Was die Leistungen der Sozialversicherung anbelangt, will ich auf folgendes hinweisen. Zu wiederholtenmalen hat man im Unterausschuß zu hören bekommen: "An den finanziellen Grundlagen darf nicht gerüttelt werden." Damit wurden auch alle unsere Versuche, eine Erhöhung der Leistungen der Sozialversicherung in der Gesetzesvorlage zu erreichen, von vornherein erfolglos. Nach langwierigen Verhandlungen wegen Gewährung der Krankenhilfe an die Rentner und deren Familienangehörige, die mit einer Herabsetzung der Grundrente von 500 uf 400 Kronen hätte erkauft werden sollen, wurde die Wartezeit mit 150 Beitragswochen festgesetzt, von denen 13 Wochen in die Pflichtversicherung der letzten zwei Jahre vor dem Anfallen der Versicherung fallen müssen, statt 200 Beitragswochen und 26 Wochen in der Pflichtversicherung. Dies bedeutet eine besondere Erleichterung für die Saisonarbeiter. Alle Bemühungen, die Wartezeit auf 104 Beitragswochen herabzusetzen, die Steigerungsbeiträge wie in der Fachmännervorlage mit einem Viertel der bezahlten Beiträge zu bemessen, die Altersrente bereits mit dem 60. Lebensjahre anfallen zu lassen, die Witwenrente derart festzusetzen, daß sie ohne Rücksicht auf die Invalidität der Witwe gegeben wird oder daß man wenigsten sie den Witwen gibt, die für zwei oder mehr Kinder zu sorgen haben: alle diese Bemühungen blieben erfolglos. Desgleichen wurde das Verlangen nach einer Erhöhung der Waisenrente von einem Fünft auf ein Viertel der Invalidenrente ebenfalls nicht durchgesetzt. Wenn in der Gesetzesvorlage 100 Milionen für Heilstätten zur Bekämpfung der Tuberkulose und Errichtung von Heimen für Wöchnerinnen bei den öffentlichen Krankenhäusern eingesetzt sind, so haben wir schon in der Generaldebatte erklärt, daß mit Rücksicht auf die großen Aufgaben der Heilpflege diese Summe nur einen Tropfen auf einen heißen Stein bedeuten könne. Nun wurde aber festgesetzt, daß diese 100 Millionen Kronen nur allmählich in den Staats, voranschlag eingesetzt werden, und im Budgetausschuß wurde bei der Schlußverhandlung sogar bestimmt, daß diese Summe zugleich für die Selbständigenversicherung zu gelten habe. Von einer großzügigen Gesundheitspflege, von einer großzügigen Bekämpfung der Volksseuche kann wohl dabei nicht gesprochen werden.
Wir haben gegen die Vorlage unsere Bedenken vorgebracht. Viele Bestimmungen sind es, die unseren Wünschen und Forderungen nicht entsprechen. Aber wir sind von der Notwendigkeit dieses Werkes, das einen gewaltigen sozialen Fortschritt darstellt, durchdrungen. Nicht mehr lange soll das arbeitende Volk vergebens nach dieser Sicherung seiner wirtschaftlichen Existenz verlangen. Gerade heuer sind es 20 Jahre, seitdem die erste Vorlage im österreichischen Parlament eingebracht wurde. Es ist nur ein Minimum, was diese Vorlage bietet. Viele Wünsche blieben unerfüllt, viele Forderungen blieben unerhört. Aber wir wollen die Hoffnung aussprechen, daß bei einer Besserung der wirtschaftlichen Verhältnisse es möglich sein wird, die Sozialversicherung besser auszugestalten. Uns Deutschen wird die Freude an diesem Werk getrübt, weil wir noch keinen Schimmer sehen, daß man unseren berechtigten nationalen Belangen Rechnung tragen will, weil wir die bange Sorge nicht lós werden können, daß auch dieses soziale Werk zu nationalen Zwecken mißbraucht werden soll. Mit diesem Gesetz, dessen Bedeutung wir voll und ganz würdigen wollen, will man einen Beweis des sozialen Fortschrittes geben, sozialen Frieden schaffen, ein soziales Recht dem Volke sichern. Aber die Machthaber dieses Staates haben auch bei dieser Gelegenheit nicht den Willen gezeigt, auch den nationalen Frieden anzubauen, das nationale Recht den Minderheiten in diesem Staate zu geben. Die Sozialversicherung muß dem arbeitenden Volke aller Stände gegeben werden, nicht als Gnade und Almosen, sondern als ein Recht der ehrlichen Arbeit. (Potlesk na levici.)
