Pøíloha k tìsnopisecké zprávì
o 288. schùzi poslanecké snìmovny Národního shromáždìní republiky Èeskoslovenské v Praze ve ètvrtek dne 18. záøí 1924.
1. Øeè posl. Stenzla (viz str. 1630 tìsnopisecké zprávy):
Hohes Haus! Der gesetzgebenden Körperschaft dieses Staates liegt ein Gesetzesentwurf vor, der in sozialer Beziehung für die breitesten Schichten des Volkes von außerordentlich großer Bedeutung und eminenter Wichtigkeit ist. Soll doch durch eine Alters- und Invaliditätsversicherung gerade den arbeitenden Ständen im Alter oder bei einer Invalidität das geboten werden, was sie sich schon immer gewünscht und herbeigesehnt haben, nämlich nach einem arbeitsreichem Leben ruhige und zufriedene Tage im Alter oder aber bei einem eventuellen Unglücksfalle, der die Schaffenskraft frühzeitig unterbindet, eine bestimmte Versorgung. Die deutsche Gewerbepartei, als deren Vertreter ich zu der Vorlage über die Einführung der Alters- und Invaliditätsversich erung spreche, begrüßte ein derartiges Gesetz, nachdem auch die ihr angeschlossenen Mitglieder als arbeitende und erwerbende Menschen dieser notwendigen sozialen Maßnahme das vollste Verständnis entgegenbringen. Eines sei aber gleich bemerkt, daß der deutsche Gewerbestand seine vollste Zustimmung zu diesem Gesetze nur dann geben kann, wenn gemäß der eingebrachten Abänderungsanträge, betreffend die Erhaltung der genossenschaftlichen Hilfsarbeiterkrankenkassen, eine entsprech ende Änderung der einschlägigen Paragraphen erfolgt und wenn auch gleichzeitig die Alters- und Invaliditätsversicherung für die selbständig Erwerbstätigen, beziehungsweise für die Gewerbetreibenden platzgreift, das heißt mit anderen Worten, wenn an dem Junktim, welches zwichen der Versicherung der unselbständig Erwerbstätigen und der selbständig Erwerbstätigen besteht, wonach beide Versicherungen gleichzeitig in Kraft zu treten haben, nicht gerüttelt wird.
Wenn ich mich nun der Gesetzesvorlage selbst zuwende, so hätte ich folgendes zu bemerken. In den §§ 27 bis 29 der Vorlage wird bestimmt, daß andere als die Bezirkskrankenkassen nur unter bestimmten Voraussetzungen bestehen bleiben können, und wird durch diese Bestimmungen gerade der Bestand von gewerblichen und kaufmännischen Hilfsarbeiterkrankenkassen arg verkürzt, wogegen ich auf das schärfste Stellung nehmen muß. Auf Grund des Gesetzes vom 22. Dezember 1920, S. d. G. u. V. Nr. 689, wurde den gewerblichen und kaufmännischen Genossenschaftskrankenkassen, welche am 31. Dezember 1918 weniger als 400 Mitglieder, und zwar versicherungspflichtige Mitglieder zählten, der weitere Bestand untersagt und gleichzeitig auch bwstimmt, daß der § 121 der Gewerbeordnung außer Kraft gesetzt wird, wodurch dem Gewerbestande die Möglichkeit genommen wurde, sich von diesem Zeitpunkte ab eigene Krankenkasse gründen zu können. War dieses Vorgehen schon ein schwerer Eingriff in die seit Jahrzehnten bestehenden sozialen Rechte des Gewerbestandes, soll nun durch die Vorlage und eventuelle Annahme des Gesetzes über die Sozialversicherung der Arbeitnehmer der Gewerbestand vollkommen seines Einflusses und seiner Rechte in Bezug auf die eigene Krankenversicherung beraubt werden. Besagen doch die §§ 27-29 der Vorlage, daß nunmehr mit dem Stichtage vom 1. Jänner 1924 noch gewerbliche Hifsarbeiterkrankenkassen mit einer Anzahl von mindestens 4000 versicherungspflichtigen Mitgliedern, kaufmännische Gremialkrankenkassen mit einer Anzahl von mindestens 2000 und registrierte Hilfskassen mit einer Anzahl von mindestens 4000 versicherungspflichtigen Mitgliedern weiter bestehen bleiben dürfen. Diese Bestimmungen sind sehr einschneidender Natur und bringen sowohl für den gewerblichen und kaufmännischen Hilfsarbeiter, als auch für den Gewerbetreibenden, beziehungsweise die gewerblichen Unternehmungen schwere wirtschaftliche, insbesondere aber schwere soziale Nachteile, weshalb ich namens beider Grup pen die unbedingte Forderung stellen muß, daß mindestens der alte Zustand des Gesetzes über die Krankenversicherung vom 22. Dezember 1920 beibehalten werden muß. Damit ist aber die Forderung des Gewerbestandes noch keineswegs erschöpft. Er stellt auch noch das stete und nachdrücklichste Verlangen, daß dem § 121 der Gewerbeordnung wieder die Gesetzeskraft zugesprochen wird.
