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loschen war, von der Staatsanwaltschaft die An-
klage wegen Verbrechens nach § 81 mit der Be-
gründung: Als Stabswachtmeister S. dem Be-
schuldigten Höhnel eine anstössige Unterschrift
auf einer Einladung zeigte, riß Höhnel die Ein-
ladung dem S. aus der Hand und zerknitterte sie
dabei, offenkundig in der Absicht, jenen Zettel zu
vernichten. Dadurch habe Höhnel, da er sich jenes
Zettels mit gewaltsamer Handanlegung gegen S
bemächtigte, das Verbrechen nach § 81 St. G. be-
gangen.

Bei der Hauptverhandlung vom 25. Feber 1936
wurde Hohnel des Verbrechens nach § 81 schul-
dig erkannt und zu drei Monaten schweren und
verschärften Kerkers unbedingt verurteilt, wobei
der Verlust des Wahlrechtes ausgesprochen wurde,
weil der Angeklagte aus Widersetzlichkeit, aus
Haß und Roheit, also aus niedrigen und unehren-
haften Beweggründen, die Tat begangen habe...

Das Verbrechen nach § 81 wurde von der Amne-
stie des Herrn Präsidenten der Republik vom 14.
Dezember 1935 ausgeschlossen!!"

Eine 70 jahrige Arbeiterfrau.

Vor dem Richtertisch steht eine alte abgehärmte
70jährige Frau, weinend und ihre Unschuld be-
teuernd. Das ist der erste Eindruck, den der Zu-
schauer dieser Verhandlung erhält

Studieren wir die Prozeßakten, so kommen wir
zu nachstehenden Feststellungen:

Im Jahre 1933 erhielt ein Mann, ein ehemaliges
Mitglied der NSDAP einen Drohbrief, in dem ihm
und noch zwei anderen mit Ermorden und mit
Martern gedroht wird, weil er mit den anderen
veranlaßt habe, daß das kommunistische Jugend-
lager aufgelost und verboten worden sei. Die Gen-
darmerie, der der Brief natürlich sofort übergeben
wurde, pflegte sofort im löblichen Eifer ihre Nach-
forschungen. Wer konnte denn der Täter sein? Nur
ein Arbeitsloser! Schnell wurden die Arbeitslosen-
listen durchstudiert. Das Unglück wollte es nun,
daß die Schrift der Angeklagten, auch eine
Arbeitslose, der Schrift des anonymen Briefes
ähnlich ist. Das weitere war sofortige Verhaftung
und Einleitung der Voruntersuchung....

Was nützt das dauernde Leugnen der Angeklag-
ten, was nützen die Aussagen ihrer Kinder, welche
bestätigen, daß die Angeklagte schon seit zehn
Jahren keine Briefe schreibt, was nutzt ihr Wei-
nen und die Hinweise auf ihre Unbescholtenheit-
die Gendarmerie ließ die Schrift von ihrem Sach-
verständigen untersuchen und dieser richtete schon!
Die Verteidigung führte weitere Beweise, stellt
weitere Anträge, bis sich das Gericht doch herbei-
laßt, die Handschrift des anonymen Briefes noch-
mals durch einen Sachverständigen untersuchen
zu lassen. Das Gutachten lautet abermals: mit
voller Bestimmtheit und ohne jeden Zweifel ist die
Angeklagte S. die Schreiberin.

Jede Hoffnung ist nun gefallen, das Urteil lau-
tet kurz und bündig: auf Grund des Sachverstän-
digengutachtens... 4 Monate schweren Kerker!

Nach der Urteilsverkundigung erhalten diesel-
ben Leute abermals einen Brief, es ist dieselbe
Handschrift, sie werden wieder bedroht, außer-
dem wird in diesen Briefen der seinerzeitige Er-
kenntnissenat, welcher Frau S. verurteilte, der

Staatsanwalt, der Justizminister, schwer belei-
digt Für die Gendarmerie kommt niemand anders
als, Tater in Betracht, als Frau S. Die Gesetzes-
maschine geht automatisch denselben Weg: Ver-
haftung, Einvernahme vor dem Untersuchungs-
richter, vorläufige Haftentlassung, Sachverständi-
gengutachten, Anklageschrift, Verhandlung.

Diesmal wurden zwei Sachverständige, diesel-
ben wie im ersten Verfahren, vom Gericht beauf-
tragt, ihr Gutachten abzugeben. War es denn nö-
tig, viel zu schreiben, was denn, ich verweise ein-
fach auf mein erstes Gutachten, das sagt ja klar
und deutlich und jeder Laie kann es ja sehen, daß
die S. die Schreiberin ist.

