Ist Feuchtigkeit im Übermaße vorhanden, dann findet ein anderer Vorgang
statt; die Zersetzung der Leiche wird auf andere Weise gehemmt. Es ist
der Prozeß der Leichenzersetzung nämlich gebunden an das Vorhanden sein
einer gewissen Menge von Sauerstoff. Wenn der Sauerstoff dadurch mangelt,
daß eine Leiche in zu feuchter Erde liegt, gewisser maßen, wie ich selbes
tatsächlich gesehen habe, in einem Wasserbette sich befindet, wenn die
Erde undurchlässig ist, so daß das einsickernde Wasser sich an der Grabsohle
ansammelt und der Leichnam also eigentlich im Wasser schwimmt, dann ist
zu wenig Luft vorhanden, um die Zersetzung noch im Gange zu erhalten, und
es kommt zur Bildung einer eigenartigen, schmierigen, sich nicht mehr weiter
verändern den Masse, dem sogenannten Fettwachs, Leichenwachs, Leichenfett
oder Adipocire. Die Bildung von Leichenwachs beruht auf mangelhafter oder
gänzlich aufgehobener Oxydation und besteht wesentlich in der Abspaltung
von Fettsäuren und der Bildung von Seifen. Man hat daher diesen Vorgang
mit Recht auch Verseifung der Leichen bezeichnet.
Es ist auf diese Weise möglich und kommt nicht nur in Massengräbern,
sondern, wie ich zuerst nachgewiesen habe, auch in Einzelgräbern oft genug
vor, daß ein größerer oder kleinerer Teil der ganzen Weichgebilde in diese
eigentümliche, dem Käse ähnliche Masse umgewandelt wird. Nach zehn und
mehr Jahren ist dann der Leichnam auch in seinen Weichteilen nicht zersetzt,
sondern oft selbst der äußeren Form nach noch mehr weniger kenntlich erhalten.
Derartige Leichen widerstehen dem gänzlichen Zerfalle ungezählt lange Zeiträume.
Auch diese Art der Leichen veränderung muß als ein anormaler, nicht gewollter
und nicht wünschenswerter Vorgang bezeichnet werden.
Die am Schlusse angefügten Bilder mögen das, was ich kurz über den Verlauf
der Verwesung gesagt habe, veranschaulichen. Es sind Bilder, welche anläßlich
amtlicher Enterdigungen teils durch Proffesor Ipsen in Innsbruck, teils
durch Stadtphysiker Igl in Brünn aufgenommen wurden. Für die Überlassung
dieser anschaulichen Bilder zum Zwecke der Wiedergabe an dieser Stelle
gebührt den Genannten der Dank aller Freunde der Feuerbestattung.
Maßgebend für den Ablaus der Verwesungsvorgänge sind dann in der Leiche
selbst gelegene, innere Bedingungen: das Alter, die Leibesbeschaffenheit
und vor allem die Todesart des Menschen. Bezüglich dieser individuellen
Bedingungen der Leichenverwesung will ich nur bemerken, daß im allgemeinen
dann, wenn eine größere Menge von Flüssigkeit von vornherein im Körper
vorhanden ist, die Leichenzersetzung gefördert wird, und daß, wenn das
Individuum weniger Gewerbsslüssigkeiten hat, die Leichenzersetzung gehemmt
ist. Daher faulen Kinder mit ihren wasserreichen Geweben rascher als Erwachsene,
fette, gut genährte, vollsäftige Individuen rascher als magere und blutarme.
Wenn jemand an einer Infektionskrankheit gestorben ist, also an einer
Krankheit, welche meist auf einer Blutveränderung fußt, dann ist die Leichenzersetzung
auch wieder eine geförderte, indem nach den wissenschaftlichen Erfahrungen
vielfach auch jene Kleinlebewesen, welche Krankheitserreger sind, zu gleich
als Zerstörer des Leichnams, als Fäulnisbakterien fungieren.
Die Widerstandsfähigkeit der einzelnen Teile des menschlichen Körpers
gegenüber der Fäulnis ist gleichfalls eine sehr verschiedene. Die Weichgebilde,
eine große Anzahl der inneren Organe, sind verhältnismäßig wenig widerstandsfähig
und zerfallen frühzeitig; andere derbere Teile, wie die Sehnen, Bänder,
die Blutgefäße, leisten der Zersetzung einen weit größeren Widerstand und
es bedarf einer viel längeren Zeit, bis auch diese Teile voll ständig zersetzt
sind. Einen besonderen Widerstand leistet aber das Knochengewebe.