Wenn ich mir die Frage vorlege, ob es sachliche oder politische Gründe sind, die der Regierung die Veranlassung gegeben haben, die genossenschaftlichen Krankenkassen aufzulösen, beziehungsweise die Rechte des Gewerbestandes in sozialer Beziehung bis auf das Kleinste zu beschneiden, so komme ich zur Überzeugung, daß nur rein politische Momente das Wort sprechen. Zunächst sei festgestellt, daß auf Grund der vom Ministerium für soziale Fürsorge herausgegebenen Statistik der Krankenversicherung für das Jahr 1922 die gewerblichen, beziehungsweise die Genossenschaftskrankenkassen der Zahl der Kassen nach die zweitstärksten sind, und was den Mitgliederstand anlangt, stehen die Genossenschaftskrankenkassen an dritter Stelle. Die im Jahre 1922 bestehenden 60 Genossenschaftskrankenkassen hatten am 1. Juli 1922 den höchsten Stand von 113.847 Mitgliedern. Die summarischen Ergebnisse der Krankheitsstatistik beweisen uns, daß von 100 Mitgliedern im Jahre 1922 durchschnittlich bei den Bezirkskrankenkassen 55·31 Mitglieder erkrankten, während in selben Jahre bei den Genossenschaftskrankenkassen auf 100 Mitglieder nur 39·31 Erkrankungen entfielen. Dasselbe Bild sehen wir bei den Erkrankungsfällen überhaupt. Auf 100 Mitglieder entfielen bei den Bezirkskrankenkassen 71·14, bei den Genossenschaftskrankenkassen nur 45·18 Fälle. Der durchschnittliche Sterblichkeitsprozentsatz im gleichen Jahre betrug bei den Bezirkskrankenkassen 0·80, bei den Genossenschaftskrankenkassen hingegen nur 0·57. Dasselbe Verhältnis ersehen wir beim durchschnittlich festgestellten täglichen Krankenstand, der bei einem durchschnittlichen Mitgliederstand gerechnet, bei den Bezirkskrankenkassen 4·09, hingegen bei den Genossenschaftskrankenkassen nur 2·87 Prozent ergab. Aus diesem Zahlenverhältnis ist genau ersichtlich und unbestreitbar, daß die Krankheitsfälle sowie das Sterblichkeitsprozent bei den Bezirkskrankenkassen fast um das Doppelte größer ist als bei den Genossenschaftskrankenkassen. Und nun ist es uns auch ganz klar, warum man die gewerblichen und kaufmännischen, wie überhaupt also die Genossenschaftskrankenkassen auflösen will, um sie den Bezirkskrankenkassen anzugliedern, weil der Gewerbe- und Kaufmannsstand die großen Risken bei den industriellen Unternehmungen, beziehungsweise bei deren Arbeitern mittragen, respektive zu diesen mit beisteuern soll.