Der Verteidiger bietet wieder Beweise an, die
Kinder können ja bestätigen, die Angeklagte hat
schon seit zehn Jahren nicht geschrieben, ihre
Tochter mußte immer ihre Korrespondenz erledi-
gen... Dem Senat tauchen nun doch Bedenken
auf, er läßt die Sachverständigen nochmals vor-
laden, die alte Frau macht wirklich nicht den Ein-
druck einer Verbrecherin. Die Herren Sachver-
ständigen erscheinen zur Verhandlung, schauen
sich die Angeklagte an, lassen sich eine Schrift-
probe von ihr geben. die Frau weint dabei, kann
nicht einmal ordentlich schreiben, weil sie so vor
Aufregung zittert, mit gutmütigem Lächeln erbit-
tet sie dann eine Frist zur Erstattung ihres neuer-
lichen schriftlichen Gutachtens Nach langer Zeit
kommt dann endlich das mit Angst und Sorgen
von der Angeklagten erwartete Schriftstück; wer-
den sie mich wieder verurteilen? Kurz und bün-
dig lautet das Gutachten: mit großer Wahrschein-
lichkeit ist die Angeklagte als Schreiberin der
Briefe anzusehen. Also doch wie vorher 100pro-
zentig und mit voller Bestimmtheit können die
Herren Sachverständigen es nicht mehr sagen.
Nach Monaten ist sie nur noch höchstwahrschein-
lich die Täterin.

Während der vorher erwähnten Verhandlung
erscheint ein Herr Staatsanwalt im Verhandlungs-
saale, lispelt seinem dort sitzenden Kollegen etwas
ins Ohr, das Geheimnis lüftet sich später und es
stellt sich heraus, daß während der Verhandlung
neue Briefe von den sich bedroht Fühlenden mit
der gleichen Schrift und vollständig ähnlichen In-
haltes bei der Staatsanwaltschaft abgegeben
wurden

Es wird nun dem Vorsitzenden selbst auffal-
lend. Diese Frau kann es doch nicht mehr sein.
Die Staatsanwaltschaft hat natürlich nichts ande-
res zu tun, als abermals gegen Frau S. die Vor-
erhebungen fuhren zulassen, derselbe Verlauf,
dasselbe Leugnen, dieselbe Einvernahme, man
konnte dafür sich schon Formulare anschaffen.

Der Verteidiger beantragt nun, nachdem die
Briefe verschlossen abgegeben wurden, dieselben
daktyloskopisch untersuchen zu lassen. Der Pra-
ger Sachverständige kann nun leider keine Finger-
abdrücke auf diesem Briefe feststellen, doch fügt
er seinem Gutachten hinzu, daß die Frau S. doch
unmöglich die Schreiberin sein kann, das sieht er
ja selbst, daß diese Schriftzüge nicht die gleichen
sind. Endlich läßt sich der Untersuchungsrichter
herbei, wirklich andere Sachverstänidge zu be-
stellen. Der Akt wandert nach Prag und nun wird
von den dortigen Sachverständigen festgestellt,
daß zwar die Schrift der anonymen Briefe mit der


20

Schrift der Angeklagten ähnlich ist, aber es ist
anzunehmen, und fast mit Bestimmtheit, daß sie
nicht die Schreiberin ist, wenn man die ganzen
Abweichungen sorgfältig beobachtet.

Noch vor Einlangen dieses rettenden Gut-
achtens kamen wieder Briefe; die Gendarmerie
erscheint in der Wohnung der Frau S.; sie sitzt,
die alte Frau, beim Ofen, es ist Winter, kalt, die
Gendarmerie hat nichts eiligeres zu tun, läßt ein
Milchlastauto requirieren, die alte Frau, nur not-
dürftig bekleidet, wird darauf gesetzt und direkt
ins Untersuchungsgefängnis gefahren. Den Be-
mühungen des Verteidigers und der Einsicht
eines Staatsanwaltes ist es nur zu verdanken, daß
die Frau sofort wieder aus der Haft entlassen
wurde.

Die Staatsanwaltschaft wird jetzt nichts ande-
res können, und wird auch das Einsehen haben,
die Verfahren gegen Frau S. einzustellen und die
bereits erhobenen Anklagen zurückzuziehen.