Es ist allgemein bekannt, daß in der Regel eigentlich eine vollständige
Zersetzung der Knochen im Grabe gar nicht stattfindet, sondern daß selbst
nach zehn und mehr Jahren ein großer Teil der Knochen, bei erwachsenen
Menschen wenigstens, unzersetzt, noch nicht zerstört, im Grabe vorgefunden
wird. Eine gleichbekannte Tatsache ist es, daß diese nach so langer Zeit
aus den Gräbern geschafften menschlichen Überreste nicht gerade immer einer
pietätvollen Behandlung sich erfreuen. Die Knochen können aber nicht etwa
nur ein Jahrzehnt der Fäulnis in der Erde widerstehen, sondern viele Dezennien
und Jahrhunderte können darüber hinweggehen; wir haben ja selbst fossile
Knochen. Unter Umständen vergehen also ganz ungemessene Zeiträume bis zur
gänzlichen Zerstörung auch der festen Gebilde des menschlichen Organismus.
Nun möchte ich eines Umstandes Erwähnung tun, der auch zur Zögerung
der Leichenzersetzung ganz wesentlich beiträgt. Es sind das die Umhüllungen,
in denen die Leichname in die Erde kommen, die Kleider uns die Särge. Je
besser diese Umhüllungen beschaffen sind, je dichter und je aus besserem
Material, umso ungünstiger wirken sie auf die Leiche, indem sie dieselbe
verzögern. Es sind namentlich die in neuerer Zeit immer mehr und mehr bei
den Wohlhabenden üblich werdenden Metallsärge, welche dem eigentlichen
Zwecke des Erdgrabes, eine möglichst rasche Leichenzersetzungherbeizuführen,
ganz besonders hinderlich sind, und es sind gerade jene Leichen, deren
Zersetzung verzögert verläuft, diejenigen, welche die allerwidrigsten Bilder
darbieten. Ich muß es an dieser Stelle bedauern, daß ein sehr zweckmäßiger
Gedanke eines weisen Fürsten, der einstens angeordnet hat, daß die Leichen,
nur in Linnen gehüllt und ohne Sarg in die Erde versenkt werden sollten,
an dem unüberwindlichen Widerstande der denkträgen Massen und dem zu allen
Zeiten unbesiegbaren Vorurteile der Menschheit gescheitert ist, ein Gedanke
Kaiser Josef II.
Sie werden jetzt wohl schon sich selbst die Frage aufgeworfen haben:
Was ist nun das Ende all dieser ekligen Vorgänge im Grabe, die ich Ihnen
knapp und möglich ist dezent zu schildern bemüht war?
Tafel III.
Fäulnis.
Org. Molekül C=CH4 (Kohlenwasserstoff), N=NH3 (Ammoniak),
OH + Hx-OH2 (Wasser), S = SH2 (Schwefelwasserstoff).
Verwesung.
Org. Molekül C=CO2 (Kohlensäure), N=N2O5
(Salpetersäure), OH + Ox =H2O (Wasser), S=SO3 (Schwefelsäure).
Verbrennung.
Org. Molekül C=CO2 (Kohlensäure), N=N2O5
(Salpetersäure [In Wirklichkeit wird bei der Leichenverbrennung
nicht Salpetersäure gebildet, sondern der Stickstoff entweicht als solcher.]),
O + HOx = H2O (Wasser), S=SO3 (Schwefelsäure).
Ich habe an dieser Tafel den Versuch gemacht, in ganz systematischer
Weise das Wesentliche dessen darzustellen, was wir über die letzten Schicksale
des menschlichen Körpers im Erdgrabe wissen. Es war schon Justus v. Liebig,
der festgesetzt hat, daß man bei der Leichenzersetzung zwei in ihrer Wesenheit
verschiedene Prozesse zu unterscheiden habe: die Fäulnis und die Verwesung,
welche auch schon durch die Sprache unterschieden werden. Derjenige Prozeß,
den wir Fäulnis nennen, ist im wesentlichen ein Vorgang, wobei es zur Bildung
von Wasserstoff Endprodukten kommt. Es vollzieht sich die Leichenfäulnis
im Erdgrabe und allenthalben dann, wenn Sauer stoffmangel vorhanden ist.