Interessant ist auch die Feststellung, daß die durchschnittliche Dauer eines Erkrankungsfalles ohne Berücksichtigung der Entbindungen bei den Bezirkskrankenkassen 19·28, hingegen bei den Genossenschaftskrankenkassen 21·75 Tage betrug, woraus zu schließen ist, daß die Genossenschaftskrankenkassen bei weitem mehr auf eine gründliche und daher bessere, als auf eine flüchtige ärztliche Behandlung und Heilung der Versicherungsnehmer Gewicht legten. Die Mehrleistungen der Genossenschaftskrankenkassen kommen auch weiters dadurch zum Ausdruck, daß nach den statistischen Mitteilungen des Fürsorgeministeriums die durchschnittlichen Kosten eines Krankentages bei den Genossenschaftskrankenkassen 23·35 Kronen, bei den Bezirkskrankenkassen bloß 20·88 Kronen, die Durchschnittskosten eines Entbindungs- und Sterbefalles bei den Genossenschaftskrankenkassen 744·36 Kronen, bei den Bezirkskrankenkassen hingegen nur 657·54 Kronen und die Durchschnittskosten eines Erkrankungsfalles bei den Genossenschaftskrankenkassen 508·01 Kronen, bei den Bezirkskrankenkassen nur 402·54 betrugen. Trotz dieser so hohen Leistungen der Genossenschaftskrankenkassen und bei annähernd gleichen Prämienzahlungen pro Kopf sind diese Kassen im Jahre 1922 in der Lage gewesen, für je ein versichertes Mitglied durchschnittlich um 171·74 Kronen mehr im Reservefond auszuweisen, als dies bei den Bezirkskrankenkassen der Fall war, welche den Reservefond bloß mit 2·52% von den Beiträgen, die Genossenschaftskrankenkassen mit 23·42% von den Beittägen dotieren konnten. Der Gewerbe- und Handelsstand soll also durch die Vorlage der Sozialversicherung gezwungen werden, seine in jeder Beziehung weit besseren Krankenkassen mit schlechteren einzutauschen und dazu noch den Gesamtreservefond von ca. 30 Millionen abführen, wäre das nicht ein Wahnsinn und eine Entrechtung sondergleichen? Die vorstehenden Zahlen sprechen Bände dafür, daß mit Fug und Recht der Gewerbe- und Kaufmannsstand die Forderung nach Erhaltung und den Weiterbestand der Genossenschaftskrankenkassen erheben muß. Das Ziffernmaterial wirft ja ohnedies alle Einwendungen, die insbesonders im Sparsystem und den großen Leistungen bei den einzuführenden sogenannten Einheitskosten gipfeln sollen, über den Ha fen. Ich vertrete den Standpunkt, daß sowohl die Industire, beziehungsweise die in derselben beschäftigtenArbeiter, als auch der Gewerbe-, Bauern- und Beamtenstand eigene Krankenkassen besitzen sollen, die sich selbst durch die eigenen Beiträge zu erhalten haben. Dadurch würde gewissermaßen ein Wettbewerb zwischen den einzelnen Standeskrankenkassen platzgreifen, welcher dahin abzielen wird, mit möglichst niedrigen Beiträgen eine möglichst große Leistung in den eingetretenen Kranheitsfällen zu erzielen. Heute bauen die Krankenkassen Paläste, sind daher überschuldet, und ich kenne sogar eine Bezirkskrankenkasse, die wegen rückständiger Honorarforderungen der Anstaltsärzte von mehr als 100.000 Kronen exekutiert wurde. Außerdem besitzt die Anstalt noch Schulden in der Höhe von 900.000 Kronen. Der Auszug aus dem Grundbuch Einlagezahl 2018 von Podersam gibt mir in seinem Lastenblatt C einen diesbezüglichen genauen ufschluß und ich entnehme demselben folgende Daten: Post 5: auf Grund des Schuldscheines vom 2. Juli 1923 Pfandrecht für die Forderung der Sparkasse der Stadt Podersam im Betrage von 200.000 Kronen mit 8 bis 10% Zinsen und 6% Verzugszinsen, sowie Nebenverbindlichkeiten in der Höhe von 12.000 Kronen einverleibt. Post 7, 8: auf Grund des Schuldscheines vom 10. Dezember 1923 Pfandrecht für Dr. Arthur Winkler in Podersam per 50.000 Kronen, 6 bis 7% Zinsen und Nebengebühr per 3000 Kronen einverleibt. Post 9: Urteil Ck I a 199/24, Dr. Schinke, Maschau, 7233 Kronen, Zinsen 442 Kronen, Kosten 146 Kronen. Post 10: Urteil Ck I a 77/24, Dr. Baum, Podersam, 14.866 Kronen, Zinsen 588 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 11: Urteil Ck ect., Dr. Arthur Winkler, Podersam, 11.295 Kronen, Zinsen 525 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 12: Dr. Oberst Rudig 14.306 Kronen Zinsen 545 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 13: Dr. Bleier, Flöhau, 16.593 Kronen, Zinsen 597 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 14: Dr. Wick, Kriegern, 16.000 Kronen, Zinsen 524 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 15: Dr. Tschochner, Pomeisl, 15.359 Kronen, Zinsen 491 Kronen, Kosten 168 Kronen. Post 16: Dr. Pokorny, Schönhof, 13.085 Kronen, Zinsen 551 Kronen, Kosten 168 Kronen. Hiezu kommen noch einige nichteingeklagte Forderungen eines Arztes, Baumeisters, Apothekers und sonstiger Gewerbetreibenden in der Höhe von 510.000 Kè, so daß sich der Gesamtschuldenstand auf rund 900.000 Kè beziffert. Es wirft sich hier wieder die Frage auf, wer eigentlich einmal der Tilger dieser Schuld sein wird. Selbstverständlich sind es die Versicherungsnehmer, die zu höheren Prämienleistungen herangezogen werden. Und wer zahlt hier wiederum, ohne irgendwelche Gegenleistung zu erhalten? Wir, die Gewerbetreibenden, als die Erwerbenden und Arbeitgeber. Ich bin überzeugt, daß der Fall Podersam nicht allein dasteht, sondern ihm noch eine Menge anderer anzureihen sind. Der deutsche Handelsund Gewerbestand kann daher niemals einer Verschmelzung der Genossenschaftskrankenkassen mit den Bezirkskrankenkassen zustimmen. Auch sind unsere genossenschaftlichen Krankenkassen viel, zu viel im öffentlichen Leben eingelegt und nachweislich sehr gut fundierte Einrichtungen, haben bei weitem mehr geleistet, als dies bei den Bezirkskrankenkassen der Fall ist, weshalb wir die derzeitige Fassung der §§ 27 bis 29 als unannehmbar ablehnen müssen.
