Frauen und Männer! Die Regierung hat uns ihren Staatsvoranschlag vorgelegt und wir sollen nun hier darüber entscheiden, ob wir denselben bewilligen oder nicht. Die Qualität dieses Staatsvoranschlages ist schon von vielen Seiten zerpflückt worden, so daß jedes Wort eigentlich sich erübrigt. Ich möchte aber den Staatsvoranschlag auch noch von einer anderen Seite beleuchten, nämlich von jener Seite, ob wir der Regierung diese Mittel zur Erhaltung der Staatsmaschinerie bewilligen sollen, aus dem Grunde heraus, was die Regierung uns gegenüber tut, wie die Regierung uns gegenüber und speziell meiner Partei gegenüber sich verhält. Wenn ich sage, daß ich als Vertreter der breiten Massen der kleinen Landwirte mich hieher stelle, um ihre Forderungen zu vertreten, so muß ich hier erklären, daß die Regierung für die kleine Landwirtschaft soviel wie nichts übrig hat. Die Regierung betrachtet uns als zweierlei Menschen: Sie nimmt uns einmal als erstklassige Menschen, nämlich inbezug auf das Steuerzahlen. Da sind wir erstklassig, da wird nach dem Rezept des Herrn Dr. Engliš ruhig darauf losgedoktert und gesagt: "Ach was, die Landwirtschaft verträgt schon was," ohne zu berücksichtigen, daß hier ein großer Unterschied zwischen Großgrundbesitz und kleiner Landwirtschaft zu machen ist. In anderer Beziehung sind wir wieder aber zweitklassig, weil wir nicht die Freiheit haben, die sämtliche anderen Erwerbsgruppen, der Arbeiterstand, der Gewerbestand und die Industrie besitzen, die frei über den Fleiß ihrer Hände verfügen können.
Wir sind heute in der seltenen Lage, daß wir in einer Robot neuerer Form da stehen, indem man von uns verlangt: Du mußt arbeiten, du hast aber gar kein Recht, über den Fleiß deiner Hände zu verfügen. Heute kann jeder Schuhmacher, wenn er hundert Paar Schuhe macht, sie verkaufen, wohin er will, das ist ihm freigestellt; aber wenn ich mich mit meinem Weibe das ganze Jahr geschunden habe, bin ich nicht im Stande zu sagen, ich kann das Kilo Korn dorthin verkaufen, wohin ich will; nein, da ist die Staatsmaschinerie gleich da und sagt: "Du mußt liefern und wenn du nicht lieferst in dem Sinne, wie ich es haben will, wirst du geprügelt, genau so wie vor 100 Jahren. Und glauben Sie mir, ich bin ein Nachkomme jener Geprügelten, die den Stock haben küssen müssen, mit dem man sie geschlagen hat, die die Hand haben küssen müssen, die sie geprügelt hat, und heute noch empfinde ich in meinem Herzen, wie Zorn und Wut mich ergreift, wenn ich mir jene schmachvolle Zeit vergegenwärtige. Und wir werden alles daran setzen, damit jene Zeit nicht wiederkehrt, wenn auch in veränderter Form.