2. Øeè posl. Patzela (viz str. 1526 tìsnopisecké zprávy):
Verehrte Herren Kollegen! Wir alle haben uns gesagt und haben es gestern aus dem Munde der Herren Berichterstatter und des Herrn Ministers gehört, daß die Èechoslovakische Republik und ihr Parlament sich in einem denkwürdigen geschichtlichen Augenblick befinden. Wenn das wahr ist, muß man allerdings sagen, daß gestern und heute das Parlament dieser großen Aufgabe nicht gewachsen zu sein scheint, seine Zeit zu erfassen. Denn die Art, wie Mitglieder der Mehrheits- und der Minderheitsparteien an den Verhandlungen teilnehmen, wird nicht der Aufgabe gerecht, das Werk der Sozialversicherung in einem neuen Staate zuu schaffen und zu begründen. Ich erkläre aber, daß dieser Vorwurf, der alle Kreise dieses hohen Hauses, zur rechten und zur linken Seite desselben, trifft, wohl auf die eigenartige Struktur der Gesetzgebungsmaschine zurückge führt werden muß, die auch bei einer so wichtigen Auseinandersetzung nicht Argument gegen Argument, Grundsatz gegen Grundsatz kämpfen und ringen läßt, wie es bei der Schaffung der Sozialversicherung in anderen Staaten, im vorbildlichen Deutsschen Reiche, bei der Verhandlung im alten Österreich, in England und in Frankreich war, sondern weil hier das Werk, das wir vor uns haben und das wir mit einem lachenden und einem weinenden Auge, mit gemischten Gefühlen ansehen müssen, sich darstellt nicht als das Werk des Kompromisses, sondern schnöden Parteienkuhhandels. Auch uns ist das Gefühl nicht fremd, daß große wirtschaftliche Gesetze in einem Staate nicht brutal diktiert werden können, sondern schließlich und endlich das Werk eines Kompromisses sein müssen. Was ich im Ausschuß gesagt habe, sage ich ohne Bedenken auch von dieser hohen Stelle, daß, wenn die deutschen Parteien allein einen Staat hier hätten, sie auch nichts anderes machen könnten als sich zusammensetzen und versuchen, ein Kompromiß zu schaffen, eine mittlere Linie, wie der Herr Referent gestern sehr richtig gesagt hat. Nun ist für die, denen hier ein großes soziales Werk geboten werden soll, der bittere Beigeschmack in dem Gefühl begründet, daß bei der Fertigstellung des Werkes nicht Weltanschauungen gerungen haben, sondern ein ganz erbärmlicher Kuhhandel politischer Parteien. Wenn man gestern gehört hat, wie der Herr Berichterstatter die Sozialversicherung an die Spitze der Erörterung der Wintersession 1924/1925 gestellt hat und dann sah, wie ihm sein Kollege im Amte, der Herr Berichtestatter des Budgetausschusses Professor Dr. Srdínko sofort die Getreidezölle als Gegenforderung entgegengehalten hat, muß man sagen, daß diese Art politischen Handels, so wichtig beide Fragen auch sein mögen, eines Parlamentes nicht recht würdig ist.