Außer den gestellten Abänderungsanträgen habe ich mit Rücksicht auf die Befürchtung, daß dieselben kaum zur Annahme gelangen dürften, noch einen Eventualantrag gestellt, der dahin lautet, daß man die auf Grund des § 11 des Gesetzes vom 22. Dezember 1920, Slg. d. G. u. V. Nr. 689, benannten Krankenkassen probeweise auf 3 Jahre vom Tage des Inkrafttretens dieses Gesetzes bestehen läßt, um dann vor Ablauf dieser Frist durch ein Gesetz zu bestimmen, ob diese Krankenkassen ein weiteres Recht des Bestehens besitzen oder ob man sie mit der so oft verlangten Einheitskassa verschmelzen sollte. Diese drei Jahre Tätigkeit in Verbindung mit der Sozialversicherung sollen uns den Beweis liefern, ob dieselben ihren Zweck für die den Kassen angeschlossenen Mitglieder vollauf erfüllen oder nicht, und ich erwarte daher, daß auch bei der Gegenseite, die kein Interesse für die eigenen Krankenkassen zeigt, wenigstens die Einsicht obwalten wird, daß man diesem Antrage die Zustimmung nicht versagen wird. Dies wäre nach meinem Ermessen die richtige Lösung und würde somit jeder Streit in dieser Frage beiseite geschoben werden.
Eine weitere von mir nicht gutgeheißene Bestimmung in der Gesetzesvorlage ist die Nichtzulässigkeit der freien Ärztewahl durch den Versicherungsnehmer. Es ist nur zu gut bekannt, daß bei einem Kranken das Vertrauen zum Arzte die Heilung stark beeinflußt, weshalb im Interesse der Versicherten die freie Wahl des Arztes zugelassen werden sollte.
Was die Vorlage über die Sozialversicherung sonst anbelangt, so müssen wir unter allen Umständen die nationale Trennung sowie die Selbstverwaltung verlangen. Die eingezahlten Prämien sind nicht zu thesaurieren, sondern wertbeständig anzu egen, wobei die Kapitalien wieder der Volkswirtschaft durch die Gewährung von Krediten etc. zuzuführen sind.
Die Frage der Alters- und Invaliditätsversicherung muß im sozialen, nicht aber im politischen Sinne für alle Stände winheitlich gelöst werden, sie darf nicht vom èechischchauvinistischen Standpunkte betrachtet werden, insbesondere was den organisatorischen und verwaltungstechnischen Teil anbelangt, und wenn es sich um die Bestellung von Beamten für diese Institute handelt, sind diese dem Bevölkerungsschlüssel nach einzustellen. Nur dann kann dieses soziale Werk in der schweren Zeit, in der wir leben, gelingen und gesunde Früchte tragen, es muß aber auch allen den Staat bewohnenden Völkern zum Wohle gereichen. (Souhlas na levici.)
