Hohes Haus! Das Ministerium für öffentliche Arbeiten hat vor kurzem ein mit sehr hübschen Bildern ausgestattetes Büchlein herausgegeben, in welchem über die von diesem Ministerium in den verflossenen fünf Jahren geleistete Arbeit Bericht erstattet wird. In Verbindung mit dem Kapitel XX. will ich einiges sagen, was in dem Berichte fehlt, was aber für die Arbeiterschaft von besonderer Bedeutung ist.
Das Kapitel "Ministerium für öffentliche Arbeiten" ist eines der bedeutendsten für die werktätige und schaffende Menschheit, besonders in der Jetztzeit, wo der volkswirtschaftliche Niedergang noch lange nicht behoben ist. Bei der kurz befristeten Zeit ist es nicht möglich, die wichtigsten Posten eingehend zu besprechen, und ich will daher nur einen Vorfall erwähnen, bevor ich auf meine eigentlichen Ausführungen eingehe. Von unseren Klubkollegen ist bei den Ausschußberatungen darauf hingewiesen worden, daß auch bei diesem Kapitel bestimmte Gebiete der Republik besonders bevorzugt werden, während andere ganz offenkundig vernachlässigt sind. Es wurde darauf verwiesen, daß insbesondere der Ausbau der Wasserwege der Elbe unterhalb Leitmeritz in den früheren Staatsvoranschlägen stiefmütterlich behandelt wurde und daß es auch diesmal so ist, daß man für den Ausbau der Häfen- und Umschlagplätze Aussig, Rosawitz und Laube gar kein oder nur sehr wenig Geld übrig hat. Der Herr Minister für öffentliche Arbeiten hat bei den Ausschußberatungen auf diesen erhobenen Vorwurf darauf verwiesen, daß die Budgetierung deshalb in diesem Sinne erfolgte, weil zu Zeiten des alten Österreich gerade diese Strecke der Elbe besonders bevorzugt wurde, ein Standpunkt, der etwas sehr sonderbar klingt. Sie werden wohl alle wissen, daß es geradezu eine Staatsmaxime hier in der Èechoslovakischen Republik geworden ist alles zu entfernen, was an das alte Österreich erinnert. Aber die Begründung des Herrn Ministers für öffentliche Arbeiten bezüglich des Ausbaues der Wasserwege erinnert sehr an das alte Österreich, weil dort in der Regel alle Regierungsmaßnahmen nicht bedingt waren durch Vernunft, Verstand oder volkswirtschaftliche Notwendigkeiten, sondern weil dort alles verkehrt gemacht wurde, weil dort nach dem Grundsatze "teile und herrsche!" regiert wurde; und man scheint sich auch hier gründlich zu bemühen, das nachzuahmen. Meiner persönlichen Auffassung nach hat sich der Herr Minister für öffentliche Arbeiten als alter Österreicher gezeigt, wie er nicht idealer und prächtiger sein kann. Dieses èechoslovakische Österreichertum bedingt für die Arbeiter in den deutschen Gebieten Arbei tslosigkeit, bedingt für Tausende deutscher Arbeiter Kurzarbeit, bedingt Auswanderung, Verlassen der Heimat und Familie. Der Nachweis wäre sehr leicht zu erbringen. Der Herr Minister für öffentliche Arbeiten steht leider mit diesem èechoslovakischen Österreichertum nicht allein da. Es haben schon Redner meines Klubs auf äh liche Erscheinungen verwiesen.