Heute ist es so: Am 30. Juni d. J. hat die Regierung eine Verordnung herausgegeben, mit der sie die Zwangswirtschaft teilweise abgebaut hat. Wir haben dagegen gekämpft, weil wir wußten, daß die Verordnung auf falscher Basis errichtet ist. Sie hat eine Staffel festgesetzt, worin sie, gleichgültig, ob guter oder schlechter Grund, von jedem dasselbe verlangt, sie hat nicht berücksichtigt, was wir der Regierung vorgeschlagen haben: "Wenn man für die minderbemittelten Schichten ein gewisses Quantum Getreide für einen billigeren Preis haben will, dann kann man es sicher bekommen, wenn man es dort nimmt, wo es zu haben ist." Nein, die Regierung will nehmen nach ihrer Schablone, aber sie wird es so nie erreichen, weil sie vom schlechten Grund und Boden dasselbe verlangt, wie vom guten. Ich könnte Beispiele liefern aus meinem Heimatsbezirk, wo ein Viertel des Bodens steriler Sandboden ist, von kleinen Bauern bewirtschaftet, zwei Viertel Gebirgsgebiet gleichfalls von kleinen Bauern bewirtschaftet, das letzte Viertel mit gutem Boden, das gehört dem Großgrundbesitz mit seinen Meierhöfen. Und jetzt soll der kleine Besitzer auf Gebirgsland dasselbe liefern wie der Großgrundbesitz. Ja, sehen Sie nicht die Ungerechtigkeit, die schon in der Verordnung vom 30. Juni liegt, weil sie diese Gleichmacherei durchführen will, die nie zu etwas Gutem führen kann? Wir haben damals Anträge gestellt, nicht nur dahingehend, daß die kleinsten Besitzer entlastet werden sollen, sondern auch, daß, um jenes Quantum Getreide zur Versorgung der Mindestbemittelten herauszubekommen, von keinem Bezirke mehr als 43 %, von jedem Bezirke aber mindestens 43% des vorjährigen Kontingentes verlangt werden sollen. Dann hätten Sie diese 40.000 Waggons zusammengebracht, weil man sie dort genommen hätte, wo sie wirklich vorhanden sind. So aber werden Sie sie nie zusammenbekommen. Und es ist einfach lachhaft, heute zu sagen: Wir werden Euch mit 1000 Kronen strafen für jeden Meterzentner, den Ihr nicht produziert habt. Das spottet jeder Gerechtigkeit und für so eine Freiheit, für so eine Demokratie werden wir uns bedanken.
Es ist auf die Bonität des Bodens nicht die geringste Rücksicht genommen worden. Das ist ein Fehler, den die Regierung begangen hat. Der zweite Fehler liegt darin, daß im Ernährungsministerium besondere Rechenkünstler zu Hause sind.
Man hat dort einfach gesagt: Auf Böhmen entfallen 17.420 Waggons Getreide zur Aufbringung und hat vergessen, daß ja die Leute mit einem Besitze unter drei Hektar frei ausgehen sollen. Wenn wir das abrechnen, bleiben nur noch 14.616 Waggons. Wer soll jetzt das Übrige aufbringen? Jetzt erst ist man darauf gekommen, daß man bei der Rechenarbeit auf jene vergessen hat und wem sollen nun diese 2804 Waggons noch herausgeschnitten werden? Wer wird sie liefern? Der Großgrundbesitz wird Ihned etwas husten. Der hat ausgedroschen und verkauft. Sie werden ihn nicht einmal strafen können, weil er ja auf Grund der Verordnung vom 30. Juni verkauft hat, seine Staffel mit höchstens 30% Zuschlag abgeliefert hat und fertig ist. Sie werden es wieder dem kleinen Landwirt wegnehmen wollen, der droben im Gebirge sitzt und der noch etwas zum Ausdreschen hat. Wenn Sie aber das tun wollen, so sage ich Ihnen, daß es lhnen nicht gelingen wird. Die Leute sind heute so weit, daß sie den Flegel nehmen werden, aber etwas anderes als Korn dreschen werden. Die Erbitterung ist so groß, daß es ganz ausgeschlossen erscheint, sie einzudämmen, und ich rühre auch nicht den Finger, um sie einzudämmen, weil die Leute recht haben. Der Großgrundbesitz würde eventuell noch Getreide haben, aber es ist ganz unmöglich, es ihm wegzunehmen weil er seine Deputatisten nicht verkürzen kann. Die Deputatisten werden sich gegen die Verkürzung wehren, wenn man jetzt das, was für Saatgut und Deputatgetreide