Damit solchen, im Gesetze selbst lediglich
vorausgesetzten Gewohnheiten der Charakter gesetzlichen Zwanges
verliehen werde, müßten sie entweder den Inhalt eines
ausdrücklichen gesetzlichen Gebotes bilden, oder ihre Nichtbeachtung
müßte ausdrücklich von Gesetzes wegen verboten
sein.
Wir gestatten uns, in dieser Richtung auf ein
anderes Sach- und Rechtsverhältnis hinzuweisen, welches mit
dem gegenständlichen viele Analogien bietet.
Man kann wohl behaupten, daß die Schutzpockenimpfung,
wenn auch lange nicht in dem Maße, wie die Beerdigung der
Leichen, eine bei der österreichischen Bevölkerung seit
längerer Zeit festgegründete Gewohnheit geworden ist;
eine ganze Reihe von behördlichen Vorschriften und Verordnungen
setzt diese Gewohnheit voraus, und sogar in dem Reichssanitätsgesetze
wird auf das Impfwesen Rücksicht genommen, dessen Leitung
als der Staatsverwaltung obliegend erklärt wird.
Und dennoch ist in Österreich niemand
dem Zwange unterworfen, sich impfen lassen zu müssen, weil
ein gesetzliches Gebot hiefür nicht existiert.
Wenn wir oben darlegten, daß im Gesetze
lediglich vorausgesetzte allgemeine Gewohnheiten den Charakter
gesetzlichen Zwanges nur dann erlangen, wenn sie entweder den
Inhalt eines ausdrücklichen gesetzlichen Gebotes bilden,
oder ihre Nichtbeachtung ausdrücklich von Gesetzwegen verboten
ist, so müssen wir allerdings eine Einschränkung zugeben,
nämlich die, daß etwa das Abweichen von solchen allgemeinen
Gewohnheiten den Grundsätzen der Sittlichkeit und der Moral
widerstreiten würde, weil auch dadurch allein die allgemeine
Gewohnheit unter der Sanktion des Gesetzes stünde, nach dessen
Grundsätzen eine unsittliche oder unmoralische Handlung auch
ungesetzlich ist.
Es kann aber gewiß nicht behauptet werden,
daß die Leichenverbrennung einem Gesetze der Sittlichkeit
oder Moral widerstreitet und in dieser Richtung genügt wohl
der Hinweis darauf, daß die Leichenverbrennung heute beinahe
in allen Kulturländern, voran in Deutschland, Italien, Frankreich,
England und Nordamerika, nicht nur eingebürgert ist, sondern
eine anerkannte, von Staatswegen geschützte, öffentliche
Einrichtung bildet.
Da somit weder die Leichenbeerdigung in Österreich
von Gesetzwegen ausdrücklich anbefohlen ist, noch die Leichenverbrennung
von Gesetzwegen ausdrücklich verboten ist, auch die Leichenverbrennung
keinen allgemeinen Grundsätzen der Sittlichkeit und Moral
widerspricht, so kann mit Grund behauptet werden, daß die
Leichenverbrennung in Österreich von Gesetzeswegen gestattet
ist, und daß die von dem entgegengesetzten Standpunkte ausgehende
Entscheidung der k. k. steiermärkischen Statthalterei unrichtig
ist.
Wollte man aber etwa behaupten, daß aus
jenen gesetzlichen Bestimmungen, welche die Bestattung von Leichen
zum Gegenstande haben, deutlich hervorgeht, daß der Gesetzgeber
nur die Beerdigung der Leichen im Auge gehabt hat - was richtig
ist - und daß daraus folge, daß der Gesetzgeber die
Leichenverbrennung ausgeschlossen haben wollte, so wäre dies
aus verschiedenen Gründen unrichtig.
