Meine Damen und Herren! Das vorliegende Gesetz, durch welches
einige Bestimmungen über die direkten Steuern geändert
und Zuschläge zu den direkten Steuern festgesetzt werden,
ist im besonderen kennzeichnend für die Wege der Steuerpolitik
in diesem Staate. Wir sind bei seiner Beratung veranlaßt,
neuerlich mit einer Kritik aufzuwarten. Es wird das allerdings
nur eine Wiederholung dessen sein, was wir jeweils taten, wenn
wir Gelegenheit nahmen, als Deutsche uns der finanziellen Führung
des Staates gegenüber einzustellen, aber heute wird unsere
Kritik mit Rücksicht darauf, daß die Dinge sich draußen
katastrophal gestalten, von besonderer Stärke getragen sein.
Wer nicht blind ist, sieht die Katastrophe. Die Wirtschaft ist
völlig im Erliegen, eine fürchterliche Arbeitslosigkeit
greift um sich und tückisch steigt die Teuerung. Wir zeigen
heute keineswegs die Gründe dieser Erscheinungen vollzählig
auf. Wir beschäftigen uns in Beziehung zur Tagesordnung nur
mit dem einem Grunde, der zu dieser katastrophalen Krise führte,
mit der grenzenlosen, von Unachtsamkeit auf den Einzelnen wie
auf die Gesellschaft getragenen Steuerpolitik, wofür das
vorliegende Gesetz ganz besonders ein Schulbeispiel ist.
Als der Krieg tobte, gelangte das alte Österreich zu der
Notwendigkeit, gewisse Ausnahmsgesetze zu schaffen. Zu denselben
gehörten auch die Steuergesetze, die für die außerordentliche
Zeit des Krieges besonders gesteigerte Einnahmen vorsahen, nicht
zuletzt auch das Gesetz über die Kriegszuschläge zu
den direkten Steuern. Es griff grausam zu. Es bestimmte, daß
von der Personaleinkommensteuer z. B. 20 bis 600% Zuschlag verlangt
wurde, von der Erwerbsteuer 50 bis 250%, je nach der Veranlagungsklasse.
Das war viel, sehr viel sogar, aber es war Kriegszeit und das
außerordentliche Opfer war vielleicht begreiflich. Die damaligen
Steuermaßnahmen waren gewiß nur als vorübergehende
Maßnahmen gedacht und sollten im Augenblick der Rückkehr
normaler Zeiten gewiß wieder storniert werden. Der Krieg
war vorüber, der alte Staat zerfiel, der neue Staat kam.
Aber wie sehr wir in außerordentlichen Verhältnissen
leben und wie weit, sehr weit entfernt wir von der seitens der
verantwortlichen Lenker dieses Staates oftmals viel gepriesenen
Konsolidierung desselben sind, dafür ist gerade dieses Gesetz,
das heute nach sieben Jahren die Kriegszuschläge neuerlich
einzuheben bestimmt, kennzeichnend. Nur das eine hat uns die hohe
Finanzverwaltung konzediert, dieses Gesetz nicht mehr ein Gesetz
heißen zu dürfen, das außerordentliche Kriegszuschläge
zu den direkten Steuern bestimmt, sondern daß wir das Gesetz
anders bezeichnen dürfen, daß wir nunmehr die Erlaubnis
haben, das Gesetz als "Gesetz über außerordentliche
Staatszuschläge zu den direkten Steuern" zu bezeichnen
Das ist in der Tat keine große Abkehr von den außerordentlichen
Verhältnissen, die da bestanden haben.
Wie kommt es nun, daß die erwerbstätig schaffenden
Menschen in diesem Staate nach sieben Jahren die Leistungen des
Krieges noch leisten sollen und müssen? Dies wäre immerhin
begreiflich, wenn nach den Kriegsopfern die Kontribution z. B.
eines siegreichen Feindes uns auferläge. Das ist doch bei
der Èechoslovakischen Republik nicht der Fall. Der èechoslovakische
Staat hat gewiß nicht in dem Sinne der Reparationen Deutschlands
Opfer zu bringen, im Gegenteil, er ging mit einem ganz besonderen
Reichtum im Vergleich mit den anderen Sukzessionsstaaten aus dem
Umsturz hervor, er ging unbelastet aus ihm hervor, gesegnet mit
Gütern aller Art. Die Gründe der andauernden finanziellen
Kriegswirtschaft sind also nicht außen zu suchen, diese
Gründe liegen im Innern. Wie oft haben wir das schon der
verantwortlichen Führung des Staates zu verstehen gegeben!