Hiebei kommt es durch die Tätigkeit der Fäulnisbakterien zur Zersetzung
des Wassers und Abspaltung des Wasserstoffes aus demselben. Der abgespaltene
Wasserstoff verbindet sich mit denjenigen Elementen, welche die organischen
Moleküle bilden, aus denen der Körper aufgebaut ist.
Die organischen Moleküle unserer Gewebe sind aus nur wenig Grundstoffen
zusammengesetzt. Diese sind Kohlenstoff, Stickstoff, Sauerstoff, Wasserstoff
und in den meisten eine gewisse Menge von Schwefel. Ich habe von anderen
und seltenen Elementen ganz abgesehen. Durch fortgesetzte Spaltung in der
Richtung, wie es hier angedeutet ist, bei reichlich vorhandenem Wasser
und bei Mangel an Sauerstoff bilden sich nun fortgesetzt Wasserstoffverbindungen
und als Endglieder in dem Prozesse erscheinen die uns bekannten einfachsten
Wasserstoffverbindungen derjenigen Elemente, welche hier in Betracht kommen.
Der Kohlenstoff der organischen Moleküle er scheint in Form von Kohlenwasserstoff.
Das, was man Grubengas nennt, und diejenigen Gase, welche die Unglücksfälle
in den Berg werken veranlassen, sind solche Kohlenwasserstoffe. Es bildet
sich weiters ein Allen sehr bekannter Körper, Ammoniak, indem der Stickstoff
mit der entsprechenden Anzahl von Wasserstoffatomen zusammentritt. Weiters
verbindet sich der Sauerstoff mit dem Wasserstoff, es wird Wasser gebildet,
und es verbindet sich der Schwefel mit Wasserstoff in der entsprechenden
Menge zu Schwefelwasserstoff. Ammoniak und Schwefelwasserstoff sind die
gleichfalls allgemein bekannten übelriechenden Produkte der Fäulnis und
daher ist dieser Vorgang der Leichenzersetzung mit Recht auch als stinkende
Leichenfäulnis bezeichnet worden.
Ich bemerke, daß man wohl berechtigt ist, zu sagen, daß eigentlich die
Fäulnis ein anomaler Vorgang der Leichenzersetzung in der Erde sei. Das,
was durch das Begraben angestrebt wird, wozu aber die Bedingungen sehr
häufig fehlen, weil das Erdreich nicht entsprechend beschaffen, weil es
nicht genug porös ist, weil es nicht genügende Mengen von Luft enthält,
das also, was als Regel anzusehen ist, ist der andere Prozeß, als Verwesung
bezeichnet habe, der auch Vermoderung genannt wird, die nicht stinkende
Leichenzersetzung. Hiebei werden ganz andere Produkte gebildet.
Wieder haben wir die Grundstoffe, aus denen sich die den menschlichen
Körper bildenden Gewebsmoleküle zusammensetzen: Kohlenstoff, Stickstoff,
Sauerstoff, Wasserstoff und Schwefel, und es erscheinen als Endglieder
dieser Zersetzung bei genügend vorhandenem Sauerstoff die höchsten Oxydationsstufen
dieser Elemente, und zwar der Kohlenstoff als Kohlensäure, der Stickstoff
als irgend eine hohe Oxydverbindung, schließlich als Salpetersäure. Es
verbindet sich wieder Sauerstoff mit dem Wasserstoff zu Wasser und der
Schwefel wird zu Schwefelsäure. Ich bemerke ganz nebenbei, daß ich der
Einfachheit halber hier nur die Anhybride angeschrieben habe.
Sie sehen also, daß die Elemente in dem einen Falle immer mit Wasserstoff
sich verbinden, im anderen Falle immer mit Sauerstoff.
Die Fäulnis besteht also hauptsächlich in Reduktionsvorgängen. Sie ist
ein Prozeß, der von Justus v. Liebig mit der trockenen Destillation in
eine Parallele gestellt worden ist. Die Verwesung aber, die Vermoderung,
derjenige Zersetzungsvorgang der menschlichen Leiche, welcher eigentlich
als die Regel, als angestrebte Art der Leichenzerstörung im Erdgrabe betrachtet
werden muß, das ist ihrem Erfolge nach einer Verbrennung gleichzustellen,
denn dabei, sowie bei der wirklichen Verbrennung organischer Körper erhält
man als Endprodukte die höchsten Oxydationsstufen der diese Körper aufbauenden
Grundstoffe, oder mit anderen Worten, es hat die wissenschaftliche Forschung
nachgewiesen, daß in der Wesenheit kein Unterschied besteht zwischen dem,
was im Erdgrabe vor sich geht oder vor sich gehen soll, und demjenigen,
was geschieht, wenn Leichen im Feuergrabe eingeäschert werden.