2. Øeè posl. Kaisera (viz str. 1637 tìsnopisecké zprávy):
Hohes Haus! Vor wenigen Tagen wurde von der Majorität dieses Hauses ein Gesetz verabschiedet, welches für Tausende von Steuerträgern einen Faustschlag ins Gesicht bedeutet und ihren wirtschaftlichen Ruin herbeizuführen geeignet ist. Wenn in den Kreisen der produzierenden Stände sowie auch der auf ihre Altersrenten angewiesenen Bevölkerungsschichten der letzte Funke von Vertrauen zu den gesetzgebenden Körperschaften verloren gegangen ist, so haben sich dieses die heutige Regierung und mit ihr die Majoritätsparteien auf ihr Konto zu schreiben. Ein Großteil unserer Bevölkerung steht unter dem Eindrucke, daß diesem Staate, dieser Regierung und ihrer Majorität, die kalten Herzens Tausende ihrer Mitbürger dem wirtschaftlichen Ruin ausgeliefert haben, kein Vertrauen entgegengebracht werden kann. Und unter diesem Eindruck des Mißtrauens wird uns nun eine Regierungsvorlage zur Beschlußfassung vorgelegt, welche eine neuerliche schwere Belastung unserer gesamten Volkswirtschaft bedeutet. Es ist dies das Gesetz über die Alters- und Invaliditätsversicherung der Arbeiter. Meine sehr Verehrten, Vertrauen gegen Vertrauen! Wäre die Frage der Kriegsanleiheeinlösung in einer Weise erfolgt, daß sie den berechtigten Forderungen der Anleihebesitzer wenigstens zum Teile gerecht geworden wäre, hätte die Regierung den Mut aufgebracht, die Gerechtiigkeit über den nationalen Chauvinismus und Haß siegen zu lassen, hätten die Mehrheitsparteien ihr heute zur Schau getragenes soziales Empfinden auch bei der Lösung der Kriegsanleihefrage zur Geltung gebracht: wir könnten und würden heute mit ganz anderen Gefühlen diese gewiß äußerst wichtige Frage der Sozialversicherung behandeln können. Eine Regierung jedoch, welche auf der einen Seite tausende von Existenzen in das tiefste. Unglück stürzt und sie dem Elende preisgibt, nur um ihren nationalen Chauvinismus befriedigen zu können, hat das Recht verwirkt, von diesen in das Elend getriebenem Mitbürgern Vertrauen bei der Durchführung ihrer sozialen Maßnahmen zu verlangen. Denn es entspricht weder dem Standpunkte eines sozialen Ausgleiches, noch dem der Gerechtigkeit, daß die Regierung, welche ein Faktor der ausgleichenden Gerechtigkeit aller Berufsklassen sein soll, mit der einen Hand Abertausenden von Landwirten, Gewerbetreibenden und anderen Berufsständen ihr ehrlich erworbenes Vermögen durch Nichteinlösung der Kriegsanleihe konfisziert und mit der zweiten Hand dieselben Kreise zur Leistung von Sozialversicherungsbeiträgen in einem solchen Maße heranzieht, wie es diese Vorlage vorsieht. An dieser Tatsache, meine Hochverehrten, ändert auch der Umstand nichts, daß der Referent Herr Dr. Winter die Vorlage als eine Staatsnotwendigkeit bezeichnet. Denn eine Staatsnotwendigkeit ist es ebenfalls, daß das Vertrauen der Staatsbürger zum Staate selbst gehoben, aber nicht untergraben wird. Und ob Sie, meine Herren, durch die Lösung der Kriegsanleihefrage in Kreisen von Hunderttausenden unserer Mitbürger das Vertrauen zum Staate gehoben haben, diese Frage beantworten Sie sich selbst. Wenn weiters der Referent Herr Dr. Winter behauptet, daß die Sozialversicherung eine Forderung der Staatsraison sein soll, so stelle ich dem gegenüber die Behauptung auf, daß auch die Gleichstellung aller Staatsbürger ohne Unterschied der Nation eine Forderung, ja eine viel schwerwiegendere Forderung der Staatsraison sei. Wie aber in diesem Staate die Gleichstellung aller Staatsbürger in Wirklichkeit aussieht, zeigt uns nicht nur die vor wenigen Tagen erledigte Kriegsanleihevorlage, es zeigt uns dies auch die Behandlung des deutschen Volkes auf allen andwren Gebieten.
Was nun die Frage der Sozialversicherung selbst anbetrifft, gebe ich ja gerne zu, daß dieselbe von weittragender sozialpolitischer Bedeutung für die Republik ist. Durch die Durchführung derselben soll dem Kranken, invalid oder infolge des Alters arbeitsunfähig gewordenen Arbeiter, bzw. dessen Hinterbliebenen die Sorge um das tägli che Brot zumindest herabgemindert werden. Auch der Umstand, daß durch diese Sozialversicherung den Gemeinden, die oft sehr empfindliche Last der Armenversorgung zum großen Teile abgenommen wird, spricht ganz entschieden zugunsten derselben.
