Meine Herren: haben Sie überhaupt
das Geld, um alle diese Dinge zu zahlen? Entweder müssen Sie einen
Bettel dafür geben, genau so wie Sie für die Boden enteignung
nichts gegeben haben oder Sie werden ziemlich tief in die Tasche
greifen müssen. Wir wissen schon, wenn man kein Geld hat, kann
man sich borgen und man wird hier öfter borgen gehen. Es ist in
der letzten Zeit geborgt worden, ohne daß man das Parlament gefragt
hat oder fragen wird. Man hat in Frankreich eine Anleihe aufgenommen,
von der man nicht weiß wie, wann und wo, und bis man damit vor
das Parlament kommen wird, wird die Sache nicht mehr zu reparieren
sein. Es wird sich erweisen, daß große Provisionen gezahlt wurden
und wahnsinnige Zinsen versprochen worden sind, aber item, nun
kommt die verschlechterte finanzielle Situation des Staates. Ich
behaupte, daß wir unter den Verhältnissen, unter denen wir heute
leben, wo das Loch in der Finanzverwaltung immer größer wird,
es nicht notwendig haben, derartige Experimente zu machen. Wenn
man solche Experimente macht, lebt man über die Verhältnisse.
Man wird mir einwenden, daß dieses Gesetz zunächst noch nichts
sagt und daß es lediglich eine Fristverlängerung ist. Gewiß, aber
wir wissen, wozu Fristverlängerungen gebraucht werden und wozu
es gemacht ist und was dahinter steckt. Gerade das erfüllt uns
mit Furcht, geradezu mit Abscheu und da wir diese Dinge genau
ermessen und durchblicken, ist das für uns ein Grund genug, dieses
Gesetz und alle übrigen ähnlichen abzulehnen. (Potlesk.)
Meine Damen und Herren! Daß wir heute die Verlängerung des Gesetzes über die Überna hme der privaten Elektrizitätswerke überhaupt zu verhandeln haben, hat seinen Grund darin, daß vom Auslande her diplomatische Aktionen eingeleitet worden sind, welche es mit sich gebracht haben, daß Dr. Beneš es nicht für ratsam erachtet hat, momentan die Verstaatlichung der privaten Elektrizitätswerke in die Wege zu leiten. Es ist eine Tatsache, daß ein Staat, der zu privaten Leuten oder zu einer Staatskasse, die immerhin unter privatwirtschaftlichen Grundsätzen geführt wird, pumpen gehen muß, nicht zur selben Zeit die vermögensrechtlichen Grundlagen, auf denen die Wirtschaft ruht, untergraben kann. In Wirklichkeit gehen wir zu Frankreich um Geld und zur selben Zeit wollen wir, daß man bei uns ein Gesetz, das man sich momentan nicht traut durchzuführen, wenigstens in seiner Wirksamkeit um ein Jahr verlängert, um später, wenn man das gepumpt hat, diese Enteignung und diese Untergrabung jeder privatwirtschaftlichen Tendenz und Grundlage später durchführen zu können. Das möchte ich einleitend festgestellt haben, um die Politik, die sich hinter solche Maßnahmen versteckt, richtig zu charakterisieren und zu demaskieren. (Posl. dr Schollich: Das ist sehr moralisch!) Moralisch ist es nicht, aber es scheint den Herren praktisch zu sein.