Die Verwesung und Verbrennung sind sachlich ein und derselbe Prozeß.
Damit, hochgeehrte Versammlung, bin ich am Ende meiner Darstellung.
Ich könnte schließen und es Ihrer eigenen Überlegung anheimstellen,
Folgerungen aus dieser wissenschaftlich festgestellten Tatsache zu ziehen.
Ich möchte aber nicht von dieser Stelle abtreten, ohne dennoch auch einige
Bemerkungen über das wenigstens in diesem Kreise so aktuelle Thema der
Leichenverbrennung zu sprechen.
Man sollte meinen, daß schon durch die von mir begründete Feststellung
der gleichen Wesenheit der Leichenzersetzung im Erdgrabe und im Feuergrabe
eine ganze Reihe von gegen die Feuerbestattung erhobenen Bedenken in Wegfall
kommt. Was könnte ernstlich gegen eine Bestattungsform eingewendet werden,
bei der im Prinzip dasselbe geschieht, wie beim Begraben? Ich werde daher
auf die einzelnen Bedenken nicht weiter eingehen. Ich will nur von meinem
rein persönlichen Standpunkte aus einen Einwurf hier ganz kurz besprechen,
der mir in der Tat ein sehr wesentlicher zu sein scheint.
Man hat nämlich unter anderem auch gesagt: "Gerade die Rechtspflege
und die gerichtliche Medizin haben ein besonderes Interesse daran, daß
die Leichname nicht so kurze Zeit nach dem Tode zerstört werden; es sind
ja Beispiele genug bekannt, wo durch späte Ausgrabungen noch Verbrechen
festgestellt werden konnten", und ich muß es bestätigen, daß dies
tatsächlich der Fall ist. Ich habe im Laufe von drei Jahrzehnten eine verhältnismäßig
sehr große Zahl von für gerichtliche Zwecke vorgenommenen Enterdigungen
von Leichen mitgemacht und muß sagen, daß mit unter für die Rechtspflege
überraschende Ergebnisse durch derartige, selbst sehr spät vorgenommene
Untersuchungen von Erdleichen zu Stande gebracht worden sind. Im allgemeinen
ist also dieser Einwurf gewiß begründet und es könnte in der Tat die Frage
aufgeworfen werden, wie denn nun gerade ein Vertreter der gerichtlichen
Medizin dazu kommt, der Leichenverbrennung das Wort zu reden.
Ich glaube, daß dieses Bedenken sehr leicht hinwegfallen wird, wenn
vor der Bestattung im Feuergrabe, vor der Verbrennung, eine entsprechende
Untersuchung in jedem einzelnen Falle vorgenommen wird, nämlich in jedem
solchen einzelnen Falle, wo nicht die. Todesveranlassung durch unzweifelhaftes
ärztliches Zeugnis im vorhinein über allen Zweifel sichergestellt ist -
kurz, eine geordnete und streng gehandhabte Leichenschau sichert die Interessen
der Rechtspflege mehr, als die Möglichkeit einer späteren Enterdigung.
Ich bemerke außerdem, daß ich während meiner Tätigkeit als Gerichtsarzt
noch äußerst selten Gelegenheit hatte, bei Ausgrabungen in Städten zu intervenieren,
weil hier die Sanitäts-Organisation, die Organisation der Totenbeschau
und der Sicherheitsdienst in der Regel derart eingerichtet sind, daß es
kaum jemals vorkommt, daß eine verbrecherische Handlung dem Auge der überwachenden
Organe entgeht und ein Begräbnis stattfindet, während in späterer Zeit
erst eine Korrektur durch die Exhumierung geschaffen werden muß. Das kommt
fast nur am Lande vor. Ich sage also, gerade da, wo das Sanitätswesen in
entsprechender Weise organisiert ist, in den größeren Städten, ist dieses
Bedenken ein außerordentlich geringes.
Dann kommt noch eines in Betracht. Ich glaube, daß bei den Bestrebungen
aller Feuerbestattungsvereine es sich nur um die fakultative Feuerbestattung
handelt, und ich habe die vollkommene Überzeugung, daß die Feuerbestattung
auch immer nur eine fakultative sein wird.
