das Interesse der öffentlichen Ordnung und Ruhe. Die Bezirksbehörde in Kommotau, bezw. deren Vorsteher Dr. Wagner, wissen also bereits im Vorhinein, daß eine jede Versammlung, die vom Verband proletarischer Konfessionsloser einberufen ist, die Interessen der öffentlichen Ordnung und Ruhe bedroht und lassen sich daher Formulare auf Vorrat anfertigen. Schon aus dieser Tatsache ist ersichtlich, daß die Behörde gar nicht an eine ernste und objektive Prüfung der Eingaben denkt, sondern grundsätzlich mit Verboten vorgeht.
e) Das Bezirksamt in Chotìboø verbat mit Bescheid Nro. 4790 vom 9. Feber 1932 eine öffentliche Versammlung mit dem Thema: Kulturaktion und religiöse Erziehung mit der Begründung, es bestehe der berechtigte Eindruck, daß es sich um eine nicht im Rahmen der Statuten vorgesehene Versammlung handelte. Davon zeuge unter anderem auch der Text der Einladungen zu dieser Versammlung, der folgendermaßen lautet »Allen Arbeitern und Arbeiterinnen von Sotinau und Umgebung! Eine öffentliche Versammlung aller Werktätigen wird im Gasthaus des Herrn Bøíza am Sonntag, den 14. Feber um 7 Uhr Abends mit dem Programm: Proletarische Kulturaktion, und religiöse Erziehung stattfinden. Wir fordern alle Arbeiter und Arbeiterinnen auf, sich an dieser wichtigen Versammlung in voller Zahl zu beteiligen. Es referiert Gen. Nejedlo aus Prag. Verband proletarischer Konfessionsloser, Ortsgruppe Chotìboø. «
Selbstverständlich wurde gegen diesen vollkommen ungesetzlichen Bescheid der Rekurs an das Landesamt in Prag eingebracht, der mit Zahl 105. 344 vorn 23. März d. J. abgewiesen wurde, wobei es in der Begründung ausdrücklich heißt:
»Man muß auch die Berufung des Bezirksamtes auf die Einladungen zur Versammlung als vollkommen begründet ansehen, weil die beiliegenden Einladungen ausdrücklich an die Arbeiter und Arbeiterinnen gerichtet waren, obwohl die Mitgliedschaft der Ortsgruppe des Verbandes proletarischer Konfessionsloser in Chotìboø im Sinne ihrer Statuten nicht an die erwähnte Klasse der Bevölkerung gebunden ist. Es lassen sich daher die Einwände Ihrer Berufung als Grund für die Einwandfreiheit der von Ihnen gemeldeten öffentlichen Versammlungen vom Standpunkt der öffentlichen Ordnung und Ruhe, daß es sich um ein Programm rein kulturellen Charakter« betreffend die religiöse Erziehung der Jugend und daß es sich nur um die Erfüllung des Vereinszweckes gehandelt hat, nicht aufrechterhalten, denn es läßt sich mit dem Zwekke eines rein kulturellen Vereinsvortrages, der alle Personen ohne Unterschied des Standes vereinigt, der Umstand nicht vereinbaren, daß auf die öffentliche Versammlung, die als kulturell bezeichnet wird, besonders ausdrücklich Arbeiter und Arbeiterinnen geladen werden.
Hier wird also einer proletarischen Organisation ausdrücklichl bedeutet, daß sie nicht das Recht hat, sich gerade an jene Schichten zu wenden, deren Organisation ihr eigentlicher Zweck ist. Eine solche unerhörte Niedertrampelung der primitivsten Rechte der Arbeiterschaft, die sie sich bereits im
alten Österreich voll und ganz erkämpft hat, durch ein sogenanntes demokratisch-republikanes Landesamt in Prag stellt den Gipfel der bürokratischen Anmaßung gegenüber der Arbeiterbewegung dar.
f) Daß es sich bei allen Verboten aus Gründen der angeblichen Überschreitung des Wirkunsgkreises der Statuten lediglich um einen Vorwand zur Einstellung der Tätigkeit des V. p. K. überhaupt handelt, geht aus dem Bescheide der politischen Bezirksverwaltung in Leitmeritz hervor, die eine öffentliche Volksversammlung in Lobositz im Vorjahre mit der Tagesordnung »Was ist und was will der Verband der proletarischen Konfessionsloser?« mit der Begründung verbot, daß dieser Anlaß zu politischen Kundgebungen ausgenutzt werden könnte. Diese Begründung ist derart fadenscheinig, daß sie offen die Absicht und Parteilichkeit der Behörde erkennen läßt. Denn mit der Vermutung, es könne eventuell eine Versammlung zu einem anderen Zwecke ausgenützt werden, läßt sich schließlich und endlich eine jede Versammlung ohne Unterschied verbieten.
g) Der gleiche Nachweis, daß es sich um ein System der Persekution handelte, kann mit dem Bescheide des Bezirksamtes in Litomyšl geführt werden, der eine für den 12. Oktober 1931 nach Litomyšl einberufene öffentliche Kundgebung auf dem Marktplatz mit Berufung auf die Statuten des V. p. K. verbot, da Versammlungen unter freiem Himmel nach Meinung dieser Behörde nur von rein politischen Korporationen einberufen werden können.