Es ist selbstvers tändlich, daß auch ich die Befürchtungen nationalpolitischer Natur teile, die von den deutschen Vorrednern erhoben worden sind. Es ist klar, daß bei der Verstaatlichung von Betrieben das deutsche Arbeiterelement sehr wenig zu reden haben wird, daß es vielmehr hinausfliegen wird und ich wundere mich über unsere deutschen Sozialdemokraten, die die Sache scheinbar ziemlich ruhig hinnehmen und weiterhin das Damoklesschwert über diesen deutschen Unternehmern schweben lassen. Auch der Arbeitsplatz, den die deutschen Sozialdemokraten einnehmen, ist nicht gesichert gegen den Zugriff von èechischer Seite. Es ist selbstverständlich, daß nicht nur der deutsche Ingenieur oder Direktor, sondern auch der Installateur, Monteur und der - Arbeiter hinausfliegen wird, alle gleich. Das ist eine Sache, über die im Hause schon öfter gesprochen worden ist. Es hieße Wasser in die Donau schütten, wenn man sich über dieses Thema weiter verbreiten wollte. Was mich aber wundert, ist, daß man in einer Zeit der Wirtschaftskrise, in einer Zeit der ungeheuren Depression, in einer Zeit des Geldmangels sich getraut, ein Gesetz zu verlängern, das in seiner Durchführung an den Staat wieder ungeheure Anforderungen stellen wird. Wir könnten reichlich genug haben von der patenten Leitung unserer Staatsbahnen. Seitdem der Herr Eisenbahnminister Mlèoch ein Gewerberl aus diesem Großbetrieb gemacht hat, wissen wir, was ein Staatsbetrieb in einem großen Unternehmen bedeutet. Die Hunderte von Millionen Defizit, die wir dort haben, scheinen uns noch nicht genügend abgeschreckt zu haben. Die Herren scheinen der Meinung zu sein, daß dieses Defizit weiter erhöht werden muß. Heute probieren sie es, auf dem Gebiete der Elektrifizierung dasselbe zu machen. Sie hätten schon Beispiele genug, was sie diese sog. gemeinnützige Elektrifizierung kostet. Es vergeht keine Sitzung der Landesvertretung, sei es in Mähren oder in Böhmen, ohne daß eine Anleihe dort liegt, die bewilligt werden muß, deren Pupillarsicherheit, kurz deren Charakter von Land oder Stadt gesichert werden soll. Es sind Pumpversuche, die letzten Endes doch nicht den Privatsäckel dieser Elektrizitätsgesellschaften, die ja auf einer gemischtwirtschaftlichen Basis aufgebaut sind, den Staat, das Land und die Gemeinden, nicht den Säckel dieser Gesellschaften, sondern letzten Endes den Steuerträger belasten. Wir hab en heute wieder ein Gesetz, daß man die Garantie übernehmen soll für Anleihen, welche slovakische Elektrizitätsgesellschaften aufnehmen. Meine Herren, Garantieübernahme heißt letzten Endes wenn es schief geht, auch als Zahler einzuspringen. Und nach den letzten Ausführungen des Herrn Finanzministers und nach dem, was man so allgemein gehört hat, könnte uns die Lust vergangen sein, daß wir weitere Garantien übernehmen für Unternehmungen, die nicht richtig geleitet und geführt werden. Wir haben das allertiefste Mißtrauen gegen jeden staatlichen Betrieb. Wir kennen nicht die kommerziellen Fähigkeiten der Leute, die hineingesetzt werden. Erstens sind es meistens Leute, die nicht wegen wirtschaftlicher Kenntnisse, nicht wegen ihrer technischen Fähigkeiten auf den Platz gestellt werden, sondern die nach dem berühmten Schlüssel, nach dem richtigen "klíè" hingesetzt werden. Wir haben aber noch viel weniger Vertrauen und können es nicht haben, wenn zur selben Zeit hier in Prag der Prozeß gegen einen gewesenen Minister der Èechoslovakischen Republik sich abspielt, wo man Wunder erlebt und unglaubliches hört, wie z. B. staatliche Lieferungen vergeben werden, wie Waggoneinkäufe besorgt wurden, wie mit Kohle geschoben, gehandelt und gewuchert und der Staat begaunert wurde, und wir staunen, daß sie es wagen in einer Zeit, wo sie so viel Butter am Kopfe haben, herzukommen und von uns Steuerzahlern verlangen, daß wir weiteres Geld solchen Kavalieren in die Hand geben sollen. Wo ist die Garantie, daß es in Zukunft nicht wieder so sein wird; wenn Minister stehlen und