Wenn ich also die Dinge übersehe, wie sie tatsächlich sind, so kann
ich mich der Meinung nicht verschließen, daß, sowie zu allen Zeiten, wo
es eine Feuerbestattung gegeben hat, auch nebstbei noch zahlreiche Menschen
begraben wurden, so auch in Hinkunft neben solchen Menschen, deren Leichname
verbrannt werden, die übergroße Zahl auf dem Wege des Erdgrabes bestattet
werden wird. Es wird also gewiß nur eine verhältnismäßig kleine Zahl von
Menschen sein, die hier überhaupt in Betracht kommt. Dafür sprechen auch
die Ziffern, die uns über die bisherigen Leichenverbrennungen bekannt geworden
sind.
Wenn ich mir das alles gegenwärtig halte, so kann ich sagen, daß ich
au0ch von meinem Standpunkte als forensischer Mediziner ganz wohl über
die geschilderten Bedenken hinweggekommen bin, umsomehr, wenn ich mir entgegenhalte,
daß anderseits die Leichenverbrennung aber auch große positive (hygienische)
Vorteile darbietet. Ich bin auch da weit entfernt, etwa zu sagen, "die
Friedhöfe sind wahre Schäden der Menschheit, daraus erwächst der Umgebung
sehr leicht ein großer Nachteil." Ich habe vielmehr die Überzeugung,
daß in der Regel die lebende Menschheit durch die einmal in die Erde gelegten
Leichen sehr wenig geschädigt wird. Wenn ich sage, es sei die Leichenverbrennung
ein hygienischer Vorteil und hygienischer Fortschritt, so habe ich ganz
etwas Anderes im Auge.
Es gibt Verhältnisse, wo wir durch gar nichts Anderes, als durch die
Macht des Feuers den Kampf gegen schwere Unzukömmlichkeiten und arge gesundheitliche
Bedrohungen der menschlichen Gesellschaft aufnehmen können, und es ist
unehrlich, wenn das nicht allseitig anerkannt wird. Ich erinnere nur, daß
in jenem Winter 1878 auf 1879, als plötzlich nochmals die bei uns schon
lang erstorbene und erloschene Beulenpest in Wetljanka, einem Dorfe bei
Astrachan im südlichen Rußland, ausbrach, und wiederum dieser Würgengel
der Menschheit ungestüm an die Pforten Europas pochte, über alle Bedenken
und Bedenklichkeiten gegen die Feuerbestattung hinweg folgender Vorgang
eingeschlagen wurde: Alle Pestleichen, es waren über 80, und alles, was
mit den Leichen in Berührung gekommen war, alle Effekten und dazu noch
das ganze russische Dorf wurden, nachdem die Über lebenden weggeschafft
worden waren, verbrannt und dieser Erfolg dieser offiziellen Leichenverbrennung
war der, daß damit auch die Seuche und die Bedrohung der europäischen Menschheit
ein Ende hatten. - Und als 1870-71 Tausende von Menschen und Tierleichen
auf den großen französischen Schlachtfeldern lagen und die Luft vergiftet
wurde, kam eine Sanitätskommission, um Rat zu schaffen. - Man zündete große
Feuer an, übergoß Tiere und Menschenleichen mit brennbarem Material und
es fand eine Leichenverbrennung in großem Stile statt, im Interesse der
Menschheit. Und was geschieht da alltäglich unter unseren Augen? Was geschieht
mit den Effekten der Blattern und Cholerakranken? mit den Effekten an anderen
Epidemien Gestorbener, mit all jenen Gegen ständen, die in Berührung mit
einem solchen Kranken gekommen sind und woraus Träger weiterer Infektion
werden können? Sie wer den, soweit dies möglich ist, verbrannt. Der Leichnam
selbst aber, von dem dies alles stammt, wird in die Erde gelegt! Tagtäglich
nimmt der Chirurg das von Jauche und Eiter infizierte Verbandzeug von den
Wunden weg, die er neu verbindet, und er entfernt abgestorbene Teile des
menschlichen Körpers. Und was macht er damit? Verbrannt werden diese Dinge,
und ich habe die vollständige Überzeugung, daß, wenn ein Chirurg diese
doch vom Menschen stammenden Dinge statt sie zu verbrennen, pietätvoll
vergrübe, man dagegen Einspruch erheben und sagen würde: Das geht nicht
an, das ist eine ungenügende Versicherung dieser Dinge, durch welche weitere
Menschen Schaden leiden können!
