haben in Oesterreich alle Ursache, mit unserem Herrenhause gar wohl zufrieden zu sein. (Bravo, Bravo!) Weil dem so ist, so will ich, daß das Herrenhaus, das nebenbei gesagt, lieber Oberhaus heißen sollte -denn im Abgeordnetenhause sitzen auch einige Herren - Zeitgemäß umgewandelt, überhaupt erweitert werde. Es ist das eine Nothwendigkeit. Denn wer ist dort sicher vor dem großen Schub, der nachkommt, und wer sicher, wenn wir um und neben dem Gesetze vorangegangen sind, daß die Nachfolger unserer Regierung und die Nachfolger unserer Partei nicht noch mehr neben dem Gesetze gehen werden? Auf festem Boden wollen wir stehen und sagen: "Wir treten derart auf, daß die Abgeordneten, in der gesetzmäßigen bisherigen Weife gewählt, gleichseitig im Landtage wie im Abgeordnetenhause ihren Sitz einnehmen. " Ein Recht zu verringern und zu verkürzen, haben wir nicht, das Recht wohl aber, das Recht zu erweitern. Bisher bestimmte das Gesetz die Zahl der Abgeordneten. Jetzt geht auch dem Gesetze zufolge der ganze Landtag in das Abgeordnetenhaus.
Vom Herrenhause muß ich sagen, warten wir nicht auf Ungarn und erweitern wir es früher zeitgemäß, damit nicht ein großer Schub die Wirksamkeit desselben abtödte und die Parteien ändere, damit nicht die Verfassungsfeinde vielleicht gar die Majorität erhalten, obgleich ich nicht glaube, daß es so kommen wird, aber die Möglichkeit dazu ist doch vorhanden. Sehen wir zu, daß wir aus diese Weise auf echt legalem und verfassungsmäßigem Boden vorgehen, damit auch die Nachfolger korrekt und legal vorgehen müssen. Gehen wir so vor, um das Abgeordnetenhaus zu stärken und zu verjüngen, das Herrenhaus zu erweitern, und zwar aus gesetzlichem Boden, auf dem wir für immer feststehen, auf daß die Entwicklung der Freiheit und der Verfassung naturgemäß - und das ist auch historisch - vor sich gehe. (Bravo, Bravo!)
Oberstlandmarschall: Ich werde mir erlauben um den Antrag zu bitten; ich werde ihn zur Unterstützung bringen.
Abgeordneter Kuh: Euer Durchlaucht, bevor Sie diesen Antrag zur Unterstützung bringen, werde ich bitten: Ich denke, die Zeit ist zu kurz, als daß der Antrag zurückgewiesen werden könnte an die Commission; ich müßte nothwendig daraus bestehen, das dieser Antrag als Grundlage gemacht werde für die Spezialbebatte. Dazu ist aber die Zeit zu kurz. Ich will mich vertrösten, daß wenigstens das System der direkten Wahlen angenommen wird, und das, was unrichtig ist, an der Sache fallen wird, wenn mein Antrag zur öffentlichen Kenntniß und zur Kenntniß der hohen Regierung kommen wird. Wenn es Euer Durchlaucht möglich machen könnten, daß mein Antrag dem Protokolle beigelegt würde, so ziehe ich den Antrag für die gegenwärtige Berathung zurück.
Oberstlandmarschall. Ich muß mir ertauben, Herrn Kuh zu sagen, daß der Antrag ins stenographische Protokoll kommen wird, wie Alles, was hier gesprochen wird, aber ins Geschäftsprotokoll kann er, so lange die Unterstützungsfrage nicht gestellt ist, nicht kommen.
Abg. Kuh: Dann werde ich Euer Durchlaucht bitten, die Unterstützungsfrage zu stellen.
Oberstlandmarschall: Ich ersuche jene Herren, welche den Antrag des Herrn Abg. Kuh unterstützen, die Hand zu erheben.
(Geschieht. )
Er ist hinreichend unterstutzt.
Herr Abg. Roser hat nachträglich gesagt, daß er gegen den Commissionsbericht spreche.
Ich ertheile Herrn Ritter von Limbeck Karl das Wort.