stehlen dürfen, wenn das am grünen Holz geschieht, was soll am dürren Aste passieren? Das sind für uns Gründe genug, gegen ein solches Gesetz zu sein. Sie haben die Fähigkeit noch nicht erwiesen, Sie haben die Reinheit in Ihre Verwaltung noch nicht gebracht, Sie haben den Augiasstall noch nicht gereinigt, daß wir es Ihnen neuerlich anvertrauen könnten, mit unseren Geldern zu wirtschaften und unsere Gelder zu vertun. Wie es bei einer solchen Gesellschaft ausschaut? Wir haben in Mähren einige gemeinnützige Gesellschaften; sie heißen nur am Papier "gemeinnützige Gesellschaften". Man müßte sie in Wirklichkeit "ausbeuterische" nennen. Wir haben Staat, Land, Gemeinden beteiligt an der Západomoravská, an der westmährischen Elektrizitätsgesellschaft. Sie war einmal Besitz der AEG in Berlin, war nicht schlecht geleitet und ist ursprünglich gebaut worden als Elektrizitätswerk der Stadt Brünn. Sie wurde auf die Kohlengruben draufgesetzt. Die Bedingungen waren sicherlich sehr günstig, das Werk hat sich nicht schlecht entwickelt. Heute können wir ruhig sagen, daß eine größere Ausbeuterei kaum gedacht werden kann, wie sie sämtliche dieser mährischen Gesellschaften betreiben. Man spricht, auch hier im Hause, das Wort "Inkompatibilität" aus. Ich frage Sie, ist es vereinbar, daß z. B. ein höherer Landesbeamter als Landesbeamter entscheidet über die Elektrifizierung einer Gemeinde und gleichzeitig als Verwaltungsrat in derselben Gesellschaft sitzt? Ich frage Sie, ob das kompatibel ist? Ich frage Sie, ob es sich mit dem Begriff von Reinlichkeit vereinbaren läßt, daß solche Dinge passieren? Wir haben mit diesen Herren öfter zu tun gehabt. Es ist ein Beweis dafür, daß Sie es bis heute noch nicht treffen und getroffen haben, hier Ordnung zu schaffen. Sie können nicht einen Oberbaurat als Aufsichtsbehörde haben, als entscheidendes Forum und gleichzeitig denselben Herrn Oberbaurat sitzen lassen in einer sog. gemeinnützigen Gesellschaft. Meine Herren, solange Sie das nicht aus der Welt schaffen, solange hier nicht Klarheit und Reinlichkeit herrscht, können wir nur mit dem tiefstens Mißtrauen Ihre ganzen Maßnahmen betrachten. So hat z. B. Gemeinde Znaim ein größ eres Elektrizitätswerk. Die Vorbedingungen für dieses Werk sind die denkbar besten und die Gemeinde Znaim verdient an diesem Werk effektiv Geld, der Strompreis ist nicht höher als der der Westmährischen. Die Gemeinde Znaim kommt beim Bau der Ortsnetze entgegen, man kann also in keiner Weise sagen, daß dieses Werk nicht am Platze wäre. Sie wissen, Znaim hat eine èechische Mehrheit der Vertretung. Ich hätte kein besonderes nationales Interesse, den Fall zu zitieren, sondern ein rein sachliches Interesse, weil mich die Sache tatsächlich durch Jahre beschäftigt hat, weil eine Reihe von Landgemeinden der Umgebung es vorgezogen hat, sich an Znaim anzuschließ en, von dort Strom zu beziehen und nicht bei der Westmährischen. Wenn ich Ihnen erzählen wollte, welche Himmelfahrten diese Herren haben antreten müssen, bevor sie dazu kamen, die Bewilligung zu erhalten, würden Sie darüber staunen! Derselbe Herr Oberbaurat Mikeš in Brünn, der in der Westmährischen als Verwaltungsrat tätig ist, kurzum in der Kommission sitzt, dieser selbe Herr Oberbaurat hat als Vertreter des Staates sich dagegen ausgesprochen, hat diese ganzen Gesuche um Anschluß an das Elektrizitätswerk Znaim Monate, ja Jahre lang liegen lassen. Nun, eine größere Korruption kann es nicht geben, solche Gemeinheiten können nur bei uns vorkommen, so etwas ist anderwärts ausgeschlossen. Ich frage: ist der Oberdirektor Weiner in Brünn unser Kommandant, oder sind Land, Staat, öffentliche Behörden noch irgendjemand oder sind sie nichts? Solche Sachen müssen angeprangert werden. Wer halbwegs Taktgefühl in sich hat, der muß sagen, daß dieser Oberbaurat Mikeš von seinem Posten schon längst verschwunden sein muß. Er ist unbrauchbar, er ist eine Schmach für unsere Verwaltung, eine Schmach für unsere Verhältnisse.