70 Jahre alt und arbeitslos; viermal verhaftet;
im Untersuchungsgefängnis; über zehnmal ein-
vernommen; mehrere Verhandlungen; zu vier
Monaten schweren Kerker verurteilt... "

Die Beschlagnahme erfolgte im objektiven Ver-
fahren wegen § 300 St, G., obwohl die beschlag-
nahmten 7 Artikel vollständig wahre Angaben
aus Gerichtsakten ohne jegliche Entstellungen.
Schmähungen oder Verspottungen enthalten und
zwar sind die in den einzelnen Artikeln ange-
führten Tatsachen wörtlich zu entnehmen:

Bezüglich des ersten Artikels ,,Begründete Un-
tersuchungshaft" dem Strafakte Tk IX 825/33
des Kreisgerichtes Böhm. -Leipa und Tk IX 848/33
des Kreisgerichtes Böhm. -Leipa, wobei die zitierte
Stelle aus der Begründung des Prager Oberge-
richtes wörtlich der Entscheidung des Prager
Obergerichtes vom 2. März 1934 TSV 928/33 (Tk
848/33 O. Nr. 28) entnommen ist.

Bezüglich des zweiten Artikels ,,1% Jahre un-
schuldig in Untersuchungshaft" dem Strafakte
Tk 304/34, nunmehr Tk 1799/35 des Kreisgerich-
tes Reichenberg.

Bezüglich des dritten Artikels ,,Eine Dolchstoß-
legende" dem Strafakte Tk XI 803/32 des Kreis-
gerichtes Reichenberg.

Bezüglich des vierten Artikels ,,Unparteiischer
Richter" dem Strafakte Tk 1413/30 des Kreis-
gerichtes Reichenberg und dem darin befindlichen
Beschluß des Kreisgerichtspräsidiums Reichen-
berg vom 10. Juli 1931 pres 5449/17/13c, wie auch
das Citat aus dem Erkenntnis des Obersten Ge-
richtes dem in diesem Akte befindlichen oberst-
gerichtlichen Erkenntnis wörtlich entnommen ist.

Bezüglich des fünften Artikels ,,Schutzgesetz
§ 15/3" der im Drucke allgemein veröffentlichten
amtlichen Sammlung der Entscheidungen des
Obersten Gerichtes als Kassationsgerichtes in
Brunn Slg. Vážný und zwar den Nummern 2139,
3118 und 3106.

Bezüglich des sechsten Artikels ,,Arme Leute
sollen ruhig sein" den Gerichtsakten Tk VII
2064/34, Tk VII 2037/34 des Kreisgerichtes Rei-
chenberg, Tk 663/34 des Kreisgerichtes Brüx und
Tk VII 1211/35 des Kreisgerichtes Reichenberg.

Bezüglich des siebenten Artikels ,,Eine 70-
jährige Arbeiterfrau" den Strafakten Tk 1934/33,

Tk 905/35 und Tk 803/35 des Kreisgerichtes Rei-
chenberg.

Wenn diese wahren Angaben der be-
schlagnahmten Artikel dem Gerichte geeignet
erscheinen, Entscheidungen der Behörde herab-
zuwürdigen und andere zum Haße und zur Ver-
achtung gegen Staatsbehörden aufzureizen, dann
sind es nur die Tatsachen und ihre Wahrheit,
denen das Gericht eine solche Wirkung zuschrei-
ben könnte.

Die Gefertigten stellen die Anfrage an den
Herrn Justizminister:

1. Herr Justizminister, stimmen Sie mit den
obenerwähnten Konfiskationen überein und sohin
damit, daß eine Reichenberger Staatsanwalt-
schaft Wahrheit und nichts als Wahrheit mit
Beschlag belegen durfte?

2. Herr Justizminister sind Sie bereit, der
Staatsanwaltschaft Reichenberg entsprechende
Weisungen zu geben, um diesem Vorgehen der
Reichenberger Staatsanwaltschaft endlich Einhalt
zu gebieten?

P r a g a m 18. Mai 1936.

R. Köhler,

Machaèová, Hodinová-Spurná, Kliment, Vodièka,
Œliwka, Beuer, Kosik, Borkaòuk, Schmidke,
Široký, Synek, Dr. Jar. Dolanský, Nepomucký,
Klima, Vallo, Zupka, Kopriva, Dölling, Šverma,
Slanský,

Pùvodní znìní ad 552/II.

Interpellation

des Abgeordneten Ing. Franz Karmasin

an den Minister für Vereinheitlichung
der Gesetzgebung und Verwaltungs-
organisation,

betreffend die Leistungen seines Ressorts.