Es hat auch einmal eine Behörde die Nichtbewilligung der Feuerbestattung
mit dem mangelnden Bedürfnisse begründet. Ich glaube, aus dem, was ich
bisher gesagt habe, wohl ableiten zu können, daß unter Umständen, wenn
man aufrichtig ist, jawohl ein Bedürfnis, namentlich in großen Städten
vorhanden sein könnte, und wenn ich an die Ängsten und teilweise Ratlosigkeit
der Verwaltungsbehörden etwa bei einer drohenden Cholera - Epidemie denke,
so komme ich zu der Vorstellung, daß es recht nützlich wäre, wenn in den
großen Zentren des menschlichen Verkehrs Verbrennungsstätten vorhanden
sein würden, weil es dann möglich wäre, unter Umständen in einer wahrhaft
rationeller Weise gegen die Seuchen durch Verbrennung der an solchen epidemischen
Krankheiten verstorbenen Menschen im Interesse der Überlebenden vorzugehen.
Wenn man sagt, es sei kein Bedürfnis für die Feuerbestattung vorhanden,
so muß ich demgegenüber doch bemerken, daß mir dieses Argument etwa gleichen
Wert zu haben scheint, wie wenn jemand schließen würde: Es ist kein Bedürfnis
für eine neue Beleuchtungsart, etwa das elektrische Licht, vorhanden, denn
es gibt ja Gas und Petroleum genug, und auch vor dem elektrischen Licht
haben die Menschen gesehen.
Ob die Zeit kommen wird oder ob sie nahe ist, wo die Wünsche der Feuerbestattungsvereine
in Erfüllung gehen werden, weiß ich nicht, es ist dies auch nicht eine
Frage, die ich zu erörtern habe.
Wenn ich aber ganz objektiv die Dinge überblicke und die Entwicklung
der Menschheit betrachte, dann glaube ich sagen zu können: Gleich wie alle
Kraftäußerungen und sinnlichen Erscheinungen der Natur in letzter Linie
auf Wellenbewegungen zurückzuführen sind, so ist auch der menschliche Fortschritt
ein wellenförmiger. Das Schiff der Menschheit steuert gleichsam auf den
Wellen des Meeres. Einmal wird es hoch emporgehohen auf die Höhe einer
Flutwelle, um dann wieder herabzusinken in ein tiefes Wellental, wo es
still zu stehen scheint, bis es von einer neuen Welle erfaßt und wieder
vorwärts getrieben wird. Wenn mich nicht alles täuscht, sind wir jetzt
in einer rückläufigen Bewegung begriffen und steuern tief im Wellental;
aber wir können die geschichtliche und naturwissenschaftliche Überzeugung
nicht verbergen, daß so wie bisher stets auf den Stillstand die Bewegung
und auf den Rückschritt der Fort schritt gefolgt ist, es auch in aller
Zukunft sein und gehen werde.
Und so wird auch ganz bestimmt die Zeit kommen, wo jene Vorurteile überwunden
sein werden, die noch heute gegenüber der Feuerbestattung vorwalten, und
es wird das ist meine felsenfeste Überzeugung - trotz aller hemmenden Rückschrittskräfte
auch jene lichte Zeit kommen, wo denjenigen, welche wünschen, daß ihr individuelles
Dasein, nachdem sie vom Leben geschieden sind, rasch und in schöner und
reiner Weise in jenem Elemente zerstört werde, welches der Ausgangspunkt
und der wichtigste Faktor für die ganze menschliche Kulturentwicklung geworden
ist, dem Feuer; daß, sage ich, denjenigen, welche solchen Wunsch im Herzen
tragen, die Freiheit gegeben sein wird, ihre sterblichen Überreste in ihrer
Art zu zerstören.
Es wird bestimmt auch jene freie Zeit kommen, in der es dem Menschen
freigestellt sein wird, im Feuer rasch oder in der Erde langsam zu verbrennen,
und kein Zwang mehr bestehen wird, zur ausschließlichen, jahrelang andauernden
und ästhetisch abstoßenden Verbrennung des menschlichen Körpers im Erdgrabe.