Es ist für mich als deutschen Nationalsozialisten nicht leicht, mich einzustellen zu dem Werke, wie wir es vor uns haben. Jeder Arbeiter und jedes Arbeiterkind muß es freudig begrüßen, wenn es auch in diesem Staate endlich einmal zur Erfüllung der tiefsten Sehnsucht aller arbeitenden Menschen kommt, und aus diesem Grunde muß ich sagen, habe ich es nicht verstanden, wie gestern Vertreter nationalfreiheitlicher deutscher Bürger und Bauern einen solchen Kampf gegen die Sozialversicherung aufführen konnten. Und ich erkläre von dieser Stelle: diese Männer sind sich nicht bewußt, welch kostbares Volksgut auch in nationaler Hinsicht sie damit vertun. Ich sage es von dieser Stelle, damit es hinausdringt und draußen verstanden wird, daß es nicht angeht, von Volksgemeinschaft zu reden und nach Volksgemeischaft zu rufen und zugleich Bremsklötze in den Weg zu werfen, wo arbeitende, besitzlose Menschen davorstehen und darauf warten, daß in noch ferner Zukunft ihnen die Erfüllung ihrer Hoffnung werde, in ihren alten Tagen nicht betteln gehen zu müssen, sondern eine Rente, wenn auch nur eine kümmerliche Rente zu haben, von der sie ihr Darsein fristen können. Das muß man den Deutschbürgerlichen, die sich so gerne auf Bismarck berufen, von dieser Stelle aus sagen. Denn wir sind uns klar - und es mag kein schlechter Stolz sein, wen wir es aussprechen - an der Spitze der sozialpolitischen Gesetzgebung und führend in der ganzen Welt steht der so verlästerte Polizeistaat Preußen, stand das so verlästerte, angeblich polizeistaatlich organisierte Deutschland mit seinem pommerschen Landjunker Bismarck an der Spitze, der über alle Grundsätze der Wohltätigkeit und Selbsthilfe hinweg in seiner denkwürdigen Botschaft vom November 1881 den Grundsatz aufstellte, daß es Pflicht des Staates und der Gesellschaft ist, nicht nur dafür zu sorgen, daß der arbeitsfähige Arbeiter mit gesunden Armen Arbeit hat, sondern daß auch der kranke arbeitsunfähig gewordene Arbeiter eine Lebensmöglichkeit hat. Von dieser Stelle aus wollen wir an der Schwelle der Beratungen des èechoslvakischen Parlamentes über die Arbeiterversicherung dem toten Staatsmanne im Sachsenwalde danken für das Werk, das er der deutschen Arbeiterschaft und der Arbeiterschaft der ganzen Welt gegeben hat. (Výkøiky na levici.)
Die Èechoslowakische Republik erfüllt eine Schuld, die sie aus der Erbschaft des alten Österreich übernommen hat. Alle anderen Staaten sind dem Deutschen Reiche mit seiner sozialen Gesetzgebung nur im weitem Abstande gefolgt. Österreich schuf zwar Ende der achtziger Jahre seine Kranken- und Unfalllversicherung. Es hatte ferner, als die allgemeine Altersversicherung lange Zeit nicht nur durch die Organisationsfrage, sondern auch durch die politischen Auseinandersetzungen gebremst wurde, die Pensionsversicherung geschaffen, aber es kam nicht zum Abschlusse der Sozialversicherung, u. zw., wenn mich meine Erinnerung nicht täuscht, hauptsächlich aus politischen Gründen, weil immer wieder, wenn das Werk der Vollendung nahe war, politische Bremsklötze aus den Reihen der Nationaldemokraten jedes Werk sachlicher Arbeit gefährdeten und die politische èechische Siedehitze zur Obstruktion brachten und damit jede ernste Arbeit im Wiener Parlamente brachlegten. Auch das muß gesagt werden. Wir deutschen Nationalsozialisten können uns darauf berufen, daß einer der Unsrigen, wenn er auch nicht förmlich zu uns gehört hat, vor 40 Jahren im alten Österreich den Grundsatz der Sozialversicherung aufgestellt hat. Schönerer, der Hauptschöpfer des Linzer Programmes, hat in den achtziger Jahren in Österreich gegen die damals wie heute etwas verhärtete deutschen Bourgeoisie den großen Kampf für die Rechte der deutschen arbeitenden Menschen geführt. Wir können es sagen, daß auch, seitdem es eine deutsche nationale Arbeiterbewegung gibt, vom ersten deutschen Arbeitertag in Eger im Juni 1893 angefangen, der Kampf um die Sozialversicherung, um das Recht auf eine Lebensmöglichkeit in Krankheit und Alter, eines der Hauptziele dieser deutschnationalen Arbeiterbewegung war, die infolgedessen nicht umzulernen braucht, weil sie nicht eine Zeit hatte, wo sie im Parlamente die Arbeitersozialversicherung ablehnte, um sich heute auf eine angebliche frühere Arbeit zu berufen.