Wie oft forderten wir die Herren, die die Verantwortung allein
tragen, die sie ja auch allein tragen wollen, auf, die Staatswirtschaft
nach anderen Gesetzen zu führen, als den sich zurechtgelegten!
Ich erinnere an unsere Kritik der Finanzwirtschaft bei den Staatsvoranschlagsberatungen
aller Jahre. Immer aber wußten die Herren unseren Angriffen
gegenüber sich zu rechtfertigen. In der Tat, die Staatsvoranschläge
selbst gaben ihnen eine Rechtfertigung. Sie waren ja ausgeglichen.
Das balanzierte so graziös, daß es ein Wohlgefallen
war, wie in einem Ballett, trotz der hohen Ausgaben. Was hinderte
das! Man schuf noch stets ein Gegengewicht auf der Einnahmenseite
in ständiger Belastung der Produktion, ohne Rücksicht
darauf, daß sich damit die Konkurrenzfähigkeit derselben
auf dem Auslandsmarkte verschlechterte. Damit wurden die Verhältnisse
auf die Spitze getrieben. Wir haben durch stets neue Belastungen
der Produktion und des Konsums die Produktion und den Konsum durch
diese Methoden der finanziellen Führung des Staates derart
beschwert, daß wir nahezu am Ende unserer Kräfte sind.
So gab man in den Jahren 1919 bis 1926 nach den Voranschlägen
20.821,978.225 Kronen für Militärzwecke aus - fast reicht
der Atem nicht aus, es auszusprechen - Millionen und Millionen
für andere unproduktive Zwecke, die Repräsentation,
Propaganda, und trieb dadurch zwangsläufig zu der Stärke
der Steuerschraube. So mußte es dazu kommen, daß die
Steuerverwaltung sich wie ein grauenhafter Polyp an jeder einzelnen
wirtschaftlichen Existenz festsaugt, rücksichtslos, bis das
letzte Mark aus den Knochen verschwunden ist. (Výkøiky
na levici.) Über die Stärke der Steuerschraube geben
uns einige Zahlen Aufschluß, die nicht von uns stammen,
sondern die wir der "Tribuna" entnehmen. Die "Tribuna"
brachte vor kurzem einen Bericht, nach dem die Steuereingänge
in Böhmen allein in der Periode Jänner bis November
1925 4839 Millionen Kronen ergaben, also um 324 Millionen Kronen
mehr als in der gleichen Zeit des Jahres 1924. Im November 1925
betrugen die Einnahmen 797 Millionen Kronen, um 251 Millionen
Kronen mehr, als im gleichen Monat des Vorjahres. Davon beliefen
sich die direkten Steuern im November 1925 auf 1487 Millionen
Kronen. Die indirekten Steuern erbrachten im November 1925 610
Millionen Kronen, seit 1. Jänner bis 30. November 1925 3013
Millionen Kronen, was gegen das Vorjahr einer Erhöhung um
270 Millionen gleichkommt. An Umsatzsteuer allein ging mehr ein
als für alle direkten Steuern zusammen, indem sie 1032 Millionen
Kronen erbrachte. Im November 1925 erreichten die Eingänge
auf die Umsatzsteuer 161 Millionen Kronen.
Diese Zahlen repräsentieren wahrhaft glänzende Einnahmen
des Staates. Wenn sie nur so glänzend und so leicht wie fließendes
Wasser in die Staatskassa geflossen wären! Das ist aber keineswegs
der Fall gewesen. Wir wissen, mit welchen Methoden dieser Betrag
aus der Volkswirtschaft, aus den Menschen, aus den Existenzen
herausgequetscht wurde mit Folgen, die geradezu schreckhaft sich
draußen offenbaren. Es ist so: Wir haben nur mehr Horste
einer einstmals initiativen Wirtschaft, die fast unerschöpflich
schien in ihrem Drange nach Entfaltung und von der wir ihrer robusten
Gesundheit wegen annehmen durften, daß sie wie für
die Ewigkeit geschaffen sei. Sie ist bis in ihr Innerstes getroffen.
