Hohes Haus! Es scheint mir nicht angängig, die Voranschlagsdebatte
dieses Jahres, die im echtesten Sinne des Wortes wieder einmal
politisch geworden ist, vorübergehen zu lassen, ohne die
hier verschiedenerseits vorgetragenen politischen Erörterungen
zum Nationalitätsproblem in ganz grundsätzlicher Weise
zu ergänzen.
Es ist in diesen Tagen sehr viel über die deutsch-èechische
Frage, und zwar über dadas Verhältnis der Bürger
deutscher und èechischer Zunge zueinander, zum Staate,
über das Verhältnis des èechischen Volkes und
des èechoslovakischen Staates zum Deutschtum beziehungsweise
zum Kernstaate der deutschen Nation, zum Deutschen Reich gesprochen
worden. Diese Debatte hat, so sehr man im einzelnen in den Auffassungen
auseinandergehen mag, so sehr man über diese oder jene Meinung
oder Behauptung streiten kann und streitet, der Welt erneut gezeigt,
daß es ein deutsch-èechisches Problem als vitales
Problem des Staates gibt. Denn naach all den Deklarationen bei
früheren Anlässen von Ihrer Seite, meine Herren Kollegen
von der èechischen Seite, wurden nun gerade Ihrerseits
jene Feststellungen gemacht, die den Charakter des Nationalitätenproblems
im Nationalitätenstaat als eines vordringenden politischen
Problemes erwiesen haben. Die Kürze der mir zur Verfügung
gestellten Zeit zwingt mich, mich auf diese Feststellung zu beschränken,
obwohl der Nachweis dieser meiner Behauptung im gleichen Maße
reizvoll und im gewissen Sinne notwendig wäre.
Wenn Sie, meine Damen und Herren von der èechischen Seite,
in früheren Zeiten vom Nationalitätenproblem sprachen
und durch Beteuerung Ihres guten Gewissens in der Minderheitenpolitik
dargetan haben, daß es im Staate höchstens Nationalitäten,
aber kein Nationalitätenproblem als Staatsproblem gibt, so
haben Sie diesmal durch die Feststellung dessen, was für
Sie selbst vital geworden ist, die Existenz des Problems im Sinne
unserer Auffassungen vor aller Welt deklariert. Und das ist, so
paradox es klingen mag, der Fortschritt. Wir sind Zeugen des unaufhaltsamen
geschichtlichen Prozesses des Wirksamwerdens der Nationalitäten
im Aufbau des Nationalitätenstaates im Zuge der Veränderungen
politischer Machtverhältnisse.
Wir konstatieren dies keinesfalls etwa aus Schadenfreude. Wir
stellen bloß fest, was ist: Nachdem es aber nun einmal so
weit ist, wird es zur moralischen und politischen Pflicht, in
der nüchternsten Weise die eindeutigsten Feststellungen zu
treffen, die allein in ihrer Art dem Durchbruch politischer und
praktischer Vernunft zu dienen vermögen, auch vielleicht
dann, wenn sie von Ihnen, meine Herren Kollegen auf der èechischen
Seite, schmerzlich empfunden werden mag, von lhnen, für die
die Erkenntnis gleichbedeutend ist mit opfervollem Verzicht, sofern
Sie aus der Erkenntnis der geänderten Lage praktische Folgerungen
zu ziehen geneigt sind.
Hohes Haus! Ich habe im Vorjahre im Budgetausschuß mich
in sehr offener Weise mit dem staatspolitischen Sinne uns eres
grundsätzlichen Rechtskampfes auseinandergesetzt. Um darzutun,
in welch em Maße unsere Linie seit Jahr und Tag ebenso einheitlich
und aufrichtig,. wie in Ansehung des faktischen Charakters des
Staates als eines Nationalitätenstaates konstruktiv ist,
darf ich an einige Gedanken und Feststellungen erinnern, die ich
vor Jahresfrist vorzubringen hatte.
