werden. Es darf
keineswegs vorkommen, daß ein gesetzliches Vakuum, wie es
sich durch das verspätete Einbringen dieser Vorlage ergeben
hat, usuell wird. Aber wir wollen dieser Seite unserer Stellungnahme
keine besondere Note geben. Der Herr Minister hat im Ausschuß
die Gründe der Verspätung angegeben und wir haben in
diesem Punkte keine Veranlassung, seinen Worten nicht zu glauben.
Wir beschäftigen uns ausführlicher als mit der technischen
Angelegenheit mit dem wirklichen Inhalte des Regierungsantrages.
Der erscheint uns nun als im größten Gegensatze stehend
zu der andauernden Versicherung, die soziale Gesetzgebung vorwärts
zu treiben. Im konkreten Falle besonders dieses Antrages ist davon
nichts zu verspüren. Ich sagte schon, daß wir bei der
Behandlung des Gesetzes vom 10. Feber 1924, das die Einkommensgrenze
für Kriegsbeschädigte von 6.000 auf 5.000 Kè
für wirtschaftlich selbständig Tätige, beziehungsweise
von 12.000 auf 10.000 Kronen für wirtschaftlich unselbständig
Tätige Kriegsbeschädigte herabsetzte, davor warnten,
durch Experimente, welche dem Staate gar keinen finanziellen Effekt
abgeben, hiemit aber begründet werden, eine große Gruppe
von Menschen, die verständlicherweise empfindlicher sind
als andere, im tiefsten Innern aufzurühren.
Wir stehen auf dem Standpunkt, daß es eine Einkommensgrenze,
an welche der Bezug der Rente bei den Kriegsbeschädigten
gebunden ist, nicht geben darf. Wir meinen das grundsätzlich.
Das Opfer, das der Kriegsbeschädigte gebracht hat, ist ein
solches, daß es überhaupt nicht bezahlt werden kann.
Es wäre eine Sünde wider allen guten Geist, wollte man
in diesem Falle ein Honorar als Äquivalent betrachten. Es
kann die Höhe einer Rente, die man zugesteht, aber doch einigermaßen
ein Zeugnis sein dafür, in welchem Grade man fähig ist,
ein Opfer an Blut und Gesundheit einzuschätzen. Jeder, der
dieses Opfer gebracht hat, muß der Renteteilhaftig werden.
Das ist, ich wiederhole es, unser Standpunkt. Mit diesem Gesetze
schafft sich die Èechoslovakei dem entgegengesetzt in der
internationalen Kriegsbeschädigtenfürsorge eine Sonderstellung.
Die Èechoslovakei ist der einzige Staat, der eine Einkommensgrenze
für Kriegsbeschädigte festlegt. Kein Staat hat eine
solche gesetzliche Regelung geschaffen, keiner der im Weltkrieg
irgendwie beteiligt gewesenen Staaten; überall ist der von
mir angeführte Grundsatz verwirklicht, daß die Rente
dem gebührt, der ein Opfer an Blut und Gesundheit gebracht
hat unbeschadet seines Einkommens, das er sich etwa nachträglich,
ins Zivilleben zurückgekehrt, geschaffen hat. Es könnte
höchstens einen freiwilligen Verzicht auf eine solche Rente
geben. Es wurde schon im Ausschuß bei Behandlung des Gesetzes
festgestellt, daß kein Staat in solcher Weise bei der gesetzlichen
Regelung verfahren ist. Es wird dagegen gehalten, daß Deutschland
eine solche Grenze geschaffen hätte. Deutschland hat zwar
in einer gewissen Form eine Einkommensgrenze für die Kriegsbeschädigten
festgesetzt, doch ist diese weit höher gehalten, als die
Grenze bei uns und sie ist derart organisiert, daß bei Erreichung
eines gewissen Einkommens dem Kriegsbeschädigten keineswegs
die ganze Rente in Wegfall kommt, bzw. abgeschrieben wird, sondern
lediglich stufenweise. Dagegen wird in Deutschland die Schwerbeschädigtenzulage,
bzw. die Ortszulage sowie die Ausgleichszulage unbeschadet jedweder
Höhe des Personaleinkommens dem Kriegsbeschädigten zur
Auszahlung gebracht. Diesem Standpunkt müßte auch unsere
Regierung Rechnung tragen, auch sie müßte bei der Regelung