Der Kleingewerbetreibende ist zum Arbeiter für den Staat
geworden. Das Erträgnis seiner Arbeit muß in der Form
des direkten Steuerguldens abgeliefert werden. Der Arbeiter muß
das Erträgnis seiner Arbeit, seinen Lohn, seinen Gehalt,
wenn er ein Angestellter ist, in Form eines Zehents abliefern,
und wenn er es nicht tut, waltet gegen ihn wie gegen alle anderen,
die sich der aufoktroierten Verpflichtung entziehen, der strenge
Strafapparat der Verwaltung. Ich will dabei nicht unerwähnt
lassen, daß auf der Masse der schaffenden Menschen zumeist
auch die Last der indirekten Steuerleistung, die sich die größten
Konsumartikel aussucht, liegt.
Wenn wir übersehen, was alles die Jahre heraufkam, so ist
der erbarmungswürdige Zustand der Existenzen in dem Staate
begreiflich: Die Abstempelung der Banknoten und die dabei verfügte
Zurückbehaltung von 50 % der Banknoten, die Sperre
der Guthaben, die auch die kleinsten Menschen betraf, die Konskriptionen,
die Wunde, die die Trennung der Währungen der Nachfolgestaaten
schlug, die Nichtauszahlung der Kriegsanleihe, die verspätete
Anerkennung der österreichischen Vorkriegsrenten, die Verkürzung
der Vorkriegsrentner in der Zinsenfrage, die Desequestration ausländischer
Guthaben, die Frage der Wiener Postsparkassa, die Vermögensabgabe
und etliches mehr. Und dennoch langte es nicht und man machte
Schuld auf Schuld. 36 Milliarden Staatsschulden, die seit dem
Bestande des Staates aufliefen trotz der erwähnten Steuerleistungen
der Staatsbürger, drücken uns mit einer Verpflichtung
an Verzinsung und Amortisation für das Jahr 1926 allein von
2344 Millionen Kronen. Längst ist die Bürger dieses
Staates eine tiefe Resignation ob dieser Staatsführung überkommen.
Die Steuerpolitik als Folge der finanziellen Führung des
Staates hat allen wetteifernden Geist draußen zum Stillstand
gebracht. Nicht, daß der schaffende Mensch sich seiner Verpflichtung
gegenüber der Gesellschaft ganz entziehen wollte, das fällt
ihm nicht ein. Aber das Zuviel des staatlichen Verlangens, das
an ihn gestellt wird, ist unerträglich, unerträglicher
aber ist noch die Methode, mit der die Leistung dieses Zuviels
erzwungen werden soll. (Výkøiky na levici.) Man
opponierte zunächst. Es half nichts. Jetzt ist die Verzweiflungsstimmung
eingetreten und sie ist das Charakteristikum des Bürgers
und Menschen dieses Staates. Das ist viel furchtbarer als alles
andere. Jedes feinere Gefühl ist ertötet worden. Niemand
findet mehr etwas daran, daß er als Steuerschuldner auf
dem schwarzen Brette der Gemeinde hängt. Er weiß, er
ist nicht allein, es sind tausende andere, die mit ihm das Los
teilen, tausende, abertausende und hunderttausende andere Menschen
dieses Staates. (Výkøiky na levici.)
Wir wollen uns mit dieser allgemeinen Kritik der finanziellen
Führung des Staates begnügen. Im besonderen wollen wir
heute die Auswirkungen der Finanzpolitik auf den Gang der Verwaltung
und die Existenzen draußen, in Einzelheiten gehend, vortragen
und an Hand dieses Vortrages unsere Meinung nach einer Verbesserung
der Zustände sowie unsere Wünsche und Forderungen bekanntgeben.
Dazu sind wir als Abgeordnete hier, daß wir, von draußen
kommend, die Dinge aufzeigen, wie sie wirklich liegen, daß
wir als Dolmetscher die Sorgen von Millionen Menschen, die unsere
Sorgen sind, bekanntgeben. Wir müssen das hier machen. Die
verantwortlichen Lenker und Leiter des Staates müssen wir
auf die Dinge, die draußen vorgehen, aufmerksam machen.
Die Herren kommen nicht mehr hinaus zu uns, sie kommen höchstens
alle heilige Zeit einmal in ihr Land, das sie verantwortlich lenken
und leiten wollen, und wenn sie herauskommen, so in einer Form,
dies einstmals in der Geschichte der Fall war und unter dem Namen
der Potemkinschen Dörfer von der Geschichte festgehalten
wird.