In dem damaligen Zusammenhange war ich ausgegangen von der Funktion
des Rechtes im Staate der Moderne und ich hatte im besonderen
hinweisen müssen auf die Bedeutung der Funktion des Rechtes
im Staate, der noch in unserer Zeit als Besonderheit eine Vielfältigkeit
von Nationalitäten aufweist, aus deren Gesamtheit erst das
tragende personelle Staatselement erwachsen soll, das eine überkommene
Staatslehre als "Staatsvolk" bezeichnet. Denn unser
Staat, von Ihnen, meine Herren von der èechischen Seite,
als Nationalstaat gesehen und gewollt, zur Zeit deshalb auch èechoslovakisch
genannt, ist in Wahrheit Nationalitätenstaat, in dem im Widerstreit
der aufspaltenden wirtschaftlichen und sozialen Differenzen die
Dissonanz gesellschaftlicher Spannungen ve rmehrt wird um die
Komponente wirksamgewordenen Nationalbewußtseins der Nationalitäten,
die eben aus unterschiedlichem Lebensrythmus und Weltbild in immer
stärkerem Maße ihr Dasein anmelden und damit Anforderungen
an Gegenwart und Zukunft stellen.
Die natürlichen bevölkerungsmäßigen Tatsacb
en sind und bleiben nicht nur Tatsachen ethnographischer Art,
sondern sie werden zur Quelle neuer und elementarer Dynamik, weil
in einem Zeitpunkte höchster Demokratisierung das Gemeinschaftsbewußtsein
der sich selber in kultureller Eigenart bewußtgewordenen
Kollektiva, der Nationalitäten, der nationalen Volksgruppen,
in Erscheinung getreten ist.
Ich hatte weiter konstatiert, daß dem nun einmal so ist,
wenn man Ihrerseits, meine Herren von der èechischen Seite,
auch lange genug den Kopf in den Sand gesteckt hat, und ich hatte
schon im vorigen Jahre mit aller Offenheit erklärt, daß
der Staatspositivismus einer Volksgruppe vom Range der Deutschen
notwendig das Ende aller èechischen Nationalhoffnungen
im überkommenen Sinne eines kleinbürgerlichen Nationalismus
sein muß.
Hiezu konstatiere ich, daß dem auch heute erst recht so
ist und bleibt, trotz des Walles aus Beton und Eisen, den Sie
seither an der Grenze des Staates errichtet haben, trotzdem eingetreten
ist, was wir vorausgesagt haben, insoweit als das deutsche Siedlungsgebiet
im Staate seine Zone minderen Rechts geworden ist, trotzdem Sie
einen Sondersektor öffentlichen Rechtes aus dem Titel des
Staatsverteidigungsgesetzes und der Militärverratsnovelle
entwickeln konnten, der erfüllt ist von einer unheimlichen
und unheilsvollen Mechanik, [ ].
Dem gegenüber habe ich in nüchterner leidenschaftsloser,
aber deshalb nicht weniger realer Erfassung dessen, was ist, nur
entgegenzuhalten, was ich ebenfalls im Vorjahre gesagt habe: Die
Dynamik, die aus den bevölkerungs- und nationalitätenmäßigen
Voraussetzungen des Staates erfließt, ist elementar. Sie
kann von wahren Staatsmännern nur erkannt, anerkannt und
zum Besten des Staates nutzbar gemacht werden. Den Ängstlichen
und Zaudernden auf èechischer Seite sagen wir, daß
es zum modernen Menschen eben gehört, daß ihm die Bewährung
in einer sinnvollen Aufgabe wichtiger ist als die Rebellion; daß
aber andererseits dort, wo zur Verantwortung berufene Staatsführung
es zuläßt, daß für denkende selbstbewußte
Menschen das Leben sinnlos wird, weil sie es nicht mehr aus ihrer
arteigenen Voraussetzung leben können, im Laufe jeder gesellschaftlichen
Entwicklung staatliche Zersetzung, [ ] und Chaos stehen.