Dr. Ritter Karl von Limbeck: Ich habe mich zum Worte für den Commissionsantrag gemeldet, weil ich glaube, daß unter allen Umständen derselbe seine Geltung behalten würde, mag man die Ausführung welchen Punktes immer in Betracht Ziehen. Es handelt sich nur um die Frage, ob die unmittelbaren Wahlen in die Reichsvertretung zweckmäßig seien und eingeführt werden sollen, Es handelt sich nicht um den vollen Umfang der Frage, wie die Ausführung mit Rücksicht auf die bestehenden Verfassungsgesetze geschehen solle. Von diesem Gesichtspunkte der Zweckmäßigkeit aus erlaube ich mir die Aufmerksamkeit daraus zu richten, daß unsere Regierung eine parlamentarische sein soll. Die parlamentarische Regierung soll aber ihrem Wesen nach die Regierung einer fest organisirten, in allen Theilen des Reiches verzweigten, einflußreichen Partei sein und erheischt, daß das Ministerium aus jener Partei hervorgehe, die eine nicht blos momentane, sondern zeitweilig dauernde Majorität in den beiden Häusern der Vertretung bildet. Damit das möglich werde, ist es evidentermaßen nothwendig, daß der öffentliche Geist innerhalb der Gesetze und innerhalb der politischen Parteien sich in voller Freiheit entwickle, eine feste Gliederung erhalte und daß sonach die Majorität in der Reichsvertretung nicht stets eine schwankende ist und von Coalitionen und Interessen kleiner Parteien beeinflußt wird.
Eine solche Partei aber mit gemeinsamen staatsrechtlichen Gedanken und die Heranbildung einer solchen auf allgemeinen politischen Grundsätzen beruhenden regierungsfähigen Partei ist aber meines Erachtens nur dann möglich, wenn auch in dem, wo sich die Partei erst lebend zeigt, nämlich in Ausübung der politischen Wahlen, sich der Ausdruck dieses gemeinsamen Gedankens findet.
Ich besorge wohl, daß man mir den Vorwurf machen konnte, daß ich mich blos in Theorien ergehe und vielleicht einem sehr bekannten lehrreichen Werke folge, allein damit wird es nicht so arg sein, denn ich komme gleich auf das Konkrete zu sprechen, wenn ich mir die Frage erlaube, wie es bei uns mit der Bildung großer politischer Parteien aussieht; und ich glaube nicht zu fehlen, wenn ich mir die Vorausetzung erlaube, daß solche große politische Parteien eben bei uns nicht zur gehörigen Stärkung kommen können, daß wir wohl nationale Parteien, lanfcespolitische Parteien haben, aber allein so streng allgemeine Parteien haben sich bei uns nicht gebildet. Ich würde ein schweres Unrecht begehen, wenn ich die Existenz dieser Partei in Abrede stellen würde, aber solche Parteien fordern, daß ihnen die Möglichkeit gegeben werde, sich zu stärken, und dies wird meines Erachtens nach geschehen, wenn die Wahlen in die Reichsvertretung unmittelbar vorgenommen werden, da wird es eine reichspolitische Partei geben und dieses ist der Grund, weshalb ich den Antrag der Commission für unmittelbare Wahlen in den Reichsrath für zweckmäßig halte und dafür gestimmt habe.
Oberstlandmarschall: Ich ertheile Hrn. Dr. Roser das Wort.
Abg. Dr. Roser: Meine Herren, ich muß erst das Bedauern ausdrücken, daß eine Frage von so großer Tragweite, ich möchte sagen, von so einschneidender Wichtigkeit für das Volk so kurz vor Schluß der Session dem Hause vorgelegt wurde, und es ist ein eigenes Geschick im parlamentarischen Leben Oesterreichs, daß die wichtigsten Gesetze, von denen ich z. B. das Wehrgesetz im Abgeordnetenhause nenne, immer kurze Seit vor Schluß förmlich, ich darf mich des Ausdruckes bedienen, durchgepeitscht werden. Ich werde int Allgemeinen für das Prinzip der direkten Reichsrathswahlen sprechen, und nachdem ich dem Bedauern Ausdruck gegeben habe daß die Vorlage so schnell behandelt wird, so werde ich in kurzen Worten blos den Standpunkt kennzeichnen, den ich gegenüber den direkten Wahlen einnehme.