Die furchtbare Lage des Steuerträgers ist verdichtet worden
durch gewisse administrative Versäumnisse, die allerdings
als Folge der Tatsache entstanden, daß der Administrative
zu viel Arbeit zur Erledigung oblag. Das größte administrative
Versäumnis ist die Unterlassung einer rechtzeitigen Steuervorschreibung.
Es ist müßig, darüber zu streiten, wer an dem
Chaos, das durch die Unterlassung rechtzeitiger Steuervorschreibungen
entstand, mehr schuld ist. Es ist gleichgültig, ob wir die
Schuld der Finanzführung geben, die orgiastisch eine Maßnahme
nach der anderen diktierte, ob der Administrative, die, weil sie
nicht alles im Augenblick erledigen konnte, rückständig
blieb, ob dem Steuerträger. Die Finanzverwaltung redet sich,
wenn sie diese Sachen einer Kritik zuführt, nach ihrer Art
aus, auf den § 3 des Gesetzes vom 16. März 1921, Slg.
116, in dem es heißt: "Insolange die Steuern nicht
vorgeschrieben sind, ist der Steuerpflichtige verpflichtet, sie
nach der letzterfolgten definitiven Vorschreibung zu leisten."
Also auch wenn keine definitive Vorschreibung erflossen ist, hätte
der Steuerträger gewußt, daß er zu zahlen hatte.
So argumentiert die Finanzverwaltung. Dieser Argumentation müssen
wir entgegentreten mit dem Hinweis darauf, daß die Steuerträgerexistenz
doch nichts Feststehendes und nichts Stillstehendes ist. Sie lebt
und kann auch sterben. Nach einer mathematischen Formel oder sonst
irgendwie die Beständigkeit der Steuerträgerexistenz
festlegen zu wollen, ist doch unmöglich. Es geht nicht an
zu glauben, daß die Geschäfte alle die Größe
des letzten Steuerjahres behielten. Man darf doch nicht für
schlechte Jahre die Zahlung eines guten Jahres abverlangen. Das
geht schon deshalb nicht, weil keine Mittel hiezu vorhanden sind;
und man zahlt eben nicht, wenn man nicht bestimmt weiß,
was man zu zahlen hat. Die Kaufmannschaft ist nun einmal so veranlagt
und diese Veranlagung ist entgegengesetzt der von der Staatsverwaltung
gewollten Veranlagung. Der Mangel an rechtzeitigen Vorschreibungen
der Steuern für die Jahre seit 1919, sowie der Umstand, daß
dieselben nun auf einmal kommen, verschärft die Krise in
diesem Staate bis zur Katastrophe.
Man schätzt amtlicherseits die Rückstände, die
durch die verspäteten Vorschreibungen anwuchsen, auf 4 Milliarden
Kronen. Wir gehen nicht fehl in der Annahme, daß die Rückstände
einhalbmal größer sind. Wir schätzen sie auf 6
Milliarden. Aus verläßlicher Quelle wissen wir, daß
in der Slovakei die Rückstände in die Milliarden gehen,
daß die Dubiosen dortselbst ebenfalls Milliarden ausmachen.
Es ist sehr naiv vom "Venkov" zu schreiben, das es möglich
sei, alles einzutreiben und durch die Eintreibung die Bedeckung
der Beamtenund Lehrervorlage zu beschaffen. Wenn aber nach dieser
Meinung des "Venkov" und der Herren dortselbst wirklich
versucht würde, rücksichtslos alles einzutreiben, würde
das einfach den Ruin und Zusammenbruch von Tausenden Existenzen
herbeiführen, die sich bis heute mit Ach und Weh erhalten
haben.
Unsere Kardinalforderung lautet: Liquidierung der Steuerrückstände.
Wir fordern den Generalpardon, den Generalnachlaß in allen
Fällen der Gefährdung der wirtschaftlichen Existenz
und in diesem Sinne die Ausgestaltung des Gesetzes vom 8. Oktober
1924, Slg. 235. In seiner jetzigen Fassung ist dieses Gesetz nicht
die benötigte Hilfsmaßnahme. Es unterscheidet sich
nur unwesentlich von den ordentlichen Erleichterungen des Personalsteuergesetzes.
