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Die "Karlsbader Deutsche Tageszeitung" vom
23. 7. 1936 meldet folgenden Sachverhalt:

"Die gefährliche Olympiabroschüre. In einem
Zug von Podersam nach Pilsen traf ein gewisser
Dr. K. H. aus Podersam einen ihm bekannten Be-
amten eines Reisebüros, den er im Laufe des Ge-
späches ersuchte, ihm die Olympiabroschüre zu
zeigen. Daraufhin reichte ihm der Beamte zu-
nächst einen Prospekt der Reichsgartenschau. Der
eben erscheinende Schaffner wandte sich, als er
die Drucksache erblickte, cechisch mit der Auffor-
derung an den Reisebeamten, ihm den Inhalt sei-
ner Aktentasche zu zeigen, welches Propaganda-
material sich in der Tasche befinde. Auf diese
völlig unberechtigte Forderung des Schaffners
reichte ihm der Beamte in entgegenkommender
Weise eine cechisch geschriebene Olympiabro-
schüre, was einem eechischen Fahrgast Anlaß
bot, sich mit der Bemerkung an den Schaffner zu
wenden, daß diese Broschüre verboten sei. Er ver-
langte die sofortige Beschlagnahme der Broschüre
und begründete seine Forderung mit - einem Ar-
tikel des "Veèerní Èeske Slovo", in dem die Grenz-
ziehung auf einem Olympiadeplakat einer Kritik
unterzogen worden war. Schließlich begaben sich
alle Beteiligten zu dem Stationsvorstand in Fla-
den, der sofort zugeben mußte, daß bei der von
dem Neckischen Fahrgast beanständeten Bro-
schüre die Grenzziehung völlig richtig sei und von
einem Vergehen oder einer strafbaren Handlung
der Reisenden gar nicht die Rede sein könne.
Trotzdem lehnte der Stationsvorstand die Nen-
nung des übereifrigen Schaffners ab. Bezeich-
nend ist an dem ganzen Vorfall die Art und Wei-
se, mit der sich selbst schon cechische Bahnbe-
dienstete die Amtsgewalt von Sicherheitsorganen
anmaßen und sich zu Äußerungen und Handungen
hinreißen lassen, die zu der ihnen besonders auf-
getragenen Förderung des Verkehrs durch höfli-
ches Verhalten zur reisenden Kundschaft in kras-
sem Widerspruch steht. "

Wir stellen an den Herrn Minister für Eisen-
bahnen die Anfrage:

1. Ist der Herr Minister bereit, den gerügten
Sachverhalt erheben zu lassen?

2. Ist der Herr Minister bereit zu veranlassen,
daß Eisenbahnschaffner sich keine strafrechtli-
chen Untersuchungshandlungen anmaßen, für die
sie nicht zuständig sind ?

3. Ist der Herr Minister bereit, gegen den schul-
digen Eisenbahnschaffner das Disziplinarverfah-
ren einleiten zu lassen?

P r a g, am 9. Oktober 1936.
Dr. Eichholz,

Fischer, Budig, Jäkel, G. Böhm, Ing. Lischka, E.

Köhler, Wagner, Dr. Kellner, Kundt, Ing. Künzel,

Ing. Karmasin, Hirte, Nickerl, Rösler, Illing, May,

Knorre, Axmann, Stangl, Dr. Hodina, Birke.

Pùvodní znení ad 649/XV.

Interpellation

des Abgeordneten Georg Wollner
an den Minister des Innern

wegen unzulässiger Einholung von Bestäti-
gungsunterschriften durch erhebende Gen-
darmen.