Die Frage über die direkten Wahlen entspringt unstreitig aus den demokratischen Bestrebungen. Zieht man eine Bilanz zwischen den Lasten und Rechten des Volkes, so kommt man zu dem traurigen Resultate, daß die Lasten die Rechte des Volkes weit überwiegen. Man kommt zu der Uiberzeugung, daß die Steuerlast in Österreich so groß ist, wie sie noch nie gewesen ist. Gehen wir nun einmal die Steuern durch und beginnen wir bei der Erwerbsteuer. Diese betrug z. B. im Jahre 1822 in der Hauptstadt 30 fl., im Jahre der Freiheit 1848 stieg dieselbe auf 99 fl., im Jahre 1859 betrug die Steuer 10%, 1860-1862 20%, 1863-1868 40%.
Meine Herren! nicht minder erging es den indirekten Steuern.
So betrug der Stempel bei Eingaben früher 15 kr., jetzt beträgt er 50 kr. Die Verzehrungssteuer beträgt ja fast den 8ten Theil des Kaufpreises. Kurz, ich will nur sagen, daß von Jahr zu Jahr die Forderungen immer höher gestellt werden. Das Gesetz vom 5. Dezember 1868 fordert die Blutsteuer, und bei dieser ist das demokratische Prinzip allgemein ausgesprochen worden. Hier wenigstens, hieß es, soll der Fürst neben dem Arbeiter stehen, hier soll Alles gleich sein, hier sollen alle nur Sol daten sein. Meine Herren! ich frage sie, ist mau denn auch bei dem Wahlrechte so vorgegangen?
Hat man denn auch beim Wahlrecht das demokratische Prinzip als Basis genommen? Durchaus nicht! Und hat man auch das. Prinzip bei den Wahlen im Reichsrath so genommen? Nein; sondern hier gilt nur: wer viel zahlt, der wählt. Meine Herren! die Zahl der Steuerträger, die kein Wahlrecht hat, ist eine sehr große, eine enorme, und wenn ich nicht irre, beträgt sie 3/4 Theil der Steuerträger. Man sagt ja, wir sind im Prinzip einverstanden, man soll direkt wählen, aber es ist nicht opportun, man beruft sich fortwährend auf die Dpportunität und sagt, das ist ein Privilegium der Landtage, die sollen allein das Recht haben, Abgeordnete in den Reichsrath zu schicken. Man beruft sich fortwährend auf die Schwierigkeit, auf die Nothlage, auf die Zwanglage, auf Competenzschwierigkeiten.
Es sind das lauter Ausreden. Ich glaube, über die Zusammensetzung der Vertretung hat einzig und allein das Reichsgesetz zu entscheiden. Ich betrachte die direkten Reichsrathswahlen, das direkte Stimmrecht nicht für gefährlich, sondern für vernünftig. Es entspricht durch und durch dem humanen Prinzipe. Es soll hier jeder gleich sein; gleiches Recht für Alle! Es soll hier die Sonne der Gleichheit alle bescheinen, nicht nur den Reichen, sondern auch den armen Arbeiter. Ich wünsche daher, daß an die Stelle, der Entsendung von Abgeordneten aus den Landtagen die Vertretung direkt ans dem Volke gewählt werde, denn nur eine Vertretung, die direkt aus dem Volke gewählt wird, kann Gutes, Großes leisten. Sie ist vertraut mit den Verhältnissen des Voltes und, meine Herren, ich wünsche aber auch eine Volksvertretung, in welcher alle Nationalitäten des weiten Reiches vertreten sein sollten; ich wünsche eine Vertretung, die vom echten demokratischen Elemente beseelt ist, wünsche aber auch Versöhnlichkeit, ich wünsche auch, daß die Freiheit Jedermann gehöre, daß sie nicht blos Eigenthum Einzelner werde, und ich kann Ihnen nur empfehlen, meine Herren, für ein allgemein gleiches Wahlrecht zu stimmen, denn dann kann ich sagen, wenn wir den Arbeitern das Wahlrecht geben, dann werden 250000 Arbeiter für die Regierung einstehen. Ich werde also für direkte Wahlen stimmen, bin aber jedenfalls gegen jede Interessen- und Gruppenvertretung.