Wenn der Gesetzgeber nur an die Leichenbeerdigung
gedacht hat, an die Leichenverbrennung aber schlechtwegs nicht
gedacht hat, so resultiert daraus durchaus nicht gesetzliches
Verbot der Leichenverbrennung, sondern äußerstens -
eine Lücke im Gesetze, d. h. es ist eben im Gesetze, und
das wird ohne weiters zugestanden, darüber überhaupt
nicht die Rede, welche Vorschriften für die Leichenverbrennung,
ohne daß sie verboten ist, zu gelten haben.
Dann ist es aber eben Sache der Rechtsverständigen,
im Sinne des § 7 a. b. G -B. im Wege der Rechtsanalogie,
eventuell "mit Hinsicht auf reifliches Erwägen der Umstände
nach natürlichen Rechtsgrundsätzen" diese Lücke
des Gesetzes auszufüllen, und zwar, da es sich um offentliches
Recht handelt, mit Bestimmungen, die das hohe Ministerium zu treffen
befugt ist.
Die Rechtsanalogie ist zulässig, weil
der Gesetzgeber, und darüber ist wohl kein Zweifel, nicht
etwa absichtlich von der Leichenverbrennung geschwiegen hat, sondern
entsprechend den damaligen Verhältnissen an die Leichenverbrennung
überhaupt gar nicht gedacht hat.
Die Rechtsanalogie hat eben einzugreifen' wenn,
wie Unger lehrt, "Rechtsverhältnisse keine Normierung
erhalten haben, was insbesondere dann leicht stattfinden wird,
wenn der geschäftliche Verkehr einen raschen Aufschwung nimmt
und das täglich fortschreitende Leben neue Verhältnisse
erzeugt, für welche ein früher abgefaßtes Gesetzbuch
eine normierende Rechtsregel nicht aufstellen konnte."
Es kann dann aber auch nicht an dem Verordnungsrechte
des hohen Ministeriums gezweifelt werden.
Denn gestattet einmal die Rechtsanalogie "die
Norm für die Entscheidung" von Fragen des Leichenverbrennungswesens
aus den "Prinzipien des gesamten positiven Rechtes",
also insbesondere aus den Prinzipien der verwandten Materien des
positiven Rechtes zu bilden, dann führt die der Staatsverwaltung
durch das Reichssanitätsgesetz vom 30. April 1870, R.-G.-Bl.
Nr. 68, vorbehaltene Oberaussicht über das gesamte Sanitätswesen
und das der Staatsverwaltung in ebendemselben Gesetze vorbehaltene
Recht der Überwachung des Begräbniswesens zu dem Rechte
der Staatsverwaltung hinüber, auch das Leichenverbrennungswesen
zu überwachen und die für diese Überwachung erforderlichen
Bestimmungen zu treffen.
Hiebei darf auch folgendes nicht übersehen
werden:
Erdbestattung und Feuerbestattung sind keine
Gegenfätze, geschweige denn kontradiktorische Gegensätze.
Die Feuerbestattung schließt die Erdbestattung
nicht aus, denn auch eingeäscherte Leichname können
begraben werden und werden sehr oft begraben, so daß sich
Feuerbestattung und Erdbestattung eigentlich nur dadurch unterscheiden,
daß bei der Erdbestattung der menschliche Leichnam zuerst
endgültig bestattet wird, um erst dann dem chemischen Verbrennungsprozesse
- denn auch die Verwesung ist ja nichts anderes, als eine Verbrennung
- unterworfen zu werden, während bei der Fenerbestattung
der Vorgang ein umgekehrter ist.
Diese Erwägung spricht nicht nur deutlich
für die Zulässigkeit der Anwendung der Rechtsanalogie,
sondern sie bietet auch eine breite Grundlage für die Ausübung
des Verordnungsrechtes des hohen Ministeriums.
Die bei der Feuerbestattung zutage tretende
Erscheinung, daß der menschliche Leichnam vor der entgültigen
Bestattung vorerst einem anderem Prozesse unterworfen wird, ist
nicht einzig dastehend, vielmehr geschieht gleiches in einer ganzen
Reihe von anderen Fällen.