Daran, und das füge ich heute hinzu, kann auch die Entwicklung
stärkster Macht nichts ändern. Verkrampfung natürlicher
Entwicklung ausschließlich von der Macht her, kann nur Entwicklungen
hemmen, sie kann unter Einsatz von Macht als Mittel staatspolitischer
Verlegenheit konsequent durchgeführt nur das Maß der
Opfer, das Maß des Unglücks bis zur Sinnlosigkeit vergrößern,
geschichtlichen Prozeß zu hemmen vermag sie niemals.
Wer diese Tatsache übersieht, mag vorübergehend Rückgefühlen
politischer Art dienen; Humanität als praktische Verantwortung
vor Kind und Kindeskindern, vor seinem Volke, vor Gott und vor
der Geschichte verrät er. Haß aber, wie er spürbar
seit Jahr und Tag von gewissen Faktoren verbreitet wurde und wird
gegen alles, was natürliches Recht auf Seiten der Nationalitäten
mit Konsequenz in unverjährbarem Anspruch anmeldet, kann
nur die Dinge vollends zum Schlimmern wenden. Ich war vor Jahresfrist
in einem speziellen Punkte besonders deutlich und offen und ich
habe keine Veranlassung, es heute weniger zu sein. Wenn im Jahre
1918 und in den Jahren darnach viel von èechischem Nationalstaat
gesprochen worden ist, geschah das mit gutem Grunde.
Staat ist von den Menschen gesehen, die ihn tragen wollen, ein
Gradbegriff; gesehen von den Menschen her einerseits, die diesen
Staat nach seiner Gründung unter keinen Umständen tragen
wollten und gesehen andererseits von den Menschen her, die ihn
unter allen Umständen rein machtpolitisch zu tragen bereit
waren, war der èechoslovakische Staat Nationalstaat. Ich
glaube, viele der slovakischen Kollegen neigen allerdings dazu,
mir Recht zu geben, wenn ich sage, vielleicht fast nur èechischer
Nationalstaat.
Das hat sich zwangsläufig in dem Maße geändert,
in dem die Angehörigen der Nationalitäten sich mit der
Tatsache der neuen Staatlichkeit abgefunden haben und dafür
aber nun den Staat als ihren Staat mit in Besitz zu nehmen sich
anstellen.
Und darum heißt es: wenn wir Deutschen mit der heute gegebenen
Staatlichkeit auf dem Boden der sogenannten historischen Länder
Böhmen, Mähren und Schlesien uns abfinden, dann muß
man uns die Möglichkeit geben, teilzunehmen an jener Staatlichkeit,
nicht als Untertan, sondern gestaltend und mittragend (Potlesk
poslancù sudetskonìmecké strany.), aus
dem ebenso anspruchsvollen, wie leistungsfähigen Bewustsein
von Menschen, die reif geworden sind zu politischem Handeln. Deshalb
muß man mit uns den Staat teilen, neu ordnen auf der Grundlage
machtmäßiger Neuordnung.
Und damit komme ich zu Feststellungen unter zwei Gesichtspunkten,
die zur Vermeidung allen Mißverständnisses gerade im
Zuge dieser Voranschlagsdebatte, zu diesem Zeitpunkt und von hier
aus neu gemacht werden müssen. Zum ersten: Es ist in diesen
Tagen in Fortsetzung der politischen Gespräche dieses Jahres
wieder viel von Proporz gesprochen worden und es ist so getan
worden, als ob Proporz am Anteile an Beamtenschaft und an den
zur Verteilung gelangenden Mitteln öffentlicher Hand unsere
Kardinalforderung wäre, die zu befriedigen wäre und
die Sie, meine Herren von der èechischen Seite, wenn auch
schweren Herzens zu befriedigen im Begriffe stehen.
Hier scheint mir ein schwerwiegender Irrtum aufzukommen. Deshalb
sei auf alle Fälle konstatiert: Proporz an sich ist ein quantitatives
und formales Prinzip. Als solches ist er an sich nicht ohne weiteres
tauglich zur Lösung von Problemen, die aus dem gesellschaftlichen
Leben erwachsen, deren Eigenheit gegründet ist in natürlicher
elementarer gesellschaftlicher Dynamik, wie ich vorher ausgeführt
habe, die als solche nur erkannt und gestaltet werden kann oder
nicht. Auch der Proporz als formales Prinzip exakt verwirklicht
könnte für Sie zunächst nur ein bestechendes und
wirksames Argument werden. Zufriedengestellt könnten wir
unter diesen Voraussetzungen niemals werden. Das sei gesagt, damit
Sie nicht einmal uns den Vorwurf machen können, wir hätten
Sie im Unklaren gelassen und seien unehrlich gewesen.