In einem Strafverfahren, Tk X 1465/35, des
Kreisgerichtes Brüx wird in den Gründen der An-
klage folgendes angeführt:

,. Die Beschuldigten haben an einer Tanzunter-
haltung in Tschachwitz am 81. 12. 1934, teilgenom-
men, bei welcher der Marsch des 92. Regimentes,
welche im Refrain die Melodie der früheren öster-
reichischen Staatshymne hat, gespielt worden ist
Bei der von der Gendarmerie gepflogenen "Unter-
suchung haben die Beschuldigten dies bestätigt
und haben auch eine Erklärung mit dem Inhalte
unterschrieben, daß tatsächlich der Marsch des
92. Regimentes mit dem Refrain auf die Melodie
der alten österreichischen Hymne gespielt worden
ist. Vor dem Bezirksgericht in Kaaden gaben die
Beschuldigten aber als Zeugen an, daß sie nicht
wissen, ob tatsächlich die Melodie der österreichi-
schen Staatshymne gespielt wurde und daß sie die
Erklärung der Gendarmerie nur deshalb unter-
schrieben haben, weil der Gendarm ihnen erzählte,
daß er die Erklärung bloß als Beweis brauche,
daß der 92. Regimentsmarsch gespielt worden ist.
Die Beschuldigten verantworten sich auch jetzt
auf dieselbe Weise, aber ihre Verteidigung ist
durch die Zeugenaussage des Johann Bunan und
Franz OndräSek widerlegt, da diese Zeugen be-
stätigt haben, daß die Beschuldigten wußten, was
für eine Erklärung sie unterschrieben und daß sie
die Erklärung freiwillig unterschrieben haben. Der
Tatbestand des Verbrechens nach §§ 199, 199a
Str. G. ist dadurch begründet. "

Aus diesem Sachverhalt geht hervor, daß man-
che Gendarmen sich im Zuge der Vorerhebungen
Erklärungen unterschreiben lassen. Dieser Vor-
gang ist nicht im Gesetze begründet, weil die
Gendarmen sich über ihre Erhebungen selbst No-
tizen zu machen haben. Bei dieser Praxis besteht
die Gefahr, daß die Beschuldigten fertig vorbe-
reitete Bestätigungen achtlos unterschreiben und
hiedurch auf einen Tatbestand festgelegt werden,
den der erhebende Gendarm nach eigenem Ermes-
sen verfaßt hat.

Wir stellen daher an den Herrn Minister des
Innern die Anfrage:

1. Ist der Herr Minister bereit, den gerügten
Sachverhalt erheben zu lassen?

2. Ist der Herr Minister bereit, gegen diejenigen
Gendarmen, die eine solche gesetzwidrige Praxis
handhaben, das Disziplinarverfahren einleiten zu
lassen ?

Prag, am 9. Oktober 1936.

Wollner,

Illing, Fischer, Budig, Jäkel, Nickerl, May, G.
Böhm, Ing. Lischka, Stangl, E. Köhler, Dr. Kellner,
Ing. Karmasin, Dr. Hodina, Wagner, Gruber, Hirte,
Axmann, Birke, Ing. Künzel, Dr. Zippeliua, Dr.
Eichholz, Rösler, Knorre.


23

Pùvodní znìní ad 649/XVI.

Interpellation

des Abgeordneten Josef Rösler
an den Minister des Innern

wegen einer unbegründet harten Verwal-
tungsstrafe trotz gerichtlichem Freispruch
und wegen Verletzung des Sprachenge-
setzes durch die Landesbehörde in Prag.

Die Bezirksbehörde in Schluckenau hat mit Be-
scheid vom G. Juni 1935, Zahl 7810, Herrn Heinrich
Kindermann in Fugau Nr. 154 nach Artikel 3 des
Organisationsgesetzes Nr. 125/27 zu einer Geld-
strafe von 200 Kè verurteilt. Diese Strafe ist un-
gebührlich hart; denn es wurde dem Beschuldig-
ten nichts anderes zur Last gelegt, als daß er sich
am 21. April 1935 auf der Straße von Neusalza
nach Spremberg gegenüber dem ihn anhaltenden
Oberrespizienten Heinrich Kovaøík geäußert hätte:
"Ich besinne mich nicht auf jeden kleenen Dreck. "
Wegen dieses Tatbestandes wurde Kindermann
überdies noch der Übertretung nach § 312 des
Strafgesetzes angeklagt und selbstverständlich
freigesprochen, weil dieser Tatbestand nicht vor-
liegt. Es ist klar, daß Kindermann sich als ein-
facher Mann nicht gewählt ausdrücken kann und
mit seiner Ausdrucksweise selbstverständlich nie-
mand beleidigen wollte, sondern lediglich zum Aus-
drucke gebracht hat, daß er nicht imstande ist,
sich an alle Details zu erinnern.