Wenn wir solche Verhältnisse miterlebt haben, glauben Sie, daß wir mit Begeisterung einstimmen werden in das hohe Lob, das Sie natürlich über Ihre neueste Maßnahme hier anstimmen wollen? Wir glauben nicht daran, daß Sie etwas können, wir sprechen Ihnen jede technische und kaufmänische Fähigkeit überhaupt ab, Sie sind nicht fähig, eine solche Sache durchzuführen. Was man noch immer gesehen hat, war ein Beweis dafür, daß die staatlichen Betriebe uns, den Steuerträgern Geld kosten. Immer ist es der Gegenbeweis von dem, den Sie bringen wollen. Koll. Keibl hat mit vollem Recht gesagt, daß Sie auch kein Geld haben, und auch aus dem Grunde für die Verstaatlichung der Elektrizitätswerke nicht sein können. Ich bin überzeugt davon, Sie werden natürlich diesen privaten Werken nicht allzuviel zahlen wollen. Es ist aber eine Frage, ob Sie das werden durchführen können; nachdem es sich nicht um altösterreichische, nicht um deutsche, sondern um schweizerische und belgische Kapitalien handelt und nachdem doch unser Staat sich ziemlich stark darum bemüht, im Ausland halbwegs das Gesicht zu wahren, werden Sie in diesem Falle etwas höher bezahlen müssen. Es handelt sich nicht um feudale Graßgrundbesitze, die zum Teil auch diesem Lande so manchen Nutzen gebracht haben, sondern um internationale Kapitalsgruppen, die zufällig in diesem Lande disloziert, heimatsberechtigt sind. Sie werden daher gewisse Rücksichten nehmen müssen. Wie eingangs erwähnt, sind diplomatische Aktionen im Gange gewesen und das ist auch der Grund, warum man die Durchführung d. h. die sofortige Enteignung nicht betrieben hat, sondern wie gesagt, sich ein Jahr Spielraum durch Verlängerung des Gesetzes schaffen will. Wenn also die Ablöse nicht zu billig sein wird, ergibt sich für uns die Frage, woher wir das Geld nehmen sollen. Und nachdem bei uns nach der bekannten Tradition der Geldwirtschaft das Bestreben besteht, bis zu einem gewissen Grade in dieser Hinsicht in nicht allzugroße Abhängigkeit vom Ausland zu kommen, wird versucht werden müssen, soweit wie möglich im Inland das Geld zu verschaffen, das man für diese Enteignung bracht. Das bedeutet für unsere Wirtschaft eine weitere Verknappung des Geldmarktes, eine weitere Rarmachung aller flüßigen Mittel, das bedeutet selbstverständlich weitere Betriebseinschränkungen in der Privatwirtschaft, weitere Arbeitslosigkeit und all die unangenehmen Begleiterscheinungen, die man sich nur vorstellen kann.
Aus dem Grunde muß ich mich absolut dagegen aussprechen, sowie es natürlich überdies auch unsere Überzeugung ist, daß wir mit der sogenannten Planwirtschaft oder staatlichen Wirtschaft nichts gemein haben wollen, weil wir dadurch denn doch nur in anderen Formen das tun, was Rußland mit seinem Kommunismus seit Jahren tut. Überhaupt behaupte ich, daß wir die flüssigen Mittel durch die Banken brauchen, um endlich die notwendigen Unterstützungen für die Elektrifizierung der Gemeinden, die die Elektrifizierungen entweder noch nicht durchgeführt oder zwar durchgeführt aber die Subventionen noch nicht erhalten haben, diesen Gemeinden zu geben. Es ist eine bekannte Tatsache, daß wir den Fond für die Subventionierungen zur Elektrifizierung des flachen Landes auf zwei Jahre im Vorhinein bereits erschöpft haben. Die Gelder sind ausgegeben und wir haben keine weiteren Bargeldbestände. Es ist also selbstverständlich, daß jetzt eine ganze Reihe von Gemeinden dasteht und sich nicht zu elektrifizieren getraut, oder daß eine Reihe von Gemeinden, vor allem Landg emeinden, die zwar elektrifiziert haben in Anhoffung, daß sie eine Subvention bekommen werden, nun dastehen und ein kolossales Loch der Gemeindebuchung haben.
Wenn also Geld zur Verfügung gestellt werden soll, wenn Sie glauben, daß Sie, wenn auch nicht momentan, so doch später flüssige Mittel haben werden, wäre es Ihre erste Aufgabe das, was der Bewölkerung, den Gemeinden sozusagen versprochen worden ist, einzulösen, nämlich die Subventionierung der Elektrifizierung am flachen Lande. Das ist bis zum heutigen Tage nicht geschehen; und gerade zu einer Zeit, wo die wirtschaftliche Not, die Depression so groß ist wie noch nie, zu einer Zeit, wo keine Aussicht, keine Möglichkeit besteht, daß es draußen in kürzester Zeit besser werden könnte, zu derselben Zeit entziehen Sie auch den Gemeinden die Suvention für die Elektrifizierung.
Aus all diesen Gründen können
Sie nicht erwarten, daß von deutscher Seite für solche Gesetze
gestimmt wird. Es ist selbstverständlich, daß wir nicht nur gegen
das Gesetz stimmen, sondern auch den Kampf gegen diese Plan- und
staatliche Wirtschaft, gegen diese staatliche Bankrottwirtschaft
führen, und daß wir uns immer dagegen aussprechen werden. (Potlesk.)