Es hat sich daher auch unsere Partei, der Bund der Landwirte, schon am Parteitage in Znaim grundsätzlich für ein den allgemeinen und insbesondere auch den landwirtschaftlichen und gewerblichen Interessen entsprechendes Sozialversicherungsgesetz ausgesorochen. Selbstverständlich mußten wir als Vertreter der Landwirte, als Vertreter des Landvolkes und der Gewerbetreibenden gewisse Voraussetzungen vorausschicken. Als diese Voraussetzungen haben wir bezeichnet: Die Ablehnung der Einheitskassen und Errichtung landwirtschaftlicher Bezirkskrankenkassen nach Erfordernis, Erhaltung und Ausbau der verschiedenen gewerblichen und Genossenschaftskrankenkassen und Aufbau der Altersund Invaliditätsversicherung auch auf diesen Krankenkassen; weiters die nationale Teilung derselben entsprechend der nationalen Zugehörigkeit der Mitglieder; gleichzeitige Beratung des Sozialversicherungsgesetzes für die Arbeiter und ein solches für die kleinen Landwirte, Handwerker und Gewerbetreibende, gleichzeitiges Inkrafttreten beider Gesetze zu einer Zeit valutarischen Ausgleiches, zu einer Zeit, wo die volkswirtschaftlichen Verhältnisse geklärt und derartige sind, daß die produzierenden Stände, die durch dieses Gesetz erwachsende Belastung zu tragen imstande sind. Wie vorauszusehen war, sind diese Voraussetzungen nur zum ganz geringen Teile eingetroffen.
Im zweiten Teil der Vorlage, welche die Organisation der Krankenversicherung behandelt, ist insoferne eine Verbesserung der ursprünglichen Vorlage erzielt worden, als nach § 25 die Errichtung der landwirtschaftlichen Krankenkassen in jedem politischen Bezirk ohne Rücksicht auf die Zahl der Versicherungsnehmer gewährleistet ist. Demgegenüber aber bedeuten die §§ 27, 28 und 29 den Ruin aller Genossenschafts-, Gewerbe-, Vereins- und Hilfskrankenkassen, denn für ihren weiteren Bestand ist eine Mitgliederzahl von 4000, beziehungsweise 2000 Mitgliedern mit dem Stand vom 1. Jänner 1924 vorgeschrieben. Bei dieser Bestimmung, gegen die wir uns schon in den Ausschußberatungen gewehrt und diesbezügliche Abänderungsanträge gestellt haben, wird eine ganze Anzahl von Krankenkassen, die Jahrzehnte hindurch für ihre Mitglieder segensreich gewirkt haben, auf den Aussterbeetat gesetzt. Ich frage Sie nun, meine Herren von der Majorität, die Sie diesem ominösen Paragraphen Ihre Zustimmung gegeben haben, ob Sie es wagen werden, auch diese Tat als sozial und im Interesse der gewerblichen Arbeiter gelegen zu bezeichnen. Hier zeigte sich wohl der Partei- und Mächtegoismus in seiner ganzen rauhen Wirklichkeit. Ich muß gestehen, daß, so wie es diesen Krankenkassen in dieser Gesetzesvorlage ergeht, so es wohl auch allen unseren landwirtsch tlichen Krankenkassen ergangen wäree, wenn nicht durch die Zähigkeit der landwirtschaftlichen Organisationen diesem Ansinnen ein eiserner Widerstand entgegengesetzt worden wäre. Ich frage Sie, meine Herren von den sozialistischen Parteien, warum denn dieser erbitterte Kampf, warum dieser erbitterte Kampf gegen die landwirtschaftlichen Genossenschaften und warum der Todesstoß für alle gewerblichen Genossenschaften? Es wurde immer mit dem Argument herumgeworfen, daß die landwirtschaftlichen Krankenkassen nicht lebensfähig sein werden, und es wird heute behauptet, daß die gewerblichen und genossenschaftlichen Krankenkassen ebenfalls nicht lebensfähig sind und einen Unterbau für die Sozialversicherung nicht abgeben können. Das war aber wohl nicht die Hauptsache, weshalb der Kampf gegen diese Krankenkassen geführt wurde. Die Ursache liegt viel tiefer, und zwar in dem Bestreben, die Sozialversicherung als ein politisches Machtmittel auszuwerten.