Das Personalsteuergesetz sieht für das Gebiet der direkten
Steuern zunächst Nachlaßgesuche vor, aber in den meisten
Fällen werden diese Gesuche von den Steuerbehörden ungünstig
erledigt, weil die Behörde die Gefährdung der wirtschaftlichen
Existenz nicht immer als gegeben erachtet. Das Gesetz über
die außerordentlichen Steuererleichterungen vom 8. Oktober
1924 hat gleichfalls die darein gesetzten Hoffnungen nicht erfüllt.
(Posl. L. Wenzel: Weil die Steuerkommission nicht bestehen!)
Ja. Es liegt die Beurteilung, ob eine ernste Gefährdung
der wirtschaftlichen Existenz gegeben ist, im freien Ermessen
der Behörde. Wir wissen aus der Praxis, aus hunderten und
tausenden Fällen, wie es mit diesem freien Ermessen aussieht.
Nur der Generalpardon, nur der Generalnachlaß kann Hilfe
bringen, der ausnahmslos zur Wirkung gebracht wird. Die Forderung
ist berechtigt, weil man die Steuern der Inflationsjahre nicht
auf die Zeit der vollzogenen Deflation übertragen darf. Der
Generalnachlaß würde auch eine weitere heilsame Folge
haben, er würde mit einem Schlag die Rekurstrage lösen.
Heute liegen bei den verschiedenen Finanzdirektionen nicht zehntausende,
sondern hunderttausende von Rekursen, die nicht erledigt werden
können, wenn nicht statt Abbaues der Staatsbeamten eine Auffüllung
des Beamtenapparates vorgenommen wird. Wir fordern den Generalnachlaß!
Machen wir einen Strich unter das Vergangene und fangen wir nach
vernünftigen Normen von vorne an.
Die Steuerzahlung wird auch durch die Berufung der Steuerträger
nicht unterbrochen. Wenn der Steuerträger nach dem Zeitpunkt
der Fälligkeit die Steuern nicht zahlt, tritt je nach Wahl
der Steuerbehörde entweder die administrative oder gerichtliche
Exekution ein. In der letzten Zeit ist das zur Regel geworden.
Der Beweis für diese Behauptung wird geliefert durch einen
Blick auf die schwarzen Bretter der Gemeinden. Ganze starke Bündel
von Amtsverlautbarungen, die gegen die rückständigen
Steuerzahler Maßnahmen beinhalten, hängen aus, ein
geradezu erschütterndes Bild der Wirtschaftslage! Ich habe
mir die Mühe genommen, eine Wirtschaftsstatistik über
den Bezirk Gablonz zu erlangen und habe aus den Zuschriften der
Gemeinden Folgendes konstatiert: In Gablonz a. N. fanden im Jahre
1925 1712 Feilbietungen statt, 166 Transferierungen, 39 gerichtliche
Versteigerungen von Häusern und 32 Versteigerungen von Mobilar.
In Morchenstern, einer Gemeinde von 8000 Einwohnern und 2000 Haushaltungen,
sind in den letzten Wochen 736 Exekutionsführungen geschehen.
Jeder dritte Steuerzahler, jede dritte Haushaltung ist rücksichtslos
exequiert worden. In Reinowitz, einer Gemeinde mit 1200 Einwohnern,
fanden 100 Exekutionen statt, in Grünwald a. N. mit 3000
Einwohnern 300 Exekutionen, in Hennersdorf mit 530 Einwohnern
und 140 Haushaltungen 70 Exekutionen. Jeder zweite Haushaltungsvorstand
ist exequiert worden. (Pøedsednictví pøevzal
místopøedseda inž. Dostálek.) Wir
erleben die Tatsache, daß in einzelnen Orten 30 bis 50 %
der Steuerträger exequiert werden. In Josefsthal betrugen
die Feilbietungen letzten Datums vom 11. November 1925 80. In
Schlag wurden von 700 Parteien 400 exequiert, in Seidenschwanz
von 600 Haushaltungen 200 und in Labau von 300 Haushaltungen 135.
So schaut der Inhalt des Wirtschaftslebens dieses Staates aus,
erschaudernd erkennen wir diesen Inhalt. Was einstmals Ausnahme
und wohl beobachtete Ausnahme war, das ist nun zur Regel geworden.