Wenn ich mir im Geiste vergegenwärtige die Einheit der Vorgänge in der
Erde und bei der Verbrennung und dabei die Endprodukte beider Prozesse
ins Auge fasse, so kann ich nur sagen, daß jener piätetvolle Spruch, den
wir so gerne auf den Leichenstein eines lieben Dahingeschiedenen setzen,
und der mir eigentlich die im Volksbewußtsein nie ganze erloschene Erinnerung
daran, daß einstens auch unsere Ahnen ihre Toten dem Feuer zu überliefern
pflegten, zum Ausdrucke zu bringen scheint,.mit voller Berechtigung nur
an die Urne gesetzt werden kann, der Spruch:"Friede seiner Asche!"
Unter Bezugnahme auf das Vorangeführte erlauben sich die Unterzeichneten
die Anfrage zu stellen:
Ist Se. Exzellenz geneigt, bei der Regierung dafür einzutreten, daß
die fakultative Feuerbestattung in Österreich ehebaldigst gestattet werde?
Prag, am 4. Feber 1910.
Abg. Dr. Bernardin und Genossen. |
Oberstlandmarschall-Stellvertreter Dr. Urban: Anfrage der Abgeordneten
Pacher und Genossen an Seine Exzellenz den Herrn Statthalter, betreffend
die Herstellung einer Eisenbahnverbindung von Weipert über Skt. Joachimisthal
nach Karlsbad.
Landtags-Sekretär Dr. Haasz abwechselnd mit Landtags-Aktuar Dr.
Šafaøoviè (lesen):
Anfrage des Abgeordneten Pacher und Genossen an Seine Exzellenz den
Herrn. Statthalter betreffend die Herstellung einer Eisenbahnverbindung
von Weipert über Skt. Joachimsthal nach Karlsbad.
Seit dem Niedergange des einst so lebhaften und die Bevölkerung in Ehren
ernährenden Bergbaues brach eine traurige Zeit für die früher blühenden
Gaue des Erzgebirges an. Während ein Teil der Bergleute nach anderen bergbautreibenden
Gegenden wanderte, blieb der weitaus größte Teil aus der liebgewonnenen
heimatlichen Scholle, um unter den größten Entbehrungen sich und die Seinigen
zu ernähren.
Die Einführung der Klöppelei, der Posamenten-, Handschuh-, Wirkwaren-,
Gewehr- und Stickerei-Industrie brachte teilweisen, wenn auch mitunter
recht kargen Erwerb.
Unter schwierigen Verhältnissen entwickelten sich die Industrien erst
langsam, dann allmählich rascher und kräftiger.
Mit unsäglichen Mühen wurden den Abhängen und Höhen kleine Fleckchen
Boden abgerungen und urbar gemacht und so ein Stückchen Feld oder Wiese
gewonnen. Doch die Unbilden des Wetters zerstörten in einer Nacht, was
durch schwierige Bestellung des Bodens nach wochenlanger Arbeit und Pflege
zu den einzigen Hoffnungen berechtigte.
Nur in der Ausgestaltung der Industrie lag die Möglichkeit, der immer
mehr anwachsenden Bevölkerung des Erzgebirges einen dauernden, wenn auch
erst geringen Erwerb zu sichern.
Von der Entwicklung der Industrie hängt darum das Wohl und Wehe des
Erzgebirglers ab.
Es ist darum naturgemäß, daß in der Förderung der einzelnen Industriezweige
das beste Mittel gegen die Arbeitslosigkeit und die durch diese bedingte
Armut gelegen erscheint.
Mit Rücksicht auf die Konkurrenz ist es darum heute außerordentlich
wichtig, welche Verkehrswege der Industrie zur Verfügung stehen, um einerseits
die Rohmaterialien herbeizuschaffen und andererseits die Produkte günstig
zu verwerten.
Die Tatsache, daß die Eisenbahnen das gewaltigste Werkzeug der Volkswirtschaft
bilden, gibt uns darum Veranlassung, zu prüfen, wie es diesbezüglich in
unseren Gegenden des Erzgebirges bestellt ist.
So hat z. B. die Stadt Weipert, als eine der am raschesten aufblühenden
Städte des Erzgebirges, Anteil an der Bahnlinie Weipert-Komotau der a.
pr. Buschtìhrader Eisenbahn, welche aber gemäß den obwaltenden Verhältnissen
nicht mehr den Bedürfnissen der mächtig entwickelten Industrien genügt.