3. ) Die diversen Begründungen für das Verbot öffentlicher Volks- und Vereinsversammlungen, die sich auf den angeblich politischen Charakter derselben beziehen, stellen, nur den Vorwand für die systematische Persekution der proletarischen Freidenkerbewegung dar. Dies geht vollkommen klar daraus hervor, daß die Bezirksämter und Polizeikommissariate bereits systematisch daran gehen, Lichtbildervorträge sowie die ganze Bildungsarbeit des Verbandes unmöglich zu machen, worüber wir nachstehend aus der Fülle von Fällen nur einige besonders krasse Beispiele anführen:
a) Die Bezirksbehörde in Nemecký Brod verbot Vorträge in Deutsch-Schützendorf und Polná mit Bescheid Nro. 4589/32 vom 9. Feber 1932 über das Thema «Der Fünfjahrplan an der Kulturfront« unter Berufung auf die Bedrohung der öffentlichen Ruhe und Ordnung.
b) Mit der gleichen Begründung wurde von der Bezirksbehörde in Göding Z. 2552 vom 7. April 1932 ein Lichtbildvortrag mit dem Thema »Aus der Geschichte des Papsttums verboten.
c) Das Bezirksamt in Iglau verbot mit Z. 10. 900/ 3 vom 18. März 1932 einen Lichtbildvortrag über die spanische Inkvisition mit der Begründung, daß der Inhalt der Vorträge außerhalb des Wirkungskreises des Verbandes proletarischer Konfessionsloser fällt, der im § 3 und 4 seiner Statuten umrissen ist. Eine derartige zynische Verhöhnung der proletarischen Konfessionslosen, die nach Meinung
des Bezirksamtes in Iglau nicht einmal über ein Thema sprechen dürfen, das ganz selbstverständlich in den Wirkungskreis ihrer Aufklärungsarbeit fällt, beweist, daß es sich nicht mehr um einzelne Übergriffe von Bezirkshauptleuten, sondern um ein geschlossenes System kultureller Reaktion handelt, das systematisch jede Aufkläruagstätigkeit der proletarischen Konfessionslosen verhindern will.
d) Das Bezirksamt Prag-Land verbot mit Zahl 741/C vom 24. März 1932 der Ortsgruppe in Kojetice die Veranstaltung einer Kindertheatervorstellung des Stückes von Lev Tolstoj »Wie Ivan Zar wurde« und »Gaukler Kapital« von Lahùlek Faltys mit der Begründung, daß die Zuhörerschaft, besonders die Jugend, dadurch Schaden leiden krönte.
e) Das Bezirksamt in Göding verbot mit Zahl 9886/III vom 22. Dezember v. J. einen Lichtbildervortrag mit dem Thema: »Kirchenabbruch in der U. d. SSR. «, der ebenso wie alle vorher angeführten bereits durch mehrere Zensurbehörden bewilligt war, mit der Begründung der bedrohten Ruhe und Ordnung.
f) Dasselbe Bezirksamt, welches konsequent in Verbietung jeder Bildungstätigkeit ist, verbot eine vom 26. März bis 1. April d. J. in Lundenburg und Umgebung geplante Lichtbilder-Vortragsreihe über das Thema: »Die große französische Revolution«. Diese Vortragsreihe, die gleichfalls unter Berufung auf die famose »Bedrohung der öffentlichen Ordnung und Ruhe« verboten wurde, ist der staatlichen Diapositivzentrale des Ministeriums für öffentliche Bildung beim Masaryks-VolksbildungsInstitut in Prag entliehen und überdies von der Prager Polizeidirektion mit Zahl 310516 vom 29. November 1926 voll freigegeben worden. Schon aus diesem Verbot geht einwandfrei die Voreingenommenheit der politischen, Behörden gegen den Verband hervor und dasi konsequente System der Persekution desselben, wobei die diversen »Begründungen« der Verbote nur Vorwände für die de facto durchgeführte Herausdrängung der V. p. K. aus der Legalität.
4. In besonders krasser Weise aber wirkt sich die Zensur der Polizeidirektion in Prag an dem Text von (Lichtbildervorträgen aus, wobei z. B. in einem Bescheid Z. 132722 vom 12. April 1932 ein Vortrag über Karpathorußland an folgenden Stellen zensuriert wurde: Gestrichen werden mußte der Satz: »ähnlich wie andere Städte des früheren Ungarns«, das Wort »Die Juden« darf überhaupt nicht vorkommen. »Ungarisch gennant Akna Slatina«, »daß ist das Thal des Moores«, »Heute, wo in der Hoffnung auf eine freie Entwicklung das Karpathenland zu einem Bestandteil unserer Republik wurde, wo hunderttausenden Russinen auf einem tiefen Kulturniveau stehen, sich um Hilfe und Unterstützung an ihre stärkeren und fortschrittenen Brüder wenden, stehen wir vor schweren Aufgaben ihnen gegenüber. » Das Wort »früher versklavt« u. s. w. u. s. w.