Der Steuerzahler ist Steuerschuldner schlechthin geworden. Die
Veröffentlichung des Steuerschuldners als Mittel der Kritik
ist ein Mittel der Kritik gegenüber dem Staate selbst geworden,
der seine Forderungen derart spannt, daß sie nicht geleistet
werden können.
Ich sprach schon davon, daß gegen dies e Methode des Staates
sich zunächst Opposition in Tätigkeit setzte, daß
sie aber längst wegen ihrer Aussichtslosigkeit aufgehört
hat zu wirken, daß tiefe Resignation sich überall bemerkbar
macht. Bei großen Steuerträgern werden diese Rückstände
gewöhnlich grundbücherlich sichergestellt. In seiner
Antwort vom 24. Feber 1924 auf eine von mir eingebrachte Interpellation
in Angelegenheit der rücksichtslosen Exekutionsführung
versprach mir der damalige Finanzminister Beèka,
die grundbücherliche Sicherstellung einer Steuerforderung
nur in den Fällen vorzunehmen, wo die Einbringlichkeit bedroht
ist, wie bei notorisch säumigen Steuerzahlern, die weder
nach einer Mahnung zahlen, noch Raten einhalten. Ich muß
leider konstatieren, daß in der Praxis die Sache sich anders
ausläuft und grundbücherliche Sicherstellungen von Steuerrückständen
in viel zu viel Fällen vorgenommen werden, in denen kein
Zwang zu solcher Vornahme besteht. Die tiefst erregende Maßnahme
ist die grundbücherliche Einverleibung fiktiver Rückstände.
Die Summe der Vorschreibungen an Personalsteuern für die
rückständigen Jahre wird in vielen Fällen approximando
erforscht, indem man die letzte definitive Vorschreibung mit der
Anzahl der rückständigen Jahre multipliziert und den
fiktiven Steuerbetrag ausrechnet. Solche Vorschreibungen verlangt
der Steuerträger nicht. Wir ersuchen den Herrn Finanzminister,
zu verfügen, die Sicherstellung ohne Zwang zu unterlassen,
denn die Fortführung dieser Praxis hat den Anschein eines
systematischen Steuerraubes mit dem einen Ziel, allen Besitz,
wahrscheinlich aber nur allen deutschen Besitz, den man durch
die Bodenreform nicht erfassen kann, durch diese Steuerpolitik
zu erfassen. (Sehr richtig!) So stellt sich die Einhebung
von Verzugszinsen für den fiktiven Steuerbetrag als eine
Wahnsinnstat dar und wir beantragen, die einschlägigen gesetzlichen
Bestimmungen über die Verzugszinsen in dem Sinne abzuändern,
daß sie in bescheidenem Ausmaße erhoben werden und
nur von de Tage der erfolgten ordnungsgemäßen Vorschreibung
der Steuer an. Die Berufungen gegen eine Vorschreibung und Stundung
sollen bis zu ihrer Erledigung die Berechnung von Verzugszinsen
unterbrechen.
Noch einem außerordentlich traurigen Kapitel müssen
wir uns gerade von unserem Standpunkte als deutsche Nationalsozialisten
zuwenden, dem Kapitel der Arbeiterssteuern. Auch sie sind in dem
heutigen Ausmaße eine Nachkriegserscheinung. Sie kamen auf
mit der Erhöhung der Löhne und Gehälter, welche
die fortschreitende Teuerung der Kriegs- und Nachkriegszeit nötig
machte, ohne daß der Arbeiter eine größere realere
Möglichkeit hatte, mit seinem Lohn zu operieren. Durch diese
Erhöhung wurden nahezu - es ist eine Ironie - alle Arbeiter
personaleinkommensteuerpflichtig, weil mit ihr nicht gleichmäßig
das steuerfreie Existenzminimum gestreckt wurde. Das Existenzminimum
betrug vor dem Kriege 1200 K und 1600 K, im Jahre 1920 4800 Kè
und seit dem Jahre 1921 6000 Kè. Es ist somit jetzt fünfmal
höher als im Jahre 1914. Das ist eine keineswegs befriedigende
Relation. Wenn man im Jahre 1914 annahm, daß der Arbeitnehmer
mit einem Monatslohn von 100 K geschützt werden müsse
- ein Lohn, mit dem er nur ein notdürftiges Auslangen finden
konnte - so darf man nunmehr nach einer durchschnittlich zehnfachen
Steigerung der Preise für die Bedürfnisse des Lebens,
mit der nicht immer eine zehnfache Erhöhung des Einkommens
parallel ging, nicht 6000 K, also einen Monatsverdienst von 500
K schon als besteuerbar betrachten.