Oberstlandmarschall: Wünscht noch Jemand von den Herren das Wort?
Abg. Wolfrum hat das Wort.
Abg. Wolfrum: Ich hatte nicht die Absicht in dieser hochwichtigen Frage das Wort zu ergreisen, meine Stellung ist eine derartige, die mich ferne hält von allen hochpolitischen Fragen; aber nachdem ein sehr geehrter Herr Vorredner einen Antrag gestellt hat und dieser Antrag eine ziemlich zahlreiche Unterstützung fand, glaube ich die Geduld des hohen Hauses nur auf wenige Augenblicke in Anspruch nehmen zu dürfen. Der geehrte Redner hat gegen den Kommissionsantrag den Vorwurf ausgesprochen, der, wenn er wahr wäre, wohl geeignet ist, den Kommissionsantrag herabzusetzen, nicht denselben dem hohen Hause zur Annahme zu empfehlen, sondern gerade das Gegentheil hervorzurufen.
Der geehrte Herr Vorredner hat gesagt, daß der Kommisssonsantrag den verfassungsmäßigen Weg verlasse. Nun, meine Herren, ich negire dies auf das Allerbestimmteste. Wenn nicht auch schon in dem Kommissionsantrage gesagt wäre, daß die Regierung auf dem verfassungsmäßigen Wege dahin trachten möge, so ist wohl unsere Stellung, die wir hier in diesem Hause seit jeher eingenommen haben, Bürge dafür, daß wir der Regierung einen Weg nicht empfehlen würden, der nicht verfassungsmäßig wäre. Es liegt vollkommen innerhalb der Landesordnung, daß das h. Haus ein Gutachten abgibt. §. 19 gibt ein vollständiges Recht dem Hause ein Gutachten abzugeben. Aber allerdings sind die Vorschläge, die die Kommission vorzubringen die Ehre hat, aus verfassungsmäßigem Wege nach dem entsprechenden §. der Landesordnung durchzuführen, und mit keinem Worte erwähnt die Kommission, daß die Regierung auf einem anderen Wege diese direkten Wahlen einführen solle. Aber ich frage, was ist denn der Antrag des geehrten Herrn Vorredners Anderes, als eine Aenderung der Landesordnung? Wird er die Sendung der Herren Großgrundbesitzer in das Herrenhaus und die unmittelbare Sendung sämmtlicher Landtagsmitglieder innerhalb des Rahmens des §. 16 der Landesordnung einfügen können, wird das nicht auch eine verfassungsmäßige Durchführung verlangen, und ebenfalls eine solche Anzahl der im Landtage Anwesenden, und eine solche Zustimmung von 2/3. Der Herr Vorredner kann meiner Ansicht nach für seinen Antrag keinen legaleren Boden in Anspruch nehmen, als derjenige ist, den die Kommission für ihren Antrag ebenfalls der Regierung empfiehlt. Es ist fern jedem einzelnen Kommissions-Mitgliede gewesen - ich kann das wohl aussprechen, obwohl ich kein Mandat dazu habe - den verfassungsmäßigen Boden im Geringsten zu verlassen. Und nun, wenn ich näher eingehe auf die einzelnen Modalitäten, welche der Antrag des geehrten Herrn Abgeordneten vorgebracht. hat, muß ich wohl sagen, daß diese Modalitäten ganz gewiß nicht geeignet sind, seinen Antrag dem hohen Hause zu empfehlen. Was ist denn der Drang der Bevölkerung, was begründet den Drang der Bevölkerung, direkte Wahlen zu verlangen? Es ist das Bewußtsein des Volkes, daß es jetzt auf diese Art der Reichsrathsbeschickung indirekt durch die Landtage, nicht so innig, wie die Bevölkerung es wünscht, mit dem Reiche verbunden ist. Ich möchte sagen, das österreichische Gefühl, welches in den