So wird der menschliche Leichnam vor der endgültigen
Bestattung, sei es zu den Zwecken weiterer Transporte, sei es
zu Zwecken der Aufbewahrung in Familiengrüften, dem Prozesse
der Konservierung und Einbalsamierung unterworfen. So wird der
menschliche Leichnam, sei es über Wunsch des Verstorbenen
oder seiner Hinterbliebenen, sei es über amtswegige Verfügung,
vor der entgültigen Bestattung der Sezierung unterworfen;
so wird an dem menschlichen Leichnam über Wunsch des Verstorbenen
oder feiner Hinterbliebenen vor der endgültigen Bestattung
der sogenannte Herzstich vorgenommen; so wird der menschliche
Leichnam in bestimmten Fällen vor der endgültigen Bestattung
medizinischen Anstalten zu Lehr- und Lernzwecken zur Verfügung
gestellt u. dgl. mehr.
In allen diesen Fällen sind aber die Voraussetzungen
für die Zulässigkeit der mit dem menschlichen Leichnam
vor dessen endgültiger Bestattung vorgenommenen Akte, sowie
das Verfahren bei der Vornahme dieser Akte nicht etwa durch Gesetze,
sondern lediglich durch Verordnungen der verschiedenen Staatsbehörden
geordnet.
Es ist daher um so weniger ein Grund gegeben,
daß für die Zulassung der Leichenverbrennung, welche
ja auch nichts anderes, als ein vor endgültiger Bestattung
der menschlichen Leichname mit denselben vorgenommener Akt ist
und für die Schaffung der Bestimmungen und Voraussetzungen
der Anwendung der Leichenverbrennung eine gesetzliche Regelung
verlangt wird, statt diese Regelung der Verordnungsgewalt der
Behörde zu überlassen.
Wohl haben sich die Regierungen der verschiedenen
Kulturländer, in welchen die Feuerbestattung bereits Eingang
gefunden hat, zumeist veranlaßt gesehen, die Feuerbestattungsfrage
im gesetzlichen Wege zu regeln ohne daß jedoch überall
die gesetzliche Regelung dieser Frage zur Bedingung der Zulassung
der Feuerbestattung gemacht wurde, wie zum Beispiel in England
die Feuerbestattung lange vor Erlassung des Kremationsgesetzes
von Staatswegen zugelassen und ausgeübt wurde, während
in Sachsen - Coburg - Gotha - und in Baden das Feuerbestattungswesen
überhaupt nur durch örtliche Verordnungen geregelt ist.
Ist somit die Regelung des Feuerbestattungswesens
in Österreich an ein Gesetz nicht gebunden, so ist damit
auch die ganze Grundlage der angefochtenen Entscheidung der k.
k. steuermärkischen Statthalterei erschüttert und es
fehlt nunmehr ein rechtlicher Grund für die Abweisung unseres
Konzessionsgesuches als, wie schon eingangs erwähnt, die
Ministerialverordnung vom 30. Dezember 1885, R.-G.-Bl. Nr. 13
ex 1886, von der Beerdigung überhaupt nicht spricht und ihrem
Geiste nach das gesamte Bestattungswesen im Auge hat, wie denn
auch alle österreschischen Leichenbestattungsunternehmen
mit Wissen der Behörden ihren Geschäftstrieb auch aus
die Besorgung der Leicheneinäscherung, allerdings mangels
solcher Einrichtungen in Österreich, in ausländische
Krematorien ausdehnen. - Unser Konzessionsgesuch hätte vom
Standpunkte des geltenden Rechtes gewiß bewilligt werden
sollen und es wäre nur Sache der Staatsverwaltung gewesen,
unter Einem in Ausübung ihres Oberaufsichtsrechtes über
das gesamte Sanitätswesen auch das Feuerbestattungswesen
im Verordnungswege entsprechend zu regeln.