Das Werk, das wir vor uns sehen, kann - das verstehen wir - kein vollkommenes sein, und wir haben das bei der Verhandlung im Ausschusse, bei der ersten und bei der zweiten Verhandlung, klargelegt. Aber in der Erkenntnis, daß alles Menschenwerk unvollkommen ist, daß auch das Werk der Sozialversicherung doch keine endgiltige, für alle Zeiten abgeschlossene Lösung darstellen kann, an der nicht einmal auf Grund von Erfahrungen gebessert werden dürfte, haben wir durch unseren Vertreter im Ausschusse und durch die Diskussion in der Öffentlichkeit und in unseren Organisationen gerne mitgearbeitet und auch geistig an diesem Werke mitzuarbeiten gesucht. Um so schmerzlicher empfinden wir, daß das Werk, das an und für sich ein Kompromiß von Meinungen war, auf dem Wege vom sozialpolitischen zum Budgeta usschuß sich noch eine Reihe von sachlichen Verschlechterungen gefallen lassen mußte. Wir verhehlen auch nicht, daß wir gegen das Werk in vorliegender Fassung schwere Bedenken haben. Schwere Bedenken sachlicher Natur, aber auch schwere Bedenken nationalpolitischer Natur.
Wir kommen um das Gefühl nicht herum, daß hier ein großes sozialpolitisches Werk so im Nebengedanken dazu mißbraucht werden soll, die deutschen Arbeitsmenschen von ihrem Anrecht auf Verwaltung ihrer Güter auszuschließen. Und es hat uns ganz eigenartig berührt, wie der zweite Herr Berichterstatter Prof. Dr. Srdínko gestern hier als eine Aufgabe der Sozialversicherung hingestellt hat, - ich habe mehrmals genau zugehört - die Erhaltung und Stärkung des slavischen Blutes. Vielleicht ist ihm da unbewußt ein Geständnis entschlüpft, über dessen Tragweite er sich nicht im klaren ist, das aber draußen bei unseren deutschen Arbeitsmenschen wohl verstanden werden wird. Wir empfinden es als eine außerordentliche Verschlechterung, wenn der an und für sich schon stark genug ausgebildete Einfluß der Regierung auf die Bestellung der Beamten der unteren Stellen noch verstärkt wird durch Hinzugabe des Einflusses des Finanzministeriums, wir empfinden es als eine bedeutende Verschlechterung, wenn die Verwaltung aller vermögensrechtlichen Titel über 1 Million K gebunden wird an die Zustimmung des Finanzministeriums, wir empfinden es als keine Verbesserung, daß sogar die Dienstordnungen für die Beamten der Ingerenz des Finanzministeriums untergestellt werden. Es beruhigt uns gar nicht, wenn im Motivenbericht steht, daß sich das nicht auf die alten Dienstordnungen für die alten Beamten, sondern nur auf die neuen bezieht, und zwar aus einem ganz klaren Grund, weil nämlich dieser Teil des Motivenberichtes keine Erläuterung zum Gesetz ist, sondern weil dazu eine klare gesetzliche Bestimmung notwendig wäre. Wir haben unsere Erfahrungen in diesem Staate gemacht. Es gab eine Zeit, wo im alten Österreich und in der Èechoslovakischen Republik in zweifelhaften Fällen die Gerichte, und namentlich die obersten Gerichte, den Motivenbericht hernahmen, um darnach die Absicht des Gesetzgebers festzustellen; sehr oft wurde der Motivenbericht bei der Begründung einer oberstgerichtlichen Entscheidung verwendet. Diese nach meiner Meinung richtige Tradition hat sich in den letzten Jahren in der Èechoslovakischen Republik geändert. Es existieren Entscheidungen des Obersten Gerichtshofes und des Obersten Verwaltungsgerichtes, in denen klar ausgesprochen wird: Uns geht der Motivenbericht gar nichts an, wir haben uns nur an das Gesetz zu halten und legen das Gesetz nach unserer Meinung aus. Aus diesem Grunde erscheint es und auch als nicht genügend und vollständig unzureichend, wenn eine Bestimmung, die man nicht in das Gesetz aufnehmen will, in den Motivenbericht aufgenommen wird.
Eine Bestimmung, die uns äußerst schmerzlich berührt und nicht ein Schönheitsfehler, sondern ein tiefer sachlicher Fehler zu sein scheint, ist die Tatsache, daß unter dem Andrang der bürgerlichen èechischen Parteien der jetzige Zustand für die kranken Arbeiter insoferne verschlechtert wurde, als die absolute Karenzzeit eingeführt wurde. Hier haben wir das Gefühl, daß die èechischen sozialistischen Parteien, die in der Regierungskoalition sitzen, ihre Pflicht des Widerstandes gegen eine solche reaktionäre Maßnahme nicht vollständig erfüllt haben, daß sie hier allzu nachgiebig waren.