Meine Damen und Herren! Die staatliche Sozialpolitik ist hierzulande zweifellos noch immer recht mangelhaft. Sie trägt bei weitem nicht den Stempel eines Siegerstaates, aber alle Merkmale altösterreichischer Herkunft. Das spricht keinesfalls gegen das frühere Österreich, dem wir die grundlegenden Gesetze der èechoslovakischen Sozialpolitik verdanken. Denn, was bisher geschaffen wurde, stellt entweder eine Fortsetzung oder Ergänzung der im alten Österreich begonnenen Sozialgesetzgebung dar. Das Wenige, was an eigener Gesetzgebung, also èechoslovakischer Provenienz, vorhanden ist, kann einer berechtigten und durchaus objektiven Kritik kaum Stand halten. Das gilt sowohl vom Arbeitszeitgesetz, als auch vom Betriebsausschüssegesetz und der Alters- und Invalidenversicherung der Arbeiter, also den sogenannten großen Gesetzeswerken der Republik. Die Bodenreform vermag ich beim besten Willen nicht mit einzubeziehen, weil ihr sozialer Charakter, besser vielleicht ihr sozialer Wert, nicht in Einklang gebracht werden kann mit den ungeheuren nationalen und volkswirtschaftlichen Schäden, die aus ihr entstanden sind. Für die Sudetendeutschen trifft es zweifellos zu, daß durch die Bodenreform mehr Existenzen vernichtet als neue geschaffen wurden. Schon damit ist ihr sozialer Wert gekennzeichnet.
Die Mangelhaftigkeit der Staats- und Sozialpolitik mag zum Teil mit der Ungunst der Zeit zusammenhängen, ist aber sicherlich auch auf die Arbeit der beteiligten Ministerien zurückzuführen. Mit sozialpolitischen Stückwerken können eben die ungeheuren sozialen Schäden der Gegenwart nicht geheilt werden. Das zeigt wohl am deutlichsten die Arbeitslosenfürsorge des Staates auf, die nachgerade zu einem öffentlichen Skandal geworden ist. Es mag sein, daß die heutigen wirtschaftlichen Verhältnisse der staatlichen Sozialpolitik nicht sonderlich wohl gesinnt sind. Das darf aber keinesfalls dazu führen, den sozialpolitischen Fortschritt zu unterbinden, auch wenn noch so viel Unkenrufe aus dem Lager der Reaktion kommen, die nichts sehnlicher wünscht, als der staatlichen Sozialpolitik überhaupt den Garaus zu machen. Ihr kommt diese Zeit außerordentlich gelegen, denn unter der Wirtschaftskrise leiden ja nicht nur die Betriebe und Millionen von Menschen, sondern ganz natürlich auch die Träger der Sozialversicherung. Gerade diese Tatsache gibt der Reaktion allerhand Veranlassung, gegen diesen Teil der staatlichen Sozialpolitik anzurennen. Der Kampf wird augenblicklich vor allem gegen die Krankenversicherung geführt, die unter der Ungunst der Verhältnisse am meisten zu leiden hat. Die gleichen Kreise überlegen dabei nicht, daß ja auch die Unternehmer in den Verwaltungen der Krankenkassen sitzen und deshalb die Möglichkeit haben mit hineinzureden. Sie sollten aber auch überlegen, daß viele Unternehmer durch das Zurückhalten der von den Arbeitnehmern rechtzeitig eingehobenen Versicherungsbeträge ganz wesentlich zu den heutigen Zuständen beigetragen haben. Auch die ständigen Lohn- und Gehaltsherabsetzungen können zur Gesundung der Krankenversicherung ni cht beitragen. Und die Lage wird sich weiter verschlechtern, wenn die Zentralsozialversicherungsanstalt auch weiter darauf besteht, daß ein Großteil der Verwaltungsarbeit für die Invalidenversicherung den Krankenversicherungsanstalten aufgebürdet wird, ohne daß für diese sehr umfangreichen Arbeiten eine entsprechende Vergütung geleistet wird.