Ich muß, wie ich schon erwähnt habe, von vielen Vorbringungen Abstand nehmen, auf eines aber ist doch besonders hinzuweisen. Wenn ich mich gut erinnere, hat - zumindest war es in der "Prager Presse" zu lesen - der Herr Generalberichterstatter über den Staatsvoranschlag auch erklärt, daß es sehr erfreulich sei, daß sich die Autorität der Ämter gehoben hat. Wie es mit der Autorität der Ämter draußen aussieht, will ich an einigen kurzen Beispielen hier bekanntgeben. Nach § 34 der Verordnung vom 17. Dezember 1920, Nr. 667, betreffend die Vergebung staatlicher Lieferungen und Arbeiten, ist der ausführende Unternehmer verpflichtet, in allererster Linie einheimische Arbeiter zu beschäftigen, ist er verpflichtet, die bestehenden Kollektivverträge einzuhalten, sowie in erster Linie natürlich bei den staatlichen Arbeiten alle gesetzlichen Normen, Schutzbestimmungen usw. zu beobachten. Nach § 5 des Gesetzes über die Arbeitslosenunterstützung sind außerdem die Unternehmer verpflichtet, alle freiwerdenden Arbeitsstellen zu melden. Wie das gerade bei Staatsbauten gehandhabt wird, könnte an tausenden Fällen nachgewiesen werden. Nur einen krassen Fall will ich hier anführen, und zwar bei den Beamtenwohnungsbauten in Saaz. Der ausführende Baumeister ist Ferdinand Rudolf aus Prag. Die gesetzlichen Bestimmungen wurden dort nicht eingehalten. Die Interventionen, die seitens der Gewerkschaftsorganisation und von den sozialdemokratischen Vertrauensmännern deshalb unternommen wurden, waren ergebnislos. Dagegen erpreßte die Firma, die diese Staatsbauten ausführte, von den Arbeitern eine Schanderklärung gegenüber den Gewerkschaftsorganisationen und gegenüber der deutschen sozialdemokratischen Partei, die dann in der vom Staat subventionierten "Deutschen Abendzeitung" in Saaz veröffentlicht wurde, die sich überhaupt sehr bemühte, alle Lumpereien, die auf diesem Baue vorgekommen sind, öffentlich zu decken. Es sind namentlich zwei Angestellten der Firma, die sich da besonders betätigt haben, die auch nebenbei scheinbar - ob auftragsgemäß oder aus freien Stücken, ist mir nicht bekannt - dort den èechischen Staatsgedanken zu vertreten hatten. Der eine dieser Herren - ich will Ihnen nur zeigen, was für Ehrenmänner sie sind der Ingenieur Oppl, ist der Firma mit 72.000 Kè und der Buchhalter Milaberský mit 32.000 Kè durchgebrannt. Um wieviel der Staat bei diesem Bau betrogen worden ist, ist bisher nicht sichergestellt worden. Sichergestellt wurde aber, und auch das Ministerium für öffentliche Arbeiten hat davon schon Kenntnis erhalten, daß auf diesem Bau zweierlei Bücher geführt wurden. (Posl. Kaufmann: Doppelte Buchführung!) Ja, doppelte Buchführung, eine für die Firma selbst, und eine für die Verrechnung gegenüber dem Staate, der Öffentlichkeit usw. Gutes Material wurde angerechnet, schlechtes verwendet, überhaupt nicht geliefertes Material als geliefert gebucht und andere schöne Dinge mehr. Nun hat eine ganze Menge Kommissionen auf dem Bau stattgefunden, über das Ergebnis dieser Prüfung wurde aber, bisher wenigstens, der Mantel christlicher Näch stenliebe gebreitet. Der Staat ist wohl betrogen, das ist evident, die Beamten aber, für die das Haus gebaut wurde, werden in ein mit schlechtem Material schleuderhaft gebautes Haus einziehen müssen. Aber sonst braucht die Öffentlichkeit nichts davon zu wissen. Das Schönste aber kommt noch. Die Firma verlangt jetzt nach diesem ganz offenkundigen Betrug eine Erhöhung der seinerzeit festgesetzten Bausumme um 20 %, ja, die Firma ist da ei so frech und führt als Gründe an, sie sei gezwungen gewesen, einheimische Arbeiter zu beschäftigen, diese hätten zu wenig geleistet und deshalb sei eine Erhöhung der Bausumme notwendig. Diese Behauptung ist unwahr. Es hat dort nur ein kleiner Bruchteil einheimischer Arbeiter überhaupt Beschäftigung gefunden und heute noch arbeiten fremde Arbeiter dort. Aber, selbst wenn diese Behauptung der Wahrheit entsprechen würde - weil ja auch das auf die nationale Richtung eingestellt ist, um dem Ministerium sagen zu können, der deutsche Arbeiter sei zu faul und die Firma büße dadurch zuviel ein, deshalb brauche sie die Erhöhung - stimmt es auch nicht, weil von dem ganz geringen Prozentsatz einheimischer Arbeiter die Mehrzahl èechischer Nationalität war. Also die Firma trifft da nicht das, was sie zumindest treffen will. Es ist nur ein Vorwand, um sich diese Aufzahlung tatsächlich zu sichern. Bei den bekannten Vorgängen, die erst in der letzten Zeit so oft besprochen worden sind, ist gar nicht daran zu zweifeln, daß die Firma tatsächlich den verlangten Betrag bekommt.