Die aufrechte Erledigung unseres Konzessionsgesuches
und die damit im Zusammenhange stehende Ermöglichung der
Zulassung der fakultativen Feuerbestattung in Österreich
ist aber auch ein Erfordernis der Gerechtigkeit und Billigkeit.
Wie schon im andern Zusammenhange dargestellt,
haben sich beinahe alle Kulturländer veranlaßt gesehen,
der seit einigen Jahrzehnten aufgetretenen Strömung, den
menschlichen Leichnam im Wege der Verwesung vermittels der Einäscherung
zu Staub werden zu lassen, dadurch Rechnung zu tragen, daß
die Einäscherung des menschlichen Leichnams als zulässige
Bestattungsart anerkannt, die Errichtung von FeuerbestattungsAnstalten
zugestanden und hiedurch die Erfüllung des letzten Willens
aller derjenigen, die ihren Leichnam lieber eingeäschert
als unter der Erde der Verwesung preisgegeben wissen wollen, ermöglicht
wurde.
Daß in jenen Ländern, in welchen
die fakultative Feuerbestattung - und um diese handelt es sich
ja nur - Eingang gefunden hat, hiedurch einem empfundenen Bedürfnisse
entsprochen wurde, beweist der Umstand, daß in den genannten
Ländern die Feuerbestattungsbewegung seit Einführung
der Feuerbestattungsanstalten einen rapiden Fortschritt genommen
hat.
In Deutschland allein stehen gegenwärtig
11 Feuerbestattungs-Anstalten im Betriebe, in Italien nicht weniger
als 30 und eine Reihe weiterer Feuerbestattungsanstalten ist im
Entstehen begriffen.
Nicht weniger als 110 Vereine mit rund 28.600
Mitgliedern sind in Deutschland und Osterreich an der Arbeit,
um für die fakultative Leichenbestattung Propaganda zu machen.
In Österreich selbst hat die Feuerbestattungsbewegung
in den letzten Jahren einen bedeutenden Aufschwung genommen; Beweis
dessen, daß nicht weniger als über 70 Stadtgemeinden,
darunter die Landeshauptstädte: Prag, Graz, Triest, Innsbruck,
Klagenfurt, Laibach, Linz und Troppau sich durch ihre berufenen
Vertreter für die Einführung der fakultativen Feuerbestattung
ausgesprochen und entsprechende Petitionen an das hohe k. k. Ministerium
des Innern geleitet haben. Man kann also, was bei Entscheidung
öffentlich rechtlicher Fragen im allgemeinen und insbesondere
bei Erledigung unseres Konzessionsgesuches zu berücksichtigen
ist, gewiß nicht in Abrede stellen, daß sich für
die Zulassung der fakultativen Feuerbestattung in Österreich
und Ermöglichung derselben durch Errichtung von Feuerbestattungsanstalten
ein maßgebendes großes und intensives Interesse kundgegeben
hat, umsoweniger als sich die Fälle von Jahr zu Jahr mehren,
daß Leichen von Österreichern, allerdings nur aus den
mehrbemittelten Kreisen, in ausländische Krematorien zur
Einäscherung überführt werden, um nur den Wunsch
des Verstorbenen zu erfüllen.
Da es sich nur, was nicht oft genug betont
werden kann, um die Zulassung der fakultativen Feuerbestattung
handelt, so unterlassen wir es, auf alle jene hygienischen, volkswirtschaftlichen
und ästhetischen Gründe, welche für die Feuerbestattung
sprechen, hinzuweisen und beschränken uns in dieser Richtung
nur aus die Bemerkung, daß die Errichtung von Feuerbestattungsanstalten
zumindestens in den größeren Bevölkerungszentren
von Regierungswegen schon deswegen nicht gehindert werden sollte,
weil nach dem Ausspruche aller Sachverständigen das Vorhandensein
solcher Anstalten in Zeiten von Epidemien eine nicht genug hoch
anzuschlagende, ja sogar notwendige Handhabe zur Bekämpfung
derselben bilden würde.