Hier muß ein gründlicher Wandel eintreten, wenn verhindert werden soll, daß die Krankenkassen zu wesentlichen Beitragserhöhungen schreiten, die vor allem für dle Arbeitnehmer unerträglich wären. Ebenso notwendig ist, daß das Vertrauen der Versicherten in die Verwaltung der gesamten Sozialversicherung, einschließlich der Pensionsversicherung der Angestellten, durch die Ausschreibung von Wahlen so rasch als möglich wieder hergestellt wird. Die Arbeitslosigkeit scheint uns kein genügender Grund für die weitere Belassung der von der Regierung ernannten Vertreter zu sein. Bekanntlich ist die seinerzeitige Ernennung vollkommen ein seitig, nach einem ganz willkürlichen Schlüssel vorgenommen worden. Die Politisierung der Krankenkassen hat damit zweifellos weitere Fortschritte gemacht und mit dazu beigetragen, daß die Krankenkassen immer mehr Versorgungsanstalten sozialdemokratischer Parteigänger wurden. Diese Tatsache hat dem Sozialversicherungsgedanken schweren Schaden zugefügt und seinen Wert herabgemindert. Dazu kommen organisatorische Mängel und Schwächen, die der Sozialversicherung anhaften. Aber so ist es noch jedem Menschenwerke ergangen. Das darf aber kein Anlaß sein, das ganze Sozialversicherungswerk als abwegig zu bezeichnen und zu behaupten, daß das ganze Sozialversicherungsgebäude bereits erschüttert ist. Alle diejenigen, die dem Sozialversicherungsgedanken verständnislos gegenüberstehen, übersehen den unendlichen Segen, den die Sozialversicherung gestiftet hat. Gerade in diesen Tagen ist das 50jährige Gedenken an die soziale Botschaft, deren Schöpfer der große Kanzler Bismarck war, in ganz Deutschland würdig gefeiert worden. Gerade bei dieser Gelegenheit wurde mit aller Schärfe betont, daß die Sozialpolitik eine Pflicht des Staates ist. Das ist auch der Standpunkt meiner Partei, die es niemals zulassen wird, daß wir in eine Zeit zurückfallen, in der das Bürgertum mitleidslos erklärte: "Laß sie betteln gehen, wenn sie hungrig sind." (Pøedsednictví se ujal pøedseda Malypetr.)
Es ist nicht wahr, daß die Wirtschaft des èechoslovakischen Staates durch die Sozialpolitik belastet ist. Bei einem Vergleich mit den Nachbarstaaten ergibt sich ohne weiters, daß die Belastung der Wirtschaft mit Sozialbeiträgen keineswegs höher als anderswo ist. Das gerade Gegenteil davon wird eher zutreffen. Deshalb sind auch alle Folgerungen, die an diese falsche Behauptung geknüpft werden, abwegig, besonders jene, die vorgibt, daß durch die staatliche Sozialpplitik die
Volkswirtschaft blutleer gemacht wird, oder gar jene Behauptung des Herrn Koll. Windirsch, daß die übertriebene Sozialpolitik sogar zur Erschütterung der èechoslovakischen Währung führen kann. Von einer übertriebenen Sozialpolitik kann in diesem Staate gar keine Rede sein. Auch wenn eine Reihe weiterer sozialpolitischer Gesetze in Vorbereitung ist, so werden damit die dringendsten Forderungen der Arbeitnehmer durchaus noch nicht erfüllt. Das gilt sowohl für die Arbeiter als auch für die Angestellten. Letztere haben wohl in den vergangenen Jahren Fortschritte in ihrer Pensionsversicherung erreicht, alle anderen lebenswichtigen Fragen aber blieben bisher ungelöst. Wenn das Ministerium für soziale Fürsorge heute einen Antrag vorlegt, der eine kleine Verbesserung der Arbeitszeitverhältnisse der Handelsangestellten beinhaltet, so können wir diese Vorlage nur als Abschlagszahlung auf die übrigen Forderungen der Angestellten betrachten.