Das Werk, vor dem wir stehen, wird als Sozialversicherung bezeichnet. Eine Sozialversicherung ist das natürlich nicht, denn eine Sozialversicherung muß darstellen die Versicherung der Arbeitsmenschen gegen alle möglichen Fälle, in denen die Arbeitsffähigkeit bedroht und beeinträchtigt wird. Das Werk, das vor uns liegt, ist aus diesem Grunde bloß ein Kapitel der Sozialversicherung, ist ein Ausschnitt, ist die Fortführung der bestehenden Kranken- und Unfallversicherung zur Alters- und Invalidenversicherung. Der Herr Minister Habrman hat gestern in seiner Rede versichert, die Èechoslovakische Republik werde auch dazu kommen, einmal - ich weiß nicht, ob in naher oder ferner Zukunft - eine allgemeine Volksversicherung zu haben. Den Weg hiezu sehen wir allerdings noch nicht. Das Gesetz, das wir verhandeln, ist in seinem Inkrafttreten gebunden an die gleichzeitige Gesetzwerdung der uns noch ganz und gar unbekannten Vorlage über die Versicherung der kleinen selbständigen Handwerker und Kleinbauern. Während auf der einen Seite diese Bestimmung als eine schwere Belastung des Arbeiterversicherungsgesetzes erscheint, von der man sagen muß, daß sie das Inkrafttreten dieses Gesetzes geradezu illusorisch machen kann angesichts der Widerstände, die aus gewissen bürgerlichen und bäuerlichen Kreisen gegen die Versicherung der kleinen Selbständigen sich geltendmachen, muß man auf der anderen Seite sagen: Wenn die Regierung es ernst meint mit der Aufrollung dieses Problems, das meines Wissens bisher noch von keinem Staate gelöst wurde - dessen Lösung zwar der seinerzeitige Entwurf und die Grundlagen der Wiener Regierung vom Jahre 1904 und die späteren Entwürfe der Jahre 1908 und 1911 versuchten, das aber bisher, wie erwähnt, noch in keinem Staate gelöst worden ist und bei dessen Lösung die Èechoslovakische Republik wohl an der Spitze der Kulturstaaten marschieren würde - dann wäre es doch eigentlich selbstverständlich gewesen, daß man bei der Verhandlung des Gesetzes über die Arbeiterversicherung zumindest auch die Grundzüge über die Selbständigenversicherung vorgetragen hätte. Denn das muß man auch als Sozialist sagen, man tappt sonst im Dunkeln darüber, was kommen wird; es ist ein schweres Beginnen, eine schwere Verantwortung, ein Gesetz zu verabschieden, das gebunden ist an das gleichzeitige Inkrafttreten eines Gesetzes über die Versicherung der Kleinbauern und der kleinen Handwerker, von dessen Inhalt ich aber nicht das mindeste weiß, dessen voraussichtlichen Inhalt zwar die Fachmänner des Referentenkollegiums kennen, von dessen Inhalt wir zwar eine dunkle Ahnung haben, von dem uns aber kein Mensch voraussagen kann, wie sich die entgiltige Gestaltung der Grundzüge, die uns angedeutet wurden, in Wirklichkeit ausnehmen wird.
Zur vollständigen Sozialversicherung fehlt noch die Krankenversicherung der öffentlichen Angestellten. Auch in dieser Beziehung haben wir zwar eine Zusage der Regierung, haben aber vor uns kein klares Bild, wie diese Krankenversicherung aussehen wird. Es wäre die Pflicht der Regierung gewesen, sich in dieser Beziehung nicht zu entösterreichern, sondern die guten Muster der alten österrichischen Regierungen nachzuahmen und beizuhalten und wenigstens über die Grundsätze dieses Versicherungszweiges uns ein paar Worté zu sagen. Wir wünschen ferner bald nicht bloß in Form ministerieller Versprechen, sondern in Form einer Vorlage das Gesetz vor uns zu sehen, welches für die alten Arbeiter sorgt, die der Wohltat der Sozialversicherung nicht mehr teilhaftig werden können.