der Kriegsbeschädigtenfürsorge in dieser Art und Weise
vorgehen. Damit würde unserer zweiten grundsätzlichen
Forderung, die wir in der heutigen Sitzung erheben möchten,
Rechnung getragen sein, sie besteht darin, daß der Unterschied
bei der Fürsorge für wirtschaftlich selbständig
tätige und wirtschaftlich unselbständig tätige
Kriegsbeschädigte überhaupt aufgehoben wird. Die Bestimmung
über Schaffung einer Einkommensgrenze, über welche hinaus
den Kriegsbeschädigten die Rente nicht mehr zur Auszahlung
gelangt, ist für uns nicht akzeptabel. Wir erkennen in dieser
Maßnahme viel zu sehr den eigentlichen Zweck, der darin
besteht, einen großen Teil der Kriegsbeschädigten aus
der Rentenversorgung überhaupt auszuschalten. Das ist so
hart und so ungeheuerlich, so einzig dastehend! Kein einziger
Staat, wie ich schon sagte, der am vergangenen Krieg beteiligt
war, hat zu dieser Methode gegriffen, so daß wir uns mit
dieser Maßnahme nicht im geringsten irgendwie verquicken
wollen. Wir warnen in letzter Stunde vor der Verabschiedung des
vorliegenden Gesetzes vor dessen unveränderter Annahme. Es
gilt diese Warnung nicht zuletzt auch denen, welche auf gegnerischer
Seite stehend in den letzten Jahren versuchten, trotz aller Widerstände
die Sozialgesetzgebung vorwärts zu tragen, den Rest ihres
guten Namens als Sozialpolitiker zu erhalten.
Trotz aller gegensätzlichen Einstellung, wie ich sie gekennzeichnet
habe, begeben wir uns aber, um entgegenzukommen, auf den Verhandlungsweg,
auf den Weg des Kompromisses. Wir beantragen, daß die Einkommensgrenze,
wenn eine solche schon festgelegt werden muß, zunächst
einheitlich für wirtschaftlich unselbständig tätige
und wirtschaftlich selbständig tätige Kriegsbeschädigte
verfügt und entsprechend hoch angesetzt wird. Unser Antrag
lautet auf Festsetzung einer Einkommensgrenze von 16.000 Kronen
für beide Kategorien der Kriegsbeschädigten. Wir können
diesen Antrag stellen und auch den Herren von der Regierungsseite
zur Annahme empfehlen, ohne des Vorwurfes gewärtig sein zu
müssen, mit dem man uns immer so schnell bei der Hand ist,
daß uns Demagogie ohne Rücksicht auf die Möglichkeit
der Erfüllung der Forderung leitet, oder des Vorwurfes, daß
wir es als oppositionelle leicht haben, gewissenlos in Verkennung
der finanziellen Lage des Staates Wünsche zu äußern.
Ich frage die Herren von der Regierungsseite, die als Mehrheit
für die Beschlußfassung des Gesetzes mehr in Betracht
kommen, als die linke Seite des Hauses, ob der Antrag auf Erhöhung
der Einkommensgrenze für Kriegsbeschädigte in dem von
uns gewünschten Ausmaße auch nur im entferntesten als
Demagogie gewertet werden kann, ob dem Staate durch Annahme eines
solchen Antrages seine finanzielle Führung zur Unmöglichkeit
würde. Sie müssen mit Nein antworten und sie müßten
dem Antrage zustimmen. Täten sie das, sie retteten ein gutes
Stück Ihres guten Rufes. Sie wissen das so gut wie ich, weil
Sie die internationale Regelung der Kriegsbeschädigtenfürsorge
gleich uns Oppositionellen kennen. Ich frage Sie, sind denn 5.000
Kronen überhaupt eine Einkommensgrenze, sind denn 5.000 Kronen
überhaupt ein Existenzminimum? Es soll nicht nach Zynismus
aussehen, wenn ich die Herren, die solche Bestimmungen veranlassen
wollen, bitte, Sie verzeihen, vielleicht einen Bruchteil des Jahres
nur mit dem auf diesen Bruchteil kommenden Betrag von 5.000 Kronen
Ihr Auskommen zu finden. Sie würden gewiß zu einer
anderen Meinung und Ansicht kommen, als die, die Sie in diesem
Gesetz verankert haben und die Sie zum Gesetz erhoben wissen wollen.