Herzen von Millionen Bewohnern des Reiches ist, fühlt sich verletzt, daß sie nicht in direkte Verbindung mit der Reichsvertretung tritt, fühlt sich verletzt, wenn erst indirekt durch Vermittlung der Landtage diejenigen Männer hervorgesucht werden sollen, die würdig sind, das Reich im Centrum zu vertreten. Die Bevölkerung will nicht durch Mittelpersonen mit dem Centrum verbunden sein, sie will direkte Wahlen. Das ist es, was die vielen Petizionen, sowohl im Reichsrathe, als im Landtage hervorgerufen hat, und dieses Gefühl wird nicht befriedigt durch den Vorschlag des Hrn. Abg. Kuh, denn die Bevölkerung wird immer wieder in erster Linie auf den Landtag und erst in zweiter auf den Reichsrath hingewiesen werden. Das, meine Herren, ist der Kardinalpunkt der Frage, den ich wenigstens von meinem Standpunkte erblicke, das österreichische Gefühl, den österreichischen Patriotismus wieder zu stärken, der uns, Gott sei's geklagt, in einer Reihe von Jahren abhanden gekommen zu sein scheint, und dieser Patriotismus, er kann blos wieder hervorgerufen und gestärkt und zur vollen Flamme wieder angefacht werden, wenn die Bevölkerung des Reiches mit dem Centrum des Reiches in Verbindung gebracht wird.
Daß ein solches Reich wie Österreich, zusammengesetzt aus verschiedenen Nationalitäten, die in einem Lande in der Majorität, in dem anderen in der Minorität sich befinden, nur auf konstituzionellem Wege dadurch regiert und zusammengehalten werden kann, wenn eine Reichsvertretung existirt, das, meine Herren, glaube ich, ist jedem, der nur mit halbwegs sehendem Auge die Geschichte der Jahre, die vor uns vorüber gingen, betrachtet hat, sonnenklar geworden. Nur in einer Reichsvertretung können Die Minoritäten der Völkerschaften ihre Garantie und Gleichberechtigung finden, aber auch, meine Herren, nur in einer Reichsvertretung, die sich bewußt ist, innig mit dem Volke zusammenzuhängen und die von demselben wirklich gewählt ist, und nur in einer solchen Reichsvertretung können sie diejenigen Gewalten, deren leise Anklänge von dem unmittelbaren Hrn. Vorredner hier in diesem Saale angeschlagen worden sind, auf gesetzmäßigem Wege in ihre Schranken zurückweisen. (Bravo!) Glauben Sie nicht, daß die Landtage der Ort sind, wo diese soziale Frage entschieden werden kann. Es muß dies in einer Reichsvertretung, und zwar in einer vollen, kräftigen Reichsvertretung geschehen. Daß diese Reichsvertretung aber bis zur Stunde nicht voll, nicht kräftig war, müssen wir leider gestehen. Wer wollte dem Gange der Geschichte absichtlich sein Auge verschließen! Eben weil die Bevölkerung nur den politischen Kernpunkt in den einzelnen Landtagen sah, weil der Sinn der Bevölkerung von dem Herzen des Reiches, wo doch allein der Bestand des Reiches zu suchen ist, abgelenkt worden ist, eben deswegen müssen wir trachten, direkte Wahlen einzuführen, und dort eine kräftige Reichsvertretung aufzurichten und zu erhalten. Und nicht, wie der Hr. Abgeordnete Kuh gesagt hat, am die Opposizion in die Landtage zu verlegen, denn dort ist sie Schon, sondern um die Opposizion aus den Landtagen herauszunehmen und dorthin zu stellen, wo sie vollständig berechtigt ist, in die Reichsvertretung.