Dagegen sei es uns gestattet, mit kurzen Worten
gegen jene Vorurteile anzukämpfen, welche leider noch weit
verbreitet sind und auf der Behauptung beruhen, als ob die Leicheneinäscherung
dem religiösen Gewissen, insbesondere dem des Christentums
widerstreite, die staatlichen Behörden in der Aufdeckung
von Verbrechen hindere und das Gefühl der Pietät verletze.
Hervorragende Vertreter der christlichen Konfessionen
mußten zugeben, daß keinerlei dogmatische Gründe
wider die Feuerbestattung anzuführen seien, daß die
Feuerbestattung "keinem Gebote Gottes und keinem Artikel
des christlichen Glaubens" zuwiderläuft, und daß
die Erdbestattung nur auf einer alten christlichen Sitte beruhe,
zu der sie allerdings, wie im früheren Zusammenhange dargelegt,
erst zur Zeit Karls des Großen, der dem Klerus das Monopol
der Leichenbeerdigung verlieh, geworden war.
Der Einwand, daß die Feuerbestattung
das Recht des Staates, Verbrechen aufzudecken, beeinträchtige,
widerlegt sich einfach dadurch, daß die hervorragendsten
Kulturstaaten, die sich der Pflicht der Aufdeckung von Verbrechen
gewiß nicht minder bewußt sind, in gerechter Prüfung
und Würdigung der damit zusammenhängenden Fragen, auf
die näher einzugehen, hier nicht Raum ist, die Feuerbestattung
zugelassen haben.
Was aber die Pietät anbelangt, so mögen
hievon jene Zeugnis ablegen, die jemals dem würdevollen Vorgange
einer Feuerbestattung beigewohnt haben und davon mit dem Gefühle
geschieden sind, daß der Leichnam des Verblichenen in wenigen
Stunden zu dem geworden ist, was grauenvolle und unheimliche Ereignisse
im Erdgrabe erst nach Jahren bewirken.
Unserem Konzessionsgesuche soll also nicht
nur vom Standpunkte des bestehenden Rechtes, sondern auch vom
Standpunkte der allgemeinen Gerechtigkeit und Billigkeit entsprochen
werden, damit, wie es in der am 23. Juni 1903 beschlossenen Resolution
der die Einführung der fakultativen Feuerbestattung in Österreich
anstrebenden Städte ausgesprochen ist, "das beschämende
Gefühl beseitigt werde, daß Leichen von im Inland verstorbenen
Österreichern, um dem erklärten letzten Willen gemäß
eingeäschert zu werden, unter Aufwand großer Kosten
in ausländische Krematorien überführt werden müssen,
bevor sie auf heimatlichem Boden ihre letzte Ruhestätte finden
können".
Wir stellen demnach durch unseren in A) ermächtigten
Vertreter den Antrag:
Diesen Rekurs dem hohen k. k. Ministerium des
Innern vorzulegen, hochwelches in Würdigung der von uns geltend
gemachten Gründe die angefochtene Entscheidung der k. k.
steiermärkischen Statthalterei dahin abändern wolle,
daß unserem Gesuche vom 25. April 1901 um die Konzession
zur Errichtung einer Leichenfeuerbestattungs-Unternehmung in Graz
stattgegeben werde.
Welche Fortschritte die Feuerbestattung außerhalb
Osterreich gemacht hat, ist aus dem Aufrufe der Zentralleitung
des Vereines der Freunde der Feuerbestattung "Die Flamme"
in Wien, vom März 1907 ersichtlich, welcher lautet:
Längst hat man aufgehört, jene als
weltverachtende Sonderlinge zu betrachten, welche dafür eintreten,
daß menschliche Leichen, anstatt sie einer langsamen Verwesung
mit all ihren Gefahren und Widerlichkeiten preiszugeben, durch
einen raschen. Verbrennungsprozeß aufgelöst werden,
welcher nichts als ein Häuflein harmloser Asche übrig
läßt.