Die Stellung zu unserem Antrag wird uns ein letzter Beweis für
das Verhältnis der Theorie und Praxis der sozialen Einsicht
der Regierungsparteien sein. Lehnen Sie diesen Antrag, den wir
gestellt haben, ab, lehnen Sie sogar den von uns vorbereiteten
Eventualantrag ab, die Einkommensgrenze zumindesten in der Höhe
zu belassen, wie sie durch das Gesetz vom 20. Feber 1920 vorgesehen
wurde, dann wissen wir, woran wir sind. Dann stimmt es, was allgemein
vermutet wird in den Kreisen der Kriegsbeschädigten und darüber
hinaus, daß insbesondere das Jahr 1926 von Maßnahmen
erfüllt sein soll, die als sozial-reaktionär charakterisiert
sind.
Das Wort von den unerträglichen Soziallasten soll anscheinend
auch bei uns interpretiert werden. Hart und grausam will man das
tun, wie man das bei uns gewohnt ist, wenn man etwas tut. Wir
haben demgegenüber zu warnen. Die Herren von der Regierung,
die ja verantwortlich sind für die Gesetze in diesem Hause,
werden neue Erregung schaffen, größer als sie jeweils
in dem Leben des jungen Staates bestand, größer deshalb,
weil alle Enttäuschungen ja auch übertroffen werden
sollen. Alle Bestimmungen sollen übertroffen werden, die
man bisher erleben mußte, trotz all der großen Verheisungen,
mit welchen das Leben des Staates begonnen hat. Das Wort von den
unerträglichen Soziallasten ist nicht hier geprägt worden,
wir müssen leider gestehen, daß es in Deutschland und
Deutschösterreich geprägt worden ist. Wir nehmen nicht
einmal Veranlassung, bei dieser Feststellung einen Hinweis auf
die prekäre Lage dieser Staaten zu tun, die gewiß nicht
eigenes Verschulden derselben ist. Ein solches Wort darf nicht
gelten. Die verantwortliche Führung des Staates hat sich
über alles hinweg eben zur Wehr zu setzen, wenn man etwa
auch nur durch Diktat, die Verelendung seiner Glieder zu verfügen
zwingen will. Dabei ist die Sache aber so, daß man bei allem
Versuche, über Geheiß oder zwangsläufig die Soziallasten
abzubauen, in Deutschland und Deutschösterreich bei weitem
noch nicht dorthin gekommen ist, noch man auch nicht dorthin kommen
will, als man hier in der Èechoslovakei den Willen aufbringt,
tatsächlich zu kommen. Ich möchte zum Beweise dessen
die Novellierung des Versorgungsgesetzes in Deutschland anführen,
die vor kurzem vorgenommen wurde und die bedeutend höhere
Sätze aufweist, als unser Versorgungsgesetz. Interessant
ist, diese Relation festzustellen durch einen Vergleich der Renten
der deutschen Kriegsbeschädigten zu denen, welche unsere
in Deutschland lebenden Kriegsbeschädigten beziehen. Es wäre
mehr interessant, hier im Zuge der Debatte in dieser Beziehung
eine statistische Gegenüberstellung zu geben. Man würde
trotz aller prekären Lage Deutschlands den Beweis dafür
geliefert erhalten, daß Deutschland, trotzdem das von mir
erwähnte Schlagwort vom Abbau der sozialen Lasten dort aufgekommen
ist, die Kriegsbeschädigtenfürsorge wie überhaupt
jede andere soziale Fürsorge noch bedeutend höher und
größer ist, als sie hier seit Jahr und Tag besteht,
und die ja noch abgebaut werden soll. Warum soll und muß
die Èechoslovakische Republik ihren internationalen Ruf
schädigende reaktionäre Maßnahmen vornehmen? Sie
hat ja keine Ursache, das zu tun. Wir wissen alle, in welcher
Art und Weise die èechoslovakische Republik schon durch