Ich könnte noch von einer ganzen Menge von Orten Ähnliches, geradezu Haarsträubendes erzählen, so bezüglich des Kasernenbaues in Winterberg, der Wohnhausbauten der Staatseisenbahnen in Tetschen-Bodenbach, der Schulbauten in Bilin, Kosten und anderen Orten, der Bauten in Mähr.-Schönberg, der Bauten der Militärbaracken in Rumburg usw. Es ist eine Tatsache, daß gerade bei diesen Bauten, auf die der Staat Einfluß nimmt oder bei denen er direkt die Vergebung in Händen hat, am offenkundigsten jede gesetzliche Bestimmung mißachtet wird. Es ist nicht möglich, in dieser kurzen Zeit alle diese Fälle zu berühren, aber es wäre ein sehr großes Verdienst, wenn seitens des Ministeriums solche Berichte hinausgegeben würden, um einmal auch nach dieser Seite hin Untersuchungen zu pflegen, wie es bei den unteren Behörden aussieht. Ich bin überzeugt, daß der Herr Minister solche Zustände nicht wünscht und nicht will. Wenn ich eine Anzahl Fälle angeführt habe und darauf verweise, daß in hundertfacher Auflage solche Vorkommnisse nachzuweisen wären, so geschieht es deshalb, weil ich glaube, daß durch die öffentliche Behandlung in diesem Hause das Ministerium für öffentliche Arbeiten sich veranlaßt sehen wird, darauf zu dringen, daß den Unternehmern, die Staatsbauten ausführen, das russische Sprichwort: "Der Zar ist weit und Gott ist hoch" ausgetrieben wird. (Souhlas a potlesk na levici.)
4. Øeè posl. Kirpalové (viz str. 1061 tìsnopisecké zprávy):
Hohes Haus! In dem Staatsgebiet der èechoslovakischen Republik leben ca. 750.000 Menschen, das sind also 5·2 % und wenn man alle jene abrechnet, die nicht anerkannt werden, ca. 600.000, das sind 4·3 %, die als Opfer des großen Weltkrieges vollen Anspruch auf eine Vorsorgung durch den Staat haben. Diese Zahlen sprechen eine furchtbare Sprache und zwar deshalb, weil die Invaliden, deren Witwen und Waisen auf eine Versorgung volles Anrecht hätten, keine solche Versorgung erhalten. In allen früher kriegführenden Staaten, in England, Frankreich, Amerika, Deutschland, ja sogar in dem kleinen armen Staat Deutsch-Österreich werden die Kriegsinvaliden ganz anders versorgt. Bei uns ist die Kriegbeschädigtenfrage sehr schlecht und unsozial gelöst, vielleicht deshalb, weil die Regierung die Kriegsverletzten als einen schweren und teueren Ballast empfindet. Schon in der Begründung des sogenannten Versorgungsetzes für Kriegsbeschädigte heißt es, daß die Kriegsbeschädigtenfürsorge das teuerste Vermächtnis sei, das die Regierung als Erbe nach dem alten Österreich übernommen hat. Wir glauben, wenn ein Staat die ganzen Aktiven eingezogen hat, so sei er auch verpflichtet, gleichzeitig die Passiven zu übernehmen. Die Frage der Kriegsbeschädigten ist heute eine brennende soziale Frage. Sie kann natürlich nicht gelöst werden durch private Wohltätigkeit, sie ist nicht lösbar durch Gnadengaben, sie ist nicht lösbar wie im alten Österreich, wo man die Bewilligung erteilt hat, mit dem Leierkasten betteln zu gehen, sie ist nicht lösbar durch Veranstaltung von Wohltätigkeitsfesten, Konzerten und Theatern, sie kann und muß einzig und allein durch den Staat gelöst werden. Leider kommt die Regierung dieser Pflicht nicht vollkommen nach. Am 18. November