Kollege Schäfer hat gestern in seinen Ausführungen darauf hingewiesen, daß die Sozialversicherung durch das Hineintragen parteipolitischer Machtfragen in ihrer Entwicklung gehemmt wurde. Ich pflichte dem Kollegen Schäfer und dieser Auffassung vollkommen bei, frage jedoch zugleich: welche Partei oder vielmehr welche Parteien waren es, die eben diese Machtfrage in der Frage der Krankenkassen zuerst aufgeworfen haben? Ich möchte hier nur auf ein Beispiel verweisen. Die Krankenkasse-Selbsthilfe in Budweis, die Jahre hindurch unter bürgerlicher Leitung stand, zur vollsten Zufriedenheit der versichterten Arbeiter geleitet wurde und die Arbeiter in ihren Forderungen auch voll und ganz befriedigt hat, mußte sich nach dem Umsturz den neuen Verhältnissen anpassen und zwar insoferne anpassen, als auch die Budweiser deutschen Sozialdemokraten nach dem Umsturz der Meinung waren, daß nun auch ihr Weizen blühen und ihre Bäume in den Himmel wachsen werden. Die bürgerliche Verwaltung wurde mit Hilfe der èechischen sozialdemokratischen Arbeiter, die zum Teil auch in dieser Krankenkasse versichert waren, zum Rücktritt gezwungen und es wurde im Einvernehmen mit den èechischen Sozialdemokraten ein èechischer Vertrauensmann an die Spitze der Verwaltung gestellt. Wenn ich nicht irre, war dieser Vertrauensmann unser heutiger Kollege Abg. Køíž. Und was ist geschehen? Nach einigen Monaten ist diese Krankenkasse, die durch Jahrzehnte zum großen Teil von bürgerlichen Verwaltungsmitgliedern geleitet wurde, die aus schweren Krisen hinaus schöne Reservefonde für ihre Mitglieder angesammelt hat, nach der sozialistischen, und zwar rein sozialistischen Leitung gewesen. Man hat alle Hebel in Bewegung gesetzt, diese Krankenkasse unmöglich zu machen, und terreicht, was man erreichen wollte. Das Reservevermögen der bürgerlich geleiteten Krankenkasse wurde der mit Defizit arbeitenden Bezirkskrankenkasse, die in den Händen der èechischen Nationalsozialisten lag, überwiesen, um dadurch die Bezirkskrankenkasse wieder halbwegs zu sanieren. Das ist eben auch eine Folge der Machtfrage. Ich muß feststellen, daß in diesem Kampf gegen die landwirtschaftlichen Krankenkassen der Herr Minister für soziale Fürsorge seinen Genossen tatsächlich treue Gefolgschaft geleistet hat. Ich verweise nur auf die zahlreichen Gesuche um Bewilligung zur Errichtung landwirtschaftlicher Krankenkassen, die noch heute unerledigt, bei den verschiedenen Behörden liegen. Warum? Weil der Herr Minister die Erledigung verhindert, und damit das von ihm selbst unterschriebene Gesetz in höchsteigener Person sabotiert. Sie dürfen sich daher nicht wundern, wenn wir durch die gemachten Erfahrungen gewitzigt auch dieser Vorlage kein Vertrauen entgegen bringen können.
Ich hätte zum § 24 nur eine Anfrage an den Herrn Referenten zu richten. Der Absatz 4 des § 24 scheint mir nicht ganz klar ausgedrückt zu sein. Nach Absatz 2 des genannten Paragraphen sind die Bezirksversicherungsanstalten in der Regel an dem Sitze der politischen Bezirksverwaltung zu errichten und es steht nach Absatz 4 desselben Paragraphen der Zentralversicherungsanstalt das Recht zu, unter Berücksichtigung besonderer Verhältnisse sowohl den Sitz der Bezirksversicherungsanstalt an einen andern Ort zu verlegen, als auch mehrere Bezirksversicherungsanstalten zusammen zu legen. Nun wird sich aber in der Praxis öfters die Notwendigkeit ergeben, infolge schlechter Bahnverbindungen, Kommunikationen usw. Exposituren von Bezirksversicherungsanstalten zu errichten, um den Mitgliedern die Möglichkeit zu geben auf möglich kurzen Wege ihre Angelegenheiten, insbesondere in Krankheitsfällen bei der Bezirksversicherungsanstalt zu erledigen.