Was kann Proporz heißen? Proporz kann heißen - und
so meinen Sie es auch in Ihrer Praxis - daß deutsche Beamte
und Angestellte im Staate nach Maßgabe des Bevölkerungsschlüssels
anzustellen sind und daß in eben derselben Weise die Mittel
der öffentlichen Hand zugunsten auch der deutschen Nationalität,
der deutschen Volksgruppe zur Ausschüttung gelangen. Wir
sagen: das sowieso. Aber mit sehr zweckhaftem und unwandelbarem
Ziel: nämlich um damit den gesellschaftlichen Organismus
der Nationalitäten als einen maximal entwickelten und entwickelbaren
wirtschaftlichen und kulturellen Organismus zu fördern.
Es tut mir unendlich leid, daß mangelnde Sprechzeit es mir
unmöglich macht, hier so konkret zu werden, daß Ihnen
für alle Zeiten jeder Rückzug auf Mißverständnisse
unmöglich wird. Vielleicht aber vermag eine Feststellung
die Situation eindeutig zu klären. Der gesellschaftliche
Aufbau unserer Volksgruppe als kultureller Organismus, somit als
eine kulturtragende und ständig von neuem kulturschaffende
und kulturentwickelnde gesellschaftliche Realität, hat sich
seit dem Jahre 1918 grundlegend geändert. Wir sind nicht
nur ökonomisch, wir sind auch kulturell in unserem gesellschaftlichen
Leben überhaupt unverhältnismäßig arm geworden.
Es ist so, daß der Angestellte, der Beamte im Staate unserer
Zeit und vor allem in einer Gesellschaft, die von hausaus nicht
allzu reich ist und deren Angehörige zum großen Teil
in engsten wirtschaftlichen Verhältnissen leben, als Kleinbauern,
als Arbeiter, neben seiner beruflichen Funktion die besondere
gesellschaftliche Funktion des richtunggebenden Kulturfaktors,
des kulturellen Führers hat.
Indem Sie uns diesen Faktor genommen haben, haben Sie uns arm
gemacht. Wenn wir immer wieder rufen müssen, 40.000 deutsche
Staatsbeamte zu wenig, dann denken wir zuletzt an das Materielle,
an die Milliardenbeträge, die Sie uns ungeachtet unserer
Steuerleistungen vorenthalten, sondern dann denken wir in erster
Linie an die klaffenden Lücken, die Sie in kulturell zivilisatorischer
Hinsicht in unsere Volksgruppe gerissen haben. Dann melden wir
leidenschaftlichen Protest an, nicht aus materiellen Erwägungen,
sondern aus den tiefsten Quellen eines Ethos, das nichts zu tun
hat mit jenem kleinen bürgerlichen Nationalismus, aus dem
heraus eine priviliegirte Hetzpresse Ihres Volkes meine Herren
aus dem èechischen Lager, täglich Ihre Menschen verhetzen
darf. Nein! Dann haben wir das Ethos für uns, das aus den
Hintergründen echtester humanitärer Gesinnung, die als
praktischpolitische Verantwortung für den Fortschritt der
Menschheit empfunden wird, erwächst. Deshalb, meine Herren,
nicht Proporz in dem Sinne, daß Sie uns deutsche Beamte
in Èáslav oder Hradec Králové geben.