Aus der von uns hier angeführten Reihe von Persekutionsfällen gebt demnach hervor, daß in einer Zeit, in der gerade die konfessionellen Organisationen eine rein politische Tätigkeit entfalten und im verstärkten Maße an die Öffentlichkeit treten, jede Willensäußerung der proletarischen Kon-
fessionslosen unterdrückt wird. Der V. P. K., der die größte Konfessionslosenorganisation dieses Staates ist und hinter welchem viele Hunderttausende nichtorganisierter Konfessionsloser stehen, soll mundtot gemacht werden; wiederholt wurden bereits Referenten dieses Verbandes ohne gesetzliche Begründung verhaftet und lagelang in Haft gehalten, wie z. B. der Sekretär des Verbandes Josef Richter in Brunn, der ehemalige Mönch und jetzige Referent Karl Vesely und viele andere. Sogar die innere organisatorische Tätigkeit des Verbandes, die sich nach den bewilligten Statuten abwickelt, wird in gröbster Weise verhindert.
In M. -Ostrau wurde im Feber I. J. eine ordnungsgemäß § 19 der Statuten einberufene Gebietskonferenz durch die dortige Staatspolizei auseinandergetrieben. Wiederholt wurden Plenarversammlungen des Verbandes ohne weitere Begründung als angeblich illegale aufgelöst, wie z. B. in Prag-Liben. Auf Grund des § 2 des Vetrsammlungsgesetzes einberufene Versammlungen werden systematisch durch Gendarmerie belästigt und ihr Verlauf gestört, wie z. B. am 22. April d. J. in einer Versammlung in Höflitz, wo es nur dem energischen Eingreifen des Abgeordneten Stern zu danken ist, daß die Versammlung nicht aufgelöst wurde.
Wir fragen den Herrn Minister des Innern:
Besteht eine Weisung des Ministeriums, die proletarische Freidenkerbewegung systematisch zu verfolgen, ihre Veranstaltungen zu verhindern?
Ist dem Herrn Minister des Innern bekannt, daß die katholischen Organisationen vollkommen ungehindert viele Hunderte Lichtbildervortrage über die Sovjetunion abhalten, in welchen dieselbe in der gemeinsten Weise geschmäht, unzählige notorische Lügen und Greulmeldungen über dieselbe verbreitet und eine politische Hetze gegen die Arbeiterbewegung entfaltet wird?
Wie vereinbart der Herr Minister des Innern die Bewilligung dieser rein politischen Vorträge sogenannter religiöser Organisationen mit den Verboten von wissenschaftlichen und anderen Veranstaltungen der politischen 'Konfessioslosen mit der Begründug, dieselben seien politisch?
Ist der Herr Minister des Innern bereit, über die von uns angeführten besonders krassen Beispielen Erhebungen zu pflegen und die Bezirksämter zur Zurücknahme der Verbote zu veranlassen?
Ist der Herr Minister bereit, die Bezirksbehörden in Gablonz und Leitmeritz darüber zu informieren, daß nach dem Staatsgrundgesetz der ÈSR. alle Staatsbürger, also auch die Konfessionslosen, selbst wenn sie in der Minderheit sind, Anspruch auf gleiche Staatsbürgerrechte haben?
Ist der Herr Minister bereit, die ungeheuerliche Kulturschande zu beseitigen, daß Theaterstücke von Lev Tolstoj in der Tschechoslowakei verboten werden?
Ist der Herr Minister bereit, die dummen Zensurerlässe der Prager Polizeidirektion zu überprüfen und die von uns angeführten Stellen des Vortrages über das Karpathenland freizugeben?
Ist der Herr Minister bereit, sämtliche Bezirksbehörden und Polizeikommissariate, welche ausdrücklich eine antiklerikale Tätigkeit in Verbindung mit dem sozialistischen Lehren verbieten,
aufmerksam zu machen und die Verbote von öffentlichen Volksversammlungen der proletarischen Konfessionslosen, zu sistisren?
Ist der Herr Minister bereit, dem Landesamte in Bratislava aufzutragen, die im Reichsmaßstabe bewilligten Statuten des V. P. K. auch in der Slowakei zur Kenntnis zu nehmen?
Ist der Herr Justizminister bereit, von seinem Rechte, die Verfassung der ÈSR. zu wahren, Gebrauch zu machen und die Legalität der proletarischer Konfessionslosenbewegung zu sichern?
Ist der Herr Justizminister bereit, sich, im Abge-
ordnetenhause über die krassen. Verfassungsbrüche, die von uns obenstehend angeführt wurden, insbesondere über den Bescheid des Landesamtes in Prag vom 23. März 1. J., Z. 105. 344, zu äußern, der den proletarischen Organisationen das Recht nimmt, sich an die Arbeiterschaft zu wenden?
Prag, am 19. Mai 1932.
Dr. Stern, Kopecký, Štìtka, Steiner,
Kliment, Gottwald, Dvoøák, Kubaè, Krosnáø, RUSS,
Hadek, K. Procházka, Barša, Babel, Zápotocký,
Kuhn, Èižinská, Juran, Hodinová, Vallo, Török,
Novotný, Tyll, Hrubý, Sliwka.