versammelten sich in allen großen Bezirks- und Kreisstädten die Invaliden in Protestversammlungen, um Einspruch zu erheben... (Posl. Hirsch: Auch die Èechen!) Auch die Èechen, der Staat geht diesmal ausnahmsweise gleich vor. (Posl. Myslivec: To je dùkaz, že ve státì je rovnoprávnost!) Rovnoprávnost, wenn Sie die rovnoprávnost auch immer und überall zeigen würden, nicht nur hier! - um gegen den geplanten Abbau der Kriegssbeschädigtenrenten zu protestieren. Wie berechtigt diese Protestversammlungen und Forderungen waren, die dort erhoben worden sind, beweist schon, daß gestern die Regierung einen Gesetzentwurf vorgelegt hat, wo sie das Existenzmaximum von 6000 bezw. 1200 Kè auf 5000 und 10.000 Kè herunterdrückte. Es ist uns ganz unbegreiflich, daß man an einem Abbau denkt, wenn noch kein Aufbau zu verzeichnen ist. Ich möchte bei dieser Gelegenheit gleich erwähnen, daß es ein Unrecht ist, daß hier ein Unterschied gemacht wird zwischen wirtschaftlich Selbständigen und wirtschaftlich Unselbständigen. Bei der Festsetzung des Existenzmaximums macht die Èechoslovakei wieder, eine sehr unrühmliche Ausnahme. In keinem Staat ist ein Existenzmaximum festgesetzt, nicht in England, nicht in Amerika, nicht in Frankreich, nicht in Italien, nur in Deutschland, aber auch so, daß nur mit einem Steigen des Einkommens eine teilweise Herabsetzung der Rente erfolgt, aber die Schwerbeschädigten, die Ausgleichs- und Ortzulage weitergezahlt werden. Die Rente könnte unserer Auffassung nach erst dann entzogen werden, wenn der Kriegsbeschädigte oder seine Hinterbliebenen ein Einkommen hätten, das von Zinsen oder von einer Rente stammt. Ich stelle fest, daß die Èechoslovakei auch die niedrigste Grundrente bezahlt. Trotz dieser ganz niedrigen Rente denkt heute die Regierung daran - es ist durchaus kein Geheimnis - die 50 %ige Teuerungszulage abzubauen. Wir fragen, ob die Verhältnisse wirklich schon soweit sind, daß sich die Regierung mit diesem Gedanken befassen kann? Heute und auch in der ganzen Budgetdebatte haben fast alle Redner, die sich mit volkswirtschaftlichen und Ernährungsfragen beschäftigt haben - nicht nur Redner der Opposition, sondern auch Redner der Majoritätsparteien - festgestellt, daß ein Abbau in Lebens- und Bedarfsartikeln nicht zu verzeichnen ist. Worauf gründet die Regierung eigentlich dieses Vorhaben? Selbst dann, wenn ein Abbau in den Preisen der lebenswichtigsten Bedarfsartikel zu verzeichnen wäre, könnte oder dürfte die Regierung nicht an einen Abbau der Teuerungszulagen denken, weil ich vorher festgestellt habe, die Rente als ganz niedrig zu bezeichnen ist. Ein Blinder - und ihrer gibt es leider nach dem Kriege all zu viele, die letzte Statistik erweist, daß wir in der Èechoslovakei mehr als 600 Blinde haben, darunter 10 Jünglinge, denen nicht nur das Augenlicht, sondern auch beide Hände fehlen- bekommt eine Rente von kaum 375 Kronen monatlich, und wenn man alles nach der Novelle zusammenrechnet, 500 Kronen. Diese Rente ist nicht nur für den Blinden allein. Er muß eine Hilfskraft haben, er ist unselbständig, hilflos wie ein kleines Kind, muß eine Person haben, die ihn persönlich betreut. Mit diesem Geld auszukommen, ist ein Ding der Unmöglichkeit.