Von berufenen fachmännischen Körperschaften
ist die Notwendigkeit anerkannt und wird die Forderung erhoben,
daß zur Zeit des Auftretens einer Seuche Vorrichtungen zur
Einäscherung vorhanden sein sollen, welche zur Verhütung
der Entwicklung von Epidemien, wie auch während des Bestehens
solcher, von großer sanitärer Nützlichkeit sich
erweisen würden.
In Italien, wo die Feuerbestattung seit 1874
gestattet ist, wird sie heute in 28 Städten geübt; in
Amerika, England und in skandinavischen Ländern bestehen
seit Jahren Feuerhallen (Krematorien), und auch in Mitteleuropa
wächst die Anzahl derselben von Jahr zu Jahr.
In Frankreich und besonders in Paris, macht
die Feuerbestattung rasche Fortschritte. Seit dem Jahre 1889 sind
dortselbst bis Ende 1904 67.676 Verbrennungen vorgenommen worden.
In Reims und in Rouen bestehen bereits Feuerhallen, in Lyon soll
demnächst eine solche, vorläufig zur Einäscherung
von Spitalsleichen, errichtet werden, und in Nizza hat die Gemeinde
auf einem der dortigen Friedhöfe einen Platz für eine
zu erbauende Feuerhalle reserviert.
Die seit 1890 bestehende Feuerhalle in Zürich
ist in städtischem Betrieb; eine zweite, in welcher die Einäscherung
auf Staatskosten ersolgt, besitzt die Schweiz in Basel; auch in
Genf und St. Gallen bestehen bereits Feuerhallen und in Biel,
Bern, Glarus, Luzern und Winterthur ist die Errichtung solcher
in Aussicht genommen.
Zu der seit 1878 in Betrieb stehenden Feuerhalle
in Gotha, in welcher bis Ende 1906 4400 Leichen - darunter eine
nicht unbedeutende Anzahl aus Wien, Graz und anderen österreichischen
Städten dahin überführter - eingeäschert worden
sind, haben sich auf deutschem Boden seit 1891 dreizehn neue gesellt
(zu Bremen, Chemnitz, Eisenach, Hamburg, Heidelberg, Heilbronn,
Jena, Karlsruhe, Mainz, Mannheim, Offenbach a. M., Stuttgart und
Ulm a. D.); in Freiburg i. B., Hagen i. W. und Zwickau i. S. sind
solche im Bau begriffen. In der Feuerhalle von Hamburg (Ohlsdorf)
hat die Feuerbestattung bereits das dreiundzwanzigste Hundert,
in jener von Heidelberg das siebzenhnte Hundert, in jenen von
Offenbach a. M. und Jena das elfte Hundert, in jener von Mainz
das siebente und in jener von Mannheim das vierte Hundert überschritten.
Demnächst werden in Baden-Baden und Durlach Feuerhallen errichtet
und sind solche in Darmstadt, Dresden, Gera, Gießen, Leipzig,
Gablonz a. N., Graz, Pößneck, Prag: Aussig, Mähr.-Ostrau,
Reichenberg i. B. und Weimar geplant.
Auf englischem Boden sind Feuerhallen in London,
Manchester, Liverpool, Glasgow, Birmingham, Bradford, Darlington,
Hull und Leicester im Betriebe. London wird voraussichtlich in
diesem Jahre bereits drei Einäscherungsanstalten besitzen:
Ilford im Osten, Finchley im Norden und die große Anstalt
der Cremation Society im Nordwesten. Sheffield wird in zwei Jahren
im Besitze einer solchen sein. Außerdem steht die Errichtung
von Feuerhallen infolge des vom Parlamente beschlossenen und vom
König am 22. Juli 1902 unterzeichneten Leichenverbrennungsgesetzes
(Cremation Act 1902), welches am 1. April 1904 in Wirksamkeit
getreten ist, in vielen anderen Städten Großbritanniens
bevor.