Die Bevölkerung versteht es einfach nicht, daß
nach dem famosen Artikel 3 des Gesetzes Nr. 125/
27 harte Verwaltungsstrafen trotz gerichtlicher
Freisprüche, gefällt werden.

Wenigstens die Landesbehörde in Frag hätte
Gelegenheit gehabt, dieses ungebührlich harte Er-
kenntnis zu korrigieren; sie hat jedoch dem Gna-
dengesuche keine Folge gegeben.

Überdies ist der über die Berufung ergangene
Bescheid der Landesbehörde in Prag vom 11. Jän-
ner 1936, Zahl 10. 276/35, Abteilung 22, gesetz-
widrig, weil er gegen das Sprachengesetz ver-
stößt.

Vor allem bringt der genannte Bescheid deut-
lich zum Ausdruck, daß er die deutsche Sprache
nicht für gleichberechtigt hält, denn er verwendet
einsprachig èechische Drucksorten mit der ge-
druckten Überschrift "Zemsky úøad v Praze". Le-
diglich in kleiner Maschinenschrift ist unter diese
große Schrift hinzugefügt "Die Landesbehörde in
Prag". Außerdem ist die Bezeichnung der Ge-
schäftszahl und der Abteilung ausschließlich in èe-
chischer, keineswegs auch in deutscher Sprache an-
geführt. Weiters sind im Datum die Worte "V Pra-
ze dne" in großer Schrift vorgedruckt, während
in deutscher Sprache lediglich die Bezeichnung
"Prag, am... " mit Maschinenschrift in weit klei-
nerer Ausstattung daruntergesetzt ist.

Ferner hat der Referent Dr. Hejnic ausschließ-
lich in èechischer Sprache mit dem Vermerke v. r.,
keineswegs auch in deutscher Sprache mit dem

Vermerke e. h. gezeichnet. Endlich ist der Ver-
merk "Za spravnost vyhotovení pøednosta kance-
láøe: " ausschließlich in èechischer Sprache und
nicht auch in deutscher Sprache angeführt.

Wir richten daher an den Herrn Minister des
Innern die Anfrage:

1. Ist der Herr Minister bereit, den gerügten
Sachverhalt erheben zu lassen?

2. Ist der Herr Minister bereit, zu veranlassen,
daß die Landesbehörde wenigstens in jenen Fällen,
in welchen wegen des gleichen Tatbestandes ein
strafgerichtlicher Freispruch ergeht, den Gnaden-
gesuchen der Beschuldigten im Verwaltungsstraf-
verfahren stattgibt und die Verwaltungsstrafe im
Gnadenwege erläßt?

3. Ist der Herr Minister bereit, diejenigen Be-
amten der Landesbehörde in Prag, die das Spra-
chengesetz verletzt haben, an die Einhaltung des-
selben zu erinnern?

Prag, am 9. Oktober 1936.

Rösler,

Fischer, Budig, Dr. Eichholz, Dr. Zippelius, May,
Jäkel, Illing, Axmann, Hirte, Ing. Karmasin,
Wagner, Ing. Künzel, Dr. Kellner, E. Köhler,
Stangl, Ing. Lischka, Nickerl, G. Böhrn, Knorre,
Dr. Hodina, Birke.

Pùvodní znìní ad 649/XVII.