Dieser Bahnzug ist die einzig bestehende Verbindung mit dem Innern des
Landes Böhmen und weiter mit dem Herzen des Reiches.
Eine neue Verbindung ist eine unabweisliche Notwendigkeit, und diese
zu suchen, muß Aufgabe desjenigen sein, der sich über Ziel und Zweck einer
solchen im Klaren ist. Bei der Sachlage und unter Berücksichtigung der
territorialen Verhältnisse kann, wenn man Weipert als Ausgangspunkt annimmt,
das Ziel nur Karlsbad über Joachimstal und der Zweck der sein, eine Hauptbahn
zu schaffen, das heißt, eine solche Bahn, welche Weipert und Joachimstal
in den großen Weltverkehr einbezieht.
Nun stellt sich allerdings der König des Erzgebirges, der Keilberg,
mit seinen Ausläufern nach Ost und West quer in den Weg, so daß der Gedanke,
den Kamm dieses Gebirges zu übersteigen, naheliegt.
Allein, wer die Witterungsverhältnisse in unserem Erzgebirge kennt,
wer durch eigene Anschauung die hohen Schneemassen, welche sich hier ablagern,
gesehen, wer den Sturm, der die Höhen umbraust, zu fühlen bekam, der muß
bei objektiver Beurteilung zu dem naheliegenden Schlusse kommen, daß eine
Linienführung über den Kamm wohl technisch möglich ist, aber den angestrebten
Zweck niemals erfüllen kann. Durch Monate im Jahre müsste der Verkehr stocken
oder zum Teil ganz unterbleiben, abgesehen von den Betriebskosten, die
zum wahren Wert in dem denkbar ungünstigsten Verhältnisse stünden.
Man muß daher im allgemeinen die Linienführung so wählen, daß unter
Berücksichtigung der Anlage-, Unterhaltungs- und Betriebskosten auf die
Dauer die geringsten Ausgaben entstehen.
Der gleiche Standpunkt muß bei der Frage der Ausgestaltung mit voller
Fähigkeit vertreten werden.
Was lag bei der Undurchführbarkeit des ersten Gedankens näher, als einfach
dem Beispiele so vieler großartiger Schöpfungen auf dem Gebiete der Eisenbahntechnik
zu folgen und an eine Durchtunnelung des Keilberges zu denken.
Dieser Gedanke ist nicht neu; seit mehr als 30 Jahren haben einsichtsvolle
objektive und mit den Verhältnissen vollständig vertraute Männer diesen
Plan als durchführbar erörtert, ohne aber, bedingt durch die Verhältnisse,
ernstlich eine Weiterverfolgung betrieben zu haben.
Zur Richtigkeit dieser Linienführung brauchen wir nicht die herrlichen
Alpenbahnen anzuführen, sondern in unserer engeren Heimat Vergleiche anzustellen.
Die k. k. österreichische Staatsbahn Karlsbad-Marienbad und die Aussig-Teplitzer
Eisenbahn, Settenz-Reichenberg u. a. zeigen die Anwendung des Tunnelbaues,
und nicht bloß deshalb, weil die sonst unvermeidliche Höhenübersteigung
dies bedingt, sondern um eine möglichst schlanke Linienführung zu erzielen
und der sonst nötigen Anwendung starker Steigungen zu begegnen.
Was nun die Führung des Tunnels anbelangt, so möchte Erwähnung finden,
daß dieser genau in. der Höhe von 900 Meter in der Nähe des. Forsthauses
Partum beim sogenannten Fuchsloch unweit dem Orte Böhm.-Wiesental beginnt
und nach 2.2 Kilometer Länge an der Südseite des Keilberges unter der gleichen
Höhe von 900 Meteraustritt.
Zieht man in Berücksichtigung, daß der Keilberg mittelfestes Gestein
beinhaltet und daß der Gebirgsdruck nur 344 Meter beträgt, so ergibt sich,
daß der technischen Ausführung einerseits keine besonderen Hindernisse
entgegenstehen, andererseits, daß das lausende Meter mit 1000 K, sonach
der Tunnel als mit 2,2 Millionen nicht zu niedrig in Rechnung gezogen erscheint.
Auch dürfte es nicht unrichtig sein, daraus hinzuweisen, daß nach einem
fachmännischen Urteile bei der Anlegung des vorgenannten Tunnels Kobalt,
Arsen, Blei und Silbererze gefunden würden.
Was nun die