Wenn wir den vorliegenden Gesetzentwurf sachlich beurteilen, müssen wir uns zunächst den Umfang des Gesetzes ansehen und die Versicherungszweige. Das Gesetz stellt sich als eine Ergänzung der Krankenversicherung durch die Invaliden- und Altersversicherung mit staatlichem Rentenzuschuß dar, auch als Versicherung der Witwen und Weisen. Bedauerlicherweise hat man es abgelehnt, einen überaus wichtigen Versicherungszweig einzubeziehen, die Mutterschaftsversicherung. Und doch meinen wir, wäre es, wenn man die Familienversicherung gesetzlich gründet, wenn man die Wöchnerinnenunterstützung beibehält und ausgestaltet, selbstverständlich gewesen, auch dem Problem der Mutterschaftsversicherung - die Voraussetzungen hiezu sind gegeben - ernstlich nahezutreten und diese Frage nicht wieder aufzuschieben auf eine vermutlich sehr fern liegende Zukunft. Im Ausschuß und in der Öffentlichkeit wurde viel gesprochen von dem Gedanken einer einheitlichen Regelung der ganzen Arbeiterversicherung; allerdings kann man dabei feststellen, daß auch Kreise, die sonst so sehr nach der einheitlichen Regelung rufen, die Einheitlichkeit nicht haben wollen, denn die Bergarbeiter, und gerade jene Bergarbeiterkreise, die den sozialistischen Parteien, vor allem den marxistischen Parteien auf deutscher und èechischer Seite nahestehen, wollen ihre eigene Versicherung nicht missen. Es ist selbstverständlich, daß auch andere, die schon etwas in Händen haben, und mag es noch so klein und schwach sein, dieses Gute nicht zugunsten einer anderen Einrichtung, die in ferner Zukunft liegt, preisgeben wollen. Was wir bedauern, ist, daß man nicht die Zivilcourage aufbrachte, den gemachten und vor sich selbst einbekannten Fehler gutzumachen, nämlich das Problem der Arbeitslosenversicherung gleichzeitig mit diesem Gesetze zu lösen. Wenn auch der Herr Berichterstatter des Gesetzes über die Arbeitslosenversicherung nach dem sogenannten Genter System in der Èechoslovakischen Republik, - das Wort hat er, glaube ich, so ungefähr gesagt - als die einzig richtige mögliche Lösung auffaßt, so steht dieser seiner Anschauung schon die Tatsache entgegen, daß die èechoslovakische Regierung, die Minister, die seiner Partei, der Partei des Herrn Bericherstatters angehören, ein schon drei Jahre altes Gesetz bis zum heutigen Tage nicht in Kraft gesetzt haben, das beste Zeichen wohl, daß man hier ein Gesetz geschaffen hat, das für andere Zeiten bestimmt sein kann, aber nicht bestimmt ist für die Zeit der Entwicklung, der ständig noch in Bewegung sich befindlichen wirtschaftlichen Umwälzung, in der wir heute leben. Man hat in den nordischen Staaten, in Schweden und Norwegen, jetzt ohne weiteres damit begonnen, die Frage der Arbeitslosenversicherung im Zusammenhang mit der allgemeinen Arbeiterkranken- und Altersversicherung u. dergl. zu lösen, weil man das Gefühl hat, daß das ein Komplex von Dingen ist, die eng zusammengehören und de, ren Verwaltung einheitlich geführt werden muß.
Eine der umstrittensten Fragen in dem ganzen Gesetzeskomplex, den wir verhandeln, war wohl die Frage der Organisation, ein Streit, der aus der Zeit des alte Österreich, wo über dieses Problem gerungen wurde, sich bis zum heutigen Tage in der alten Schärfe erhalten hat, wobei man feststellen muß, daß vielfach nicht sachliche Argumente allein entscheidend waren, sondern Fragen des politischen Machtbesitzes; es muß festgestellt werden, daß dieses Immerwiederhineinklingen der Fragen des politischen Machtbesitzes die sachliche Auseinandersetzung über diese Dinge außerordentlich erschwert hat. Die Herren von der Mehrheit empfinden es auch offenbar ebenso wie der Herr Berichterstatter nicht ganz, daß sie im Laufe der Verhandlungen sich schwere Inkonsequenzen zuschulden kommen ließen. Der ursprüngliche Regierungsentwurf war in Ober- und Unterstufe vollständig zentralistisch aufgefaßt, entsprechend der Tendenz, wie sie heute im Staate herrscht, einfach das französische zentralistische Beispiel nachzuahmen und auf der anderen Seite mit einem scheinbar gegenüber dem alten Österreich nodernen Verwaltungsgrundsatze eine zweite Fliege mit einem Schlage zu treffen, nämlich der èechischen Nation und ihrer Bürokratie einen starken Einfluß auch auf die neuen Verwaltungszweige zu erhalten und die deutsche Nation von ihrem Mitbestimmungsrecht möglichst weit und breit auszuschließen.