ihre nationalen Maßnahmen um ihren guten internationalen
Ruf gekommen ist. Es ist genug, daß die Revisionen im Jahre
1925 eine große Anzahl von Kriegsbeschädigten aus der
Versorgung gebracht haben. Kriegsbeschädigte, die in Deutschland
oder Deutschösterreich keineswegs eine Ausscheidung aus der
Rentenversorgung erfahren hätten. Wir denken mit Betrübnis
dieser strengen Revisionen. Wir werden als Abgeordnete, die Gelegenheit
haben hinauszugehen, nicht fertig von Klagen, die uns Hunderte
und Tausende von Kriegsbeschädigten und deren Witwen und
Waisen zu Gehör bringen. Die Opfer der Revisionen sollen
heute wenigstens in uns einen Anwalt finden, der ernst die Wiedergutmachung
der ihnen 1925 angetanen Schäden fordert, ernster aber noch
die Einstellung aller anderen Bedrängnis, die etwa noch im
Projekte der Regierung und der Regierungsparteien steht.
Wie wir vernehmen, soll auch Hand an die Berufungskommissionen
gelegt werden, welche als Einrichtung bestanden zum Schutze der
Kriegsbeschädigten gegen allzu harte Verfügungen der
Amtsärzte. Diese Kommissionen waren in letzter Zeit gewiß
nicht mehr als Ideal zu bezeichnen. Der Kriegsbeschädigtenvertreter
war in ihnen in letzter Zeit durch den Amtsvertreter in den Hintergrund
gedrängt. Ihre gänzliche Auflassung würde aber
dennoch von uns nicht gewünscht werden. Wenn sie auch in
letzter Zeit nicht als Idealinstitutionen bestanden, waren sie
doch bis zu einem gewissen Grade Apellationshöfe, in denen
immer noch der Kriegsbeschädigtenvertreter für die Kriegsbeschädigten
eine Lanze brechen konnte. Würden sie also reorganisiert
werden, wie wir vernehmen, daß es im Projekte steht, und
zu rein fiskalischen Institutionen herabsinken, dann hätten
wir in der Tat für sie nicht mehr übrig.
Bei dieser Gelegenheit der Kritik an dem vorliegenden Gesetze
wiederholen wir auch die schon oftmals gestellte Bitte, von der
Rigorosität bei der Behandlung von verspäteten Rentenanmeldungen
Abstand zu nehmen. Wir bitten darum besonders für jene Fälle,
bei denen es nachweislich ist, daß die verspätete Anmeldung
keineswegs im Verschulden der Partei gelegen ist.
Mein Kollege Patzel hat an dem Herrn Minister in einer
Reihe von Anfragen Beschwerde über die Behandlung von Kriegsverletzten,
welche in Deutschland wohnen, geführt. Ich bitte auch in
seinem Namen den Herrn Minister, die in der Beschwerde geführten
Fälle eingehend zu untersuchen zumal diese Fälle nicht
Einzelfälle, sondern Typen für eine ganze Reihe von
Fällen, vielleicht von hunderten Fällen sind - und sie
einer günstigen Lösung zuzuführen.
Ich habe resümierend zu bemerken, daß wir es für
nötig erachtet haben, wenn auch nur ganz kurz, uns zu den
vorliegenden Gesetzesantrage kritisch einzustellen und Abänderungsanträge
einzubringen, die Ihnen zur Abstimmung vorgelegt werden. Wir wollen
uns keineswegs mit dem identifizieren, was etwa geschehen würde,
wenn der vorliegende Regierungsantrag unverändert zur Annahme
gelangte. Unser Gewissen steht denn doch etwas höher als
das Gewissen derjenigen, die sich nichts daraus machen, den Regierungsantrag
in seiner vorliegenden Form unverändert anzunehmen. Wir haben
kein so eng gezogenes Gewissen. Wenn Sie es haben, werden Sie
auch in der Folge die Verantwortung für Ihre Maßnahmen
zu tragen haben. (Souhlas na levici.)