Schon seit Jahren kämpfen die Handelsangestellten um die Vorverlegung der Ladenschlußstunde am Vorabend des Weihnachtsfestes und das mit Recht. Soweit ich das vermochte, habe ich diese Bestrebungen gemeinsam mit meinen Parteifreunden auf parlamentarischem Boden unterstützt. Ich verweise dabei auf die von mir eingebrachten drei Interpellationen, besonders aber auf meinen Gesetzesantrag Nr. 707 vom 30. September 1930, dem eine ausführliche Begründung beigeschlossen war. Dem heute vorliegenden Regierungsentwurf ist eine umfassende Vorarbeit der Angestelltenverbände, insbesondere der Arbeitsgemeinschaft deutscher Gehilfenausschüsse unter der Führung des deutschen Handelsangestelltenverbandes vorausgegangen. Dieser ist es vor allem zu danken, daß die praktische Durchführung des vorzeitigen Ladenschlusses am Heiligen Abend in einer ganzen Anzahl von Orten verwirklicht wurde. Hatte doch der Landesverband der kaufmännischen Gremien und Handelsgenossenschaften mit deutscher Geschäftssprache in Böhmen am 27. November 1930 an die angeschlossenen Gremien und Genossenschaften ein Rundschreiben herausgegeben, in dem er empfahl, dem Wunsche der Angestellten nach Einführung des Fünfuhrladenschlusses am Heiligen Abend nach Tunlichkeit zu entsprechen. Diesem Ersuchen wurde kaum irgendwo Widerstand entgegengesetzt. Umso unverständlicher mußte es sein, daß diese Frage nicht schon im vorigen Jahre ihre gesetzliche Regelung gefunden hat. Das veranlaßte mich, bei der letzten Aussprache im Haushaltungsausschuß dem Herrn Handelsminister dringendst nahezulegen, seinen vorjährigen Widerstand aufzugeben, weil er durch nichts begründet war und weil die gesetzliche Regelung des Ladenschlusses am Heiligen Abend schon durch die Praxis sanktioniert worden ist. Da auch in Deutschland eine gleichlautende reichsgesetzliche Regelung des Ladenschlusses am Heiligen Abend erfolgt ist, kann es ernste Bedenken in dieser Frage überhaupt nicht geben. Schäden für die Kaufmannschaft wird dieses Gesetz sicher nicht mit sich bringen. Dagegen spricht schon die Tatsache der bisherigen freiwilligen Durchführung des Fünfuhrladenschlusses am Heiligen Abend, dagegen sprechen aber auch die Erfahrungen aus dem Deutschen Reiche, die sich bereits auf zwei Jahre erstrecken. In den Berichten der deutschen Gewerbeaufsichtsämter heißt es durchwegs, daß sich Nachteile aus dem Gesetz nicht ergeben haben, daß die Vorverlegung des Ladenschlusses überall reibungslos vor sich gegangen ist und daß sich selbst in kleineren Lebensmittelgeschäften um 5 Uhr abends keine Kunden mehr befanden.
Wenn also im Deutschen Reiche so gut wie nirgends Schwierigkeiten erwachsen sind, dann ist anzunehmen, daß die Strafbestimmungen des Gesetzes, die durchaus angebracht sind, auch hierzulande kaum Anwendung finden werden. Eine Überwachung ist aber trotzdem dringend notwendig. Im übrigen werden die Organisationen der Angestellten und Kaufleute selbst dafür Sorge tragen, daß die Bestimmungen des Gesetzes allgemein bekannt und auch seitens der Konsumenten die nötige Beachtung finden werden. Die meisten Käufer werden schon aus Zweckmäßigkeitsgründen ihre Einkäufe rechtzeitig besorgen, da es ihnen wohl bekannt ist, daß sie sich damit selbst am meisten nützen.
So sehr wir den Gesetzentwurf begrüßen, ebenso sehr bedauern wir, daß die Frage der Doppelfeiertage noch immer nicht gelöst ist. Die Regierungsparteien haben zwar einen Resolutionsantrag dazu eingebracht, der aber aller Wahrscheinlichkeit nach schon zu spät kommt, um noch für die kommenden Weihnachtsfeiertage Geltung zu erlangen. Warum die Regierung in dieser Frage nicht von sich selbst aus eingegriffen hat, ist uns einfach unverständlich. Denn alle beteiligten Kreise, also Angestellte, Arbeiter, Kaufleute und sonstige Unternehmer haben sich durchwegs für die Wiederherstellung der Doppelfeiertage ausgesprochen, die aus unserem Volksleben gar nicht mehr weggedacht werden können und volkswirtschaftlich eine große Bedeutung haben. Die Auflockerung der Doppelfeiertage ist also, von welchem Gesichtspunkte aus immer gesehen, ein Rückschritt, der rasch beseitigt werden muß, wenn insbesondere die Angestellten des Handels sich noch weiterhin der Erholung zweier auf einanderfolgenden Feiertage erfreeuen sollen. Je länger aber der gegenwärtige Zustand dauert, umsomehr gerät auch diese Feiertagsruhe in Gefahr. Ansätze hiezu sind schon eine ganze Anzahl vorhanden. So wird in verschiedenen Städten