Im Laufe der Verhandlungen ist die Einheitskasse gefallen und es blieb die Vielheit und die Buntfaltigkeit der Kassen, wie wir sie haben. Ich habe, bevor die Entscheidung gefallen ist, im Ausschuß und auch später gesagt und wiederhole es, wir sind Anhänger der Mannigfaltigkeit der Kassen. Wir wollen nicht lebensunfähigez Zwergkassen erhalten, wir stehen vielmehr auf dem Standpunkte, daß lebensunfähige Kassen verschwinden, lebensfähige und gute aber erhalten bleiben sollen, weil man Sozialpolitik nicht schafft, indem man gesunde Zweige wegschneidet. Gesunde Sozialpolitik kann nur darin bestehen, daß man die kranken Zweige wegschneidet und gesunde daraufpfropft, aber nicht, daß man Gesundes und Lebensfähiges beseitigt. Nur das eine meinen wir, daß man, wenn man schon den Grundsatz der Vielgestaltigkeit der Krankenkassen aufnahm, die wirklichen Verhältnisse nicht genügend berücksichtigt hat und einfache Ziffern als Grenzziffern gesetzt hat, ohne die Verhältnisse im praktischen Leben wirklich zu berücksichtigen. Und was noch charakteristischer ist, ist die Tatsache, daß das Gesetz außer den Bezirkskrankenkassen die landwirtschaftlichen Krankenkassen allgemein zuläßt, daß es zwar auch das Bestehen von Genossenschafts-, Vereinskrankenkassen und eingeschriebenen Hilfskassen zuläßt, daß es aber bei den landwirtschaftlichen Krankenkassen eine Beschränkung hinsichtlich der Zahl nicht festsetzt. Ich habe gegen diese Bestimmung nichts einzuwenden; daß das Gesetz aber für die Genossenschaftskrankenkassen die Erhaltungsfähigkeit an die geradezu unglaubliche Ziffer von 4000 bindet und daß es auch bei den eingeschriebenen Hilfskassen - und hier handelt es sich um ein paar Kassen von Privatangestellten, die auch für spätere Zeiten erhalten bleiben sollen - Ziffern festsetzt entweder als Hausnummern ohne jede Erfahrung, oder in der klaren bewußten Absicht, einseitig die deutschen Lebewesen an der Entwicklung zu hindern und zu stören, das gehört zu den Bestimmungen, die schärfster Verurteilung begegnen müssen.
Der Herr Berichterstatter Dr. Winter hat im Ausschuß und auch hier gestern in seinem Bericht davon gesprochen, daß sich die Versicherung der Privatangestellten in einem chaotischen, beziehungsweise anarchischen Zustand befinde. Ja, aber daran ist die Verwaltung der Èechoslovakischen Republik, das Fürsorgeministerium und der heutige Abgeordnete Dr. Winter aus der Zeit, wo er Minister war, nicht ohne Schuld. An dieser chaotischen Wirtschaft hat er auch seinen Anteil, auch er hat dazu beigetragen. Wir stimmen dem zu, daß die Novellierung der Pensionsversicherung notwendig ist. Der Herr Berichterstatter sagt uns, daß auch für die Privatangestellten, die der Pensionsversicherung unterliegen, die Vereinheitlichung der Krankenkassen notwendig ist. Dann soll man aber vorhandene lebensfähige Krankenkassen entsprechend ausgestalten. Wir haben z. B. - ich rede klar und offen - in Prag zwei èechische Privatbeamtenkrankenkassen, die eine unter Führung èechisch-bürgerlicher Kreise, die andere unter Führung von Kreisen, die früher die unvereinigten und jetzt wieder die vereinigten èechischen Sozialdemokraten genannt werden können; ihnen hat einmal ein Beamtenminister, ein anderesmal ein èechischer sozialdemokratischer Minister, er heißt Dr. Winter, das Recht gegeben, ihren Wirkungskreis über den engeren territorialen Bereich auf das weitere Gebiet der ganzen Èechoslovakischen Republik auszudehnen. Der deutschen Kasse, die wir haben und die nach Gesetz und Recht, soferne es Gesetz und Recht gibt, den gleichen Anspruch hätte, worauf sich ihre Lebensfähigkeit und Möglichkeit bedeutend steigern würde, verweigert man bis zum heutigen Tage unter nichtigen Vorwänden dasselbe Recht; man stellt an sie Anforderungen, die man damals, als man den beiden èechischen Krankenkassen das Recht verliehen hat, nicht gestellt hat. Wir wollen hoffen, daß wenn Herr Dr. Winter dazu berufen ist, in seiner heutigen oder in einer anderen Position für die Weiterführung des Werkes der Sozialversicherung zu wirken, vielleicht dafür noch eine größere Verantwortung zu tragen, daß er dann auch gegenüber unseren deutschen Angestellzen Gerechtigkeit nichzzt bloß freundlich im Munde führen, sondern auch praktisch in die Tat umsetzen wird. (Posl. inž. Jung: Er hat sich wohlweislich entfernt!) Er kennt unseren Standpunkt. Wir haben ihn auch in mündlicher Auseinandersetzung zur Geltung gebracht und wir hoffen, daß er Zeit und Gelegenheit finden wird, sich mit ihm nicht bloß negativ auseinanderzusetzen.