Interpellation

des Abgeordneten Ing. Ernst Peschka
an den Minister des Innern

wegen Mißachtung des Sprachengesetzes
und der Rechtssprechung des Obersten
Verwaltungssgerichtes durch die Polizei-
direktion in Troppau anläßlich ihrer Spra-
chenpraxis gegenüber deutschen Aus-
ländern.

Das sudetendeutsche Tagblatt "Die Zeit" meldet
in der Folge vom 7. August 1936, Seite 3 folgen-
den Sach verhalt:

"Eine ältere Dame aus Hanover kam Ende Juli
nach Troppau. Sie ging noch am Vormittag des-
selben Tages ihrer Ankunft auf die Polizeidirek-
tion, um ihre Anwesenheit in Troppau anzumel-
den. Es wurde ihr ein rein èechisches Formular
vorgelegt, da aber die Dame der èechischen Spra-
che nicht kundig war, ersuchte sie um ein doppel-
tprachiges Formular, wurde jedoch mit dem Be-
merken abgewiesen, daß doppelsprachige Formu-
lare nur für Inländer seien, während Ausländer
nur einsprachige èechische Formulare ausfüllen
müßten.

Auf das höfliche Ersuchen, beim Ausfüllen
etwas behilflich zu sein, gab der Beamte über-
haupt keine Antwort. Die alte Dame war gezwun-


24

gen, in ein der Polizeidirektion gegenüberliegendes
Geschäft zu gehen, um sich die wenigen Worte
übersetzen zu lassen, was auch sofort und sehr
bereitwillig erfolgte. "

Die Polizeidirektion Troppau scheint noch
immer nicht die grundsätzlichen Entscheidungen
des OVG. über das Sprachenrecht der Ausländer
zur Kenntnis genommen zu haben, insbesondere
die Entscheidung vom 5. 10. 1921, Nr. 12. 285 Boh.
966, welche mit bemerkenswerter Klarheit folgen-
den Rechtsgrundsatz ausgesprochen hat: "Gemäß
§ 2 des Sprachengesetzes sind auch fremde Staats-
angehörige der sprachlichen Minderheitenrechte
teilhaftig, wenn sie Angehörige der zulässigen
Minderheitssprache sind. Eine Retorsion gegen An-
gehörige eines fremden Staates ist nur auf Grund
einer, für alle Behörden und Gerichte des Staates
verbindlichen allgemeinen Norm möglich. "

An diesem Rechtsgrundsatz hat das Oberste
Verwaltungsgericht konsequent festgehalten.

Es wäre hoch an der Zeit, daß die Unterbehör-
den dem Wunsch des Herrn Ministerpräsidenten
Dr. Hodža nach Beachtung der Rechtsprechung
des OVG. gebührend berücksichtigen, weil sonst
eine beispiellose Rechtsunsicherheit einreißt.

Wir stellen an den Herrn Minister des Innern
die Anfrage:

1. Ist der Herr Minister bereit, den gerügten
Sachverhalt erheben zu lassen?

2. Ist der Herr Minister bereit, die Polizei-
direktion in Troppau darüber aufklären zu lassen,
daß den Deutschen in aller Welt dieselben Spra-
chenrechte zustehen wie den èechoslovakischen
Staatsbürgern deutscher Nationalität (ethnischer
und sprachlicher Zugehörigkeit)?

3. Ist der Herr Minister bereit, die schuldigen
Beamten der Polizeidirektion Troppau wegen
krasser Unkenntnis und Nichtbeachtung aner-
kannter Rechtsgrundsätze des OVG. disziplinär
bestrafen zu lassen?

P r a g, am 9. Oktober 1936.

Ing. Peschka,

Birke, Budig, May, Knorre, Hirte, Sandner, Dr.
Kellner, Jäkel, Ing. Lischka, Wagner, Ing. Künzel,
E. Köhler, Ing. Karmasin, G. Böhm. Stangl,
Dr. Zippelius, Dr. Hodina, Axmann, Rösler, Illing,
Fischer, Dr. Eichholz.

Státní tiskárna v Praze. - 5532-36.


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