Geben Sie uns die deutschen Beamten wieder, die für unsere
Bauern, unsere Arbeiter, unseren gewerblichen Mittelstand als
kulturelle Führer zu dienen vermögen. (Potlesk poslancù
sudetskonìmecké strany.) Geben Sie uns in unserer
deutschen Heimat die Beamten wieder, die über ihre engste
beruflich technische Aufgabe hinaus in ihrer Berufsausübung
endlich wieder die ökonomischen und sozialen Nöte unserer
Heimat sehen, die aus beruflichem Können und aus echtem Beamtenethos
heraus die gesellschaftlichen Angelegenheiten unserer deutschen
Heimat ernsthaft verwalten, statt in allen Zweigen der Verwaltung
nur den Polizeimann im Sinne seiner unangenehmsten Seite der rücksichtslosen
und nie konstruktiven Machtübung zu spielen; sei es, daß
man statt dem Gewerbetreibenden mit Rat und Tat vorwärts
zu helfen, die nach freiem Ermessen zulässige Höchststrafe
für lächerliche Ordnungswidrigkeiten aufdiktiert, sei
es, daß man so verfährt in Angelegenheiten der Baupolizei,
der Verkehrsordnung oder irgendeines spezifischen Sektors unserer
Verwaltung.
Meine Herren von der èechischen Seite, das und nichts anderes
ist die politische Forderung, die wir aus echten gesellschaftlichen
Nöten unserer Volksgruppe erheben und erheben müssen,
für alle Zukunft, das ist der Hintergrund unserer Autonomieforderung,
mit der Sie sich auseinandersetzen müssen, wie immer unter
zeitbedingten Notwendigkeiten und Möglichkeiten, technische
Möglichkeiten der Selbstverwaltung für uns gesucht und
gefunden werden mögen.
Damit habe ich eigentlich auch schon zum zweiten etwas angedeutet,
was hier festzustellen ist. Nicht im Rahmen dieser Debatte, aber
zeitlich gleichlaufend hat unser Herr Außenminister Dr.
Krofta auch etwas zur Innenpolitik gesagt. Das sei ihm
an und für sich nicht übel genommen, weil unser Herr
Außenminister ein Mann von so außergewöhnlicher
Bildung und eine so ausgeprägte respektwürdige Persönlichkeit
ist, daß es eine Banalität wäre, ihm etwa unter
formalem Hinweis auf seine amtsmäßige Kompetenz zu
sagen: Schuster bleib bei deinem Leisten! Das möchte ich
ausdrücklich feststellen. Aber es ist außerordentlich
bedauerlich, daß der Herr Außenminister Dr. Krofta
den Historiker Professor Dr. Krofta, noch dazu in dieser
Art einen Mann von großem Rang, offenkundig daheim vergessen
hat. Unser Herr Außenminister hat am 11. November erklärt,
daß dem Wunsche des Herrn Präsidenten-Befreiers, des
Herrn Staatspräsidenten und des Herrn Ministerpräsidenten
gemäß die Frage unserer Minderheiten nur eine technisch-rechtliche
Frage werden möge, die des politischen Charakters entbehre.
Gestatten Sie für heute und an dieser Stelle die Behauptung,
daß die Berufung auf den Herrn Altpräsidenten unbegründet
ist.
Gewiß, der Mann, der heute der Geschichte angehört,
hat in einem langen Leben zu verschiedenen Zeiten verschiedenes
gesagt und verschiedenes sagen müssen. Auffassungen jedoch
herauszustellen, wie sie der Herr Außenminister gebracht
hat, heißt das Andenken an diesen großen Mann schmälern.
Geben Sie mir Zeit und ich werde Ihnen aus den Schriften T. G.
Masaryks nachweisen, daß er Volkstum als ursprüngliche
tragende gesellschaftliche Kraft anerkannt hat und daß er
ebenso die Entwicklung des Volkstums als Zweck und Ziel der organisierten
gesellschaftlichen, somit der staatlichen Tätigkeit, anerkannt
hat, auch für die nationalen Minderheiten. Ebenso aber kann
ich nicht glauben, daß die Formel des Herrn Außenministers
die Formel des Soziologen Dr. Eduard Beneš, der als
Staatspräsident hier aus Gründen parlamentarischer Courtoisie
außer Diskussion bleiben muß, wie des Soziologen Dr.