Ein schreiendes Unrecht ist die Behandlung der Witwen und Waisen. Eine solche Familie bekommt jährlich - bitte es nicht mit einem Monatseinkommen zu verwechseln - sage und schreibe 2400 Kronen. Diese Grenze darf nicht überschritten werden. Was bedeutet das, wenn man sich das in der Praxis zurechtlegt? Daß eine Mutter, wenn sie drei Kinder hat, jährlich einen Gesamtbetrag von 2400 Kronen bekommt. Hat sie vier Kinder, bekommt sie denselben Betrag, und ist die Zahl der Kinder eventuell höher, verändert sich auch dann nicht diese Summe. Die Regierung denkt höchstwahrscheinlich so: wo fünf leben und essen, kann auch noch ein sechster mitessen. So könnte man bei wohlhabenden Familien denken, aber bei armen Leuten, die nach Heller und Pfennig ihr Wochen- und Tagesbudget berechnet haben, ist es unmöglich, noch eine Person mit zu verköstigen, weil diese Mehrperson nur auf Kosten der anderen dann leben muß. Die Kinder brauchen Kleider, Schuhe, sie müssen erzogen werden, Bildung erhalten. Das ist aber unmöglich bei dem Betrage, der der Mutter zur Verfügung gestellt wird. Ein kleiner Vergleich, wie sozial die Regierung sein kann. Am Hradschin ist ein Bärenzwinger, dort sind vier Bären; für diese vier Bären setzt die Regierung einen Betrag von 16.000 Kè aus. Es ist also festzustellen, daß die Regierung annimmt, daß für diese Bären ein Betrag von 16.000 Kè gebraucht wird. Die Kinder einer Kriegswitwe können mit etwa 55 Hellern pro Tag auskommen. (Výkøiky.)
Die Behandlung der Witwen möchte ich heute noch im besonderen charakterisieren. Nach § 17, Abs. 2 des Versorgungsgesetzes haben Kriegswitwen oder Gefährtinnen, deren Erwerbsfähigkeit nicht mindestens 30 % gemindert ist, keinen Anspruch auf Ersatz. Die Remessung der Witwenrente kann nicht wie bei Invaliden geschehen. Sie ist nicht ein Ersatz für verlorene Erwerbsfähigkeit und Gesundheit, sondern ist ur ein kleiner Ersatz für den verlorenen Ernährer, der höchstwahrscheinlich nicht so vorzeitiggestorben wäre, wenn er nicht zu Kriegsdienstleistung einberufen worden wäre. Wenn die Regierung von dem Grundsatz ausgeht, daß die mit weniger als 30 % Erwerbsunfähigkeit anerkannte Kriegswitwe arbeiten gehen soll, so muß sie dafür auch Sorge tragen, daß diesen Frauen eine Schulung zuteil werde, um den Arbeitsplatz auch wirklich ausfüllen zu können. Eine große und wichtige Rolle spielt auch der Umstand, daß bei der großen Arbeitslosigkeit für diese Witwen keine Arbeitsplätze geschaffen werden können. Sie werden von ihren Arbeitskollegen mit Berechtigung scheelen Blickes angesehen, weil sie ihnen eventuell den Arbeitsplatz wegnehmen. Die Kriegswitwe so ihrem Schicksale zu überlassen, ist von der Regierung nicht menschlich gehandelt. Nach der Verordnung vom 8. Juni 1922, Zl. 181, müssen die Kriegswitwen sich einer ärztlichen Untersuchung unterziehen. Wir nennen das anders, es ist eine sogenannte weibliche Assentierung. Festgestellt muß dabei werden, daß diese Kriegswitwen nicht von Fachärzten untersucht werden, sondern von praktischen Ärzten, die für Frauenkrankheiten nicht immer die volle Fachkenntnis besitzen. Dagegen müssen wir heute protestieren - der Minister, dem diese Worte gelten, ist leider nicht da. Wir müssen eine Abschaffung all dieser Ungeheuerlichkeiten erzielen.