Nun aber ist der 2. Grundsatz, den die Kommission bei dieser Frage fest im Auge behalten hat, daß die direkten Wahlen nicht so allgemein eingeführt werden sollen, sondern, wie der ganze Geist unserer Verfassung überhaupt ist, nach Interessen, und ich glaube, wenn man die Interessen der Bevölkerung, der verschiedenen Schichten der Bevölkerung als vollberechtigt ansieht, dann muß man auch zum Schluße kommen, daß, wenn eine Vermehrung der Zahl des Abgeordnetenhauses wünschenswerth ist, auch alle Interessen das Recht haben, diese Vermehrung in Anspruch zu nehmen. Es ist nicht etwas Zufälliges, daß wir hier in Österreich Interessen haben, und zwar 3 oder 4 Interessen, ich will aber nur sagen, es ist nicht zulässig, daß wir Großgrundbesitz, Städte und Landgemeinden haben. Es ist das im Wesen aller Königreiche und Länder der großen Monarchie ganz wohl begründet, und derjenige, der leugnen würde, der Großgrundbesitz habe ein vollberechtigtes Interesse an der Vertretung des Reiches und im Landtage theilzunehmen, derjenige, der dies leugnet, kennt dieses Reich nicht. Der Großgrundbesitz ist ein vollberechtigtes Glied und muß vertreten werden, und wenn das Bedürfniß sich herausstellt, daß die Abgeordnetenzahl vermehrt werden soll, so ist der Großgrundbesitz so gut berechtigt wie Stadt und Land, daß auch Seine Mitgliederzahl verdoppelt werde.
Alle andern Einwände, die der geehrte Herr Abgeordnete Ruh dem Kommissionsantrage gemacht hat, daß wir Propaganda für Unzufriedenheit machen, daß wir die Parität mit Ungarn aussprechen, das nämliche kann man Seinem Vorschlage einwenden. Wir Propaganda für Unzufriedenheit? Ich müßte nicht, in welcher Bestimmung von den Anträgen der Kommission nur irgend eine Spur wäre, um für die Unzufriedenheit des Landes Propaganda zu machen. Die Parität mit Ungarn? Eben weil eine Parität mit Ungarn hergestellt werden muß, ja eben deswegen sind wir zu dem Entschluße gekommen, und der Kommissionsbericht betont es auch, daß wir ein vollzähligeres Abgeordnetenhaus haben und daß wir ein Abgeordnetenhaus haben, direkt aus der Bevölkerung erwählt; während der Vorschlag des Herrn Abg. Kuh der ist, daß die Bevölkerung erst in den Landtag wählt, und dann die Landtagsmitglieder in den Reichsrath oder Reichstag gehen. Wäre das etwa eine Parität mit Ungarn? Nein! In Ungarn wählt die Bevölkerung direkt in den Reichstag, nicht erst in den Landtag, und dann sollen die Mitglieder in den Reichsrath gehen. Die Bevölkerung ist in unmittelbarem Contakte mit dem Centrum von Ungarn, und um diese Parität herzustellen, müssen wir auf den Kommissionsvorschlag eingehen. Ich überlasse alles Andere, was der Heer Vorredner vorgebracht hat, zu widerlegen unseren Berichterstatter, und habe nur geglaubt, diese wenigen Worte Seinem Antrage entgegenstellen zu Sollen, da er eine zahlreiche Unterstützung auf dieser Seite des hohen Hanfes gefunden hat.
Oberstlandmarschall: Ich ertheile nun dem Herrn Abg. Kuh das Wort.
Abg. Ruh: Ich muß dem Hrn. Abgeordneten Wolfrum meinen Dank ausdrücken, daß er für meinen Antrag gesprochen hat. Wer hat ihm denn gesagt, daß die Bevölkerung direkt nur in den Landtag wählt und dieser erst in den Reichsrath gehen werde? Nach meiner Ansicht wählt sie, Wenn mein Vorschlag angenommen wird, direkt in den Reichsrath, nur nebenbei gehen ihre Vertreter auch in den Landtag. Das ist meine Idee. Was die Herren von der Kommission beantragen, ist gerade das Entgegengesetzte. Wer aber in der Politik etwas Unmögliches anstrebt, sündigt nicht nur gegen den Geist der Politik, sondern auch gegen den Geist der Verfassung.
O b er s t l a n d m a r s ch a l l: Ich muß den Herrn Redner bitten, seine Worte an das Präsidium zu richten.