noch übrig geblieben ist, wird wegnehmen wollen. Wenn man dem Großgrundbesitzer jetzt die Erhöhung auf 60 % Zuschlag nehmen will, wird er wohl sagen: Gut, nehmt es weg! Als Großgrundbesitzer wird er keine Not leiden, denn der Großgrundbesitzer hat noch nie auf dieser Welt Not gelitten. Sein Arbeiteraber wird sich mit allerMacht wehren, und mit Recht, denn wie kommt er dazu, daß man ihm das Brotgetreide wegnimmt! Daraus ergibt sich das eine: Der Großgrundbesitzer hat verkauft, weil er im Sommer mit großen Lokomobilen, Dampfdreschgarnituren u. s. w. dreschen kann. Von ihm ist nichts zu holen. Dem Kleingrundbesitzer soll man es aber aus sozialen Gesichtspunkten nicht wegnehmen. Denn selbst, wenn der kleine Bauer etwas übrig hat und 300 bis 400 kg zum Weltmarktpreis verkauft, wie will man ihm das verwehren? Er muß ja alle seine Bedarfsartikel auch zum Weltmarktpreise kaufen. Und nicht nur das, er muß sogar noch den 25fachen Zollsatz zahlen. Nicht genug daran, daß er den Weltmarktpreis zahlen muß, muß er noch gewisse Treibhauspflanzen der Industrie durch den 25fachen Zollsatz aufrecht erhalten. Wir haben gar kein Interesse an so einer Zollpolitik, weil sie nur die Lebenshaltung der breiten Massen verteuert. Jeder Arbeiter, jeder kleine Landwirt ist gezwungen, Strümpfe Schuhe, das Werkzeug u. s. w. um so und so viel teuerer zu kaufen. Glauben Sie, daß wir mit so einer Politik einverstanden sind, die, mag sie auch dem Staate dienlich sein, indem sie ihm Geld einbringt, des Volkes Interessen verletzt? Ich bin der Meinung, daß das Geld, das zur Erhaltung der Staatsmaschinerie gebraucht wird, sich letzten Endes auch noch auf anderen Wegen hereinbringen läßt. Es könnte uns doch egal sein, ob wir eine höhere Stufe der Einkommensteuerskala bezahlen, aber warum soll immer die breite Masse der Bevölkerung den ganzen Schwindel aufbringen, um die Staatsmaschinerie flott zu erhalten? Das ist eine unsoziale Handlung und dieses Parlament und diese Regierung, die sich immer den Anschein sozialer Tendenzen geben, sind eigentlich ganz auf dem konträren Weg.
Unsere Redezeit ist kurz bemessen und ich will nicht viele Worte machen. Ich habe bereits vorhin erwähnt, daß beim Großgrundbesitzer nichts mehr zu nehmen ist, weil er auf Grund der Verordnung vom 30. Juni verkauft hat, nur dem kleinen Besitzer ist noch etwas zu nehmen, weil er eventuell mit dem Flegel drischt und im Winter drischt. Der aber wird sich nichts nehmen lassen, das garantiere ich Ihnen, meine Herren, hiemit und ich sage Ihnen ganz ruhig, daß wir vor dem Äußersten nicht zurückschrecken; wir werden von dem Streikrecht Gebrauch machen, und werden nicht nur in dieser und jener Beziehung streiken, sondern wir werden Ihnen in allem Schwierigkeiten machen, bis Sie die Verordnung vom 5. Oktober zurückziehen. Unsere Geduld ist zu Ende, wir haben gar keine Lust, uns weiter als zweitklassige Menschen behandeln zu lassen, wir haben dasselbe Recht, denselben Anspruch auf den Wert unserer Arbeit, wie jeder andere Stand. Wir verargen es den anderen Ständen nicht, aber wir verlangen für uns dasselbe.
Wir werden für diesen Staatsvoranschlag
nicht stimmen, schon aus dem ganz einfachen Grunde nicht, weil
uns die Regierung als Staatsbürger deklassiert und weil wir infolgedessen
gar nichts für Sie übrig haben. (Souhlas na levici.)
Hohes Haus! Das Gebarungsdefizit wird nach unserer festen Überzeugung den Voranschlag überschreiten, denn die Einnahmen werden hinter dem Präliminare zurückbleiben, die Ausgaben es wieder übersteigen. Auch ist das Investitionsbudget wieder ein Gaukelspiel, denn ein Teil davon betrifft laufende Auslagen. Das Defizit beträgt tatsächlich über 5 Milliarden.
Von allen Anforderungen protestiert der deutsche Steuerträger am schärfsten gegen die für nationale Verteidigung per 3.1 Milliarden.