Was ist die Folge solcher Praxis? Wir bekamen durch die ungenügende
Relation zwischen Einkommen und Steuerfreiheit einen 50%igen Zuwachs
an Zensiten. Jeder Dienstbote wurde einkommensteuerpflichtig,
wodurch die Arbeit der Steuerbehörden genau so wie durch
andere Maßnahmen ins Ungeheuerliche stieg. Auch der Arbeiterzensit
mußte seine Behandlung durch das Amt erfahren und wenngleich
sie nicht so kompliziert war, wie die für einen Großsteuerträger,
so beschwerte sie dennoch die Administrative. Wir können
mit einem Viertel mehr an Arbeit bei diesem Zuwachs von 50% Zensiten
rechnen. Kein Wunder, wenn wie durch viele andere Arbeiten auch
durch die Verbreiterung des Steuerträgertums die Ämter
nicht mehr mitkonnten, vieles im Rückstande blieb, mit allen
anderen auch die Vorschreibungen an Personaleinkommensteuer für
die Arbeiter selbst. Auch sie gelangten erst in den Jahren 1924
und 1925 in den Besitz der nachträglichen Vorschreibungen
für die Jahre 1919 bis 1923. Ist es den anderen Menschen
nicht möglich, nachträglich für so viele Jahre
auf einmal der Personaleinkommensteuer zu bezahlen, dann ist es
dem Arbeitnehmer erst recht nicht möglich. Es mußte
zu Steuererleichterungen für die Arbeiter geschritten werden,
die wir aus der Durchführung, wie sie jetzt gepflogen wird,
kennen. So ist man so weit, jede Vorschreibung wieder überrechnen
zu müssen, einen langwierigen Ratenzahlungsvorgang zu gewähren.
Die Administrative leistet Arbeit, die mit dem durch die Arbeitnehmersteuer
erzielten finanziellen Effekt für den Staat in gar keinem
Verhältnisse steht. Um ein für allemal den Arbeitsmenschen
vor der Beschneidung seines ohnedies nicht auslangenden Lohnes
zu schützen, andererseits die Administrative vor einer Arbeit
zu bewahren, die unnütz getan wird, fordern wir die zeitgemäße
Steigerung des Betrages des steuerfreien Existenzminimums. Wir
beantragen, das steuerfreie Existenzminimum für den ledigen
Arbeiter von 6000 K als der jetzt geltenden Grenze auf 12.000
K, und für den verheirateten auf 18.000 K zu erhöhen.
Wie den amtlichen Erläuterungen über den 3%igen Abzug
von den Löhnen zur Deckung der Einkommensteuer der Arbeiter
für das Jahr 1926 und der Steuerrückstände zu entnehmen
ist, werden die durch den Unternehmer abgeführten Steuerabzüge
auf die Steuer des Steuerjahres 1926 und rückwirkend v errechnet.
Jene Steuer, die auf diese Weise nicht beglichen wird, schreibt
das Steueramt ab. Nun wollen einzelne Steuerverwaltungen den Erlaß
des Finanzministeriums über die Steuererleichterungen für
Arbeiter so aufgefaßt haben, daß die Abzüge der
3% von den Löhnen lediglich zur Deckung der rückständigen
Einkommensteuer der Jahre 1919 bis 1923 dient, daß aber
die Steuern für 1924 und 1925 aufrecht bleiben. Es wäre
notwendig, daß die Finanzverwaltung in dieser Beziehung
Klarheit schafft und im Sinne unserer Forderung einen Generalpardon
an die Arbeiter gewährt, für die Zukunft aber, um derartige
Beschwernisse des Arbeitsmenschen nicht mehr stattfinden zu lassen,
zu einer zeitgemäßen Erhöhung des Existenzminimums
schreitet. Wenn wir Erleichterungen in der Steuer für den
Arbeiter fordern, so ist damit auch die Forderung nach Erleichterung
für den Angestellten enthalten. Es müssen für den
Angestellten analog dieselben Erleichterungen gelten.