Hohes Haus! Der Antrag des sozialpolitischen Ausschusses, beziehungsweise
der Regierungsantrag, betreffend die Feststellung der Einkommensteuer
für selbständige Kriegsbeschädigte auf 5000 und
für Unselbständige auf 10.000 Kronen, ist für uns
ungenügend, in dieser Form unannehmbar. Es heißt in
der Antragsbegründung, daß sich die wirtschaftlichen
Verhältnisse von 1924 oder der früheren Jahre nicht
geändert haben. Das mag sein. Aber auch 1924 war die Einkommensgrenze
schon viel zu niedrig angesetzt. Zu dem Antrag, die Einkommensgrenze
mit 5000 Kronen festzusetzen, fehlt meiner Meinung nach eine Ergänzung,
nämlich eine Gebrauchsanweisung, wie eine mehrköpfige
Familie mit diesem Betrage das Auslangen finden kann. Aber dieser
Regierungsantrag ist noch nicht das Schlimmste. Weit drückender
empfinden die bedauernswerten Opfer des Krieges noch die Handhabung
der einschlägigen gesetzlichen Bestimmungen.
Besonders die Landesstelle Brünn leistet ganz Hervorragendes
in der Kriegsinvalidenfürsorge. Mit Stolz weisen amtliche
Statistiken darauf hin, daß die Zahl der Kriegsverletzten
von 600.000 auf 280.000 gesunken ist. Liegt nun die Wahrscheinlichkeit
nahe, daß die Differenz von 320.000 inzwischen gesund geworden
ist. Wenn alle amtlichen Stellen so arbeiten, wie die Brünner
Landesstelle, dann begreift man, woher solche Feststellung kommt.
Denn was man sich dort an sogenannten Gesundmachen leistet, hat
nichtseinesgleichen. Leute, die bei der sozialärztlichen
Kommission daheim mit 60% bemessen sind, werden den nächsten
Tag in Brünn kaltblütig auf 20% heruntergesetzt. Es
ist in letzter Zeit in Zuckmantel in Schlesien ein Fall vorgekommen,
der die entweder oberflächliche oder, was richtiger sein
wird, gewissenlose Handhabung bei den maßgebenden Stellen
deutlich aufzeigt. Ein rückenmarkleidender Kriegsinvalide
wird bei der sozialärztlichen Untersuchung mit 80% erkannt,
er wird nach 2 Jahren nach Brünn zitiert. Weil er nicht allein
zu reisen imstande ist, kommt er mit einem Begleitmann nach Brünn
zur Landeshauptstelle. Brünn macht ihn gesund. Um 60% wird
er gesunder gemacht, auf 20% wird er gesetzt. Der Mann wird wieder
verladen, er fährt heim und in Zuckmantel trägt man
eine Leiche vom Bahnhof. (Hört! Hört!) Das nennt
sich in diesem Staate Invalidenfürsorge. (Posl. Dr Luschka:
Wie hat der Mann geheißen?) Der Name steht zur Verfügung
im Briefe, den ich drüben in der Bank habe, der Name ist
mir momentan entfallen.
Noch eine andere Härte des Gesetzes, die Frist für die
Einbringung von Gesuchen, muß ich zur Sprache bringen. Der
seinerzeitige Hutarbeiter, gegenwärtiger Invalide Ferdinand
Blaschke aus Seitendorf bei Neutitschein, am 5. Jänner 1875
geboren, ist Vater von 8 Kindern, von denen das jüngste 3,
das älteste 16 Jahre alt ist, ein Mädchen, das sich
im Dienste befindet, jedoch noch nicht in der Lage ist, sich durch
denselben selbständig zu erhalten. Blaschke wurde am 16.