Wenn wir auch wissen, daß hier all unser bestes Streben umsonst ist, erheben wir dennoch pflichtgemäß die Forderung nach Herabsetzung des Militärbudgets, nach Verringerung des Gesamtdefizits dadurch und nach Erhöhung der unsere Kultur und Wirtschaft fördernden Ausgaben.
Die Erhöhung der Anforderung für die Staatsschuldtilgung und Verzinsung von 1 auf 2 Milliarden zeigt, wie sehr die neuerliche Verschuldung wächst, ohne daß der Staat noch seiner Gewissenspflicht auf Anerkennung der Kriegsanleihe nachgekommen wäre. Wir vermissen die Einstellung einer Bedeckungspost für deren Verzinsung.
Der Schuldenstand wurde hier bereits von 40 auf 52 Milliarden richtiggestellt. Dabei wurde aber noch auf die Schulden vergessen, die der Staat heute bei der Industrie hat, namentlich bei der Waggonund Lokomotivenindustrie und die nach meinen Informationen eine Milliarde übersteigen. Es ist allgemein bekannt, daß einzelne Unternehmer allein über 100 Millionen zu fordern haben. Obwohl diese Forderungen längst fällig sind, zahlt der Staat in den letzten Monaten, namentlich aber seit der Mobilisierung, überhaupt nicht mehr. Es ist eine aufgelegt liederliche Gebarung. Auf diese unkorrekte Weise werden korrekte Anleihen umgangen und wird die Welt getäuscht. Dem Industriellen werden nur 6 % Verzugszinsen vergütet, während er der Bank fast 10 % zahlen muß. Durch diese erzwungene Verschuldung gelangen die Industrien in eine ungesunde Abhängigkeit der Banken. Die ganze Existenz wichtiger Industrien ist dadurch labil.
Es sind uns schon so oft schöne Worte gespendet worden. An Taten ließ man es fehlen. Durch den Mund des Präsidenten läßt man uns Versprechungen geben und alsbald hebt sie der Finanzminister wieder auf, indem er sagt, neue Konvertierungen dürften nicht günstiger sein als die alten. Wir verbitten uns, daß man mit unserer gerechten Forderung in dieser Weise Spott treibe.
Der Betrieb der Eisenbahnen wird auch hierzulande mit einem Defizit geführt, dessen Höhe aber infolge der Verschleierung durch das Investitionsbudget nicht genau feststellbar ist - 1 bis 4 Milliarden. Da der Staatsbetrieb mit einem Ballast von Beamten und Angestellten arbeitet und nicht kaufmännisch gelenkt wird, wird von uns jede weitere Verstaatlichung, von nationalen Bedenken abgesehen, bekämpft, ja man wird sogar gut tun, rechtzeitig über Verkauf oder Verpachtung, kurz für irgend eine Umgestaltung der meisten Staatsbetriebe nachzudenken. Selbst Lenin baut bereits die Staats- und Kommunalbetriebe ab. Nur der privatwirtschaftliche Betrieb führt zur "Erfolgwirtschaft" zurück, d. h. zu einer Wirtschaft, für deren ganze Methode der Erfolg maßgebend ist. Die Arbeiter sind aus Dogmatik heute noch dagegen. Ihr praktischer Sinn wird aber am Ende siegen, wenn er zwischen einer unerträglichen Steuerlast aus diesem Titel einerseits und der finanziellen Sanierung des Verkehrswesens andererseits zu wählen haben wird. Es geht auf die Dauer nicht an, daß das Bahnpersonal über den Wert seiner Leistung bezahlt wird, indem es einen Zuschuß aus dem Steuersäckel bezieht. In Amerika hat man die im Kriege verstaatlichten Bahnen wieder der Privatwirtschaft zugeführt.