Abg. Kuh: Ich bitte um Entschuldigung. Es gibt zweierlei Verfassungstreue: Treue gegen den Geist der Verfassung und Treue gegen den Wortlaut der Verfassung. Ich möchte dem Geist der Verfassung hie und da wohl eine andere Richtung wünschen, aber die Richtung ist bereits im Gesetze gegeben am 21. Dezember 1867, wir sollen sie befolgen. Es wäre die Zeit für Oesterreich ein centrales Volksparlament zu schaffsen: unter Kaiser Josef II., dann im Jahre 1848, endlich im Jahre 1860; jetzt ist das nicht mehr der Fall. Auch. Sehe ich nicht, wo unsere große Partei, die mächtige Initiative, die fruchtbaren Kräfte zu einer so eingreifenden Umgestaltung entwickelt, um mit einem Schlage das bewerkstelligen zu können. Die Kremsierer Verfassung wurde centralistisch - förderativ genannt und später kam man auf den Gedanken zurück, sie zu verlebendigen. Unsere gegenwärtige Verfassung ist trotz aller unwahren Behauptungen der Opposition doch Sehr stark föderativ - centralistisch, aber sogar mehr föderativ als centralistisch, so was wird im Handumdrehen nicht geändert.
Nun heißt es im §. 1 des Oktoberdiploms: "Das Recht, Gesetze zu geben und abzuändern, u. s. w. werde ich mit Meinen Landtagen beziehungsweise Meinem R e i ch s r a t h e u. s. w. " Das läßt sich nicht so rasch ändern. Es müßte früher das Oktoberdiplom, das Grundgesetz über die Reichsvertretung, das Delegationsgesetz, die Landesordnung geändert werden.
Das Oktoberdiplom läßt sich nicht so rasch ändern, denn die Februar- und Dezemberverfassung find Ausfluß Desselben und haben regelmäßig Wort gehalten, das Diplom auszuführen; so glaube ich es und so muß ich es glauben, und so habe ich gesucht mit dem Gesetze den Weg zu den direkten Wahlen zu finden. Ich kann aber nicht den Landtag, nicht das Oktoberdiplom ekrasiren, und deshalb habe ich gesucht mit dem Landtage treu dem Gesetze einen Weg zu finden.
Wie kommen wir direkt in den Reichsrath ? Diesen Weg, meine Herren, habe ich in meinem Antrage, den ich als Patriot gestellt, bezeichnet.
Ich fühle mich als Landtagskussandra, wenn ich Ihnen zurufe: Wird dieser Weg nicht eingeschlagen, so schaffen wir ein Chaos oder die Reaktion.
Oberstlandmarschall: Ich ertheile Sr. Durchlaucht Fürsten Karl Auersperg das Wort.
Fürst Karl Auersperg: Es ist ein Apell an den Großgrundbesitz gerichtet worden, den ich nicht unbeantwortet lassen will; ein Herr Abgeordneter hat gesagt, der Großgrundbesitz hat unzweifelhaft das Recht der Vertretung, aber er möge von diesem Rechte nicht Gebrauch machen in dieser Weise, er möge Rechnung tragen der Strömung für allgemeine direkte Wahlen.
Wenn mich Jemand auffordert ein Recht aufzugeben, so frage ich mich erst, welches Recht ist es und dann, an wen soll ich das Recht abgeben. Das Recht in die Reichsvertretung zu gehen, ist offenbar das höchste Recht eines Staatsbürgers. Es ist das Recht auf politischem Gebiete feinem Vaterlande tren zu dienen, ich glaube, dieses Recht gibt der Großgrundbesitz nicht auf (Bravo!). Wenn ich mich frage, an wen ich das Recht aufgeben soll, so sehe ich mich um, ob mein Nachfolger mehr Patriotismus mitbringt als der Abtretende, der Großgrundbesitz. Niemand kann ihm das Zeugniß versagen, hat treu zur Verfassung gestanden, und er ist nicht die schwächste Stütze der Verfassung (Bravo!) und das hat auch der Herr Abgeordnete anerkannt und ich bin es ihm Dank schuldig, er hat es freilich in einer eigentümlichen Weise anerkannt, die Verdienste will er nicht ganz beseitigen, er kann nicht sagen, das ist ganz untaugliches Material, er war so gefällig und hat den Großgrundbesitz mit einer Fleißkarte in das Herrenhaus geschickt. Nun will ich mir erlauben, das zu beleuchten, was das eigentlich für Consequenzen mit sich bringt.