Milan Hodža ist. Von letzterem erwarten wir, daß
er nicht verfehlen wird, als Ministerpräsident hier die notwendigen
Klarstellungen noch im Zuge dieser Voranschlagsdebatte zu treffen.
Ich habe eingangs eingehend dargetan, warum das Nationalitätenproblem
zwangsläufig ein eminent politisches Problem ist, ja warum
es das Zentralproblem und damit das vordringende politische Problem
des Staates ist. Das Minderheitenproblem im Staate könnte
nur dann ein technisch-rechtliches Problem sein und als solches
behandelt werden, wenn vom Politischen her die Rechte der Minderheit
eindeutig abgesteckt wären. Das aber weisen wir Ihnen ja
seit Jahr und Tag nach, daß ein unerhörter Zwiespalt
besteht, zwischen dem normativen Verfassungszustand, insoweit
er in der Verfassung die Prinzipien der Gleichheit und der echten
kulturellen Entwicklungsfreiheit auf Grund der arteigenen gesellschaftlichen
Voraussetzungen des Einzelnen, nämlich seiner angeborenen
nationalen Zugehörigkeit verheißt, und zwischen den
faktischen Verfassungszuständen als jener Unsumme fachlicher
Entscheidungen und Handlungen der formalen und faktischen Repräsentanten
des Staates aus dem Titel der Staatshoheit heraus, die Tag für
Tag programmatisch und faktisch so erfolgen, als ob der Staat
lediglich eine èechische Angelegenheit und für èechischeZwecke
vorhanden wäre. Damit nämlich wurde jenes faktische
Syst em geschaffen, das wir als Syst em der Unfreiheit, ja der
Persekution empfinden, und laut und vernehmlich als solches bezeichnen
müssen.
Ich konstatiere gerne, daß nicht nur Angehörigen der
Regierungsparteien es möglich wird, schreiendste Erscheinungen
und Tatsachen unserer Verwaltungspraxis durch Intervention an
zuständiger Regierungsstelle zur Abstellung zu bringen. So
ganz ist die Überlieferung der Rechtstaatlichkeit aus dem
konstitutionellen Kaiserstaat noch nicht verloren gegangen. Entscheidend
ist aber nicht, ob ich oder einer meiner Freunde von dem oder
jenem Regierungsmitglied auch gehört werden, wenn wir mit
einer handgreiflichen Unmöglichkeit aus dem Alltag unseres
öffentlichen Lebens kommen. Das muß eine Selbstverständlichkeit
sein und bleiben. Das Problem besteht darin, ob wir zu einem Zustand
des öffentlichen Lebens kommen können, in welchem wir
bei selbstverständlich technisch bester Administration, hier
im weitesten Sinne des Wortes gemeint, maximale kulturelle Entwicklung
unserer Nationalität als eines Kollektivums auf der Grundlage
vorhandener Fähigkeiten, des Fleißes, kurzum bester
bürgerlicher Tugenden gewährleistet bekommen. Dazu aber
bedarf es der Schaffung der politischen Voraussetzungen im Sinne
jener Strukturwandlungen im verfassungsmäßigen Zustand
unseres Staates, die darauf hinauslaufen, daß Sie, meine
Damen und Herren von der èechischen Seite, zum Besten des
Staates den faktischen Einfluß im Staate, damit den Staat,
mit den Nationalitäten, vulgo gesprochen mit uns, so teilen,
daß wir des staatlichen Lebens auch teilhaftig werden.
Erst von da ab wird das Minderheitenproblem ein technisch-rechtliches
Problem im Sinne bester, zweckmäßiger und gerechtester
Administration sein können und nicht früher. Schaffen
Sie diese politischen Voraussetzungen und wir werden gerne mit
Ihnen eintreten in einen leidenschaftlichen Wettbewerb zum Besten
des so neu geordneten Staates im ererbten böhmischen Raum,
zum Besten Ihres Volkes, unserer Volksgruppe und all der Nationalitäten,
die nun einmal die bevölkerungsmäßige Voraussetzung
des Staates bilden und für alle Zukunft bilden werden. (Potlesk
poslancù sudetskonìmecké strany.)