Mit dem Gesetze wom 22. Juli 1919, Slg. 431,
wurde das Ministerium für Vereinheitlichung der
Gesetzgebung und Verwaltungsorganisatitpn ge-
schaffen. Dieses Ministerium ist berufen, die Ver-
einheitlichung der Gesetze und der Verwaltung
im ganzen Staatsgebiete vorzubereiten; insbeson-
dere auch die Ausbildung einer einheitlichen èecho-
slovakischen Terminologie. Das Gesetz erklärt
dieses Ministerium ausdrücklich als ein bloßes pro-
visorisches Amt, dessen Wirksamkeit mit der Er-
füllung der ihm zugewiesenen Aufgaben endigen
wird.

Die Öffentlichkeit erfährt fast nichts davon,
was dieses Ministerium bisher gearbeitet hat. Die
Interpellanten sind überzeugt, daß das Ministe-
rium lediglich infolge Arbeitsüberbürdung bisher
noch nicht in der Lage war, der Öffentlichkeit
einen umfassenden Bericht über seine bisherige


21

Tätigkeit vorzulegen und lediglich finanzielle
Rücksichten es sind, die das Ministerium daran
hindern, in einem eigenen Kundmachungsorgan
fortlaufend über seine Leistungen zu berichten und
damit die Gerüchte zu zerstreuen, daß die Be-
setzung dieses Ministeriums nicht aus Gründen der
Staatsnotwendigkeit, sondern aus parteipolitischen
Erwägungen zu erfolgen pflegt. Die Öffentlichkeit
interessiert es vor allem, wieviele Jahre das Mi-
nisterium voraussichtlich noch brauchen wird, um
seine im Sinne des Gesetzes als provisorisch ge-
dachte Tätigkeit zu beenden. Wir stellen daher an
den Herrn Minister für Vereinheitlichung der Ge-
setzgebung und Verwaltungsorganisation die An-
frage:

1. Welche Arbeit hat das Ministerium für Ver-
einheitlichung der Gesetzgebung und Verwaltungs-
organisation bisher geleistet ?

2. Von welchen Grundsätzen läßt sich das Mi-
nisterium bei seiner Amtstätigkeit leiten? Wie-
viele Jahre gedenkt das Ministerium seine Amts-
tätigkeit noch fortzusetzen, um den vom Gesetze
als vorübergehend bezeichneten Zweck der Ver-
einheitlichung der Gesetzgebung und Verwaltungs-
organisation zu beenden?

3. Ist der Herr Minister bereit, sich in seiner
Eigenschaft als Minister für Vereinheitlichung der
Gesetzgebung und Verwaltungsorganisation im
Abgeordnetenhaus zu zeigen und ein Exposée zu
erstatten über die Arbeiten seines Ressorts ?

Prag, am 15. Juni 1936.
Ing. Karmasin,

Klieber, Nickerl, Stangl, Ing. Künzel, Frank,
Obrlik, Hollube, Dr. Jilly, Axmann, Dr. Eichholz,
Kundt, Dr. Kellner, Dr. Zippelius, Dr. Peters,
Illing, Fischer, Gruber, Sogl, Ing. Lischka,
Knöchel, Sandner.

Pùvodní znení ad 552/IV.

Interpellation

des Abgeordneten Franz Nìmec
an den Minister für soziale Fürsorge

betreffend das unsoziale Vorgehen bei der
Einreihung in die Ernährungsaktion.

Es ist reichlich bekannt, daß das Landesamt
in Prag die allmonatlich von den Bezirksämtern
angeforderten Beträge für Lebensmittelkarten
an Arbeitslose um ein Bedeutendes herabmindert,
sodaß die Bezirksämter gezwungen sind, ganze
Gruppen von bedürftigen Arbeitslosen aus der
Ernährungsaktion auszuscheiden.

Wie sich diese Maßnahmen der Landesbehörde
in den einzelnen Bezirken und damit an den Ar-
beitslosen auswirken, zeigt folgender Tatbestand:

Die Bezirksbehörde in Komotau geht daran,
alle Arbeitslosen, die das 65. Lebensjahr über-
schritten haben, aus der Ernährungsaktion aus-
zuscheiden und entzieht ihnen damit die primi-

tivste Lebensmöglichkeit mit der Begründung,
daß diese Arbeitslosen nicht mehr als solche anzu-
sehen sind, sondern der Altersversorgung über-
wiesen werden sollen.