Wir beklagen uns über Bevorzugung der Slovakei und Karpathorußlands bei den Investitionen. In erster Linie verlangen wir, daß unsere Steuerleistung uns zugute komme, ehe man damit anderen Geschenke macht. Die deutschen Städte sind von einander bekanntlich immer noch durch Bahnen getrennt. Auf die Verbindung mit Prag ist relativ zu viel ausgegeben. Wir fordern besseren Zugsverkehr auf unseren bestehenden Transversalbahnen und Ausbau neuer Linien im deutschen Gebiete. Auch der Telephonverkehr ist für unser intensives Geschäftsleben mangelhaft.
Von den Einnahmen erscheint uns der Ertrag der Kohlensteuer als zu hoch angesetzt, er wurde um 1/6 höher eingestellt, trotz Absatzstockung der Kohlenindustrie und trotzdem die Steuer eine Herabsetzung verlangen würde, da z. B. reichsdeutscher Koks wie zum Teil auch Kohle bereits billiger ist. Die Kohlensteuer ist eine unsoziale und unwirtschaftliche Steuer und muß abgebaut werden.
Auch die direkten Steuereingänge sind zu hoch angesetzt, weil man bei ihrer Einschätzung auf den Eingängen der Hochkonjunkturzeit fußte. Ebenso wurden die Verbrauchssteuern zu wenig vorsichtig präliminiert und wurde nicht mit dem Konsumrückgang infolge der steigenden Krise gerechnet.
Entschiedene Gegner sind wir gegenüber der Ermächtigung, daß der Finanzminister bis 800 Millionen durch Kreditoperationen decken dürfe. Wir fürchten übrigens, daß er er dabei im In- und Auslande Mißerfolge haben werde und dann zur Belastung von Staatseigentum greifen werde, wie dies ja bereits durch Vergebung des Schurfrechtes in Joachimsthal an englisches Kapital und durch Vergebung des Petroleum-Produktiv-Monopols an die Standard Oil geschah. Wir protestieren gegen eine solche Hingabe unseres Volksvermögens an das Ausland. Man treibe bisher keine derart leichtsinnige Ausgabenwirtschaft. Das Defizit wäre bei einer ernsthaften Änderung des politischen Systems vermeidbar.
Von Standpunkte der Industrie muß ich noch bemängeln, daß der zur Förderung der Ausfuhr bestimmte Betrag um 1.8 Millionen gegenüber dem Vorjahre herabgesetzt wurde, ohne daß diese Post näher begründet wurde, und obwohl wir doch gerade jetzt unsere Exportbestrebungen vervielfachen sollten. Auch der Dispositionsfond für die allgemeine Förderung der Industrie erscheint uns mit 3 Millionen als zu gering dotiert. Auch mü ßten die Zwecke näher bestimmt sein und es mü ßten uns Garantien geboten werden, daß er der deutschen Industrie ebenso zugute kommt wie der èechischen. Dieselben Garantien verlangen wir auch bezüglich der Heereslieferungen, denn es wird über parteiische, mehr oder minder sogar beeinflußbare Vergebung viel geklagt. Deutsche Firmen werden offen zurückgesetzt. Man verlangt von den Deutschen Loyalität, gegen sie aber hält man sich nicht verpflichtet, sie zu üben. Diese Loyalität wird durch den Mißbrauch des Konzessionszwanges und der Bodengesetze zur sogenannten Nationalisierung von Industrieunternehmen verletzt. Obwohl der deutsche Hauptverband der Industrie allen Industriellen die Mitgliedschaft zusichert, wird er gegenüber dem Svaz zurückgesetzt. Ebenso ging man gegen die Reichenberger Messe vor.
Was die Maßnahmen zur Förderung der Industrie und des Exportes betrifft, so macht sich die deutsche Industrie über deren Zweckmäßigkeit und Gerechtigkeit keine Illusionen. Sie hofft wenig, fürchtet dagegen alles. Sie wäre zufrieden, wenn sie von der Regierung bei ihrer Arbeit bloß nicht gestört würde.