Zu den, in der Feuerbestattungsfrage am raschesten
fortschreitenden Ländern gehören die skandinavischen.
Der Verein "Svenska Likbrännings Föreningen"
zu Stockholm besitzt sechs Zweigvereine: in Göteborg, Gefle,
Helsingborg, Oerebro, Malmö und Norrköping, und befinden
sich Feuerhallen in Kopenhagen, Gothenburg und Stockholm; in Kopenhagen
besteht der Verein "Forening for Ligbraending".
In Spanien wurde im August 1901 mittels königlicher
Verordnung die Feuerbestattung zugelassen. Auch in Rußland
wird die Einführung der Feuerbestattung beabsichtigt und
ist der Bau einer Feuerhalle in Wladiwostok behufs Einäscherung
der Pestleichen geplant.
Auf dem hygienischen Kongresse zu London 1891,
auf welchem auch unser Vaterland durch hervorragende Funktionäre
der öffentlichen Gesundheitspflege vertreten war, erklärte
Sir Henry Thompson: "Die einzige Methode, um infektiöse
Leichen wirklich unschädlich zu machen, ist die Desinfektion
durch hohe Temperatur - die Verbrennung." Nach eingehender
Beratung wurde auf diesem Kongresse die Resolution angenommen:
es seien "alle legislativen Hindernisse der Leichenverbrennung
zu entfernen."
Ähnliche Beschlüsse wurden auch von
den letzten fünf hygienischen Kongressen gefaßt und
wollen wir nur hervorheben, daß auf dem hygienischen Kongresse
zu Budapest im Jahre 1894 einstimmig nachstehende Resolution beschlossen
wurde:
1. Die Feuerbestattung ist in hygienischer
Beziehung von großer Bedeutung.
2. Die Regierungen sind aufzufordern, die fakultative
Feuerbestattung einzuführen und zu fördern.
Obwohl in Preußen bisher die Feuerbestattung
nicht zugelassen wurde, hat dennoch im Jahre 1898 der Fortschritt
mit der Aufstellung eines Verbrennungsofens in Berlin, vorläufig
allerdings nur für nicht individualisierte Leichen und Leichenteile,
seinen Einzug gehalten. Die bezügliche Entschließung
der Regierung entsprang sichtlich der Erkenntnis der hygienischen
und wirtschaftlichen Vorteile, welche die Leichenverbrennung gegenüber
der Erdbestattung bietet.
Auch der niederösterreichische Landessanitätsrat
hat in einem Gutachten, welches er 1891 über die, aus Anlaß
der Einbeziehung von 23 Vororte-Kirchhöfen in das Wiener
Gemeindegebiet zutreffenden Maßnahmen abgab, ausdrücklich
betont, daß die "Verbrennung der Leichen, wenn sie
in einer, den Anforderungen der Justiz- u. Sanitätspflege,
sowie der religiösen Rücksichten und der Pietät
entsprechenden Weise vollzogen und nicht als kostspielige Sonderheit,
sondern als eine in möglicher Allgemeinheit durchführbare
Maßregel ins Werk gesetzt wird, den Anforderungen der öffentlichen
Gesundheitspflege entspricht, die vielen Schwierigkeiten, welche
das Beerdigungswesen bereitet, am gründlichsten beseitigt
und daher als eine Aufgabe der Zukunft anzustreben ist."
Die k. k. Statthalterei hat es dem Wiener Magistrate anheimgestellt,
von diesem Gutachten den geeigneten Gebrauch zu machen.