Wenn aber in Betracht gezogen wird, daß nur
derjenige Anspruch auf die Überaltertenrente
hat, der am 1. Juli 1926 das 60. Lebensjahr
erreicht hat, also heute 70 Jahre alt sein muß,
und der Versicherungspflicht in der Sozialver-
sicherung nur jene Personen unterliegen, die am
1. VII. 1926 älter als 60 Jahre waren oder welche
die Versicherungspflichtige Arbeit erst nach dem
60. Lebensjahre auszuüben beginnen, so ist es klar
ersichtlich, daß es tausende arbeitslose Menschen
gibt, die wohl das 65. Lebensjahr erreicht haben,
aber noch rüstig genug sind, um einer Arbeit
nachgehen zu können. Diese Menschen haben
weder die Möglichkeit, Arbeit zu finden, noch die
Möglichkeit, die staatliche Überaltertenrente oder
die Altersrente von der Sozialversicherungsanstalt
zu erhalten. Es sprechen täglich bei mir solche
arbeitslose Menschen vor, die zum Ausdruck brin-
gen, daß ihnen auf die alten Tage nichts mehr
anderes übrig bleibt, als wie zum Strick zu
greifen und damit ihrem eigenen und ihrer eben-
falls arbeitslosen Kinder Elend ein Ende zu
setzen. Daß auch die Gemeinden keine Mittel mehr
haben, um diesen armen bedauernswerten Men-
schen zu helfen, braucht wohl nicht erst gesagt
werden.

Der Herr Minister für soziale Fürsorge hat auf
seinen Reisen in das sudetendeutsche Notstands-
gebiet sicher Gelegenheit gehabt, sich von der
dort herrschenden Not und der Wahrheit der von
mir angeführten Umstände zu überzeugen.

Ich richte daher an den Herrn Minister für
soziale Fürsorge die Anfrage, ob er mit diesen
Maßnahmen einverstanden ist und dieses Vor-
gehen billigt und was er zu tun gedenkt, um den
alten Arbeitslosen eine Lebensmöglichkeit zu
geben und sie vor dem Verhungern zu bewahren.

Prag, am 16. Juni 1936.

Franz Nìmec,

Klieber, Obrlik, Dr. Zippelius, Knöchel, Frank,
Ing. Richter, Jäkel, Jobst, Stangl, Kundt, Illing,
Gruber, Dr. Kellner, Fischer, Dr. Jilly, Dr. Hodina,
Wollner, Dr. Peters, Sandner, Dr. Rosche, Ing.
Peschka.

Pùvodní znení ad 552/V.

Interpellation

des Abgeordneten Franz Nìmec
an den Minister für Eisenbahnwesen

wegen ungleicher Bezeichnung der
Stationsnamen.

In zahlreichen Fällen sind die deutschen Be-
zeichnungen der Stationsnamen auf den Bahnhöfen


22

der èechoslovakischen Staatsbahnen in wesent-
lich kleinerer Schrift ausgeführt, als die Namens-
bezeichnungen in èechischer Sprache. Um nur
einige Beispiele herauszugreifen, verweisen wir
auf die Stationsbezeichnungen in Dux, Preschen
und Holschitz-Seestadtl. Der Unterschied der
Größe der Buchstaben ist so bedeutend, daß er
nicht nur mit freiem Auge jedem Reisenden auf-
fällt, sondern auch jedem Fremden, der die Tschecho-
slovakische Republik bereist und der in den Gebie-
ten dieser Stationsgebäude überall die deutsche
Sprache hört, deutlich vor Augen führt, daß hier
in der Èechoslovakischen Republik sogar von einem
Ministerium, das sich vor allem von kaufmänni-
schen Grundsätzen leiten lassen sollte, mit unglei-
chem Maße gegenüber den die Èechoslovakische
Republik bewohnenden Völkern gemessen wird.

Die Èechoslovakischen Staatsbahnen sind nach
dem Gesetze vom 18. XII. 1922, Slg. 404 (Vdg.
Slg. 206/24) nach den Grundsätzen kaufmänni-
scher Gebarung zu führen. Wenn auch das
Oberste Verwaltungsgericht sagt, daß die Bahnen
an das Sprachengesetz nur dort gebunden sind,
wo sie als Behörde Verbote, Gebote oder Vor-
schriften kraft ihres Imperiums an die die Bahn
benützenden Bürger erlassen, so bleibt die Bahn
dennoch auf Grund des genannten Gesetzes ver-
pflichtet, die Sprachenfrage in ihrem eigenen
Wirkungskreise so zu lösen, daß die Lösung den
Grundsätzen der kaufmännischen Gebarung ent-
spricht.