November 1915 zum Heeresdienst einberufen und ist am 19. August
1917 am Isonzo verwundet worden. Es wurde ihm das Kinn gespalten
und die Blutgefäße wurden verletzt. Im Dezember 1917
trat Blaschke wieder ins Gefecht, und zwar, was zur Beurteilung
der Sachlage von wesentlicher Bedeutung ist, in Liegestellung
und ins dunkle Terrain. Zu Kriegsende wurde Blaschke vom Militärdienst
entlassen und arbeitete darum bei der Firma Hückel, Hutfabrik
in Neutitschein, bis gegen Ende März 1924. Am 23. März
1924 wurde Blaschke von Dr Perl in Freudenthal das erstemal und
am 6. April das zweitemal an den Augen operiert. Im ersten Falle
wurde der operative Eingriff an beiden, im letzten Falle am linken
Auge vorgenommen. Es handelte sich um grünen Star. Dr Perl
gibt ohne weiteres zu, daß die Ursache der Erblindung auf
den Kriegsdienst zurückzuführen ist. Im Juli 1924 wandte
sich Blaschke an die Kriegsverletztenfürsorge in Prerau und
wurde da abschlägig beschieden mit dem Hinweise, die Frist
zur Stellung von Ansprüchen auf Fürsorge, beziehungsweise
Unterstützung verstrichen, das Ansuchen zu spät eingegangen
sei. Das Sittenzeugnis sowie das ärztliche Attest sind in
Prerau zurückbehalten worden. Solchem Verhalten gegenüber
ist festzustellen, daß die Verordnung über die Einhaltung
einer Frist zur Anmeldung von Kriegsverletzungen eine große
Lücke aufweist, und zwar insofern, als diese Bestimmung von
Rechts wegen nur auf Verletzungen amputativen Charakters angewendet
werden kann. Es ist eine Tatsache, die auf keinen Fall bestritten
werden kann, daß viele Soldaten wegen andauernder Liegestellung
erblindet sind, ohne daß erst irgendwelche Defekte am Kopf
hinzutreten müssen. Die strikte Anwendung obiger Verordnung
bedeutet eine Härte in Fällen, wo erst nach Jahren Schäden
von Kriegsfolgen sich auswirken, und es wäre daher sehr angebracht,
daß die genannte Bestimmung abgeändert wird. Wie soll
es erst einmal werden, wenn bei den meisten Soldaten die sogenannten
rheumatischen Folgen, die ja, wie allgemein bekannt, erst nach
Jahren zum Vorschein kommen und welche in schweren Erkältungen,
im langen Stehen im Wasser etc. ihre Ursachen haben, aufkommen?
Auch die Durchrechnung der Witwen- und Waisenrenten ist bis heute
nicht vollendet. Hunderte und Tausende Witwen und Waisen warten
bis heute auf die versprochene Nachzahlung. Meine Herren, das
nennt man soziale Fürsorge!
Interessant, aber auch tief beschämend ist es, daß
die internationale Genfer Tagung festgestellt hat, daß Jugoslavien
und die Èechoslovakei die elendsten Versorgungsbestimmungen
für die Kriegsinvaliden haben. Inzwischen hat Jugoslavien
vieles gut und besser gemacht, nur hierzulande rührt sich
nichts. Die Èechoslovakei will sich den traurigen Ruhm
nicht nehmen lassen, in diesen Belangen an erster Stelle, natürlich
von rückwärts, zu bleiben. Wenn hier nicht ebenfalls
bald Wandel geschaffen wird, gehen Tausende braver Menschen zugrunde,
die nichts anderes getan haben als die ihnen auferlegte Pflicht,
die Scholle, auf welcher nicht bloß Deutsche, sondern auch
Èechen lebten, vor Verwüstung zu bewahren.
Andererseits wird durch solches Vorgehen der Amtsstellen den Gemeinden
eine Verpflichtung aufgehalst, die sie bei der allgemein bekannten
Lage der Gemeinden finanziell nicht zu tragen imstande sein werden.
Ich empfehle den Antrag meines Kollegen Greif, die Einkommensgrenze
auf 16.000 Kè festzusetzen, zur Annahme. Den gegenwärtigen
Machthabern aber möchte ich zurufen: Mehr soziales Gewissen!
(Souhlas na levici.)