Der Herr Abgeordnete hat davon gesprochen, daß die Magnatentafel in Ungarn einer Umbildung entgegengehe und daß sie zweckmäßig erscheine. Ungleichartiges schafft er im österreichischen Herrenhause, ungefähr dieselben Verhältnisse, wie diejenigen sind, die in der Magnatentafel geändert werden sollen, denn in der Magnatentafel hat vor Allem de jure der Adel den Eintritt.
Nun mochte ich aber doch auch die Frage des Eintretens des Großgrundbesitzes in corpore ins Herrenhaus von der Frage des gleichen Rechtes beleuchten. Wie bekannt, hat das Abgeordnetenhaus die Initiative in der Stenerfrage und gleichfalls bekannt wird es sein, daß der Großgrundbesitz einer der stärksten Steuerträger ist. Wie kommt es nun, daß der stärkste Steuerträger in die zweite
Nummer versetzt wird, wo er de jure in die erste gehört ?
Glaubt man übrigens, daß das wirklich gesunde Zustände wären, zwei Häuser in solcher Einseitigkeit zu schaffen, das Abgeordnetenhaus mit der Benennung, wie sie hier beliebt worden ist, in demokratischester Richtung, und das Herrenhaus Wieder beinahe rein aristokratisch.
Ich halte nicht dafür, daß das gesunde haltbare Zustände wären, ich halte dafür, daß der Großgrundbesitz, wenn er einmal verschoben wird, dann auch hinausgeschoben werden könnte. Wenn man einmal im Schieben ist, so weiß man nicht, wohin man gelangt, es könnte allenfalls das Herrenhaus für den Großgrundbesitz auch nur ein Durchhaus fein. Ich halte dafür, daß Niemand, der gerecht und billig fein will, die Verhältnisse, wie sie zwischen den beiden Häusern des Reichsrathes bestanden haben, nicht als sehr glücklich und sehr befriedigend bezeichnen kann. Ich halte dafür, daß durchaus kein Grund da ist, dieses glückliche Verhältniß zu lösen und ich glaube, daß' diejenigen, die im Rechte sind zu sagen, daß sie dazu beigetragen haben, daß die Verfassung gekräftigt, daß Einigkeit und Eintracht zwischen beiden Häusern zu Wege gebracht worden ist, daß diejenigen das Recht haben zu sagen:
Wir bleiben auf diesem Standpunkte und wir haben ein Recht dazu und sind in diesem Augenblicke noch nicht überzeugt, daß ein anderer ein besseres Recht habe. (Bravo!)
Oberstlandmarschall: Ich ertheile dem Herrn Dr. Wickert das Wort.
Dr. Pickert: Indem ich mich in dieser hochwichtigen Frage zum Worte gemeldet habe, muß ich in Vorhinein gestehen, daß ich im Wesentlichen den Standpunkt der hohen Kommission einnehme. Als Vertreter eines rein deutschen Bezirkes im Königreiche Böhmen nehme ich vor Allem auch diesen Standpunkt insoferne in Anspruch, als stets die deutsche Bevölkerung den Kaiser über den König, das Reich über dessen Theile gesetzt hat, und weil ich in einer Reform der Wahlordnung, wie sie die hohe Kommission vorgeschlagen hat, eine Stärkung des Reiches, eine Befestigung der Interessen des Reiches finde, so stimme ich im Wesentlichen den Anträgen der Kommission aus vollem Herzen bei.
Ich stimme für die direkten Wahlen aus Gruppen, weil ich insbesondere in diesen Wahlen eine allseitige gerechte Vertretung finde. Ich wende mich gegen das allgemeine Stimmrecht gerade vom rein freiheitlichen Standpunkte, weil ich sowohl nach der Theorie, als nach der Praxis bei der Durchführung des allgemeinen Stimmrechtes gerade die freiheitlichen Interessen für gefährdet halten müßte. Wenn ich dessen ungeachtet aber Bedenken gegen die Anträge der Kommission vorbringe, so erbitte ich mir die Aufmerksamkeit des hohen Hauses nur für eine ganz kurze Zeit und gestehe, daß