Wie soll aber die deutsche Kundschaft zufrieden
sein, wenn der Herr Minister für Eisenbahnwesen
es duldet, daß untergeordnete Organe mit einer
geradezu gehässigen Taferlpolitik den deutschen
Staatsbürgern vor Augen führen, daß ihre Sprache
nicht als gleichwertig betrachtet wird und daher
auch in jenen Bezirken, wo nicht nur mehr als 20 %
Deutsche wohnen, sondern die Deutschen sogar die
Mehrheit haben, die Stationsnamen wesentlich
kleiner in deutscher Schrift geschrieben werden,
als in Èechischer?! Eine solche Praxis wider-
spricht nicht nur den Minderheitenschutzverträ-
gen, der Verfassung, sondern vor allem auch dem
Gesetze 404/22 (Vdg. 206/24); denn wo bleiben da
die kaufmännischen Grundsätze, wenn die Bahnen
es für richtig halten, die deutsche Kundschaft in
so überflüssiger und empfindlicher Weise durch
Diskriminierung der deutschen Sprache zu kränken
und zu verärgern ?! Man komme hier nicht mit dem
Einwände, es sei zu teuer, die deutschen Stations-
bezeichnungen ebenso groß zu schreiben wie die
(Èechischen! Dieses bischen Farbe, das für die
gleiche Bezeichnung notwendig wäre, hätte man
schon irgendwo im Budget des Ministeriums für
Eisenbahwesen einsparen können. Wenn man z. B.
beim Kostenvoranschlag des Palastes für das Mi-
nisterium für Eisenbahnwesen etwas gespart hätte,
hätte man diesen Mehraufwand ohne weiteres ein-
sparen können, es wäre sogar noch soviel Geld
übrig geblieben, um die Rechtsprechung des Ober-
sten Verwaltungsgerichtes im Ressort des Mini-
steriums für Eisenbahnwesen zu respektieren und
alle Verbots- und Gebotsbezeichnungen z. B. ,,ne-
kuøáci" oder ,,nenahýbejte se ven" auch in deut-
scher Sprache anzubringen, mindestens dort, wo
die Bahnobjekte in Gerichtsbezirken mit minde-
stens 20 % Deutschen liegen, oder dort, wo die Bahn
solche Bezirke durchfährt.

Die jetzige Praxis ist unerträglich. Sie ist nicht
geeignet, die Sympathie der deutschen Kundschaft
für die èechoslovakischen Staatsbahnen zu er-
halten oder zu erhöhen, obwohl diese Sympathie
zum eisernen Bestand der kaufmännischen Kalku-
lation unserer Staatsbahnen gehören müßte. Es ist
hoch an der Zeit, daß der Herr Minister für Eisen-
bahnwesen sich dieser kaufmännischen Aufgaben
der Staatsbahnen bewußt wird und auch die unter-
geordneten Bahnorgane zu vernünftigen kaufmän-
nischen Ansichten erzieht, damit sie bei allem
Respekt vor der èechischen Sprache jede klein-
liche Taferlpolitik gegenüber der deutschen Be-
völkerung unterlassen.

Wir richten daher an den Herrn Minister für
Eisenbahnwesen die Anfrage:

1. Ist der Herr Minister für Eisenbahnwesen be-
reit, die Stationsbezeichnungen auf den Bahnhöfen
in Dux, Preschen und Holschitz-Seestadtl durch ge-
eignete Verfügungen in der Weise abzuändern,
daß die Ortsbezeichnungen in deutscher Sprache
in derselben Größe und derselben Ausstattung, wie
die Bezeichnung in èechischer Sprache ange-
bracht werden?

2. Ist der Herr Minister für Eisenbahnwesen be-
reit, im ganzen Staatsgebiete dafür zu sorgen,
daß überall dort, wo deutsche Ortsbezeichnungen
kundgemacht werden, diese Aufschriften oder
Kundmachungen in derselben Größe und in dersel-
ben Ausstattung angebracht werden, wie in tsche-
chischer Sprache?

3. Ist der Herr Minister für Eisenbahnwesen be-
reit, jede chauvinistische Nichtbeachtung dieses
Grundsatzes untergeordneter Organe disziplinär
zu verfolgen?

P r a g, am 9. Juni 1936.

Franz Nìmec,

Gruber, Klieber, Knöchel, Ing. Richter, Illing,

Jobst, May, Dr. Rosche, Obrlik, Stangl, Kundt,

Ing. Schreiber, Dr. Zippelius, Birke, Sandner,

Sogl, Wollner, Dr. Jilly, Hollube, Wagner,

Axmann.