Nun ein paar Worte zur charitativen Fürsorge. Diese Post muß im Voranschlag 1924 erhöht werden, um durch Darlehensgewährung und Mithilfe bei der Existenzgründung dem Invaliden halbwegs helfen zu können. Tausende Menschen könnten gerettet werden, wenn die Regierung nicht wieder bei der Zusammenstellung des Budgets so engherzig gewesen wäre.
Nun zur Behandlung der Invaliden und ihrer Hinterbliebenen durch die verschiedenen Ämter und Behörden. Es ist ein wahres Martyrium, das diese Opfer des Krieges durchzumachen haben. Vor allem die Beschaffung der Dokumente. Ich habe zusammengezählt, daß zur Anmeldung der Rente nicht weniger als 10 Dokumente vorhanden sein müssen. Diese 10 Dokumente zusammenzutragen, bedeutet wochenlange Arbeit und Qualen, weil die Leute von einem Ort zum andern geschickt werden, bevor sie die Belege erhalten. (Posl. Hirsch: Dann gehen sie in den Ämtern verloren!) Darauf will ich auch zu sprechen kommen. Wenn endlich diese Invaliden oder ihre Hinterbliebenen - und da sind die Frauen ein wenig unbeholfen - die Dokumente beisammen haben und durch das Bezirksamt die Gesuche einbringen lassen, passiert es nicht selten, daß sie nach monatelangem Warten und Urgieren erfahren müssen, daß die Dokumente nebst den Gesuchen verloren gegangen sind. Ich kenne ein Bezirksamt, in welchem nicht weniger als 1800 solcher Aktenstücke verloren gegangen sind. (Hört! Hört!) 1800 Invalide und deren Hinterbliebene warten jahrelang auf ihre Rentenbezüge. (Posl. Hirsch: Wirklich 1800? Das ist doch unglaublich!) 1800, ich wiederhole es noch einmal, die Zahl ist aktenmäßig festgestellt. Dieser Märtyrerweg geht weiter. Die Zustände in dem Invalidenamte sind als unhaltbar zu bezeichnen. Man redet sich aus, daß zu wenig Beamte dort sind und diese mit Arbeit überhauft sind.
Es ist festgestellt, daß tatsächlich zuwenig Beamte sind, und diese wenigen Beamten die Arbeit nicht bewältigen können. Bei der Bezahlung, die ihnen zuteil wird, müssen sie trachten, neben diesem "sogenannten" Hauptverdienst noch einen Nebenverdienst zu schaffen. Die Beamten bekommen eine Bezahlung, die als eine ganz schäbige zu bezeichnen ist. Ein verheirateter Mann mit Familie bekommt 500, 600, 700, höchstens 800 Kronen Monatsgehalt. Ob man bei dieser Teuerung trotz der ganz bescheidenen Bedürfnisse, die auch dieser Beamte haben muß, auskommen kann, überlasse ich dem Gutachten der Herren Minister. Wenn ich über die Beamtenfrage im Invalidenamt spreche, möchte ich gleichzeitig eine Forderung erheben, durchaus nicht aus chauvinistischen Gründen - dafür bürgt schon die Tendenz meiner Partei, für die ich heute hier spreche - aber nur aus dem einzigen Grund, daß den deutschen Invaliden die Erledigung, ihrer Angelegenheiten erleichtert würde, wenn ihnen in dem Amt die Möglichkeit gegeben wäre, mit den Beamten in ihrer Muttersprache sprechen zu können. Es wäre eine Erleichterung nicht nur für die Kriegsin aliden, sondern auch für die Beamten, denen es oft sehr schwer ankommt, sich mit den deutschen Invaliden zu verständigen. Und bei Gelegenheit möchte ich den Herrn Minister bitten, einmal - vielleicht inkognito - an so einem Empfangstag Dienstag oder Freitag in das Invalidenamt zu gehen und die große und lange Front der Invaliden anzusehen, die nicht nur aus Prag, sondern aus ganz Böhmen zusammenkommt. Der Herr Minister würde wohl staunen über die allzugroße Geduld, die diese Invaliden an den Tag legen, und über die Ausdauer, mit der sie dort stundenlang auf die Erledigung ihrer Gesuche warten müssen. Daß dieser Weg von vornherein ein ganz unfruchtbarer ist, erweist sich daraus, daß der eine Beamte, der diese ganzen Urgenzen entgegennimmt und Informationen erteilt, unmöglich all das erfassen und bewältigen kann, was ihm die Invaliden an diesem Tage sagen.