Aus den vielen Klagen der einzelnen Industrien sei hier die der Gablonzer Industrie herausgegriffen. Ihre Exportleistung betrug 1919 1 1/2 Milliarde und dürfte heuer bereits auf die Hälfte davon gesunken sein. Gewiß trägt daran das Abflauen der Nachkriegskonjunktur, viel aber auch die Regierung schuld. Das ganze System der Einmischung der Behörde in den privaten Geschäftsverkehr, das Einschalten des Außenhandelsamtes zwischen die Produzenten und Kunden, die Quälerei mit Kontrollen, die Zumutung unnützer statistischer Aufzeichnungen, die hinderlichen Devisenvorschriften, die Reiseerschwerun gen, die Besetzung wichtiger Amtsstellen mit Protektionskindern und Dilettanten, dieses ganze System hemmt die Industrie und läßt sie hinter der anderer, besser wirtschaftender Staaten zurückbleiben. Die japanische Konkurrenz wird in Indien und Südamerika immer bedrohlicher. Ebenso wird die frühere Monopolstellung von Gablonz bezüglich der Kristallerie und anderer Branchen von Deutschland her zum Wanken gebracht. In Pforzheim und anderwärts unterstützt die Regierung das Emporblühen der Industrie, während diese sich hier beständig gegen Schikanen, besonders gegen nationale Quertreibereien verteidigen muß - ich erinnere an den Plan, die Expositur des Außenhandels amtes aus Gablonz, dem Sitze der Indu strie, weg nach Turnau oder Eisenbrod zu verlegen.
Noch ist Amerika der Hauptkäufer vie ler Gablonzer Artikel. Ob dies aber so bleiben wird, hängt von der Washingtoner Konferenz ab. Wenn dort die amerikani sche Absicht verwirklicht wird, den Zoll nicht mehr nach dem Werte der Ware im Produzentenlande, sondern nach dem erst in Amerika einzuschätzenden Werte zu bemessen, dann betrüge der Zoll das Sechs bis Achtfache des Preises der Ware hier und der Export nach Amerika wäre da durch ruiniert. Es wird sich zeigen, ob die Prager Diplomatie diesen Schlag aufzuhal ten verstehen wird.
Die schlimmste Schädigung fast der ge samten Industrie des Staates erwächst aus dem Marksturze. Daß beträchtliche Mark guthaben entwertet wurden, ist noch das geringste Unglück dabei. Die Konkurrenz übermacht Deutschlands, die selbst bei gleichen Produktionsbedingungen allein schon durch die kluge, wissenschaftlich durchdachte Organisation, durch die methodische Zusammenarbeit, die höhere Bildung und Verläßlichkeit aller gesichert ist, diese Überlegenheit ist durch den Marksturz noch vervielfacht worden. Wenn die Markentwertung andauert und sich vergrößert, dann ist es mit einem großen Teile unserer Industrie vorbei. Die Folgen des Marksturzes sind vorläufig noch nicht voll zu spüren, weil Deutschland augen blicklich derart überbeschäftigt ist, daß es seine Überlegenheit nicht ausnützen kann.
Wir lernen nun an uns selbst, daß der Triumph, eine relativ hohe Valuta zu besitzen, mit Konkurrenzunfähigkeit und steigender Arbeitslosigkeit schwer erkauft werden muß. Die Valuta künstlich hoch zu halten, ist daher ein bedenkliches Manöver. Wenn es wahr ist, daß die Regierung in Zürich und Amsterdam Stützungskäufe vornimmt - der Goldschatz geht ja auch wirklich beständig herunter - dann muß ich sie im Namen der Industrie ernstlich warnen. Nur eine gewisse politische Eitelkeit wird dadurch für den Augenblick befriedigt, vielleicht auch wird denen, die sich noch schnell mit Rohstoffen eindecken oder gar denen, die in das Spiel eingeweiht sind und die entsprechenden Spekulationen treiben, ein Gewinn zugeschanzt, während die Industrie durch den künstlichen Kurs reale Aufträge verliert.
Allerdings weist die Regierung immer auf die geringe Zahl von Arbeitslosen hin - angeblich nur 25.000-35.000. Die deutschen Sozialdemokraten sind aber mit mir der Meinung, daß die Arbeitslosenzahl unverläßlich ist, weil namentlich die weibliche Arbeitslosigkeit oft der Familie zur Last fällt und nicht registriert wird. Auch sind viele nur schwach laufende Industrien nicht in den Listen eingetragen. Die Arbeitslosigkeit wird nun zweifellos noch wachsen und wir gehen schweren Zeiten entgegen.