Während die Sozialversicherung, das heißt die Alters- und die Invalidenversicherung der Arbeiter im Unterbau gestützt ist auf die Krankenkassen, ist für ihre Oberleitung eine einheitliche Zentralanstalt bestellt. Während bekanntermaßen im alten Österreich die verschiedenen èechischen Parteien aus wohl erwogenen Gründen territoriale Anstalten verlangten, während dieses Verlanlangen z. B. bezüglich der Altersversicherung auch in der Beck-Vorlage vom Jahre 1908 und später berücksichtigt war, geht man jetzt über dieses Verlangen zur Tagesordnung über. Im Ausschußbericht ist eine Mitteilung enthalten, wornach angeblich bei der Verhandlung im Ausschuß das Verlangen nach territorialen Anstalten nicht gestellt wurde. Hier scheint dem Herrn Berichterstatter ein Irrtum unterlaufen zu sein. Denn sein eigener Parteigenosse Pocisk - allerdings slowakischer Sozialdemokrat hat, was uns bei einem Regierungssozialdemokraten eigenartig, aber sympathisch berührt hat, im Ausschuß die Frage der Autonomie der Slowakei in der Frage der Sozialversicherung aufgerollt. Man hat ihn wahrscheinlich nachher zum Schweigen gebracht, damit die Öffentlichkeit nicht hören soll, daß die Forderung nach der Selbstverwaltung der Nationen sogar schon aus slovakischen Regierungskreisen herausklingt. Der Herr Berichterstatter hat die von uns deutschen Abgeordneten erhobene Forderung nach nationaler Selbstverwaltung durch Errichtung nationaler Anstalten damit abgetan, daß er im Ausschußbericht davon sprach, daß die Erfüllung dieses Verlangens größere Schwierigkeiten hervorrufen würde Mit einer solchen Bagatellisierung der Argumentation können wir uns allerdings nicht zufriedengeben und nicht befreunden. Wenn man den Willen hätte, ein Werk zu schaffen, das allen, für die es gedacht ist, Freude und Befriedigung bringen soll, dann meinen wir, müßte man aber auch den Mut haben, solche Schwierigkeiten zu überwältigen und zu beseitigen und die Èechoslovakische Republik, das muß man sagen, hat in den letzten Jahren viel Mut gezeigt, über viel größere Schwierigkeiten hinwegzukommen. Aber wo man nicht will, da wird natürlich der Weg nicht gefunden. Wir sagen jedoch den Herren heute klar: So wie Sie im alten Österreich keinen Tag und keine Stunde erlahmt sind und immer wieder ihre Forderung nach dem Rechte der èechischen Nation in ihrem Heimatboden in allen Zweigen der Verwaltung erhoben haben, so wird dieser Staat keinen Tag erleben, an dem wir nicht mit allen Mitteln des politischen Kampfes, und wenn die Herren einmal wollen, vielleicht auch mit mehr - Sie sollten uns doch dazu bringen, nur die Mittel des rein politischen Kampfes zu wählen - für die Selbstverwaltung unserer Angelegenheiten reden, arbeiten und kämpfen werden.