Pùvodní znìní ad 552/VI.

Interpellation

der Abgeordneten Dr. Franz Hodina und
Josef Jäkel

an den Minister des Innern und den
Justizminister

wegen Verbot des Plakatierens.

Bekanntlich ist die Plakatierung nur dann von
einer behördlichen Bewilligung abhängig, wenn
Druckschriften plakatiert werden. (§ 23 des
Pressegesetzes. )


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Hingegen ist die Plakatierung handschriftlicher
Plakate von keiner behördlichen Bewilligung
abhängig.

Diese primitiven gesetzliehen Tatsachen sind
offenbar manchen Gendarmeriestationen noch
nicht bekannt; denn es ereignet sich immer wie-
der, daß Gendarmen gegen den Aushang oder die
Plakatierung harmloser, handgeschriebener Zettel
einschreiten, die Bevölkerung mit ungesetzlichen
Erhebungen belästigen, ja sogar ohne geringste
gesetzliche Grundlage in solchen Fällen Straf-
anzeigen erstatten.

Wir sind nicht gewohnt, Pauschalverdächtigun-
gen auszusprechen und zietieren sogleich einen
typischen Fall: Die Ortsgruppe der SdP. Krie-
gern, politischer Bezirk Podersam, hielt am Mitt-
woch den 20. Mai 1936 eine Versammlung ab und
hat diese Versammlung ordnungsgemäß bei der
Bezirksbehörde angezeigt. Mitglieder dieser Orts-
gruppe der SdP. verfertigten handschriftlich, also
ohne Zuhilfenahme eines mechanischen oder che-
mischen Mittels und ohne Benützung einer Schab-
lone, drei Plakate. Diese Plakate hatten folgenden
Inhalt: sie waren mit dem handgemalten, kei-
nem Gesetze widersprechenden SdP. -Wappen ge-
schmückt und trugen den Text: ,,Am 20. Mai
1936, 8 h abends Monatsversammlung im Gast-
haus ,,Kaiser" im Saal. Die Ortsleitung. "

Die Plakate wurden von den Mitgliedern der
SdP. in Auslagefenstern angebracht, sie reizten
in keiner Weise auf und gefährdeten auch nicht
die öffentliche Ruhe und Ordnung, sondern dien-
ten dem einfachen Zweck der Einladung zu einer
gesetzmäßig zur Kenntnis genommenen und recht-
zeitig angezeigten Versammlung. Die Versamm-
lung war überdies als öffentliche Versammlung
gemeldet, sodaß die öffentliche Kundmachung, so-
weit es sich nicht um Druckschriften handelte,
ohne Bewilligung gestattet war.

Trotzdem schritt die Gendarmerie in Kriegern
ein und beschlagnahmte sogar die Plakate noch
vor der Versammlung. Sie hat also nicht nur die
Plakate gesetzwidrig beschlagnahmt, sondern in
ungehöriger Weise die Einladung zu einer gesetz-
mäßigen Volksversammlung beschränkt.

In diesem Zusammenhange verweisen wir dar-
auf, daß die von dem Bunde der Sowjetfreunde
verfertigten und sogar auf öffentlichen Plakatie-
rungstafeln angebrachten Plakate noch niemals
beschlagnahmt worden sind.

Die Beschlagnahme selbst ließe sich immer noch
als übereilte, nicht genügend durchdachte Maß-
nahme eines untergeordneten Organes entschuldi-
gen, es läßt sich aber nicht mehr entschuldigen,
daß die Gendarmeriestation Kriegern in krasser
Unkenntnis der preßgesetzlichen Vorschriften,
insbesondere des § 23 des Preßgesetzes (Preß-
gesetz vom 17. XII. 1862, Reichsgesetzblatt Nr. 6
vom Jahre 1863, Fassung nach dem Gesetze vom
15. Oktober 1868, Reichsgesetzblatt Nr. 124) nach-
stehende Strafanzeige an das Bezirksgericht in
Brüx eingereicht hat. Dieses Verfahren wurde
keineswegs eingestellt, sondern der Akt sogar an
das Bezirksgericht Podersam zur Einvernahme
des Franz Schreier als Beschuldigten, abgetreten.
Die Strafanzeige lautet:

,,T VI 498/36 des Bezirksgerichtes Brüx.
Gendarmerieanzeige Kriegern
gegen Franz Schreier, Malermeister in Kriegern,
Zeugen: Ferdinand Kühn, Bäckermeister in Krie-
gern, Josef Kaiser, Gastwirt in Kriegern Nr. 83.