versucht, vor allem für den Lebensmittelhandel am zweiten Weihnachtsfeiertag zuzulassen. Diese Tatsache allein veranlaßt mich, auch von dier Stelle aus schärfsten Einspruch gegen die Auflockerung der Doppelfeiertage zu erheben und von der Regierung zu verlangen, daß raschestens das allen Kreisen unverständliche Gesetz vom Jahre 1925 aufgehoben wird. Im Zusammenhang mit der ganzen Frage der Weihnachtsruhe steht auch die Frage des ganztägigen Offenhaltens der Läden an den beiden Sonntagen vor Weihnachten. Es sind dies der sog. silberne und goldene Sonntag, an welchen in Böhmen noch immer die Sonntagsruhebestimmungen außer Kraft gesetzt sind, während bekanntlich in Mähren nur der goldene Sonntag für den Einzelverkauf freigegeben ist. Schon diese Verschiedenartigkeit in den beiden genannten Ländern zeigt deutlich auf, daß eine einheitliche Auffassung über die Notwendigkeit der Ausnahmebestimmungen nicht besteht. Ich meine deshalb, daß zumindest verlangt werden kann, daß der für Mähren festgelegte Zustand auch für Böhmen Geltung haben müßte, da nicht der mindeste Anlaß besteht, die volle Verkaufsfreiheit gleich auf zwei Sonntage vor Weihnachten zu erstrecken. Die Bedeutung des sog. silbernen Sonntages ist längst nicht mehr vorhanden. So hat z. B. in Hamburg die Hamburger Bürgerschaft den Antrag auf Freigabe des silbernen Sonntags für das Weihnachtsgeschäft in Hamburg mit 29 gegen 18 Stimmen abgelehnt. Schon seit Jahren weisen die Angestelltenorganisationen darauf hin, daß die Regie an diesem Tage durch die Verkäufe keinesfalls erzielt wird und daß deshalb die Bestimmungen über diesen Sonntag aufzuheben wären, da nicht einzusehen ist, daß gerade die kaufmännischen Angestellten Böhmens zwei Sonntage hindurch ohne Ausgleich dafür je 8 Stunden Dienst zu machen haben. Ich ersuche deshalb die beteiligten Ministerien, dafür Sorge tragen zu wollen, daß die bezüglichen Bestimmungen über das Offenhalten der Läden an den beiden Sonntagen vor Weihnachten entsprechend den berechtigten Forderungen der Angestellten abgeändert werden. Bei dieser Gelegenheit darf ich wohl ganz kurz auf die überlange Arbeitszeit der Handelsangestellten hinweisen, die noch lange nicht die Vorteile des Arbeitszeitgesetzes genießen. Denn es gehört durchaus nicht zu den Seltenheiten, daß die Handelsangestellten ganzer Gemeinden und Städte statt 48 Stunden 72 Stunden in der Woche ihrer Arbeit nachgehen müssen. Das hängt vor allem zus ammen mit dem noch immer ungeregelten Ladenschluß und mit der noch immer nicht eingeführten Sonntagsruhe im ganzen Staate. Der Kampf darum geht schon seit mehr als 30 Jahren. Es ist gewiß begrüßenswert, daß in letzter Zeit wieder einige Sonntagsruheverordnungen herausgegeben worden sind, leider aber nicht für jene Bezirke, in welchen schon seit langem alle Voraussetzungen für eine Verordnung gegeben sind. Es sind dies vor allem die Bezirke Lobositz, Schluckenau, Arnau, Braunau, Hohenelbe, Trautenau und Deutsch-Gabel. Da in all diesen Bezirken keinerlei wesentliche Schwierigkeiten für die vollständige Sonntagsruhe vorhanden sind, erwarten wir, daß nunmehr auch für diese Bezirke die ganzjährige Sonntagsruhe verordnet wird. Die Arbeitszeit der Handelsangestellten wird aber erst dann eine Anpassung an das Arbeitszeitgesetz erfahren, wenn die Ladenschlußfrage endlich eine definitive Regelung erfährt. Notwendig dazu ist die ganzstaatliche und ganzjährige Sonntagsruhe und weiter die Festlegung, daß die achtstündige Arbeitszeit der im Handel tätigen Angestellten mit dem Ladenschluß zusammenfallen muß.
Weil wir auch das heute vorliegende
Gesetz nur als ein Übergangsgesetz betrachten, habe ich schon
am 16. Oktober 1930 unter Zahl 885 einen Gesetzantrag vorgelegt,
durch welchen alle jene Bestimmungen der Gewerbeordnung abgeändert
bzw. ergänzt werden sollen, die nicht mehr im Einklang mit den
heutigen Zeitverhältnissen stehen, die also längst veraltet und
überholt sind. Da dieser Antrag, der eine grundlegende Änderung
der für die Handelsangestellten in Betracht kommenden Bestimmungen
der Gewerbeordnung beinhaltet, keinerlei Kosten für den Staat
mit sich bringt, darf die Angestelltenschaft mit Recht erwarten,
daß die beteiligten Ministerien bald daran gehen, die Beratungen
darüber aufzunehmen. Erst durch eine solche gründliche Reform
der alten Gewerbeordnung wird auch für die Handelsangestellten
der Rechtszustand geschaffen, der dem Geiste sozialer Gerechtigkeit
entspricht. (Potlesk.)