An einem Beispiel will ich zeigen, wie die Behandlung der Invaliden und die Erledigung ihrer Gesuche in der Praxis aussieht und bemerke gleichzeitig, daß es ein Fall von Tausenden ist. Ein gewisser Josef Werner aus Aussig, 80 % invalid, hat im Feber 1923 eine Tabaktrafik erhalten. Er hat sofort, damit er Tabak ankaufen kann, und zwar durch das Bezirksinvalidenamt als erste Instanz, um ein Darlehen angesucht. Er urgierte dieses Gesuch am 9. April, am 29. Mai, am 12. Juni, am 20. Juni, am 3. Juli, am 24. Juli, am 10. August, am 4. September. Und als er am 4. September hinkam, sagte ihm der Beamte: Ja, das Gesuch sei noch gar nicht in Prag eingebracht, wie wir tatsächlich ein paar Tage zuvor durch das Invalidenamt festgestellt haben. Und dieser Invalide ist nicht nur dadurch geschädigt worden, daß er ein ganzes Jahr die Lizenz nicht ausüben konnte, er ist auch geschädigt, daß er am 11. November den ablehnenden Bescheid erhalten hat mit der Begründung, die Darlehensgelder seien bereits aufgebraucht. Es ist also festgestellt, daß dieser Invalide vielleicht ein Darlehen erhalten hätte, wenn das Gesuch rechtzeitig abgegangen wäre.
Weiters ist festzustellen, daß auch im Invalidenamt Sachen vorkommen, die für die Zukunft unhaltbar sind. Derselbe Mann hat eine Nachzahlung von 2364 Kè urgiert und bekam sie auch zugeschickt, aber auf den Namen Josef Weiner. Alle anderen Daten haben gestimmt, die Auszahlung ist jedoch retourgegangen; ein paar Tage später kam sie an ihn unter dem Namen Josef Warner. Sie mußte wieder retourgehen, weil der Mann Josef Werner heißt. Bis heute bekam er überhaupt nichts und ist dem größten Elend preisgegeben.
Meine Redezeit ist um und ich muß wohl vieles ungesagt lassen, was mir sehr wichtig schien. Wir sehen, daß die Opfer des Weltkrieges ein wahres Martyrium und furchtbare Seelenqualen durchzumachen haben. Man treibt sie zur Verzweiflung. Warum straft man diese Armen noch mehr? Ist es nicht genug, wenn sie ihr größtes Gut, Gesundheit und gerade Glieder, ihre Erwerbsfähigkeit einbüßen mußten? Diese zu ersetzen, sind nicht einmal die besten Gesetze imstande. (Sehr richtig!) Wären sie es imstande, dann wären alle Kriegsinvaliden in der Èechoslovakei schon längst gesund, denn es gibt wirklich genug Gesetze für Kriegsbeschädigte. Wir urgieren von dieser Stelle die Durchführung der Gesetze vom Feber 1920 und von Jänner 1922.
Nun zum Schluß eine kleine Bemerkung. Der Herr Abgeordnete Kollege Schubert von den Deutschbürgerlichen sagte im Vorjahre bei Besprechung des Budgets zur Invalidenfrage Folgendes: "Bei der Vernachlässigung der pflichtgemäßen Invalidenfürsorge droht vielen Invaliden die Gefahr, zu entgleisen. Dieser Gefahr muß im Interesse der Invaliden, wie auch der besitzenden Klassen unbedingt vorgebeugt werden." Wenn wir unsere Stimme hier erheben, so wahrlich nicht aus Angst, wie es H. Schubert tat, daß die Invaliden Diebe werden und die besitzenden Klassen bedrohen könnten, sondern weil wir hoffen und wünschen, daß das große Unrecht in Zukunft gemildert und die Gefahr der Verelendung beseitigt werde. (Souhlas a potlesk na levici.)