Ich möchte daher den Herrn Referenten um nähere Auslegung dieses genannten Absatzes bitten, ob nämlich nicht nur die Zusammenlegung mehrer Bezirksversicherungsanstalten, sondern auch die Errichtung von Exposituren in diesem Absatz des § 24 gemeint ist. Wir können uns weiter mit dem § 59 nicht einverstanden erklären, laut welchen die Arbeitgeber im Vorstand nur durch 2 Mitglieder vertreten sein sollen. Ich finde es ja vollkommen begreiflich, daß die Herren Vertreter der sozialistischen Parteien von dem Standpunkt ausgehen, daß es ja die Versicherung von Arbeitern sei und daß infolgedessen auch die Arbeiter selbst ihre Versicherung zu verwalten haben. Meine Herren, ich hätte gar nichts dagegen einzuwenden, ich würde diesen Standpunkt vollkommen begreiflich finden, ich würde ihn sogar sehr unterstützen, wenn nämlich der Arbeiter auch die Lasten dieser Versicherung selbst zu tragen hätte. Da aber nicht nur der 50% ige Beitrag vom Arbeitgeber zu entrichten ist, sondern auf ihn, der ja zugleich direkter Steuerträger ist auch diejenige Last noch überwälzt wird, die der Staat zu dieser Versicherung beiträgt oder beitragen wird, so glaube ich, wäre es nur recht und billig gewesen, von dem Grundsatz ausgehend gleiche Pflichten daher auch gleiche Rechechte, das die Parität in den verschiedenen Verwaltungsstellen festgesetzt sein müßte. Ich bin überzeugt davon, daß ein diesbezüglicher Antrag abgelehnt werden würde und will mich auch mit diesem Punkte nicht weiter befassen.
Wenn nun in der Frage der landwirtschaftlichen Krankenkassen ein Teil der grundsätzlichen Forderung erfüllt worden ist, so vermissen wir doch in der ganzen Vorlage die Sicherung unserer nationalen Belange. Zwar sagt der Absatz 3 des § 69, daß die Zentralsozialversicherungsanstalt verpflichtet sei, bei der Ernennung der Beamten das Verhältnis der nationalen Zugehörigkeit zu derselben mit der nationalen Zugehörigkeit der Versicherten in Einklang zu bringen sei. Wenn wir aber weiter den § 77 in Betracht ziehen, laut welchem in der Zentralsozialversicherungsanstalt 16 von der Regierung ernannte Fachleute sitzen und daß nach der bisherigen Praxis wir ja ganz genau wissen, wie die Besetzung in nationaler Beziehung von Regierungswegen erfolgt, d. h. daß nirgends ein deutscher Beamter an irgendeine maßgebende Stelle gesetzt werden darf, so können wir uns auch schon ein beiläufiges Bild davon machen, wie es mit der Gleichberechtigung und der Aufteilung der Beamtenstellen nach dem nationalen Schlüssel oder nach der Mitgliederzahl bei den Bezirksversicherungsanstalten aussehen wird. Ich will mit Rücksicht darauf, daß schon eine Anzahl von deutschen Vorrednern sich mit der nationalen Frage dieses Sozialversicherungsgesetzes befaßt hat, auf diese Sache nicht weiter eingehen und möchte nur noch über die Frage der Alters- und Invaliditätsversicherung einige grundsätzliche Worte verlieren.
Ich habe in meinen Ausführungen bereits darauf verwiesen, daß wir verlangt haben und als Voraussetzung für unsere Zustimmung zu diesem Gesetz den Grundsatz aufgestellt haben, daß zugleich mit der Beratung des Gesetzes über die Sozialversicherung für die Arbeiter auch das Gesetz über die Sozialversicherung der selbständig Erwerbenden zugleich mitberaten werde. Diese Forderung ist und war keine Demonstrationsforderung, sondern sie ist für uns Landwirte von einschneidender tiefer Bedeutung. Wir stehen heute der Frage der Versicherung der Selbständigen, also unserer Gewerbetreibenden, Landwirte usw. noch vollkommen im Dunkeln gegenüber. Zwar hat gestern Herr Kollege Dubický darauf verwiesen, daß angeblich bereits ein diesbezügliches Komitee mit der Regierung über die Grundzüge der selbständigen Sozialversicherung verhandelt, daß Material für dieses Gesetz gesammelt wird, aber wir Deutschen wissen davon gar nichts. Uns wird man wahrscheinlich auch in dieser Frage wieder vor die vollendete Tatsache stellen wollen. Nun und wenn sie schon bei den verschiedensten Anlässen dem Auslande gegenüber immer darauf verweisen, daß hier eine vollkommene Gleichberechtigung herrsche, daß wir nicht Bürger zweiten Ranges sind, sondern vollkommen gleichberechtigte Bürger, so gestatte ich mir denn doch die Frage aufzuwerfen, wieso kommt es denn dann, daß die deutsche Bevölkerung, die ein ebenso eminent großes Interesse an der Sozialversicherung hat, wie die èechische Bevölkerung, bei der Beratung derartiger Vorlagen nicht herangezogen wird und ich muß von dieser Stelle aus gegen ein derartiges Vorgehen seitens der Majoritätsparteien auf das Entschiedenste protestieren.