Franz Schreier beging eine Übertretung des
Preßgesetztes dadurch, daß er als Einberufer
einer öffentlichen Versammlung der SdP. in Krie-
gern zwei Plakate aushängen ließ, mit welchen
die Versammlung den Bürgern der Stadt zur
Kenntnis gebracht wurde, ohne daß er um Be-
willigung zur Plakatierung bei der Bezirksbehörde
in Podersam angesucht hat.

Die allgemein zugängliche Versammlung der
SdP. in Kriegern wurde mit Bescheid der Bezirks-
behörde Podersam è 12/167 vom 8. V. 1936 be-
willigt, in welchem Bewilligungsbescheide der Ab-
satz, mit welchem die Plakatierung nach § 23
Preßgesetz bewilligt wird, gestrichen ist.

Die Plakate, welche Angehörige der Partei SdP.
selbst verfertigten, ließ der Einberufer Franz
Schreier hinaushängen und zwar eines in die Aus-
lage des Ferdinand Kühn und das andere in den
Gastlokalitäten des Josef Kaiser im Fenster, so-
daß die Plakate von der Straße gut sichtbar und
lesbar waren.

Die Plakate wurden von uns aus der Auslage
und aus dem Fenster genommen, eines wird der
Anzeige beigeschlossen, wogegen das zweite der
Bezirksbehörde Podersam mit einer Abschrift der
Anzeige übersandt wird.

Franz Schreier, welcher sofort, als er von der
Entfernung der Plakate erfuhr, sich auf unsere
Station begab, verlangte kategorisch Aufklärung
der Gründe, welche uns zur Beschlagnahme und
Abnehmung der Plakate führten, gab an, daß er
in der Aushängung der Plakate nichts gesetz-
widriges sehe, da es sich nicht um gedruckte Pla-
kate handle, sondern um Plakate mit der Hand
geschrieben und gemalt. "

Sowohl die Beschlagnahme der handgeschriebe-
nen Plakate, alch auch die Straferhebungen und
die Unterlassung der sofortigen Einstellung des
Strafverfahrens waren gesetzwidrige Akte; denn
handgeschriebene Plakate, die weder aufreizten,
noch die öffentliche Ruhe und Ordnung verletz-
ten, widersprechen keinem Gesetze und haben un-
beanstandet hängen zu bleiben; denn § 23 Preß-
gesetz bezieht sich nach seinem klaren Wortlaute
nur auf Druckschriften, keineswegs aber auf
handschriftliche Erzeugnisse; dies hat sogar der
Beschuldigte als einfacher Mann gewußt, keines-
wegs aber der Gendarm, der die Beschlagnahme
durchgeführt hat, der verantwortliche Leiter der
Gendarmeriestelle Kriegern, der die Anzeige zu
verantworten hat und der verantwortliche Funk-
tionär der Staatsanwaltschaft in Brüx.

Wir stellen an den Herrn Minister des Innern
und an den Herrn Minister für Justizwesen die
Anfrage:

1. Ist der Herr Minister des Innern bereit, die-
sen Sachverhalt zu erheben?

2. Ist der Herr Minister des Innern bereit, die
Landesbehörden, das Landesgendarmeriekomman-
do, die Bezirksbehörden und die Bezirksgendar-
meriestationen darüber belehren zu lassen, daß
der § 23 des Preßgesetzes nur für Druckschriften,


24

keineswegs für handschriftliche Erzeugnis gilt
und jede extensive Interpretation des Straf-
gesetzes unzulässig ist?

3. Ist der Herr Minister des Innern bereit,
gegen den Gendarm, der die Beschlagnahme
durchführte und gegen den Leiter der Gendar-
meriestation Kriegern das Disziplinarverfahren
einleiten zu lassen?

4. Ist der Herr Minister für das Justizwesen
bereit, gegen den verantwortlichen Beamten der
Staatsanwaltschaft in Brüx, der die Einstellung

des Verfahrens unterlassen hat, das Disziplinar-
verfahren einleiten zu lassen?

Prag, am 13. Juni 1936.

Dr. Hodina, Jäkel,

May, Knöchel, Klieber, Dr. Rosche, Ing. Richter,
Stangl, Sandner, Franz Nìmec, Kundt, Nickerl,
Dr. Zippelius, Dr. Kellner, Obrlík, Illing, Ing.
Künzel, Jobst, Ing. Lischka, Ing. Peschka, Dr. Pe-
ters, Ing. Schreiber.

Státní tiskárna v Praze. - 3630-36.


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