Wie sehr das Interesse einer Großstadt
dazu zwingt, die zur Verwesung der Leichname erforderliche Bodenfläche
einzuschränken, spricht sich darin aus, daß ungeachtet
der räumlichen Ausdehnung des Wiener Zentralfriedhofes wiederholt,
wohl bereits viermal, Vergrößerungen des Friedhofs-Areales
vorgenommen werden mußten, und daß die Kommune Wien
abermals vor dieser Notwendigkeit steht, wie aus solgenden in
der Gemeinderatssitzung vom 15. Oktober 1901 (laut stenographischem
Bericht des Amtsblattes Nr. 84, 18. Oktober 1901, S. 1946) vom
Bürgermeister gesprochenen Worten hervorgeht:
"Für jeden, der die Verhältnisse
der Stadt kennt, ist es klar, daß der Zentralfriedhof nur
mehr auf eine kürzere oder längere Reihe von Jahren
auslangt. Es muß daher eine voraussehende Gemeindeverwaltung
darauf bedacht sein, an die Erweiterung dieses Friedhofes zu denken.
Diese Erweiterung kann nach meiner Überzeugung nur in der
Richtung gegen die Donau gesucht werden. Gegenüber dem Zentralfriedhofe
befinden sich nur Gründe, die zum Teile Herrn Vogelsinger
gehören, zum Teile den Gebrüdern Meichl, und dann der
Komplex des sogenannten Neugebäudes."
Man sieht, daß in der Großstadt
alles nach jener Lösung der Bestattungsfrage hindrängt,
welche dem Gefühle Tausender längst sympathisch geworden
ist.
Bedürfte es hier eines Beweises, so wäre
er wohl darin zu finden, daß sich bereits 72 österreichische
Stadtgemeinden, darunter beinahe sämtliche Landeshauptstädte,
mit einer Gesamteinwohnerzahl von 1 1/2 Millionen, durch
ihre legalen Körperschaften für die Einführung
der fakultativen Feuerbestattung in grundsätzlichen Beschlüssen
ausgesprochen haben. Anläßlich der am 23. Juni 1903
in Wien stattgefundenen Konferenz, welcher 31 Reichsratsabgeordnete,
mehrere Bürgermeister, sowie einige andere Delegierte als
Vertreter der erwähnten Stadtgemeinden anwohnten, stimmten
alle Anwesenden für eine Resolution, welche die Regierung
auffordert, die fakultative Feuerbestattung in Österreich
endlich freizugeben und die von mehreren Stadtgemeinden, sowie
von dem Wiener Vereine "Die Flamme" eingebrachten Gesuche
wegen Erbauung von Einäscherungsstätten aufrecht zu
erledigen. Das Ziel, das wir anstreben, ist keine Auflehnung gegen
Religion und Pietät; der Glaube an ein künftiges Leben
ist von der Dauer der Auflösung der sterblichen Überreste
vollkommen unabhängig und die Pietät für einen
teueren Toten widerspricht dessen Übergabe an die Fäulnis
gewiß nicht besser, als dessen Auflösung durch erhitzte
Luft.
Niemandem, weder einem Mitgliede unseres Vereines,
noch jemand anderem, wird von uns auferlegt, die Feuerbestattung
der eigenen irdischen Reste anzuordnen oder geschehen zu lassen;
nur die Möglichkeit wollen wir schaffen, daß eine Bestattungsweise
Eingang finde, welche unseren Empfindungen und den öffentlichen
Interessen besser als die gegenwärtig in unserem Vaterlande
ausschließlich geübte entspricht. Soll dies Ziel erreicht
werden, so müssen sich alle Freunde unserer Idee zusammenscharen.
Derer, die unsere Sache für gut und richtig
halten, gibt es Tausende in den verschiedensten Lebenskreisen,
einzeln ohnmächtig, vermögen sie, zu machtvoller Zahl
vereint, ebenso wie dies in anderen deutschen und nicht deutschen
Ländern geschehen ist, die öffentliche Meinung und die
maßgebenden Körperschaften und Behörden für
unsere Sache zu gewinnen; nur wenn Tausende hinter ihr stehen,
wird eine Petition um gesetzliche Regelung der Feuerbestattung
in Osterreich Erfolg haben.
Möge sich keiner von jenen, die dieses
Blatt lesen, damit begnügen, uns stillschweigend zuzustimmen;
wer uns recht gibt, der schließe ich uns an.