Die schlimmste Krankheit, an der wir leiden, ist das Valutenchaos. Nur ganz wenige Männer, an ihrer Spitze der ausgezeichnete Amerikaner Vanderlip und der Engländer Keynes, denken ernsthaft über eine Heilung dieser Krankheit nach. Die Industriellen hängen heute wie hypnotisiert am Kurszettel. Ihre ehrliche Arbeit ist völlig zur Spekulation geworden. Für technische Fragen bleibt ihnen oft keine Nervenruhe mehr. Schwindelnde Gewinne wechseln mit schwindelnden Verlusten ab. Wer früher ganz seiner Fabrikation gelebt hat, muß jetzt einen Börsenjobber spielen. Es läßt sich keine richtige Bilanz, keine verläßliche Kalkulation mehr aufstellen. Es ist, als ob wir uns inmitten einer Bergrutschung befänden mit der Pflicht, darauf zu bauen.
Da der sichere Inlandabsatz seit der Zertrümmerung der österreichisch-ungarischen Monarchie so klein und unser Staat also überwiegend ein Staat der Exportindustrie ist, wird er von den Valutakonvulsionen besonders arg hin und her geworfen. Eine Regierung, die wirtschaftlich denken und sich nicht von politischen Aspirationen wie von Irrlichtern narren lassen würde, würde in erster Linie alles tun, um das Valutenchaos zu entwirren. Wir machen der Regierung den Vorwurf, daß sie ihre Pflicht dazu nicht wahrnimmt. An dem Marksturz hat sie sich mitschuldig gemacht. Mit dem Hodaèschen Gutachten hat sich die Regierung, die sich äußerlich voller Freundnachbarlichkeit gegen Deutschland zeigt, an dem gegen Oberschlesien geführten Streiche beteiligt. Das werden wir ihr nie verzeihen. Ganz abgesehen von der Verletzung des Abstimmungsresultates, der Verhöhnung der von der Entente selbst immer im Munde geführten Friedensgrundsätze, ganz abgesehen von den verhängnisvollen Wirkungen eines dadurch näher gerückten deutschen Staatsbankerottes für die Welt: allein für die Volkswirtschaft des èechoslovakischen Staates ist die nunmehr getroffene Verfügung über Oberschlesien ein Unglück. Unserer Industrie wäre es sicher vorteilhafter, wenn Oberschlesien bei Deutschland verblieben wäre, als wenn es nun der polnischen Wirtschaft überantwortet wird. Von unserer Ausfuhr waren 1920 fast 45 % nach Deutschland, 34% nach Österreich gerichtet. An dem Gedeihen dieser beiden Staaten haben wir daher das größte Interesse. Was dieses Gedeihen fördert, ist Realpolitik, was sie schädigt, ist eine Politik der Sentiments, der Unwirtschaftlichkeit, der Unnatur. Nicht bloß die deutsche, auch die èechische Volkswirtschaft in diesem Staate ist an der Verbindung mit Deutschland und Österreich viel mehr interessiert, als an der künstlichen Verbindung mit viel ferneren Ländern, mit Polen und der kleinen Entente. Diese kann uns handelspolitisch nie den Verkehr mit diesen beiden Nachbarstaaten ersetzen. Durch die Entwertung der österreichischen Krone ist unser Nationalvermögen schwer getroffen, denn österreichische Wertpapiere sind stark in unserem Besitze. Die Teilnahmslosigkeit, ja Schadenfreude der èechischen Politik gegenüber dem Niederbruche der österreichischen Krone wie der Mark stammt daher, daß diese Politik nicht von Wirtschaftskundigen gemacht wird. Was hat die Regierung bisher für Österreich getan? Hat sie bei dem verzweifelten Kreditwerben Österreichs mehr als den wohlwollenden Zuschauer gespielt? Sie hat vielleicht die Feindseligkeiten gegen Österreich eingestellt; nachdem sie es durch die Grenzziehung, durch die Nostrifizierungsvorschriften und finanzpolitische Maßnahmen tödlich getroffen hat, versichert sie Österreich seiner aufrichtigen Gewogenheit. (Výkøiky.) Die Pflicht, es vor immer tieferem und immer rascherem Hinabgleiten zu bewahren, diese Pflicht, welche die Regierung, wenn schon nicht aus Menschlichkeit, so doch im Interesse der eigenen Industrie und damit der eigenen Staatswntschaft fühlen sollte, diese Pflicht erfaßt sie nicht. Über höfliche Phrasen bei offiziellen Anlässen, über eine Allianz bei einem Karlabenteuer, über ein gelegentliches Spatzenschießen mit Kanonen geht die nachbarliche Hilfe nicht hinaus.
Die Entente wird trotz hinabstürzender Valuta von der Regierung beim Glauben erhalten, Österreich sei lebensfähig und die Friedensverträge seien überhaupt die Lösung des Welträtsels. Wir fragen vergebens, wie weit denn die Mark und die österreichische Krone noch stürzen, wie weit die Krise in den anderen Staaten denn noch steigen müsse, bis man erkennt, daß die Friedensverträge das Unglück der Welt bedeuten und daß man sie daher auf Grund seiner zweieinhalbjährigen Erfahrungen schleunigst revidieren müsse.
Wenn diejenigen, die in überreicher Zahl an die überreichliche Regierungskrippe dieses Staates gelangten, ein anderes Ziel hätten, als sich bei Macht zu erhalten, und wenn sie nicht kurzsichtig bloß prahlerische Augenblickserfolge für ein paar Millionen Konnationaler im Auge hätten, sondern wenn sie ernstlich auf die Gesundung Europas hinarbeiten wollten, mit der dann auch unsere Volkswirtschaft mit genesen würde, dann müßten sie ihre Beziehungen zur Entente, müßten sie ihre Kenntnis der den entfernteren Staaten ja doch fremd bleibenden mitteleuropäischen Wirtschaftsbedingungen ganz anders verwerten, als bisher. Freilich ist es schwer gerade für die, die seinerzeit in St. Germain und Versailles das Ohr der Konferenz besessen haben, zu gestehen: "Wir haben uns geirrt; wir haben die wirtschaftlichen Folgen der territorialen Verstümmelung Österreichs, der Balkanisierung und Zerstückelung in kostspielig arbeitende, kleine Republiken nicht vorausgesehen. Die Bildung von Staaten nach dem Nationalitätsprinzip ist wirtschaftlich undurchführbar, wir müssen also vor allem im lnnern des eigenen Staatswesens unsere einseitig und vorschnell fabrizierte Verfassung umgestalten, wir müssen dann die Friedensverträge bezüglich Österreich ändern, eine wirtschaftliche Kooperation mit ihm etablieren, wir müssen schließlich die deutsche Tüchtigkeit, ohne die die Welt nicht zu ihrem Wiederaufbau gelangt, von der jetzigen Hoffnungslosigkeit befreien, wir müssen den Vermittler zwischen Deutschland und Frankreich spielen und müssen auch für Deutschland, zu dessen Wirtschaftsgebiete wir ja unlösbar gehören, eine Abänderung der Reparationspflichten und des gesamten Friedensvertrages initiativ betreiben." Das wäre Realpolitik!
Wird die Washingtoner Konferenz dieser Vernunft politisch näher bringen? Wir verfolgen ihren Verlauf gespannt und mit unseren besten Wünschen. Hoffentlich bleibt der politische Erfolg Mr. Hughes bis ans Ende treu. Wir empfanden bitter, daß sich Amerika in den letzten Jahren für die Entwicklung der europäischen Politik nicht mehr verantwortlich fühlte und durch seinen Mißerfolg bei der Friedenskonferenz vergrämt, von Europa überhaupt nichts wissen wollte. Eine Ve rminderung der wirtschaftlichen Krise in Amerika würde seine Kräfte für die Lösung auswärtiger Fragen freimachen. Ein politischer Erfolg würde die Vergrämtheit Amerikas beseitigen und seinen früheren Optimismus beleben.